Und schon bist du eine Feindin - GEW Hamburg
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Grafik: Jamil Jalla IDENTITÄTSPOLITIK …und schon bist du eine Feindin Über Auseinandersetzungen in einer Partei, die ungewöhnliche Züge trägt und damit stellvertretend für die Diskussion andernorts steht Das Thema Identitätspolitik Jugendkulturen darum, die Zen- waren schon Gläubige erwähnt, wurde in den letzten Wochen in surversuche religiöser oder pa- aber weder Nicht-Gläubige noch den deutschsprachigen Feuille- triarchaler Tyrannen lächerlich Religionsfreie. tons rauf und runter diskutiert zu machen. Heute halten junge Dazu haben wir vier Ände- (s. hierzu auch hlz 3-4/2021, S. Linke antireligiöse Zeichnungen rungsanträge gestellt. Die muss- 47ff). Aber warum geht sie uns für respektlos. Die Bigotten ha- ten wir in einer Rede verteidi- spezifisch als Säkulare Grüne et- ben die Herzen und Hirne junger gen. Das habe ich übernommen was an? Antirassisten erobert.“ und erklärt, warum der Begriff • Weil ihre Vertreter_innen ein Der Berliner Landesarbeits- Nicht-Gläubige diskriminierend universales Weltbild in Frage gemeinschaft „Säkulare Grüne“ ist, insbesondere für Ex-Mus- stellen. und mir persönlich widerfuhr lim_innen, warum die Kategorie • Weil sie die Einhaltung von auf unserer letzten Landesdele- an sich falsch ist und inwiefern Glaubenssätzen einfordern, statt giertenkonferenz etwas, was wir Religionsfreie diskriminiert wer- zu diskutieren. in dieser Form nicht wirklich für den. • Weil sie einen Schutzschild möglich gehalten hatten. Darauf erwiderte die ehemali- über Religionen aufziehen, der Wir wollten, dass im Wahl- ge religionspolitische Sprecherin Kritik schwer macht. programm der Begriff „Nicht- der Grünen im Berliner Abge- •Weil sie uns direkt angreifen. Religiöse“ durch Religionsfreie ordnetenhaus Susanna Kahlefeld Die feministische Philosophin ersetzt wird. Außerdem wollten unter anderem folgendes: Caroline Fourest, Autorin von wir, dass Religionsfreie in der „Religion und Glauben (oder „Generation Beleidigt“, sagte Präambel erwähnt werden: Ne- Nicht-Glauben) gehören zum kürzlich in einem Interview in ben Migrant_innen, Alleinerzie- unverfügbaren Kern unserer der taz: „Früher ging es in linken henden, LGBTQI usw. – darin Identität wie Haar- und Hautfar- hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 7-8/2021 63
be, wie Geschlecht und sexuelle Linke“. Davon war viel in den Sie schrieb: Was ihr mit Hannah Identität, wie die Sprache, die vergangenen Wochen in den macht, ist Stalinismus. Ihr habt Sprachen, mit denen wir auf- Medien zu lesen. Die Begriffe sie nicht einmal informiert, ge- gewachsen sind. Wenn wir die- werden in den Medien mehr oder schweige denn angehört zu den sen Begriff aufnehmen in unser weniger synonym verwendet. Vorwürfen. Deshalb leite ich das Wahlprogramm, schließen wir Das sind sie zwar nicht, aber jetzt an sie weiter. an einen Diskurs der Verächt- auch ich werde das erst einmal Ich las eine ellenlange hitzige lichmachung an, der unserem ge- tun und später differenzieren. Diskussion der letzten Tage. Da- samten Programm zuwiderläuft. Als Grüne sind wir schon et- raus erfuhr ich, dass ich auf der Wir würden zudem die These was früher mit dem Phänomen Website in einem großen Artikel von der Diskriminierung bestä- konfrontiert worden, zumindest angeprangert wurde. Ich sollte tigen, der angeblich Menschen in einigen Landesverbänden. In mich öffentlich entschuldigen ohne Religion ausgesetzt sind.“ Berlin stellten etwa ältere Se- und meine weiße Position reflek- Religion soll also unverfüg- mester bei der letzten Frauen- tieren. Mein Haupt-Vergehen: barer Kern unserer Identität wie vollversammlung erstaunt fest, Ich hatte als weiß Positionierte Hautfarbe sein. Religion ist also dass sie sich dem intersektio- über People of Color gespro- so etwas wie das, was man frü- nalen Feminismus verschreiben chen. Sprich: ich hatte genau das her Rasse genannt hat. Susanna sollten und fragten, was das denn getan, was ich angekündigt hatte Kahlefeld essentialisiert Identi- überhaupt sei. und was sie begrüßt hatten: über täten. Sie stellt Religion in eine Dass eine neue Ideologie so Frauen in der ägyptischen Revo- Reihe von Zuschreibungen, die wirkmächtig auftritt und unbe- lution berichtet. als naturgegeben gelten, die un- dingtes Mitmachen einfordert, Außerdem wurden mir noch veränderlich sind. Das ist die- während die Masse der Bevölke- ein paar andere Kleinigkeiten selbe Logik, die Deutschsein als rung und sogar ein Großteil der vorgeworfen, die auf Hören- Kern unserer Identität behauptet politisch Tätigen noch gar nichts Sagen beruhten – wie gesagt: – wie es die Identitären tun, eine davon gehört hat, gehört zu den Keine war bei dem Workshop rechte, völkische Bewegung, Besonderheiten dieser Strö- gewesen. Meine Verteidigung, die in Deutschland, Österreich, mung. Das führt zu den meist die Diskussion im Workshop sei Frankreich und Italien aktiv ist. diskutierten Problemen dieser ganz anders verlaufen, als sie es Diese Überhöhung der Religion Entwicklung: Immer wieder behaupteten, wurde beantwortet als unangreifbare Identität ist werden Menschen aufs Schärfste mit: „Du willst Dich also nicht nicht Bestandteil der verschie- attackiert für etwas, das sie ge- kritisch mit Deinem Verhalten denen Theorien, auf denen die sagt haben, haben aber nicht den auseinandersetzen.“ Identitätspolitik fußt. Aber diese blassesten Schimmer, was daran In der Folge verließ die Hälfte Theorien sind dafür offen. Und eigentlich schlimm war. der Bloggerinnen das Kollektiv, Muslim_innen, insbesondere Ich war damit zum ersten Mal weil sie den Umgang mit mir ein- Islamist_innen wie auch Chris_ vor neun Jahren konfrontiert. fach nur verrückt fanden. Die taz tinnen nutzen das, um Kritik ab- Damals schrieb ich für den femi- und die Jungle World berichteten zuwehren. nistischen Blog Mädchenmann- darüber. Sie interpretierten das Es gab nach Susannas Rede schaft. Zur Feier des fünfjährigen Ganze als Richtungsstreit. Ich keinen Aufschrei wie beim In- Jubiläums waren alle Berliner hatte aber etwas anderes erlebt. dianerhäuptling, der Bettina Ja- Mitstreiterinnen aufgefordert, Es ging nicht um unterschiedli- rasch als Kind gern geworden Workshops anzubieten. Ich bot che politische Positionen. Wir wäre. Im Gegenteil: Über 80 an, etwas über Frauen in der hatten gar keine politische De- Prozent der Delegierten stimm- ägyptischen Revolution zu ma- batte geführt. Das Ganze war ein ten entsprechend ihrer Emp- chen. Das wurde begrüßt. Als ich kafkaesker Prozess. Es ging um fehlung. Denn Susanna traf die aber zu der Veranstaltung kam, Macht, nicht um Inhalte. Sprache des identitätspolitischen spürte ich Abweisung: Andere Dazu dienten neue Sprach- Diskurses. Bloggerinnen schnitten mich. und Verhaltensregeln des po- Ich habe mir nichts weiter dabei litisch Korrekten. Da wurden Aber was genau ist dieser gedacht und meinen Workshop Wörter gebraucht, die ich über- Diskurs, diese Politik oder durchgeführt. Keine der anderen haupt nicht kannte. Und das, Ideologie? Bloggerinnen nahm daran teil. obwohl ich immer politisch ak- Es gibt viele Namen: „Iden- Vier bis fünf Tage später nahm tiv war und das genau in diesen titätspolitik“, „intersektionaler mich eine Bloggerin, die nicht in Subkulturen. Immerhin war ich Feminismus“, „Critical White- Berlin wohnte, also nicht auf der Teil dieses feministischen Kol- ness“, „Woke“ – und abwertend Veranstaltung gewesen war, in lektivs gewesen, hatte mich aber „Cancel Culture“ oder „Islam- Kopie auf den internen Verteiler. in den Monaten zuvor nicht an 64 hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 7-8/2021
Diskussionen beteiligt, weil ich von exotischen Speisen durch viele jungen Feministinnen vor in den arabischen Revolutionen Weiße. allem Modemagazine lesen und unterwegs gewesen war. In nur Ich habe große Sympathien für politische Diskussionen lang- wenigen Monaten hatte eine Cli- rebellierende junge Menschen. weilig finden. Darüber musste que das Kollektiv übernommen, Darum habe ich in den vergan- ich lange nachdenken: Diesel- die nun einforderte, dass wir uns genen Jahren, wenn mich solche ben Frauen, die Professor_innen an neue Regeln hielten und die jungen Menschen bei Vorträgen wütend wegen angeblich rassis- bestimmten, wie Feminismus zu angriffen, immer das Gespräch tischer Äußerungen niederbrül- sein habe. mit ihnen gesucht – und sie ge- len, interessieren sich gar nicht Ich begann mich im Freun- beten, mir zu erklären, warum für Politik in ihrer Freizeit? Wie deskreis umzuhören, ob jemand das Wort, was ich verwendet kann das sein? schon mal etwas von dieser hatte oder meine Position prob- Dazu müssen wir uns die Her- neuen Strömung gehört hatte. lematisch beziehungsweise ras- kunft dieser Ideologie anschau- Und hörte viele dramatische Ge- sistisch seien. Es kamen Phrasen en; nicht die originäre Herkunft, schichten. Damals handelte es und Glaubenssätze, viele Gefüh- sondern den Weg, wie sie in un- sich aber eindeutig noch um le oder behauptete Gefühle von sere Gesellschaft gekommen ist. eine Strömung in kleinen linken irgendjemand anderem, aber Es sind Theorien, die in der Uni- Subkulturen. Linke Subkulturen keine Argumente, jedenfalls versität gelehrt werden, insbe- hatten in ihrer Geschichte häu- keine, die der logischen Struk- sondere in den Gender Studies. fig Sprachregeln, die man nicht tur meiner Argumente ähnelten. Dort werden sie zuweilen als unbedingt von außen nachvoll- Ich finde das sehr anstrengend. rigide Glaubenssätze gelehrt. So ziehen konnte. Sie hatten auch Ich muss sagen, ich diskutiere erzählte mir etwa eine junge Fe- häufig einen rigiden Umgang lieber mit Betonkopf-Marxisten- ministin, die an der Humboldt- mit Abweichlern. Trotzdem fiel Leninisten, obwohl ich deren Po- Universität in Berlin studiert hat, mir schon damals auf, dass es Foto: Wolfgang Svensson ein paar bemerkenswerte Un- terschiede zu vorherigen Praxen gab. Es findet gar keine Debatte mehr statt Auch wir Grünen kennen aus unserer Geschichte denunziato- rische Attacken auf politische Gegner_innen und auch auf die eigenen Mitstreiter_innen. Die erste Bundestagsfraktion der Grünen soll sich geradezu zerfleischt haben in Richtungs- kämpfen. Junge Menschen, die die Welt verändern wollen, ge- hen zuweilen gnadenlos gegen die Altvorderen vor, die das nicht wollen. Wir können das falsch finden. Aber es ist nun mal so „Religion soll also unverfügbarer Kern unserer Identität wie Hautfarbe und es war schon immer so. Aber sein.“ Stimmt das? hier ist etwas anders. Darum will ich zunächst auf die Praxis ein- sitionen furchtbar finde, aber sie dass sie in ihrem ersten Semester gehen – und dann erst auf die bringen wenigstens Argumente, scharf von der Dozentin zurecht- Probleme mit der Theorie. die man kontern kann. gewiesen wurde, als sie auf die Es findet gar keine Debatte Vor ein paar Jahren habe ich Frage, ob man einen Text von mehr statt. Es wird mit größter für die Emma junge Feministin- Roland Barth lesen dürfe, in dem Vehemenz angegriffen: Die Atta- nen interviewt, die sich gegen das Wort „Neger“ vorkam, mit cke wird oft gegen etwas Sym- diese Art der Identitätspolitik „ja“ geantwortet und das auch bolisches geführt. Es geht um wenden. Sie erzählten mir von begründet hatte. Die Art, wie Wörter, aber auch um Kleidung, ihren Erfahrungen in der Szene. sie heruntergeputzt wurde, hat Haarstil, Essen, Karnevalskostü- Was ich besonders bemerkens- auch den anderen im Seminar me, Dreadlocks, das Zubereiten wert fand: Sie erzählten, dass Eindruck gemacht. Sie erzählte hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 7-8/2021 65
mir: „Du musst dir vorstellen, Feuilleton behauptet. Sondern es Foto: privat da kommen einige aus der deut- liegt mitunter daran, dass eifrige schen Provinz. Die wissen gar Schüler_innen eine 1 bekommen nicht, wie ihnen geschieht. Die wollen. kuschen oder gehen in die innere Emigration.“ Es wird also ein- Hintergründe der gebimst und auswendig gelernt, Identitätspolitik: nicht diskutiert. Keineswegs Zugrundeliegende Theorien sind die Glaubenssätze, die hier Aber es gibt auch die, die dar- in Deutschland von Vertreterin- über Macht ausüben. Dafür sind nen dieser Theorien vorgebracht solche Glaubenssätze, vor allem werden, Ergebnis eines zivilge- wenn ihre Auslegung willkürlich sellschaftlichen Prozesses, wie ist, besonders gut geeignet. Pro- behauptet wird. Sondern sie sind fessor_innen können so andere oktroyiert. Darum vermisst man Professor_innen wegbeißen, auch zuweilen einen Bezug zur Politiker_innen andere Politi- Realität. ker_innen usw. Hannah Wettig Das spielt auch eine Rolle für Die Theorien, auf denen das unsere Arbeit als Grüne. Ein Bei- ganze fußt, sind hingegen teil- halten wird. Als ich das als Stu- spiel aus einem Kreisverband: weise gar nicht so dumm. Und es dentin gelesen habe, habe ich Einige junge Mitglieder hatten gibt auch viele junge Menschen, das nicht so verstanden, dass es für das Wahlprogramm ein gan- die sich ernsthaft damit ausein- keine Geschlechtsunterschiede zes Kapitel zu Postkolonialismus andersetzen, Bücher lesen und gibt, sondern dass die Bedeu- geschrieben, unter anderem for- darüber nachdenken. Die sollten tung, die wir ihnen zumessen, derten sie, dass umgehend alle wir nicht in einen Topf schmei- in Frage steht. Inzwischen muss Straßennamen mit kolonialem ßen. Solche kenne ich auch. Die man allerdings sagen, dass Ju- Bezug umbenannt werden müss- sind allerdings in der Lage zu dith Butler ihre eigene Theorie ten. An sich ist das ein absolut argumentieren und meist finden ad absurdum führt, wenn sie die unterstützenswertes Anliegen, wir, dass wir gar nicht so weit Burka verteidigt. was wohl jede grüne Fraktion auseinander liegen wie bei ande- Zum gleichen Zeitpunkt, aber gern umsetzen würde. Die Frak- ren Begrifflichkeiten. in Deutschland damals rela- tion ist also sämtliche Straßen- Die Identitätspolitik geht zu- tiv unbeachtet, entwickelte die namen des Ortes durchgegan- rück auf Theoretiker_innen der Juraprofessorin Kimberly Crens- gen. Sie hat keinen einzigen mit 1980er und 90er Jahre. Dem haw den Ansatz der „Critical kolonialem Bezug gefunden. Die Philosophen Michel Foucault Race Theory“ und des Intersek- Autor_innen des Kapitels kann- ging es um die Anerkennung tionalismus. Die Idee dafür be- ten auch keinen. sexueller Identitäten. Er selbst ruht auf einem realen Fall: Bei Aus solchen Erfahrungen lässt war schwul. Viele postkoloniale General Motors klagten schwar- sich der böse Schluss ziehen: Die Autor_innen zeigten sehr rich- ze Frauen dagegen, dass sie bei jungen Leute, die hier so scharfe tig die Marginalisierung anderer Einstellungen diskriminiert wür- Attacken führen, sind überhaupt Kulturen und Wissensprodukti- den. Das Gericht wies die Klage keine rebellierende Jugend, die on auf. Dabei gingen sie davon ab. Es argumentierte, dass bei wütend darüber ist, dass ech- aus, dass Identitäten konstruiert General Motors viele Frauen ar- te Probleme immer noch nicht sind – durch Fremd- und Eigen- beiten und daher offensichtlich behoben sind. Es sind vielmehr zuschreibungen. Einiges davon Frauen nicht diskriminiert wür- Streber, die die Lehrsätze ihrer kann essentialistisch interpretiert den. Auch arbeiteten dort viele Professor_innen nachplappern. werden, als sei Identität statisch, Schwarze, also würden auch Deshalb wohl kommt es zu wie es heute geschieht. Aber nur, Schwarze nicht diskriminiert. teilweise völlig absurd anmu- wenn man Sätze aus dem Kon- Tatsächlich waren aber alle Frau- tenden Angriffen. Wenn etwa text greift, also das Buch nicht en, die dort arbeiteten, weiße, Menschen mit Dreadlocks atta- gelesen hat. zum Beispiel Sekretärinnen. Die ckiert werden oder eine grüne Die Philosophin Judith Butler Schwarzen waren alle Männer, Spitzenkandidatin dafür, dass sie wiederum behauptete, dass die die in der Fabrik arbeiteten. als Kind Indianerhäuptling wer- Binarität der Geschlechter kon- Kimberly Crenshaw befand, den wollte, dann liegt das nicht struiert sei, die Unterscheidung dass sich Diskriminierungen also daran, dass die politische Linke von Männern und Frauen durch nicht einfach addierten. Von der in Deutschland keine Themen ständige Performance, also das einfachen Addition von Diskri- mehr hat, wie das konservative erlernte Verhalten, aufrechter- minierungen geht etwa der Trip- 66 hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 7-8/2021
le-Oppression-Ansatz aus, der weiteres Problem, das ich kurz und auch gar nicht analysiert. damals in der Linken en vogue ansprechen möchte: Viele der Identitätspolitik und Intersek- war. Crenshaw zeigte, dass Glaubenssätze, die nun kursie- tionalismus können Diskrimi- schwarze Frauen nicht einerseits ren, kommen aus den USA und nierungen nur beschreiben. Da- als Schwarze und andererseits sind, da es eben keine Debatten mit können sie zu ihrem Abbau als Frauen diskriminiert würden, gibt, eins zu eins übernommen beitragen. Aber gesellschaftliche sondern dass sie spezifisch als worden. Sie passen aber gar Strukturen, dahinterliegende ma- schwarze Frauen diskriminiert nicht für unsere Gesellschaft. terielle Verhältnisse fassen sie wurden. Ein Beispiel ist etwa der India- nicht an. Darum sind sie poli- Das ist zweifellos eine wich- nerhäuptling. Es gibt wohl kaum tisch nur bedingt brauchbar. tige Erkenntnis. Und auch die eine Kultur, die natürlich wie die Brauchbar ist die Methode zur Methode, die daraus hervorging, meisten Kulturen absolut kon- Überprüfung der eigenen Positi- nämlich in jeder Situation zu struiert ist, die in Deutschland on. Wir sollten uns als politische schauen, wie sich Mehrfach-Dis- so positiv gesehen wird wie die Menschen immer fragen, ob wir kriminierungen auswirken, ist in Indianer-Kultur. Ob daher die etwas überhaupt beurteilen kön- den Sozialwissenschaften abso- Verwendung des Wortes in glei- nen und was die Basis unserer lut sinnvoll. Aber es ist eben nur cher Weise zu verurteilen ist wie Erkenntnis ist. Ich weiß nicht, eine Methode für die Sozialwis- in den USA, darüber müsste erst wie Eltern ohne Hochschulab- senschaften, die Sozialpädago- einmal diskutiert werden. schluss jetzt mit dem Digitalun- gik oder was auch immer. Es ist Manches macht Sinn vor dem terricht klarkommen. Ich kann es keine politische Theorie, keine Hintergrund der amerikanischen mir vorstellen, kann Studien da- Gesellschaftsanalyse. Es eignet Geschichte, wie der Begriff der rüber lesen, aber es bleibt immer sich – anders als beispielsweise Cultural Appropriation, der kul- ein Rest, die Ängste, die Ohn- der Marxismus – nicht, um dar- turellen Aneignung, wenn man macht, die damit einhergehen, aus politische Gesamtkonzepte sich etwa die Geschichte des den ich nicht erfassen kann. abzuleiten. Es wird aber heute amerikanischen Blues anschaut. Dass der/die Diskriminierte so eingesetzt, und das führt zu In Deutschland aber hat nie- die eigene Situation besser erfas- den vielen Absurditäten, die wir mand den Schwarzen den Blues sen kann, beschreibt schon He- erleben. geklaut und damit viel Geld ge- gel in seiner Dialektik von Herr macht. Im Gegenteil. Das Spie- und Knecht. Es ist daher richtig, Die soziale Frage spielt eine len von sogenannter „Negermu- dass die Änderung der Verhält- untergeordnete Rolle sik“ war Widerstand gegen die nisse damit beginnen muss, die Warum es keine Gesellschafts- Nazis und später auch in der Betroffenen zu hören und ernst analyse ist und wenn es als sol- DDR subversiv. Das sollte wohl zu nehmen. Es ist aber eine Ver- che eingesetzt wird, in keinster anders bewertet werden. ballhornung dieser Erkenntnis, Weise progressiv ist, lässt sich Da nun aber diese Theorien wenn man nun meint, Weiße am Beispiel der sozialen Frage wie Gesellschaftsanalysen ge- dürften gar nichts mehr dazu sa- am deutlichsten zeigen. Es gilt handelt werden, gab es immer gen. In der Konsequenz würde aber für andere Bereiche ge- wieder Kritik daran, dass die so- es übrigens dazu führen, dass die nauso. Die soziale Frage spielt ziale Frage nicht auftaucht. Die Chancen, Rassismus und Unge- in der Identitätspolitik und im Vertreterinnen dieser Theorien rechtigkeiten abzubauen, deut- Intersektionalismus eine unter- führen nun die Kategorie des lich sinken dürften. geordnete Rolle. Das ist auch Klassismus ein. Also: es gibt Se- Ich glaube übrigens, dass es nicht verwunderlich, denn dafür xismus, Rassismus, Klassismus, einigen Protagonistinnen genau sind sie nicht entwickelt wor- Ableismus und viele andere Dis- darum geht: Sie wollen Rassis- den. Viele Poststrukturalisten, kriminierungen. mus nicht bekämpfen, sondern zu denen etwa auch Foucault ge- Klassismus beschreibt die präservieren. Wozu sollten sie hörte, sahen sich als Marxisten Diskriminierung von Menschen denn sonst forschen? Aber das oder Post-Marxisten. Aber po- unterer Schichten. Diese Dis- ist ein anderes Thema. litische Ökonomie war nicht ihr kriminierung soll aufgehoben HANNAH WETTIG Untersuchungsgegenstand. Für werden wie die anderen Diskri- Stellvertretende Sprecherin der den Intersektionalismus und die minierungen auch. In der Konse- Berliner Säkularen Grünen Critical-Whiteness-Theorie gilt, quenz heißt das, dass das Arbei- dass sie in den USA entwickelt terkind dieselben Chancen haben Der Artikel beruht auf einem wurden. Und in den USA tut man soll, Millionär zu werden wie das Vortrag, den die Autorin auf der sich generell schwer mit der so- Millionärskind. Aber dass es Ar- Klausur der Bundesarbeitsge- zialen Frage. beiter gibt und Millionäre, wird meinschaft Säkulare Grüne am Das verweist übrigens auf ein in diesem Ansatz nicht kritisiert 17. April 2021 hielt. hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 7-8/2021 67
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