VERSAMMLUNGSFREIHEIT IN DER COVID-19-KRISE - JKU ePUB

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VERSAMMLUNGSFREIHEIT IN DER COVID-19-KRISE - JKU ePUB
Eingereicht von
                                        Simon Haberl

                                        Angefertigt am
                                        Institut für
                                        Verwaltungsrecht und
                                        Verwaltungslehre

                                        Beurteiler
                                        RA Univ.-Prof.
                                        Dr. Mathis Fister

                                        Jänner 2021

VERSAMMLUNGSFREIHEIT
IN DER COVID-19-KRISE

Diplomarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades
Magister der Rechtswissenschaften
im Diplomstudium
Rechtswissenschaften

                                        JOHANNES KEPLER
                                        UNIVERSITÄT LINZ
                                        Altenberger Straße 69
                                        4040 Linz, Österreich
                                        jku.at
VERSAMMLUNGSFREIHEIT IN DER COVID-19-KRISE - JKU ePUB
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG

Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne fremde
Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die
wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.

Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch.

Linz, Jänner 2021

Simon Haberl

                                                                                                  2
11. Jänner 2021
VERSAMMLUNGSFREIHEIT IN DER COVID-19-KRISE - JKU ePUB
Meinen lieben Eltern in Dankbarkeit gewidmet.

                           Renate & Andreas Haberl

                                                                  3
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VERSAMMLUNGSFREIHEIT IN DER COVID-19-KRISE - JKU ePUB
Inhaltsverzeichnis

I.    Einleitung .............................................................................................................................. 8
II.   Grundrechte in Krisenzeiten ................................................................................................. 9
III. Untersagung nach § 6 Abs 1 VersG ................................................................................... 12
      A.    Strafgesetzwidrige Versammlung ................................................................................. 12
      B.    Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und des öffentlichen Wohles ........................... 15
IV. Untersagung nach § 15 EpiG .............................................................................................. 17
V.    Verhältnismäßigkeitsprüfung im Lichte des § 6 Abs 1 VersG .............................................. 20
VI. Covid-19-Vorschriften und ihre behördliche Umsetzung ..................................................... 26
      A.    Rechtslage von 16. März bis 30. April 2020 („Lockdown I“) .......................................... 26
            1.     Vorgehen der Behörden und rechtliche Beurteilung .............................................. 29
            2.     Keine gesetzliche Grundlage für allgemeines Betretungsverbot an öffentlichen
                   Orten ..................................................................................................................... 33
      B.    Rechtslage zwischen 1. Mai und 2. November 2020 .................................................... 35
            1.     Stammfassung der Covid-19-Lockerungsverordnung ............................................ 35
            2.     Novellen der Covid-19-Lockerungsverordnung...................................................... 36
            3.     Erteilung von Auflagen für Versammlung durch Behörde gemäß § 15 EpiG .......... 37
VII. Conclusio ............................................................................................................................ 39
VIII. Anhang ............................................................................................................................... 41

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Abkürzungsverzeichnis

Abs                Absatz

AnwBl              Anwaltsblatt

APA                Austria Presseagentur

arg                argumento

Art                Artikel

AVG                Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991

BGBl               Bundesgesetzblatt

BH                 Bezirkshauptmannschaft

BM                 Bundesminister

BMI                Bundesministerium für Inneres

BMSGPK             Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und
                   Konsumentenschutz

BReg               Bundesregierung

BVB                Bezirksverwaltungsbehörde

B-VG               Bundes-Verfassungsgestz

COE                Council of Europe (deutsch: Europarat)

Covid-19           coronavirus disease 2019

Covid-19-LV        Covid-19-Lockerungsverordnung

Covid-19-MG        Covid-19-Maßnahmengesetz

Covid-19-MV        Covid-19-Maßnahmenverordnung

Covid-19-SchuMaV   Covid-19-Schutzmaßnahmenverordnung

CuRe               Covid-19 und Recht

EGMR               Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

EMRK               Europäische Menschenrechtskonvention

EpiG               Epidemiegesetz

                                                                         5
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f                 folgend

ff                fortfolgend

FS                Festschrift

GmundKomm         Gmundner Kommentar zum Gesundheitsrecht

GRC               Charta der Grundrechte der Europäischen Union

Gz                Geschäftszahl

Hrsg              Herausgeber

idF               in der Fassung

iSd               im Sinne des

JSt               Journal für Strafrecht

Kap               Kapitel

leg cit           legis citatae

LH                Landeshauptmann

lit               litera

LPD               Landespolizeidirektion

LVwG              Landesverwaltungsgericht

Mat               Materialien

NetV              Nova & Varia – Zeitschrift des Juristenverbandes

NLMR              Newsletter Menschenrechte

NÖ SHG            Niederösterreichisches Sozialhilfegesetz

OÖ                Oberösterreich

ORF               Österreichischer Rundfunk

OTS               Originaltext-Service

RDB               Rechtsdatenbank

RKI               Robert-Koch-Institut

Rz                Randziffer

SPG               Sicherheitspolizeigesetz
                                                                     6
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StF               Stammfassung

StGB              Strafgesetzbuch

StGG              Staatsgrundgesetz

stRsp             ständige Rechtsprechung

TNRSG             Tabak- und Nichtraucherinnen- bzw. Nichtraucherschutzgesetz

VerbotsG          Verbotsgesetz 1947

VerG              Vereinsgesetz 2002

VersG             Versammlungsgesetz 1953

VfGH              Verfassungsgerichtshof

VfSlg             Erkenntnisse und Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofes

vgl               vergleiche

VwG               Verwaltungsgericht

VwGH              Verwaltungsgerichtshof

VwSlg             Erkenntnisse und Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes

Z                 Ziffer

zB                zum Beispiel

ZWF               Zeitschrift für Wirtschafts- und Finanzstrafrecht

                                                                                7
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I. Einleitung

Um ein exponentielles Wachstum an Covid-19-Infektionen zu vermeiden, hat der Staat seit März
2020 zahlreiche gesundheitspolitische Maßnahmen erlassen. Gesetze und Verordnungen, die
dabei in Kraft gesetzt worden sind, führten zu Eingriffen in grundrechtliche Freiheiten der Bürger,
wie sie in der zweiten Republik bis dahin beispiellos gewesen waren.1 Der Gesetz- und
Verordnungsgeber begründete diese Schritte mit der Notwendigkeit des gesundheitlichen
Schutzes der Bevölkerung.

Als eines der zentralsten Grundrechte für eine demokratische Gesellschaft kommt der
Versammlungsfreiheit unbestritten besondere Bedeutung zu. Die Versammlungsfreiheit ist in
Österreich durch Art 12 StGG und Art 11 EMRK garantiert. Nach dem StGG handelt es sich dabei
um eine Grundrecht mit Ausführungsvorbehalt, was bedeutet, dass das Grundrecht erst durch das
VersG2 ausgeformt wurde. In diesem einfachen Gesetz ist geregelt, unter welchen Bedingungen
eine Versammlung stattfinden, untersagt oder aufgelöst werden darf. Art 11 Abs 2 EMRK sieht für
Eingriffe in das Grundrecht einen für die EMRK typischen materiellen Gesetzesvorbehalt vor.3

Im Rahmen der österreichischen Rechtsordnung steht der Verwaltung mit der gesetzlichen
Bestimmung des § 6 Abs 1 VersG die Möglichkeit offen, Versammlungen von Menschen zu
untersagen. Dieser Vorschrift widmet sich der Fokus dieser Arbeit.

Das Corona-Krisenmanagement der österreichischen BReg gründet sich wesentlich auf die
Bestimmungen des Covid-19-Maßnahmengesetzes und des Epidemiegesetzes, auf deren Basis
in Folge zahlreiche Verordnungen erlassen wurden. Durch leichtere und strengere Maßnahmen
der BReg ergeben sich mit den Lockdowns, Teil-Lockdowns und der inzwischen liegenden
Übergangszeit mehrere trennbare Zeiträume, deren zum jeweiligen Zeitpunkt geltende
Rechtslage, sofern es die Ausübung der Versammlungsfreiheit betrifft, in dieser Diplomarbeit
aufgearbeitet wird.

Im Anhang befindet sich ein Bescheid4 der Landespolizeidirektion Wien, womit diese eine in der
Zeit des ersten „Lockdowns“ (16. März bis 30. April 2020) angezeigte Versammlung am Wiener
Ballhausplatz vor dem Bundeskanzleramt und der Präsidentschaftskanzlei untersagt hat. In der
Arbeit wird regelmäßig auf diesen Bescheid Bezug genommen.
Diese Arbeit behandelt die geltende Rechtslage bis 2. November 2020.

1 Vgl näher die Liste betroffener Grundrechte bei Rohregger, Rechtsschutz gegen COVID-19-Maßnahmen, ZWF
  2020/3, 108 (109).
2 BGBl 98/1953.
3 Grabenwarter/Frank, B-VG Art 11 EMRK Rz 10 (Stand 20.6.2020, rdb.at).
4 Anhang: Bescheid der LPD Wien Gz.: PAD/20/662641.
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II. Grundrechte in Krisenzeiten

Mit dem am 10. März 2020 an die Landeshauptleute ergehenden Erlass5 des BMSGPK wurden
die zur Vollziehung des EpiG in mittelbarer Bundesverwaltung zuständigen BVB angewiesen, auf
Grundlage von § 15 EpiG das Zusammenströmen größerer Menschenmengen nicht zuzulassen.
Damit sollte die Versammlungsfreiheit österreichweit bis auf weiteres de facto ausgesetzt
werden.6

Grundrechte sind nach ihrer Konzeption einklagbare Rechte gegenüber dem Staat. Aus Art 11
EMRK         folgt   die   Pflicht   des     Staates,     geeignete      Vorkehrungen         zum     Schutz      der
Versammlungsfreiheit zu treffen. Gerade in Krisenzeiten kommt Grundrechten, insbesondere
jenen politischer Natur, eine besondere Bedeutung zu. Im Zuge dessen kann es zu einem Konflikt
kommen, wenn die Gewährleistung dieser staatlichen Garantien den Staat an der Bewältigung
der Krise hindern.7

Der Verfassungsgesetzgeber hat diesen Konflikt teilweise berücksichtigt. Es lassen sich drei
Herangehensweisen bei der Ausgestaltung der Grundrechte für den Fall des Staatsnotstandes8
feststellen. In manchen Grundrechten hat er Maßnahmen, die zur Bewältigung eines Notstandes
erforderlich sind, ausdrücklich von deren jeweiligen Schutzbereich ausgenommen. Andere
Grundrechte sehen Gesetzesvorbehalte vor, die sich auf notstandsbezogene Tatbestände
beziehen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit der Aussetzung bestimmter Grundrechte,
sofern die Rechtsordnung dies vorsieht.9

Mit Ausnahme des Art 15 EMRK enthält das österreichische Verfassungsrecht keine eigenständig
Bestimmung, welche die vorübergehende Suspendierung oder Einschränkung von Grundrechten
ermöglicht. 10

Gemäß Art 15 EMRK sind die Mitgliedsstaaten ermächtigt, die Verpflichtungen, die sich aus der
Konvention ergeben, im Falle eines Krieges oder eines anderen öffentlichen Notstands, der das
Leben der Nation bedroht, außer Kraft zu setzen. Unter Krieg ist eine Auseinandersetzung
zwischen zwei oder mehreren Staaten zu verstehen, die nach Auffassung der beteiligten Staaten
den Kriegszustand auslöst. Ein anderer öffentlicher Notstand beschreibt den Zustand, in dem eine

5 Erlass des BMSGPK vom 10. März 2020, Gz: 2020-0.172.682.
6 Fister, Grundrechte in der Krise, AnwBl 2020/07-08, 406 (406).
7 Vgl Fister, Staatsnotstandsrecht in Österreich, in Zwitter (Hrsg), Notstand und Recht (2012) 160 (172).
8 Zur Frage, ob die Covid-19-Krise ein Staatsnotstand ist, siehe Fister, AnwBl 2020/07-08, 406 (406).
9 Fister in Zwitter (Hrsg) 173 f.
10 Historisch betrachtet, enthielt das StGG als Teil der Dezemberverfassung von 1867 in Art 20 eine Bestimmung,

  welche die zeitliche und örtliche Aussetzung der in den Art 8, 9, 10, 12 (Versammlungsfreiheit) und 13 garantieren
  Rechten ermöglichte. Art 20 StGG ist kraft ausdrücklicher Bestimmung gemäß Art 149 Abs 2 B-VG außer Kraft
  getreten. Vgl Fister in Zwitter (Hrsg) 174 f.
                                                                                                                       9
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außergewöhnliche Krisen- oder Notsituation eingetreten ist, von der weite Teile der Bevölkerung
betroffen sind und das organisierte staatliche Gemeinwesen bedroht ist.11

Durch die Covid-19-Pandemie sind aufgrund der Gesundheitsgefahr für insbesondere ältere und
immunschwache Personen jedenfalls weite Teile der Bevölkerung betroffen, wodurch die
Pandemie als geeignete Situation erscheint, um von der Möglichkeit der Aussetzung von
Garantien der Konvention nach Art 15 EMRK Gebrauch zu machen, da auch das öffentliche
Gesundheitssystem als Teil des staatlichen Gemeinwesens von einer Überlastung bedroht ist. In
Bezug auf die Covid-19-Pandemie haben davon bereits mehrere Mitgliedsstaaten Gebrauch
gemacht.12

Eine Außerkraftsetzung der Bestimmungen der Konvention muss sich gemäß Art 15 Abs 1 EMRK
auf den notwendigen Umfang beschränken und darf nicht im Widerspruch zu sonstigen
völkerrechtlichen      Verpflichtungen      stehen.     Art   15    EMRK       fordert    hier   demnach       eine
Verhältnismäßigkeitsprüfung. 13 Art 2 enthält eine Aufzählung von Grundrechten, die selbst im
Falle eines Krieges oder eines anderen öffentlichen Notstands nicht außer Kraft gesetzt werden
dürfen. Dies betrifft das Recht auf Leben (Art 2 EMRK), mit der Ausnahme für Todesfälle, die auf
rechtmäßige Kriegshandlungen zurückzuführen sind, das Folterverbot (Art 3 EMRK), das Verbot
der Sklaverei und Leibeigenschaft (Art 4 Abs 1 EMRK) und das Gesetzlichkeitsprinzip im
Strafverfahren „nulla poena sine lege“ (Art 7 EMRK).14

Für die nach Art 11 EMRK gewährleistete Versammlungsfreiheit bedeutet dies, dass eine
Suspendierung unter den Voraussetzungen des Art 15 EMRK grundsätzlich möglich ist. Wie
bereits dargestellt, bildet die Eindämmung der Covid-19-Pandemie aufgrund ihrer Gefahr für
erhebliche Teile der Bevölkerung ein legitimes Ziel, das eine Suspendierung rechtfertigen kann.

Für eine Außerkraftsetzung der Versammlungsfreiheit wäre dafür die in Art 15 Abs 3 EMRK
festgehaltene Verfahrensweise einzuhalten. Österreich hat von einer derartigen Maßnahme in
Bezug auf Covid-19 bisher keinen Gebrauch gemacht.

Dem ist hinzuzufügen, dass eine Aktivierung des Art 15 EMRK in Österreich de facto zu keinen
Änderungen führen würde, da sich die Außerkraftsetzung ausschließlich auf die Garantien der
EMRK beziehen kann. Die Versammlungsfreiheit ist neben Art 11 EMRK auch in Art 12 StGG

11 Grabenwarter/Frank, B-VG Art 15 EMRK Rz 2.
12 Entsprechende Erklärungen wurden von folgenden Staaten bereits vor dem Europarat abgegeben: Albanien,
  Armenien, Estland, Georgien, Lettland, Rumänien, San Marino und Serbien. Die vollständige Liste findet sich auf
  der Homepage des Europarates: https://www.coe.int/de/web/conventions/full-list/-
  /conventions/treaty/005/declarations. (abgerufen am 11.01.2021).
13 Grabenwarter/Frank, B-VG Art 15 EMRK Rz 3.
14 Grabenwarter/Frank, B-VG Art 15 EMRK Rz 4.
                                                                                                                    10
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verankert. Selbst wenn Art 11 EMRK ausgesetzt werden würde, wäre die Versammlungsfreiheit
weiterhin durch die Bestimmung im StGG garantiert.15

Somit ist nach geltender Rechtslage ohne Tätigwerden des Bundesverfassungsgesetzgebers
selbst in Krisenzeiten sowie im Falle eines Staatsnotstands die Außerkraftsetzung von
Grundrechten, sofern diese auch außerhalb der EMRK gewährleistet sind, unmöglich. Ob ein
Eingriff in Grundrechte nun auch zu einer Verletzung führt, ist laufend im Rahmen einer
Verhältnismäßigkeitsprüfung zu beurteilen. Beachtet werden muss jedoch, dass sich im Rahmen
einer Krise mögliche Rechtfertigungen von Eingriffen stark erweitern können, weil die Bewertung
des durch die Maßnahmen verfolgten öffentlichen Interesses hoch ist und dadurch die Grenzen
der Verhältnismäßigkeit nach außen verschoben werden. Daher können im Krisenzeiten selbst
jene Grundrechtseinschränkungen verhältnismäßig sein, welche unter normalen Umständen nicht
gerechtfertigt werden könnten.16

Die Verpflichtungen des Staates, Eingriffe in Grundrechte so gering wie möglich zu halten, stehen
mitunter          im   Spannungsfeld   zu   den aus den           Grundrechten       abgeleiteten     staatlichen
Schutzpflichten. Obwohl den Grundrechtskatalogen ein Recht auf Gesundheit fehlt, ergibt sich
dieses insbesondere aus dem Recht auf Leben17 und dem Recht auf Achtung des Privat- und
Familienlebens18. Der Umfang staatlicher Schutzpflichten bezieht sich jedenfalls auf das Gebot,
gefährliche Aktivitäten laufend zu überwachen, zeitgerecht zu erkennen und, falls notwendig,
geeignete Maßnahmen zu Minderung dieser Gefahren zu treffen.19 Dem Staat obliegt hier ein
weiter Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum.20

Im Ergebnis besteht keine Möglichkeit, die Versammlungsfreiheit, wenn auch nur über einen
bestimmten Zeitraum, vollständig außer Kraft zu setzen. Auch in Krisenzeiten steht der
Verwaltung ausschließlich die Untersagung nach § 6 Abs 1 VersG offen, um Versammlungen zu
verhindern.

15 Vgl Fister in Zwitter (Hrsg) 175.
16 Fister in Zwitter (Hrsg) 174 f.
17 Art 2 EMRK.
18 Art 8 EMRK.
19 Hiersche/Holzinger/Eibl, Handbuch des Epidemierechts, Zweiter Teil: Grundrechtliche Dimension staatlicher

  Seuchenbekämpfung (Stand 13.5.2020, rdb.at).
20 Ausführlich siehe Fister, AnwBl 2020/07-08, 406 (407).
                                                                                                               11
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III. Untersagung nach § 6 Abs 1 VersG

§ 6 Abs 1 VersG legt Tatbestände fest, die eine Untersagung der Versammlung rechtfertigen. Die
Behörde hat die Versammlung zu untersagen, wenn der Versammlungszweck den Strafgesetzen
zuwiderläuft oder die Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet und
der Grundrechtseingriff gerechtfertigt ist. Dies ist dann anzunehmen, wenn ein öffentliches
Interesse iSd Art 11 Abs 2 EMRK gegeben ist und die Untersagung zur Wahrung dieses
Interesses geeignet, erforderlich und adäquat ist.21

Die Behörde hat dies nach stRsp des VfGH im Rahmen einer Prognoseentscheidung auf Grund
von konkret festgestellten, objektiv erfassbaren Umständen zu treffen.22 Die Entscheidung zur
Untersagung darf nur ultima ratio sein.23

Für alle drei Tatbestandsmerkmale gilt, dass der Behörde kein Ermessensspielraum im
technischen Sinn zukommt (arg: „sind ... zu untersagen“).24 Weiters kommt es nicht darauf an, ob
die von der Behörde zur Begründung der Untersagung genannten früheren Vorfälle dem
Veranstalter zuzurechnen sind oder nicht.25

Zuständig für die Untersagung der Versammlung ist gemäß § 16 Abs 1 VersG bei den in § 8 SPG
aufgezählten Gemeinden die jeweilige LPD, in allen anderen die BVB. Trotz fehlender Aufzählung
der Landeshauptstadt Bregenz in § 8 SPG ergibt sich in Form einer Sonderregelung nach § 16
Abs 1 lit b VersG die Zuständigkeit der LPD Vorarlberg für das Gebiet der Stadt Bregenz.26

A. Strafgesetzwidrige Versammlung

Eine Versammlung ist nach der ersten Alternative des § 6 Abs 1 VersG zu untersagen, wenn
deren Zweck Strafgesetzen zuwiderläuft. In der Lehre umstritten ist die Frage, ob sich der Wortlaut
„Strafgesetze“ lediglich auf gerichtliches Strafrecht, etwa iSd § 75 ff StGB, bezieht, oder ob bereits
der befürchtete Verstoß gegen Verwaltungsstrafrecht ausreicht, um die Versammlung zu
untersagen.

Auf Basis einer Wortinterpretation finden sich innerhalb der Lehre folgende Überlegungen:
Ermacora27 vertritt, dass aufgrund des allgemeinen Sprachgebrauchs des Begriffs das

21 Vgl zB VfSlg 10.443/1985, 12.257/1990.
22 So stRsp des VfGH beginnend mit VfSlg 5.087/1965.
23 VfSlg 19.741/2013.
24 Friedrichkeit-Lebmann/Reithmayer-Ebner in Aigner et al (Hrsg), Besonderes Verwaltungsrecht3 (2020) 176.
25 VfSlg 17.261/2004.
26 Friedrichkeit-Lebmann/Reithmayer-Ebner in Aigner et al (Hrsg) 113 ff.
27 Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und Menschenrechte (1963) 317.
                                                                                                             12
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Verwaltungsstrafrecht nicht miteinzubeziehen ist. Dem ist insoweit zuzustimmen, als nach einem
allgemeinen Verständnis unter Strafgesetze jedenfalls das gerichtliches Strafrecht, jedoch nicht
zwangsläufig das Verwaltungsstrafrecht fällt. Dies zeigt sich auch im Bereich der universitären
Lehre, wo die Verwendung des Begriffes Strafrecht, etwa bei Lehrveranstaltungstiteln, Prüfungen
oder Lehrbüchern, ausschließlich Justizstrafrecht umfasst.

Anders sieht dies Freund28, der aus der Formulierung des Begriffes im Plural ableitet, dass auch
das Verwaltungsstrafrecht davon umfasst ist. Dem kann entgegen gehalten werden, dass sich die
Formulierung im Plural auch darauf beziehen kann, dass mit dem gerichtlichen Strafrecht nicht
nur der materielle Teil des gerichtlichen Strafrechts iSd § 75 ff StGB gemeint ist, sondern sich dies
ebenso auf die unstrittige Miteinbeziehung von gerichtlichem Nebenstrafrecht, etwa § 3a ff
VerbotsG, beziehen kann.

Eine historische Interpretation, welche sich mit dem entstehungszeitlichen Verständnis des
Begriffs im Jahr 186729 auseinandersetzt, kommt zum Ergebnis, dass dem Begriff ein weites
Verständnis zugrunde gelegt ist und daher das Verwaltungsstrafrecht miteinzubeziehen ist.30

Der Begriff „Strafgesetze“ findet sich neben § 6 Abs 1 VersG auch wörtlich in § 29 VerG.
Weitgehend unbestritten vertritt die Lehre hier, dass für die behördliche Auflösung eines Vereins
jedenfalls der Verstoß gegen das Verwaltungsstrafrecht reicht.31 Dieser Ansicht folgt auch der
VfGH, der keine Verletzung der Vereinsfreiheit durch behördliche Auflösung eines Vereins wegen
bewilligungslosen Betriebs32 eines Pflegeheimes feststellte.33

Dem aus der Einheit der Rechtsordnung abgeleiteten Postulat der Einheit der Rechtssprache
entsprechend, müsste auch für die Untersagung von Versammlungen der befürchtete Verstoß
gegen Verwaltungsstrafrecht konsequenterweise reichen. Dafür spricht ebenso der enge
Zusammenhang dieser beiden Grundrechte, Versammlungsfreiheit und Vereinsfreiheit, der sich
insbesondere dadurch zeigt, dass beide ihre verfassungsrechtliche Grundlage in Art 11 EMRK
finden.

Dieser Ansicht lässt sich entgegenhalten, dass § 29 VerG die behördliche Auflösung eines Vereins
regelt, was bedeutet, dass der Verstoß gegen Justiz- oder Verwaltungsstrafrecht bereits

28 Freund, Das in Österreich geltende Vereins- und Versammlungsgesetz3 (1900) 211, zitiert nach Anderle,
  Österreichisches Versammlungsrecht (1988) 52.
29 RGBl 135/1867, wiederverlautbart durch BGBl 98/1953.
30 Berka, Probleme der grundrechtlichen Interessensabwägung – dargestellt am Beispiel der Untersagung von

Versammlungen, in FS Rill (1995) 9.
31 Forster/Tuder in Schopper/Wellinger (Hrsg), VerG § 29 Rz 43 (Stand: 1.10.2018, rdb.at).
32 Verwaltungsübertretung gemäß §§ 74 Abs 1 lit a iVm 50 NÖ SHG.
33 VfSlg 19.078/2010.
                                                                                                            13
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begangen wurde. Im Gegensatz dazu bildet § 6 Abs 1 VersG eine rein präventive Maßnahme auf
Basis einer Prognose, die den befürchteten Verstoß bereits im Vorhinein verhindern soll. Die
Intensität des Eingriffes ist im VersG demnach deutlich höher als im VerG – ein Vergleich ist
demnach nur eingeschränkt möglich.

Folgt man dem Prinzip einer grundrechtsfreundlichen Auslegung, wonach Gesetze im Zweifel so
auszulegen sind, dass sie so wenig wie möglich in den Schutzbereich des Grundrechts eingreifen,
wäre das Ergebnis eine Beschränkung auf Justizstrafrecht.34

In der Praxis verliert dieser Meinungsstreit dadurch an Bedeutung, indem der VfGH verstärkt die
weiteren Untersagungsgründe der Gefährdung des öffentlichen Wohls und der öffentlichen
Sicherheit heranzieht.35 So hat der VfGH die Rechtmäßigkeit der Untersagung einer Versammlung
von Skinheads, bei der Verstöße gegen das VerbotsG aufgrund einschlägig gerichtlich verurteilter
Teilnehmer erwartet wurden, bestätigt, weil die Untersagung im Interesse des öffentlichen Wohls
dringend geboten gewesen war.36

Zu einem praktikablem Lösungsweg kommt Berka37. Er begrenzt den Begriff der „Strafgesetze“
auf Justizstrafrecht und begründet dies damit, dass es sich bei der Systematik der Untersagung
um eine rein präventive Maßnahme hält, die, wie jede vorbeugende Kontrolle, einen besonders
schweren Eingriff in das Grundrecht darstellt. Seinen Ausführungen zufolge, muss bedacht
werden, dass hier lediglich anhand einer von der Behörde zu erstellenden Prognose, den
Betroffenen das Recht der kollektiven Meinungsäußerung bereits im Vorhinein vollständig
verwehrt wird. Laut Berka kann ein derart heftiger Eingriff nur verfassungskonform sein, wenn ein
gewichtiges Rechtsgut bedroht ist, wobei weiters zu bedenken ist, dass der Gesetzgeber
zwischen Justizstrafrecht und Verwaltungsstrafrecht de facto eine Abstufung vorgenommen hat
und die schutzwürdigen Interessen des gerichtlichen Strafrechts jedenfalls höher zu bewerten
sind. Der Verstoß gegen Verwaltungsstrafrecht kommt als Untersagungsgrund für § 6 Abs 1
VersG daher nicht in Betracht. Dem ist insoweit zu folgen, als eine mögliche spätere Auflösung
der Versammlung gemäß § 13 VersG als gelinderes Mittel immer noch in Betracht kommt. Im
Unterschied zur Untersagung handelt es sich hier jedoch um einen deutlich weniger intensiven
Eingriff in das Grundrecht, da in diesem Fall die gesetzwidrigen Vorgänge im Rahmen der
stattfindenden Versammlung bereits passiert sind und eben nicht nur auf einer Prognose beruhen.
Entscheidend ist, dass sich die Behörde im Rahmen ihrer Entscheidungsfindung auf den Zweck
der Versammlung beschränkt, welcher gemäß § 2 Abs 1 VersG bereits bei der Anzeige der

34 Gamper, 150 Jahre Staatsgrundgesetz – Befund und Ausblick zum Grundrechtsschutz in Österreich, Jahrbuch
Öffentliches Recht 2018 (233) 256.
35 Ermacora, Grundfreiheiten und Menschenrechte 52.
36 VfSlg 17.261/2004.
37 Berka in FS Rill 11 ff.
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Versammlung anzugeben ist und daher ausschließlich prüft, ob dieser den Strafgesetzen
zuwiderläuft.38 Dies ergibt sich in Folge der ausdrücklichen Formulierung des § 6 Abs 1 VersG,
wo bei Strafgesetzen auf den Zweck der Versammlung, bei der Gefährdung der öffentlichen
Sicherheit und der öffentlichen Ordnung allerdings auf die Abhaltung der Versammlung abgestellt
wird.39

Äußere Ereignisse, wie etwa eine mögliche Gefährdung durch Gegendemonstranten, ist erst im
Rahmen des Untersagungstatbestandes der öffentlichen Sicherheit und der öffentlichen Ordnung
zu prüfen.40

B. Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und des öffentlichen Wohles

In der Judikatur des VfGH werden der zweite und dritte Untersagungstatbestand bezüglich der
Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und des öffentlichen Wohles zusammengefasst und in
Folge gemeinsam angewendet.41 Ein striktes Auseinanderhalten dieser beiden Tatbestände ist
demnach nicht notwendig.

Wesentlicher Unterschied zum Untersagungstatbestand des strafgesetzwidrigen Zweckes ist,
dass die Behörde bei der Prognoseentscheidung im Rahmen der Überprüfung ihre Beurteilung
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nicht nur auf den Zweck der Versammlung zu beschränken hat.                          Dementsprechend hat die
Behörde auch äußere Einflüsse, auf welche der Veranstalter womöglich keinen Einfluss hat, in
ihrer Entscheidungsfindung zu beachten.43

Berka schließt nicht aus, dass dem Begriff der öffentlichen Sicherheit ursprünglich eine weite
Bedeutung zu Grunde gelegen sei, der es rechtfertigen würde, bei jedem erwarteten Verstoß
gegen die Rechtsordnung eine Untersagung der Versammlung auszusprechen. Aus heutiger
Sicht sei dies vor dem Hintergrund des materiellen Gesetzesvorbehalts des Art 11 Abs 2 EMRK
jedenfalls zu verneinen.44

Nach hL und stRsp des VfGH ist dem Begriff ein an den Vorschriften des Art 11 Abs 2 EMRK
gemessenes Verständnis beizulegen. Dementsprechend vertritt die jüngere Lehre einhellig, dass

38 Berka in FS Rill 12; VfSlg 2.002/1950, 4.524/1963, 6.095/1969, 8.610/1979.
39 Berka in FS Rill 13.
40 Berka in FS Rill 14.
41 Berka in FS Rill 12; VfSlg 4.524/1963, 8610/1979.
42 Berka in FS Rill 14.
43 Berka in FS Rill 14 f.
44 Berka in FS Rill 13.
                                                                                                          15
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eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit insbesondere dann vorliegt, wenn eine Gefahr für das
Leben, die persönliche Freiheit, Gesundheit, das Eigentum oder die nationale Sicherheit besteht.45

Unter dem Begriff des öffentlichen Wohles werden innerhalb der Lehre alle übrigen geschützten
öffentlichen Interessen zusammengefasst. Dazu zählen insbesondere die Religionsfreiheit,
Erwerbsfreiheit und Versammlungsfreiheit anderer. 46

45   ZB Friedrichkeit-Lebmann/Reithmayer-Ebner in Aigner et al (Hrsg) 177; VfSlg 17.120/2004.
46   Giese, Versammlungsrecht, in Bachmann et al (Hrsg), Besonderes Verwaltungsrecht13 (2020) 138.
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IV. Untersagung nach § 15 EpiG

§ 15 EpiG47 enthielt bis zu seiner Novellierung48 eine Bestimmung, wodurch es den BVB möglich
war, Veranstaltungen, die ein Zusammenströmen größerer Menschenmengen mit sich bringen,
zu untersagen, sofern und solange dies im Hinblick auf den Schutz vor der Weiterverbreitung
meldepflichtiger Erkrankungen erforderlich ist. Durch Verordnung gemäß § 1 Abs 2 EpiG erklärte
der BMSGPK Verdachts-, Erkrankungs- und Todesfälle von Covid-19 für meldepflichtig.49

Auf dieser gesetzlichen Grundlage folgte der Erlass des BMSGPK vom 10. März 202050. Darin
wurden die BVB angewiesen, gemäß § 15 EpiG durch Verordnung zu verfügen, sämtliche
Veranstaltungen       in    ihrem     Wirkungsbereich,        die    ein    Zusammenströmen           größerer
Menschenmengen mit sich bringe, zu untersagen, bei denen mehr als 500 Personen im Freien
oder mehr als 100 Personen im öffentlichen Raum zusammenkommen.

Zu einer Verschärfung kam es in Folge eines neuen Erlasses, des BMSGPK am 1. April 202051.
Darin wurden die BVB angewiesen, in Vollziehung des § 15 EpiG Veranstaltungen in
geschlossenen Räumen zu untersagen, an denen mehr als fünf Personen teilnehmen, die nicht
im selben Haushalt leben.

Mit dem Erlass des BMSGPK vom 6. April 202052 wurden die beiden soeben angeführten Erlässe
aufgehoben. Die Behörde stellte klar, dass das Betreten öffentlicher Orte verboten sei, was
Veranstaltungen verunmöglicht.

Der Regelungstatbestand des § 15 EpiG verwendet statt des Begriffes der Versammlung53 jenen
der Veranstaltung, die ein Zusammenströmen größerer Menschenmengen mit sich bringt. Diese
Formulierung wurde auch in den folgenden Novellierungen54 des § 15 EpiG beibehalten. Aus der
Formulierung ergibt sich, dass dem Begriff der „Veranstaltung“ ein weites Verständnis zu Grunde
zu legen ist. Dies bestätigte der VfGH, der etwa auch den Bar- und Diskothekenbetrieb als
Veranstaltung wertete.55 Fraglich ist, ob vom Veranstaltungsbegriff des § 15 EpiG auch
Versammlungen nach dem Versammlungsgesetz umfasst sind. In den Mat zu den Novellierungen
finden sich diesbezüglich keine Hinweise. Hummelbrunner bejaht dies und nennt ohne näher

47 BGBl 186/1950 idF BGBl I 114/2006.
48 BGBl I 43/2020.
49 BGBl II 15/2020.
50 Erlass des BMSGPK vom 10. März 2020, Gz: 2020-0.172.682.
51 Erlass des BMSGPK vom 1. April 2020, Gz: 2020-0.201.668.
52 Erlass des BMSGPK vom 6. April 2020, Gz: 2020-0.221.712.
53 Zum Versammlungsbegriff ausführlich Kalteis in Holoubek/Lienbacher, GRC- Kommentar² Art 12 Rz 14 ff (Stand

  1.4.2019, rdb.at)
54 BGBl I 43/2020, 104/2020.
55 VfGH V 428/2020.
                                                                                                                17
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darauf einzugehen Märkte, Versammlungen, Wallfahrten und Feste als Beispiele für
Veranstaltungen.56 Ebenso nach Keisler und Hummelbrunner umfasst eine Veranstaltung jegliche
Zusammenkünfte und damit auch Versammlungen nach dem Versammlungsgesetz.57 Dieser
Ansicht folgte auch das LVwG OÖ.58 Es ist anzunehmen, dass nach der Auffassung des
Verordnungsgebers auch Versammlungen vom Begriff der Veranstaltung umfasst sind, da er
diese in den Ausführungsverordnungen59 ausdrücklich ausgenommen hat.

Der Begriff der Versammlung findet sich innerhalb der Kompetenztatbestände in Art 10 Abs 1 Z 7
sowie in Art 102 Abs 2 B-VG und darüber hinaus in Art 12 StGG 1867. In Art 15 Abs 3 B-VG
werden Veranstaltungen ausdrücklich genannt. Veranstaltungen sind gemäß Art 15 Abs 1 B-VG
Ländersache in Gesetzgebung und Vollziehung. Es zeigt sich, dass der Verfassungsgesetzgeber
die Begriffe der Versammlung und der Veranstaltung strikt voneinander trennt.60 Daher sprechen
die besseren Gründe dafür, dass der Begriff der Veranstaltung eine Versammlung nach dem
Versammlungsgesetz nicht umfasst.61

Während die ursprüngliche Bestimmung62 lediglich die vollständige Untersagung der
Veranstaltung vorsah, erhielt die Behörde mit der Neufassung des § 15 EpidG63 die Möglichkeit,
die Durchführung einer Veranstaltung an bestimmte Voraussetzungen und Auflagen zu knüpfen.64
Als mögliche Voraussetzungen oder Auflagen werden in Abs 2 in demonstrativer Aufzählung das
Vorgeben von Abstandsregeln, die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Schutzmaske,
die Beschränkung der Teilnehmerzahl, die Anforderung an das Vorhandensein und die Nutzung
von Sanitäreinrichtung sowie Desinfektionsmitteln aufgezählt. Jedenfalls keine mögliche Auflage
ist kraft ausdrücklicher Bestimmung in Abs 3 das Vorschreiben von Contact-Tracing-
Technologien.65 Darüber hinaus kann gemäß Abs 1 Z 3 die Möglichkeit zur Teilnahme auf
bestimmte Personen- oder Berufsgruppen beschränkt werden, wobei dabei gemäß Abs 4 nicht
diskriminiert werden darf.

56 Hummelbrunner in Neumayr/Resch/Wallner (Hrsg), GmundKomm § 15 EpiG Rz 1 (Stand 1.3.2013, rdb.at)
57 Keisler/Hummelbrunner in Resch (Hrsg), Corona-HB1.02 Kap 1 Rz 30 (Stand 30.9.2020, rdb.at)
58 LVwG OÖ 30.11.2020, LVwG-751070/2/BP/SW.
59 § 10 Abs 5 Covid-19-LV.
60 Gstöttner/Lachmayr, Versammlungsrecht in Zeiten der Pandemie, NetV 2020/3 124 (126).
61 Gstöttner/Lachmayr, NetV 2020/3, 124 (126 ff).
62 IdF BGBl I 114/2006.
63 BGBl I 43/2020.
64 Gstöttner/Lachmayr, NetV 2020/3, 124 (124).
65 Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Contact-Tracing-Technologien ablehnend siehe Gamper,

  Verpflichtende Corona-Trac(k)ing-Apps: von der demokratischen Zumutung zum Rand der Demokratie, NLMR
  2020/3 155 ff.
                                                                                                         18
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Mit der 5. Covid-19-LV-Novelle66 wurde das Tragen einer Mund-Nasen-Schutzmaske während
einer Versammlung gemäß § 10 Abs 11 Z 3 Covid-19-LV vorgeschrieben, sofern der
Mindestabstand zu haushaltsfremden Personen nicht eingehalten werden konnte.67

Mit der Novellierung des68 EpiG änderte sich auch die Zuständigkeit. Während § 15 EpiG bisher
in Vollziehungszuständigkeit der Bezirksverwaltungsbehörden war, liegt diese, je nach örtlichen
Anwendungsbereich der zu erlassenden Verordnung gemäß 43 Abs 4a EpiG bei den BVB, beim
Landeshauptmann oder dem BMSGPK.

§ 15 EpiG eignet sich demnach nicht, um Versammlungen zu untersagen. Die Verwaltung hat sich
somit auch während Epidemien auf § 6 Abs 1 VersG, dabei dem Untersagungstatbestand der
Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und des öffentlichen Wohles, insbesondere Rechtsgut
Gesundheit, zu beschränken.

66 BGBl II 266/2020.
67 Gstöttner/Lachmayr, NetV 2020/3, 124 (124).
68 BGBl I 43/2020.
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V. Verhältnismäßigkeitsprüfung im Lichte des § 6 Abs 1 VersG

Durch die Untersagung der Versammlung wird in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit
eingegriffen. Die Untersagung bedarf daher einer Abwägung zwischen den Interessen des
Veranstalters an der Abhaltung und den öffentlichen Interessen am Unterbleiben der
Versammlung.69

Verneint man die Anwendbarkeit von Verwaltungsstrafrecht auf den Untersagungstatbestand des
„strafgesetzwidrigen Zweckes“ gemäß § 6 Abs 1 VersG, so ist eine allfällige Untersagung
ausschließlich aufgrund möglicher Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und des öffentlichen
Wohles, Rechtsgut Gesundheit, zu prüfen.

Probleme entstehen insbesondere dann, wenn die Behörde die Untersagungstatbestände zu eng
auslegt. Nach der stRsp des VfGH bedarf es deswegen eine Prüfung sämtlicher Aspekte des
Einzelfalls.70

Der Gesetzgeber verfolgte mit den gesetzte Maßnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 im
wesentlichen folgende Ziele:

     •    Vermeidung einer Überlastung des Gesundheitssystems durch zu viele im selben
          Zeitraum infizierte Personen, welche eine intensivmedizinische oder zumindest stationäre
          Behandlung benötigen (Überlastungsschutz der Gesundheitsinfrastruktur).
     •    Verhinderung einer vermehrten Ansteckung mit dem Virus und der damit einhergehenden
          Gesundheitsgefahr für die Betroffenen (Gesundheitsschutz des Einzelnen).

Den wissenschaftlichen Daten des deutschen RKI zufolge verläuft eine Erkrankung in der
überwiegenden Zahl der Fälle mild. Das Risiko eines schweren und auch tödlichen
Krankheitsverlaufes steigt mit zunehmenden Alter und bestehender Vorerkrankungen stark an.
Eine abschließende Analyse zur Gefährlichkeit sowie zu möglichen Langzeitfolgen einer Infektion
von Covid-19 sei nach derzeitigem Stand der Wissenschaft allerdings noch nicht möglich. Es wird
festgestellt,     dass   auch   bei   jungen    Menschen       ohne     Vorerkrankungen       schwere      und
lebensbedrohliche Krankheitsverläufe bekannt sind.71

69 Giese in Bachmann et al (Hrsg) 136.
70 VfSlg 19.961/2005.
71 Risikobewertung des Robert-Koch-Instituts zu Covid-19

  https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html (abgerufen am 11.01.2021)
                                                                                                                20
11. Jänner 2021
Es steht daher außer Zweifel, dass die Bekämpfung von Covid-19 aufgrund der bestehenden
Gesundheitsgefahr jedenfalls als öffentliches Interesse zu qualifizieren ist und damit grundsätzlich
einen Eingriff in das Grundrecht rechtfertigen könnte.72 Nach der stRsp des VfGH ist der
Gesundheitsschutz sogar als „schwerwiegendes öffentliches Interesse anerkannt.73

Laut RKI sei der Covid-19-Virus leicht von Mensch zu Mensch übertragbar. Der Ausstoß von
möglicherweise virushaltigen Partikeln steigt beim Sprechen, Singen oder Lachen stark und
insbesondere beim Husten und Nießen enorm an. Wird der Mindestabstand unterschritten und
keine Mund-Nasen-Schutzmaske getragen, kann es auch im Freien zu einem erhöhten
Übertragungsrisiko kommen.74

Da unter Versammlungen grundsätzlich das Zusammenkommen einer Menschengruppe an
einem bestimmten Ort zu verstehen ist, an der die Teilnehmer sprechen, mitunter laut schreien,
und dadurch, selbst wenn diese im Freien stattfindet, ein erhöhtes Risiko an einer Covid-19-
Infektion besteht, ist die Maßnahme grundsätzlich als geeignet anzusehen, um Infektionen zu
vermeiden und dadurch die Gesundheit der Teilnehmer zu schützen.

Grundsätzlich bieten Auflagen eine geeignete Maßnahme um einen abzulehnenden Bescheid
genehmigungsfähig zu machen. Gemäß § 59 AVG ist die Aufnahme von Auflagen in den
Bescheidspruch jedoch nur insoweit zulässig, als
     •    dies gesetzlich ausdrücklich vorgesehen,
     •    mit dem Sinn der zu treffenden Hauptentscheidung untrennbar verbunden ist oder
     •    dem Antrag der Partei entspricht.75

Dem VersG fehlt eine ausdrückliche Ermächtigung der Versammlungsbehörde, Auflagen
vorzuschreiben. Als Konsequenz kann die Versammlungsbehörde keine Auflagen für das
Abhalten der Versammlung vorschreiben. Die Behörde hat sich in ihrer Arbeit daher darauf zu
beschränken, die Organisatoren von Versammlungen darüber zu informieren und auf eine etwaige
Änderung der Versammlungsanzeige hinzuwirken. Die Initiative zu bestimmten gesundheitlichen
Maßnahmen muss daher freiwillig vom Organisator der Versammlung ausgehen. Da die Behörde
bei der zu erstellenden Prognose die spezifische Ausgestaltung der Versammlung unter
Beachtung aller vom Organisator angekündigten Maßnahmen zum Gesundheitsschutz einerseits
und die Höhe des Risikos einer Gesundheitsgefahr andererseits genau zu bewerten und

72 LVwG OÖ 750874/6/MZ/MaH.
73 Fister, AnwBl 2020/07-08, 406 (407); VfSlg 20.151 (Punkt 2.4.5. der Entscheidungsgründe).
74 Risikobewertung des Robert-Koch-Instituts zu Covid- 19

  https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html (abgerufen am 11.01.2021)
75 Hengstschläger/Leeb, AVG § 59 Rz 36 (Stand 1.7.2005, rdb.at).
                                                                                                                21
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anschließend eine Abwägung vorzunehmen hat, wird dieses Thema weiter unten näher
dargestellt.76

§ 15 EpiG enthält ab seiner Neufassung77, wie oben dargestellt, eine ausdrückliche Ermächtigung
für die Behörde zum Vorschreiben von Auflagen im Rahmen von Veranstaltungen. Da der Begriff
der Veranstaltung jenen der Versammlung nicht umfasst, bildet auch § 15 EpiG keine geeignete
Rechtsgrundlage um Auflagen bei Versammlungen vorzuschreiben.78

Die Frage der Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen hängt wesentlich davon ab, welches Ausmaß
das Bedrohungsszenario von Covid-19 tatsächlich hat. Dem Gesetzgeber ist an dieser Stelle ein
wesentlicher Spielraum gegeben.79

Wie bereits oben dargestellt; hat die Behörde etwaige in der Versammlungsanzeige angekündigte
freiwillige Gesundheitsmaßnahmen des Organisators jedenfalls in ihre Entscheidungsfindung
miteinzubeziehen. Sind die vorgestellten Maßnahmen geeignet, das Risiko für die Gesundheit der
Teilnehmer und das öffentliche Gesundheitssystem zu mindern, besteht die Möglichkeit, dass
seitens der Behörde im Wege der Abwägung des Grundrechtseingriffes eine Untersagung nicht
mehr gerechtfertigt werden kann.80

Als geeignete freiwillig zu setzende Maßnahmen seitens der Organisatoren, die sie in ihrer
Versammlungsanzeige bereits anführen, sind jedenfalls denkbar:

     •    Der geäußerte Wille des Organisators, die Teilnehmer der Versammlung auf das Einhalten
          eines Mindestabstandes von einem Meter sowie das Tragen einer Mund-Nasen-
          Schutzmaske hinzuweisen und entsprechend den zum jeweiligen Zeitpunkt geltenden
          Verhaltensvorschriften beim Betreten öffentlicher Orte aufzurufen. Zur ausdrücklichen
          Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Schutzmaske während der Teilnahme an
          einer Versammlung kam es gemäß § 10 Abs 11 Z 3 Covid-19-LV mit der
          5. Covid-19-LV-Novelle81, falls der festgeschriebene Mindestabstand von einem Meter zu
          haushaltsfremden Personen nicht eingehalten werden konnte. Diese Verpflichtung
          erscheint problematisch, da § 10 Covid-19-LV als Durchführungsverordnung zu § 15 EpiG
          zu sehen ist und der Verfassungsgesetzgeber zwischen den Begriffen der Veranstaltung
          und der Versammlung eine strikte Abgrenzung vorgenommen hat. Es kann daher nicht

76 Gstöttner/Lachmayr, NetV 2020/3, 124 (127 ff).
77 BGBl 43/2020.
78 Vgl zur Abgrenzung des Versammlungs- und Veranstaltungsbegriffes Gstöttner/Lachmayr, NetV 2020/3, 124 (126

  ff).
79 Rohregger, ZWF 2020/3, 108 (111).
80 Gstöttner/Lachmayr, NetV 2020/3, 124 (127 ff).
81 BGBl II 266/2020.
                                                                                                                22
11. Jänner 2021
davon ausgegangen werden, dass § 15 EpiG auch Regelungen für Versammlungen nach
           dem Versammlungsgesetz treffen kann.82

       •   Zu denken ist insbesondere auch an das Bereitstellen von Sanitäreinrichtungen sowie
           Desinfektionsmitteln.

       •   Ist zu erwarten, dass sich bei der Versammlung größere Menschengruppen bilden,
           erscheint als geeignete Maßnahme, um das Risiko zu verringern, die Ausarbeitung eines
           Covid-19-Präventionskonzepts            sowie       die      Bestellung        eines      Covid-19-
           Präventionsbeauftragten. Darin sollten konkrete Verhaltensweisen festgeschrieben sein,
           wie die Verantwortlichen, etwa im Falle einer Person mit Covid-19-Symptomen umgehen
           werden. In Folge wären die anwesenden Ordner jedenfalls vor Abhaltung der
           Versammlung ausreichend zu schulen.

       •   Je nach zu erwartender Teilnehmerzahl sollten sich der Versammlungsorganisator
           bereiterklären geeignete Kommunikationsformen zu verwenden, um die anwesenden
           Personen über eben diese gesundheitlichen Maßnahmen zu informieren. Dazu zählen
           etwa die Verwendung von Lautsprechern, Plakaten, Hinweisschildern, Leinwänden oder
           die Ausgabe von Flugblättern.

Dass mit dem Argument der Gesundheitsgefahr nicht automatisch jede Art des Eingriffes
gerechtfertigt werden kann, ist bereits dem ausdrücklichen Wortlaut des Art 11 Abs 2 EMRK zu
entnehmen, der Einschränkungen an der Zumutbarkeit für eine demokratischen Gesellschaft
misst.

Handelt es sich um eine bisher unbekannte Krankheit, so kann die Verwaltung zu Beginn einer
Pandemie auf wenig wissenschaftliche Daten zurückgreifen. Daraus ergibt sich jedenfalls eine
bestimmte Unsicherheit            über   die   Nützlichkeit    von gesundheitlichen Maßnahmen zur
Krankheitsbekämpfung. Dieses fehlende Wissen ist jedenfalls dazu geeignet, das öffentliche
Interesse am Unterbleiben der Versammlung zu erhöhen. Die Untersagung von Versammlungen
nach § 6 Abs 1 VersG erscheint daher zu Beginn einer Pandemie als rechtfertigbar. Ab dem
Zeitpunkt, an dem zuverlässige Informationen zu den Krankheitsverläufen, Sterblichkeitsrate,
Höhe der Ansteckungsgefahr, Übertragungswege oder geeignete Schutzmöglichkeiten vorliegen,
muss die Verhältnismäßigkeit jedenfalls erneut geprüft werden. Ebenso in die laufende

82   Vgl zur Abgrenzung des Versammlungs- und Veranstaltungsbegriffes Gstöttner/Lachmayr, NetV 2020/3, 124 (126
      ff).
                                                                                                                  23
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Überprüfung miteinzubeziehen ist die aktuelle epidemiologische Situation, welche zB Auskunft
über die Anzahl an Neuinfektionen und Neugenesenen gibt.

Handelt es sich bei Veranstaltern von Versammlungen um politische, wahlwerbende Parteien, ist
aus demokratiepolitischer Sicht jedenfalls ein höheres Interesse gegeben als bei Versammlungen,
denen ein derartiger Hintergrund fehlt. Die Versammlungsfreiheit dient der Machtkritik, ermöglicht
den Diskurs über politisch brisante Themen und hat daher eine demokratiefördernde Aktion.83
Am 11. Oktober 2020 fanden in Wien die Gemeinderats- und Bezirksvertretungswahlen statt.
Gemäß § 43 ff Wiener Gemeindewahlordnung haben jene wahlwerbenden Parteien, die nicht
aufgrund des Ergebnisses der letzten Gemeinderatswahl im Wiener Gemeinderat vertreten sind,
ihren Wahlvorschlägen Unterstützungserklärungen beizulegen. Um als Partei auf Landesebene
sowie in allen Bezirksvertretungen antreten zu können, bedarf es insgesamt 2.95084
Unterstützungserklärungen, welche nach der Wahlordnung zwischen 14. Juli und 14. August 2020
zu sammeln waren. Für Kleinparteien, denen in der täglichen Presseberichterstattung idR wenig
Präsenz zukommt, hat dies zur Folge, dass sie darauf angewiesen sind, während und auch schon
vor den Eintragungswochen durch öffentliche Auftritte Aufmerksamkeit zu erlangen.

Es erscheint daher jedenfalls als notwendig, bei politischen Parteien, insbesondere ab der Zeit
des       Vorwahlkampfes,         Versammlungen          zuzulassen.      Es     ist   zu    bedenken,       dass
Versammlungsverbote für Kleinparteien zur Folge haben können, dass diese mangels
Aufmerksamkeit innerhalb der Bevölkerung es nicht schaffen, die notwendige Anzahl an
Unterstützungserklärungen zu sammeln, und damit die Möglichkeit der Teilnahme am
demokratischen Prozess der Wahl verlieren. Weiters ist anzunehmen, dass bei Versammlungen
von Kleinparteien erfahrungsgemäß nur sehr wenige Teilnehmer anwesend sind, was das Risiko
einer Infektion deutlich verringert. Das aufgrund des geringen Risikos deutlich geminderte
öffentliche Interesse des Gesundheitsschutzes ist nun den fundamentalsten Grundrechten einer
demokratischen Gesellschaft gegenüberzustellen. Die Verhältnismäßigkeit der Untersagung
erscheint in solchen Fällen als nicht rechtfertigbar.

Wie oben bereits angeführt, müssen im Rahmen jeder Untersagungsentscheidung der Behörde
sämtliche Aspekte des konkreten Einzelfalls beurteilt werden. Die Anzahl der erwarteten
Teilnehmer ist jedenfalls als ein wesentlicher Indikator zu sehen, um beurteilen zu können, welche
Gefahr bei dieser Versammlung entsteht. In Bezug auf die oben angeführten möglichen
Gesundheitsmaßnahmen ist es bei geringen Teilnehmerzahlen deutlich einfacher, diese, etwa
den geforderten Mindestabstand von einem Meter, einzuhalten. Ebenso einfacher gestaltet sich

83   Kalteis in Holoubek/Lienbacher, GRC- Kommentar² Art 12 Rz 18 (Stand 1.4.2019, rdb.at)
84   100 Unterstützungserklärungen in jedem der 18 Landeswahlkreise sowie 50 Unterstützungserklärungen in allen 23
      Gemeindebezirken gemäß § 44 Wiener Gemeindewahlordnung.
                                                                                                                 24
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die Überwachungstätigkeit der erteilten Auflagen durch den Leiter der Versammlung, die Ordner
oder die anwesenden Sicherheitsbehörden.

Von wesentlicher Bedeutung ist auch die Örtlichkeit der angemeldeten Versammlung. Handelt es
sich dabei um große Flächen, wie etwa Parks oder öffentliche Plätze, können Auflagen zur
Einhaltung eines Mindestabstandes leichter eingehalten werden, als es in schmalen
Seitenstraßen der Fall wäre.

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VI. Covid-19-Vorschriften und ihre behördliche Umsetzung

Unter Punkt III. A. kommt die Arbeit zum Ergebnis, dass der Befürchte Verstoß gegen
Verwaltungsstrafrecht eine Untersagung gemäß § 6 Abs 1 VersG nicht rechtfertigt. Die
Versammlungsbehörden beantworteten diese Frage mitunter anders und untersagten
Versammlungen aufgrund befürchteter Verstöße gegen die Ausgangsbeschränkung des § 1 der
Verordnung gemäß § 2 Z 1 des Covid-19-MG. Die Darstellung der zum jeweiligen Zeitpunkt
geltenden Rechtslage ist daher für die rechtliche Beurteilung des Verwaltungshandelns relevant.

Ebenso wurden ab in Kraft treten der Covid-19-LV für Versammlungen nach der Vorschrift des §
15 EpiG und dessen Ausführungsverordnung Auflagen erteilt, obwohl der Begriff der
Veranstaltung des § 15 EpiG, wie in dieser Arbeit vertreten, Versammlungen nicht umfasst.85 Die
Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Schutzmaske wenn der Mindestabstand zu
haushaltsfremden Personen nicht eingehalten werden konnte gemäß § 15 Abs 11 Z 3 Covid-19-
LV86 erscheint daher ebenso problematisch.

A. Rechtslage von 16. März bis 30. April 2020 („Lockdown I“)

Mit 16. März 2020 ist die auf Grundlage von § 2 Z 1 Covid-19-MG87 erlassene Verordnung88 des
BMSGPK in Kraft getreten. Gemäß § 1 dieser Verordnung war das Betreten öffentlicher Orte
grundsätzlich verboten.
Ausnahmen bestanden gemäß § 2 zu Beginn89 nur in folgenden Fällen:
     •    (Z 1) Abwendung unmittelbarer Gefahr für Leib, Leben und Eigentum,
     •    (Z 2) Betreuung und Hilfeleistung von unterstützungsbedürftigen Personen,
     •    (Z 3) soweit zu Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens
          erforderlich und sichergestellt ist, dass am Ort der Deckung des Bedarfs zwischen den
          Personen ein Abstand von mindestens einem Meter eingehalten werden kann,
     •    (Z 4) für berufliche Zwecke, wenn sichergestellt ist, dass am Ort der beruflichen Tätigkeit
          zwischen den Personen ein Abstand von mindestens einem Meter eingehalten werden
          kann und
     •    (Z 5) wenn öffentliche Orte im Freien alleine, mit Personen, die im gemeinsamen Haushalt
          leben, oder mit Haustieren betreten werden sollen, gegenüber anderen Personen ist dabei
          ein Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten.

85 Gstöttner/Lachmayr, NetV 2020/3, 124 (126 ff).
86 BGBl II 266/2020.
87 StF BGBl I 12/2020.
88 BGBl II 98/2020.
89 BGBl II 98/2020.
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Weder        im   Covid-19-MG      selbst    noch     in   der    Verordnung       des     BMSGPK         gemäß
§ 2 Z 1 Covid-19-MG war zu diesem Zeitpunkt definiert, was genau unter dem Begriff „öffentlicher
Ort“ zu verstehen sei.90
Eine Legaldefinition für diesen Begriff findet sich in § 27 Abs 2 SPG. Öffentliche Orte sind
demnach solche, die von einem nicht von vornherein bestimmten Personenkreis betreten werden
können. Eine weitere befindet sich in § 1 Z 11 TNRSG, welche darunter jeden Ort versteht, der
von einem nicht von vornherein beschränkten Personenkreis ständig oder zu bestimmten Zeiten
betreten werden. Es ist anzunehmen, dass sich der Verordnungsgeber an diesen
Begriffserklärungen orientiert hat, wodurch die Definition als übertragbar erscheint.

Die Lehre trennt den Begriff der „öffentlichen Orte“ strikt von örtlichen Eigentums- und
Besitzverhältnissen, knüpft ihn allerdings streng an das Qualifikationsmerkmal der „allgemeinen
Zugänglichkeit“, welche nach der Judikatur des VwGH auch dann zu bejahen ist, wenn eine
bestimmte nach allgemeinen Merkmalen umschriebene Personengruppe von der Nutzung
ausgeschlossen wird.91 Der VwGH hat ein Wettbüro als allgemein zugänglich und folglich als
öffentlichen Ort qualifiziert, obwohl in diesen Geschäftslokalen der Zutritt von Personen unter 18
Jahren vollständig untersagt ist. 92

Betrachtet man das Betretungsverbot des § 1 nun gemeinsam mit den Ausnahmetatbeständen
des § 2, so kann von einem tatsächlichen Betretungsverbot öffentlicher Orte nicht gesprochen
werden, da nach Z 5 das Betreten öffentlicher Orte immer erlaubt war, solange dabei die Auflage
des Mindestabstands zu haushaltsfremden Personen eingehalten wurde.

Die Verwendung dieses Begriffes „Lockdown“ für die Zeit von 16. März bis 30. April 2020 ist daher
insoweit unzweckmäßig, als es eine Ausgangssperre, wie soeben dargestellt, im genannten
Zeitraum nicht gegeben hat.

Die Ausnahmetatbestände wurden durch Verordnungsnovellen geringfügig erweitert, enthielten
allerdings keine wesentlichen Neuerungen, da der in Bezug auf Versammlungen und auch sonst
wichtigste Ausnahmetatbestand der Z 5 durchgehend bis zum Außerkrafttreten der Verordnung
unverändert blieb:

90 Zu einer Legaldefinition dieses Begriffes im Covid-19-MG kommt es erst mit der am 25. September 2020
  kundgemachten Novelle; BGBl I 104/2020.
91 Eller/Wachter, Die Rechtsprechung zum allgemeinen Betretungsverbot öffentlicher Orte, CuRe 2020/84;

  VwSlg 18.363 A/2012.
92 VwSlg 18.363 A/2012.
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