Verkehrsspirale Klima- und Verkehrspolitik sind leider wenig konsequent. Darum landet man, wie in einer Spirale, oft da, wo man schon mal war ...
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Nummer 131 Verkehrsspirale September 2021 Klima- und Verkehrspolitik sind leider wenig konsequent. Darum landet man, wie in einer Spirale, oft da, wo man schon mal war – oder zumindest fast. Nötig wäre ein radikaleres umdenKen. Seiten 3 – 5, 11
Thema umverkehRen Editorial umverkehRen Dezember September 20202021 Teufelskreise und Verkehrsspiralen umverkehR wurde 1992 als Trägerverein der Verkehrshalbierungs-Initiative gegründet. Diese wollte Teufelskreise im Strassenverkehr durchbrechen: «Wer Strassen baut, wird Verkehr ernten.» Uns war klar, dass die Verkehrsprobleme nur durch eine Reduktion des Strassenverkehrs gelöst werden können. Leider sahen das nur wenige gleich wie wir. Heute haben wir immer noch Verkehrsachsen mitten durch Dörfer und Städte, weil offenbar immer noch geglaubt wird, diese Schneisen seien Lebensadern (siehe auch Seite 6). Natürlich ist das Gegenteil der Fall, es braucht dringend mehr Grün und mehr Raum für Zufussgehende und Velofahrende (siehe Seite 11). Doch bevor sich wirklich etwas ändern kann, müssen wir unsere Wahrnehmung des Verkehrs einem Reality-Check unterziehen. Ich würde sogar noch weitergehen als der Artikel auf Seite 6 und den Autoverkehr als Geschwür bezeichnen, das nahezu unkontrolliert wächst. Zum Nachteil aller. Daran ändert auch nichts Prinzipielles, wenn man das Geschwür statt mit Benzin mit Batterien betreibt. Zwar würde die CO2-Bilanz besser, aber man müsste auch bei einer kompletten Elektrifizierung der Autoflotte die Hälfte des Strassenverkehrs anderweitig loswerden (siehe Seite 4). Für UmverkehRte der frühen Stunde ist sonnenklar, was das bedeutet: Der Verkehr muss halbiert werden! (Wir haben das ja schon immer gesagt …!) Somit wären wir in der Verkehrsspirale eine Runde weiter. Und wer weiss, vielleicht lancieren wir ja, sobald die Zeit reif ist, die Verkehrshalbierungsinitiative nochmals und versuchen ein weiteres Mal, aus der Verkehrsspirale auszubrechen. Viel Spass bei diesem umverkehRen Hanspeter Kunz Vizepräsident umverkehR Impressum umverkehRen ist das Mitteilungsorgan des Vereins umverkehR Auflage 4500 Exemplare Herausgeberin umverkehR, Kalkbreitestrasse 2, Postfach, 8036 Zürich, Postkonto 80-67097-2, Tel. 044 242 72 76, info@umverkehr.ch, www.umverkehr.ch Newsletter Anmelden auf www.umverkehr.ch Redaktion Vorstand umverkehR Beiträge Hanspeter Kunz, Philippe Koch, Hanspeter Guggenbühl, Hugo Caviola, Christian Harb, Silas Hobi (sh), Andrea von Maltitz und Daniel Costantino Titelbild Pablo Silva Layout typisch.ch Korrektorat Irène Fasel Druck Jordi AG, Belp Papier RePrint Recyclingpapier Abonnementspreis Mitgliedschaftspresse, erscheint 4- bis 5-mal im Jahr, Einzelheft 3.50 CHF Nächste Ausgabe November 2021
7 Thema Standpunkt 3 Die Politik auf die Strasse bringen Wem gehört die Strasse? Rechtlich gesehen, gehören die meisten Strassen der öffentlichen Hand, also uns allen. Der juristische Blick gibt allerdings ein verzerrtes Bild der Realität wieder. Die alltägliche Nutzung der Strasse zeigt sehr deutlich, wem die Strasse eigentlich gehört: dem Auto. Autos nehmen den meisten Platz ein und dominieren das Strassenbild und das Leben im öffentlichen Raum. Philippe Koch Mit dem Projekt «Brings uf d’Strass!» hat Es reicht auch nicht, Strassen mit Mobiliar der Infarkt wahrscheinlicher. Sollen Stras- die Stadt Zürich für die Zeit der Sommer- auszustatten. Strassen müssen völlig neu sen in Zukunft die Lebensadern der Stadt ferien Autos aus drei Quartierstrassen gedacht werden, damit das Stadtleben werden, dann müssen sie Leben ermögli- verbannt. Aus der Fritschistrasse wurde in der zukünftigen Hitze erträglich bleibt. chen und lebensfreudig werden. Mit den gemäss Konzept des Tiefbauamts ein Als öffentliche Räume müssen sie grüner, Stadtklima-Initiativen versucht umverkehR, «gemeinschaftlicher Vorgarten», aus der zugänglicher und komfortabler werden. In die Schritte in diese Richtung zu lenken. Rotwandstrasse eine «nachbarschaftliche den 1960er-Jahren hat man die Strassen Aber das reicht nicht. Alle Stadtbewohne- Verweiltribüne» und aus der Konradstrasse als Arterien bezeichnet, durch die der rinnen und Stadtbewohner müssen ihren eine «lange Spielstrasse». Impressionen Verkehr fliessen und womit man die Stadt Anspruch auf die Strassen anmelden und der letzten Wochen zeigen unterschiedlich lebendig halten soll. Das Gegenteil war gemeinsam verwirklichen. Wenn nicht intensive und unterschiedlich vielfältige der Fall. Die Arterien sind schnell ver- jetzt, wann dann?! Nutzungen der Strasse: Auf der Strasse stopft und mit jeder neuen Strasse wurde wurde gespielt, gequatscht, verweilt, ge- trunken, Velo gefahren oder einfach gar nichts gemacht. Das Projekt «Brings uf d’Strass!» hat tatsächlich aus der Verkehrs- fläche Strasse wieder einen öffentlichen Raum gemacht, in dem Begegnungen und gemeinsame Aktivitäten möglich wurden. Dieses temporäre «place-making» ohne Verwertungsdruck zeigt eindrücklich, dass das Bedürfnis nach Freiräumen für All- tagsnutzungen ohne Konsumzwang be- steht. Alles paletti, also? Jein. Das Projekt «Brings uf d’Strass!» ist, man kann es nicht anders sagen, too little und too late. Die fünfwöchige Sperrung für den Autoverkehr von drei Quartierstrassen in einer Stadt, die seit mehr als 20 Jahren eine komfortable links-grüne politische Mehrheit hat, kann man nicht als mutig oder zukunftsweisend bezeichnen. Die kurze Dauer verunmöglicht den wirkungsvollen Einbezug der Bevölkerung und der Anwoh- nenden. Der Parking Day und die Critical Mass zeigen ja immer wieder eindrück- lich, mit welcher Kreativität und mit wel- chem Tatendrang die Stadtbewohnerin- nen und Stadtbewohner in der Lage sind, sich Strassenräume anzueignen und um- zudeuten. «Brings uf d’Strass!» darf keine Eintagsfliege bleiben. Es ist zu hoffen, dass das Projekt nur ein erster zaghafter Versuch ist, neue öffentliche Räume zu schaffen, auf den noch viele mutigere und offenere folgen werden. Kurz nach dem Aufbau – die Autos sind weg, das Spiel kann beginnen. Bilder: Markus Forte Fotografie
4 Klimaschutz umverkehRen September 2021 Das Problem ist das Auto, nicht sein Antrieb Die positiven Entwicklungen vorweg: Die Stromproduktion in Europa verursacht weniger CO2 als früher, weil ein wachsender Anteil an Elektrizität aus Wind- und Solarkraftwerken den Kohlestrom zurückdrängt. Der Anteil von Autos mit elektrischem Antrieb steigt. Batterien und Elektromotoren werden effizienter produziert und halten länger. «Netto null Treibhausgase» und Autos lassen sich nicht miteinander vereinbaren, selbst wenn alle nur noch «Ökostrom» tanken. Hanspeter Guggenbühl, dieser Beitrag ist bereits in der Internetzeitung www.infosperber.ch erschienen. In memoriam; Hanspeter wurde am 26. Mai die Herstellung des Autos und die Infra- drei ausgewählten Mittelklasse-Autos. 2021 auf einer Velotour durch einen Motor- struktur (Strassenbau etc.), ein Drittel Auf der y-Achse zeigt die Grafik die Emis- radfahrer zu Tode gefahren. auf den Betrieb des Autos. sionen für die Autoherstellung. Je länger Das Elektroauto verursacht damit etwas das Auto lebt respektive, je weiter es Elektroautos verursachen weniger mehr als halb so viel klimawirksame fährt, desto grösser wird der Unterschied klimawirksame Gase Emissionen wie ein Auto der gleichen zwischen Elektro- und fossilem Auto. Dies zeigen die neusten Studien des Paul Fahrzeugklasse mit fossilem Verbren- Scherrer Instituts* und der Klimabilanz- nungsmotor (40 bis 80 Tonnen CO2 - Zur Grafik: Von der Produktion bis zur rechner des TCS. Die wichtigsten Er- Äquivalent). Bei den fossilen Autos Verschrottung nach 200 000 Fahrkilome- kenntnisse: entfallen mehr als zwei Drittel auf den tern verursacht der Audi-Diesel (rot) Treib- Ein Auto mit Elektroantrieb, das in der Betrieb, somit insbesondere auf Ver- hausgase im Umfang von 57,2 Tonnen Schweiz betrieben wird und in 15 Jahren brennung von Benzin oder Diesel. CO2 -Äquivalent, der Volvo-Hybrid (violett) 200 000 Kilometer abspult, verursacht – Bei diesen Daten handelt es sich um 43,9 Tonnen und der Tesla3-Elektro (grün) je nach Fahrzeugklasse – Treibhausgas- Grössenordnungen. Die folgende Grafik, 31,3 Tonnen. Nach rund 26 000 Kilometer Emissionen in der Grössenordnung von basierend auf TCS- und PSI-Daten, ver- Fahrt sinken die Emissionen des Elektro- 28 bis 42 Tonnen CO2 -Äquivalenten. gleicht den Verlauf der CO2 - und der autos allmählich unter jene des Hybrid- Davon entfallen rund zwei Drittel auf übrigen Treibhausgas-Emissionen von und Dieselautos. Klimabilanz Mittelklassewagen 60 57.2 t CO2-Ausstoss (t) el 50 Dies 43.9 t Hybrid 40 26 851 km Benzin- Elektroauto 30 31.3 t 20 10 Fahrkilometer 0 100 000 200 000 Klimabilanz nach 200 000 Km: 1 Diesel = 2 E-Autos Grafik: PSI/TCS
7 5 Hier die Resultate verschiedener Verkehrsmittel: Verkehrs- CO2 -Equivalent mittel pro Pkm in Gramm Flugverkehr 260 g Benzinauto 220 g Dieselauto 190 g Elektroauto 89 g ÖV insgesamt 25 g Elektrovelo 14 g Velo 8g Bahnen Schweiz 7g Halbierung der Treibhausgase sich auch in Zukunft kaum ändern. Denn reicht nicht der technische Fortschritt wird die Klima- Bahn und Velo beeinflussen das Es zeigt sich, dass die Halbierung der bilanz von Elektroautos, die 2040 produ- Klima zehnmal weniger stark als Treibhausgase im Verkehr nicht reicht, um ziert werden – und damit im Zieljahr 2050 Elektroautos. die Klimaerwärmung wirksam zu bremsen. immer noch herumfahren – gemäss PSI Denn der globale Klimavertrag, den die nur marginal verbessern: Bei Benzin- und Regierungen 2015 in Paris beschlossen Dieselautos, die 2040 hergestellt werden, haben, verlangt, die Klimaerwärmung sei sinken die Treibhausgasemissionen pro auf weniger als zwei Grad, möglichst auf Fahrkilometer um 30 bis 34 Prozent, bei Fazit 1,5 Grad zu begrenzen. Um dieses Ziel Elektroautos nur noch um 17 Prozent; dies Wer mit Velo oder Bahn unterwegs ist, zu erreichen, muss der weltweite Aus- im Vergleich zu den im Ausgangsjahr 2018 verursacht ebenfalls Treibhausgase. Aber stoss von Treibhausgasen bis spätestens hergestellten Fahrzeugen. die erzeugte Menge ist dabei mehr als 2050 netto auf null gesenkt werden, so- Wenn die Schweiz somit ihre Klima- zehn Mal kleiner als beim Elektroauto und mit nach Abzug des CO2 , das sich mittels ziele 2050 erreichen will, muss sie nicht sogar zwanzig Mal geringer als beim Ben- Aufforstung, Abscheidung, an Kaminen den Antrieb wechseln, sondern das Auto ziner. Darum ist es klimapolitisch falsch, oder Filterung aus der Atmosphäre ab- als Ganzes ersetzen. Aber – wodurch? wenn die öffentliche Hand Elektroautos scheiden lässt. mit Förderbeiträgen subventioniert. Wollen Klimabilanz von Bahn und Velo wir den Klimawandel wirksam begrenzen, «Netto null» heisst null CO2 Antworten liefert eine frühere Studie der müssen wir das raumgreifende, überge- im Verkehr auf Ökobilanzen spezialisierten Schweizer wichtige und übermotorisierte Auto als Aus dieser Erkenntnis heraus haben sich Firma Treeze. Diese entwickelte 2016 ein Mittel im Personenverkehr generell durch viele Staaten – darunter auch die Schweiz – sogenanntes «Mobitool». Damit lassen eine intelligente Kombination von Bahn, verpflichtet, ihre Treibhausgas-Emissionen sich die Umweltbelastung (gemessen in Velo sowie weiteren leichtgewichtigen 2050 netto auf null zu senken. Gemäss der Umweltbelastungspunkten) sowie die Treib- Transportmitteln ersetzen. Klimastrategie des Bundesrates müssen hausgas-Emissionen aller gängigen Ver- die Treibhausgase aus den Bereichen Hei- kehrsmittel vergleichen (inkl. aller Emis- zungen, Landverkehr sowie dem Gross- sionen aus Produktion und Infrastruktur). teil der Warenproduktion vollständig elimi- Beim Vergleich der Treibhausgas- niert werden. Bei «Netto» sollen nur noch Emissionen von Personenwagen kamen jene Treibhausgase übrig bleiben (und die Treeze-Fachleute zu ähnlichen Re- abgeschieden werden), die aus der Land- sultaten wie die neueren Studien von PSI wirtschaft, dem Flugverkehr sowie aus und TCS. Im Unterschied zur PSI-Studie Produktionsverfahren stammen, bei denen ermittelte «Mobitool» aber auch die Treib- keine anderen Eliminationstechniken ab- hausgase, die öffentliche Verkehrsmittel sehbar sind (etwa: Zementherstellung). und Velos (mit und ohne elektrischen Mit dem Umstieg von Benzin- und Die- Hilfsmotor) verursachen. Um die Emissio- sel- auf Elektroautos lässt sich das klima- nen vergleichen zu können, rechneten sie politische Ziel «netto null» im Verkehr alle Daten um in CO2 -Äquivalente (CO2 - bestenfalls halbwegs erreichen. Das wird Eq.) pro Person und Kilometer (Pkm). * «Das Magazin des Paul Scherrer Instituts», SCHWERPUNKTTHEMA MOBILITÄT VON MORGEN, ab S. 16.
6 Sprache und Autoverkehr umverkehRen September 2021 Wassermetaphern veranschaulichen Verkehr Die Sprache legt Redeweisen Metaphorische Denkfahrbahnen aus über Wasser Redeweisen über Verkehr Wasser fliesst, Verkehr fliesst, Die Wortschöpfung «umverkehR» macht auf einen Blick klar: Der Ver- stockt, strömt, strömt, schwillt kehr soll verändert werden. Das Wort «Stehzeug» (Hermann Knoflacher) schwillt an, an, rauscht, rauscht, tost. tost. deckt auf, dass Fahrzeuge die meiste Zeit stehen. Dass sie dabei teuren Man kann Wasser Man kann öffentlichen Raum beanspruchen, wird deutlich, wenn man Parkplätze stauen, umleiten, Verkehr stauen, «Auto-Lagerplätze» nennt, wie der Verkehrsforscher Dirk Schneidemesser kanalisieren, umleiten, kana- vorschlägt. Die Beispiele zeigen, dass Wörter auch Sichtweisen und drosseln. lisieren drosseln. damit Haltungen und Interessen mit sich führen. Hugo Caviola Wasser fliesst Verkehr fliesst durch Leitungen über Um- Das Forschungsprojekt «Sprachkompass gase erzeugt. Wenn Verkehr ein Fluss ist, und Röhren. leitungen und Mobilität» der Uni Bern vertieft Fragen trägt er AutomobilistInnen als anonyme durch die dieser Art (www.sprachkompass.ch). Es Tropfen mit. Deren Verantwortung wird Gotthardröhre. untersucht, welche Ausdrucksformen um- unsichtbar. Gravierende Folgen hat die Wasser bildet Im Schwerver- weltbelastende Mobilität fördern können Flussmetapher für die Verkehrspolitik. Sie Tropfen. kehr am Gott- und welche neue Wege aufzeigen. Eine legt nahe, Flaschenhälse zu erweitern, hard existiert Rolle spielen dabei Metaphern, die hinter- Abflüsse und eine zweite Gotthardröhre ein Tropfenzähl- gründig unser Denken anleiten. Haben Sie zu bauen, um Staus zu vermeiden und den system. sich schon einmal gefragt, warum wir einen Verkehr am Fliessen zu halten. Man kann z.B. Man kann Fahr- Satz wie «Der Verkehr sickert in die Wohn- Fische aus dem zeuge aus dem quartiere ein» verstehen? Es ist, weil wir Was liesse sich dieser Verführungs- Wasser ziehen. Verkehr ziehen. Verkehr als Flüssigkeit sehen. kraft der Sprache entgegenhalten? Gewässer Im Verkehrsfluss Andere Metaphern vielleicht? Die Maschi- können Inseln existieren Ver- Der Fluss ist eine Metapher für den Ver- nenmetapher würde betonen, dass Ver- enthalten. kehrsinseln. kehr. Dies beeinflusst unser Denken über kehr ein Menschenwerk und keine Natur- Wasser gibt es in Verkehr bildet den Verkehr: Wenn Verkehr ein Fluss ist, kraft ist. Der Verkehr staut sich dann nicht, der Form von Eis Blechlawinen. dann ist er eine Naturkraft, die nicht zu sondern er klemmt, er rauscht nicht, son- und Schnee. hinterfragen ist. Dass er von uns verur- dern dröhnt, fliesst nicht, sondern läuft sacht ist, wird unsichtbar. Flüsse folgen etc. Wenn die Maschine Schaden anrich- Wasser bildet Ampeln schaffen der Schwerkraft – nicht aber der Ver- tet, kann man sie drosseln, umbauen – ja Wellen. grüne Wellen. kehrsfluss! Die Metapher verdeckt, dass sogar ausser Betrieb nehmen. Wäre dies Verkehr Treibstoffe verschlingt und Ab- also eine Alternative? Blutmetaphern Redeweisen Metaphorische über Blut Redeweisen über Verkehr Blut fliesst durch Es gibt Adern. Verkehrsadern. Kommt der Kommt der Kreislauf zum Verkehr zum Erliegen, Erliegen, droht ein Herz- droht ein Ver- infarkt. kehrsinfarkt. An einer Tagung in Bern werden am 19. November 2021 praktische Anwendungen der Sprachreflexion Gotthardröhre mit Verkehrsfluss diskutiert – s. Agenda auf der hinteren Umschlagseite. Bild: Julia Weiss
7 Aus der actif-trafiC Geschäftsstelle 7 Engagierter Ruhestand nach 18 Jahren umverkehR Die erste Pensionierung bei umverkehR! Andrea von Maltitz, seit 2003 zuständig für die Koordination in der Romandie und einige Jahre auch Vorstandsmitglied bei umverkehR, trat Ende Juli in den Ruhestand. Während 18 Jahren reiste sie oft von Genf nach Zürich, übersetzte Texte und setzte sich unermüdlich für die Anliegen von actif-trafiC ein. Christian Harb, Co-Präsident von umverkehR, führte mit Andrea das folgende Gespräch. Du warst bei umverkehR 18 Jahre Studie hat einiges bewirkt. Die Wieder- der Freudentaumel: Es hat geklappt! Die für die Romandie zuständig. holung des Tests 2006 und 2012 ergab Initiative wurde angenommen – wenn auch Was hat sich in diesen fast zwei Jahr- eine deutliche Verbesserung bei den knapp. zehnten verändert? Schwachpunkten, die wir kritisiert hatten. Die zwei Geschäftsstellen von umverkehR/ Die Bewertung der FussgängerInnen- Was sollte umverkehR in der Zukunft actif-trafiC haben sich mit den zunehmen- infrastrukturen in 11 Städten war eine Pre- noch angehen? den Aufgaben auf 400 Stellenprozente miere und führte später zur wissenschaft- Die Kernstädte bilden nur einen kleineren vergrössert und professionalisiert. Heute lich unterstützten Studie «GEHsund – Teil der Schweiz. Man denke nur an die bearbeiten wir viel mehr «Spezialthemen» Städtevergleich des Fussverkehrs». Da- Abstimmung über das CO2 -Gesetz. Wir wie im Moment z.B. die Nachtzuglinien und durch können die Städte selbstständig die müssen unsere Ideen auch in die Agglo- das Projekt GEHsund. Zudem setzen wir Schwachpunkte ihrer Fusswege eruieren. meration bringen, etwa nach Dietikon bei den Fokus auf die grossen Kernstädte: vor Die Petition zum Erhalt der Nachtzug- Zürich. Zudem sollten wir uns verstärkt 10 Jahren mit den Städte-Initiativen und linien war ein echter Renner. Die Leute dem Thema Raumplanung widmen, denn nun mit den Stadtklima-Initiativen. Unsere standen an, um sie zu unterschreiben. Spä- vieles wird auf der übergeordneten Pla- Ideen werden in den städtischen Gebie- ter entstand daraus die Kampagne «Zug nungsebene entschieden. Ich persönlich ten breiter unterstützt und wir haben hier statt Flug» und eine stärkere Zusammen- werde mich daher in Zukunft im Rahmen mehr Erfolg. arbeit mit den SBB, um die Nachtzuglinien eines grenzüberschreitenden raumplane- zu retten. rischen Forums als Freiwillige engagieren. Was hat sich speziell in Genf verändert? Was war dein schönstes Erlebnis Dann bleibst du ja auch im Ruhestand Die städtischen und kantonalen Verwal- bei umverkehR? weiterhin aktiv – dazu alles Gute tungen setzen heute viel mehr auf den Die Abstimmung über die Städte-Initiative und für dein tolles Engagement bei Austausch mit den Umweltorganisationen. in Genf war 2011 eine Zitterpartie bis zur umverkehR ein riesiges Dankeschön! Diese Diskussionen sind allerdings zeit- Auszählung der letzten Stimmen. Und dann aufwendig und verlangen von uns ein brei- tes Fachwissen in den Bereichen öffentli- cher Verkehr und Fuss- und Veloverkehr. Und was ist gleich geblieben in diesen 18 Jahren? Ganz sicher ist der Wunsch nach einer Reduktion des Autoverkehrs immer noch unsere Hauptantriebsfeder. Auf der Ge- schäftsstelle herrscht nach wie vor grosse Begeisterung und viel Idealismus. Die Unterschriften für die Stadtklima-Initiative in Genf wurden in Rekordzeit gesammelt, nicht zuletzt dank zahlreichen Freiwilligen, die immer noch unersetzbar sind. Welches waren die Glanzlichter? Eines war der ÖV-Test, der aus Sicht der Benutzenden und nicht der Verkehrsbe- triebe durchgeführt wurde. 2003 war das ein Türöffner bei den Verwaltungen. Die Andrea von Maltitz in ihrem Element Bild: actif-trafiC
R R 8 Thema pl@net umverkehRen umverkehRen Dezember September2020 2021 R Tiefsinn sh. Es muss nicht immer Millionen R kosten. Ein bisschen Farbe, ein paar Campingtische und schon werden triste Strassenkreuzungen zu vitalen Oasen. Ob die Autoreifen gleich von den parkierten Fahrzeugen aus dem Quartier stammen, wissen wir nicht. Was wir aber mit Sicherheit sagen R RR können – in Barcelona geht bezüglich Verkehrsvermeidung und neuen Fuss- gängerzonen gerade mächtig die Post ab. Nachahmen lohnt sich. Bild: Platz in Barcelona – Ajuntament de Barcelona R R Bild: umverkehR R RR R Spiess umdrehen R sh. Trottoir? Nie gehört. Ist das die leicht erhöhte Fläche neben der Strasse, wo man immer wunderbar das Auto hinstel- R len kann? Scheint so! Als Gegenmittel können wir nur den PARK(ing) Day empfehlen. Es fühlt sich ganz wunder- bar an, wenn man wenigstens einmal im Jahr den Spiess umdrehen und sich ge- mütlich auf Parkplätzen vergnügen kann. R
R RR R 7 9 R Ferien auf dem Parkplatz R R sh. Ferien auf dem Campingplatz waren diesen Sommer coronabedingt ja besonders en vogue. Dabei dürfte einigen aufgefallen sein, dass der Traum vom Zelt in der wilden Natur auf den meisten R Zeltplätzen nicht erfüllt wird. Vielmehr macht man Ferien auf einem Parkplatz. Nicht selten halten sich Camper auf kleinen Flächen zwischen ihren Autos oder Wohnmobilen auf. Anstatt einer traum- haften Aussicht auf eine unberührte Landschaft endet der Blick meistens an der nächsten Autotür. Offenbar sehnen sich einige aber dermassen nach Ferien im Auto, dass sie sich sogar ein Zelt im R Autolook anschaffen. R R R Bild: umverkehR R RR R Bild: 3deluxe.de R R Tiefgang R sh. Der Gang in den Untergrund ist häufig der letzte Weg gegen Unterdrückung. Auf einem solchen Tiefgang befindet sich der Autoverkehr momentan weltweit. Von New York bis Singapur tyrannisieren Verkehrsplaner und Städtebauer die armen Vierräder und verbannen sie aus dem öffentlichen Leben. Dem Verlierer der modernen Zivilisation – dem Autoverkehr – droht der Absturz in die dunkle Unter- welt. Ein Licht am Ende des Tunnels ist nicht ersichtlich. Wir freuen uns über den wiedergewonnenen Platz und nutzen ihn vielfältig.
10 Klimaschutz umverkehRen September 2021 Lausanne und Genf setzen auf Klimaneutralität Der im August erschienene Bericht des Weltklimarats warnt vor den verheerenden Folgen des Klimawandels. Weltweit sind viele Städte entschlossen, das Schlimmste zu verhindern – durch Klimapläne. Was können und sollen solche Pläne in Lausanne und Genf bewirken? Andrea von Maltitz 2021 veröffentlichten die Stadt Lausanne die Stadtbewohnenden erreichen, denn stimmten Achsen vorsieht. Zwar verfügt und der Kanton Genf ehrgeizige Klima- innerhalb des Tarifverbunds Mobilis dürfte die Waadtländer Hauptstadt über eine pläne. Bei beiden geht es darum, den es sonst starken Widerstand gegen diese grosse Autonomie im Verkehrsbereich, Ausstoss an klimaschädlichen Gasen bis Massnahme geben. doch bleibt abzuwarten, wie der Kanton 2030/40 drastisch zu verringern. Das be- und die umliegenden Gemeinden auf die- trifft v.a. den motorisierten Individualver- Viel guter Wille, aber einige sen noch zu erarbeitenden Verkehrsplan kehr, der in Lausanne bis 2030 halbiert Unbekannte in Lausanne reagieren werden. werden soll. Erste Schritte wurden bereits Bei der neuen Politik kommt den Stadt- während der Pandemie unternommen: So behörden entgegen, dass heute bereits Der Genfer Klimaplan und wurden fast 700 Parkplätze aufgehoben, 46 % der Haushalte über kein Auto verfü- die Grenzen der Freiwilligkeit rund 7,5 Kilometer Veloweg geschaffen gen – Tendenz steigend. Statt nach brei- Der neue Klimaplan des Kantons geht von und etliche Strassen umgestaltet. Der um- ten Autoschnellstrassen und vielen Park- einer Senkung der Treibhausgase um 60 % weltfreundlichere öffentliche Verkehr soll plätzen sehnen sich viele Menschen nach bis 2030 aus. Oder anders ausgedrückt: bis zum Jahr 2030 um mehr als 40 % zu- sicheren Velowegen, breiteren Trottoirs, Statt heute 11 Tonnen CO2 soll jeder nehmen – dank um 50 % verbilligte Abonne- um dort spazieren zu können, und Plätzen, Genfer im Jahr 2030 nur noch 3,5 Tonnen ments für Kinder, Jugendliche, Sozialhilfe- die zum Flanieren und Verweilen einladen. ausstossen. Um den ökologischen Wandel bezügerInnen und Ältere, und dank ver- Der Transitverkehr soll aus der Stadt ver- innerhalb der nächsten 10 Jahre zu errei- bessertem Takt. Wahrscheinlich wird die bannt werden. Dies dank eines neuen chen, will der Kanton 6 Milliarden Franken Stadt Lausanne die Verbilligung in einem Verkehrsplans, der Geschwindigkeitsbe- investieren. ersten Schritt nur mittels Subventionen für grenzungen und Beschränkung auf be- Der Bereich der terrestrischen Mobi- lität ist in Genf für mehr als einen Viertel des CO2 -Ausstosses verantwortlich. Dank der Förderung des Velo- und Fussverkehrs und des Ausbaus des ÖV soll der Auto- verkehr um 40% abnehmen. Weitere Ver- billigungen des ÖV oder der Rückbau oder zumindest die Rückstellung von Strassen- ausbauten sind nicht vorgesehen. Die Frage stellt sich, ob eine Reduktion des Autoverkehrs, die nur auf Freiwilligkeit beruht, realistisch ist. Der Kanton will, dass 2030 der Fahr- zeugpark zu 40 % aus Elektrofahrzeugen besteht. Für den Ausbau der Elektrolade- stationen sollen v.a. die Gebäudebesitzer sorgen. Der Ersatz von privaten Diesel- oder Benziner Fahrzeugen durch elektri- sche oder mit Wasserstoff angetriebene löst das Problem des Platzbedarfs auf den Strassen aber nicht. Der Flughafen wurde übrigens erst auf Druck des Nachhaltigkeitsrats in den Plan einbezogen, allerdings nur mit dem Ziel einer Abnahme von weniger als 7 %. Das Fazit: Hehre Ziele, aber leider kaum In Genf wurden über 8000 Unterschriften gesammelt. griffige Massnahmen. Bild: Thibault Schneeberger
7 Stadtklima-Initiativen 11 Meilenstein für die Stadtklima-Initiativen Die benötigten Unterschriften der Stadtklima-Initiativen von umverkehR in Basel, Zürich, Winterthur und Genf sind beisammen. Nun können wir die Abstimmungskampagnen vorbereiten. Daniel Costantino und Andrea von Maltitz «Kennen Sie die Doppelinitiative für mehr bereitung einer Vorkampagne. Nachdem Ende Juni rief eine Aktion von vier Grünräume mit Bäumen gegen die Hitze die Unterschriftensammlung so reibungs- Studentinnen die Initiative sympathisch in der Stadt und mehr Platz für Fussgän- los abgeschlossen werden konnte, sind in Erinnerung: eine Pflanzenspirale be- gerinnen, Velofahrende und den öffentli- wir zuversichtlich, dass die Stadtklima- grünte – leider nur kurzzeitig – den kahlen chen Verkehr?». Diese Frage wurde in den Initiativen auch bei den Regierungen und Platz de Plainpalais im Zentrum des mo- vergangenen Monaten in vier der sechs im Parlament auf Anklang stossen und dernen Genf. Die Passantinnen und Pas- Stadtklima-Initiativen-Städten oft gestellt. angenommen werden. Dann steht einem santen bestaunten das Ereignis – und un- Und – in der Regel wurde die Frage mit erfolgreichen Abstimmungskampf nichts terschrieben. einem «ich finde das super und unter- mehr im Weg. schreibe gerne» beantwortet. Auch unser Nicht nur gegen zu viel Hitze Aufruf, Unterschriftenbögen bei uns zu Genf setzt auf die Unterstützung Apropos Wetter: beim Schreiben dieses bestellen, wurde erhört. So sind die Un- der Zivilgesellschaft Artikels trommelt der Regen gegen die terschriften in Windeseile zusammenge- Das Sammeln der Unterschriften in Genf Fensterscheiben, Flüsse und Seen drohen kommen – lange vor dem Ende der Sam- war ein richtiges Bravourstück, mussten über die Ufer zu treten und die Menschen melfrist. Die Stadtklima-Initiativen von doch 5400 Unterschriften in nur vier wehren sich so gut wie möglich gegen umverkehR geniessen eine grosse Sym- Monaten gesammelt werden. Der Sammel- die Naturgewalt. Klimaerwärmung heisst pathie. Doch warum nur in vier der sechs beginn am 1. Mai bei strömendem Regen nicht nur grössere Hitze, sondern auch Städte? In St. Gallen wurden die Unter- war nicht gerade erfolgversprechend, doch mehr und intensivere Niederschläge, Ge- schriften bereits im letzten November bereits zwei Monate nach Sammelbeginn witter, Hagel, Stürme. Mit der teilweisen eingereicht. Nachdem der Stadtrat die war klar, dass wir das Ziel erreichen wer- Entsiegelung des Strassenraumes, wie sie Initiativen abgelehnt und zwei Gegen- den – trotz miserablem Wetter und Som- die Initiativen verlangen, wird auch die so- vorschläge vorgelegt hat, sind wir aktuell mer ferien. Geklappt hat es dank einer genannte «Schwammstadt» gefördert: der im Austausch mit den Komiteemitglie- sorgfältig geplanten Organisation der Ver- entsiegelte Boden kann Wasser besser dern und Vertretern des Parlaments. Der sände unserer «Partnerorganisationen» Pro aufnehmen und speichern. Wasser, das Parlamentsentscheid fällt voraussichtlich Velo, VCS, Pro Natura sowie der Grünen, während Trockenperioden dringend be- noch im September. der SP und der Grünliberalen. Tatkräftige nötigt wird. Wir hoffen, dass die Städte In Bern hat sich die Lancierung ver- Hilfe erhielten wir auch von einem halben den Weitblick haben und die Chancen zögert, sie wurde auf den nächsten Früh- Dutzend Quartiervereinen. Alle erfüllten dieser cleveren Initiativen nutzen. Für die ling verschoben. Unsere Partnerin «Läbigi ihre angekündigte Sammelquote (und Menschen in den Städten bringen die Ini- Stadt» ist derzeit in der Planung und Vor- mehr). tiativen definitiv mehr Lebensqualität. Blumeninstallation auf der Plaine de Plainpalais in Genf. Bilder: Pablo Silva
Fokus Verkehrssprache – verkehrte Sprache? Sprache ist mehr als ein Kommuni- kationsmittel. Sie leitet hinter- gründig auch unser Denken und Handeln an. Das Wort «Mobilität» ist eng mit der Vorstellung von Freiheit verbunden und blendet aus, dass man auch frei sein kann, ohne mobil zu sein. Wörter wie «Ver- kehrsflut» und «Verkehrsinsel» verraten, dass wir Verkehr als Fluss, als Naturphänomen wahr- nehmen. Dies hat Folgen … An einer Tagung am 19. November 2021 in Bern werden Erkenntnisse aus der Linguistik mit Interes- sierten aus der Praxis diskutiert. Könnten neue Wörter neue Wege in der Verkehrspolitik aufzeigen? Weitere Informationen: https://diktum.ch/tagung- sprachkompass Agenda Fr 19. November 2021 Verkehrssprache – verkehrte Sprache? Sprache ist mehr als ein Kommu- nikationsmittel (s. Fokus oben). Unitobler, Mittelstrasse 43, 3012 Bern. Teilnahme kostenlos – Wenn Verkehr ein Fluss ist, Anmeldung obligatorisch: diktum.ch/tagung-sprachkompass dann ist er eine Naturkraft, Mo 29. November 2021 die nicht zu hinterfragen ist. 8.30 – 17.00 Uhr Mobilität neu denken: Dass er von uns verursacht Nationale Mobilitätskonferenz Veranstaltung des Bundesamtes ist, wird unsichtbar. Flüsse für Raumentwicklung ARE in Bern und digital (vor Ort: CHF 150.–, online: CHF 50.–). folgen der Schwerkraft – www.are.admin.ch/are/de/home/ mobilitaet/strategie-und-planung/ nicht aber der Verkehrsfluss! mobilitaet.html Die Metapher verdeckt, dass Verkehr Treibstoffe ver- schlingt und Abgase erzeugt.
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