Verlag die brotsuppe - Herbst 2022
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Liebe Leserinnen und liebe Leser, liebe Buchhändlerinnen und Buchhändler Russland schickt seine Armee los und Elisabeth Blum widmet sich auf literari- überfällt die Ukraine, die Demokratie muss sche Art der Stadt und schreibt davon, wie mit mehr als Worten verteidigt werden. Sprechen Räume kreiert, auch ganz reale, Und wir machen Bücher. urbane. Es sind Themen dazu gekommen, die alten Das Buch von Ida Marie Hede aus Däne- sind noch da und wie immer gesellen sich mark zeigt uns, wie ein Mittelschichts- auch neue Erzählformen dazu. Geschich- schlaraffenland aussehen könnte … ten sind nötig, um den Blick auf unsere Schliesslich haben wir, da nur noch wenige Welt, unsere Nächsten und uns selbst zu Exemplare von der dritten Auflage vor- verfeinern. Was wir für oder gegen etwas handen waren, das erste Buch von Noëmi ausrichten können, das entscheiden Sie, Lerch, »Die Pürin«, in einem neuen Format liebe Leserinnen und Leser. aufgelegt. Wir sorgen dafür, dass Sie von den Ge- Und wir machen Sie auf ein paar Bücher schichten, Gedanken, Sprachbildern hö- aufmerksam, die bereits erschienen sind ren, sie lesen können. und uns ganz besonders beeindruckt Im Herbstprogramm erfahren wir von haben. Bitte denken Sie daran, Bücher Noëlle Gogniat, was Wind und Sturm und sind keine Joghurts, sie schimmeln nicht, Wetter mit Dorfbewohnerinnen und Dorf- sie brauchen viel Zeit, bis sie da sind, und bewohnern anstellen und wie sich Gianna sollten dann auch nicht gleich verschwin- dem widersetzt. den. Sabine Haupt erzählt mit viel schwarzem Wir danken Manuela Umberg für ihre Ar- Humor und überaus unerschrocken die beit als Verlagsvertreterin, die sie wegen unterschiedlichsten Geschichten über den einer neuen Aufgabe abgegeben hat, und Tod und das Sterben, während Thomas wir begrüssen Katrin Poldervaart, sie wird Flahaut die Fabrikarbeit und Freundschaft die Titel des Verlags in Zukunft präsentie- mit Jugendfreundinnen und -freunden mit ren. Wir haben sie kennengelernt und freu- Leben füllt. en uns sehr über diese Zusammenarbeit! Regina Dürig und Miriam Affolter haben sich überlegt, ob wir immer sicher sein Wir wünschen Ihnen alles Gute können, was zusammenpasst und was nicht, und ob uns diese Vorstellungen ei- niges vermiesen. Mit Rezepten zum Nach- kochen hat sie der Sternekoch René Frank Ursi Anna Aeschbacher aus Berlin unterstützt. verlag die brotsuppe Herbst 2022 3
… das Dorf und das Wetter Noëlle Gogniat, 1996 in Altdorf gebo- ren, studierte Illustration Fiction an der Hochschule für Design und Kunst in Luzern und Literarisches Schreiben an der H ochschule der Künste Bern. Noëlles Leidenschaft ist das Erzählen mit Bildern und Worten. Damit ihr der Stoff für ihre Geschichten und das Geld nicht ausgehen, unterrichtet sie oder arbeitet in Museen. Noëlle lebt und arbeitet als freischaffende Illustratorin und Autorin in Bern. »SO IST ES EBEN« ist ihr erster Roman. noellegogniat.com (Foto: Valentin Luthiger) Leseprobe. Alle im Dorf sind auf Föhn vorbereitet. hört es dauernd irgendwo knallen, wie auf einer Pflänzchen werden abends möglichst nahe an Baustelle. Sogar das Wasser im Klo schwappt. die Hausfassade gestellt, nichts im Dorf hängt Bei Föhn ist es unmöglich, durchs Leben zu irgendwo, es gibt keine Dekosterne oder Laternen, schleichen. Sobald jemand ein Fenster öffnet, keine Hängepflanzen, nichts, was bloss an einem knallt irgendwo eine Tür. Der Föhn wirbelt alles Faden oder Seil befestigt ist. Seit Frau Baumanns und alle durcheinander. Und wenn er zusammen- Spitzenunterwäsche bei Heidi im Garten gelandet fällt, dann regnet es so, dass man die Berge nicht ist, meiden es die Dorfbewohner, Wäsche draus- mehr sieht. Erschöpfung breitet sich aus. Die sen zum Trocknen aufzuhängen. Ausser Gianna, Bäume und Einwohner sind froh, dass niemand die lüftet ihre Wollpullover an einem Kleiderbügel, mehr an ihnen zerrt. den sie an den Fensterladen hängt … 7. September [16:43] KUKO-Chat, Nachrichten Adriana mag den Föhn in seinen Anfängen. Wenn und Anrufe sind Ende-zu-Ende-verschlüsselt. er sich ankündigt, beschleicht sie die Erwartung, Niemand ausserhalb dieses Chats kann sie lesen dass etwas Bedeutendes passieren wird. Viel- oder anhören, nicht einmal WhatsApp. leicht weil der Wind sie dann anschiebt, wenn sie nach Hause läuft. [18:22] Paul Heute wo genau?? Aber schlussendlich ist es doch nur Föhn. Er zerrt [18:23] Alois fremdenspital, trauungszimmer am Haus, heult durch die Ritzen des Balkonge- [18:26] Paul länders, zerrt an einem selbst und an den Nerven. Nirgendwo ist es still. Das Haus knarzt und man verlag die brotsuppe 4 Herbst 2022
Noëlle Gogniat Noëlle SO IST ES EBEN Roman 144 Seiten Gogniat CHF 27 / Euro 24 ISBN 978-3-03867-073-5 SO IST ES EBEN verlag die brotsuppe In einem Dorf mit erbarmungslosem Föhn, rund »SO IST ES EBEN« erzählt von der Macht der um eine lokale Tradition, ein gemeinschaftliches Natur und von Gianna, die sich widersetzt. Chabis- und Schaffleischkochen, bringen sich Davon, wie alles zusammenhängt, von wohin die die Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner in Schuhspitzen zeigen über den Wind hinaus bis Position, verschweigen einander Wesentliches, zu den schiefhängenden Kupferstichen im Trau- versichern sich ihrer Identität und verwahren ungszimmer. Vom Zögern und vom Anlaufneh- sich mehr oder minder erfolgreich gegen Neues. men, kurz bevor das Leben die Richtung ändert. Nur einem ist das gänzlich gleichgültig, einem alles durchziehenden Fallwind. Gemeinsam der Die Autorin steht für Lesungen zur Verfügung. Unbill und der Schönheit des Wetterphänomens ausgeliefert, kommt es zu Verschiebungen in der dörflichen Familienaufstellung, zu Reibungen, Neuanordnungen und einem Knall. verlag die brotsuppe Herbst 2022 5
Sabine Haupt, geboren 1959 in Giessen, lebt seit 1980 am Genfersee, zwei Töchter, Profes- sorin für Allgemeine und vergleichende Litera- turwissenschaft an der Universität Fribourg. Sie ist im Vorstand des Deutschschweizer PEN-Zentrums und des dreisprachigen Litera- tur- und Übersetzungsfestivals »Bieler Gesprä- che«. Im verlag die brotsuppe erschien 2018 ihr Roman »Der blaue Faden. Pariser Dunkel- ziffern« sowie 2021 der Roman »Lichtschaden. Zement«. www.sabinehaupt.ch (Foto: Christian Fotsch) Bilder von Frank Lepold, Tätigkeiten im Bereich Werbung, Multimedia, als Komponist (u.a. Illustrations- musik) und als freischaffender Künstler (Bild, Ton, Experimentalfilm). Sabine Haupt: Sabine Haupt: Der blaue Faden Lichtschaden.Zement Roman, 520 Seiten; gebunden Roman, 320 Seiten; gebunden CHF 39 / Euro 35 CHF 32 / Euro 31 ISBN 978-3-03867-008-7 ISBN 978-3-03867-036-0 Leseprobe. Vielleicht träumen die Leute schlecht Welche Katze? Ich habe keine Katze. Das hat er von mir. So wie auch ich schlecht von ihnen mir doch ausdrücklich verboten! Keine Katzen, träume. Von dieser rechtschaffenen Bintje zum keine Kinder, keine Kakteen. Bintje ist unsere Beispiel, wie sie alles aufräumt, meine Kleider Nachbarin, ich weiss nicht, warum ich so schlecht ordnet und zusammenlegt, Bänder und Schlei- von ihr träume. Sie ist die freundlichste Person fen glatt zupft, bevor sie die Wäsche einsortiert, hier im Vorderhaus. Erst neulich klopfte sie wie- säuberlich in Schubladen verstaut oder auf Bügel der an unserer Wohnungstür, weil es so laut war. hängt, auch mein Nachtkästchen nicht vergisst, »Bitte beruhigen Sie sich«, rief sie durch die Tür, Ohrenstöpsel und Halsband behutsam von der »es ist doch Weihnachten!« Es war tatsächlich Ablage nimmt, gründlich abwischt, ohne die Weihnachten. Sie blieb ein paar Minuten lang im Innenseiten zu berühren, dann mein Bett macht, Stiegenhaus stehen, wartete, dass wir uns beru- tadellose, mit Liebe und Sorgfalt ausgeführte higten und in eine weihnachtliche Stimmung ka- Gesten. Doch abends, wenn ich mich zum Schla- men. Ihre Umrisse waren gut zu erkennen. Bintje fen hinlege, bemerke ich, dass sie schon wieder hat sehr helle und sehr weiche Umrisse, und das meine Katze in den Bettbezug gestopft und den liegt nicht nur am Milchglas. Reissverschluss zugezogen hat, dass sie die Decke herausgenommen und das Tier hineinge- steckt hat. Wer aber kann schlafen, wenn er sich mit einer Katze zudecken soll? verlag die brotsuppe 6 Herbst 2022
Sabine Haupt Die Zukunft der Toten Erzählungen Bilder von Frank Lepold 240 Seiten CHF 30 / Euro 27 ISBN 978-3-03867-069-8 Sabine Haupt Die Zukunft der Toten Erzählungen verlag die brotsuppe In »Die Zukunft der Toten« erzählt Sabine Haupt Erzählungen. Die fünfzehn Illustrationen von von realen und fantastischen Begegnungen mit Frank Lepold unterstreichen sowohl das Dunkle dem Tod, von skurrilen Preppern, historischen und Verstörende wie auch das Spielerische ihrer Tierversuchen, sterbenden Menschen und ster- Texte. benden Maschinen, grausamen oder grotesken »Für kunstfertig komponierte Romane und Er- Verbrechen. zählungen voller tiefgründiger und überraschen- Schauplätze sind einsame Häuser und Strassen, der Reflexionen, Ideen und Überlegungen ist Versuchslabore, eine Palliativstation und eine Sabine Haupt spätestens seit ihrem Erzählband psychiatrische Praxis, ein unterirdischer Ge- ›Blaue Stunden‹ bekannt.« Rolf Löchel in »Fem- richtssaal und ein kubanischer Friedhof. Bio«, dem Blog von Luise F. Pusch Schwarzer Humor und der unerschrockene Blick in seelische und politische Abgründe kennzeich- Die Autorin steht für Lesungen zur Verfügung. nen alle dreizehn in diesem Band versammelten verlag die brotsuppe Herbst 2022 7
… ihre Fabrik und ihr Viertel Thomas Flahaut wurde 1991 in Montbéliard geboren. Er hat in Strassburg Theaterwissenschaf- ten studiert, ist in die Schweiz übersiedelt und hat am Schwei- zerischen Literaturinstitut in Biel Literarisches Schreiben studiert. Er schreibt Drehbü- cher und ist Mitbegründer des schweizerischen Kollektivs »Hétérotrophes«. Sein erster Roman »Ostwald« (2018) handelt von zwei Brüdern, die sich nach Der Übersetzer einer Nuklearkatastrophe eine neue Zukunft erfinden müssen. Yves Raeber ist »Sommernächte«, von der Fon- Schauspieler, Regis- dation Leenaards gefördert, ist seur und Übersetzer sein zweiter Roman, der 2022 mit von Theaterstücken dem Prix du Roman des Romands und Prosa. ausgezeichnet wurde. Er lebt und arbeitet (Foto: Lucas Dubuis) in Zürich. Leseprobe. Es ist der erste Abend seines siebten er sie liebt, und dazu das Geräusch des Rotors Sommers bei Lacombe. Der Parkplatz ist von nachmachen, da ist sich Mehdi sicher. Dann gibt Jahr zu Jahr unbelebter. Standen dort früher zur es Stylo, den letzten Festangestellten und einzi- Dämmerung noch viele Motorräder, ist er jetzt gen älteren Mitarbeiter, der kein Chef ist. Auch er fast leer, ebenso der Hof, die Treppe, der Umklei- ist vermutlich in seine Fräse verliebt, die einzige deraum und die Werkstatt. Um die fünf in Betrieb Maschine in der Werkstatt, die etwas abseits- befindlichen Maschinen – vier Mirandas und eine steht. Dann ist in diesem Jahr zum ersten Mal Fräse – stehen weitere ungenutzt herum. Gegen auch Thomas dabei. Zu sehen, wie er an diesem zwanzig Operateure waren sie im letzten Som- Abend Romuald hinterherläuft und bei dessen mer, jetzt sind sie nur noch zu sechst. Steven Erklärungen schüchtern nickt, ist einfach ko- und Nicolas Lorrain, mit denen er schon als Kind misch. Thomas, Student und Studienabbrecher, befreundet war und die so eng miteinander auf- der die Fabrik nie zu betreten geschworen hat, gewachsen sind, dass sie wie Zwillinge wirken. die seinen Vater Gesundheit und Lebensfreude Dann gibt es Romuald, den Chef, der Miranda in- kostete, ist da. Vor diesem sich in einer fremden und auswendig kennt, er weiss, wie sie schnurrt, Umgebung bewegenden Kindheitsfreund fühlt bei der Arbeit riecht, beim Einschlafen zu sich Mehdi wie zuhause. schnarchen beginnt, Romuald, der die Maschi- nensprache beherrscht. Nachts, wenn er allein ist, wird er der Maschine ab und zu sagen, dass verlag die brotsuppe 8 Herbst 2022
Thomas Flahaut Sommernächte Roman Übersetzt von Yves Raeber Thomas Flahaut 224 Seiten CHF 31 / Euro 28 Sommernächte ISBN 978-3-03867-070-4 Roman übersetzt von Yves Raeber verlag die brotsuppe Prix: Le Roman des Romands Thomas, Mehdi und Louise kennen sich seit ihrer die noch gewalttätiger ist als die ihrer Eltern. Dort Kindheit. gibt es keine Arbeiter mehr, sondern Operateure, und die Maschinen glänzen in seltsamer Schön- Damals war Les Verrières ein unerschöpflicher heit. Spielplatz. Heute sind sie erwachsen, ihr Viertel ist verfallen und für einen Sommer wird die Fabrik Thomas Flahauts grosses Fresko über die Macht zum Mittelpunkt ihres Lebens. und Zerbrechlichkeit des sozialen Erbes ist der Roman einer Generation mit ihren Träumen, Hoff- Die Fabrik, in der ihre Väter viele Jahre lang nungen und Enttäuschungen. geschuftet haben und in der Thomas und Mehdi gerade erst eingestellt wurden. Das Buch hat 2022 die Auszeichnung Roman des Romands erhalten. Die Fabrik steht im Mittelpunkt von Louises Dis- sertation über Grenzarbeiter zwischen Frankreich und der Schweiz. Die Kinder aus der Unterschicht Autor und Übersetzer stehen für Lesungen zur sehnten sich früh nach einem besseren Leben. Verfügung. Sie finden sich in einer keimfreien Welt wieder, verlag die brotsuppe Herbst 2022 9
… passt nicht und schmeckt Regina Dürig, geboren 1982 in Mannheim, ist freischaffende Autorin, Performerin und Dozentin für literarisches Schreiben. Für ihre Arbeiten hat sie zahlreiche Aus- zeichnungen erhalten, u.a. den Peter-Härt- ling-Preis, ausserdem waren ihre Bücher für den Schweizer Kinder- und Jugendme- dienpreis und den Deutschen Jugendlitera- turpreis nominiert. www.reginaduerig.ch Miriam Affolter, geboren 1980 in Bern, ist Grafikdesignerin. Seit 2010 arbeitet sie als selbstständige Grafikerin in Biel, seit 2012 in ihrem eigenen Büro »atelier komma«. Sie unterrichtet an der Fachklasse für Grafik und arbeitet als Mentorin des Gra- fikdiplomprojekts. www.atelierkomma.ch (Foto: Miriam Affolter, Anja Fonseka) Leseprobe. »Wir haben Frühstück gemacht«, sagt »Aber Schokolade und Salz passen überhaupt eine Stimme, die Maila bekannt vorkommt. »Wo nicht zusammen!«, haucht Maila. »Deswegen ist bin ich?«, fragt sie und setzt sich auf. »Auf dem es ja so gut«, antworten Nello und Meo gleichzei- Sofa«, sagt Nello. Alles um sie herum ist so eng, tig. Nello nimmt ein Käsebrot, leckt die Marmela- dass Maila Angst hat, plötzlich von einem Regal de runter und hält Maila das Brot hin. Maila wird oder Schrank verschluckt zu werden. »Frühstück? schlecht. Wie lange habe ich geschlafen?« – »Einen Tag, Sie will aufstehen, aber Meo hält sie fest. »Du eine Nacht und dann noch ein bisschen länger. Es kannst nicht weggehen, du bist unsere Patien- ist schon fast Abend, aber wir können nur Früh- tin«, sagt er. »Eigentlich wollen wir einen Hund, stück machen«, sagt Meo und stellt einen Teller aber eine Patientin ist auch gut«, sagt Nello. »Ihr auf die Sofalehne. »Käsebrot mit Marmelade und braucht jemanden, die sich um euch kümmert, Schokoladenbrot mit Salz«, erklärt er. nicht umgekehrt«, sagt Maila, zieht ihre Hand aus Maila hat Hunger, aber ihre Hand will nicht nach Meos Hand und läuft runter in ihre Wohnung. Aller den Broten greifen. Wie kommen diese Kinder auf Schwindel schon wieder vergessen. so garstige Ideen? Nello nimmt sich ein Scho- Arme Maila, in ihrer Wohnung liegt das ganze Par- koladensalzbrot. Meo will es ihm aus der Hand kett in Haufen aufeinander und nicht mehr schön ziehen, aber Nello ist schneller, er beisst ab und und flach nebeneinander. Grosse Metallkisten mit Meo muss loslassen, damit seine Finger heil blei- Propellern brummen vor sich hin, um die Luft zu ben. »Das schmeckt«, schmatzt Nello und drückt trocknen. Brotpampe durch die Zähne. verlag die brotsuppe 10 Herbst 2022
Regina Dürig & Miriam Affolter Regina Dürig WAS Miriam Affolter Maila, Pia und die Schokoladenzwillinge Eine Geschichte zum ZUSAMMEN- Vorlesen und Nachkochen 112 Seiten CHF 29 / Euro 27 ISBN 978-3-03867-072-8 PASST echs Mit s chen öhnli ergew pten auss Re z e ert- gross e De s s und leine für k kof an s Scho ** Maila, Pia und die Schokoladenzwillinge Eine Geschichte zum Vorlesen und Nachkochen Im Zentrum des von Miriam Affolter illustrierten Plötzlich gehören die vier zusammen. Und dann und von Regina Dürig geschriebenen Kinderro- bekommt Pia die Kündigung … mans steht die junge Pianistin Maila, die aus gesundheitlichen Gründen in ein kleines Küsten- René Frank, dessen Berliner Restaurant CODA städtchen reist und ihre Konzerte absagen muss. mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet ist, hat Alles ist anders, als sie es kennt, zum ersten für das Buch sechs ungewöhnliche Schokoladen- Mal ist sie auf sich selbst gestellt. Sie lernt bald rezepte entwickelt, die die Geschichte sinnlich ihre Nachbarn kennen: die Köchin Pia und deren erfahrbar machen und sich fürs gemeinsame beiden Söhne Nello und Meo. Die sind laut, frech, Kochen mit Kindern eignen. René Frank bleibt neugierig und auch ein bisschen ungezogen. seiner Philosophie als Patissier treu: Alle R ezepte arbeiten mit der Eigensüsse der Zutaten. Und Obwohl Maila Freundinnen und Freunde gebrau- schaffen durch komplexe Kombinationen ausser- chen könnte, ist sie so genervt, dass sie den Ver- gewöhnliche Geschmackserlebnisse. Schokolade mieter bittet, die störende Familie rauszuwerfen. und Olive passen nicht zusammen? Deswegen ist Und dann passiert es: Maila flutet ihre Wohnung es gerade gut! Eingeleitet wird der Rezeptteil des und Pia nimmt Maila bei sich auf. Auch wenn sie Buches mit einer kindgerechten Warenkunde zum es nie gedacht hätte: Die Zwillinge wachsen ihr Thema Zucker, Süsse und Schokolade. so sehr ans Herz, dass Maila sogar für sie kocht. verlag die brotsuppe Herbst 2022 11
… die Stadt und die Wörter Elisabeth Blum ist Architektin und frei- schaffende Autorin, publiziert seit Jahren im Forschungsfeld Architektur, urbane Atmosphären und Stadtperspektiven. Sie unterrichtete als Gastdozentin an der ETH Zürich, an der Syracuse University NY und an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Sie gehört zur Gründungs-Clique der Künstlergruppe »diehasena«, partizipierte an vielen Kunstausstellungen und Inter- ventionen. Sie lebt in Zürich. (Foto: Inge Blum) Leseprobe. Öffentliches Sprechen lässt sich so Mittel zur Hand, zu beobachten, wie es um diese ähnlich verstehen wie das Verlegen eines Schie- sprachlichen Infrastrukturen steht? Sind sie gut nennetzes in einer Stadt. Wo keine Bahn, kein ausgebaut? Oder gleichen sie reduziert betrie- Bus hinfährt, verschwindet die Stadt. Wo keine benen Netzen? Liegen zu viele Gleise still? Sind öffentliche Erzählung hinreicht, reicht auch die einige noch gar nicht verlegt? Welche wären das? Wahrnehmung nicht hin. Als Nächstes liesse sich Weit und breit kein Forschungstrupp in Sicht, der behaupten, dass öffentliches Sprechen ein effi- Listen führt über urbane Narrative, in die eine zientes Instrument sei, ausgewählte städtische Stadt oder ein Land investiert. Keine Liste der Phänomene zu suggerieren. Und entsprechend abgewiesenen Projekte, in die eine Stadt oder ein das öffentliche Schweigen ein Werkzeug, Realitä- Land nicht investiert. Entscheidend dafür, welche ten aus dem Stadtverständnis zu verbannen. Erzählungen in einer Stadt kursieren, sind beide Öffentliches Sprechen oder Schweigen ent- Listen. Abgelehnte Forschungsprojekte auf ihre scheidet, was Anspruch darauf hat, zur städti- potentiellen Reden hin zu durchforsten ergäbe schen Realität zu zählen. Immerfort zu fragen, Hinweise darauf, welche Geschichten mit der was gerade zur Sprache kommt oder umgekehrt Ablehnung marginalisiert werden. gerade verschwiegen und vertrieben wird, ist ein Genehmigtes öffentliches Sprechen. Unterdrück- vielversprechendes Trainingsfeld für Interpretati- tes öffentliches Sprechen. Was vernichtet eine onen urbaner Welten. Und wenn man öffentliches Gesellschaft an sich selber? Was hätschelt sie? Sprechen wie ein öffentliches Infrastrukturnetz In welchen Gruppen? In welchen institutionellen begreift, hätte man dann nicht ein ganz probates Einrichtungen? verlag die brotsuppe 12 Herbst 2022
Elisabeth Blum Prekäre Komplizenschaft ELISABETH Die Wörter, das Sprechen, die Stadt BLUM 168 Seiten CHF 29 / Euro 26 PREKÄRE ISBN 978-3-03867-068-1 KOMPLIZEN- SCHAFT DIE WÖRTER DAS SPRECHEN DIE STADT VERLAG DIE BROTSUPPE Warum dieses Theater um Wörter und Sätze? mittelbar Einfluss nimmt auf die Art und Weise, Aus dem Sprechen kann ein Blitz aufsteigen. wie wir die Realität gerade sehen? Wieso auch Und was tut dieser Blitz? Der lässt uns sehen, das Realität konstruiert, worüber gerade nicht was sonst im Schatten um die Wörter herum gesprochen wird? geblieben wäre. »Prekäre Komplizenschaft« forscht den ge- Aber, so werden Sie weiter fragen … Warum Wör- heimnisvollen, räumlichen Ereignissen nach ter, Sprechen, Stadt? Sprechen kreiert Räume. beim Beobachten von Wörtern und Sätzen und Auch ganz reale, urbane. Wörter sind höchst Sprechweisen. unbeständige Dinger, die von der Sprache in die Die 25 Episoden, die dem quirligen Geschehen urbane Realität hinüberspringen – in jede Rea- eines Dialogs im Reich der Wörter folgen, zeigen lität. Weil Wörter sich, Amöben ähnlich, Partikel keinerlei Geschlossenheit, keine formal stimmi- einverleiben oder ausstossen, Realitäten ummo- ge Logik, sie folgen den Unberechenbarkeiten deln, in Ausnahmefällen gar revolutionieren. des Gesprächs, der Beliebigkeit assoziativen Wie Vorstellungen von Stadt entstehen? Von Sprechens, leben von Umwegen und Sprüngen. gesellschaftlicher Wirklichkeit? Von Wahrheit? Oder Lüge? Wer sie präfabriziert? Konstruiert? Manipuliert? Wie man beim Sprechen und Zuhö- ren an der Wirklichkeit herumschraubt? Warum sich kein Satz aussprechen lässt, der nicht un- verlag die brotsuppe Herbst 2022 13
… im Mittelschichtsschlaraffenland Ida Marie Hede, 1980 in Braband bei Århus geboren, studierte Aural and Visual Culture am Goldsmiths College in London und Literarisches Schreiben in Kopenhagen. Seit ihrem Debüt 2010 hat sie mehrere Bücher veröffentlicht, darunter »Be- Der Übersetzer dårende« (2017), das 2021 unter Matthias Friedrich dem Titel »Adorable« auf Eng- studierte Kreati- lisch erschienen ist. »Der Sog« ves Schreiben und brachte ihr eine Nominierung für Kulturjournalismus den Montana-Literaturpreis und in Hildesheim sowie den Literaturpreis der dänischen Skandinavistik und Zeitung »Politiken« ein. Kulturwissenschaf- (Foto: Tine Bek) ten in Greifswald. Leseprobe. Schaut, wie Herzscham langsam, wie Brüste wollen raus. Leibscham ist liebessüchtig, in einem Musikclip, ihre bestickte Jeansjacke fal- hat aber keine Geduld. Ficken tut sie in der Regel len lässt: Über ihrem weissen T-Shirt und der aus- als Erstes, und sie macht es im Rausch, das ist gewaschenen Pyjamahose mit dem Schlangen- wie Binge-Watching … – und hinterher steckt hautaufdruck hat sie ein plissiertes Trägerkleid sie voller Anekdoten und Sodbrennen, ständig an. An ihrer Taille klumpt das T-Shirt, schlingt sich scheint irgendwer mit ihr Schluss zu machen. wie echte Dellen über die falschen … Herzscham Arschscham rückt die goldene Plastikkappe auf ist eine chaotische, aufreizende Romantikerin. ihren Haaren zurecht. Ihr Mantel steht offen. Ein Herzscham ist Krähwinkels hübscheste White Gummiband schlingt sich lose um ihre Hüften. Trash. Sie lebt für den Liebesrausch. Sie verliebt Etwas schmaler als ein Fahrradreifen. Ein kleiner, sich in alles, dem sie nahekommt. Quer über ihr rosa Knoten auf ihrem Hüftknochen. Ich kenne T-Shirt: ein kleiner Simili-Alien. keine, die so fickt wie Arschscham. Unter Leucht- Direkt hinter Herzscham Leibscham. Jetzt, als stofflampen. In Küchen. Auf jahrhundertealten müsste sie sich nicht darum kümmern, lässt sie Bäumen … Solange man ihr verspricht, kein Mann ihre Jacke fallen: darunter ein knöchellanger, zu sein, sich nicht wie ein Mann zu benehmen, kunstlederner Rock. Ihre Hüften springen hervor niemals wie ein Mann zu denken. Wie denkt denn wie ausgemeisselte Büsten, tragen sie Ge- ein Mann?, frage ich blöde, als wir, sturmum- sichtszüge? Unter ihrem shiny Rock zappeln ihre tost und ins Gespräch vertieft, an der Kreuzung Schenkel und Waden. Sie ist vakuumverpackt. stehen. Ein Nylonhemd, das nach aussen krängt. Die verlag die brotsuppe 14 Herbst 2022
Ida Marie Hede Der Sog oder Wäscht du unsere Stinkefinger mit deinen Ida Marie Hede Tränen? Übersetzt aus dem Däni- schen von Matthias Friedrich 320 Seiten CHF 33 / Euro 30 ISBN 978-3-03867-071-1 oder Wäschst du unsere Stinkefinger mit deinen Tränen? übersetzt von Matthias Friedrich Roman Nominiert: Literaturpreis der dänischen verlag die brotsuppe Zeitung Politiken Nachdem die Erzählerin mit ihrem Mann und ausgestossenen Frauen die Verbündeten, die einer unbändigen Kinderschar eine gelbe Villa im sie braucht. Dann aber erhält sie eine Vorladung unsicheren und grössenwahnsinnigen Krähwinkel vom Referat für HUREREI UND FLAMMENDE bezogen hat, wacht sie nicht in der versproche- BUCHSTABEN, die ihr Leben auf den Kopf stellt. nen Idylle auf, sondern in einer Dystopie. Sie muss eine Entscheidung treffen: Wird sie sich Krähwinkels Regime unterwerfen? Oder Ständig wird ihre Reproduktionsfähigkeit be- wird sie ihre neugewonnenen Freiheiten verteidi- wertet, mal von ihren Mitmenschen, mal von gen können? der lokalen Kommunalverwaltung, die in ihre körperliche Freiheit eingreift, sich aber hinter »Der Sog« ist ein Geheimbrief aus dem Mittel- einer hippen, Instagram-tauglichen Fassade schichtsschlaraffenland einer nicht allzu fernen versteckt. Zukunft. In rasenden Monologen und pointierten Beobachtungen erzählt Ida Marie Hede von ei- So sucht die Erzählerin Kontakt zur örtlichen nem Panoptikum, dem kein Bereich des Lebens Widerstandsbewegung, die Krähwinkels kon- entgeht. servative Vorstellungen von Mutterschaft und Sorgearbeit unterwandern will, und findet in drei verlag die brotsuppe Herbst 2022 15
Noëmi Lerch, 1987 geboren in Baden, studierte am Schweizerischen Literatur institut in Biel und an der Universität Lausanne. 2015 erschien ihr erstes Buch »Die Pürin«, 2017 der Roman »Grit« und 2019 »Willkommen im Tal der Tränen«. Noëmi Lerch lebt mit ihrem Sohn auf einem Bauernhof in Aquila, im Tessin. Sie hat 2016 für »Die Pürin« den Terra Nova Preis für Literatur bekommen und stand 2017 auf der Shortlist für den Rauriser Literatur- preis. 2020 wurde sie mit dem Schweizer Literaturpreis ausgezeichnet. (Foto: Hanin Lerch) Schweizer Literaturpreis 2020 Noëmi Lerch: Willkommen im Tal der Tränen Noëmi Lerch: Grit Bilder vom Duo Walter Wolff 104 Seiten, gebunden 288 Seiten, gebunden mit Lei- CHF 24 / Euro 20 nenumschlag; CHF 29 / Euro 27 ISBN 978-3-905689-85-3 ISBN 978-3-03867-015-5 Leseprobe. Als die Pürin Pürin werden wollte, schöne Aussicht zeigen. Aber meine Grossmutter sagte man ihr, das sei gegen das Gesetz. Die liebte die Berge nie. Sie war froh, dass sie nicht Pürin gibt es nur als die Frau vom Bauer. Und Bergsteigerin werden musste. eine Pürin ohne Mann, das sei schon kompliziert Ich wäre gerne Bergsteiger geworden wie mein genug. Aber die Pürin wollte alleine, und als Frau, Grossvater. Es sollte nicht sein. So kam ich als Bäuerin werden. Man sah sich ihren Hof an. Fand jemand anderes zur alten Villa. Sie war ganz ein- da ein paar Pferde und eine illegale Kuh, die die gewachsen. Ich öffnete die Tür, ohne zu wissen, Pürin von einer nordischen Insel importiert hatte. was ich tat. Drinnen sass die Grossmutter und Die Kuh war für eine Kuh sowieso zu klein. Man sang das Lied von den Kosaken. Als sie fertig war, sah darüber hinweg. Als erste Frau besuchte die fragte sie, ob ich schon wisse, wo ich einmal blei- Pürin die Schule für Landwirtschaft. Sie bestand ben werde. Ich ging wieder nach draussen. Da traf mit Bestnote. Ihr Mann später war froh, dass er ich die Pürin, sie sass auf dem Rücken des alten nicht Bauer werden musste. Schimmels. Sie sagte, in diesem Jahrhundert der Im selben Jahr, als die Pürin besagtes Gesetz um- unbegrenzten Möglichkeiten, warum nicht Pürin gegraben hatte, baute mein Grossvater die Villa werden? Für die Grossmutter wäre ich überall Laudinella. Er baute sie für die Grossmutter auf geblieben. Wie die Pürin hoch zu Ross sein, das der Sonnenterrasse über dem Tal. Wollte ihr, die wünschte ich mir. vom anderen Ende der Welt gekommen war, die verlag die brotsuppe 16 Herbst 2022
Noëmi Lerch Die Pürin Roman Neuauflage Noëmi Lerch 112 Seiten CHF 25 / Euro 23 ISBN 978-3-03867-075-9 Roman Die Pürin Terra Nova Preis für Literatur verlag die brotsuppe Die Gehilfin notiert sich alles, was sie nicht zend nüchtern, sachlich genau. Sie hört auf die vergessen will: von den Kühen, den Hühnern, Herztöne der Dinge, der Lebewesen, selbst der der Arbeit im Kreislauf der vier Jahreszeiten. Die Maschinen, auch der Steine. Ob beseelt oder Pürin merkt an, ergänzt, fragt nach, schliesst angeblich unbeseelt, ob belebt oder nicht: Alles den Reissverschluss ihrer Jacke bis unters Kinn. ist ihrer erzählerischen Aufmerksamkeit und Lässt die Gehilfin machen. Man sieht, wie die Achtsamkeit gleicherweise bedeutsam. Wenn Pürin geht. Wie sie kommt, weiss man nicht. Sie die Sprache eine Wünschelrute ist: Hier erlebt ist dann einfach wieder da. man, dass noch dem Geringsten ein Zauber innewohnt. Und dass die Sprache eigentlich ein Die Gehilfin kehrt jeden Abend zurück in die Hörorgan ist.« Roman Bucheli, NZZ alte Villa ihrer Grosseltern. Längst wohnt dort niemand mehr, aber auf dem Tisch stehen noch »Die Pürin« ist das erste Buch von Noëmi Lerch. immer die beiden Tassen. Die Gehilfin versucht Es erhielt 2016 von der Schillerstiftung den Terra sich zu erinnern, oder zu vergessen. Wer war der Nova Preis für Literatur und stand 2017 auf der andere, der mit ihr aus diesen Tassen getrunken Shortlist für den Rauriser Literaturpreis. hat? Und wo ist er jetzt? »Noëmi Lerch erweist sich in ihrem Prosade- Die Autorin steht für Lesungen zur Verfügung. büt als fabelhafte Erzählerin – und sie erzählt gleichwohl nicht, vielmehr berichtet sie, aufrei- verlag die brotsuppe Herbst 2022 17
… gerade erst erschienen Erlend O. Nødtvedt Claudia Walder BRUCHPILOTEN WESTLAND DURCH DAS Roman verlag die brotsuppe übersetzt verlag die brotsuppe von Matthias Friedrich Erlend O. Nødtvedt: Durch das Westland Claudia Walder: Bruchpiloten Roman, übersetzt von Matthias Friedrich Roman 232 Seiten, gebunden; CHF 32 / Euro 28 100 Seiten, gebunden; CHF 25 / Euro 23 ISBN 978-3-03867-064-3 ISBN 978-3-03867-061-2 In einem klapprigen Toyota Camry ziehen der Der Pilot ist abgestürzt auf dem Hang über Schriftsteller Erlend und sein Malerfreund Yngve dem Dorf. Der Vater und die Knechte haben ihn aus der Grossstadt Bergen ins norwegische aufgesammelt, seinen zerschundenen Körper in Westland, die regenreichste Gegend Europas. Mutters Stube getragen. Die Mutter pflegt den Sie wollen das Wesen dieses Küstenstrichs, der Piloten, der im Fieberschlaf spricht. Wenn der bei den Künstlern des 19. Jahrhunderts so hoch Pilot träumt, träumt er vom Fliegen, und seine im Kurs stand, neu bestimmen. Auf der Rück- Worte wecken in der Mutter die Sehnsucht. Nach bank liegt der Schädel des Anders Lysne, der dem Fliegen, nach dem Fortgehen. 1803 hingerichtet wurde, weil er es wagte, sich Aber die Mutter hat ein Leben im Dorf, am Berg, gegen die dänische Obrigkeit aufzulehnen. Das auf dem Hof. Sie hat eine Familie, hat den Vater, Ziel ihrer feuchtfröhlichen Don Q uichottiade ist ihren Garten, ihre Hühner. Doch ihre Träume Lærdal, die Heimat des Revolutionärs, wo die lassen sich nicht so leicht aussperren, sie beiden Lausbuben den Totenkopf bestatten wol- schleichen sich ins Herz wie der Fuchs in den len. Auf ihrem Weg treffen Erlend und Yngve auf Hühnerstall. rabiate Bärenjägerinnen, schusselige Antiquare und Dichter von Jon Fosse bis Rolf Sagen. Sie erleben die Westländische Befreiungsfront, die mit subversiven Performances gegen die Para- graphenhirne aus der Osloer Regierung angehen will, live mit, verlieren sich in Visionen und fin- den eine neue Sprache. Doch sie geraten auch in einen Hinterhalt, der Schädel kommt ihnen ab- handen. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt, denn der Orkan Vegard hat sich aufgemacht, Westland zu zerstören. verlag die brotsuppe 18 Herbst 2022
Nicolas Verdan Doktor Hirschfelds Patient Roman Schillerpreis 2012 Roman übersetzt übersetzt von Hilde Fieguth von Hilde Fieguth Prix du public verlag die brotsuppe RTS verlag die brotsuppe Eva Seck: versickerungen Nicolas Verdan: Doktor Hirschfelds Patient gedichte, geschichten, bilder und szenen Roman, übersetzt von Hilde Fieguth 112 Seiten, gebunden; CHF 25 / Euro 23 276 Seiten, gebunden; CHF 34 / Euro 29 ISBN 978-3-03867-063-6 ISBN 978-3-03867-065-0 In den Gedichten kreist das Ich um die Frage der »Doktor Hirschfelds Patient« handelt von der Identität und der Herkunft, um das Frau- und Patientenliste des Arztes und Sexologen M agnus Muttersein und es trifft immer wieder auf Men- Hirschfeld, der 1919 in Berlin das Institut für schen, die nichts zu sagen haben in unserer Sexualwissenschaft gründete. Der fiktive SS- Gesellschaft. Es erzählt von den Eltern und der Mann Wilfried Blume hat in den zwanziger Jahren Vererbbarkeit ihrer Erfahrungen auf die Kinder, Hilfe bei Dr. Hirschfeld gesucht. Er will mit allen aber auch von gescheiterten Beziehungen. Mitteln dessen Patientenliste an sich bringen, ehe sie in die Hände der Partei gerät. Lyrik und Prosa wechseln sich ab. Der zweite Patient, Karl Fein, eine mehr oder In den Prosatexten setzt sich die Ich-Erzählerin weniger historisch verbürgte Gestalt und deutsch- mit Zugehörigkeit und Solidarität, Verlust und sprachiger Jude aus Brünn, ist Hirschfelds Anwalt. Verwandlung auseinander. Die Erzählerin sucht Er wird 1939 nach Palästina ausgeschafft. ihren Platz in der Welt, der für sie alles andere als selbstverständlich ist. Der Roman, sehr aktuell in Zeiten der Queer- Debatten, ist ein überzeugendes und berührendes »Eva Secks Gedichte schaffen das Schwierigste: Plädoyer für Toleranz im Sinne Hirschfelds gegen- einerseits grosse Intimität und Innigkeit, sie sind über allen Erscheinungsformen der Sexualität. nie abstrakt, nie unpersönlich, stets durchflu- Er dokumentiert mit Mitteln der Literatur die tet von Leben und Wärme. Da trägt jemand auf totalitäre Verfolgung der Homosexuellen durch schönste Weise das Herz auf der Zunge. Gleich- die Nazis. In Hirschfeld’scher Perspektive werden zeitig weisen sie jederzeit über den Moment hin- die verborgenen sexuellen Facetten und Motive aus, geben uns Sprache für Dinge, die uns bisher sowohl von Individuen als auch von Kollektiven sprachlos machten, und zeichnen uns Räume in ihren Taten und Untaten offengelegt – und in vor, wo bisher Leere war.« Auszug aus der Jury- dieser Perspektive liegt die Originalität dieses Begründung von Tim Krohn, Aargauer Kuratorium Romans. verlag die brotsuppe Herbst 2022 19
Antoinette Rychner Erzählung immer wir sind übersetzt von Yla M. von Dach wo auch Marie-Luise Könneker Fotos von Ernst Fischer einfach schön und gut Leben an den Rändern der Konsumgesellschaft verlag die brotsuppe verlag die brotsuppe Marie-Luise Könneker: einfach schön und gut Antoinette Rychner: wo auch immer wir sind Fotos von Ernst Fischer Übersetzt von Yla M. von Dach ca. 176 Seiten, gebunden; CHF 33 / Euro 30 ca. 160 Seiten, gebunden; CHF 29 / Euro 26 ISBN 978-3-03867-066-7 ISBN 978-3-03867-062-9 Marie-Luise Könneker findet, altersgemäss, Nachdem bei ihrem fünfjährigen Sohn eine Zeit aufzuräumen. Viel im Lauf der Jahrzehnte schwere Leukämie diagnostiziert worden ist, Angesammeltes will noch einmal angeschaut, protokolliert Antoinette Rychner den Alltag ihrer geprüft, dokumentiert und allenfalls aufgehoben aus der Bahn geworfenen Familie. Monatelang und weitergegeben werden. Die Autorin ver- werden die Eltern zwischen der Hoffnung auf sucht, schreibend und collagierend, ein Stück Genesung und der Verzweiflung über Rückfälle weit Bilanz zu ziehen und Abstand zu gewinnen und Komplikationen hin- und hergeworfen, kom- von vergangenen Dingen und Festlegungen. men an ihre Grenzen – und finden doch immer wieder neue, ungeahnte Kräfte. Sie beschäftigt sich seit langem mit der The- matik des Hauses, praktisch und theoretisch, Benjamin, der kleine Bruder des Erkrankten, ist und bezeichnet sich selbst unerschrocken als da gerade drei Monate alt. An ihn, der von all »HausFrau und Autorin« und hinterfragt die De- dem noch nichts versteht und es doch so haut- gradierung des Begriffs Hausfrau. Sie möchte in nah miterlebt, richtet die Autorin ihre Worte. diesem Buch nicht Kritik und Verlust in den Vor- Weit davon entfernt, nur das – womöglich be- dergrund stellen, sondern versuchen zu zeigen, ängstigende – Zeugnis einer schweren Schick- dass an den Rändern des Konsumismus nicht salsprüfung zu sein, entlässt dieser Bericht den nur Elend und Prekariat lauern und dass gerade Lesenden vielmehr gestärkt durch den wun- in Nischen Neues entstehen kann. Sie geht den derbaren Mut, die Solidarität, die Liebe und die Möglichkeiten einer alternativen Ökonomie nach, ungeschönte Aufrichtigkeit, die hier aus jeder setzt sich mit dem aktuellen Trend des Mini- Zeile sprechen. malismus und der Aufräum-Methodik von Marie Dass der kleine Junge inzwischen geheilt ist, Kondō auseinander … setzt diesem berührenden Lebenszeugnis die Die Fotos von Ernst Fischer sind nicht illustrativ Krone auf! gemeint, sondern zeigen auf der Bildebene eine Art »Poetologie des Raumes«, wie sie das gleich- namige Werk von Gaston Bachelard wahrzuneh- men lehrt. verlag die brotsuppe 20 Herbst 2022
Buchpreis Andri Bänziger Kanton Bern 2021 Gegen Gewicht Roman I WILL BE DIFFERENT EVERY TIME SCHWARZE FRAUEN IN BIEL FEMMES NOIRES À BIENNE BLACK WOMEN IN BIEL FORK BURKE, MYRIAM DIARRA & FRANZISKA SCHUTZBACH (EDS.) verlag die brotsuppe Andri Bänziger: Gegen Gewicht Fork Burke, Myriam Diarra, Franziska Schutzbach Roman, 176 Seiten, gebunden; CHF 27 / Euro 25 (Eds.): I WILL BE DIFFERENT EVERY TIME ISBN 978-3-03867-056-8 296 Seiten, gebunden; CHF 35 / Euro 30 ISBN 978-3-03867-025-4 »Gegen Gewicht« erzählt die Geschichte einer Dieses Buch erzählt ein Stück »Black History« in betäubten Mutter, die unter dem Druck ihrer der Schweiz. Es macht Frauen mit ihren Stim- beeinträchtigten und eigensinnigen Tochter nach men, Biographien, Denkweisen, Perspektiven und und nach aufbricht. Lebenswelten sichtbar, die in der Schweiz selten zur Kenntnis genommen werden. »Ich fühlte mich, als sähe ich Aliena zum ersten Mal, als sähe ich sie wirklich, auf kleinen Pickeln Die Schweizer Gesellschaft wird immer pluraler, kam sie meine Mauer hochgeklettert, mit jedem Schwarze Menschen prägen die Schweiz mit. Einschlag barst der Beton, und als sie oben war, Biel ist durch die Zweisprachigkeit ein zentraler konnte ich sie sehen in ihrer Ganzheit, und ihre Ort Schwarzer Schweizer Geschichte, Migration Schönheit drückte so schwer auf mich, dass es und Schwarzen Schweizer Lebens. Schwarze schmerzte, ich fühlte es in der Kehle, ich fühlte Menschen kamen und kommen aus den unter es in der Brust, im Bauch, in den Beinen, Steine schiedlichsten Ländern und Gründen. Viele fielen nieder, krachten, Beton, der aufbricht.« wurden hier bereits als Schweizerinnen geboren, andere kommen aus Amerika, Afrika, viele sind Asylbewerberinnen. Kaum jemand aber kennt ihre Geschichten. Mit diesem Buch soll sich das ändern. Frauen aus der afrikanischen Diaspora in Biel – mit unter- schiedlichen Hintergründen und aus verschie- denen Generationen – berichten über ihr Leben und ihre Erfahrungen. Ihre Texte werden durch die aktuelle Forschung zur Geschichte Schwarzer Menschen in der Schweiz ergänzt. verlag die brotsuppe Herbst 2022 21
Christine Rinderknecht SIEBEN JAHRE Schweizer Louis Soutter, Literaturpreis sehr MIT DEM 2017 verlag die brotsuppe wahrscheinlich JAPANER verlag die brotsuppe Michel Layaz: Louis Soutter, sehr wahrscheinlich Christine Rinderknecht: Roman, übersetzt von Yla M. von Dach SIEBEN JAHRE MIT DEM JAPANER 248 Seiten, gebunden; CHF 28 / Euro 26 Roman, 320 Seiten, gebunden; CHF 33 / Euro 29 ISBN 978-3-03867-024-7 ISBN 978-3-03867-057-5 Wer war Louis Soutter? Tatsächlich gehört Louis Was wissen wir über uns selbst, über einander, Soutter, der einen grossen Teil seines Lebens als über die stimmlosen Dinge, die uns begleiten? Insasse in einem Altersheim verbrachte, heute Was kann über einen Menschen nach langer Zeit zu den Künstlern, die weit über die Grenzen der herausgefunden, gesagt, gezeigt werden, was Schweiz hinaus Anerkennung gefunden haben. bleibt für immer im Dunkeln? Zu seinen Lebzeiten jedoch eckte der hochbe- Am Anfang steht ein goldenes Kästchen, ein gabte Louis Soutter überall an – hochempfindlich sogenanntes Takamakie-Lackkästchen. In den und zugleich hochintelligent, wie er war, ver- frühen Tagen des 20. Jahrhunderts in einem mochte er sich den starren Normen der bürgerli- kleinen Geschäft in Kyoto erworben, wird es chen Gesellschaft, in die er 1871 hineingeboren zusammen mit diversen Bücherkisten, gesam- wurde, nie anzupassen. melten Kunstgegenständen und der Garderobe Und die Gesellschaft war hilflos und hart: Sol- seines Besitzers eingeschifft und gelangt auf che Leute wurden eingesperrt, in Heimen, nicht dem Seeweg nach Antwerpen, von dort weiter in in Gefängnissen, was aber beinahe aufs Selbe ein kleines Dorf im Schweizer Fricktal, wo es auf hinauslief. Adolf Wölfli und Robert Walser teilten einem staubigen Dachboden landet. dieses Schicksal. Einige Jahrzehnte später steht es auf der Fri- Mit grosser Behutsamkeit zeichnet Michel Layaz sierkommode einer jung verheirateten Frau, wo das Lebensdrama dieses ungewöhnlichen Men- es die Neugier eines kleinen Mädchens weckt. schen nach. Er bringt ihn uns nahe, ohne ihm zu Das Mädchen wird zur Frau, die Frau macht nahe zu treten, er hat zwischen poetischer Frei- sich, wieder Jahrzehnte später, daran, seine heit und biografischer Faktentreue eine Sprache Geschichte zu erzählen. Wieder reist sie durch gefunden, in der Louis Soutter etwas von dem die Jahrhunderte, nur diesmal in umgekehrter zuteil wird, was ihm sein Leben lang schmerzlich Richtung, reist nach Paris, Rouen, Moskau und gefehlt hat: einfühlsame Anerkennung. kommt schliesslich in Kyoto an. Der Roman wurde 2017 mit dem Schweizer Lite- Was sie findet, bleibt bruchstückhaft, wird fass- raturpreis ausgezeichnet. bar und entzieht sich wieder. Doch jedes einzel- ne Dokument und jede zufällige Begegnung sind prall gefüllt mit Leben. verlag die brotsuppe 22 Herbst 2022
X schneeberger Neon Johanna Lier Pink & Schweizer Blue Literaturpreis AMORI 2021 DIE INSELN verlag die brotsuppe HOTLIST verlag der die brotsuppe unabhängigen Verlage 2020 Johanna Lier: AMORI. DIE INSELN X Schneeberger: NEON PINK & BLUE 328 Seiten, gebunden; CHF 31 / Euro 27 Roman, 272 Seiten, gebunden; CHF 30 / Euro 28 ISBN 978-3-03867-031-5 ISBN 978-3-03867-027-8 Sie fliehen vor Krieg, Diktatur, Hunger und den In »NEON PINK & BLUE« findet sich eine Drag Auswirkungen der Klimakatastrophe; manche Queen in einem Klimasommer obdach- und sind auf der Suche nach einem besseren Leben; papierlos am Zürisee wieder. Ohne Garderobe out sie kommen aus dem Mittleren Osten, aus Süd- the closet, ohne Badezimmerspiegel und Kostüme ostasien, dem Maghreb und subsaharischen Län- ergreift X ein Gefühl der Nacktheit. dern. Allen ist gemein, dass sie in seeuntüchtigen Geschichten zu in Frage gestellter Identität und Gummibooten das Ägäische Meer überqueren schwer belegbarer Herkunft drängen sich ins un- und auf den griechischen Inseln in Lagern gefan- tergehende Postkartenbild des Alpenpanoramas. gen gehalten werden, bis entschieden ist, ob sie in Europa Asyl beantragen dürfen – oder ob sie »… ein wunderbares Machwerk, gemacht von in die Türkei deportiert werden. Das kann Jahre Menschenhand.« Annina Haab dauern. »Es geht um ein Dirigieren von verschwundenen Neun Männer und Frauen aus dem Lager Moria oder verdunkelten Körpern, um einen Kutscher auf der Insel Lesbos, Geflüchtete und Aktivis- der Schatten des Körpers.« Stefan Humbel tinnen, erzählen der Autorin (oder ihrem fiktiven Alter Ego Henny L.), was es braucht, um dort zu überleben. Es geht um Hunger, Kälte, Hitze, War- ten, Gewalt und um den radikalen Kontrollverlust über das eigene Leben. »AMORI. DIE INSELN« ist keine Chronik der Skandale, sondern ein dokumentarischer Be- richt, der mit literarischen Mitteln die grösst- mögliche Nähe zu den Beteiligten sucht. Jahrhundertealte europäische Praxis wird doku- mentiert: die Selektion und das Lager. Die Protagonistinnen und Protagonisten setzen ihr die ganz eigenen Vorstellungen von persönli- cher Erfüllung und Freiheit entgegen. verlag die brotsuppe Herbst 2022 23
verlag die brotsuppe Auslieferung Auslieferung in Gartenstrasse 31 in der Schweiz Deutschland/Österreich CH-2503 Biel/Bienne Buchzentrum AG Lambertus Verlag GmbH Telefon +41 32 323 36 31 Industriestr. Ost 10 Mitscherlichstr. 8 info@diebrotsuppe.ch CH-4614 Hägendorf D-79108 Freiburg www.diebrotsuppe.ch Telefon +41 62 209 25 25 Telefon +49 761 368 25-0 Telefax +41 62 209 26 27 Telefax +49 761 368 25-33 Der Verlag ist Mitglied beim SBVV. kundendienst@buchzentrum.ch info@lambertus.de www.lambertus.de Der verlag die brotsuppe wird vom Vertreterin: Bundesamt für Kultur mit einer Katrin Poldervaart E-Books Förderprämie für die Jahre Neuhaus 30 2016 – 2024 unterstützt. Bookwire GmbH CH-4445 Häfelfingen Voltastrasse 1 Telefon +41 79 916 71 23 Wir danken der Fondation Jan D-60486 Frankfurt a. M. katrin.poldervaart@buchzentrum.ch Michalski für die Unterstützung Telefon +49 69 907 20 06-0 des Übersetzungsprogramms. info@bookwire.de www.bookwire.de www.diebrotsuppe.ch
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