Die Katzenleben des Bill Drummond

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Die Katzenleben des Bill Drummond
Die Katzenleben des Bill Drummond | norient.com                          22 Nov 2021 11:53:14

    Die Katzenleben des Bill
    Drummond
    by Benedikt Sartorius

    Mit The KLF eroberte er einst die Hitparaden und verbrannte
    eine Million Pfund. Im neuen Dokumentarfilm des Schweizer
    Regisseurs Stefan Schwietert ist Bill Drummond jetzt als
    Chorleiter zu erleben.

    Bill Drummond ist tot – sagt der Mann, der vor einigen Minuten noch Bill
    Drummond war und nun auf den Namen Tenzing Scott Brown hört. Er trägt
    dabei ein buntes Kleid, das er bei einem nigerianischen Händler erstanden hat,
    und erzählt eine Geschichte, die man im Genre des höheren Blödsinns
    verorten könnte: Denn Tenzing sei die Reinkarnation der Katze, die einst in
    das Haus von Drummonds Kindheit eingedrungen war, dort sehr alt wurde
    und nun auf der Kinoleinwand ihre Auferstehung feiert.

    Mit dieser bizarren Verwandlung in eine Katze im Afrokostüm sabotiert Bill
    Drummond das angekündigte Publikumsgespräch, das auf die Vorpremiere
    des Films Ende Oktober «Imagine Waking Up Tomorrow and All Music Has
    Disappeared» hätte folgen sollen. Aber es wäre ja auch enttäuschend
    gewesen, wenn Bill Drummond, dieser Meister des Doppelbödigen, der
    zuweilen an der Grenze zur Hochstapelei zu agieren scheint, denn wirklich

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Die Katzenleben des Bill Drummond | norient.com                           22 Nov 2021 11:53:14

    Fragen beantwortet hätte. Weil eine Regel, zumindest für diejenigen, die ihn
    zum Interview treffen möchten, lautet: Bill Drummond beantwortet keine
    Fragen.

    Als er früher am Abend in Bern aus dem Intercity aus Zürich steigt, trägt er
    seine klassische Bill-Drummond-Uniform: Bauarbeiterschuhe,
    hochgekrempelte Bluejeans, ein Hemd mit Malerspuren. Ausgemacht war ein
    Spaziergang durch die Stadt, doch Drummond verspürt Lust auf ein Gespräch
    in einem Café. Denn er habe da ein paar Fragen, und allenfalls könne ich ihm
    diese beantworten. Ob ich schon mal daran gedacht hätte, einen Roman zu
    schreiben? Welchen Onlinedienst ich ihm empfehlen würde, damit er seine
    Spoken-Word-Aufnahmen veröffentlichen könnte? Oder auch: Wie ich den
    Filmtitel empfände, den der Schweizer Regisseur Stefan Schwietert gewählt
    hat, nachdem er, der Protagonist dieses Dokumentarfilms, den
    ursprünglichen Arbeitstitel «Off the Record» abgelehnt hatte? Und ob ich
    wisse, dass «disappeared» das einzige Wort des Filmtitels sei, das sich
    nirgends in der Bibel finden lasse?

    Auf Stimmenfang
    Drummond erzählt auch von einer Besprechung, die moniert, dass es dem
    Film besser getan hätte, wenn der Regisseur auf die biografischen Punkte
    gänzlich verzichtet hätte. Vermutlich, so Drummond, habe der Kritiker recht.
    Aber was würde das für den Film bedeuten? Nun, es wäre einfach ein sehr
    schön fotografierter Film über «The17». So nennt Drummond sein
    Chorprojekt, das in Zeiten der konstanten Verfügbarkeit, in denen die Musik
    an Wert verloren hat, an den Nullpunkt der Musik zurückführt. Dabei klingen
    die Merksätze von «The17» gar nicht so kulturpessimistisch: «Stell dir vor, du
    wachst morgen auf, und die Musik ist verschwunden. Alle Musikinstrumente,

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    alle Musikaufnahmen – weg. Eine Welt ohne Musik. Du weisst nicht mal mehr,
    wie die Musik klang oder wie sie gemacht wird. Du weisst nur noch: Sie war
    wichtig für dich und deine Zivilisation.» Was übrig bleibt? Die menschlichen
    Stimmen. Und diese sucht Bill Drummond zusammen, damit sie seine offen
    gestalteten, in träfen Slogans formulierten Partituren umsetzen.

    Regisseur Stefan Schwietert, bekannt für Musikfilme wie «Accordion Tribe»
    (2004) und «Heimatklänge» (2007), begleitet Drummond auf dieser
    Stimmenfangreise, die entlang eines Breitengrads die Britischen Inseln von
    Küste zu Küste durchmisst. So begegnen wir Farmarbeitern, Rentnerinnen,
    Taxifahrern, Nonnen und Pubgästen, die den rudimentären musikalischen
    Anweisungen des charmanten Menschenfängers Drummond folgen.
    Schliesslich baut ein zottelbärtiger Assistent die Stimmen am Computer zu
    einem Chor zusammen – doch wer das Resultat hören will, der hat nur genau
    eine Chance und muss am vereinbarten Ort zur vereinbarten Zeit sein. Wer es
    verpasst, der hats verpasst – danach werden die Soundspuren gelöscht. Für
    immer.

    Die gescheiterte Revolution
    Als Bill Drummond Mitte der Nullerjahre mit «The17» anfing, wollte er damit
    eine Revolution gegen Programme und Gadgets wie iTunes oder den iPod
    anzetteln. Damit ist er grandios gescheitert, aber womöglich erschliesst sich
    die Tragweite seiner Aktion auch erst aus dem biografischen Hintergrund
    ihres Erfinders. Stefan Schwieterts Entscheidung, die Eckpunkte von
    Drummonds Karriere in den Film einzubauen, war deshalb schon richtig. Denn
    Bill Drummond: Das ist doch der Kunstschulabgänger, der in Punkbands
    mitspielte, später Manager von Bands wie Echo & The Bunnymen wurde, bei
    einem Majorlabel eine Unmenge an Geld in erfolglose Acts steckte – ehe er

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    die Seiten wechselte und The KLF gründete. Mit seinem Bandpartner Jimmy
    Cauty zitierte, klaute und baute er bekannte Popsongelemente zu Metahits
    zusammen, die die Ravemusik ins Stadion hievten.

    Die postmodernen Spielereien von The KLF sind bis heute im kollektiven
    Bewusstsein gespeichert – und zwar nur dort (abgesehen von Youtube, wo
    die ikonischen Clips noch herumgeistern). Denn nach dem Ende von The KLF
    untersagten Drummond und Cauty jeglichen weiteren Gebrauch ihrer Musik.
    Auch für «Waking Up …» gab Drummond dieses Prinzip nicht auf – dem
    Regisseur blieb als kreative Lösung nichts anderes übrig, als ein paar
    Passanten zu The KLF zu befragen, die nun deren unverschämten und
    eigentlich unsäglichen Hit «Doctorin’ the Tardis» in die Kamera grölen.

    Später im Film fragt ein Schulkind Bill Drummond, warum er mit seinem
    Bandpartner einst eine Million Pfund verbrannt habe. «Warum?», fragt der
    heute 62-Jährige zurück. Und: «Gib mir einen guten Grund, eine Million Pfund
    zu verbrennen. Damit ich es meinen Kindern erklären kann.» Es ist vielleicht
    die einzige Aktion am Gesamtkunstwerk namens Bill Drummond, die der Brite
    rückgängig machen möchte. Denn die Fragen nach dem Warum – ein
    Fragewort, das er grundsätzlich ablehnt – suchen ihn, der nie zurückschauen
    möchte, noch immer heim.

    «Ein Kuchen für Sie!»
    «Ich hasse Nostalgie», sagt Drummond in unserem Gespräch einmal. Aber
    wohin steuern wir denn? Und was wäre eine denkbare Revolution? Die
    sozialen Experimente nach seiner Zeit als Popstar geben schon Aufschluss
    darüber, wie sich Bill Drummond die Zukunft oder zumindest eine bessere
    Gegenwart erträumt. Es wäre eine Zeit, in der nicht mehr jede und jeder einen
    Kopfhörer auf dem Kopf hätte und das Zusammenleben mit unbekannten
    Menschen wieder selbstverständlicher würde. Denn nach dem Chorprojekt
    «The17», das er pünktlich zu seinem 60. Geburtstag beendet hat, backt

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    Drummond nun Kuchen, klopft an die Türen von Wohnhäusern und sagt den
    Spruch: «Ich habe Ihnen einen Kuchen gebacken, hier ist er.» Viele Leute
    wirkten bei dieser Konfrontation befremdet, einige dankbar. Andere – wie in
    einer libanesischen Community in Schweden – hiessen den Mann, der im Film
    einmal aus einer Teetasse mit der Aufschrift «I love real life» trinkt, einfach
    herzlich willkommen.

    Natürlich: Der Mann, der Kuchen vorbeibringt, trägt die Bill-Drummond-
    Uniform. Zurück im Kino, teilt sein katzenhaftes Alter Ego namens Tenzing
    Scott Brown dem Publikum mit, dass er zurzeit an einem Roman schreibe.
    Wie der heisse? «Bill Drummond is dead.»

    Dieser Artikel ist zuerst erschienen in der WOZ - Die Wochenzeitung.

    → Published on January 17, 2016

    → Last updated on August 22, 2020

    Benedikt Sartorius ist Musikjournalist und Mitorganisator der Musikfilmreihe «Song
    & Dance Men».

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