Umschriebene Entwicklungsstörungen - Prof. Dr. med. Michael Günter Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie - Klinikum Stuttgart
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Umschriebene Entwicklungsstörungen Prof. Dr. med. Michael Günter Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Sommersemester 2019
Definition Umschriebene Entwicklungsstörungen Isolierte und umschriebene Funktionsstörungen, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der kindlichen Entwicklung führen, deren Grundlage im Wesentlichen eine Funktionsstörung des Zentralnervensystems ist, die zu einer Störung der Wahrnehmung und/oder Informationsverarbeitung führt, die nicht durch eine allgemeine Intelligenzminderung oder neurologische Störung bedingt sind. Teilleistungsstörungen „Leistungsminderungen einzelner Faktoren oder Glieder innerhalb eines größeren funktionellen Systems, das zur Bewältigung einer komplexen Anpassungsaufgabe erforderlich ist“ (Graichen 1973) (bezieht sich auf Vygotsky und Luria) © Prof. Dr. Michael Günter 2019
Modelle von Funktionsschemata Schematische Darstellung der an der Verarbeitung sprachlicher Elemente beteiligten Funktionsbereiche (nach Lempp) © Prof. Dr. Michael Günter 2019
Einteilung der UE Auditiv-sprachliche UE - ca. 7%, Schulalter - LRS (F81.0) - Dyskalkulie (F81.2) Umschriebene Entwicklungsstörungen des Sprechens und der Sprache - Rezeptive Sprachstörung (F 80.1) - Expressive Sprachstörung (F 80.2) - Sprechstörungen (Stottern, Poltern) (F98.5, F98.6) - Sprachentwicklungsstörungen (Dyslalie, Dysgrammatismus) (F80.0,) © Prof. Dr. Michael Günter 2019
Einteilung der UE Visuo-motorische UE - ca. 5%, Kindergartenalter Umschriebene Entwicklungsstörung der motorischen Funktionen (F82) - spezifische sensomotorische Entwicklungsverzögerung/motorische Ungeschicklichkeit (häufig) Gesamtkörperkoordination, Feinmotorik, Diadochokinese, sequentielle Muster - spezifische dyspraktische Störungen (Apraxie, Dyspraxie) ideomotorische: isolierte Bewegungsabläufe gestört, ideatorische: Bezug zum Objekt gestört (sehr selten) man erkennt das Objekt, aber weiß nicht, wie es praktisch verwendet wird nicht motorische UE: - Agnosie (selten) man erkennt das Objekt nicht © Prof. Dr. Michael Günter 2019
Einteilung der UE Taktil-kinästhetische UE - Raumlagelabiliät - räumliche Orientierung (z.B. Rechts-Links) Bedeutung für LRS - Tiefensensibilität - Körperschemastörung © Prof. Dr. Michael Günter 2019
LRS - Legasthenie Definition - normale Intelligenz, IQ > 70 - Doppeltes Diskrepanzkriterium: - Lese-/Rechtsschreibleistung > 1,5 SA unter Intelligenz - Lese-/Rechtschreibleistung deutlich eingeschränkt gegen Klassennorm (Prozentrang
LRS - Legasthenie Symptome Lesestörung - Auslassungen, Ersetzungen, Verdrehungen, Hinzufügungen von Worten oder Wortteilen - Vertauschen von Buchstaben oder von Wörtern im Satz - niedrige Lesegeschwindigkeit - Startschwierigkeiten beim Vorlesen - Verlieren der Zeile im Text - ungenaues Phrasieren - Schwierigkeiten im sinnentnehmenden Lesen © Prof. Dr. Michael Günter 2019
LRS - Legasthenie Symptome Rechtschreibstörung Rechtschreibfehler - Verdrehungen von Buchstaben (b-d, p-q, u-n) - Reihenfolgefehler, Umstellung der Buchstabenfolge (z.B. Marsuk statt Markus) - Auslassen oder Einfügen von Buchstaben - Regelfehler (Dehnungsfehler, Groß-/Kleinschreibung) - Verwechslung von b-p, d-t, g-k (Wahrnehmungsfehler) - Schreiben nach Lautsprache - Fehlerinkonstanz! 12jähriger Junge mit LRS, der wegen ADHS, oppositionellen und aggressiven Verhaltens in die Klinik eingewiesen wurde. © Prof. Dr. Michael Günter 2019
LRS - Legasthenie Ursachen - Ätiologie - Risikofaktoren - Auditive Verarbeitungsstörungen - Visuelle Verarbeitungsstörungen - Phonologische Bewusstheit, zentrale sprachliche Informationsverarbeitung - Augenfolgebewegungen? - zentrale Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörungen - ??Raumlagelabilität - Sprachentwicklungsverzögerung - soziales Mangelmilieu, Lesesozialisation - sekundäre Aversivreaktionen - Genetische Komponente - Hirnschädigung © Prof. Dr. Michael Günter 2019
Dyskalkulie Symptome - Probleme in den Grundrechenarten - Verständnis, Benennen mathematischer Begriffe, Operationen, Konzepte - Dekodieren von Textaufgaben in mathematische Fragestellungen/Symbole - Erkennen und Lesen von Zahlen, arithmetischen Zeichen - Aufmerksamkeit, „Flüchtigkeitsfehler“ - Ausführen von mathematischen Schrittfolgen, Erlernen des Einmaleins 2 Untertypen - primär ist die Zahlensemantik betroffen, d.h. die Fähigkeit, Zahlen- und Mengenrelationen zu visualisieren und mentale Schemata einfacher Rechenprozeduren zu erzeugen - primär Probleme im sprachlichen und/oder Symbolisierungscharakter (arabischer) Zahlen bzw. in der Merkfähigkeit für Zahlen © Prof. Dr. Michael Günter 2019
F95 Ticstörungen Definition: Ein Tic ist eine unwillkürliche, rasche, wiederholte, nichtrhythmische Bewegung meist umschriebener Muskelgruppen oder eine Lautproduktion, die plötzlich einsetzt und keinem erkennbaren Zweck dient. - als nicht willkürlich beeinflussbar erlebt, sie können jedoch meist für unterschiedlich lange Zeiträume unterdrückt werden. Belastungen können sie verstärken - während des Schlafens verschwinden sie - Häufige einfache motorische Tics sind Blinzeln, Kopfwerfen, Schulterzucken und Grimassieren - Häufige einfache vokale Tics sind z.B. Räuspern, Bellen, Schnüffeln und Zischen - Komplexe Tics sind Sich-selbst-schlagen sowie Springen und Hüpfen. Komplexe vokale Tics sind die Wiederholung bestimmter Wörter und manchmal der Gebrauch sozial unangebrachter, oft obszöner Wörter (Koprolalie) und die Wiederholung eigener Laute oder Wörter (Palilalie). © Prof. Dr. Michael Günter 2019
Phänomenologie der Ticstörungen Einfache Komplexe Einfache vokale Komplexe vokale motorische Tics motorische Tics Tics Tics Naserümpfen Schlagen Nase hochziehen, Pfeifen Grimassieren Kniebeugen Schniefen Echolalie Kopfschütteln Stampfen Räuspern Schreien Schulterrucken Hüpfen Hüsteln Singen Augenblinzeln, Springen Rülpsen Koprolalie Zwinkern Kreisende Grunzen Stirnrunzeln Bewegungen Bellen Zähneknirschen Echopraxie Schmatzen © Prof. Dr. Michael Günter 2019
Einteilung der Ticstörungen Beginn Dauer Symptome Verlauf Vorübergehende Vor dem Mind. 4 Wo bis Einzelne oder komplexe muskuläre Fluktuierend, Ticstörung (F95.0) 18. LJ max. 1 Jahr und/oder vokale Tics Tägl. Auftreten, häufig Chronisch-motorische Vor dem Länger als 1 Multiple motorische und/oder vokale Tics treten mehrmals täglich oder vokale Tic- 18. LJ Jahr Tics (getrennt oder gemeinsam auf oder intermittierend über Störung (F95.1) auftretend mehr als 1 Jahr Gilles-de-la-Tourette- 2.-18. LJ Viele Jahre, Multiple (motorische und) vokale Tics Fluktuierend, in frühen syndrom (F95.2)* häufig bis ins Stadien nicht von chron. Erwachsenen- Multiplen Tics alter unterscheidbar * Heute werden oft schon vokale Tics als Tourette-Syndrom bezeichnet © Prof. Dr. Michael Günter 2019
Komorbidität der Ticstörungen ca. % - ADHS 60 - Zwangsstörung 30 - Störung des Sozialverhaltens 15 - umschriebene Entwicklungsstörungen 25 - Depression 20 - Angststörungen 20 - Selbstverletzendes Verhalten 15 - Stottern 10 - keine 15! © Prof. Dr. Michael Günter 2019
Prof. Dr. med. Michael Günter Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Klinikum Stuttgart Zentrum für Seelische Gesundheit Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin – Olgahospital (kooptiert) Prießnitzweg 24 70374 Stuttgart E-Mail: m.guenter@klinikum-stuttgart.de © 2019 – Prof. Dr. med. Michael Günter
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