Tsinghua University, Beijing, China

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Hessel, Lena
                                                                           Heidelberg

Heimathochschule: Universität Heidelberg, Baden-Württemberg, Deutschland
Gasthochschule:
              Tsinghua University, Beijing, China

Studienfächer: Jura (Staatsexamen), Ostasienwissenschaften (Bachelor)
Fachsemesterzahl zu Beginn des Austauschstudiums:
     Jura: 4. Semester beendet
     Ostasienwissenschaften: 2. Semester beendet
Zeitraum des Austauschstudiums:
                     September 2008 – Juni 2009
Vorbereitung

Mit der Vorbereitung auf die Zeit in China begann ich etwa ein Jahr vor Abreise. Was ich vor
allem brauchen würde, war Chinesisch. Einige Monate zuvor hatte ich zwar meinen ersten
Chinesischkurs am Sprachlabor absolviert, aber das Lerntempo war leider zu langsam, um
mich in dem verbleibenden Jahr auf ein Studium in China vorzubereiten. Im dritten Semester
ließ ich deshalb Arbeitsrecht Arbeitsrecht sein, verzichtete ein bisschen auf Anderes und
konzentrierte mich auf den Spracherwerb. In den Winterferien dann kam die Zusage vom
Akademischen Auslandsamt: ich konnte es kaum glauben, ich hatte einen Platz im
Austauschprogramm mit der Tsinghua!
Im vierten Semester begann ich ein Parallelstudium Sinologie und verwirklichte damit einen
lang gehegten Wunsch. Von da ab konnte ich den intensiven Chinesischunterricht des
sinologischen Propädeutikums besuchen und saß in Seminaren zu Geschichte, Wirtschaft und
Gesellschaft Ostasiens. Ich begann langsam, mich mit den Formalitäten auseinander zu
setzen, die vor Abreise Anfang September noch zu erledigen waren.
Eigentlich komme ich einigermaßen gut vorbereitet nach Beijing, dachte ich. Im Nachhinein
kommt mir das natürlich lächerlich vor. Was ich bis dahin über chinesische Geschichte und
Kultur wusste, war kaum der Rede wert. Es sollte noch bis zum zweiten Semester dauern, bis
ich langsam begann, meine Vorlesungen in Jura auf Chinesisch zu besuchen; und bis zum
Ende meines Aufenthaltes, bis ich dort auch gut mitkam. Und, um die Wahrheit zu sagen,
auch zum Schluss saß ich im Unterricht so manches Mal noch völlig ratlos.

    Erste Orientierung und Leben an der Tsinghua

Auch das Einleben dauerte um Einiges länger als gedacht. Die Größe und Unübersichtlich-
keit Pekings und des Tsinghua-Campus hatte ich unterschätzt. Aufgewachsen in Berlin,
dachte ich, ans Leben in der Großstadt bin ich ja gewöhnt, da find ich mich schnell zurecht.
Allerdings hatte ich beispielsweise nicht damit gerechnet, dass Leben ohne Fahrrad an der
Tsinghua ein Ding der Unmöglichkeit ist. Der Weg raus aus dem Campus zur U-Bahn dauert
zu Fuß eine gute Dreiviertelstunde (und die U-Bahn liegt für Pekinger Verhältnisse ganz in
der Nähe). Mein Reiseführer war eines der ersten Dinge, die ich in Peking kaufte, auf
Chinesisch, extra herausgegeben für Studenten, die neu in der großen Stadt sind. Mein Jahr
sollte unbedingt so „chinesisch“ wie möglich sein und nicht in einer reinen Ausländer-
Parallelwelt verbracht werden.
Doch der Tsinghua-Campus ist seine eigene kleine Parallelwelt. An Infrastruktur ist alles
vorhanden. Von Buchläden, zahlreichen Kopiergeschäften, Mensen, Post, DHL, Reinigung
und Supermärkten bis zu mehreren Restaurants, Cafés, Friseursalons, Banken, zahlreichen
Geldautomaten, Flugreisebüro, Bahnticketschaltern, Fahrrad-Werkstätten usw.
Selbstverständlich Sportplätze und Schwimmbad. Der Campus umfasst außerdem einen alten
kaiserlichen Garten, Wohngebäude für Studenten, Professoren und sonstige sämtliche
Campus-Angestellten, Schulen und Kindergarten. Er gleicht tatsächlich einer ganzen
deutschen Universitätsstadt und hat auch ungefähr deren Einwohnerzahl.
Die Uni bietet eine Vielzahl von Veranstaltungen aller Art, Konzerte, Theater-Aufführungen
und Vortragsreihen, studentische Clubs sind ebenfalls reichlich vertreten. Meine chinesischen
Kommilitonen verlassen den Campus nur sehr selten, die meisten lediglich zu Shoppingtouren
und manchmal zum Sightseeing (die wenigsten kommen ja selbst aus Peking). Ansonsten
gehen die älteren Studenten vor allem sehr gern essen. Ausgehen im westlichen Sinn bleibt
hauptsächlich Sache der internationalen Studenten und mancher Doktoranden.
Die Tsinghua darf sich eine der besten oder - in Technik und den Naturwissenschaften - sogar
die beste Universität des Landes nennen. Entsprechend finanziell gefördert wird sie vom
chinesischen Staat (Infrastruktur und sämtliche Einrichtungen sind auf hohem Standard, sogar
verglichen mit der Konkurrenz-Uni Beida, deren Campus direkt an den der Tsinghua
angrenzt). Die internationalen Studenten werden von Jahr zu Jahr mehr, sowohl die Studenten
am chinesischen Sprachzentrum, als auch Austauschstudenten oder ausländische Voll-
studenten. Viele wohnen im internationalen Studentenwohnheim auf dem Campus, viele auch
außerhalb. Die meisten kommen aus Asien: es gibt viele Koreaner, Japaner, Hong Kong-
Chinesen. Und ansonsten Studenten von allen Kontinenten. Auch die chinesischen Studenten
kommen aus allen Provinzen. Die wenigsten der Studenten sind also an der Tsinghua „zu
Hause“, sondern die meisten sind irgendwie „fremd“.

Freunde fand ich unter den chinesischen Studenten recht schnell, sowohl Kommilitonen aus
Jura als auch Studenten aus den Sprachen oder Naturwissenschaften, Erstsemester bis
Doktoranden, Mensa-Bekanntschaften, Freunde zum Sprachaustausch, für Besichtigungs-
touren oder sonstige Unternehmungen oder einfach, um bei Kaffee oder Saft im Gemein-
schaftsraum herumzusitzen und Witze und Geschichten zu erzählen.
Trotzdem fühlte ich mich nie wirklich unter die chinesischen Studenten integriert, was vor
allem mit der Lebenssituation von Austauschstudenten an der Tsinghua zu tun hat: Schon die
Ausgangssituation ist wegen Unterschieden in Alter und Arbeitsbelastung ja nicht ohne
Schwierigkeiten. Hinzu kommt: Austauschstudenten gehören, im Gegensatz zum Rest der
Studenten, keinem Klassenverband an. Mein Stundenplan war frei wählbar und setzte sich
daher aus Kursen ganz unterschiedlicher Jahrgangsstufen zusammen. Dazu sind die inter-
nationalen Wohnheime von denen der chinesischen Studenten streng getrennt. Sprach-,
Kultur- und Interessenunterschiede tun ein Übriges. Manchmal schien es mir als ließen diese
Alltagshürden zwei völlig getrennte Lebenswelten entstehen. Aber ich hatte Glück; meine
Freunde schufen mir eine Brücke. Obgleich es natürlich die übliche Weile gedauert hat, bis
aus Bekannten Freunde und schließlich gute Freunde wurden.

    Studieren an der Tsinghua

Studenten und Lehrkräfte bilden die Spitze der chinesischen Universitätselite. Diese
Information im Hinterkopf, kam ich etwas eingeschüchtert nach Peking. Und tatsächlich bin
ich, vor allem unter den Bachelor-Studenten, auch einigen Überfliegern begegnet. Zum
Beispiel: Ein Bekannter ist gerade 21 und dabei, seinen Master in Wirtschaft abzuschließen,
hat die erste eigene Firma nebenher gegründet und bereitet seine Bewerbungen für PhD-
Studiengänge in den USA vor – natürlich Harvard oder Stanford, was sonst... Die
Bewerbungen einer Kommilitonin konnte ich mitverfolgen, bis zur Zusage aus Harvard.
Auch an der Tsinghua ist das allerdings nicht die Regel. Die Biographie der meisten
Studenten, die ich traf, hält sich in „normalem“ Rahmen: es gibt einige auch für chinesische
Verhältnisse sehr junge Studenten, die mit sechzehn Jahren ihr Studium beginnen. Die
meisten sind aber achtzehn, manche neunzehn oder älter. Und „Genies“ sind selbst hier die
Ausnahme. Doch fleißig, vielseitig sozial engagiert und intelligent schien mir der Großteil der
Studenten. Es gehört Klugheit, Disziplin und viel Arbeit dazu, die Aufnahme in die Tsinghua
zu schaffen und das Unterrichtspensum zu bewältigen. Viele Studenten sind sehr weit von
ihren Heimatorten und allen Angehörigen entfernt und, obwohl viele Gymnasien
Internatsschulen sind, sind sie in Beijing doch zum ersten Mal auf sich allein gestellt.
Im Allgemeinen kamen mir die Studenten kindlicher vor als ihre Altersgenossen in
Deutschland, Erstsemester mitunter eher wie gymnasiale Mittelstufe in Deutschland. Auch
der Unterricht scheint in den ersten Semestern noch stärker verschult: Jeder Student gehört,
wie erwähnt, einem Klassenverband an, es gibt Klassenfahrten und -feste. Die Studenten
belegen in den ersten beiden Semestern vielleicht nur zwei Kurse in Jura, daneben aber eine
Reihe allgemeinbildender Pflichtfächer wie Mathematik und Chemie, Politischen Unterricht
(Geschichte der VR und aktuelle politische Ideologie), sowie Sport.

Als Austauschstudentin gehörte ich keiner Klasse an. Meinen Unterricht musste ich zu 60%
aus dem Angebot der juristischen Fakultät wählen, zu 40% hatte ich freie Hand. Trotzdem
blieb ich überwiegend an der juristischen Fakultät, denn um das chinesische Rechtssystem
kennen zu lernen, war ich ja gekommen. Meine Jura-Kurse im ersten Semester waren auf
Englisch, aber von chinesischen Dozenten gehalten und zum Teil an Master- und PhD-
Studenten gerichtet. Im zweiten Semester saß ich – auf Chinesisch - in Veranstaltungen für
die unteren Semester.
Der Jura-Unterricht unterscheidet sich von dem in Deutschland: an der Uni erworbene
Leistungspunkte und nicht die juristische Staatsprüfung bestimmen den Universitätsabschluss.
Es gibt mindestens so viele Seminare wie Vorlesungen und die Unterrichtsgruppen sind
kleiner. Inhaltlich wird viel Wert auf wissenschaftliche Grundlagen und Hintergründe gelegt,
im Gegensatz zu Deutschland, wo die Grundlagenausbildung (in meinen Augen: leider)
immer weniger Raum in den Curricula einnimmt. Dafür werden an der Tsinghua Beispielfälle
zwar einbezogen, aber das Üben der Rechtsanwendung durch ausführliche und tiefgehende
Fallanalyse, in Deutschland Schwerpunkt, ist relativ selten und spielt in Klausuren und
Hausarbeiten mitunter gar keine Rolle. Fallarbeitsgemeinschaften wie in Deutschland gibt es
nicht. Hausarbeiten beschäftigen sich oft mit abstrakten, theoretischen Fragen, zum Beispiel
der Entwicklung der Theorie vom Rechtsstaatsprinzip in China, aber eher selten etwa mit
einem Fall, der das Problem aufwirft, wie diese Theorie angewendet werden soll. Allerdings
bemühen sich einige Professoren auch nachdrücklich darum, das zu ändern und stärkeren
Praxisbezug herzustellen. Moot Courts sind mittlerweile sehr beliebt.

Angeblich muss die Tsinghua in den Geisteswissenschaften der Peking University, in Jura
vielleicht daneben noch ein, zwei anderen Universitäten den Vorrang einräumen. Doch auch
an der Tsinghua gibt es sehr gute Professoren (viele mit mehreren in- und ausländischen
Abschlüssen und Forschungsrenommee) und eine gut ausgestattete Bibliothek. Der Unterricht
hat im Durchschnitt ein hohes Niveau, allerdings scheint mir der Konkurrenzdruck unter den
Studenten geringer als in Deutschland und auch geringer als etwa in den Naturwissenschaften
an der Tsinghua. Vielleicht aber hat mir lediglich mein Status als Austauschstudentin den
Blick getrübt: jedenfalls in Kursen auf Chinesisch lassen Professoren gegenüber Austausch-
studenten oft Nachsicht walten und bieten von sich aus Hilfe und Gesprächstermine an.

Das Arbeitspensum von Austauschstudenten ist schon von vornherein beschränkt: Unterricht
darf im Rahmen von 20 Leistungspunkten pro Semester gewählt werden. Darüber hinaus sind
aber alle Vorlesungen als Gasthörer zugänglich. Im ersten Semester reizte ich meinen
Spielraum an Leistungspunkten nicht aus, weil ich neben dem Jurastudium noch mein
Chinesisch verbessern wollte. Im zweiten Semester kam ich schließlich auf 20 Punkte, hatte
aber noch immer mit der Sprachbarriere zu kämpfen und dadurch im Studium so viel zu tun,
dass kaum mehr Zeit für Anderes blieb.
Dabei bietet die Tsinghua, von Peking gar nicht zu reden, an „Anderem“ sehr viel: ich war
gern auf Konzerten, bei einigen Talentwettbewerben und Fakultätsfeiern. Die Fakultätsfeiern
sind von den Studenten organisiert und bestehen aus Gesangs-, Playback- und Tanzdarbie-
tungen, sowie kleinen Theatereinlagen und Sketchen. So zurückhaltend mir meine chine-
sischen Kommilitonen manchmal schienen, auf der Bühne war davon nichts mehr zu merken.
An der Tsinghua gibt es außerdem, wie erwähnt, eine Vielzahl von studentischen Clubs und
Vereinigungen aller Art: von Bergsteigen über Kalligraphie bis zu zahlreichen traditionellen
und westlichen Sportarten, von den Vereinigungen für Filmfreunde, für Psychologie, für
Umweltschutz bis zu verschiedenen Orchestern und und und. Da ich in Heidelberg im
Debattierclub bin, wollte ich mir die Debattierszene in Peking anschauen und wurde im ersten
Semester bei der English Debate Association vorstellig. Diese ist leider etwas anders auf-
gestellt als der Club in Heidelberg: es gibt kein wirkliches Clubleben. Die Vereinigung ist auf
Turnierteilnahme und –organisation ausgerichtet. Ab und zu gibt es Debattiertraining und
Diskussionsrunden zu Brennpunktthemen wie Umweltschutz oder Demokratie. Auf ein paar
Turnieren war ich dann auch dabei: die Teilnehmer kamen von verschiedensten Universitäten
in Peking und die Themen waren recht international gehalten. Das Debattierwesen hat in ganz
China mittlerweile Fuß gefasst, es gibt überregionale Turniere und Trainingsveranstaltungen
von Debattier-Vereinigungen aus den USA und Singapur. Wie auch in Deutschland, variierte
das Niveau der Turnierdebatten mitunter stark, technisch und inhaltlich, je nach
Erfahrungsgrad und Englischniveau der Debattanten. Interessant war es in jeden Fall auch,
weil ich einen weiteren Einblick in die Mentalität meiner neuen Kommilitonen erhielt. Von
„asiatischer Zurückhaltung“ habe ich während der Debatten nichts gespürt, im Gegenteil.

    China erleben

Meine Freunde sind es, durch die ich die chinesische Gesellschaft ein wenig verstehen gelernt
habe. In langen Unterhaltungen mit meinen Sprachaustauschpartnern, über Jura, Geschichte,
Politik, Kultur; beim gemeinsamen Essen, Einkaufen, Lernen, egal, in welchem Wohnheim,
bei Ausflügen.
Meine Freunde sind es, die mir etwas vom Land gezeigt haben: Es gibt fünf Wochen Winter-
ferien. Denn im Januar jeden Jahres (nach Mondkalender, also eigentlich im Februar 2009)
konzentrieren sich die wichtigsten traditionellen chinesischen Feiertage, u.A. das Frühlings-
fest (Chinesisches Neujahrsfest), von Bedeutung und Wirkung mit Weihnachten in Deutsch-
land vergleichbar. Alle Studenten verbringen die Feiertage und die meisten die ganzen Ferien
bei ihren Familien. Ich hätte auf dem völlig leeren Campus sehr einsam werden können.
Aber meine Freunde luden mich ein, sie zu besuchen: ich war eine Woche auf dem Land in
Henan (Zentralchina), wo es keine Heizung, im Winter wenig Vegetation, eine stark
traditionelle Kultur und sehr herzliche Menschen gibt. Das Frühlingsfest selbst verbrachte ich
ruhig und behaglich bei der Familie meiner ältesten chinesischen Freundin in Baoding, einer
kleineren, aber modernen Stadt südlich von Beijing. Ich traf meinen Sprachaustauschpartner
in seiner Heimat Shanghai. Dann reiste ich mit Freunden einige Tage durch das schon
frühlingswarme Hunan (Südliches Zentralchina). Und schließlich kam ich nach Sichuan,
besuchte Chengdu, und eine Freundin in einer nahen Kleinstadt.
Bei den Familien meiner Freunde war alles auf einmal ganz anders: ich fühlte mich nicht
mehr fremd, ob ich den Dialekt nun verstand oder nicht. Natürlich lernte ich eine Unmenge an
Dingen, die ich unter der Glasglocke des Campus und des Ausländerlebens nie lernen konnte.
Ich sah Lebensbedingungen, Alltagsbräuche, Stadtentwicklung, hörte Biographien und Orts-
geschichten. Ich lernte durch das Reisen über Kultur und Geschichte. Mein Chinesisch
machte Fortschritte. Vor allem aber begann ich, mich der Kultur und der Mentalität meines
Gastlandes näher zu fühlen.

     Praktische Tipps
Mein Einreisevisum war unproblematisch. Die Umwandlung zur Aufenthaltsgenehmigung
in Beijing war es nicht. Zwar ist das Visa-Zentrum der Behörden in Beijing modern,
zuverlässig und bestens organisiert. Für den Antrag dort ist aber zunächst die Registrierung
als Anwohner bei der lokalen Polizeibehörde nötig . Für die ausländischen Studenten, die auf
dem Campus wohnen, hat die Polizei eine Außenstelle an der Tsinghua. Die Angestellten dort
zeigten sich als hoffnungslos überfordert, die Atmosphäre im Büro glich der am Wühltisch
zum Winterschlussverkauf, inklusive Gerangel der Kunden, der Anmeldungsprozess geriet
zur Farce, die mich mehrere Tage kostete, weil Dokumente nicht pünktlich fertig und
fehlerhaft waren.
Einigen Aufwand brachten auch die Gesundheitskontrolle mit sich: wer länger als ein halbes
Jahr in China bleiben möchte, benötigt eine Aufenthaltsgenehmigung und muss in diesem
Rahmen nachweisen, dass er gesund ist. Die umfangreiche Untersuchung dafür (inklusive
Blutuntersuchung mit AIDS-Test und Röntgenaufnahme des Brustkorbs) kann auch in China
vorgenommen werden. Allein hatte ich keine Ahnung und kam auch nicht an Informationen
darüber, wie einfach, wie teuer, wie zuverlässig und wie unbedenklich das in Beijing sein
würde. Ich ließ die Untersuchungen deshalb in Heidelberg vornehmen, was sich im
Nachhinein als Geld- und Zeitverschwendung herausstellte: in Deutschland beliefen sich die
Kosten auf mehrere hundert Euro (für gesetzlich Krankenversicherte), in China wäre es nur
ein Bruchteil davon gewesen, zudem einfach und zuverlässig: das neu errichtete staatliche
Zentrum, wo ich meine Gesundheitsunterlagen aus Deutschland bestätigen lassen musste,
beherbergt alle für die Untersuchung notwendigen Einrichtungen und überwacht die Unter-
suchungen selbst; sie dauern höchstens einen Tag, den ich dort auch mit bloßem Warten auf
meine Unterlagen verbrachte; nach Erfahrungen deutscher Bekannter ist auch alles ganz
unbedenklich.
Alle sonstigen Formalitäten: Anmeldung und Einzug im Wohnheim, Einschreibung,
Anmeldung der Mensakarte, Ausstellung des Studentenausweises, liefen sehr schnell und
weitgehend unbürokratisch ab. Zum Einzug sei nur angemerkt: die Tsinghua möchte die
gesamte Miete für ein halbes Jahr (also etwa 1000 Euro) im voraus.
Den elektronischen Studentenausweis gibt es erst etwa eine Woche nach der Einschreibung;
vorher kann die Bibliothek nicht betreten werden. (Und die Bibliotheken der einzelnen Fach-
bereiche sind im Allgemeinen überhaupt nicht für fachfremde Studenten zugänglich.)
Internetzugang ist unproblematisch: Mindestens einen Internetzugang gibt es in jedem Wohn-
heimszimmer, ebenso wie W-LAN in manchen Uni-Gebäuden und Medienräume in den
Bibliotheken. Für die Undergraduates wird nach elf der Strom in den Wohnheimen abgestellt.
Im internationalen Wohnheim ist das nicht der Fall. Dort lebt es sich eher wie in einer
Pension: es gibt sogar einen täglichen Putzdienst.

    Im Nachhinein

Das vergangene Jahr hat mich natürlich fachlich vorangebracht: mein Chinesisch und
Englisch im Allgemeinen sind besser; bemerkbar macht sich das für mich vor allem im
Bereich Rechtssprache, denn Rechtsenglisch und –chinesisch waren noch Neuland für mich.
Im Jurastudium hatte ich Gelegenheit, mir wichtige Grundlagen im chinesischen Zivil-,
Verwaltungs- und Wirtschaftsrecht anzueignen, mich mit Freunden, Kommilitonen und
Dozenten auszutauschen und mir so einen groben Überblick vom Rechtssystem im China der
Gegenwart zu verschaffen. Das Leben in China allein, Ausflüge und Reisen haben mir einen
besseren Zugang zu Geschichte und Kultur vermittelt und geben mir hoffentlich eine Basis für
die Fortsetzung des Sinologiestudiums.
Der höchste persönliche Wert liegt in den Freundschaften, die ich schließen konnte und den
Menschen, die ich traf. China ist für mich kein Land, das mich auf Anhieb verzaubert, Beijing
keine Stadt, die mich sofort fasziniert. Aber das soll nicht heißen, dass ich mich dadurch
weniger verbunden fühle, im Gegenteil. Ich hatte schlicht das Gefühl, mich an Leben und
Kultur nur auf einem langsamen, anfangs sehr unbequemen Weg annähern zu können. Es
wäre gelogen, zu sagen, dass ich einfach ins Leben der Stadt eintauchen konnte, um Sprache
und Kultur schnell und umfassend zu absorbieren. Obgleich ich mir das anfangs so vorgestellt
hatte, als ich noch nie länger im Ausland gelebt hatte als vier Wochen in Frankreich und vor
allem, nie außerhalb Europas. Studium, und vielleicht verwunderlich, vor allem
Freizeitunternehmungen, kosteten manchmal mehr Disziplin als erwartet: ich war doch nicht
immun gegen Kultur-Schock und Auslandseinsamkeit. Aber das Ergebnis war es wert. Umso
mehr ich verstand, umso mehr lernte ich schätzen, vermisse ich jetzt, und wird mich in
Zukunft an China binden und immer zurückziehen.
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