SONDERKAPITEL 10.1 WTO-Agrarabkommen und europäische Landwirtschaft
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10. SONDERKAPITEL 10.1 WTO-Agrarabkommen und europäische Landwirtschaft Die zunehmende Liberalisierung des Welthandels ist eine der treibenden Kräfte für das Wachstum der Weltwirtschaft in den letzten Jahrzehnten gewesen. Seit dem Ende des zweiten Weltkrieges wurden in immer neuen Runden internationale Verhandlungen geführt, um das Welthandelssystem weiterzuentwickeln. Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichten diese Bemühungen mit dem Abschluss der sogenannten Uruguay-Runde (1986-1994) durch die Unterzeichnung der Schlussakte von Marrakesch (Marokko) am 15. April 1994. Damit konnte zum 1. Januar 1995 das Übereinkommen zur Errichtung einer Welthandelsorganisation (WTO – „World Trade Organisation”) in Kraft treten, welches einen Ordnungsrahmen für ein weltweites Handelssystem darstellt. Damals wurde die Landwirtschaft erstmals umfassend in das multilaterale Handelssystem einbezogen. Damit wurde ein grundlegender Reformprozess eingeleitet, der nach Artikel 20 des WTO-Agrarübereinkommens ab Ende 1999 durch die Aufnahme weiterer Verhandlungen in der WTO fortgesetzt werden soll. Mit der 3. WTO-Ministerkonferenz in Seattle (USA) im November/Dezember 1999 sollte der Startschuss fallen für eine neue umfassende multilaterale Runde von Verhandlungen über weitere Handelsliberalisierungen. Dies ist nicht gelungen; die Konferenz wurde ergebnislos unterbrochen. Gleichwohl wurden auf Grund der abkommensinternen Regelungen im Jahr 2000 in verschiedenen Bereichen wie Dienstleistungen und Landwirtschaft die Verhandlungen sektoral aufgenommen. Freier Handel führt grundsätzlich zu einem Wohlstandsgewinn. Diese Erkenntnis liegt den Bemühungen zu Grunde, ein freies multilaterales Welthandelssystem zu schaffen. Begründet wird diese Erkenntnis durch die Theorie der komparativen Vorteile. Nach dieser Theorie können alle Staaten ein Höchstmaß an Nutzen dadurch erzielen, dass sich die einzelnen Staaten auf die Produktion der Güter spezialisieren, die sie am besten, d. h. am kostengünstigsten, herstellen können und diese Produkte dann untereinander frei handeln (optimale Ressourcennutzung durch internationale Arbeitsteilung). Dementsprechend liegt die wichtigste Aufgabe der internationalen Handelspolitik darin, die Rahmenbedingungen für einen freien Welthandel zu schaffen. Welche Bedeutung der Welthandel auch für die EU im Agrarbereich hat, lässt sich daran erkennen, dass die Gemeinschaft wertmäßig 1998 der bedeutendste Importeur von agrarischen Gütern war. Bei den Exporten belegte sie hinter den Vereinigten Staaten den zweiten Platz. Bis zur Gründung der WTO wurden die multilateralen Rahmenbedingungen für den Welthandel in erster Linie im Rahmen des 1948 ins Leben gerufenen Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) verhandelt. In insgesamt acht GATT-Verhandlungsrunden wurden schrittweise die Rahmenbedingungen für den Welthandel festgelegt. - 181 -
In der Uruguay-Runde wurde die Landwirtschaft durch das WTO-Agrarübereinkommen erstmals umfassend in das multilaterale Handelssystem integriert. Die wichtigsten Verpflichtungen, die sich aus dem Agrarübereinkommen der Uruguay-Runde für die EU ergeben, wurden im letzten Bericht in aller Kürze dargestellt. Die Position der Europäischen Union in den WTO-Verhandlungen: Der Rat der Europäischen Union hat sich im September und Oktober 1999 auf eine gemeinsame Linie für die anstehenden WTO-Verhandlungen geeinigt. In diesen Schlussfolgerungen wird betont, dass es angesichts des multifunktionalen Charakters der europäischen Landwirtschaft und der Rolle, welche die Landwirtschaft für Wirtschaft, Umwelt sowie Gesellschaft spielt, von grundlegender Bedeutung sei, die Zukunft des europäischen Modells der Landwirtschaft als Wirtschaftssektor und als Grundlage für eine nachhaltige Entwicklung zu sichern. Die Schlussfolgerungen des Rates werden für die folgenden WTO-Verhandlungsrunden in Form von Verhandlungsvorschlägen modifiziert vorgelegt (siehe EU-Verhandlungsvorschlag vom 20. und 21. November 2000) und enthalten im Wesentlichen folgende Elemente: § Die Bedeutung der weiteren Liberalisierung des Handels mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen und der Ausweitung dieses Handels als Beitrag zu einem stetigen und nachhaltigen Wirtschaftswachstum wird anerkannt. § Das europäische Landwirtschaftsmodell mit seinem multifunktionalen Charakter soll weiterentwickelt und abgesichert werden. Die europäische Landwirtschaft muss multifunktional, nachhaltig, wettbewerbsfähig und flächendeckend sein. Sie muss in der Lage sein, die Landschaft zu pflegen, die Naturräume zu erhalten und einen wesentlichen Beitrag zur Wirtschaftskraft des ländlichen Raums zu leisten. Ferner muss sie den Anliegen und Anforderungen der Verbraucher in Bezug auf die Qualität und die Sicherheit der Lebensmittel sowie dem Umweltschutz und dem Tierschutz gerecht werden. § Gemäß den Festlegungen des Europäischen Rates von Berlin sind die im Rahmen der Agenda 2000 gefassten Beschlüsse zur Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik wesentliche Elemente für den Standpunkt der EU bei den künftigen multilateralen WTO- Verhandlungsrunden. § Die Tatsache, dass die Verhandlungen auf der Basis von Artikel 20 des Agrarübereinkommens geführt werden, bedeutet aus europäischer Sicht, dass das langfristige Ziel einer schrittweisen wesentlichen Senkung der Stützungs- und Schutzmaßnahmen ein kontinuierlicher Prozess ist. Bei diesem Prozess sind auch weitere Aspekte zu berücksichtigen, insbesondere die bisherigen Erfahrungen bei der Durchführung der Senkungsverpflichtungen, die Auswirkungen der Senkungsverpflichtungen auf den Weltagrarhandel sowie nicht handelsbezogene Anliegen. Hierzu zählen z.B. die besondere und differenzierte Behandlung der Entwicklungsländer und das Ziel, ein gerechtes und marktorientiertes System für den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen einzuführen. - 182 -
§ Die Verhandlungen sollen offensiv angegangen werden. Es ist dafür Sorge zu tragen, dass die Liberalisierung der Märkte sich in einen Rahmen einfügt, der bewirkt, dass die für die europäischen Landwirte und Agrarerzeugnisse geltenden Auflagen international anerkannt werden und der Grundsatz der Gemeinschaftspräferenz nicht in Frage gestellt wird. Ausgehend von diesen Überlegungen verfolgt die EU im Agrarsektor folgende Hauptziele: § Bei der Verbesserung des Marktzugangs muss darauf geachtet werden, dass die EU als wichtiger Lebensmittelexporteur ihren Anteil an der erwarteten Ausweitung des Weltagrarhandels sichert. Ein weiterer Zollabbau soll wie bisher die unterschiedlichen Sensibilitäten der einzelnen Produktbereiche berücksichtigen. In diesem Zusammenhang soll auch eine Verbesserung des Schutzes geografischer Herkunftsbezeichnungen erreicht werden. § Die „Friedensklausel” und die „Besondere Schutzklausel” haben sich bei der Umsetzung der Uruguay-Runde als nützliche Instrumente erwiesen und sollen verlängert bzw. fortgeschrieben werden. § Die EU ist bereit, über eine Senkung der Stützung zu verhandeln, sofern insbesondere die Konzepte der „blue box”1 und der „green box”2 weitergeführt werden. § Im Ergebnis der Verhandlungen muss ein Gleichgewicht zwischen Handelsfragen und nicht handelsbezogenen Anliegen erreicht werden. Die multifunktionale Rolle der Landwirtschaft einschließlich des Umweltschutzes, der Lebensmittelsicherheit und der Lebensmittelqualität sowie des Tierschutzes sind abzusichern. In diesem Zusammenhang sollen Direktbeihilfen, die keine oder nur geringe Auswirkungen auf den Handel haben („green box”), eine wichtige Rolle spielen. § Es besteht die Bereitschaft, über eine weitere Senkung der Ausfuhrsubventionen zu verhandeln, sofern alle Stützungsmaßnahmen dieser Art gleichbehandelt werden. Dazu gehören u. a. die Praxis der Vergabe von staatlichen Ausfuhrkrediten, die Aktivitäten von Staatshandelsunternehmen und Regelungen bei der Bereitstellung von Nahrungsmittelhilfe. § Was die Lebensmittelsicherheit und die Lebensmittelqualität anbelangt, soll nach Lösungen gesucht werden, die einerseits den Verbrauchern die Gewissheit geben, dass 1 1) Maßnahmen, die keine oder nur geringe Handelsverzerrungen oder Auswirkungen auf die Produktion zur Folge haben (z.B.: Agrarumweltprogramme, Strukturanpassungshilfen, produktionsentkoppelte Einkommensstützung). Unterliegen keiner Abbaupflicht. 2) Direkte Einkommensbeihilfen im Rahmen von Erzeugungsbeschränkungsprogrammen (Tier- und Flächenprämien aus der Agrarreform 1992), teilweise produktionsentkoppelt mit geringer handelsverzerrender Wirkung: Unterliegen deshalb keiner Abbaupflicht. - 183 -
die WTO auch in Zukunft nicht dazu missbraucht wird, den Zugang von Erzeugnissen zum Markt zu erzwingen, bei deren Sicherheit berechtigte Zweifel bestehen. Andererseits ist der EU zu ermöglichen, für ein angemessenes Schutzniveau zu sorgen. Unbeschadet der Bestimmungen des Streitschlichtungsverfahrens wäre es zweckmäßig, eine deutlichere allgemeine Anerkennung des Vorsorgeprinzips zu erreichen. Dem Verbraucherschutz kann auch durch die Weiterentwicklung der Kennzeichnungs- regelungen entsprochen werden. § Aus Gründen des fairen Wettbewerbs soll die Berücksichtigung der Vorschriften über das Wohlbefinden der Tiere auf internationaler Ebene einen Fixpunkt bei den Verhandlungen darstellen. § Die tief greifenden Auswirkungen, welche die Erweiterung der EU auf die europäische Landwirtschaft haben wird, und der damit verbundene Beitrag der EU zur Stabilisierung und Entwicklung der Weltmärkte sollen bei den WTO-Folgeverhandlungen angemessen berücksichtigt werden. § Die EU unterstützt mit Nachdruck das Ziel einer umfassenden WTO- Verhandlungsrunde. Substanzielle und ausgewogene Ergebnisse zum Nutzen aller WTO-Mitglieder können nur in einem umfassenden Ansatz erreicht werden. 10.2 Erweiterung der Europäischen Union Mit der Erweiterung der EU um die Mittel- und Osteuropäischen Länder (MOEL) sowie um die Mittelmeerinseln Zypern und Malta wird das bedeutende Vorhaben einer Vereinigung aller europäischer Staaten nach jahrzehntelanger Trennung wieder in greifbare Nähe gerückt. Schon seit alters her standen die Menschen Europas in engem wirtschaftlichen und kulturellen Kontakt und erst die großen Zäsuren des 20. Jahrhunderts hatten mit unerahnter Härte eine Trennungslinie quer durch den Kontinent gezogen. Zehn Jahre nach dem Ende der aufgezwungenen Trennung ist es nun an der Zeit, die alten Verbindungen in eine neue Form der Gemeinschaft zu kleiden. Sowohl aus diesen als auch aus wirtschaftlichen und politischen Gründen hat der Rat der Erweiterung der EU hohe politische Priorität beigemessen. Im Jahr 1993 definierten die Mitgliedstaaten auf dem Europäischen Rat von Kopenhagen Kriterien als Voraussetzung für eine Aufnahme eines beitrittswilligen Landes zur Gemeinschaft. Diese Mitgliedschaftskriterien umfassen drei Bereiche: § Stabilität der Institutionen, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte sowie Achtung und Schutz von Minderheiten garantieren; § Die Existenz einer funktionierenden Marktwirtschaft, die dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften in der Union standhält; § Fähigkeit zur Übernahme der Pflichten der Mitgliedschaft, einschließlich dem Einverständnis mit den Zielen der Politischen Union sowie der Wirtschafts- und Währungsunion. - 184 -
Insgesamt haben sich 13 Staaten um eine Aufnahme in die EU beworben. Mit Ausnahme der Türkei, die erst 1999 beim Gipfel in Helsinki als Beitrittsbewerber anerkannt wurde, werden bereits mit allen anderen Staaten Beitrittsverhandlungen geführt. Wie aus der nachfolgenden Tabelle ersichtlich, spielt die Landwirtschaft für die Wirtschaft und Politik aller 13 Beitrittsbewerber eine wichtige Rolle. Da die Landwirtschaft auch von den derzeitigen EU- Mitgliedsstaaten als besonders sensibler Bereich gesehen wird, wurde dem Kapitel Landwirtschaft in den Verhandlungen Vorrang eingeräumt. Bisher konnte jedoch noch mit keinem Beitrittsbewerber das Verhandlungskapitel Landwirtschaft abgeschlossen werden. Der Abschluss der Verhandlungen über die Landwirtschaft ist bis zum Ende des ersten Halbjahres 2002 vorgesehen. Voraussagen über den genauen Zeitpunkt, an dem die ersten Beitrittswerber in die EU aufgenommen werden und welche bzw. wie viele Staaten bei der sogenannten „Ersten Erweiterungsrunde“ dabei sein werden, können derzeit nicht mit Sicherheit getroffen werden. Noch sind zu viele Unsicherheiten vorhanden und auch innerhalb der EU ist die Verunsicherung nach der negativen Volksabstimmung in Irland über den Vertrag von Nizza wieder gewachsen. In nachfolgender Tabelle werden die wichtigsten Strukturdaten der Beitrittsbewerber angeführt. Land Fläche in Bev. in LN in Anteil der Agrarquote Getreideprod Fleischprod. Milchprod. in 2 km 1.000 1.000 ha LW am BIP in 1.000 t in 1.000 t 1.000 t Polen 312.685 38.670 18.443 4,8 19,1 25.753 2.920 12.340 Tschechien 78.866 10.290 4.280 4,5 5,5 7.116 769 2.750 Ungarn 93.030 10.100 6.195 7,0 7,5 10.738 1.036 2.090 Slowenien 20.253 1.980 792 4,2 6,0 467 166 600 Estland 45.227 1.450 1.433 6,2 9,4 440 58 660 Zypern 9.251 747 142 4,6 9,9 - - - Lettland 64.589 2.450 2.508 4,7 18,8 787 62 950 Bulgarien 110.994 8.280 6.203 21,1 25,7 4.930 386 1.640 Litauen 65.301 3.700 3.151 10,1 21,0 2.112 200 1.820 Rumänien 238.391 22.510 17.037 17,6 40,0 17.037 1.088 5.170 Slowakei 49.034 5.390 2.443 4,9 8,2 2.829 356 1.110 Malta 315,6 375 11 2,8 1,9 - - - Türkei 774.820 64.479 41.488 14,3 41,8 26.557 1.385 8.800 Österreich 83.900 8.078 3.415 1,4 4,2 4.806 866 3.349 In den MOEL werden mittels dreier gemeinschaftlicher Finanzierungsinstrumente (PHARE, ISPA und Sapard) für einen Beitritt erforderliche Anpassungen an die EU unterstützt. Im Rahmen dieser Heranführungsbeihilfen sind für den Zeitraum 2000 – 2006 jährlich insgesamt 3,12 Mrd. EURO bereitgestellt. § Mit dem Gemeinschaftsprogramm Sapard soll den Bewerberländern geholfen werden, das Gemeinschaftsrecht im Bereich der GAP und der Entwicklung des ländlichen Raumes - 185 -
anzuwenden und länderspezifische Probleme zu beseitigen. Jährlich stehen 529 Mio. € zur Verfügung. § Das 1990 erstmals aufgelegte Gemeinschaftsprogramm PHARE ist noch immer das wichtigste Instrument für die finanzielle und technische Hilfe zugunsten der MOEL. Mit Mitteln in Höhe von 1,5 Mrd. € jährlich konzentriert sich PHARE auf die beiden Bereiche Verwaltungsaufbau und Investitionsförderung. § Mit dem strukturpolitischen Instrument zur Vorbereitung auf den Beitritt ISPA werden wichtige Infrastrukturprojekte in den Bereichen Umwelt und Verkehr mit einem Jahresbudget von durchschnittlich 1,04 Mrd. € unterstützt. Ein Ausblick in die Zeit nach vollzogener Ost-Erweiterung: Am Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa (IAMO) wurden im Jahr 2001 Simulationen mit partialen Gleichgewichtsmodellen durchgeführt, um die Effekte des EU- Beitritts der MOEL auf Produktion und Nachfrage von bzw. nach Agrargütern und auf den Nettohandel in diesen Ländern zu untersuchen. Weiters wurde die Wettbewerbsfähigkeit der MOEL im Agrarsektor im Vergleich zu den EU-15 analysiert. Einige Ergebnisse dieser Studie werden im Folgenden vorgestellt, um die möglichen Auswirkungen eines Beitritts der 10 Mittel- und Osteuropäischen Länder auf den Agrarsektor zu veranschaulichen. In der folgenden Übersichtstabelle wird die Wettbewerbsfähigkeit der MOEL im Agrarsektor im Vergleich zur EU, basierend auf dem Zeitraum 1995-1999, dargestellt. BG EST LV LT PL RO SK SLO CZ H Getreide + - ~ - - +Ý + ++ - -- - ++ Obst und + - -ß +-ß +-ß -ß - - - + Gemüse Milch +- +- +ß + +- - + ++ +- Ý + Tiere und + ß +- - + ++ ++ +~ - + ++ß Fleisch Zeichenerklärung: + (+) : (starker) Wettbewerbsvorteil - (-): (starker) Wettbewerbsnachteil + -: weder Wettbewerbsvorteil noch –nachteil ~: uneinheitliche Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit Ý: steigende Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit ß: sinkende Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit Im Vergleich verfügen die Agrarsektoren Bulgariens, Litauens, Polens, Ungarns und teilweise Rumäniens über Wettbewerbsvorteile auf den internationalen Märkten gegenüber den EU-15. Alle anderen MOEL (Estland, Lettland, Rumänien, Slowakei, Slowenien und Tschechische Republik) weisen relativ zu ihren Konkurrenten in der EU Wettbewerbsnachteile bei den - 186 -
Agrargütern auf den internationalen Märkten auf. Dieser ist am höchsten in Lettland und hat im Zeitraum 1995-1999 fast kontinuierlich zugenommen. In folgender Tabelle ist die prozentuale Änderung der Produktions- und Nachfragemengen sowie die absolute Veränderung der Nettoexporte der MOEL als Folge eines EU-Beitritts ersichtlich. Die Ergebnisse basieren auf Analysen, welche die im Jahr 2007 in den MOEL realisierten Angebots- und Nachfragemengen ohne Beitritt bei gleichzeitiger Weiterführung der 1997 geltenden nationalen Agrarpolitiken vergleichen (Referenzszenario): Änderung der Änderung der Änderung der Produktion der EU- Produktion Nachfrage Nettoexporte 15 im Jahr 1999 in % in % in 1.000 t in 1.000 t Weizen -7,2 3,6 -3.753 97.581 Grobgetreide -1,2 -0,2 297 103.874 Kartoffeln -3,4 4,0 -645 52.001 Ölsaaten -0,8 0,3 -49 11.369 Zucker -4,2 -12,6 286 17.922 Gemüse -0,5 4,1 -539 53.688* Milch -4,1 -16,9 3.568 122.193 Rindfleisch 27,1 -33,0 710 7.682 Schweinefleisch -5,1 8,5 -587 18.020 Eier -0,5 14,1 -210 5.344 Geflügel -15,8 29,9 -805 8.797 * 1997 Die Ergebnisse der Tabelle deuten darauf hin, dass die Übertragung der GAP nach der Reform der Agenda 2000 auf die MOEL nicht zu dem häufig befürchteten erheblichen Produktionsanstieg in diesen Ländern führen wird. Bei Rindfleisch jedoch ist mit einer markanten Zunahme der Produktion um 27 % zu rechnen. Bei den meisten im Modell berücksichtigten Produkten kommt es dagegen zu keiner Angebotsausdehnung bzw. zu einem leichten Produktionsrückgang. Im Getreide- und Ölsaatenbereich ist dies mit der bereits erfolgten weitgehenden Preisangleichung zwischen den MOEL und der EU auf diesen Märkten sowie der Übertragung der EU-Stillegungsverpflichtung auf die Beitrittsländer zu erklären. Auch die bedeutende Preiserhöhung bei Milch und Zucker um etwa 60 % hat keine Produktionsausweitung zur Folge, da das in der EU auf diesen Märkten etablierte Quotensystem nach dem Beitritt auch in den MOEL Anwendung findet. Auf der Nachfrageseite machen sich die höheren Preise für Milch und Zucker jedoch durch einen starken Rückgang des Konsums um 16,9 % und 12,6 % bemerkbar. Nach den Modellrechnungen ist eine geringere Erzeugung insbesondere von Geflügelfleisch (-15,8 %), aber auch von Schweinefleisch (-5,1 %) sowie Eiern (-0,5 %) zu erwarten, da die Preise dieser drei Produkte relativ zu denen der anderen Erzeugnisse der Beitrittsländer sinken. Mit Ausnahme der Quotenprodukte Milch und Zucker kann man auf Seiten der Nachfrage eine zum Angebot spiegelbildliche Entwicklung beobachten, d. h. die Güter, bei denen ein Anstieg der Produktion zu beobachten ist, weisen in der Regel einen Nachfragerückgang auf. - 187 -
Aus den aufgezeigten Angebots- und Nachfragereaktionen in den MOEL ergeben sich die in der letzten Spalte der Tabelle aufgezeigten Veränderungen des Nettohandels. Trotz des Rückgangs der Nettoexporte an Weizen behaupten die MOEL bei diesem Produkt ihren positiven Handelsstatus. Bei Grobgetreide, Milch und Rindfleisch können diese Länder ihre Nettoexportposition weiter ausbauen und bei Zucker gelingt ihnen sogar ein Handelsstatuswechsel. Demgegenüber erhöhen sich die Nettoimporte von Ölsaaten, Gemüse, Eiern und Geflügel. Bei Schweinefleisch entwickeln sich die MOEL von einer Nettoexport- zu einer Nettoimportregion. Aus der Vorstellung dieses Szenarios einer Auswirkung des EU-Beitritts der MOEL wird deutlich, wie schwierig es ist, sichere Voraussagen über die tatsächlichen Veränderungen nach einem Beitritt dieser Länder zu treffen. In Analysen bleiben immer viele mögliche Einflussfaktoren ausgeklammert und gänzlich unvorhersehbar ist die Entwicklung der äußeren wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen in der EU und den MOEL, auch wenn mit dem auf dem Berliner Gipfel 1999 festgelegten finanziellen Rahmen der Agenda 2000 für die EU einige Sicherheit gegeben ist. - 188 -
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