SONDERKAPITEL 10.1 WTO-Agrarabkommen und europäische Landwirtschaft

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10. SONDERKAPITEL

10.1 WTO-Agrarabkommen und europäische Landwirtschaft

Die zunehmende Liberalisierung des Welthandels ist eine der treibenden Kräfte für das
Wachstum der Weltwirtschaft in den letzten Jahrzehnten gewesen. Seit dem Ende des zweiten
Weltkrieges wurden in immer neuen Runden internationale Verhandlungen geführt, um das
Welthandelssystem weiterzuentwickeln. Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichten diese
Bemühungen mit dem Abschluss der sogenannten Uruguay-Runde (1986-1994) durch die
Unterzeichnung der Schlussakte von Marrakesch (Marokko) am 15. April 1994. Damit konnte
zum 1. Januar 1995 das Übereinkommen zur Errichtung einer Welthandelsorganisation (WTO
– „World Trade Organisation”) in Kraft treten, welches einen Ordnungsrahmen für ein
weltweites Handelssystem darstellt.
Damals wurde die Landwirtschaft erstmals umfassend in das multilaterale Handelssystem
einbezogen. Damit wurde ein grundlegender Reformprozess eingeleitet, der nach Artikel 20
des WTO-Agrarübereinkommens ab Ende 1999 durch die Aufnahme weiterer Verhandlungen
in der WTO fortgesetzt werden soll.
Mit der 3. WTO-Ministerkonferenz in Seattle (USA) im November/Dezember 1999 sollte der
Startschuss fallen für eine neue umfassende multilaterale Runde von Verhandlungen über
weitere Handelsliberalisierungen. Dies ist nicht gelungen; die Konferenz wurde ergebnislos
unterbrochen. Gleichwohl wurden auf Grund der abkommensinternen Regelungen im Jahr
2000 in verschiedenen Bereichen wie Dienstleistungen und Landwirtschaft die Verhandlungen
sektoral aufgenommen.

Freier Handel führt grundsätzlich zu einem Wohlstandsgewinn. Diese Erkenntnis liegt den
Bemühungen zu Grunde, ein freies multilaterales Welthandelssystem zu schaffen. Begründet
wird diese Erkenntnis durch die Theorie der komparativen Vorteile. Nach dieser Theorie
können alle Staaten ein Höchstmaß an Nutzen dadurch erzielen, dass sich die einzelnen
Staaten auf die Produktion der Güter spezialisieren, die sie am besten, d. h. am
kostengünstigsten, herstellen können und diese Produkte dann untereinander frei handeln
(optimale Ressourcennutzung durch internationale Arbeitsteilung).
Dementsprechend liegt die wichtigste Aufgabe der internationalen Handelspolitik darin, die
Rahmenbedingungen für einen freien Welthandel zu schaffen. Welche Bedeutung der
Welthandel auch für die EU im Agrarbereich hat, lässt sich daran erkennen, dass die
Gemeinschaft wertmäßig 1998 der bedeutendste Importeur von agrarischen Gütern war. Bei
den Exporten belegte sie hinter den Vereinigten Staaten den zweiten Platz.

Bis zur Gründung der WTO wurden die multilateralen Rahmenbedingungen für den
Welthandel in erster Linie im Rahmen des 1948 ins Leben gerufenen Allgemeinen Zoll- und
Handelsabkommen GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) verhandelt. In
insgesamt acht GATT-Verhandlungsrunden wurden schrittweise die Rahmenbedingungen für
den Welthandel festgelegt.

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In der Uruguay-Runde wurde die Landwirtschaft durch das WTO-Agrarübereinkommen
erstmals umfassend in das multilaterale Handelssystem integriert. Die wichtigsten
Verpflichtungen, die sich aus dem Agrarübereinkommen der Uruguay-Runde für die EU
ergeben, wurden im letzten Bericht in aller Kürze dargestellt.

Die Position der Europäischen Union in den WTO-Verhandlungen:

Der Rat der Europäischen Union hat sich im September und Oktober 1999 auf eine
gemeinsame Linie für die anstehenden WTO-Verhandlungen geeinigt. In diesen
Schlussfolgerungen wird betont, dass es angesichts des multifunktionalen Charakters der
europäischen Landwirtschaft und der Rolle, welche die Landwirtschaft für Wirtschaft,
Umwelt sowie Gesellschaft spielt, von grundlegender Bedeutung sei, die Zukunft des
europäischen Modells der Landwirtschaft als Wirtschaftssektor und als Grundlage für eine
nachhaltige Entwicklung zu sichern. Die Schlussfolgerungen des Rates werden für die
folgenden WTO-Verhandlungsrunden in Form von Verhandlungsvorschlägen modifiziert
vorgelegt (siehe EU-Verhandlungsvorschlag vom 20. und 21. November 2000) und enthalten
im Wesentlichen folgende Elemente:

    § Die Bedeutung der weiteren Liberalisierung des Handels mit landwirtschaftlichen
    Erzeugnissen und der Ausweitung dieses Handels als Beitrag zu einem stetigen und
    nachhaltigen Wirtschaftswachstum wird anerkannt.

    § Das europäische Landwirtschaftsmodell mit seinem multifunktionalen Charakter soll
    weiterentwickelt und abgesichert werden. Die europäische Landwirtschaft muss
    multifunktional, nachhaltig, wettbewerbsfähig und flächendeckend sein. Sie muss in der
    Lage sein, die Landschaft zu pflegen, die Naturräume zu erhalten und einen wesentlichen
    Beitrag zur Wirtschaftskraft des ländlichen Raums zu leisten. Ferner muss sie den Anliegen
    und Anforderungen der Verbraucher in Bezug auf die Qualität und die Sicherheit der
    Lebensmittel sowie dem Umweltschutz und dem Tierschutz gerecht werden.

    § Gemäß den Festlegungen des Europäischen Rates von Berlin sind die im Rahmen der
    Agenda 2000 gefassten Beschlüsse zur Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik wesentliche
    Elemente für den Standpunkt der EU bei den künftigen multilateralen WTO-
    Verhandlungsrunden.

    § Die Tatsache, dass die Verhandlungen auf der Basis von Artikel 20 des
    Agrarübereinkommens geführt werden, bedeutet aus europäischer Sicht, dass das
    langfristige Ziel einer schrittweisen wesentlichen Senkung der Stützungs- und
    Schutzmaßnahmen ein kontinuierlicher Prozess ist. Bei diesem Prozess sind auch weitere
    Aspekte zu berücksichtigen, insbesondere die bisherigen Erfahrungen bei der Durchführung
    der Senkungsverpflichtungen, die Auswirkungen der Senkungsverpflichtungen auf den
    Weltagrarhandel sowie nicht handelsbezogene Anliegen. Hierzu zählen z.B. die besondere
    und differenzierte Behandlung der Entwicklungsländer und das Ziel, ein gerechtes und
    marktorientiertes System für den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen einzuführen.

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§ Die Verhandlungen sollen offensiv angegangen werden. Es ist dafür Sorge zu tragen,
     dass die Liberalisierung der Märkte sich in einen Rahmen einfügt, der bewirkt, dass die für
     die europäischen Landwirte und Agrarerzeugnisse geltenden Auflagen international
     anerkannt werden und der Grundsatz der Gemeinschaftspräferenz nicht in Frage gestellt
     wird.

Ausgehend von diesen Überlegungen verfolgt die EU im Agrarsektor folgende Hauptziele:

     §   Bei der Verbesserung des Marktzugangs muss darauf geachtet werden, dass die EU als
         wichtiger Lebensmittelexporteur ihren Anteil an der erwarteten Ausweitung des
         Weltagrarhandels sichert. Ein weiterer Zollabbau soll wie bisher die unterschiedlichen
         Sensibilitäten der einzelnen Produktbereiche berücksichtigen. In diesem Zusammenhang
         soll auch eine Verbesserung des Schutzes geografischer Herkunftsbezeichnungen
         erreicht werden.

     §   Die „Friedensklausel” und die „Besondere Schutzklausel” haben sich bei der Umsetzung
         der Uruguay-Runde als nützliche Instrumente erwiesen und sollen verlängert bzw.
         fortgeschrieben werden.

     §   Die EU ist bereit, über eine Senkung der Stützung zu verhandeln, sofern insbesondere
         die Konzepte der „blue box”1 und der „green box”2 weitergeführt werden.

     §   Im Ergebnis der Verhandlungen muss ein Gleichgewicht zwischen Handelsfragen und
         nicht handelsbezogenen Anliegen erreicht werden. Die multifunktionale Rolle der
         Landwirtschaft einschließlich des Umweltschutzes, der Lebensmittelsicherheit und der
         Lebensmittelqualität sowie des Tierschutzes sind abzusichern. In diesem
         Zusammenhang sollen Direktbeihilfen, die keine oder nur geringe Auswirkungen auf
         den Handel haben („green box”), eine wichtige Rolle spielen.

     §   Es besteht die Bereitschaft, über eine weitere Senkung der Ausfuhrsubventionen zu
         verhandeln, sofern alle Stützungsmaßnahmen dieser Art gleichbehandelt werden. Dazu
         gehören u. a. die Praxis der Vergabe von staatlichen Ausfuhrkrediten, die Aktivitäten
         von Staatshandelsunternehmen und Regelungen bei der Bereitstellung von
         Nahrungsmittelhilfe.

     §   Was die Lebensmittelsicherheit und die Lebensmittelqualität anbelangt, soll nach
         Lösungen gesucht werden, die einerseits den Verbrauchern die Gewissheit geben, dass

         1
1)        Maßnahmen, die keine oder nur geringe Handelsverzerrungen oder Auswirkungen auf die Produktion
         zur Folge haben (z.B.: Agrarumweltprogramme, Strukturanpassungshilfen, produktionsentkoppelte
         Einkommensstützung). Unterliegen keiner Abbaupflicht.

2)       Direkte Einkommensbeihilfen im Rahmen von Erzeugungsbeschränkungsprogrammen (Tier- und
         Flächenprämien aus der Agrarreform 1992), teilweise produktionsentkoppelt mit geringer
         handelsverzerrender Wirkung: Unterliegen deshalb keiner Abbaupflicht.

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die WTO auch in Zukunft nicht dazu missbraucht wird, den Zugang von Erzeugnissen
          zum Markt zu erzwingen, bei deren Sicherheit berechtigte Zweifel bestehen.
          Andererseits ist der EU zu ermöglichen, für ein angemessenes Schutzniveau zu sorgen.
          Unbeschadet der Bestimmungen des Streitschlichtungsverfahrens wäre es zweckmäßig,
          eine deutlichere allgemeine Anerkennung des Vorsorgeprinzips zu erreichen. Dem
          Verbraucherschutz kann auch durch die Weiterentwicklung der Kennzeichnungs-
          regelungen entsprochen werden.

    §     Aus Gründen des fairen Wettbewerbs soll die Berücksichtigung der Vorschriften über
          das Wohlbefinden der Tiere auf internationaler Ebene einen Fixpunkt bei den
          Verhandlungen darstellen.

    §     Die tief greifenden Auswirkungen, welche die Erweiterung der EU auf die europäische
          Landwirtschaft haben wird, und der damit verbundene Beitrag der EU zur Stabilisierung
          und Entwicklung der Weltmärkte sollen bei den WTO-Folgeverhandlungen angemessen
          berücksichtigt werden.

    §     Die EU unterstützt mit Nachdruck das Ziel einer umfassenden WTO-
          Verhandlungsrunde. Substanzielle und ausgewogene Ergebnisse zum Nutzen aller
          WTO-Mitglieder können nur in einem umfassenden Ansatz erreicht werden.

10.2 Erweiterung der Europäischen Union

Mit der Erweiterung der EU um die Mittel- und Osteuropäischen Länder (MOEL) sowie um
die Mittelmeerinseln Zypern und Malta wird das bedeutende Vorhaben einer Vereinigung
aller europäischer Staaten nach jahrzehntelanger Trennung wieder in greifbare Nähe gerückt.
Schon seit alters her standen die Menschen Europas in engem wirtschaftlichen und kulturellen
Kontakt und erst die großen Zäsuren des 20. Jahrhunderts hatten mit unerahnter Härte eine
Trennungslinie quer durch den Kontinent gezogen. Zehn Jahre nach dem Ende der
aufgezwungenen Trennung ist es nun an der Zeit, die alten Verbindungen in eine neue Form
der Gemeinschaft zu kleiden. Sowohl aus diesen als auch aus wirtschaftlichen und politischen
Gründen hat der Rat der Erweiterung der EU hohe politische Priorität beigemessen.

Im Jahr 1993 definierten die Mitgliedstaaten auf dem Europäischen Rat von Kopenhagen
Kriterien als Voraussetzung für eine Aufnahme eines beitrittswilligen Landes zur
Gemeinschaft. Diese Mitgliedschaftskriterien umfassen drei Bereiche:

          §   Stabilität der Institutionen, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte
              sowie Achtung und Schutz von Minderheiten garantieren;
          §   Die Existenz einer funktionierenden Marktwirtschaft, die dem Wettbewerbsdruck
              und den Marktkräften in der Union standhält;
          §   Fähigkeit zur Übernahme der Pflichten der Mitgliedschaft, einschließlich dem
              Einverständnis mit den Zielen der Politischen Union sowie der Wirtschafts- und
              Währungsunion.

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Insgesamt haben sich 13 Staaten um eine Aufnahme in die EU beworben. Mit Ausnahme der
Türkei, die erst 1999 beim Gipfel in Helsinki als Beitrittsbewerber anerkannt wurde, werden
bereits mit allen anderen Staaten Beitrittsverhandlungen geführt. Wie aus der nachfolgenden
Tabelle ersichtlich, spielt die Landwirtschaft für die Wirtschaft und Politik aller 13
Beitrittsbewerber eine wichtige Rolle. Da die Landwirtschaft auch von den derzeitigen EU-
Mitgliedsstaaten als besonders sensibler Bereich gesehen wird, wurde dem Kapitel
Landwirtschaft in den Verhandlungen Vorrang eingeräumt. Bisher konnte jedoch noch mit
keinem Beitrittsbewerber das Verhandlungskapitel Landwirtschaft abgeschlossen werden. Der
Abschluss der Verhandlungen über die Landwirtschaft ist bis zum Ende des ersten Halbjahres
2002 vorgesehen. Voraussagen über den genauen Zeitpunkt, an dem die ersten Beitrittswerber
in die EU aufgenommen werden und welche bzw. wie viele Staaten bei der sogenannten
„Ersten Erweiterungsrunde“ dabei sein werden, können derzeit nicht mit Sicherheit getroffen
werden. Noch sind zu viele Unsicherheiten vorhanden und auch innerhalb der EU ist die
Verunsicherung nach der negativen Volksabstimmung in Irland über den Vertrag von Nizza
wieder gewachsen.
In nachfolgender Tabelle werden die wichtigsten Strukturdaten der Beitrittsbewerber
angeführt.

Land         Fläche in   Bev. in    LN in     Anteil der   Agrarquote   Getreideprod   Fleischprod.   Milchprod. in
                  2
               km        1.000     1.000 ha   LW am BIP                  in 1.000 t     in 1.000 t       1.000 t
Polen        312.685     38.670    18.443        4,8         19,1         25.753         2.920          12.340
Tschechien   78.866      10.290     4.280        4,5          5,5          7.116           769           2.750
Ungarn       93.030      10.100     6.195        7,0          7,5         10.738         1.036           2.090
Slowenien    20.253      1.980       792         4,2          6,0           467            166            600
Estland      45.227      1.450      1.433        6,2          9,4           440            58             660
Zypern        9.251       747        142         4,6          9,9            -              -               -
Lettland     64.589      2.450      2.508        4,7         18,8           787            62             950
Bulgarien    110.994     8.280      6.203       21,1         25,7          4.930           386           1.640
Litauen      65.301      3.700      3.151       10,1         21,0          2.112           200           1.820
Rumänien     238.391     22.510    17.037       17,6         40,0         17.037         1.088           5.170
Slowakei     49.034      5.390      2.443        4,9          8,2          2.829           356           1.110
Malta         315,6       375        11          2,8          1,9            -              -               -
Türkei       774.820     64.479    41.488       14,3         41,8         26.557         1.385           8.800
Österreich   83.900      8.078      3.415        1,4          4,2          4.806           866           3.349

In den MOEL werden mittels dreier gemeinschaftlicher Finanzierungsinstrumente (PHARE,
ISPA und Sapard) für einen Beitritt erforderliche Anpassungen an die EU unterstützt. Im
Rahmen dieser Heranführungsbeihilfen sind für den Zeitraum 2000 – 2006 jährlich insgesamt
3,12 Mrd. EURO bereitgestellt.

§   Mit dem Gemeinschaftsprogramm Sapard soll den Bewerberländern geholfen werden,
    das Gemeinschaftsrecht im Bereich der GAP und der Entwicklung des ländlichen Raumes

                                                                                                          - 185 -
anzuwenden und länderspezifische Probleme zu beseitigen. Jährlich stehen 529 Mio. € zur
    Verfügung.
§   Das 1990 erstmals aufgelegte Gemeinschaftsprogramm PHARE ist noch immer das
    wichtigste Instrument für die finanzielle und technische Hilfe zugunsten der MOEL. Mit
    Mitteln in Höhe von 1,5 Mrd. € jährlich konzentriert sich PHARE auf die beiden Bereiche
    Verwaltungsaufbau und Investitionsförderung.
§   Mit dem strukturpolitischen Instrument zur Vorbereitung auf den Beitritt ISPA werden
    wichtige Infrastrukturprojekte in den Bereichen Umwelt und Verkehr mit einem
    Jahresbudget von durchschnittlich 1,04 Mrd. € unterstützt.

Ein Ausblick in die Zeit nach vollzogener Ost-Erweiterung:

Am Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa (IAMO) wurden im Jahr 2001
Simulationen mit partialen Gleichgewichtsmodellen durchgeführt, um die Effekte des EU-
Beitritts der MOEL auf Produktion und Nachfrage von bzw. nach Agrargütern und auf den
Nettohandel in diesen Ländern zu untersuchen. Weiters wurde die Wettbewerbsfähigkeit der
MOEL im Agrarsektor im Vergleich zu den EU-15 analysiert. Einige Ergebnisse dieser Studie
werden im Folgenden vorgestellt, um die möglichen Auswirkungen eines Beitritts der 10
Mittel- und Osteuropäischen Länder auf den Agrarsektor zu veranschaulichen.

In der folgenden Übersichtstabelle wird die Wettbewerbsfähigkeit der MOEL im Agrarsektor
im Vergleich zur EU, basierend auf dem Zeitraum 1995-1999, dargestellt.

              BG EST         LV      LT     PL     RO       SK      SLO      CZ      H
Getreide + - ~        -       -      +Ý      +     ++        -       --       -      ++
Obst und +            -      -ß      +-ß   +-ß      -ß       -       -        -      +
Gemüse
Milch         +-     +-      +ß       +     +-       -      +        ++      +- Ý     +
Tiere und + ß        +-       -       +    ++      ++       +~        -       +      ++ß
Fleisch
Zeichenerklärung:
+ (+) : (starker) Wettbewerbsvorteil
- (-): (starker) Wettbewerbsnachteil
+ -: weder Wettbewerbsvorteil noch –nachteil
~: uneinheitliche Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit
Ý: steigende Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit
ß: sinkende Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit

Im Vergleich verfügen die Agrarsektoren Bulgariens, Litauens, Polens, Ungarns und teilweise
Rumäniens über Wettbewerbsvorteile auf den internationalen Märkten gegenüber den EU-15.
Alle anderen MOEL (Estland, Lettland, Rumänien, Slowakei, Slowenien und Tschechische
Republik) weisen relativ zu ihren Konkurrenten in der EU Wettbewerbsnachteile bei den

- 186 -
Agrargütern auf den internationalen Märkten auf. Dieser ist am höchsten in Lettland und hat
im Zeitraum 1995-1999 fast kontinuierlich zugenommen.

In folgender Tabelle ist die prozentuale Änderung der Produktions- und Nachfragemengen
sowie die absolute Veränderung der Nettoexporte der MOEL als Folge eines EU-Beitritts
ersichtlich. Die Ergebnisse basieren auf Analysen, welche die im Jahr 2007 in den MOEL
realisierten Angebots- und Nachfragemengen ohne Beitritt bei gleichzeitiger Weiterführung
der 1997 geltenden nationalen Agrarpolitiken vergleichen (Referenzszenario):

                     Änderung der       Änderung der      Änderung der     Produktion der EU-
                      Produktion         Nachfrage        Nettoexporte      15 im Jahr 1999
                         in %              in %            in 1.000 t          in 1.000 t
Weizen                    -7,2              3,6              -3.753              97.581
Grobgetreide              -1,2              -0,2               297              103.874
Kartoffeln                -3,4              4,0               -645               52.001
Ölsaaten                  -0,8              0,3                -49               11.369
Zucker                    -4,2             -12,6               286               17.922
Gemüse                    -0,5              4,1               -539              53.688*
Milch                     -4,1             -16,9             3.568              122.193
Rindfleisch              27,1              -33,0               710                7.682
Schweinefleisch           -5,1              8,5               -587               18.020
Eier                      -0,5             14,1               -210                5.344
Geflügel                 -15,8             29,9               -805                8.797
* 1997

Die Ergebnisse der Tabelle deuten darauf hin, dass die Übertragung der GAP nach der Reform
der Agenda 2000 auf die MOEL nicht zu dem häufig befürchteten erheblichen
Produktionsanstieg in diesen Ländern führen wird. Bei Rindfleisch jedoch ist mit einer
markanten Zunahme der Produktion um 27 % zu rechnen. Bei den meisten im Modell
berücksichtigten Produkten kommt es dagegen zu keiner Angebotsausdehnung bzw. zu einem
leichten Produktionsrückgang. Im Getreide- und Ölsaatenbereich ist dies mit der bereits
erfolgten weitgehenden Preisangleichung zwischen den MOEL und der EU auf diesen
Märkten sowie der Übertragung der EU-Stillegungsverpflichtung auf die Beitrittsländer zu
erklären. Auch die bedeutende Preiserhöhung bei Milch und Zucker um etwa 60 % hat keine
Produktionsausweitung zur Folge, da das in der EU auf diesen Märkten etablierte
Quotensystem nach dem Beitritt auch in den MOEL Anwendung findet. Auf der
Nachfrageseite machen sich die höheren Preise für Milch und Zucker jedoch durch einen
starken Rückgang des Konsums um 16,9 % und 12,6 % bemerkbar. Nach den
Modellrechnungen ist eine geringere Erzeugung insbesondere von Geflügelfleisch (-15,8 %),
aber auch von Schweinefleisch (-5,1 %) sowie Eiern (-0,5 %) zu erwarten, da die Preise dieser
drei Produkte relativ zu denen der anderen Erzeugnisse der Beitrittsländer sinken.
Mit Ausnahme der Quotenprodukte Milch und Zucker kann man auf Seiten der Nachfrage
eine zum Angebot spiegelbildliche Entwicklung beobachten, d. h. die Güter, bei denen ein
Anstieg der Produktion zu beobachten ist, weisen in der Regel einen Nachfragerückgang auf.

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Aus den aufgezeigten Angebots- und Nachfragereaktionen in den MOEL ergeben sich die in
der letzten Spalte der Tabelle aufgezeigten Veränderungen des Nettohandels. Trotz des
Rückgangs der Nettoexporte an Weizen behaupten die MOEL bei diesem Produkt ihren
positiven Handelsstatus. Bei Grobgetreide, Milch und Rindfleisch können diese Länder ihre
Nettoexportposition weiter ausbauen und bei Zucker gelingt ihnen sogar ein
Handelsstatuswechsel. Demgegenüber erhöhen sich die Nettoimporte von Ölsaaten, Gemüse,
Eiern und Geflügel. Bei Schweinefleisch entwickeln sich die MOEL von einer Nettoexport-
zu einer Nettoimportregion.

Aus der Vorstellung dieses Szenarios einer Auswirkung des EU-Beitritts der MOEL wird
deutlich, wie schwierig es ist, sichere Voraussagen über die tatsächlichen Veränderungen nach
einem Beitritt dieser Länder zu treffen. In Analysen bleiben immer viele mögliche
Einflussfaktoren ausgeklammert und gänzlich unvorhersehbar ist die Entwicklung der äußeren
wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen in der EU und den MOEL, auch wenn
mit dem auf dem Berliner Gipfel 1999 festgelegten finanziellen Rahmen der Agenda 2000 für
die EU einige Sicherheit gegeben ist.

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