Unser Beitrag zum 'Solar Decathlon Europe 2010' in Madrid - eine Herausforderung für Architektur und Bauphysik

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Veröffentlichungen der Hochschule für Technik Stuttgart, Band 106 – Bauphysikertreffen 2009   Seite 75

                 Unser Beitrag zum ‘Solar Decathlon Europe 2010’
          in Madrid – eine Herausforderung für Architektur und Bauphysik
                                  Teil 2: Energieeffiziente Kühlkonzepte

 Antoine Dalibard, Markus Binder, Simon Büttgenbach, Mariela Cotrado, Jan Cremers, Andreas Beck

1.      Aufgabenstellung
Die Entwicklung und der Bau eines Wohngebäudes mit hohem gestalterischen Anspruch, das für
seine Bewohner über das ganze Jahr behagliche Nutzungsbedingungen bietet und in der Jahresbilanz
mehr Energie produziert, als es selber verbraucht, stellen für Architektur, Bauphysik und
Anlagentechnik eine besondere Herausforderung dar. Dies gilt ganz besonders, wenn man diese
Aufgabe unter den strengen Wettbewerbsbedingungen des internationalen Hochschulwettbewerbs
Solar Decathlon Europe zu erfüllen hat – im Wettstreit mit 18 anderen Studententeams aus aller Welt.
Die Hochschule für Technik Stuttgart stellt sich dieser Aufgabe gerne und sieht sich gut gerüstet durch
die unter ihrem Dach vereinte Kompetenz aus zahlreichen Fachdisziplinen des Planens und Bauens.
Die von den am Projekt beteiligten Studierenden gemeinsam entwickelte Konzeption ist in [Palla 2009]
ebenso ausführlich dargestellt wie der Hintergrund des Wettbewerbs. Im Folgenden sollen einzelne
bauphysikalische Aspekte des Konzepts genauer beleuchtet werden.

Ein Blick auf das Klimadiagramm von Madrid (vgl. Abbildung 1) lässt bereits erkennen, dass an
diesem Standort der Schutz vor unerwünschter Überhitzung im Sommer eine schwierige Aufgabe
darstellt. Die Frage der Beheizung im Winter ist vergleichsweise nachrangig. Im Wettbewerbszeitraum
im Juni ist mit Temperaturen zwischen 16 und 30 °C zu rechnen.

Abbildung 1: Meteonorm-Wetterdaten für das Stadtzentrum von Madrid

Dem stehen die strengen Anforderungen gegenüber, die die Wettbewerbsregeln an das Raumklima
stellen. So gibt es Punktabzüge, sobald die Lufttemperatur außerhalb des engen Bandes von 23 bis
25 °C liegt. Gleichermaßen muss die relative Luftfeuchtigkeit zwischen 40 und 55 % gehalten werden,
um die volle Punktzahl im Wettbewerb zu erzielen [Rules 2009]. Dass inbesondere die Untergrenze im
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Hinblick auf eine optimierte Nutzung passiver Möglichkeiten der Nachtauskühlung wenig sinnvoll
erscheint, muss leider als Faktum für den Wettbewerb akzeptiert werden.

Abbildung 2: Punktevergabe für Lufttemperatur und relative Luftfeuchtigkeit gemäß [Rules 2009]. Gewertet wird
jeweils der Mittelwert der fünfzehnminütigen Messintervalle.

Vor diesem Hintergrund wird in diesem Paper in erster Linie das sommerliche Verhalten des
Gebäudes erläutert. Bei baulichen oder anlagentechnischen Komponenten, die sowohl im Kühl- als
auch im Heizfall Funktionen übernehmen, wird darauf hingewiesen.

2.         Strategie
Die Strategie, die Temperaturen innerhalb des geforderten Fensters zu halten, beruht auf drei
hierarchisch organisierten Bausteinen:

       1. Reduzierung äußerer Lasten durch eine hochgedämmte Gebäudehülle und konsequente
          Verschattung

       2. Wärmeabfuhr durch passive Maßnahmen bzw. solche mit minimalem Primärenergieaufwand

       3. Abfuhr von Spitzenlasten durch aktive Maßnahmen

2.1.       Gebäudehülle
Durch eine hoch gedämmte Gebäudehülle und effiziente Verschattungsmaßnahmen können die
äußeren Lasten trotz eines verhältnismäßig großen Fensterflächenanteils von ca. 25 % minimiert
werden. Die opaken Außenbauteile bestehen aus einer 75 mm starken Massivholzkonstruktion, die
auf der Außenseite mit zwei Lagen Vakuumdämmpaneele belegt wird. Aufgrund eines neuartigen
Herstellungsverfahrens weisen die Paneele eine geringere Rohdichte und damit auch eine niedrigere
Wärmeleitfähigkeit auf als die bisher typischerweise verwendeten VIPs (Vacuum Insulation Panels).
Zusammen mit einer Holzfaserdämmplatte, die auf der Außenseite als Schutz für die VIPs angebracht
wird, ergibt sich für die Außenwände ein U-Wert < 0,13 W/(m²K). Dach und Boden des Gebäudes
haben noch niedrigere U-Werte von ca. 0,10 W/(m²K), da hier zusätzlich die Zwischenräume der
Tragkonstruktion mit Zellulosedämmung ausgeblasen werden.

Bei den verwendeten Verglasungen handelt es sich um Wärmeschutzgläser mit Kryptonfüllung, bei
denen eine Folie die ansonsten übliche mittlere Scheibe ersetzt. Gegenüber der Ausführung als
konventionelle Dreischeibenverglasung ergibt sich dadurch für das Gebäude eine
Gewichtseinsparung von etwa 500 kg, die sich beim Transport direkt in einer
Primärenergieeinsparung niederschlägt und die zudem Vorteile für die Fenster- und
Fassadenkonstruktion bringt. Die Verglasungen erreichen einen Ug-Wert von 0,4 W/(m²K).
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2.2.    Verschattung
Das Vordach auf der Südseite des Gebäudes bietet einen Witterungsschutz für die darunterliegende
Loggia. Darüber hinaus stellt es eine effiziente Verschattung für die großzügige Südverglasung dar.
Über den Horizontalverglasungen der Gebäudefugen sind die zur Wärmeversorgung genutzten
Vakuumröhrenkollektoren (ohne Reflektorbleche) angeordnet. Die vertikalen Fenster in den
Fugenbereichen erhalten als beweglichen Sonnenschutz hochreflektierende textile Screens, die
durch die außenliegenden Glaslamellen vor der Witterung geschützt werden.

2.3.    Passive Maßnahmen
Verschiedene passive Komponenten tragen zur Konditionierung des Raums bei. Das auffälligste
dieser Bauteile ist sicher der Energieturm, der im Sommer die Zuluft kühlt, indem er die Strömung des
Winds in den Raum umlenkt und die einströmende Luft auf ihrem Weg ins Gebäude befeuchtet und
dabei abkühlt. Durch die besondere Gestaltung dieses Energieturms wird dieser Prozess für den
Nutzer sichtbar und nachvollziehbar. Eher im Verborgenen wirkt die mit Phasenwechselmaterialien
belegte abgehängte Decke, die tagsüber Wärme aus dem Raum aufnimmt. Nachts werden die PCM
wieder ausgehärtet, indem die Decke mit Wasser durchströmt wird. Das Wasser wird abgekühlt,
indem es hinter den auf der Dachfläche liegenden PV-Modulen vorbeigeführt wird, die mit dem kalten
Nachthimmel im Strahlungsaustausch stehen.

2.4.    Aktive Komponenten
Auch wenn die passiven Komponenten einen großen Anteil an der jährlich benötigten Kühlenergie
bereitstellen, wird unweigerlich zusätzlich ein aktives System benötigt, um die hohen sommerlichen
Kühllastspitzen in Madrid abdecken zu können. Selbstverständlich soll aber auch dieses System mit
einem hohen Anteil von regenerativer Energie betrieben werden.

Ist die Außenluft zu heiß oder zu feucht, um sie mit dem Energieturm ausreichend abzukühlen, wird
eine mechanische Zu- und Abluftanlage mit Wärmerückgewinnung in Betrieb genommen. Ihr
Wärmetauscher erreicht bei einem Volumenstrom von 100 m³/h einen Wirkungsgrad von über 90 %.
Besonders effizient wird sie dadurch, dass die Abluft vor Eintritt in den Wärmetauscher durch
Befeuchtung adiabat abgekühlt wird.

Bis zu einer Außentemperatur von ca. 27 - 30°C reicht – je nach gleichzeitig anfallenden internen
Lasten - der Betrieb der Lüftungsanlage aus, um die Einhaltung der Komfortbedingungen zu
gewährleisten. Bei höheren Außentemperaturen oder hohen internen Lasten kann der Raum über ein
aktives System gekühlt werden. Den Kern dieses Systems stellt eine reversible Wärmepumpe dar, die
im Sommer kühles Wasser produziert und im Winter die benötigte Heizwärme liefert. Die Übergabe an
den Raum erfolgt jeweils über ein Leitungssystem im Fußboden. Soll schnell geheizt oder gekühlt
werden, kann über einen Wärmetauscher im Zuluftkanal zusätzlich auch direkt die in den Raum
strömende Luft temperiert werden.

Als Wärmequelle bzw. –senke für die Wärmepumpe dient ein 1200 l großer Wasserspeicher, der im
Sommer nachts über die Dachabstrahlung abgekühlt und im Winter mit den Vakuumröhrenkollektoren
aufgeheizt wird. Durch diese Maßnahme kann die Wärmepumpe ganzjährig mit einem geringen
Temperaturhub und damit mit hohem Wirkungsgrad arbeiten.

Das hydraulische Schema der Anlage ist in Abbildung 3 dargestellt.
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Abbildung 3: Hydraulisches Schema der Heizungs- und Kühlungsanlage des Gebäudes. WWSol: Solare
Brauchwassererwärmung; PVT: Photovoltaisch-thermische Kollektoren zur Nachtabstrahlung; RLT:
Raumlufttechnik; FBH: Fußbodenheizung / -kühlung; PCM: PCM-Decke; WP: reversible Wärmepumpe.
Zeichnerische Darstellung: LKP Laux, Kaiser und Partner Ingenieurgesellschaft mbH

3.         Simulation
Um das gewählte System auf seine Funktionsfähigkeit hin zu überprüfen, den voraussichtlichen
Energieverbrauch für Beheizung und Kühlung zu ermitteln und die Heiz- und Kühllasten am Standort
Madrid zu bestimmen, wurden mit TRNSYS zwei Simulationen durchgeführt:

- Eine Simulation des ganzen Jahres, anhand der die voraussichtlichen mittleren Energiebedarfswerte
ermittelt wurden. Dieser Simulation wurden Meteonorm-Wetterdaten für das Stadtzentrum von Madrid
zugrundegelegt. Sie entsprechen dem Typical Meteorological Year (TMY) für Madrid.

- Eine zusätzliche Simulation der drei Sommermonate (Juni bis August) zur Ermittlung der
Spitzenlasten für den Wettbewerbszeitraum und für die Auslegung der Haustechnik. Um gezielt
ungünstige Bedingungen mit abzubilden und so zusätzliche Sicherheit bei der Auslegung zu
erreichen, wurden für diese Simulation IWEC-Wetterdaten (International Weather for Energy
Calculation) verwendet, in denen beispielsweise höhere Spitzentemperaturen und längere
Hitzeperioden enthalten sind als im Meteonorm-Datensatz.

Der erste Simulationsdurchgang beschränkt sich im Wesentlichen auf das Verhalten des Gebäudes,
ohne Berücksichtigung der Anlagentechnik. Als einzige technische Komponente ist die
Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung und Abluftbefeuchtung im Modell mit abgebildet, da es sich
bei dieser um ein etabliertes System mit bekanntem Verhalten handelt. Als Simulationsergebnis ergibt
sich also jeweils die Kühllast, die über die innovativen Komponenten - die PCM-Decke mit den
Abstrahlflächen, den Windturm, und die Fußbodenkühlung mit reversibler Wärmepumpe – abgedeckt
werden muss.
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Die angesetzten internen Lasten entsprechen den Vorgaben aus dem Wettbewerbsprogramm und
bilden einen Zweipersonenhaushalt mit üblicher Nutzung von Haushaltsgeräten ab. Die übrigen
relevanten Simulationsparameter sind in Tabelle 1 zusammengestellt.

Tabelle 1: Randbedingungen der Gebäudesimulation mit TRNSYS
Gebäudeabmessungen          Länge (Ost- u. Westfassade):                                      8,80 m
                            Breite (Nord- u. Südfassade):                                     6,78 m
                            Höhe:                                                             3,00 m
                            Volumen:                                                          178 m³
Hüllfläche                  gesamt               davon opak           Fenster                 Rahmenanteil
               Nord         19,7 m²              8,9 m²               10,8 m ²                [%]
                                                                                              10%
               Süd          19,7 m²              8,9 m²               10,8 m ²                10%
               Ost          26,4 m²              21,6 m²              4,8 m²                  0
               West         26,4 m²              21,6 m²              4,8 m²                  0
               Dach         57,8 m²              51,3 m²              6,5 m²                  0
               Boden        57,8 m²              57,8 m²              0,0 m²                  -
U-Werte                     Dach                 Wand                 Boden
opake Bauteile              0,09 W/(m²K)         0,127 W/(m²K)        0,093 W/(m²K)
Fenster                     Ug                   Uf                   g
                            0,40 W/(m²K)         0,75 W/(m²K)         0,408
Luftwechselrate             Stufenweise          0,6; 1,2; 1,8 h-1;   entspricht 100; 200; 300 m³/h
Infiltration                0,05 h-1

Bei der Simulation der drei heißen Sommermonate wurden die Raumtemperaturen auf das vom
Wettbewerb vorgegebene Fenster von 23 – 25°C begrenzt, um eine ausreichende
Anlagendimensionierung zu erreichen. Die Jahressimulation, die eine eher alltägliche Nutzung
abbilden soll, weitet dieses oben genannte Komfortfenster auf 20 bis 26 °C auf. Gleichzeitig wird ein
nächtliches Absinken der Temperatur bis 18°C toleriert.

Tabelle 2: Energiebedarfskennwerte gemäß Jahressimulation mit TRNSYS für den Standort Madrid
                                                             ohne Abluft-            mit Abluft-
                                                             befeuchtung             befeuchtung
Jährlicher Heizwärmebedarf                                   470 kWh                 470 kWh
Jährlicher Kühlbedarf                                        856 kWh                 290 kWh
Spezifischer jährlicher Heizwärmebedarf                      8.1 kWh/m²              8.1 kWh/m²
Spezifischer jährlicher Kühlbedarf                           14.8 kWh/m²             5 kWh/m²
Spitzenheizlast                                              1.86 kW                 1.86 kW
Spitzenkühllast                                              2.33 kW                 1.88 kW

Tabelle 2 zeigt die Ergebnisse der Jahressimulation; in der linken Spalte ohne Berücksichtigung der
Abluftbefeuchtung, rechts mit deren Auswirkung. Es zeigt sich, dass die ohnehin bereits
hervorragenden Kennwerte durch die Abluftbefeuchtung noch einmal deutlich verbessert werden
können. Sowohl die anderweitig zu erbringende Spitzenkühlleistung als auch der jährliche
Kühlenergiebedarf werden signifikant reduziert.
Seite 80               Veröffentlichungen der Hochschule für Technik Stuttgart, Band 106 – Bauphysikertreffen 2009

Tabelle 3: Energiebedarfskennwerte gemäß Simulation der drei heißesten Monate des Jahres
Heizwärmebedarf für 3 Sommermonate                        1.3 kWh
Kühlbedarf für 3 Sommermonate                             582.5 kWh
Spitzenheizlast                                           0.23 kW
Spitzenkühllast                                           2.7 kW
Mean heating load                                         0.1 kW
Mean cooling load                                         0.7 kW
Maximaler täglicher Kühlenergiebedarf                     15.12 kWh / day
Mittlerer täglicher Kühlenergiebedarf                     6.3 kWh / day

                                            Tumg

                                                                              Tzuluft
                                                         Tabluft nach
               Traum
                                                         Befeuchtun

                        Luftwechsel                  Anfallende Kühllast bei
                                                     maximal zulässiger
                                                     Raumtemperatur von 25 °C

Abbildung 4: Verlauf des heißesten Tages des Jahres gemäß Simulation mit TRNSYS

Bei den Ergebnissen der Simulation der Sommermonate, dargestellt in Tabelle 3, machen sich die
schärfer gesetzten Grenzen für das Raumklima sowie die ungünstigeren Außenbedingungen des
IWEC-Datensatzes deutlich bemerkbar. Abbildung 4 zeigt den Verlauf des heißesten Tages. Die
Spitzenkühllast steigt auf 2,7 kW. Diese Leistung muss von dem Gesamtsystem (ohne
Lüftungsanlage) erbracht werden, was für die rein passiven Komponenten eine sehr hohe Hürde
darstellt. Die Betrachtung des Verlaufs der Kühllast über die drei Sommermonate zeigt allerdings,
dass in 80% aller Stunden mit Kühlbedarf eine Kühllast von 1 kW nicht überschritten wird. Ziel muss
es daher sein, die langen Zeiträume mit begrenzter Kühllast rein passiv abzudecken und die
Betriebszeiten der Wärmepumpe auf die wenigen Stunden mit Spitzenlast zu begrenzen.
Veröffentlichungen der Hochschule für Technik Stuttgart, Band 106 – Bauphysikertreffen 2009   Seite 81

Da sowohl für den Energieturm als auch für die Kombination aus PCM-Decke und
Abstrahlungskühlung keine direkt verwertbaren Referenzen bekannt sind, sind umfangreiche
Voruntersuchungen zu diesen erforderlich. Entsprechende Studien- und Forschungsarbeiten werden
derzeit an der Hochschule für Technik durchgeführt, mit dem Ziel, die Leistungsfähigkeit der
innovativen Komponenten zu überprüfen, die erforderlichen Randbedingungen für ihren Einsatz zu
klären und sie zur Baureife zu entwickeln. Parallel sollen sie über rechnerische Modelle abgebildet
und in das bestehende Gebäudesimulationsmodell integriert werden.

4.      Untersuchung der innovativen Komponenten

4.1.    Energieturm
In trockenen heißen Gebieten ist die Kühlung der Raumluft durch Verdunstung weit verbreitet. Das
Konzept von home+ greift dieses althergebrachte Prinzip auf und überträgt es auf ein neu entwickeltes
Bauteil: den Energieturm, der über den Hauptbaukörper hinausragt und sich quer zur
Hauptwindrichtung stellt, um möglichst viel Außenluft in den Innenraum zu lenken. Im Energieturm
streicht die Luft dann an befeuchteten Gewebebahnen vorbei, nimmt Wasser auf und kühlt sich dabei
ab. Theoretisch ist auf diese Weise eine Abkühlung der Zuluft bis zur Feuchtkugeltemperatur möglich.
Diese wird erreicht, wenn die Luft bis auf 100 % befeuchtet wird. Praktisch ist die mögliche
Befeuchtung allerdings durch die Behaglichkeitskriterien begrenzt – und in unserem Fall zusätzlich
durch die Wettbewerbsregeln, die die volle Punktzahl nur für Messzeiträume vergeben, während derer
die relative Luftfeuchte zwischen 40 und 55% liegt. Bei der möglichst nicht zu überschreitenden
Maximaltemperatur von 25°C entspricht das einem absoluten Feuchtegehalt von 9,2 - 12,65 g/m³.

Da es sich bei dem Energieturm um eine bisher noch nicht in dieser Form umgesetzte, neuartige
Komponente handelt, liegen bisher keine direkt übertragbaren Erfahrungswerte im Hinblick auf den
erzielbaren Luftdurchsatz, den Befeuchtungswirkungsgrad durch die integrierten Stoffbahnen und
damit die erreichbaren Kühlleistung vor. Zur Ermittlung dieser Größen werden derzeit an der HFT
Stuttgart verschiedene Untersuchungen an einem Prototypen durchgeführt.

4.2.    PCM-Decke
Die einfachste Methode zur Vermeidung von Temperaturspitzen im Raum besteht darin, ein Gebäude
mit ausreichend thermischer Masse in den raumzugewandten Bauteilen auszuführen. Bei einem
Haus, das über ca. 1800 km quer durch Europa transportiert werden muss, kommt eine massive
Bauweise aus nachvollziehbaren Gründen weniger in Frage. Bauteile mit integrierten
Phasenwechselmaterialien (Phase Change Materials, PCM) bieten aber die Möglichkeit, Leichtbauten
mit zusätzlicher thermischer Trägheit zu versehen. Diese PCM nehmen im Temperaturbereich ihres
Schmelzpunktes verhältnismäßig große Mengen an Wärme aus dem Raum auf. Sinkt die
Raumtemperatur unter die Erstarrungstemperatur, gehen sie wieder in den festen Aggregatszustand
über und geben Wärme ab.

Im Bauwesen treten die PCM bisher in zwei verschiedenen Formen in Erscheinung: zum einen
mikroverkapselt als Zuschlagsstoff zu Putzen, Gipskartonplatten o.ä., zum anderen in Form von
Platten oder Beuteln. In dieser Form können sie z.B. auf abgehängte Decken aufgelegt werden. Bei
ersten Bauanwendungen zeigte sich, dass die PCM die in sie gesetzten Erwartungen nur teilweise
erfüllen konnten. Im Wesentlichen zeigten sich zwei Probleme:

- Durch die geringe Wärmeleitfähigkeit der PCM im aufgeschmolzenen Zustand gelangt die Wärme
nur verzögert in die tieferen Schichten, so dass deren Speicherkapazität für die Tagesschwankungen
des Temperaturgangs nicht ausgenutzt werden kann.

- Die PCM weisen überwiegend eine deutliche Hysterese zwischen Schmelz- und Erstarrungskurve
auf ca. 2-3 K. Wegen des geringen Wärmeübergangs von oben nach unten ist ein nennenswerter
Wärmestrom aus den PCM und damit deren Aushärtung über Nacht nur möglich, wenn die
Raumtemperatur deutlich unter der Erstarrungstemperatur liegt. Zumeist ist dies nicht der Fall.
Seite 82            Veröffentlichungen der Hochschule für Technik Stuttgart, Band 106 – Bauphysikertreffen 2009

Im Rahmen eines Forschungsprojekts entwickelt die HFT Stuttgart derzeit zusammen mit
Industriepartnern eine Kühldecke, bei der diese Problempunkte gezielt angegangen werden. Beim
HFT-Bauphysikertreffen 2008 wurde über den Zwischenstand des Projekts berichtet [Pesch 2008].

Abbildung 5: Systemaufbau der im Rahmen des Forschungsprojekts PCM Demo an der HFT Stuttgart
untersuchten PCM-Decke. Bei der Weiterentwicklung für home+ wird das PCM unterhalb der Kühlkörper
angeordnet.

Abbildung 5 zeigt den Systemaufbau der Decke. Die auf die Paneele aufgelegten Platten enthalten
PCM, das in eine Graphitmatrix eingebettet ist. Durch die hohe Wärmeleitfähigkeit des Graphits kann
Wärme effektiv auch in die Tiefe der Platte geleitet werden. Kühlschlangen im Abstand von 9 cm, die
nachts mit kaltem Wasser durchströmt werden, ermöglichen eine Aushärtung der PCM. Die
Hohlräume zwischen den Kühlschlangen werden mit reinem Graphit in Plattenform ausgefüllt.
Messungen an einem Modellraum zeigen, dass die Decke über 12 Tagstunden eine mittlere
Kühlleistung von etwa 30 W/m² erbringt.

Für den Solar Decathlon Europe wird diese Decke dahingehend weiterentwickelt, dass die PCM nicht
auf die Blechpaneele aufgelegt werden, sondern zwischen dem Wärmeverteilblech und einer als
raumseitigen Abschluss darunter angebrachten Gipskartonplatte angeordnet werden. Auf diese Weise
soll die thermische Anbindung an den Raum verbessert werden. Zudem ergibt sich auch eine
gestalterische Verbesserung, da anstelle der modularen Optik der Kassettendecke eine homogene
Deckenuntersicht möglich wird. Derzeit laufen an der HFT Stuttgart Versuche zur Wärmeaufnahme
einer derartig abgeänderten PCM-Decke.

4.3.       Nächtliche Strahlungskühlung
Die Wärme, die tagsüber in die Decke eingespeichert wird, soll ihr nachts mit möglichst geringem
Primärenergieaufwand wieder entzogen werden. Das dafür erforderliche Kühlwasser wird daher nicht
auf konventionelle Weise, d.h. mit einer Kompressionskälteanlage, erzeugt, sondern über ein
regeneratives Verfahren, das vom Bayrischen Zentrum für Angewandte Energieforschung in
Würzburg erstmals in Deutschland angewendet wurde [Beck 2006]. Dieses beruhte darauf, Wasser
nachts über eine Dachfläche fließen zu lassen, wo es sich durch Abstrahlung an den kalten
Nachthimmel abkühlt. Je nach Wassertemperatur, Außentemperatur und Bewölkungsgrad sind dabei
Kühlleistungen von ca. 50 – 120 W / m² Dachfläche realistisch.

Das Prinzip der Strahlungskühlung beruht auf der Wärmeabgabe durch langwellige Abstrahlung eines
Körpers an einen anderen Körper mit niedrigerer Temperatur, der als Wärmesenke dient. In der
Anwendung zur Kühlung von Gebäuden stellt die Gebäudeoberfläche den zu kühlenden Körper dar,
die Wärmesenke ist der Himmel. Dieser eignet sich dafür besonders gut, da die Himmelstemperatur –
insbesondere in der Nacht - niedriger ist als die der meisten Gegenstände auf der Erde. In
Sommernächten kann die Himmelstemperatur auf unter 0°C absinken; bei klarem Himmel können
sogar Himmelstemperaturen von -10°C erreicht werden [Cavelius 2005].
Veröffentlichungen der Hochschule für Technik Stuttgart, Band 106 – Bauphysikertreffen 2009   Seite 83

Um diesen Effekt auszunutzen, wird home+ mit einem Strahlungskühlungssystem ausgestattet, das
photovoltaisch-thermische (PVT) Hybridkollektoren verwendet.

Die folgenden Abschnitte beschreiben zunächst den Stand der Technik dieser Technologie und ihrer
Anwendungen. Anschließend wird ein detailliertes Rechenmodell für die Nachtabstrahlung eines PVT-
Kollektors erläutert, dessen Ergebnisse den gemessenen Daten aus einem Versuchsaufbau
gegenübergestellt werden. Schließlich wird das validierte Modell in eine Gesamtsimulation integriert,
um die Auslegung des Systems zu überprüfen.

4.3.1   Stand der Technik

In den vergangenen Jahren beschäftigte sich eine beträchtliche Anzahl von Forschungsprojekten mit
der Nutzung von Strahlungskühlung für die Gebäudeanwendung. Viele von ihnen konzentrierten sich
darauf, die erzielbaren Erträge zu quantifizieren und verschiedene Standorte im Hinblick auf ihr
Kühlpotenzial zu untersuchen. Trotz allem nutzen in der Praxis bisher nur wenige konventionelle
Gebäude die Strahlungskühlung, was zum Teil sicher daran liegt, dass Architekten und Ingenieure
sich bisher nur in geringem Maße Fragen der praktischen Integration ins Gebäude gewidmet haben.

Bewegliche Wärmedämmung

Eine der ersten Anwendungen der Strahlungskühlung (Ende der 1960er Jahre) war die bewegliche
Wärmedämmung. Dabei wurde die Dämmung einer Dachfläche während der Nacht entfernt, um das
Gebäude durch Abstrahlung an den Nachthimmel zu kühlen. Der Hauptnachteil eines solchen
Konzepts besteht darin, dass es ein motorisch betriebenes System benötigt, das die Dämmpaneele
abends beiseite fährt und morgens wieder an ihren Platz bringt [Santamouris 2007].

Systeme mit Luft als Wärmeträgermedium

Anfang der 1970er Jahre beschäftigten sich israelische Forscher mit der Strahlungskühlung von Luft,
die durch schmale Kanäle strömte. Ein ähnliches System, das für den Winterfall mit einem Solarkamin
kombiniert wurde, untersuchte Brunold (1989). Die maximale Kälteleisutng des Systems unter
günstigen Umgebungsbedingungen betrug etwa 17 W/m² [Santamouris 2007].

Systeme mit Wasser als Wärmeträgermedium

- Geschlossene Systeme

Da Wasser näherungsweise inkompressibel ist und eine höhere Wärmekapazität aufweist, können
Systeme mit Wasser als Wärmeträgermedium mit geringem Energieaufwand besser geregelt werden.
Darüberhinaus ermöglichen sie höhere Kälteleistungen. Eine der ersten Anwendungen eines
wasserbasierten Strahlungskühlungssystems führte Juchau (1981) durch. Er benutzte einen
herkömmlichen, an einen Speichertank angeschlossenen Flachkollektor, um über die Nacht Wasser
abzukühlen. Das gekühlte Wasser wurde tagsüber dazu genutzt, um die Betondecken eines
Gebäudes zu kühlen. Erell und Etzion (1992) entwickelten dieses Konzept in Israel weiter. Indem sie
die Abdeckung des Kollektors entfernten, konnten sie über einen Zeitraum von drei Wochen im
Sommer 1990 bei sieben Stunden Betriebsdauer pro Nacht eine Nettokälteleistung von 81 W/m²
erreichen [Erell 1992].

- Offene Systeme

Offene Systeme mit Wasser als Wärmeträgermedium wurden in der jüngeren Vergangenheit in
Deutschland untersucht [Beck 2006]. Sie beruhen auf dem Ansatz, Wasser über eine geneigte
Oberfläche zu verrieseln. Wegen der hohen Emissivität von Wasser (typischerweise 0,96) und weil
kein thermischer Widerstand zwischen dem Wasser und der Umgebung besteht, liegen die zu
erwartenden Kälteleistungen hier höher als bei geschlossenen Systemen. Die Messdaten der
Demonstrationsanlage am bayerischen Zentrum für angewandte Energieforschung in Würzburg
Seite 84            Veröffentlichungen der Hochschule für Technik Stuttgart, Band 106 – Bauphysikertreffen 2009

zeigen, dass spezifische Kälteleistungen von 120 W/m² erreichbar sind [Beck 2006]. In
Zusammenarbeit mit der HFT Stuttgart wurde ein vergleichbares System für das beim Solar Decathlon
2007 siegreiche Wettbewerbsgebäude der TU Darmstadt entwickelt [Binder 2007], [Hillnhütter 2007].

4.3.2      Grundlagen der Entwurfsentscheidung

Vergleich von offenem und geschlossenem wasserbasiertem System

Offene Systeme ermöglichen eine höhere Kälteleistung als geschlossene; allerdings bringt ihre
Integration in die Kälteverteilung des Gebäudes einige Nachteile mit sich. Der prinzipielle Aufbau
eines offenen Systems ist in Abbildung 6 dargestellt.

Abbildung 6: Funktionsschema eines offenen Strahlungskühlsystems (links: Tagbetrieb, rechts: Nachtbetrieb)
[Hillnhütter 2007]. 1. Speichertank; 2. Pumpe; 3. Ventil (Umschaltung zwischen Wärmetauscher und Dach); 4.
Dachfläche; 5. Filter; 6. Wärmetauscher; 7. Pumpe; 8. Fußbodenkühlung

Da das Wasser im direkten Kontakt mit der Umgebungsluft steht, muss ein Filter verhindern, dass
Verschmutzungen ins System gelangen. Das System arbeitet drucklos und muss deshalb über einen
Wärmetauscher vom Verteilungssystem entkoppelt werden. Schließlich geht Wasser durch
Verdunstung verloren, was einen signifikanten Wasserverbrauch mit sich bringen kann.
Simulationsrechnungen zeigen, dass bei einem derartigen System für den Wettbewerbszeitraum mit
einem nächtlichen Verbrauch von etwa 0,1 kg/m² gerechnet werden müsste [Dalibard 2009], was sich
auf die ganze Dachfläche zu ca. 3,5 kg pro Nacht aufsummiert.

Aus diesen Gründen und um die Kühlanwendung mit der Gewinnung von elektrischer Energie
kombinieren zu können, fiel die Entscheidung zugunsten eines geschlossenen wasserbasierten
Systems mit PVT-Kollektoren.

4.3.3      Konstruktion des PVT-Kollektors und Versuchsaufbau

Konstruktion des PVT-Kollektors

PVT-Kollektoren mit Wasser als Wärmeträgermedium werden üblicherweise dazu verwendet,
tagsüber Strom und Wärme zu produzieren. Je nach Anwendungsfall kann dabei entweder der
elektrische oder der thermische Ertrag im Vordergrund stehen. Im ersteren Fall muss das Fluid die
PV-Zellen so weit wie möglich abkühlen, um ihren Wirkungsgrad zu steigern. Im letzteren Fall setzt
die Art der Anwendung (Brauchwassererwärmung, thermische Kühlung…) eine bestimmte
Austrittstemperatur für das Fluid voraus. Die Konstruktion des PVT-Kollektors wird demzufolge in
erster Linie vom festgelegten Ziel definiert. Abbildung 7 zeigt zwei die beiden Konstruktionstypen,
denen sich die meisten marktverfügbaren PVT-Kollektoren zuordnen lassen: Kollektoren ohne (n°1)
und mit (n°2) Abdeckung.
Veröffentlichungen der Hochschule für Technik Stuttgart, Band 106 – Bauphysikertreffen 2009   Seite 85

Abbildung 7: PVT-Kollektoren ohne (links) und mit (rechts) Abdeckung

Eine Anwendung von PVT-Kollektoren zur Ausnutzung von Strahlungskühlung ist den Autoren nicht
bekannt. Dieser Anwendungsfall erfordert eine spezielle, auf maximale langwellige Abstrahlung des
Kollektors an den Himmel ausgelegte Konstruktion des PVT-Moduls. Aus diesem Grund wurde ein
Kollektor ohne Abdeckung ausgewählt. Darüber hinaus muss die thermische Anbindung des
Absorbers an das PV-Modul so gut wie möglich sein. Während der vergangenen zehn Jahre hat der
niederländische Hersteller PVTwins großen Aufwand zur Verbesserung dieses thermischen Kontakts
betrieben und dabei eine eigene Technik für die Verklebung des Absorber / PV-Moduls entwickelt. Als
Ausgangspunkt der Untersuchungen an der HFT Stuttgart wurde ein speziell für diesen Zweck
modifizierter, ohne Abdeckung hergestellter PVT-Kollektor von PVTwins auf dem Dach des
Hochschulgebäudes montiert und erprobt, um das nächtliche Kühlpotenzial zu ermitteln.

Versuchsaufbau

Abbildung 8 zeigt den untersuchten Kollektor und den Versuchsaufbau auf dem Dach.

Abbildung 8: PVT-Kollektor (PVTwins) und Versuchsaufbau

Der von PVTwins zur Verfügung gestellte Testkollektor hat eine Aperturfläche von 0,64 m². In
Abbildung 9 ist das Funktionsschema des Versuchsaufbaus dargestellt.
Seite 86             Veröffentlichungen der Hochschule für Technik Stuttgart, Band 106 – Bauphysikertreffen 2009

Abbildung 9: Schematische Darstellung des Versuchsstands

4.3.4      Thermische Simulation des PVT-Kollektors

Zur Simulation von herkömmlichen thermischen Kollektoren finden sich in der Literatur ausführliche
Darstellungen. Ein gebräuchliches Modell wurde Ende der 1970er Jahre von Duffie und Beckman
[Duffie 2006] vorgeschlagen. Erell und Etzion [Erell 2000] überarbeiteten dieses Modell im Hinblick auf
für die Strahlungskühlung geeignete Flachkollektoren ohne Abdeckung. Auf Grundlage dieses
Ansatzes wurde ein Modell für einen ungedämmten PVT-Kollektor ohne Abdeckung entwickelt, der für
die nächtliche Strahlungskühlung genutzt werden kann.
Veröffentlichungen der Hochschule für Technik Stuttgart, Band 106 – Bauphysikertreffen 2009        Seite 87

Gesamtwärmeverlustkoeffizient

Auf der Grundlage der von Duffie und Beckman entwickelten Vorgehensweise [Duffie 2006] muss
zunächst der Gesamtwärmeverlustkoeffizient des Kollektors (vom Absorber zur Umgebung) berechnet
werden. Das thermische Ersatzschaltbild für einen ungedämmten PVT-Kollektor ohne Abdeckung ist
in Abbildung 10 dargestellt.

                            R1                                           R4
                                                  R3

       Umgebung                                                                           Umgebung /
                                        PV-Glas           Absorber
       / Himmel                                                                           Dach
                            R2                                          R5

Abbildung 10: Thermisches Ersatzschaltbild des ungedämmten PVT-Kollektors ohne Abdeckung

R1: Thermischer Widerstand für die Abstrahlung der PV-Deckschicht an den Himmel

R2: Thermischer Widerstand für den konvektiven Wärmeübergang (frei und erzwungen) von der PV-
Deckschicht an die Umgebung

R3: Thermischer Widerstand für die Wärmeleitung durch das PV-Modul und die Verklebung

R4: Thermischer Widerstand für die Abstrahlung des Absorbers an die darunter liegende Dachfläche

R5: Thermischer Widerstand für den konvektiven Wärmeübergang (freie Konvektion) vom Absorber
an die Umgebung

Die Berechnung des thermischen Gesamtwiderstands kann auf den vorderseitigen (Rfront) und den
rückseitigen Widerstand (Rback) aufgeteilt werden:

Der gesamte Wärmeübergangskoeffizient U ergibt sich dann zu

Die Berechnung der Teilwiderstände R1, R2, R4 und R5 ist in der Literatur ausführlich behandelt und
wird deshalb an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt. Der thermische Widerstand des PV-Moduls und
der Verklebung ist allerdings von besonderem Interesse und wird daher im Folgenden genauer
betrachtet.
Seite 88           Veröffentlichungen der Hochschule für Technik Stuttgart, Band 106 – Bauphysikertreffen 2009

Thermischer Widerstand des PV-Moduls und der Verklebung

Um den      thermischen Widerstands eines PV-Moduls berechnen zu können, muss seine
Zusammensetzung bekannt sein. Abbildung 11 zeigt einen typischen Aufbau einer laminierten
Solarzelle aus Silizium mit den Dicken der beteiligten Materialschichten und ihren
Wärmeleitfähigkeiten [Lee 2008].

Abbildung 11: Materialdicke und Wärmeleitfähigkeiten der einzelnen Schichten eines PV-Moduls [Lee 2008]

Die Antireflexbeschichtung (Antireflective coating, ARC) spielt bei der Nutzung als Abstrahlfläche
keine Rolle und kann daher entfallen. Dafür muss zusätzlich der thermische Widerstand der
Kleberschicht zwischen dem Absorber und dem PV-Modul mit berücksichtigt werden. Der verwendete
Kleber besteht aus Epoxyresin, dem zur Erhöhung der Wärmeleitfähigkeit Aluminium beigemengt
wird. Der Kleber wird in einer Schichtdicke von 0,1 mm aufgetragen; seine Wärmeleitfähigkeit beträgt
0,85 W/(m·K).

Mit diesen Daten wurde der thermische Widerstand von PV-Modul und Verklebung zu R3 = 0,0079
m²K/W berechnet. Der Gesamtwärmedurchgangskoeffizient U kann dann iterativ bestimmt werden.

Kühlkörperwirkungsgrad, Kollektorwirkungsgradfaktor und Wärmeabfuhrfaktor

Mit dem Gesamtwärmedurchgangskoeffizienten kann der Kühlkörperwirkungsgrad F des Kollektors,
der von der Geometrie des Absorbers und der Röhren abhängt, berechnet werden [Duffie 2006].

Als Wärmeleitfähigkeit λabs des Absorbers wurde 350 W/(m·K) angenommen (Kupfer), für die Dicke
dabs des Absorberblechs 0,2 mm. Die Bedeutung der Geometrievariablen kann Abbildung 12
entnommen werden:

Abbildung 12: Geometriedaten des Absorbers [Duffie 2006]
Veröffentlichungen der Hochschule für Technik Stuttgart, Band 106 – Bauphysikertreffen 2009        Seite 89

Anschließend wird der Kollektorwirkungsgradfaktor F‘ berechnet:

Dabei ist hi der Wärmeübergangskoeffizient vom Fluid auf das Rohr und Csp die Kontaktleitfähigkeit
zwischen Rohr und Absorber, die mit 300 W/(m·K) angenommen wurde. Schließlich werden der
Wärmeabfuhrfaktor FR und der nutzbare Wärmestrom Qu bestimmt:

Der einzige Unterschied zum Ansatz von Duffie und Beckmann für konventionelle thermische
Kollektoren besteht darin, dass in unserem Fall die Einstrahlung (G) null beträgt. Dadurch wird
wiederum ein iterativer Prozess erforderlich, um die Austrittstemperatur des Kollektors zu bestimmen:

4.3.5   Validierung des Modells

Die Ergebnisse des Simulationsmodells wurden mit Messdaten verglichen, die über einen Zeitraum
von 45 Stunden aufgenommen wurden (Abbildung 13).

Abbildung 13: Gemessene und simulierte Kollektoraustrittstemperaturen des PVT-Kollektors am Prüfstand der
HFT Stuttgart. Tw,VL: Vorlauftemperatur, Tw, RK: Rücklauftemperatur, Tumg: Umgebungstemperatur

Die maximale Abweichung zwischen gemessenem und simuliertem Wert der Austrittstemperatur
beträgt weniger als 2K. Die Abweichung in der Gesamtenergiebilanz beträgt über den ganzen
Seite 90            Veröffentlichungen der Hochschule für Technik Stuttgart, Band 106 – Bauphysikertreffen 2009

Zeitraum weniger als 1%. Das Modell erweist sich damit als geeignet für die vorgesehene Simulation
des Systems.

Zeigt die erzielte Kälteleistung des PVT-Moduls und die Temperaturdifferenz zwischen der
Wassereintrittstemperatur und der Himmelstemperatur. Die Korrelation zwischen diesen beiden zeigt,
dass die langwellige Abstrahlung an den Himmel der dominierende Wärmeverlustmechanismus ist.

Abbildung 14: Kälteleistung des untersuchten PVT-Kollektors (Aperturfläche 0,64 m²)

4.3.6      Nächtliche Strahlungskühlung des Gebäudes mit PVT-Kollektoren im Wettbewerbszeitraum

Gesamtkonzept

Für den SDE-Wettkampf wird das System zur nächtlichen Strahlungskühlung in Gestalt von 36 m²
PVT-Kollektoren umgesetzt, die auf dem Dach angeordnet sind. Sie werden in den frühen
Nachtstunden zunächst dazu verwendet, um die PCM-Decke zu regenerieren, und anschließend, um
den 1,2m³ großen Speichertank herunterzukühlen, der tagsüber als Wärmesenke für die
Wärmepumpe dient.
Veröffentlichungen der Hochschule für Technik Stuttgart, Band 106 – Bauphysikertreffen 2009   Seite 91

Kühllast des Gebäudes

Die Kühllast des Gebäudes wurde mit TRNSYS [TRNSYS 2006] für die Wettbewerbsbedingungen in
Madrid [Dalibard 2009b] simuliert. Abbildung 15 zeigt den Verlauf der Kühllast für die drei heißesten
Monate des Jahres (Juni, Juli, August).

Abbildung 15: Verlauf der Kühllast des Gebäudes im Sommer gemäß TRNSYS-Simulation

Wie in Abschnitt 3 erläutert, berücksichtigt die Simulation die Wirkung der Lüftungsanlage mit
Wärmerückgewinnung und Abluftbefeuchtung, während die PCM-Decke und die reversible
Wärmepumpe mit der Fußbodenkühlung nicht mit abgebildet sind. Das Ergebnis ist daher so zu
interpretieren, dass die ausgewiesene Kühllast gemeinsam passiv durch die PCM-Decke und aktiv
durch die Wärmepumpe erbracht werden muss. Da bisher kein validiertes Modell zum Verhalten der
PCM-Decke verfügbar ist, wurde ihre Wirkung zunächst vernachlässigt und das System unter der
Annahme simuliert, dass die reversible Wärmepumpe den geforderten Kühlbedarf alleine erbringt und
die resultierende Abwärme vollständig in den Wasserspeicher einspeist. Diese Annahme ist insofern
legitim, als auch die PCM-Decke nachts von den PVT-Kollektoren regeneriert werden muss und es
keinen Unterschied macht, ob die entsprechende Wärmemenge der PCM-Decke oder dem Speicher
entzogen werden muss. Tatsächlich bringt diese Annahme einen gewissen Sicherheitsfaktor mit sich,
da die über den „Umweg“ Wärmepumpe eingespeiste Wärmemenge geringfügig höher liegt als die
tatsächlich direkt im PCM gespeicherte.

Systemsimulation

Die Simulation des Strahlungskühlungssystems wurde in der Simulationsumgebung INSEL
[Schumacher 1991] vorgenommen. Dabei dienten die über TRNSYS ermittelten Kühllasten des
Gebäudes als Eingangsdaten für ein Modell verwendet, das den während der Tagstunden laufenden
Betrieb der reversiblen Wärmepumpe und den nächtlichen Betrieb der PVT-Kollektoren abbildet,
jeweils im Zusammenhang mit dem Speichertank. Die reversible Wärmepumpe wurde über ein sehr
einfaches Modell einer Kompressionskältemaschine abgebildet. Unter der Annahme einer konstanten
Temperatur auf der Verdampferseite (etwa 12°C bei 18°C Wasseraustrittstemperatur) hängt der COP
der Kältemaschine nur von der Wassertemperatur auf der Kondensatorseite ab (Wärmesenke). Da
Seite 92            Veröffentlichungen der Hochschule für Technik Stuttgart, Band 106 – Bauphysikertreffen 2009

bisher keine konkreten Daten der vorgesehenen Wärmepumpe vorliegen, wurde der Wirkungsgard
relativ vorsichtig angesetzt. Abbildung 16 zeigt die den Zusammenhang zwischen Austrittstemperatur
und COP der Kältemaschine.

Abbildung 16: COP des einfachen Modells für die Kältemaschine

Darüberhinaus simuliert das Modell auch die Möglichkeit der „freien Kühlung“: Sofern die
Wassertemperatur im Speicher unter 18°C liegt, kann dieses direkt durch die Fußbodenkühlung
geleitet werden, ohne dass die Wärmepumpe betrieben werden muss. Abbildung 17 zeigt die
Ergebnisse der Simulation des Strahlungskühlsystems für die drei heißesten Monate des Jahres.

Abbildung 17: Ergebnisse der Systemsimulation für die Monate Juni bis August (Madrid)
Veröffentlichungen der Hochschule für Technik Stuttgart, Band 106 – Bauphysikertreffen 2009          Seite 93

Die wesentlichen Ergebnisse sind in Tabelle 4 und Tabelle 5 zusammengefasst.

Tabelle 4: Ergebnisse der Dreimonatssimulation
Spezifische           Spezifische            Spezifische             Gesamte erzeugte         Mittlere pro
Kälteleistung der     Kälteleistung          Kälteleistung durch     Kälteenergie             Nacht erzeugte
PVT-Kollektoren       durch Strahlung        Konvektion (W/m²)       (kWh)                    Kälteenergie
(W/m²)                (W/m²)                                                                  (kWh/Nacht)
47.8                  56.8                   -9.0                    826                      9

Tabelle 5: Betriebsdaten der Fußbodenkühlung für die Dreimonatssimulation
Zahl der Betriebsstunden der         Zahl der Betriebsstunden der           Zahl der Betriebsstunden der
Fußbodenkühlung [h]                  Fußbodenkühlung im Modus               Fußbodenkühlung mit
                                     „Freie Kühlung“[h]                     Wärmepumpe [h]
885                                  518                                    367

Die Ergebnisse der heißesten Woche im Juli zeigen Abbildung 18 und Abbildung 19.

Abbildung 18: Temperaturen und Massenströme während der heißesten Woche im Juli
Seite 94            Veröffentlichungen der Hochschule für Technik Stuttgart, Band 106 – Bauphysikertreffen 2009

Abbildung 19: Kälteleistung und treibende Temperaturdifferenz während der heißesten Woche im Juli

Tabelle 6: Ergebnisse für die heißeste Woche im Juli
Spezifische            Spezifische            Spezifische             Gesamte erzeugte      Mittlere pro
Kälteleistung der      Kälteleistung          Kälteleistung durch     Kälteenergie          Nacht erzeugte
PVT-Kollektoren        durch Strahlung        Konvektion (W/m²)       (kWh)                 Kälteenergie
(W/m²)                 (W/m²)                                                               (kWh/Nacht)
69.6                   73.7                   -4.1                    107.0                 15.3

Tabelle 7: Betriebsdaten der Fußbodenkühlung für die heißeste Woche
Zahl der Betriebsstunden der         Zahl der Betriebsstunden der         Zahl der Betriebsstunden der
Fußbodenkühlung [h]                  Fußbodenkühlung im Modus             Fußbodenkühlung mit
                                     „Freie Kühlung“[h]                   Wärmepumpe [h]
95                                   21.4                                 73.6
Veröffentlichungen der Hochschule für Technik Stuttgart, Band 106 – Bauphysikertreffen 2009       Seite 95

Abbildung 20: Beispiel für den Wechselbetrieb mit freier Kühlung und Nutzung der reversiblen Wärmepumpe

Beurteilung

Ziel der Berechnung war es, zu prüfen, ob die tagsüber in die PCM-Decke und den Speichertank
eingespeiste Wärmemenge während der Nacht durch Abstrahlung über die PVT-Kollektoren wieder
an die Umgebung abgegeben werden kann. Die Simulation weist für diese Untersuchung
zufriedenstellende Ergebnisse aus: Selbst unter den bewusst ungünstig angenommenen
Leistungsdaten der Wärmepumpe bleiben die Temperaturen in der „Wärmesenke“ Speichertank
niedrig, so dass kein zusätzliches Backupsystem zur Absicherung benötigt wird.

5.      Zusammenfassung
Die Teilnahme am Solar Decathlon Europe stellt für die Hochschule für Technik Stuttgart eine
einmalige Chance dar, die unter ihrem Dach vereinten Kompetenzen durch enge Kooperation von
Studierenden und Mitarbeitern der verschiedenen Studiengänge zu bündeln und ihre
Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Die Aufgabe, ein Plusenergiehaus zu konzipieren und zu
bauen, das sich im heißen Sommer von Madrid bewähren muss, ist eine echte Herausforderung, die
nur mit innovativen Techniken und kreativen Ideen zu bewältigen ist. Dabei ist bereits ein beachtlicher
Teil des Wegs zurückgelegt: Die Tragfähigkeit des architektonischen und bauphysikalischen Konzepts
ist durch umfangreiche Simulationen belegt. Wesentliche neuartige Komponenten wie die PCM-
Decke, die photovoltaisch-thermischen Kollektoren zur nächtlichen Strahlungskühlung und der
Energieturm, der durch Verdunstungskühlung auf rein passivem Weg für eine Kühlung der Zuluft
sorgt, werden derzeit in den Labors und Prüfständen der HFT untersucht und parallel durch
theoretische Betrachtungen begleitet. Die ersten vorliegenden Ergebnisse machen dabei Mut und
erfüllen die Erwartungen. Wir biegen deshalb zuversichtlich auf die sieben Monate lange Zielgerade
ein und sind überzeugt, dass sich unser home+ im Juni 2010 in Madrid als würdiger Vertreter unserer
Hochschule vor dem Palacio Real präsentieren kann.
Seite 96               Veröffentlichungen der Hochschule für Technik Stuttgart, Band 106 – Bauphysikertreffen 2009

6.         Literatur
[Beck 2006] Beck, A.; Büttner, D.: Kühlkreislauf mit passiver Kälteerzeugung durch
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[Cavelius 2005] Cavelius, R. (IZES gGmbH); Isaksson, C. (AEE INTEC), Perednis, E. (Lithuanian
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[TRNSYS 2006] TRNSYS 16 – A Transient System Simulation Program – User Manual, 2006.
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