Umlaufbeschluss - ISA-Guide

 
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Der   Umlaufbeschluss                                  und
andere Gerüchte
Der GlüStV 2021 tritt erst voraussichtlich am 1. Juli 2021 in
Kraft und bedarf noch der Ratifizierung durch die
Bundesländer. Mit Umlaufbeschluss vom 9. September 2020 haben
sich die Chefinnen und Chefs der Staats- und Senatskanzleien
der Länder darauf geeinigt, dass sich die Verwaltungspraxis im
Vorgehen gegen die Veranstaltung von Online-Glücksspielen ohne
behördliche            Erlaubnis           bereits          am
4. Glücksspielneuregulierungsstaatsvertrag (kurz: GlüStV 2021)
orientieren soll. Ausgehend von der Rechtsauffassung der
Bundesländer führt die Veranstaltung von Online-Glücksspiel
ohne Beachtung der technischen Richtlinien ab dem
15. Oktober 2020 zu einem Verlust der Zuverlässigkeit und
somit zum Ausschluss vom Erhalt einer Online-Glücksspiel
Konzession     für   das  Veranstalten      von  „virtuellen
Automatenspielen“ respektive „Online Casinospielen“. Die
Anbieter aber können beruhigt sein: An der materiellen
Rechtslage ändert der Umlaufbeschluss ebenso wenig wie an der
Unionsrechtswidrigkeit des „voraussichtlich zukünftigen“ – so
die Terminologie des Umlaufbeschlusses – GlüStV 2021.

h4. 1. Inhalt des Umlaufbeschlusses

Der Umlaufbeschluss legt mit Ziffer 4 für zukünftiges
behördliches Verwaltungshandeln fest, dass die Veranstaltung
von Online-Glücksspiel ohne behördliche Erlaubnis bei
Beachtung der vorgenannten technischen Richtlinien nicht als
Grund für die Annahme der Unzuverlässigkeit des Anbieters
angeführt werden wird:

bq. _„Für den Fortbestand der Sportwettenkonzession und die
Zuverlässigkeit     in   zukünftigen     Erlaubnis-     und
Konzessionsverfahren ist in der Regel unschädlich, wenn
Konzessionsinhaber     neben   erlaubten     Glücksspielen
ausschließlich virtuelle Automatenspiele und Online-Poker im
Sinne des Entwurfs des GlüStV 2021 anbieten und dieses Angebot
auf das nach dem Entwurf des GlüStV 2021 legale Maß
beschränken und hierbei alle zukünftigen Vorgaben zum
Spielerschutz und zur Spielsuchtbekämpfung heute schon
tatsächlich umsetzen, die heute schon technisch umgesetzt
werden können. Um die technische Umsetzung zu ermöglichen,
wird dazu eine Frist bis zum 15. Oktober 2020 gewährt. […] Das
Angebot eines der vorgenannten Glücksspiele [d.h. Online-
Glücksspiel außerhalb des Rahmens der technischen Richtlinien]
führt in der Regel zum Widerruf der Sportwettenkonzession und
zum Ausschluss der Zuverlässigkeit in zukünftigen Erlaubnis-
oder Konzessionsverfahren.“_

Auf die Unzuverlässigkeit eines Anbieters für sein in der
Vergangenheit liegendes Verhalten stellt der GlüStV 2021
gerade nicht ab, wird aber erst durch den Umlaufbeschluss für
das möglicherweise künftige Konzessionsverfahren und die
Erlaubniserteilung nach dem GlüStV 2021 relevant: So sieht der
Umlaufbeschluss vor, dass Anbieter, die sich nicht an die
technischen Richtlinien halten, als „unzuverlässig“ eingestuft
werden und ihnen deshalb ausgehend vom GlüStV 2021 ab dem
1. Juli 2021 keine Konzessionen oder Erlaubnisse zur
Veranstaltung von Glücksspiel jeglicher Art erteilt werden
können (Bad-Actor-Klausel). Durch die (norminterpretierende)
Vorschrift des Umlaufbeschlusses wird der in de facto allen
Glücksspielgesetzen der Länder für die Erlaubnis-            und
Konzessionserteilung maßgebliche unbestimmte Rechtsbegriff   der
„Zuverlässigkeit“ dahingehend konkretisiert, als dass        ein
bestimmtes Verhalten, das vor dem Umlaufbeschluss            zur
Unzuverlässigkeit führte, ferner für die Einstufung          als
„zuverlässig“ unschädlich ist.

Welche Vorgaben als technisch bereits umsetzbar gelten, wurde
durch    eine    gemeinsame     Leitlinie     der   obersten
Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder in Bezug auf Angebote
von virtuellen Automatenspielen und Online-Poker auf Grundlage
des Umlaufbeschlusses der Chefinnen und Chefs der Staats- und
Senatskanzleien vom 8. September 2020 vom 30. September 2020
konkretisiert, welche wenige Tage vor Inkrafttreten auf der
Seite   der   Gemeinsamen    Geschäftsstelle     Glücksspiel
veröffentlicht wurde. Dazu gehören unter anderem ein
monatliches Einzahlungslimit von 1.000 €, die Einrichtung
eines Panik-Knopfs zur 24 Stunden-Sperre, verpflichtende
„Reality Checks“ nach einer Stunde Spiel im Internet, das
Verbot parallelen Spiels und – ab dem 15. Dezember 2020 – beim
virtuellen Automatenspiel eine Mindestspieldauer von
mindestens fünf Sekunden und einer Einsatzhöhe von höchstens
einem Euro je Spiel.

In Bezug auf Online-Glücksspiel sieht weiterhin Ziffer 5 des
Umlaufbeschlusses vor, dass die Verwaltung den Vollzug gegen
diejenigen Anbieter von Online-Glücksspiel ohne behördliche
Erlaubnis aussetzt, die sich an die im GlüStV 2021
vorgesehenen und bereits umsetzbaren technischen Richtlinien
für die Veranstaltung von virtuellem Automatenspiel und
Online-Poker halten:

bq. „Die vorstehenden Grundsätze werden auch bei der Ausübung
des Ermessens, gegen welche Anbieter unerlaubten Glücksspiels
im Rahmen der zur Verfügung stehenden Kapazitäten vorgegangen
wird, berücksichtigt. Der Vollzug gegen unerlaubte
Glücksspielangebote wird bis zum 30. Juni 2021 daher auf
diejenigen Anbieter konzentriert, bei denen abzusehen ist,
dass sie sich auch der voraussichtlichen zukünftigen
Regulierung entziehen wollen. Als solche Anbieter müssen in
Bezug auf Sportwetten, virtuelle Automatenspiele, Online-Poker
und Online-Casinospiele angesehen werden

– alle Anbieter von Sportwetten, die bislang keinen
Konzessionsantrag gestellt haben,
– alle Anbieter, die noch nach dem 15. Oktober 2020 virtuelle
Automatenspiele und/oder Online-Poker anbieten, ohne alle
diesbezüglichen und nicht technisch noch unmöglichen Vorgaben
des GlüStV 2021 einzuhalten, und
– alle Anbieter, die noch nach dem 15. Oktober 2020 Online-
Casinospiele an-bieten, die der Regelung des § 22c GlüStV 2021
unterfallen (Roulette, Black Jack etc.).

Die Länder gehen gegen diese Anbieter unerlaubten Glücksspiels
vor.“

Der Vollzug gegen die Veranstaltung illegalen Glücksspiels
steht      nach     derzeitiger       Rechtslage       unter
Entschließungsermessen, d.h. die zuständigen Behörden müssen
im jeweiligen Einzelfall ihr Ermessen dahingehend ausüben, ob
ein Vollzug verhältnismäßig ist. Durch die Ziffer 5 wird das
Entschließungsermessen der Behörden bezüglich des Vollzugs
gegen die Veranstaltung nicht erlaubten Glücksspiels
dahingehend ausgeübt, dass gegen die Anbieter, die illegales
Glücksspiel unter Beachtung der technischen       Richtlinien
veranstalten, kein Vollzug erfolgt.

h4. 2. Der Umlaufbeschluss ist bloß eine Verwaltungsvorschrift

Der   Umlaufbeschluss      ist    keine    personenbezogene
Allgemeinverfügung i.S.d. § 35 S. 2 Var. 1 VwVfG, weil es an
dem   für   eine    Allgemeinverfügung      erforderlichen
Regelungscharakter fehlt. Eine Regelung liegt vor, wenn die
Maßnahme der Behörde darauf gerichtet ist, eine verbindliche
Rechtsfolge zu setzen – d.h. wenn durch die Maßnahme Rechte
der Betroffenen unmittelbar begründet, geändert, aufgehoben,
mit bindender Wirkung festgestellt oder verneint werden. Mit
der    Vollzugsaussetzung      werden     die   Rechte     der
Glücksspielanbieter nicht berührt, insbesondere weil die
Aussetzung des Vollzugs keine behördliche Genehmigung
darstellt. Aber auch die Bestimmung des Umlaufbeschlusses,
dass die Veranstaltung von Online-Glücksspiel bei Beachtung
der im Umlaufbeschluss genannten technischen Richtlinien für
die Zuverlässigkeit der Anbieter unschädlich ist, berührt
deren Rechte nicht unmittelbar. Denn der Umlaufbeschluss
begründet – so wird es in der Schlussbemerkung der Gemeinsamen
Leitlinien der obersten Glücksspielaufsichtsbehörden der
Länder in Bezug auf Angebote von virtuellen Automatenspielen
und Online-Poker auf Grundlage des Umlaufbeschlusses der
Chefinnen und Chefs der Staats- und Senatskanzleien vom 8.
September 2020 vom 30. September ausdrücklich betont – keinen
Anspruch auf Erlaubniserteilung oder ein Präjudiz für spätere
Erlaubniserteilungsverfahren. Der Umlaufbeschluss ändert somit
nichts an den Rechtspositionen der Anbieter, sondern ist nur
die Grundlage für Verwaltungsakte, die ausgehend von den
derzeit geltenden Glücksspielgesetzen der Länder in Verbindung
mit dem Umlaufbeschluss erlassen werden können.

Da sich der Umlaufbeschluss primär an die Behörde richtet und
keine unmittelbare Außenwirkung entfaltet, handelt es sich bei
ihm auch nicht um eine Rechtsverordnung, sondern um bloße
Verwaltungsvorschriften. Verwaltungsvorschriften beruhen auf
der „Befugnis zur Leitung eines Geschäftsbereichs“ und richten
sich dementsprechend an Behörden, um deren Verwaltungshandeln
zu lenken. Genauso verhält es sich mit dem Umlaufbeschluss:
Bereits die Wortwahl des Umlaufbeschlusses und den gemeinsamen
Leitlinien     verdeutlicht,     dass   der   Adressat     des
Umlaufbeschlusses die nachgeordneten Behörden sind: An keiner
Stelle richtet sich der Umlaufbeschluss direkt an den
Anbieter. Maßgeblich ist zudem, dass der Umlaufbeschluss keine
unmittelbare Bindungswirkung im Außenbereich entfaltet. Der
Umlaufbeschluss berührt die Veranstalter von Online-
Glücksspiel nur insoweit, als dass diese bei Einhaltung der
durch die gemeinsamen Leitlinien konkretisierten technischen
Richtlinien keinen Vollzug und keine spätere Versagung der
Zuverlässigkeit wegen der Veranstaltung von Online-Glücksspiel
in späteren Erlaubnis- und Konzessionsverfahren befürchten
müssen. Der Umlaufbeschluss ändert aber nichts daran, dass die
Veranstaltung von Online-Glücksspiel aus Sicht der
Bundesländer nicht erlaubt und nach der geltenden Rechtslage
auch nicht erlaubnisfähig ist. Er privilegiert zwar faktisch
die Anbieter, die sich an die technischen Richtlinien halten,
räumt ihnen aber keine für sie günstige Rechtsposition ein.
h4. 3. Keine Auswirkungen auf die materielle Rechtslage

Verwaltungsvorschriften sind generelle Regelungen des
verwaltungsinternen Bereichs, die von einer vorgesetzten
Behörde an nachgeordnete Behörden bzw. vom Behördenchef an die
ihm unterstellten Verwaltungsbediensteten gerichtet sind.
Verwaltungsvorschriften können eingesetzt werden, um den
vorhandenen Entscheidungs- und Handlungsspielraum einer
Behörde zugunsten eines einheitlichen Verwaltungshandelns
einzuschränken. Hervorzuheben ist dabei, dass die Gerichte an
die Interpretationsvorgaben der Verwaltung nicht gebunden sind
und ihren Entscheidungen aufgrund des Vorrangs des Gesetzes
eine eigenständige Auslegung der Gesetze zu Grunde legen
müssen. Das hat zur Folge, dass die Unschädlichkeit der
Veranstaltung nicht erlaubten Online-Glücksspiels unter
Beachtung der technischen Richtlinien für die Zuverlässigkeit
von der Verwaltung in Befolgung der Vorschriften des
Umlaufbeschlusses in gewisser Weise verbindlich ist, damit
aber keineswegs gesagt ist, dass – sollte ein Gericht über die
Zuverlässigkeit eines Anbieters entscheiden – dieses die
Unzuverlässigkeit entgegen des Umlaufbeschlusses mit der
Veranstaltung nicht erlaubten Online-Glücksspiels begründet.
Die gerichtliche Überprüfung des Verwaltungshandelns auf
Grundlage der ermessenslenkenden Verwaltungsvorschrift
beschränkt sich auf das Maß, welches bei der Ermessensausübung
im Einzelfall angelegt werden wird. Möglich ist aber die
Prüfung, ob der Verwaltung bei der Entscheidung Fehler
unterlaufen sind, insbesondere, ob die Verwaltung die
geltenden Gesetze eingehalten hat. Kurz gesagt: Verbindlich
ist der Umlaufbeschluss nur intern für die Verwaltung, nicht
aber für die Gerichte, und – da die Vorschriften des
GlüStV 2021 offensichtlich unions- und verfassungswidrig sind
und deshalb bei einer gerichtlichen Kontrolle keinen Bestand
haben dürften – letztlich auch nicht für die Anbieter.

Da der Umlaufbeschluss lediglich Verwaltungsvorschriften
enthält, ändert er nichts an der materiellen Rechtslage bzw.
allgemeinen Ausgangslage. Aus der Sicht der Bundesländer ist
die Veranstaltung von Glücksspiel ohne behördliche Erlaubnis
einer Glücksspielbehörde der Bundesländer weiterhin nach
§ 284 StGB strafbar. Und deshalb kann der Umlaufbeschluss die
Anbieter auch nicht davor schützen, dass die Zahlung der
Spielerbeträge an den Anbieter des illegalen Glücksspiels nach
§ 134 BGB i.V.m. § 184 StGB nichtig ist und deshalb
zurückgefordert werden kann. Der Umlaufbeschluss stellt gerade
keine Duldung dar, sondern lediglich eine behördeninterne
Anweisung, wie gegen – aus Sicht der Bundesländer – illegales
Online-Glücksspiel vorzugehen und mit ihm umzugehen ist.
Ausgehend von der (unionsrechtsmissachtenden) Sicht der
Bundesländer kann der Umlaufbeschluss deshalb entgegen seines
Wortlauts behördenextern eben nicht vor Unzuverlässigkeit
schützen.

Zuverlässigkeit wird in verwaltungsrechtlichen Vorschriften
vielfach als Kriterium für eine Erlaubniserteilung angeführt,
so beispielsweise in § 7 Abs. 1a LuftSiG, in § 5 Abs. 1 WaffG,
in § 7 BRAO (Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft)
oder in § 3 StVG (Entziehung der Fahrerlaubnis). Als
unzuverlässig gilt dabei beispielsweise im Gewerberecht
derjenige, der keine Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe
in Zukunft ordnungsgemäß ausüben wird. Überträgt man den
Gedanken des Umlaufbeschlusses auf einen anderen
Anwendungsfall der Zuverlässigkeit, macht dies die Absurdität
des Gedankens deutlich, der Umlaufbeschluss könne auch nur
irgendwelche rechtmäßige Außenwirkung entfalten: Nach
§ 2 Abs. 1 Nr. 3 und 4 StVG ist beispielsweise nur derjenige
zur Führung eines Kraftfahrzeugs geeignet, für den sich
aufgrund     einer     umfassenden      Würdigung      seiner
„Gesamtpersönlichkeit“, d.h. aller Eigenschaften, Fähigkeiten
und Verhaltensweisen, die für die Beurteilung der
Verkehrsgefährlichkeit relevant sind, nichts gegenteiliges
ergibt. Würde eine Gesetzesänderung angekündigt werden, welche
jeden Fahrer als ungeeignet einstufen würde, der einen Pkw mit
einer niedrigeren Schadstoffklasse als Euro 4 fährt – denn
derartige Fahrer seien aufgrund der Umweltschädlichkeit ihrer
Fahrzeuge verantwortungslos und stellten deshalb eine
besondere Gefahr dar –, ist das grundrechtlich – wie auch der
GlüStV 2021 – höchst problematisch. Wird aber dann mit einem
Umlaufbeschluss das voraussichtlich künftige Recht
beschlossen, dass bereits wenige Wochen nach Veröffentlichung
des Gesetzesentwurfs – und lange, bevor es in Kraft tritt oder
über das zukünftige Inkrafttreten überhaupt entschieden ist –
denjenigen Fahrern, die noch einen Pkw mit einer niedrigeren
Schadstoffklasse als Euro 4 fahren, die Geeignetheit zum
Führen eines Kraftfahrzeuges für die Zukunft abgesprochen
wird, drängt es sich geradezu auf, dass die Repressionen einer
derartigen Regelung im Rechtsstaat nur folgenlos verhallen
können. Genau so stellt sich die Situation mit dem
Umlaufbeschluss dar.

Es ist wichtig zu betonen, dass das vorhergesagte hinsichtlich
des Verlusts der Zuverlässigkeit aber nur dann gilt, wenn man
das europäische Recht außer Acht lässt. Denn auf Anbieter aus
anderen EU-Mitgliedsstaaten, die in ihrem Mitgliedstaat über
eine entsprechende Genehmigung zur Veranstaltung von Online-
Glücksspiel verfügen, ist § 284 StGB aufgrund des Vorrangs des
Unionsrechts – die Anbieter veranstalten Online-Glücksspiel in
Ausübung ihrer europäischen Dienstfreiheit – nicht anzuwenden.
Das geht sogar so weit, dass die Nichtbeachtung der Vorgaben
des Umlaufbeschlusses für Anbieter mit Lizenz aus anderen
europäischen Mitgliedstaaten für die Teilnahme an späteren
Erlaubnis- oder Konzessionsverfahren unschädlich ist.
Einerseits ist der GlüStV 2021 noch nicht durch die
Bundesländer ratifiziert worden und kann deshalb noch keine
wie auch immer geartete Rechtskraft entfalten. Andererseits
verstößt der GlüStV massiv gegen die europäischen
Grundfreiheiten, gegen das europäische Wettbewerbsrecht und
gegen das Verfassungsrecht. Der EuGH hat in ähnlichen
Konstellationen bereits mehrfach die Unionsrechtswidrigkeit
festgestellt. Bezüglich der Konzessionserteilung zur
Veranstaltung von Glücksspiel hat der EuGH mit Urteil vom 22.
Juni 2017 (Az.: C-49/16) über die Voraussetzungen für
Regulierung der Erteilung einer Konzession für die
Veranstaltung von Online-Glücksspielen entschieden (Unibet
International-Entscheidung).            Dabei      verstoßen
Glücksspielgesetze gegen Art. 56 AEUV, wenn sie Anbieter, die
in   anderen    Mitgliedstaaten      niedergelassen     sind,
diskriminieren. Von einer Diskriminierung ist bereits
auszugehen, wenn die Regelungen so angewendet oder in einer
Weise gehandhabt werden, dass die Bewerbung bestimmter
Anbieter, die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassen sind,
verhindert oder erschwert werden. Nach der ständigen EuGH-
Rechtsprechung sind derartige Eingriffe nur gerechtfertigt,
wenn die Regelungen kohärent sind. Gegen die Kohärenz spricht
jedenfalls, wenn die Behörden in Bezug auf andere Glücksspiele
eine Politik verfolgen, die eher darauf abzielt, zur Teilnahme
an diesen anderen Spielen zu ermuntern, als darauf, die
Spielgelegenheiten zu verringern und die Tätigkeiten in diesen
Bereich in kohärenter und systematischer Weise zu begrenzen.
Denn dies hätte zur Folge gehabt, dass das der
Konzessionsvergabe zugrunde liegende Ziel, Anreize zu
übermäßigen Ausgaben für das Spielen zu vermeiden und die
Spielsucht zu bekämpfen, nicht mehr wirksam verfolgt werden
kann (so der EuGH u.a. in Sporting Odds, Stanleybet Malta,
Carmen Media Group). Genau so verhält es sich aber mit dem
voraussichtlich künftigen GlüStV 2021, auf dem der
Umlaufbeschluss und die technischen Richtlinien fußen.

Der Umlaufbeschluss ist für die Anbieter, die aus einem
anderen Mitgliedstaat in Ausübung ihrer europäischen
Dienstleistungsfreiheit Online-Glücksspiele in Deutschland
veranstalten, deshalb unbeachtlich. Anders aber sieht es für
Anbieter aus, die bereits über eine Genehmigung oder eine
Erlaubnis zur Veranstaltung von (terrestrischem) Glücksspiel
in Deutschland verfügen. Für sie birgt der Umlaufbeschluss die
Gefahr, dass sie im falschen Vertrauen auf die vermeintliche
Duldung Online-Casinospiele veranstalten und dadurch
unzuverlässig werden – denn aus der Sicht der Bundesländer ist
dies nach geltendem Recht der Fall, wenn man entgegen dem
3.   GlüStV    Online-Glücksspiele      veranstaltet,      der
Umlaufbeschluss kann daran nichts ändern. Den Betreibern droht
dann aber der Verlust _aller bereits erteilten_ Konzessionen
und Erlaubnisse, da sie auch im terrestrischen Bereich als
unzuverlässig eingestuft werden würden.

h4. 4. Die Profiteure des Umlaufbeschlusses

Die Profiteure des Umlaufbeschlusses sind diejenigen, die den
GlüStV 2021 in ihrem eigenen Interesse erheblich
mitgestalteten:            staatliche            Unternehmen
(Lottolandesgesellschaften) sowie die Gauselmann Gruppe und
die Novomatic Gruppe. Haben diese geplant, den Online-
Glücksspielmarkt zu übernehmen und unter sich aufzuteilen, ist
der Umlaufbeschluss für sie ein großer Schritt in diese
Richtung. Angefangen hat es aber bereits damit, dass bereits
in der Entstehungsphase des GlüStV 2021 Informationen darüber
weitergegeben wurden, wie die zukünftigen technischen
Regulierungen ausgestaltet sein werden. Darauf basierend
konnten die technischen Richtlinien bereits deutlich früher
umsetzen als durch die europäischen Anbieter, die erst
deutlich später – nämlich bei Veröffentlichung des Entwurfs –
über die technischen Regulierungen in Kenntnis gesetzt wurden.
Der GlüStV 2021 hatte aber einen Haken: Nach Veröffentlichung
des Entwurfes hätten alle Anbieter genügend Zeit – nämlich bis
zum 1. Juli 2021 – gehabt, ihr Online-Angebot nach den neuen
Regelungen zu gestalten und anzubieten. Der Vorsprung vor den
europäischen Anbietern durch die frühzeitige Kenntnis der
zukünftigen Regulierung wäre so dahin gewesen. Davor soll der
Umlaufbeschluss bewahren: Er zog die Geltung des noch nicht
einmal durch die Bundesländer ratifizierten GlüStV 2021 auf
den 15. Oktober 2020 vor. Anstatt noch mindestens ein Jahr für
die Umsetzung der technischen Richtlinien zu haben, blieben
den europäischen Anbietern nur wenige Wochen und damit viel zu
wenig Zeit, den Vorsprung auch nur annähernd aufzuholen. So
sollen die europäischen Anbieter von zukünftigen
Konzessionsvergaben in Deutschland dauerhaft ausgeschlossen
werden. Denn aus Sicht der Bundesländer sind alle Anbieter,
die nun noch Online-Glücksspiel in Deutschland anbieten, ohne
die technischen Richtlinien einzuhalten, als unzuverlässig
einzustufen. Der besonders lukrative Markt des Online-
Casinospiels bleibt so für die staatlichen und privilegierten
Unternehmen wie Gauselmann reserviert, der bereits im
terrestrischen Bereich an zahlreichen Spielbanken beteiligt
ist bzw. in Sachsen-Anhalt selbst betreibt.

Der GlüStV 2021 führt zu einer Fragmentierung des
Glücksspielmarkts, die jetzt nicht mehr nur im GlüStV 2021
rechtlich angelegt ist, sondern durch den Umlaufbeschluss
bereits faktisch umgesetzt wurde. Der Online-Glücksspielmarkt
wird aufgeteilt in virtuelles Automatenspiel, Online-Poker und
Online-Casinospiele. Das virtuelle Automatenspiel wird dabei
durch Drosselungen der Geschwindigkeit, Zwangspausen,
Begrenzungen der Einsatzhöhe und dem Verbot automatischen
Spiels zur Unkenntlichkeit verstümmelt und darf nicht einmal
mehr mit „Casino“ beworben werden. Abgesehen davon, dass so
wohl kaum eine wirksame Kanalisierung gelingen wird, und dass
die Regeln auch nicht dem Spielerschutz dienen, ist die
Fragmentierung wettbewerbsrechtlich höchst problematisch:
Durch die Verdrängung der jetzigen Marktteilnehmer auf einen
„virtuellen Spielhallenmarkt“ können die privilegierten
Anbieter – staatlichen Unternehmen und terrestrische Anbieter
mit marktbeherrschender Stellung – den Online-Casinomarkt ohne
weiteres übernehmen. Deshalb gibt es bereits Vorverträge
zwischen den Landeslotteriegesellschaften und diesen in
Deutschland marktbeherrschenden Unternehmen über den Betrieb
von Online-Casinos.

Dass die staatlichen und privilegierten Unternehmen nicht nur
bei in der Entstehungsphase des GlüStV 2021, sondern auch bei
dem Umlaufbeschluss einen erheblichen Gestaltungsfreiraum
hatte, liegt daran, dass einzelne marktbeherrschende
Unternehmen aus dem terrestrischen Glücksspielsektor in
Deutschland gleich zwei der wichtigsten Online-Glücksspiel-
Verbände – nämlich den Deutschen Online Casinoverband (DOCV)
und den Deutschen Sportwettenverband (DSWV) – kontrolliert,
indem Mitglieder aus dem Management des Unternehmens in
leitenden Funktionen der Vereine platziert wurden, von wo sie
im direkten Kontakt mit Politikern stehen und direkten
Einfluss auf die zukünftige Regulierung nehmen können.
Beispielsweise hat der DOCV das Glücksspielkollegium
kontaktiert und eine befürwortende Stellungnahme dahingehend
abgegeben,     die   technischen     Richtlinien     und   das
Einzahlungslimit zu verschärfen. Das Glücksspielkollegium ist
ein Koordinierungsgremium der Bundesländer, welches die
Konzessionen vergibt. Weil die Konzessionsvergabeverfahren des
Glücksspielkollegiums bereits mehrfach gerichtlich als
verfassungswidrig und unionsrechtswidrig bewertet wurden,
sieht der GlüStV 2021 vor, dass eine Anstalt öffentlichen
Rechts (AöR) gegründet wird, welche die Einhaltung der
künftigen technischen Richtlinien        kontrollieren   und    die
Konzessionsvergabe übernehmen solle.

h4. 5. Fazit

Es   scheint   so   als   hätte   sich   vor   allen   Dingen   im
englischsprachigen Teil der Online-Glücksspiel-Industrie der
Glaube etabliert, Deutschland hätte durch den Umlaufbeschluss
ein sogenanntes „temporäres Tolerierungsregime“ („temporary
tolerance regime“) und dass der Umlaufbeschluss Gesetzeskraft
erlangt hätte. Dem ist aber – wie oben dargelegt – nicht so.
Die Sicherheit, die der Umlaufbeschluss den Anbietern
suggeriert ist trügerisch. Denn der Umlaufbeschluss ist gerade
keine Duldung, aus der sich Anbieter eine für sie günstige
Rechtspositionen ableiten könnten. Es handelt sich lediglich
um eine Handlungsanweisung an die Behörden, den Vollzug gegen
(aus ihrer Sicht) illegales Glücksspiel zu koordinieren. An
der Rechtslage an sich ändert sich dadurch nichts –
insbesondere nicht an der unionsrechtlich zulässigen
Veranstaltung von Online-Glücksspiel in Deutschland aus einem
anderen Mitgliedstaat heraus. Der Umlaufbeschluss ist deshalb
vor allen Dingen eines: ein (gewollter) Unruhestifter für die
Branche.
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