Töne der Angst: Musik im Horrorfilm - Töne der Angst: Musik im Horrorfilm | norient.com

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Töne der Angst: Musik im Horrorfilm | norient.com   31 Jan 2022 20:28:40

    Töne der Angst: Musik im
    Horrorfilm
                       Aileen
    by Didi Neidhardt, Pinkert

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Töne der Angst: Musik im Horrorfilm | norient.com                         31 Jan 2022 20:28:40

    In Töne der Angst. Die Musik im Horrorfilm geht Frank
    Hentschel dem Sound des wissenschaftlich wenig
    wahrgenommenen Filmgenres auf den Grund. Es lohnt sich
    genau hinzuhören: Die emotionsverstärkenden Klänge sind
    alles andere als nur Untermalung und bewegen sich von
    brausenden Kettensägenmotoren oder einem scheinbar
    harmlosen Kinderlied bis zu avantgardistischer Neuer Musik
    in ihrer ganzen Komplexität. Im Podcast interviewt Aileen
    Pinkert den Berliner Autoren und Musikwissenschaftler, im
    Artikel bespricht Didi Neidhardt sein Ende 2011 bei Bertz &
    Fischer erschienenes Buch.

    → Podcast: Interview mit Frank Hentschel [24']

    Psychotronic Revisited oder Was macht die Musik im
    Horrorfilm?
    Auch wenn obskure Horrorfilm-Soundtracks ja schon lange zu den begehrten
    Sampling-Quellen gehören (und last year's model Witchhouse ist da nur ein
    Beispiel), gab es doch bis jetzt so gut wie keine genaueren Untersuchungen
    dazu, welche genauen Funktionen dem Sonischen der Tonspur bei
    Horrorfilmen eigentlich zugeteilt sind. Dem Musikwissenschaftler Frank
    Hentschel ist es zu verdanken, dass diese Fragen nun endlich gestellt und -
    soweit möglich - auch beantwortet werden. Dabei verzichtet er bei Töne der
    Angst. Die Musik im Horrorfilm erfreulicherweise explizit auf
    Psychologisierungen, legt dem Buch jedoch eine DVD mit 43 Kurzbeispielen
    bei, anhand derer seine Aussagen auch gleich überprüft werden können.

    Neue Musik ist zum Gruseln
    Hentschel konzentriert sich aus gutem Grund auf den Horrorfilm der 1970er.
    Zwar hat sich die Häufigkeit mit der im Horrorkino die Tonspuren mit
    sonischen Ungewöhnlichkeiten besetzt sind schon in den 1960ern
    herausgebildet, aber erst in den 1970ern wurden diese «Klänge der Angst»
    zum Merkmal. Wobei auch die Gleichzeitigkeit der «Herausbildung einer
    genretypischen Musik und die Politisierung» des Genres von Interesse ist. Für
    Henschel ist das kein Zufall. Es geht um eine Welt aus den Fugen. So nähern
    sich schon allein auf der Tonspur erneut das Horrorkino und der
    Avantgardefilm. Auch das Kino erhält dadurch, als popkultureller Ort wo
    Eingangskanäle zu etwas ganz anderem offen liegen, eine neue Funktion.
    Nehmen wir nur die Neue Musik (Penderecki, Nono, Ligeti), die via Exorzist
    oder Shining vielleicht nicht nur Grusel evozierte, sondern eventuell auch
    Interesse an der Musik an sich wachrüttelte. Aber welchen Sinn, welche
    Funktion haben «ungewöhnliche Klänge»? Für Hentschel geht es dabei um

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    eine «Atmosphäre der Kälte, des Schaurigen und Fremdartigen», des
    Unwohlfühlens, «des Unbekannten, Bedrohlichen, Unheimlichen,
    ‹Krankhaften›». Die »Normalität wird musikalisch aufgehoben».

    Etwas zu kurz kommt dabei jedoch die Frage, ob all diese atonale, dissonante
    Musik nicht selber als Teil eines «negativen Kontextes» dargestellt wird. Zwar
    waren Regisseure wie Friedkin und Kubrick durchaus Fans neuer Töne, aber
    so ganz genau wird nicht klar, inwieweit Neue Musik hier selber als ›abartig‹
    diffamiert wird (wenn auch nie so platt wie es der Heimatfilm mit dem Jazz
    anstellt). Hinter dieser Musik stand ja auch die Utopie einer Freiheit und einer
    Befreiung von eben jener Normalität, die in den Filmbeispielen aus dem Ruder
    läuft und zu der es in vielen Fällen auch keine Rückkehr mehr gibt. Henschel
    streift jedoch auch diese Aspekte wenn es um «Atonalität, Geräusch und
    Elektronik vor 1970» geht. Gerade hier, bei den «Momenten des Surrealen
    und Unheimlichen» und den «außergewöhnliche Schallquellen» bei Thriller,
    Film noir und Sci-Fi, tun sich Felder auf, die regelrecht nach weiteren
    Untersuchungen schreien.

    Ohren der Angst
    Wobei es Henschel bei seinen Analysen von «Bodysounds» (Herzlaute,
    Stöhnen, Atmen, Flüstern), geistlicher Musik (etwa der narrativen Funktion
    der Orgelmusik bei Carnival of Lost Souls), Spieluhren und Kinderliedern
    (exemplarisch dargestellt am Beispiel The Bad Seed, wo sich während des
    Films ein und dasselbe Klavierstück vom «Symbol kindlicher Unschuld» über
    das der «Tarnung» bis hin zum «Symbol des Horrors» verwandelt) aber
    hauptsächlich geht, ist die Frage nach den möglichen Gemeinsamkeiten
    dieser «musikalischen, visuellen und semantischen Schichten», mit deren
    Hilfe es nicht zuletzt auch darum geht herkömmliche Genrekonstruktionen,
    Kanonisierungen und Stereotypisierungen zu hinterfragen. Kurz: Was ich
    nicht sehen kann, muss ich hören. Nehmen wir nur das Sounddesign von The

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    Texas Chainsaw Massacre, «bei dem es sich um die unerbittlichste
    Filmmusik des Genres überhaupt handeln dürfte», so Hentschel eindringlich.
    Eingespielt nach dem Motto «Let's just do a rumble» funktioniert der
    Soundtrack als «Bedrohung überall» auch ohne Film. Die in prädigitalen
    Zeiten, als auch Videorekorder noch nicht zur selbstverständlichen
    Wohnungsgrundausstattung gehörten, in einem Kino via Walkman
    mitgeschnittene Audiokassette wurde dann auch wie selbstverständlich im
    Regal zu Throbbing Gristle gesteckt.

    Pop tötet Horror

    So findet Henschel im Horrorfilm nach 1980 die «Entschärfung des
    filmischen Horrors» auch auf der Tonspur und stellt implizit die Frage, wie
    sehr die «Erfahrung des Grauens» gerade durch die nun in den Horrorfilmen
    verwendete Popmusik abgemildert wurde. Kann es sein, dass Pop sich zuerst
    durch Horror-Soundtracks verschärft hat, um anschliessend den Horror auf
    der Leinwand zu entschärfen? Fungiert Popmusik nicht bei all den Horror-
    Remakes der letzten Jahre nicht als Teil jener Uminterpretationen von denen
    auch Kim Newman in seinem gerade neu aufgelegten Klassiker «Nightmare
    Movies» spricht, wenn er den Unterschied zwischen den 1970ern und heute
    wie folgt zusammenfasst: damals wurde gezeigt, «that there was something
    wrong with society, but the message of the twenty-first century is that other
    people are shit.»

    Auch wenn musikaffine Regisseure wie Argento, Carpenter fehlen, so
    schliesst Henschel mit seinem Buch nicht nur eine, sondern gleich mehrere
    Lücken. Einerseits zeigt er akribisch genau «dass auch die Musik einen
    Schlüssel zum Verständnis von Horror bereitstellt« (was jederzeit auch auf
    andere Genres übertragen werden kann), zweitens gelingt im dadurch eine
    Genealogie von Horror entlang spezifischer Musiken, die sich bei der
    Fixierung auf den Horrorfilm der 1970er eben nicht in eine Retrofalle begibt,
    sondern ganz klar sagen kann, was damals anders war, und warum deshalb
    (und nicht aus Nostalgie) immer wieder darauf Bezug genommen wird.

    Dieser Review ist zuerst erschienen auf skug.at - Journal für Musik

    → Published on February 08, 2012

    → Last updated on July 30, 2020

    Didi Neidhardt, geboren 1963, wohnhaft in Salzburg, Chefredakteur von «skug –
    Journal für Musik» (A), Artikel u.a. für testcard (D), versorgerin (A), Vorträge und
    Lectures in Galerien, Museen, Kunstakademien, Fachhochschulen, Bars,
    Weinkellern, Clubs und Gärten, div. Katalog- und Buchbeiträge (u.a. «Michaela
    Melián – Triangel», 2004), Beteiligungen bei Festivals und Ausstellungen (u.a. «Just
    Do It! Copyleft & Copywrong», Lentos/Linz, 2003, «Popfeminismus – Lost &
    Found», Shedhalle/Zürich & lothringer13/laden/München, 2007 & 2008, «Protest &

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    Eigensinn im Widerstand der Kunst», Galerie 5020/Salzburg, 2008, «No Sound of
    Music», Kunstverein Salzburg, 2009), Promo & Booklet-Texte für div. Acts (u.a.
    Cherry Sunkist, Crazy Bitch In A Cave, F.S.K.) DJ und Musiker (dis*ka/München,
    Discozma, App-O-Negative/Wien)

    Aileen Pinkert hat Medienkultur an der Bauhaus-Universität Weimar und Media
    Studies an der Universiteit Utrecht studiert. Sie arbeitet als freie
    Wissenschaftsjournalistin für unterschiedliche Film- und Fernsehproduktionsfirmen
    in Hessen. Seit dreieinhalb Jahren ist sie ehrenamtliche Redakteurin bei Radio
    F.R.E.I. Erfurt.

    → Topics

               Perception
                 Sound
                Violence
                All Topics

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