Therapie des Status epilepticus - Trinka E www.kup.at/ - Krause und Pachernegg
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Journal für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie www.kup.at/ JNeurolNeurochirPsychiatr Zeitschrift für Erkrankungen des Nervensystems Therapie des Status epilepticus Homepage: Trinka E www.kup.at/ Journal für Neurologie JNeurolNeurochirPsychiatr Neurochirurgie und Psychiatrie Online-Datenbank mit Autoren- 2009; 10 (3), 62-69 und Stichwortsuche Indexed in EMBASE/Excerpta Medica/BIOBASE/SCOPUS Krause & Pachernegg GmbH • Verlag für Medizin und Wirtschaft • A-3003 Gablitz P.b.b. 02Z031117M, Verlagsor t : 3003 Gablitz, Linzerstraße 177A /21 Preis : EUR 10,–
DGfE 2022 60. Jahrestagung der DGfE 27.–30. APRIL 2022 l Leipzig © Jakob Fischer l shutterstock www.epilepsie-tagung.de AbstrAct DEADlinE 09. DEzEmbEr 2021 73. Jahrestagung Deutsche gesellschaft für neurochirurgie abstract Deadline: 04. Januar 2022 Joint Meeting mit der griechischen gesellschaft für neurochirurgie www.dgnc-kongress.de
Therapie des Status epilepticus Therapie des Status epilepticus E. Trinka Kurzfassung: Der Status epilepticus (SE) ist sind nicht sedierend und kardiovaskulär gut ver- immediate and vigorous emergency treatment. nach dem Schlaganfall der häufigste neurologi- träglich, sodass hier Alternativen zu Phenytoin Diagnostic workup should reveal the etiology of sche Notfall. Er stellt als generaliserter konvul- vorhanden sind. Lacosamid ist eine neue Thera- GCSE but must not delay treatment. Intravenous siver SE (GKSE) die schwerste Ausprägung eines pieoption, deren Stellenwert erst bestimmt wer- (IV) benzodiazepines are the treatment of choice epileptischen Anfalls dar, der mit einer signifi- den muss. Versagt auch die zweite Therapie- in the early phases of GCSE. Randomized con- kanten Morbidität und einer ca. 20%igen Letali- stufe, so muss der Patient intubiert und in Allge- trolled trials have shown that i.v. lorazepam (4– tät verbunden ist. Nur bei der Hälfte der Patien- meinanästhesie intensivmedizinisch behandelt 8 mg) is superior to diazepam (10–20 mg). When ten mit SE besteht zuvor eine Epilepsie; die werden. Dafür stehen Thiopental, Propofol oder seizures or ictal electroencephalographic activ- meisten Fälle sind symptomatisch, wobei Schä- hoch dosiertes Midazolam zu Verfügung. Durch ity persists after i.v. benzodiazepines a rapid del-Hirn-Traumata, zerebrovaskuläre Erkrankun- den eklatanten Mangel an randomisierten Stu- infusion with antiepileptic drugs is necessary gen, ZNS-Infektionen und metabolische Ursa- dien bleibt die Therapie des GKSE empirisch und at this stage. Though randomized controlled chen führend sind. Bei Patienten mit vorbeste- durch den Off-label-Einsatz gekennzeichnet. studies are not available, i.v. phenytoin (1000– hender Epilepsie lässt sich eine frühe Phase des 2000 mg at max 50 mg/min) is most often used. GKSE erkennen, in der die Anfälle crescendo- A clinically useful alternative devoid of cardio- artig zunehmen, bis sie in kontinuierliche An- Abstract: Therapy of the Status Epilepticus. vascular and central depressant side effects are fallsaktivität münden (etablierte Phase). Das The status epilepticus is – second to stroke – i.v. valproate (1000–2000 mg at max 6 mg/kg Management eines GKSE verlangt rasches und the most common neurological emergency situa- body weight/min) or i.v. levetiracetam (2000– beherztes Vorgehen. Neben der sofort einzulei- tion. The generalized convulsive status epilepti- 3000 mg at 300 mg/min). I.v. lacosamide has re- tenden Therapie muss gleichzeitig die artdia- cus (GCSE), the most severe and extreme ex- cently been marketed, but its clinical usefulness gnostische Zuordnung des SE und die Ursache pression of an epileptic seizure, is associated has to be determined. Failure to respond to i.v. erkannt und behandelt werden. Als Therapie der with a significant morbidity and one out of five antiepileptic drugs should lead to general an- ersten Wahl sind Benzodiazepine etabliert, wo- patients will not survive. Only half of the pa- aesthesia in the intensive care setting without bei intravenösem (i.v.) Lorazepam gegenüber tients have pre-existing epilepsy and the major- any delay. High-dose continuous midazolam, Diazepam der Vorzug zu geben ist. Versagt die ity is acutely or remotely symptomatic, with propofol or thiopental are the most frequently Therapie mit Benzodiazepinen, muss rasch und brain trauma, cerebrovascular insults, brain in- used anaesthetics at this so-called refractory konsequent nach einem Stufenschema vorge- fections and metabolic diseases as the most stage. Due to the obvious lack of randomised gangen werden. Phenytoin/Fosphenytoin, Val- common causes. In patients with previous epi- controlled trials the treatment of GCSE remains proinsäure, Levetiracetam und Lacosamid sind lepsy a phase of increasing seizure activity (pre- empiric and includes often drugs not licensed for als i.v. Formulierung erhältliche Antiepileptika. monitory status) often heralds overt GCSE in this indication posing serious medicolegal prob- Obwohl Vergleichsstudien hier fehlen, wird Phe- which continuous epileptic activity prevails. lems on the treating physician. J Neurol nytoin bevorzugt. Valproat und Levetiracetam Management of established GCSE prompts Neurochir Psychiatr 2009; 10 (3): 62–9. Einleitung schrift zu finden ist [6], erfolgten die ersten detaillierten klini- schen Beschreibungen ab dem 19. Jahrhundert [7, 8]. Die Der Status epilepticus (SE) ist die schwerste und extremste Bezeichnung „état de mal“ wurde von den Patienten der Ausprägung eines epileptischen Anfalls. Jeder fünfte Patient Salpêtrière verwendet und fand durch Louis Calmeils Disser- mit SE verstirbt und viele überleben nur mit schweren neuro- tation [9] Einzug in die medizinische Literatur. Brozier latini- logischen Ausfällen. Im deutschen Sprachraum erleiden pro sierte den Begriff und führte 1867 die Bezeichnung Status Jahr ca. 17.000 Menschen einen SE. Zählt man alle Formen epilepticus ein. Eine auch heute noch klinisch praktikable akut symptomatischer Status epileptici hinzu, so sind ca. Einteilung des konvulsiven SE geht auf die klassischen Arbei- 40.000 Menschen pro Jahr betroffen. In der vorliegenden ten von Clark und Prout zurück, die 3 Phasen eines konvulsi- Übersichtsarbeit werden die praxisrelevanten Aspekte in der ven SE unterschieden [7, 10–13]: (1) Bei Patienten mit Epi- Therapie des generalisierten konvulsiven SE im Erwachse- lepsie lässt sich eine Frühphase (Synonym: drohender SE; nenalter besprochen. Beiträge zur aktuellen Diskussion der engl.: premonitory, impending, heraldic, early status epilepti- Klassifikation und Diagnose, zu den verschiedenen Formen cus) erkennen, in der die Frequenz und Stärke der Anfälle des nicht konvulsiven SE, und SE bei Kindern finden sich in crescendoartig zunimmt. Bei Patienten ohne vorbestehende hervorragenden rezenten Übersichtsarbeiten [1–5] (Tab. 1). Epilepsie kann dieses Stadium jedoch fehlen und der SE be- ginnt abrupt. (2) In der Phase des etablierten SE bestehen kon- Obwohl die erste Erwähnung eines SE bereits auf den neo- tinuierliche Konvulsionen oder die Patienten erlangen das babylonischen Sakikku-Tafeln (718–612 v. Chr.) in Keil- Bewusstsein zwischen den Anfällen nicht mehr. Mit zuneh- mender Dauer nimmt die motorische Symptomatik ab und es beginnt die (3) Phase des fortgeschrittenen SE (Synonym: refraktärer SE; engl.: subtle SE, stuporous SE, advanced SE). Aus dem Klinischen Bereich Epileptologie, Univ.-Klinik für Neurologie, Medizinsche Ungeachtet der nicht einheitlichen und allgemeingültigen Universität Innsbruck Korrespondenzadresse: Univ.-Doz. Dr. med. Mag. Eugen Trinka, Klinischer Bereich Definition von SE und Zeitgrenzen folgen alle Therapiestrate- Epileptologie, Univ.-Klinik für Neurologie, A-6020 Innsbruck, Anichstraße 35; gien einer stufenweisen Einteilung des SE, die den von Clark E-Mail: eugen.trinka@uki.at und Prout beschriebenen Phasen entspricht. 62 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2009; 10 (3) For personal use only. Not to be reproduced without permission of Krause & Pachernegg GmbH.
Therapie des Status epilepticus Tabelle 1: ILAE-Klassifikation des Status epilepticus (2006) Tabelle 2: Definitionen 1. Epilepsia partialis continua (EPC): In Zusammenhang mit Früher (drohender) Status epilepticus a. Rasmussen-Syndrom Zustand mit kontinuierlichen generalisierten konvulsiven Anfällen b. fokalen Läsionen (dysplastisch, vaskulär, tumorös) für mindestens 5 Minuten Dauer, c. angeborenen Stoffwechselstörungen oder kontinuierliche elektroenzephalographische Anfallsaktivität 2. Status epilepticus mit Anfällen aus der supplementär-motori- bei einem bewusstseinsgetrübten Patienten, schen Area (SMA) oder 2 generalisiert tonisch-klonische Anfälle, zwischen denen 3. Aura continua der Patient das Bewusstsein nicht wiedererlangt. 4. Dyskognitiver fokaler SE (status psychomotoricus) 5. Tonisch-klonischer Status epilepticus Etablierter Status epilepticus 6. Absencenstatus Zustand mit kontinuierlichen generalisierten konvulsiven Anfällen a. typisch für mindestens 30 Minuten Dauer, b. atypisch oder kontinuierliche elektroenzephalographische Anfallsaktivität c. myoklonisch bei einem bewusstseinsgetrübten Patienten, 7. Myoklonischer Status epilepticus oder 2 generalisiert tonisch-klonische Anfälle, zwischen denen 8. Tonischer Status epilepticus der Patient das Bewusstsein über mehr als 30 Min. nicht wieder- erlangt. 9. Subtle status epilepticus Refraktärer Status epilepticus Fortbestehen von konvulsiven Anfällen mit oder ohne abnehmen- de motorische Aktivität, Definitionen – Begriffsbestimmungen – oder Koma mit fortdauernder elektroenzephalographischer An- konzeptioneller Hintergrund fallsaktivität, nach der initialen Verabreichung von Benzodiazepi- nen und Phenytoin oder Valproat (= Versagen der Therapien der Früher oder drohender Status epilepticus 1. und 2. Stufe). Auf dem Marseille-Colloquium von 1962 definierte Henri Gastaut SE als „andauernden epileptischen Zustand“ („epi- nen Studie aus Richmond, Virginia, zeigen, dass Patienten mit leptic seizures which are so frequently repeated, and so pro- einem frühen SE in mehr als 40 % noch vor der 30-Minuten- longed, as to create a fixed and enduring epileptic condition“) Grenze auch ohne Therapie zum Sistieren kommen. Die [14]. Wie lange es dauert, bis ein „fixierter und andauernder Sterblichkeit in dieser Gruppe ist auch signifikant niedriger Zustand“ erreicht wird, ließ diese Definition offen. In den als in der etablierten Phase des SE (2,6 % vs. 19 %; p < 0,001) nachfolgenden Jahren führte man operationale Zeitgrenzen [23]. Aus derselben Arbeit geht aber auch hervor, dass ein: Ausgehend von der 30-Minuten-Grenze der „Epilepsy ca. 60 % der Patienten in einen etablierten SE übergehen, wo- Foundation of America’s Working Group on Status Epilepti- durch eine konsequente Therapie mit i.v. Antiepileptika cus“ [15], über 20 Minuten [16] und 10 Minuten [17], bis zu gerechtfertigt ist. der jetzt weitgehend angewandten pragmatischen Definition, dass jeder generalisiert tonisch-klonische Anfall als konvulsi- ver SE zu bezeichnen und zu behandeln ist, wenn er die Dauer Etablierter Status epilepticus von 5 Minuten übersteigt [18–20]. Diese Definition ist für den Obwohl der frühe und der etablierte SE ein Kontinuum dar- klinischen Gebrauch nützlich, weil sie den Therapiebeginn stellen, so ist dennoch ab einer Zeitdauer von ca. 30 Minuten bestimmt. Eine Video-EEG-Analyse von sekundär generali- von einer fundamentalen biologischen Änderung auszugehen, siert tonisch-klonischen Anfällen (n = 50) hat gezeigt, dass die auch unmittelbare Auswirkungen auf die therapeutischen die Dauer im Mittel 52,9 ± 14 Sekunden beträgt und 2 Minu- Strategien hat. Spätestens nach 30 Minuten ist tierexperimen- ten nicht überschreitet [21]. Primär generalisierte tonisch-klo- tell ein (1) neuronaler Schaden manifest [24], (2) der SE setzt nische Anfälle (n = 34) dauern zwar im Mittel auch nur etwas sich selbsterhaltend fort [25] und (3) es entwickelt sich eine mehr als eine Minute (Median 64 Sekunden), die Variabilität Pharmakoresistenz mit Versagen der GABAergen Mechanis- ist jedoch deutlich größer (Spannweite 39–227 Sekunden) als men [26–28]. Eine Therapie in der Frühphase (< 30 min.) bei sekundär generalisierten Anfällen [22], liegt aber immer des SE ist viel erfolgreicher als in der etablierten Phase noch deutlich unter der 5-Minuten-Grenze. Selbst diese kurze (> 30 min.), wie sich deutlich aus einer großen randomisier- Zeitspanne von 5 Minuten liegt mehrere Standardabweichun- ten klinischen Studie erkennen lässt [17]. Epidemiologische gen über der „normalen“ Dauer eines generalisiert tonisch- Untersuchungen zeigen, dass nach 30 Minuten ca. 60 % der klonischen Anfalls und weist dadurch auf den fundamentalen Patienten mit einem frühen oder drohenden SE in einen etab- biologischen Unterschied zwischen selbstlimitierten Anfällen lierten SE übergegangen sind [23]. Unter der Annahme einer und einem SE hin. Außerdem reflektiert die 5-Minuten-Gren- exponentiellen Zuwachsrate entspricht das der Zeitkonstante. ze die gängige Praxis, alle Patienten, die mit Anfällen in die Der Übergang des frühen zum etablierten SE ist also klinisch Notfallaufnahme kommen, faktisch wie einen SE mit i.v. durch das Auftreten von Therapieresistenz und experimentell Antiepileptika zu behandeln. durch das GABAerge Versagen gekennzeichnet. Aus diesem Grund kommen in der etablierten Phase Antiepileptika zu Daher gilt im klinischen Alltag, dass jede Anfallsaktivität, die Einsatz, die einen anderen Wirkmechanismus aufweisen, wie länger als 5 Minuten dauert, als früher oder drohender SE beispielsweise Phenytoin und Fosphenytoin als klassische definiert wird und rasch mit i.v. Antiepileptika unterbrochen Natriumkanalblocker, Valproat mit multiplen Wirkmechanis- werden muss (Tab. 2). Eine Abgrenzung zum etablierten Sta- men, Levetiracetam als SV2A-Ligand und seit Kurzem auch tus ist jedoch weiterhin notwendig, da sich erhebliche prog- Lacosamid mit Verstärkung der langsamen Deaktivierung nostische Unterschiede zeigen. Daten der populationsbezoge- von spannungsabhängigen Natriumkanälen. J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2009; 10 (3) 63
Therapie des Status epilepticus Fortgeschrittener Status epilepticus Tabelle 3: Allgemeine Therapiemaßnahmen Synonym: Refraktärer Status epilepticus; engl.: subtle status 1. Lagerung (Schutz vor Selbst- und Fremdverletzung und Frei- epilepticus, stuporous status epilepticus. Der Begriff „subtle halten der Atemwege) status epilepticus“ (subtle, engl.: zart, dünn) wurde 1990 von 2. Entfernen von Zahnersatz Treiman eingeführt und lässt sich im Deutschen nur im über- 3. Überwachung von tragenen Sinn als fortgeschrittener oder refraktärer SE be- a. Puls, EKG zeichnen (Anmerkung des Autors: Die Bezeichnung „subtiler b. Blutdruck c. Atmung, Pulsoxymetrie SE“ gibt es im Deutschen nicht). Bereits Clark und Prout 4. Legen eines venösen Zuganges mit 0,9 % NaCl-Lösung haben detailliert beschrieben, wie die motorische Aktivität 5. Sauerstoff 6 l/min abnimmt und der konvulsive SE in einen nicht konvulsiven 6. Beginn der Akutdiagnostik SE beim bewusstseinsgetrübten („stuporous SE“) Patienten a. Glukose (Bei Epilepsiepatienten Antiepileptikaspiegel) übergeht [11–13]. Später wurde dieser Übergang mit anhal- b. Blutbild, Elektrolyte, CRP, Leber- und Nierenfunktion, CK tender iktaler EEG-Aktivität als elektromechanische Disso- c. Schilddrüsenhormone, Kreatinin, Lipase, Amylase d. Erweiterte Labordiagnostik: Vitaminstatus (B1, B6, B12, ziation bezeichnet [7, 29]. Dennoch bleiben hier die diagnos- Folat), NH3, Blutgase, Toxikologie-Screening, Ethanol tischen und therapeutischen Implikationen des konvulsiven e. CCT, MRI, EEG SE bestehen. Eine scharfe Abgrenzung zu schweren diffusen Enzephalopathien, wie z. B. nach kardiopulmonaler Reanima- Therapie tion, die mit epileptiformen EEG-Mustern einhergehen, ist Die Therapiestrategie umfasst 3 Ziele: (1) Aufrechterhalten der mitunter schwierig, aber notwendig: Ersterer ist ein therapier- Vitalfunktion, (2) Identifizieren der Ursache und der auslösen- barer epileptiologischer Notfall, während letztere ein prog- den Faktoren und (3) prompte Kontrolle der Anfallsaktivität. nostisch meist infaustes elektroenzephalographisches Bild eines schwerst geschädigten – sterbenden – Gehirns darstellt und eine invasive Therapie frustran verläuft [30–33]. Das Management eines Patienten mit SE umfasst alle Stan- dardprozeduren und -maßnahmen eines medizinischen Not- falls, die hier der Kürze halber nur kursorisch abgehandelt Ätiologie und Prognose werden können (Tab. 3). Hyperthermie, Tachykardie, syste- Die Ursachen eines SE sind vielgestaltig. Populationsbezoge- mische und pulmonale Hypertonie, später systemische Hypo- ne Untersuchungen konnten zeigen, dass nur etwa die Hälfte tonie, Lungenödem, Herzversagen („high output failure“), aller Patienten zuvor Epilepsie hatten und Mehrheit aller SE kardiale Arrhythmien, metabolische Azidose, Hypoxämie, symptomatisch ist [34–37]. Zu den häufigsten Ursachen in Hyperkaliämie, Hyper- oder Hypoglykämie und Leukozytose Europa und Nordamerika zählen zerebrovaskuläre Erkran- sind systemische Folgen bzw. Komplikationen eines konvul- kungen, Schädel-Hirn-Traumata, Alkoholerkrankung und siven SE, deren Beachtung und Korrektur intensivmedizini- metabolische Ursachen. Weitere Ursachen sind ZNS-Infek- sches Vorgehen verlangen [3, 40, 41]. tionen, Sepsis und Tumoren. Bei Patienten mit Epilepsie sind niedrige Serumspiegel der Antiepileptika mit bis zu 34 % eine Besondere Bedeutung kommt dem EEG-Monitoring zu, ohne häufige Ursache [35, 37]. In Ländern mit limitierten Ressour- das es nicht möglich ist, den Therapieerfolg zu prüfen [42– cen sind hingegen ZNS-Infektionen die häufigsten Ursachen. 50]. Das EEG-Monitoring kann weiter bestehende elektro- Die Kenntnis der Ätiologie ist von praktischer Bedeutung, da enzephalographische Aktivität nach scheinbar erfolgreicher sie eine wesentliche Determinante des Therapieerfolges dar- therapeutischer Intervention mit Sistieren der motorischen stellt. So ist beispielsweise die Prognose bei Patienten, die Aktivität nachweisen und eine entsprechende Therapie leiten einen SE aufgrund zu niedriger Antiepileptika-Serumspiegel (Abb. 1, 2). In einer Untersuchung zeigte fast die Hälfte aller erleiden, sehr gut, wenn diese rasch korrigiert werden [35]. Patienten 24 Stunden nach Durchbrechen der motorischen Aktivität nach wie vor iktale EEG-Muster [52], was die Not- Die Gesamtsterblichkeit liegt beim Erwachsenen zwischen wendigkeit eines EEG-Monitorings deutlich unterstreicht. 11 % und 34 % und hängt neben der Ätiologie auch von Alter Ungeklärt ist, ob das EEG-Monitoring kontinuierlich oder in- und Begleiterkrankungen des Patienten ab. In der Altersgruppe termittierend erfolgen soll. Unmittelbar in diesem Zusam- > 60 Jahre liegt die Sterblichkeit mit 40 % deutlich über allen menhang ist auch das Problem der mangelnden Verfügbarkeit anderen Altersgruppen [35]. In einer deutschen populations- eines EEG-Monitorings in vielen nicht neurologisch geführ- bezogenen Studie lag die Gesamtsterblichkeit mit ca. 10 % ten Intensivstationen zu diskutieren. Eine Verbesserung die- unter den Resultaten der US-amerikanischen Untersuchung, ser Situation kann nur durch eine enge Zusammenarbeit zwi- was auf verschiedene Einschlusskriterien zurückzuführen ist schen Intensivmedizinern und Neurologen erfolgen. Eine [37]. Prolongierter SE mit Therapieresistenz ist mit einer weitere Notwendigkeit für ein EEG-Monitoring ergibt sich schlechten Prognose verbunden und wurde in seiner schwers- aus der Bestimmung der Narkosetiefe beim Einsatz von Bar- ten Ausprägung auch als maligner SE bezeichnet [38, 39]. Etwa bituraten oder Propofol. Generell wird das Erreichen eines 20 % der Patienten, bei denen die erste Therapie mit Benzo- „Burst Suppression“-Musters im EEG empfohlen, aber in diazepinen versagt, entwickeln einen malignen SE. Jüngeres letzter Zeit kontroversiell diskutiert [53, 54]. Nur prospektive Erwachsenenalter und Enzephalitis können als unabhängige Studien werden letztlich die Frage beantworten können, ob Risikofaktoren identifiziert werden. Maligne SE sind mit die Tiefe der Narkose bis zum Sistieren der iktalen elektro- einer signifikant längeren Dauer des SE, einem längeren enzephalographischen Aktivität bis zum Burst Suppression- Krankenhausaufenthalt und einer häufigeren neurologischen Muster oder noch tiefer erfolgen soll und damit das Outcome Ausfallsymptomatik bei den Überlebenden verbunden [38]. verbessert wird. 64 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2009; 10 (3)
Therapie des Status epilepticus a b c d Abbildung 1: (a) 41-jähriger Mann nach einem generalisiert konvulsiven SE. Therapie initial mit 6 mg Lorazepam i.v. Patient soporös. Das EEG zeigt rechts frontale periodische lateralisierte epileptiforme Entladungen (PLED) mit irregulärer Frequenz (Pfeil schwarz) und schnellere Aktivität links temporal Mitte (Pfeil rot). (b) Zunahme der Amplitude und Abnahme der Frequenz sowie Ausbreitung über der linken Hemisphäre (Pfeil rot). Patient soporös. (c) Blickdeviation nach recht und irregulärer Nystagmus bei komatösem Patienten. (d) Nach 1000 mg Phenytoin i.v. über 20 Minuten Patient komatös. Im EEG PLED links okzipital als Hinweis weiter andauernder epileptiformer Aktivität. Status nicht durchbrochen, daher Intubation und Einleitung von hochdosierter Midazolam-Narkose. definiert werden muss, haben sich in den vergangenen Jahren einige Therapieprinzipien herauskristallisiert: 1. Der frühe und rasche Einsatz von i.v. Benzodiazepinen ist essenziell für den Therapieerfolg („time is brain“). Das Outcome wird mit zunehmender Dauer des SE schlechter [55]. Experimentelle Untersuchungen zeigen ebenfalls ein schlechteres Ansprechen auf die GABAergen Benzodiaze- pine mit zunehmender Dauer des SE [27, 56]. Dies wird mit einem zeitabhängigen Verlust der an der synaptischen Membran zu Verfügung stehenden GABA-Rezeptoren ver- bunden [26, 57]. Das Zeitfenster, in dem eine GABAerge Therapie erfolgreich sein kann, ist also nur sehr kurz. Mit Abbildung 2: Stufenplan in der Therapie des konvulsiven Status epilepticus. Mod. einer unterdosierten verzögerten Therapie verliert man wert- nach [41, 51]. volle Minuten und verschlechtert dadurch das Outcome. Versagt die Therapie mit Benzodiazepinen, sollte rasch (ca. 10 Minuten) zur nächsten Stufe (z. B. Phenytoin/ Allgemeine Therapieprinzipien Fosphenytoin, Valproat) ohne weiteren Zeitverlust überge- Die symptomatische Therapie eines konvulsiven SE soll gangen werden. Das Prinzip eines raschen und konsequen- jegliche Anfallsaktivität – klinisch und elektroenzephalogra- ten stufenweise Vorgehens nach einem strikten Zeit- phisch – rasch durchbrechen. Das Antiepileptikum sollte plan findet sich in allen publizierten Therapieschemata idealerweise einfach und schnell zu verabreichen sein, rasch (Abb. 2). seine Wirkung entfalten, frei von sedierenden oder kardio- 2. Die Beachtung der allgemeinen Notfalltherapieprinzipien respiratorischen Nebenwirkungen und frei von Arzneimittel- mit Aufrechterhaltung der kardiorespiratorischen Funktio- wechselwirkungen sein. Dies erfüllt keines der derzeit für den nen, ausreichender Zufuhr von Sauerstoff, Glukose und SE zugelassenen Medikamente. Obwohl die optimale Thera- Ausgleich systemischer Faktoren wie Hypotonie, metabo- pie erst in gut geplanten randomisierten klinischen Studien lischer Azidose und Hyperthermie ist essenziell. J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2009; 10 (3) 65
Therapie des Status epilepticus 3. Diagnostik und ätiologische Zuordnung des SE sind not- anderen Benzodiazepinen [69]. Midazolam als i.v. Therapie wendig, um eine ursachenspezifische Therapie einzuleiten ist aufgrund der sehr kurzen Wirkung und der damit verbun- (z. B. Enzephalitis, Intoxikation etc.). Dadurch darf aber denen sehr hohen Rückfallrate in der Initialtherapie nicht zu keinesfalls die symptomatische antiepileptische Therapie empfehlen. verzögert werden. Ein Kliniker muss in der Lage sein, einen drohenden SE rasch zu erkennen und die Therapie Phenytoin/Fosphenytoin gleichzeitig mit der Korrektur der auslösenden Faktoren Phenytoin i.v. ist eine wirksame Therapie in der Behandlung (z. B. niedrige Serumspiegel der Antiepileptika, ZNS- des SE. Aufgrund der verzögerten Wirkung, die durch die Infektionen, Alkoholentzug, Intoxikationen etc.) einzulei- langsame Infusionsrate bedingt ist, wird Phenytoin nicht als ten. Besondere Aufmerksamkeit sollte der wichtigen Dif- Initialtherapie eingesetzt, sondern als Erhaltungstherapie, um ferenzialdiagnose eines psychogenen nicht-epileptischen Anfallsrezidive zu vermeiden (z. B. nach Diazepam) oder Status gewidmet werden [58, 59], um unnötige „Überthera- nach Versagen der Initialtherapie mit Benzodiazepinen. pie“ mit iatrogenen Schäden zu vermeiden. Maximale Wirkspiegel im ZNS werden erst nach Ende der 4. Große interindividuelle Varianz in der bevorzugten Thera- Infusion (ca. 30 min.) erreicht [70]. Die empfohlene Dosie- pie und ein fehlendes Therapieprotokoll in vielen Notfall- rung beträgt 20 mg/kg Körpergewicht (KG) für Erwachsene aufnahmen oder Intensivstationen sind möglicherweise die (15 mg/kg KG bei älteren Menschen > 65 Jahre) mit einer Ursache, warum häufig zu niedrig dosiert und nur zöger- maximalen Infusionsgeschwindigkeit von 50 mg/min. Pheny- lich therapiert wird („too low – too slow“) [10, 60, 61]. Die toin ist nicht sedierend. Auch bei Einhaltung der langsamen Etablierung eines Therapieprotokolls erscheint mindestens Infusionsgeschwindigkeit komplizieren arterielle Hypotonie ebenso so wichtig wie die Wahl des Antiepileptikums und in 28–50 % und kardiale Arrhythmien in 2 % die Therapie die Bekämpfung der zugrunde liegenden Ursache eines SE. [71, 72]. Patienten > 50 Jahre und Patienten mit vorbestehen- In einem rezent abgehaltenen internationalen Workshop im der Herzerkrankung sind dabei besonders gefährdet. Pheny- Rahmen des London-Colloquium über den Status epilepti- toin kann nur durch die Verwendung von Polypropylenglykol cus wurde die Einführung eines verbindlichen Therapie- in einer alkalischen Lösung flüssig gehalten werden, was häu- protokolls in den Versorgungskliniken und im Notarzt- fig zu lokalen Verträglichkeitsproblemen (Thrombophlebitis, system als eine der wichtigsten Maßnahmen gesehen, um Nekrosen, „Purple Glove Syndrome“) führt [73, 74]. die Therapievarianz und die damit verbundene Therapie- verzögerung zu reduzieren und dadurch die Versorgung zu Fosphenytoin ist eine wasserlösliche Vorläufersubstanz, die verbessern [60]. im Körper rasch durch unspezifische Phosphatasen zu Pheny- toin konvertiert wird. Die Dosierung wird in Phenytoinäqui- Pharmakotherapie des SE in der Früh- valenten angegeben. Die Vorteile des Fosphenytoin sind eine und etablierten Phase schnellere Infusionsrate von 150 mg/min. und eine bessere lokale Verträglichkeit [75, 76]. Aufgrund der Konvertie- Benzodiazepine rungshalbwertszeit von ca. 15 Minuten ist jedoch eine ähnlich Benzodiazepine (Lorazepam, Diazepam, Clonazepam und verzögerte Wirkung wie bei Phenytoin anzunehmen, sodass Midazolam) sind potente und schnell wirksame Antiepilepti- dies den Vorteil der schnelleren Infusionsrate relativiert [19]. ka, die als initiale Therapie eingesetzt werden [62]. Die pri- Aufgrund der hohen Kosten kommt Fosphenytoin in vielen märe pharmakologische Wirkung entfalten sie an der Benzo- Spitälern nicht zum Einsatz. diazepinbindungsstelle am GABAA-Rezeptor [63, 64] über eine Verstärkung der GABAergen Transmission. In höheren Valproat Konzentrationen hemmen sie auch ähnlich dem Carbamaze- Valproat ist weltweit das am häufigsten verschriebene Anti- pin oder Phenytoin die repetitive exzessive neuronale Aktivi- epileptikum [77]. Es besitzt ein breites Wirkungsspektrum tät [65], was für die Wirkung der hochdosierten Benzodiaze- gegen alle Anfallstypen und ist guter verträglich bei einem pininfusion (Midazolam) trotz GABAergem Versagen beim über viele Jahre bekannten Nebenwirkungs- und Risikoprofil fortgeschrittenen SE mitverantwortlich sein könnte [19]. [77–82]. Es liegen zahlreiche Studien zur Pharmakokinetik Lorazepam ist weniger fettlöslich als Diazepam und unterliegt von VPA bei gesunden Probanden und Patienten mit Epilep- daher in geringerem Maße einer Umverteilung ins Fettgewebe sien vor [83–89]. Maximale Plasmakonzentrationen werden mit Redistribution und der damit verbundenen Gefahr einer innerhalb von wenigen Minuten erreicht. Valproat ist zu über prolongierten Sedierung nach wiederholter Verabreichung. 90 % an Plasmaproteine gebunden und wird ausgiebig in der Die Wirkdauer von Lorazepam ist mit 12–24 Stunden deutlich Leber metabolisiert (Glukuronidierung und Beta-Oxydation). länger als die von Diazepam (15–30 Minuten). Die Ergeb- Die terminale Halbwertszeit beträgt 12 h. Im Tierexperiment nisse der vorliegenden randomisierten klinischen Studien [17, zeigte Valproat einen sehr schnellen Wirkungseintritt und 66, 67] zeigen eine Überlegenheit von Lorazepam gegenüber eine verlässliche Wirksamkeit [90, 91]. Seit der Einführung Diazepam (Durchbrechen des SE und Vermeiden von An- der i.v. Lösung in Europa und den USA haben 18 retro- fallsrezidiven innerhalb von 24 h), sodass Lorazepam i.v. als spektive, eine nicht randomisierte prospektive [92] und eine Mittel erster Wahl angesehen werden kann [68]. randomisierte prospektive [93] klinische Untersuchungen an 533 Patienten aller Altersgruppen mit unterschiedlichen For- Obwohl traditionell in manchen Ländern Europas Clonaze- men des SE eine gute Wirksamkeit mit einer globalen pam schon lange in der Therapie des SE eingesetzt wird und Ansprechrate von ca. 70 % bei guter Verträglichkeit gezeigt die lange Halbwertszeit der Substanz auch eine lange biologi- (Überblick in [94, 95]). Die empfohlenen Dosierungen betra- sche Wirkung nahe legt, gibt es keine Vergleichsstudien mit gen 20–30 mg/kg KG beim Erwachsenen mit maximaler 66 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2009; 10 (3)
Therapie des Status epilepticus Infusionsgeschwindigkeit bis zu 10 mg/kg/min. [96–98]. lam und Propofol zu Verfügung (In den USA wird der Haupt- Valproat ist nicht sedierend und wird auch bei kreislauf- metabolit von Thiopental, Pentobarbital, verwendet). Die instabilen Patienten [87] und bei schnellen Infusionsraten bis Therapieempfehlungen in dieser Phase des SE basieren aus- zu 30 mg/kg/min. sehr gut vertragen [99]. schließlich auf retrospektiven Fallserien und nicht kontrol- lierten prospektiven Studien (Übersichten in [126–128]), wo- Die in Kasuistiken [100] berichteten Blutungskomplikationen durch die Heterogenität der Therapiestrategien in den USA unter Valproat-Therapie konnten in 3 größeren Studien nicht und Europa verständlich wird [129, 130]. In 3 rezenten pros- bestätigt werden [101–103]. Fallberichte von akute Pankreati- pektiven Studien werden hochdosierte Midazolam-Infusion tiden [79, 104], Enzephalopathien [105] und Hepatopathien [131], Propofol [132] und Thiopental [133] untersucht. In [80, 81, 106] werden mit der Valproat-Therapie in Zusam- einer systematischen Übersichtsarbeit zeigt sich, dass keine menhang gebracht und müssen bei der Therapieentscheidung der untersuchten Strategien in der Therapie des refraktären SE beachtet werden. über- oder unterlegen ist [134]. Das gefürchtete Propofol- Infusionssyndrom ist durch Herzversagen, metabolische Azi- Valproat ist in einigen Ländern für die Therapie des SE bereits dose, Rhabdomyolyse und Nierenversagen gekennzeichnet zugelassen und kann aufgrund der klinischen Gleichwertig- [135]. Eine Therapiedauer von < 48 h wird bei Dosierungen keit („clinical equipoise“) nach dem Versagen von Benzodia- von mehr als 5 mg/kg KG/h empfohlen [136]. zepinen als Therapie der 2. Stufe eingesetzt werden [41]. Intravenös verabreichte Antiepileptika weisen ein hohes Levetiracetam Nebenwirkungsrisiko (z. B. Sedierung, Atemstillstand, lokale Levetiracetam ist ein wirksames und gut verträgliches Anti- Injektionsverletzungen, Herzrhythmusstörungen, allergische epileptikum [107] mit breitem Wirkungsspektrum und niedri- Reaktionen) auf. Singuläre Anfälle, deren Dauer 2–3 Minuten gem Interaktionspotenzial [108] aufgrund fehlender hepata- nicht überschreiten, bedürfen keiner invasiven Therapiemaß- ler Metabolisierung und niedriger Plasmaeiweißbindung nahmen. (< 10 %) [109]. Seit 2006 ist Levetiracetam auch als Infu- sionslösung erhältlich. In tierexperimentellen Untersuchun- Vor der Einleitung der invasiven Therapie des SE muss gen zeigen sich Hinweise auf eine überadditive Wirkung von Sicherheit bestehen, dass es sich tatsächlich um einen epi- Levetiracetam und Diazepam beim SE [110]. Retrospektive leptischen Status handelt. Eine der häufigsten Fehldiagnosen Fallserien bei unterschiedlichen Formen des SE zeigen eine in Notfallaufnahmen ist der psychogene, nicht-epileptische gute Wirksamkeit und Verträglichkeit [95, 111–119]. Auf- Status (PNES, Syn.: Pseudostatus). So hatten in einer briti- grund der Datenlage (nur Klasse-IV-Daten) [120] und des schen Studie tatsächlich nur die Hälfte der Patienten, die klinischen Gebrauchs kann auch hier von Gleichwertigkeit an eine Intensivstation transferiert wurden, einen SE, wäh- (equipoise) zu i.v. Phenytoin und Valproat in der Stufe II ge- rend je ein Viertel an einer diffusen Enzephalopathie litt oder sprochen werden. einen PNES hatte [137]. Neben der Kenntnis der Semiologie psychogener und epileptischer Attacken ist das EEG während Phenobarbital des Anfalls der Goldstandard. Weitere klinische Zeichen In einer kleinen randomisierten Studie war i.v. Phenobarbital für einen PNES sind: wildes Umherschlagen, zugekniffene genauso effektiv wie die Kombination Diazepam und Pheny- Augen und „arc de cercle“. Häufig sind diese Patienten auch toin [121]. In der VA-Studie war Phenobarbital dem i.v. Lora- mit einem Port-System versorgt, die Kreatinkinase ist auf- zepam in der initialen Therapie nicht unterlegen [17]. Die zen- fallend niedrig und sehr hohe Benzodiazepindosen werden tral depressiven Wirkungen von Phenobarbital, insbesondere benötigt, um die motorischen Aktivitäten zum Stillstand zu nach der Gabe von Benzodiazepinen, lassen das Medikament bringen (oder bis Atemsuppression auftritt) [58, 137]. nur noch als Reservemittel erscheinen. Eine engmaschige Kontrolle von Atmung und Blutdruck ist unumgänglich [19]. Relevanz für die Praxis Lacosamid • Der Status epilepticus ist einer der häufigsten neurologi- Lacosamid ist ein seit 2008 in der EU für die Behandlung schen Notfälle mit einer Inzidenz von bis zu 40/100.000 fokaler Epilepsien zugelassenes Antiepileptikum [122]. Bio- pro Jahr und einer Letalität um 20 %. äquivalenzstudien liegen bei Gesunden und Epilepsiepatien- • Bei mehr als der Hälfte der Patienten ist der Status epi- ten vor [123]. Erste Fallberichte von Lacosamid in der erfolg- lepticus Ausdruck einer akuten neurologischen Hirn- reichen Behandlung eines nicht-konvulsiven Status epilepti- erkrankung. Nur die Hälfte der Patienten hatte zuvor Epi- cus sind bereits verfügbar [124]. Die klinischen Erfahrungen lepsie. sind jedoch keineswegs ausreichend, um eine Beurteilung • Das oberste Therapieprinzip ist die rasche und vollstän- dieser neuen Substanz zu ermöglichen. dige Kontrolle der Anfallsaktivität mit parenteralen Antiepileptika, um eine irreversible Hirnschädigung zu Pharmakotherapie des refraktären Status vermeiden. • Zeitgleich muss die Ursache des Status erkannt und rasch epilepticus behandelt werden, da dies wesentlich die Prognose be- Die Therapie der ersten (Benzodiazepine) und zweiten Stufe stimmt. (Phenytoin oder Valproat) versagt in 31–43 % [39, 125]. In • Der Therapieerfolg kann nur durch eingehende klinische dieser Phase stehen die i.v. Anästhetika Thiopental, Midazo- Untersuchung und EEG überprüft werden. J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2009; 10 (3) 67
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