VERSAMMLUNGSFREIHEIT IN DER COVID-19-KRISE - JKU ePUB
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Eingereicht von Simon Haberl Angefertigt am Institut für Verwaltungsrecht und Verwaltungslehre Beurteiler RA Univ.-Prof. Dr. Mathis Fister Jänner 2021 VERSAMMLUNGSFREIHEIT IN DER COVID-19-KRISE Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Magister der Rechtswissenschaften im Diplomstudium Rechtswissenschaften JOHANNES KEPLER UNIVERSITÄT LINZ Altenberger Straße 69 4040 Linz, Österreich jku.at
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch. Linz, Jänner 2021 Simon Haberl 2 11. Jänner 2021
Inhaltsverzeichnis I. Einleitung .............................................................................................................................. 8 II. Grundrechte in Krisenzeiten ................................................................................................. 9 III. Untersagung nach § 6 Abs 1 VersG ................................................................................... 12 A. Strafgesetzwidrige Versammlung ................................................................................. 12 B. Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und des öffentlichen Wohles ........................... 15 IV. Untersagung nach § 15 EpiG .............................................................................................. 17 V. Verhältnismäßigkeitsprüfung im Lichte des § 6 Abs 1 VersG .............................................. 20 VI. Covid-19-Vorschriften und ihre behördliche Umsetzung ..................................................... 26 A. Rechtslage von 16. März bis 30. April 2020 („Lockdown I“) .......................................... 26 1. Vorgehen der Behörden und rechtliche Beurteilung .............................................. 29 2. Keine gesetzliche Grundlage für allgemeines Betretungsverbot an öffentlichen Orten ..................................................................................................................... 33 B. Rechtslage zwischen 1. Mai und 2. November 2020 .................................................... 35 1. Stammfassung der Covid-19-Lockerungsverordnung ............................................ 35 2. Novellen der Covid-19-Lockerungsverordnung...................................................... 36 3. Erteilung von Auflagen für Versammlung durch Behörde gemäß § 15 EpiG .......... 37 VII. Conclusio ............................................................................................................................ 39 VIII. Anhang ............................................................................................................................... 41 4 11. Jänner 2021
Abkürzungsverzeichnis Abs Absatz AnwBl Anwaltsblatt APA Austria Presseagentur arg argumento Art Artikel AVG Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 BGBl Bundesgesetzblatt BH Bezirkshauptmannschaft BM Bundesminister BMI Bundesministerium für Inneres BMSGPK Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz BReg Bundesregierung BVB Bezirksverwaltungsbehörde B-VG Bundes-Verfassungsgestz COE Council of Europe (deutsch: Europarat) Covid-19 coronavirus disease 2019 Covid-19-LV Covid-19-Lockerungsverordnung Covid-19-MG Covid-19-Maßnahmengesetz Covid-19-MV Covid-19-Maßnahmenverordnung Covid-19-SchuMaV Covid-19-Schutzmaßnahmenverordnung CuRe Covid-19 und Recht EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EMRK Europäische Menschenrechtskonvention EpiG Epidemiegesetz 5 11. Jänner 2021
f folgend ff fortfolgend FS Festschrift GmundKomm Gmundner Kommentar zum Gesundheitsrecht GRC Charta der Grundrechte der Europäischen Union Gz Geschäftszahl Hrsg Herausgeber idF in der Fassung iSd im Sinne des JSt Journal für Strafrecht Kap Kapitel leg cit legis citatae LH Landeshauptmann lit litera LPD Landespolizeidirektion LVwG Landesverwaltungsgericht Mat Materialien NetV Nova & Varia – Zeitschrift des Juristenverbandes NLMR Newsletter Menschenrechte NÖ SHG Niederösterreichisches Sozialhilfegesetz OÖ Oberösterreich ORF Österreichischer Rundfunk OTS Originaltext-Service RDB Rechtsdatenbank RKI Robert-Koch-Institut Rz Randziffer SPG Sicherheitspolizeigesetz 6 11. Jänner 2021
StF Stammfassung StGB Strafgesetzbuch StGG Staatsgrundgesetz stRsp ständige Rechtsprechung TNRSG Tabak- und Nichtraucherinnen- bzw. Nichtraucherschutzgesetz VerbotsG Verbotsgesetz 1947 VerG Vereinsgesetz 2002 VersG Versammlungsgesetz 1953 VfGH Verfassungsgerichtshof VfSlg Erkenntnisse und Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofes vgl vergleiche VwG Verwaltungsgericht VwGH Verwaltungsgerichtshof VwSlg Erkenntnisse und Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes Z Ziffer zB zum Beispiel ZWF Zeitschrift für Wirtschafts- und Finanzstrafrecht 7 11. Jänner 2021
I. Einleitung Um ein exponentielles Wachstum an Covid-19-Infektionen zu vermeiden, hat der Staat seit März 2020 zahlreiche gesundheitspolitische Maßnahmen erlassen. Gesetze und Verordnungen, die dabei in Kraft gesetzt worden sind, führten zu Eingriffen in grundrechtliche Freiheiten der Bürger, wie sie in der zweiten Republik bis dahin beispiellos gewesen waren.1 Der Gesetz- und Verordnungsgeber begründete diese Schritte mit der Notwendigkeit des gesundheitlichen Schutzes der Bevölkerung. Als eines der zentralsten Grundrechte für eine demokratische Gesellschaft kommt der Versammlungsfreiheit unbestritten besondere Bedeutung zu. Die Versammlungsfreiheit ist in Österreich durch Art 12 StGG und Art 11 EMRK garantiert. Nach dem StGG handelt es sich dabei um eine Grundrecht mit Ausführungsvorbehalt, was bedeutet, dass das Grundrecht erst durch das VersG2 ausgeformt wurde. In diesem einfachen Gesetz ist geregelt, unter welchen Bedingungen eine Versammlung stattfinden, untersagt oder aufgelöst werden darf. Art 11 Abs 2 EMRK sieht für Eingriffe in das Grundrecht einen für die EMRK typischen materiellen Gesetzesvorbehalt vor.3 Im Rahmen der österreichischen Rechtsordnung steht der Verwaltung mit der gesetzlichen Bestimmung des § 6 Abs 1 VersG die Möglichkeit offen, Versammlungen von Menschen zu untersagen. Dieser Vorschrift widmet sich der Fokus dieser Arbeit. Das Corona-Krisenmanagement der österreichischen BReg gründet sich wesentlich auf die Bestimmungen des Covid-19-Maßnahmengesetzes und des Epidemiegesetzes, auf deren Basis in Folge zahlreiche Verordnungen erlassen wurden. Durch leichtere und strengere Maßnahmen der BReg ergeben sich mit den Lockdowns, Teil-Lockdowns und der inzwischen liegenden Übergangszeit mehrere trennbare Zeiträume, deren zum jeweiligen Zeitpunkt geltende Rechtslage, sofern es die Ausübung der Versammlungsfreiheit betrifft, in dieser Diplomarbeit aufgearbeitet wird. Im Anhang befindet sich ein Bescheid4 der Landespolizeidirektion Wien, womit diese eine in der Zeit des ersten „Lockdowns“ (16. März bis 30. April 2020) angezeigte Versammlung am Wiener Ballhausplatz vor dem Bundeskanzleramt und der Präsidentschaftskanzlei untersagt hat. In der Arbeit wird regelmäßig auf diesen Bescheid Bezug genommen. Diese Arbeit behandelt die geltende Rechtslage bis 2. November 2020. 1 Vgl näher die Liste betroffener Grundrechte bei Rohregger, Rechtsschutz gegen COVID-19-Maßnahmen, ZWF 2020/3, 108 (109). 2 BGBl 98/1953. 3 Grabenwarter/Frank, B-VG Art 11 EMRK Rz 10 (Stand 20.6.2020, rdb.at). 4 Anhang: Bescheid der LPD Wien Gz.: PAD/20/662641. 8 11. Jänner 2021
II. Grundrechte in Krisenzeiten Mit dem am 10. März 2020 an die Landeshauptleute ergehenden Erlass5 des BMSGPK wurden die zur Vollziehung des EpiG in mittelbarer Bundesverwaltung zuständigen BVB angewiesen, auf Grundlage von § 15 EpiG das Zusammenströmen größerer Menschenmengen nicht zuzulassen. Damit sollte die Versammlungsfreiheit österreichweit bis auf weiteres de facto ausgesetzt werden.6 Grundrechte sind nach ihrer Konzeption einklagbare Rechte gegenüber dem Staat. Aus Art 11 EMRK folgt die Pflicht des Staates, geeignete Vorkehrungen zum Schutz der Versammlungsfreiheit zu treffen. Gerade in Krisenzeiten kommt Grundrechten, insbesondere jenen politischer Natur, eine besondere Bedeutung zu. Im Zuge dessen kann es zu einem Konflikt kommen, wenn die Gewährleistung dieser staatlichen Garantien den Staat an der Bewältigung der Krise hindern.7 Der Verfassungsgesetzgeber hat diesen Konflikt teilweise berücksichtigt. Es lassen sich drei Herangehensweisen bei der Ausgestaltung der Grundrechte für den Fall des Staatsnotstandes8 feststellen. In manchen Grundrechten hat er Maßnahmen, die zur Bewältigung eines Notstandes erforderlich sind, ausdrücklich von deren jeweiligen Schutzbereich ausgenommen. Andere Grundrechte sehen Gesetzesvorbehalte vor, die sich auf notstandsbezogene Tatbestände beziehen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit der Aussetzung bestimmter Grundrechte, sofern die Rechtsordnung dies vorsieht.9 Mit Ausnahme des Art 15 EMRK enthält das österreichische Verfassungsrecht keine eigenständig Bestimmung, welche die vorübergehende Suspendierung oder Einschränkung von Grundrechten ermöglicht. 10 Gemäß Art 15 EMRK sind die Mitgliedsstaaten ermächtigt, die Verpflichtungen, die sich aus der Konvention ergeben, im Falle eines Krieges oder eines anderen öffentlichen Notstands, der das Leben der Nation bedroht, außer Kraft zu setzen. Unter Krieg ist eine Auseinandersetzung zwischen zwei oder mehreren Staaten zu verstehen, die nach Auffassung der beteiligten Staaten den Kriegszustand auslöst. Ein anderer öffentlicher Notstand beschreibt den Zustand, in dem eine 5 Erlass des BMSGPK vom 10. März 2020, Gz: 2020-0.172.682. 6 Fister, Grundrechte in der Krise, AnwBl 2020/07-08, 406 (406). 7 Vgl Fister, Staatsnotstandsrecht in Österreich, in Zwitter (Hrsg), Notstand und Recht (2012) 160 (172). 8 Zur Frage, ob die Covid-19-Krise ein Staatsnotstand ist, siehe Fister, AnwBl 2020/07-08, 406 (406). 9 Fister in Zwitter (Hrsg) 173 f. 10 Historisch betrachtet, enthielt das StGG als Teil der Dezemberverfassung von 1867 in Art 20 eine Bestimmung, welche die zeitliche und örtliche Aussetzung der in den Art 8, 9, 10, 12 (Versammlungsfreiheit) und 13 garantieren Rechten ermöglichte. Art 20 StGG ist kraft ausdrücklicher Bestimmung gemäß Art 149 Abs 2 B-VG außer Kraft getreten. Vgl Fister in Zwitter (Hrsg) 174 f. 9 11. Jänner 2021
außergewöhnliche Krisen- oder Notsituation eingetreten ist, von der weite Teile der Bevölkerung betroffen sind und das organisierte staatliche Gemeinwesen bedroht ist.11 Durch die Covid-19-Pandemie sind aufgrund der Gesundheitsgefahr für insbesondere ältere und immunschwache Personen jedenfalls weite Teile der Bevölkerung betroffen, wodurch die Pandemie als geeignete Situation erscheint, um von der Möglichkeit der Aussetzung von Garantien der Konvention nach Art 15 EMRK Gebrauch zu machen, da auch das öffentliche Gesundheitssystem als Teil des staatlichen Gemeinwesens von einer Überlastung bedroht ist. In Bezug auf die Covid-19-Pandemie haben davon bereits mehrere Mitgliedsstaaten Gebrauch gemacht.12 Eine Außerkraftsetzung der Bestimmungen der Konvention muss sich gemäß Art 15 Abs 1 EMRK auf den notwendigen Umfang beschränken und darf nicht im Widerspruch zu sonstigen völkerrechtlichen Verpflichtungen stehen. Art 15 EMRK fordert hier demnach eine Verhältnismäßigkeitsprüfung. 13 Art 2 enthält eine Aufzählung von Grundrechten, die selbst im Falle eines Krieges oder eines anderen öffentlichen Notstands nicht außer Kraft gesetzt werden dürfen. Dies betrifft das Recht auf Leben (Art 2 EMRK), mit der Ausnahme für Todesfälle, die auf rechtmäßige Kriegshandlungen zurückzuführen sind, das Folterverbot (Art 3 EMRK), das Verbot der Sklaverei und Leibeigenschaft (Art 4 Abs 1 EMRK) und das Gesetzlichkeitsprinzip im Strafverfahren „nulla poena sine lege“ (Art 7 EMRK).14 Für die nach Art 11 EMRK gewährleistete Versammlungsfreiheit bedeutet dies, dass eine Suspendierung unter den Voraussetzungen des Art 15 EMRK grundsätzlich möglich ist. Wie bereits dargestellt, bildet die Eindämmung der Covid-19-Pandemie aufgrund ihrer Gefahr für erhebliche Teile der Bevölkerung ein legitimes Ziel, das eine Suspendierung rechtfertigen kann. Für eine Außerkraftsetzung der Versammlungsfreiheit wäre dafür die in Art 15 Abs 3 EMRK festgehaltene Verfahrensweise einzuhalten. Österreich hat von einer derartigen Maßnahme in Bezug auf Covid-19 bisher keinen Gebrauch gemacht. Dem ist hinzuzufügen, dass eine Aktivierung des Art 15 EMRK in Österreich de facto zu keinen Änderungen führen würde, da sich die Außerkraftsetzung ausschließlich auf die Garantien der EMRK beziehen kann. Die Versammlungsfreiheit ist neben Art 11 EMRK auch in Art 12 StGG 11 Grabenwarter/Frank, B-VG Art 15 EMRK Rz 2. 12 Entsprechende Erklärungen wurden von folgenden Staaten bereits vor dem Europarat abgegeben: Albanien, Armenien, Estland, Georgien, Lettland, Rumänien, San Marino und Serbien. Die vollständige Liste findet sich auf der Homepage des Europarates: https://www.coe.int/de/web/conventions/full-list/- /conventions/treaty/005/declarations. (abgerufen am 11.01.2021). 13 Grabenwarter/Frank, B-VG Art 15 EMRK Rz 3. 14 Grabenwarter/Frank, B-VG Art 15 EMRK Rz 4. 10 11. Jänner 2021
verankert. Selbst wenn Art 11 EMRK ausgesetzt werden würde, wäre die Versammlungsfreiheit weiterhin durch die Bestimmung im StGG garantiert.15 Somit ist nach geltender Rechtslage ohne Tätigwerden des Bundesverfassungsgesetzgebers selbst in Krisenzeiten sowie im Falle eines Staatsnotstands die Außerkraftsetzung von Grundrechten, sofern diese auch außerhalb der EMRK gewährleistet sind, unmöglich. Ob ein Eingriff in Grundrechte nun auch zu einer Verletzung führt, ist laufend im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zu beurteilen. Beachtet werden muss jedoch, dass sich im Rahmen einer Krise mögliche Rechtfertigungen von Eingriffen stark erweitern können, weil die Bewertung des durch die Maßnahmen verfolgten öffentlichen Interesses hoch ist und dadurch die Grenzen der Verhältnismäßigkeit nach außen verschoben werden. Daher können im Krisenzeiten selbst jene Grundrechtseinschränkungen verhältnismäßig sein, welche unter normalen Umständen nicht gerechtfertigt werden könnten.16 Die Verpflichtungen des Staates, Eingriffe in Grundrechte so gering wie möglich zu halten, stehen mitunter im Spannungsfeld zu den aus den Grundrechten abgeleiteten staatlichen Schutzpflichten. Obwohl den Grundrechtskatalogen ein Recht auf Gesundheit fehlt, ergibt sich dieses insbesondere aus dem Recht auf Leben17 und dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens18. Der Umfang staatlicher Schutzpflichten bezieht sich jedenfalls auf das Gebot, gefährliche Aktivitäten laufend zu überwachen, zeitgerecht zu erkennen und, falls notwendig, geeignete Maßnahmen zu Minderung dieser Gefahren zu treffen.19 Dem Staat obliegt hier ein weiter Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum.20 Im Ergebnis besteht keine Möglichkeit, die Versammlungsfreiheit, wenn auch nur über einen bestimmten Zeitraum, vollständig außer Kraft zu setzen. Auch in Krisenzeiten steht der Verwaltung ausschließlich die Untersagung nach § 6 Abs 1 VersG offen, um Versammlungen zu verhindern. 15 Vgl Fister in Zwitter (Hrsg) 175. 16 Fister in Zwitter (Hrsg) 174 f. 17 Art 2 EMRK. 18 Art 8 EMRK. 19 Hiersche/Holzinger/Eibl, Handbuch des Epidemierechts, Zweiter Teil: Grundrechtliche Dimension staatlicher Seuchenbekämpfung (Stand 13.5.2020, rdb.at). 20 Ausführlich siehe Fister, AnwBl 2020/07-08, 406 (407). 11 11. Jänner 2021
III. Untersagung nach § 6 Abs 1 VersG § 6 Abs 1 VersG legt Tatbestände fest, die eine Untersagung der Versammlung rechtfertigen. Die Behörde hat die Versammlung zu untersagen, wenn der Versammlungszweck den Strafgesetzen zuwiderläuft oder die Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet und der Grundrechtseingriff gerechtfertigt ist. Dies ist dann anzunehmen, wenn ein öffentliches Interesse iSd Art 11 Abs 2 EMRK gegeben ist und die Untersagung zur Wahrung dieses Interesses geeignet, erforderlich und adäquat ist.21 Die Behörde hat dies nach stRsp des VfGH im Rahmen einer Prognoseentscheidung auf Grund von konkret festgestellten, objektiv erfassbaren Umständen zu treffen.22 Die Entscheidung zur Untersagung darf nur ultima ratio sein.23 Für alle drei Tatbestandsmerkmale gilt, dass der Behörde kein Ermessensspielraum im technischen Sinn zukommt (arg: „sind ... zu untersagen“).24 Weiters kommt es nicht darauf an, ob die von der Behörde zur Begründung der Untersagung genannten früheren Vorfälle dem Veranstalter zuzurechnen sind oder nicht.25 Zuständig für die Untersagung der Versammlung ist gemäß § 16 Abs 1 VersG bei den in § 8 SPG aufgezählten Gemeinden die jeweilige LPD, in allen anderen die BVB. Trotz fehlender Aufzählung der Landeshauptstadt Bregenz in § 8 SPG ergibt sich in Form einer Sonderregelung nach § 16 Abs 1 lit b VersG die Zuständigkeit der LPD Vorarlberg für das Gebiet der Stadt Bregenz.26 A. Strafgesetzwidrige Versammlung Eine Versammlung ist nach der ersten Alternative des § 6 Abs 1 VersG zu untersagen, wenn deren Zweck Strafgesetzen zuwiderläuft. In der Lehre umstritten ist die Frage, ob sich der Wortlaut „Strafgesetze“ lediglich auf gerichtliches Strafrecht, etwa iSd § 75 ff StGB, bezieht, oder ob bereits der befürchtete Verstoß gegen Verwaltungsstrafrecht ausreicht, um die Versammlung zu untersagen. Auf Basis einer Wortinterpretation finden sich innerhalb der Lehre folgende Überlegungen: Ermacora27 vertritt, dass aufgrund des allgemeinen Sprachgebrauchs des Begriffs das 21 Vgl zB VfSlg 10.443/1985, 12.257/1990. 22 So stRsp des VfGH beginnend mit VfSlg 5.087/1965. 23 VfSlg 19.741/2013. 24 Friedrichkeit-Lebmann/Reithmayer-Ebner in Aigner et al (Hrsg), Besonderes Verwaltungsrecht3 (2020) 176. 25 VfSlg 17.261/2004. 26 Friedrichkeit-Lebmann/Reithmayer-Ebner in Aigner et al (Hrsg) 113 ff. 27 Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und Menschenrechte (1963) 317. 12 11. Jänner 2021
Verwaltungsstrafrecht nicht miteinzubeziehen ist. Dem ist insoweit zuzustimmen, als nach einem allgemeinen Verständnis unter Strafgesetze jedenfalls das gerichtliches Strafrecht, jedoch nicht zwangsläufig das Verwaltungsstrafrecht fällt. Dies zeigt sich auch im Bereich der universitären Lehre, wo die Verwendung des Begriffes Strafrecht, etwa bei Lehrveranstaltungstiteln, Prüfungen oder Lehrbüchern, ausschließlich Justizstrafrecht umfasst. Anders sieht dies Freund28, der aus der Formulierung des Begriffes im Plural ableitet, dass auch das Verwaltungsstrafrecht davon umfasst ist. Dem kann entgegen gehalten werden, dass sich die Formulierung im Plural auch darauf beziehen kann, dass mit dem gerichtlichen Strafrecht nicht nur der materielle Teil des gerichtlichen Strafrechts iSd § 75 ff StGB gemeint ist, sondern sich dies ebenso auf die unstrittige Miteinbeziehung von gerichtlichem Nebenstrafrecht, etwa § 3a ff VerbotsG, beziehen kann. Eine historische Interpretation, welche sich mit dem entstehungszeitlichen Verständnis des Begriffs im Jahr 186729 auseinandersetzt, kommt zum Ergebnis, dass dem Begriff ein weites Verständnis zugrunde gelegt ist und daher das Verwaltungsstrafrecht miteinzubeziehen ist.30 Der Begriff „Strafgesetze“ findet sich neben § 6 Abs 1 VersG auch wörtlich in § 29 VerG. Weitgehend unbestritten vertritt die Lehre hier, dass für die behördliche Auflösung eines Vereins jedenfalls der Verstoß gegen das Verwaltungsstrafrecht reicht.31 Dieser Ansicht folgt auch der VfGH, der keine Verletzung der Vereinsfreiheit durch behördliche Auflösung eines Vereins wegen bewilligungslosen Betriebs32 eines Pflegeheimes feststellte.33 Dem aus der Einheit der Rechtsordnung abgeleiteten Postulat der Einheit der Rechtssprache entsprechend, müsste auch für die Untersagung von Versammlungen der befürchtete Verstoß gegen Verwaltungsstrafrecht konsequenterweise reichen. Dafür spricht ebenso der enge Zusammenhang dieser beiden Grundrechte, Versammlungsfreiheit und Vereinsfreiheit, der sich insbesondere dadurch zeigt, dass beide ihre verfassungsrechtliche Grundlage in Art 11 EMRK finden. Dieser Ansicht lässt sich entgegenhalten, dass § 29 VerG die behördliche Auflösung eines Vereins regelt, was bedeutet, dass der Verstoß gegen Justiz- oder Verwaltungsstrafrecht bereits 28 Freund, Das in Österreich geltende Vereins- und Versammlungsgesetz3 (1900) 211, zitiert nach Anderle, Österreichisches Versammlungsrecht (1988) 52. 29 RGBl 135/1867, wiederverlautbart durch BGBl 98/1953. 30 Berka, Probleme der grundrechtlichen Interessensabwägung – dargestellt am Beispiel der Untersagung von Versammlungen, in FS Rill (1995) 9. 31 Forster/Tuder in Schopper/Wellinger (Hrsg), VerG § 29 Rz 43 (Stand: 1.10.2018, rdb.at). 32 Verwaltungsübertretung gemäß §§ 74 Abs 1 lit a iVm 50 NÖ SHG. 33 VfSlg 19.078/2010. 13 11. Jänner 2021
begangen wurde. Im Gegensatz dazu bildet § 6 Abs 1 VersG eine rein präventive Maßnahme auf Basis einer Prognose, die den befürchteten Verstoß bereits im Vorhinein verhindern soll. Die Intensität des Eingriffes ist im VersG demnach deutlich höher als im VerG – ein Vergleich ist demnach nur eingeschränkt möglich. Folgt man dem Prinzip einer grundrechtsfreundlichen Auslegung, wonach Gesetze im Zweifel so auszulegen sind, dass sie so wenig wie möglich in den Schutzbereich des Grundrechts eingreifen, wäre das Ergebnis eine Beschränkung auf Justizstrafrecht.34 In der Praxis verliert dieser Meinungsstreit dadurch an Bedeutung, indem der VfGH verstärkt die weiteren Untersagungsgründe der Gefährdung des öffentlichen Wohls und der öffentlichen Sicherheit heranzieht.35 So hat der VfGH die Rechtmäßigkeit der Untersagung einer Versammlung von Skinheads, bei der Verstöße gegen das VerbotsG aufgrund einschlägig gerichtlich verurteilter Teilnehmer erwartet wurden, bestätigt, weil die Untersagung im Interesse des öffentlichen Wohls dringend geboten gewesen war.36 Zu einem praktikablem Lösungsweg kommt Berka37. Er begrenzt den Begriff der „Strafgesetze“ auf Justizstrafrecht und begründet dies damit, dass es sich bei der Systematik der Untersagung um eine rein präventive Maßnahme hält, die, wie jede vorbeugende Kontrolle, einen besonders schweren Eingriff in das Grundrecht darstellt. Seinen Ausführungen zufolge, muss bedacht werden, dass hier lediglich anhand einer von der Behörde zu erstellenden Prognose, den Betroffenen das Recht der kollektiven Meinungsäußerung bereits im Vorhinein vollständig verwehrt wird. Laut Berka kann ein derart heftiger Eingriff nur verfassungskonform sein, wenn ein gewichtiges Rechtsgut bedroht ist, wobei weiters zu bedenken ist, dass der Gesetzgeber zwischen Justizstrafrecht und Verwaltungsstrafrecht de facto eine Abstufung vorgenommen hat und die schutzwürdigen Interessen des gerichtlichen Strafrechts jedenfalls höher zu bewerten sind. Der Verstoß gegen Verwaltungsstrafrecht kommt als Untersagungsgrund für § 6 Abs 1 VersG daher nicht in Betracht. Dem ist insoweit zu folgen, als eine mögliche spätere Auflösung der Versammlung gemäß § 13 VersG als gelinderes Mittel immer noch in Betracht kommt. Im Unterschied zur Untersagung handelt es sich hier jedoch um einen deutlich weniger intensiven Eingriff in das Grundrecht, da in diesem Fall die gesetzwidrigen Vorgänge im Rahmen der stattfindenden Versammlung bereits passiert sind und eben nicht nur auf einer Prognose beruhen. Entscheidend ist, dass sich die Behörde im Rahmen ihrer Entscheidungsfindung auf den Zweck der Versammlung beschränkt, welcher gemäß § 2 Abs 1 VersG bereits bei der Anzeige der 34 Gamper, 150 Jahre Staatsgrundgesetz – Befund und Ausblick zum Grundrechtsschutz in Österreich, Jahrbuch Öffentliches Recht 2018 (233) 256. 35 Ermacora, Grundfreiheiten und Menschenrechte 52. 36 VfSlg 17.261/2004. 37 Berka in FS Rill 11 ff. 14 11. Jänner 2021
Versammlung anzugeben ist und daher ausschließlich prüft, ob dieser den Strafgesetzen zuwiderläuft.38 Dies ergibt sich in Folge der ausdrücklichen Formulierung des § 6 Abs 1 VersG, wo bei Strafgesetzen auf den Zweck der Versammlung, bei der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und der öffentlichen Ordnung allerdings auf die Abhaltung der Versammlung abgestellt wird.39 Äußere Ereignisse, wie etwa eine mögliche Gefährdung durch Gegendemonstranten, ist erst im Rahmen des Untersagungstatbestandes der öffentlichen Sicherheit und der öffentlichen Ordnung zu prüfen.40 B. Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und des öffentlichen Wohles In der Judikatur des VfGH werden der zweite und dritte Untersagungstatbestand bezüglich der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und des öffentlichen Wohles zusammengefasst und in Folge gemeinsam angewendet.41 Ein striktes Auseinanderhalten dieser beiden Tatbestände ist demnach nicht notwendig. Wesentlicher Unterschied zum Untersagungstatbestand des strafgesetzwidrigen Zweckes ist, dass die Behörde bei der Prognoseentscheidung im Rahmen der Überprüfung ihre Beurteilung 42 nicht nur auf den Zweck der Versammlung zu beschränken hat. Dementsprechend hat die Behörde auch äußere Einflüsse, auf welche der Veranstalter womöglich keinen Einfluss hat, in ihrer Entscheidungsfindung zu beachten.43 Berka schließt nicht aus, dass dem Begriff der öffentlichen Sicherheit ursprünglich eine weite Bedeutung zu Grunde gelegen sei, der es rechtfertigen würde, bei jedem erwarteten Verstoß gegen die Rechtsordnung eine Untersagung der Versammlung auszusprechen. Aus heutiger Sicht sei dies vor dem Hintergrund des materiellen Gesetzesvorbehalts des Art 11 Abs 2 EMRK jedenfalls zu verneinen.44 Nach hL und stRsp des VfGH ist dem Begriff ein an den Vorschriften des Art 11 Abs 2 EMRK gemessenes Verständnis beizulegen. Dementsprechend vertritt die jüngere Lehre einhellig, dass 38 Berka in FS Rill 12; VfSlg 2.002/1950, 4.524/1963, 6.095/1969, 8.610/1979. 39 Berka in FS Rill 13. 40 Berka in FS Rill 14. 41 Berka in FS Rill 12; VfSlg 4.524/1963, 8610/1979. 42 Berka in FS Rill 14. 43 Berka in FS Rill 14 f. 44 Berka in FS Rill 13. 15 11. Jänner 2021
eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit insbesondere dann vorliegt, wenn eine Gefahr für das Leben, die persönliche Freiheit, Gesundheit, das Eigentum oder die nationale Sicherheit besteht.45 Unter dem Begriff des öffentlichen Wohles werden innerhalb der Lehre alle übrigen geschützten öffentlichen Interessen zusammengefasst. Dazu zählen insbesondere die Religionsfreiheit, Erwerbsfreiheit und Versammlungsfreiheit anderer. 46 45 ZB Friedrichkeit-Lebmann/Reithmayer-Ebner in Aigner et al (Hrsg) 177; VfSlg 17.120/2004. 46 Giese, Versammlungsrecht, in Bachmann et al (Hrsg), Besonderes Verwaltungsrecht13 (2020) 138. 16 11. Jänner 2021
IV. Untersagung nach § 15 EpiG § 15 EpiG47 enthielt bis zu seiner Novellierung48 eine Bestimmung, wodurch es den BVB möglich war, Veranstaltungen, die ein Zusammenströmen größerer Menschenmengen mit sich bringen, zu untersagen, sofern und solange dies im Hinblick auf den Schutz vor der Weiterverbreitung meldepflichtiger Erkrankungen erforderlich ist. Durch Verordnung gemäß § 1 Abs 2 EpiG erklärte der BMSGPK Verdachts-, Erkrankungs- und Todesfälle von Covid-19 für meldepflichtig.49 Auf dieser gesetzlichen Grundlage folgte der Erlass des BMSGPK vom 10. März 202050. Darin wurden die BVB angewiesen, gemäß § 15 EpiG durch Verordnung zu verfügen, sämtliche Veranstaltungen in ihrem Wirkungsbereich, die ein Zusammenströmen größerer Menschenmengen mit sich bringe, zu untersagen, bei denen mehr als 500 Personen im Freien oder mehr als 100 Personen im öffentlichen Raum zusammenkommen. Zu einer Verschärfung kam es in Folge eines neuen Erlasses, des BMSGPK am 1. April 202051. Darin wurden die BVB angewiesen, in Vollziehung des § 15 EpiG Veranstaltungen in geschlossenen Räumen zu untersagen, an denen mehr als fünf Personen teilnehmen, die nicht im selben Haushalt leben. Mit dem Erlass des BMSGPK vom 6. April 202052 wurden die beiden soeben angeführten Erlässe aufgehoben. Die Behörde stellte klar, dass das Betreten öffentlicher Orte verboten sei, was Veranstaltungen verunmöglicht. Der Regelungstatbestand des § 15 EpiG verwendet statt des Begriffes der Versammlung53 jenen der Veranstaltung, die ein Zusammenströmen größerer Menschenmengen mit sich bringt. Diese Formulierung wurde auch in den folgenden Novellierungen54 des § 15 EpiG beibehalten. Aus der Formulierung ergibt sich, dass dem Begriff der „Veranstaltung“ ein weites Verständnis zu Grunde zu legen ist. Dies bestätigte der VfGH, der etwa auch den Bar- und Diskothekenbetrieb als Veranstaltung wertete.55 Fraglich ist, ob vom Veranstaltungsbegriff des § 15 EpiG auch Versammlungen nach dem Versammlungsgesetz umfasst sind. In den Mat zu den Novellierungen finden sich diesbezüglich keine Hinweise. Hummelbrunner bejaht dies und nennt ohne näher 47 BGBl 186/1950 idF BGBl I 114/2006. 48 BGBl I 43/2020. 49 BGBl II 15/2020. 50 Erlass des BMSGPK vom 10. März 2020, Gz: 2020-0.172.682. 51 Erlass des BMSGPK vom 1. April 2020, Gz: 2020-0.201.668. 52 Erlass des BMSGPK vom 6. April 2020, Gz: 2020-0.221.712. 53 Zum Versammlungsbegriff ausführlich Kalteis in Holoubek/Lienbacher, GRC- Kommentar² Art 12 Rz 14 ff (Stand 1.4.2019, rdb.at) 54 BGBl I 43/2020, 104/2020. 55 VfGH V 428/2020. 17 11. Jänner 2021
darauf einzugehen Märkte, Versammlungen, Wallfahrten und Feste als Beispiele für Veranstaltungen.56 Ebenso nach Keisler und Hummelbrunner umfasst eine Veranstaltung jegliche Zusammenkünfte und damit auch Versammlungen nach dem Versammlungsgesetz.57 Dieser Ansicht folgte auch das LVwG OÖ.58 Es ist anzunehmen, dass nach der Auffassung des Verordnungsgebers auch Versammlungen vom Begriff der Veranstaltung umfasst sind, da er diese in den Ausführungsverordnungen59 ausdrücklich ausgenommen hat. Der Begriff der Versammlung findet sich innerhalb der Kompetenztatbestände in Art 10 Abs 1 Z 7 sowie in Art 102 Abs 2 B-VG und darüber hinaus in Art 12 StGG 1867. In Art 15 Abs 3 B-VG werden Veranstaltungen ausdrücklich genannt. Veranstaltungen sind gemäß Art 15 Abs 1 B-VG Ländersache in Gesetzgebung und Vollziehung. Es zeigt sich, dass der Verfassungsgesetzgeber die Begriffe der Versammlung und der Veranstaltung strikt voneinander trennt.60 Daher sprechen die besseren Gründe dafür, dass der Begriff der Veranstaltung eine Versammlung nach dem Versammlungsgesetz nicht umfasst.61 Während die ursprüngliche Bestimmung62 lediglich die vollständige Untersagung der Veranstaltung vorsah, erhielt die Behörde mit der Neufassung des § 15 EpidG63 die Möglichkeit, die Durchführung einer Veranstaltung an bestimmte Voraussetzungen und Auflagen zu knüpfen.64 Als mögliche Voraussetzungen oder Auflagen werden in Abs 2 in demonstrativer Aufzählung das Vorgeben von Abstandsregeln, die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Schutzmaske, die Beschränkung der Teilnehmerzahl, die Anforderung an das Vorhandensein und die Nutzung von Sanitäreinrichtung sowie Desinfektionsmitteln aufgezählt. Jedenfalls keine mögliche Auflage ist kraft ausdrücklicher Bestimmung in Abs 3 das Vorschreiben von Contact-Tracing- Technologien.65 Darüber hinaus kann gemäß Abs 1 Z 3 die Möglichkeit zur Teilnahme auf bestimmte Personen- oder Berufsgruppen beschränkt werden, wobei dabei gemäß Abs 4 nicht diskriminiert werden darf. 56 Hummelbrunner in Neumayr/Resch/Wallner (Hrsg), GmundKomm § 15 EpiG Rz 1 (Stand 1.3.2013, rdb.at) 57 Keisler/Hummelbrunner in Resch (Hrsg), Corona-HB1.02 Kap 1 Rz 30 (Stand 30.9.2020, rdb.at) 58 LVwG OÖ 30.11.2020, LVwG-751070/2/BP/SW. 59 § 10 Abs 5 Covid-19-LV. 60 Gstöttner/Lachmayr, Versammlungsrecht in Zeiten der Pandemie, NetV 2020/3 124 (126). 61 Gstöttner/Lachmayr, NetV 2020/3, 124 (126 ff). 62 IdF BGBl I 114/2006. 63 BGBl I 43/2020. 64 Gstöttner/Lachmayr, NetV 2020/3, 124 (124). 65 Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Contact-Tracing-Technologien ablehnend siehe Gamper, Verpflichtende Corona-Trac(k)ing-Apps: von der demokratischen Zumutung zum Rand der Demokratie, NLMR 2020/3 155 ff. 18 11. Jänner 2021
Mit der 5. Covid-19-LV-Novelle66 wurde das Tragen einer Mund-Nasen-Schutzmaske während einer Versammlung gemäß § 10 Abs 11 Z 3 Covid-19-LV vorgeschrieben, sofern der Mindestabstand zu haushaltsfremden Personen nicht eingehalten werden konnte.67 Mit der Novellierung des68 EpiG änderte sich auch die Zuständigkeit. Während § 15 EpiG bisher in Vollziehungszuständigkeit der Bezirksverwaltungsbehörden war, liegt diese, je nach örtlichen Anwendungsbereich der zu erlassenden Verordnung gemäß 43 Abs 4a EpiG bei den BVB, beim Landeshauptmann oder dem BMSGPK. § 15 EpiG eignet sich demnach nicht, um Versammlungen zu untersagen. Die Verwaltung hat sich somit auch während Epidemien auf § 6 Abs 1 VersG, dabei dem Untersagungstatbestand der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und des öffentlichen Wohles, insbesondere Rechtsgut Gesundheit, zu beschränken. 66 BGBl II 266/2020. 67 Gstöttner/Lachmayr, NetV 2020/3, 124 (124). 68 BGBl I 43/2020. 19 11. Jänner 2021
V. Verhältnismäßigkeitsprüfung im Lichte des § 6 Abs 1 VersG Durch die Untersagung der Versammlung wird in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit eingegriffen. Die Untersagung bedarf daher einer Abwägung zwischen den Interessen des Veranstalters an der Abhaltung und den öffentlichen Interessen am Unterbleiben der Versammlung.69 Verneint man die Anwendbarkeit von Verwaltungsstrafrecht auf den Untersagungstatbestand des „strafgesetzwidrigen Zweckes“ gemäß § 6 Abs 1 VersG, so ist eine allfällige Untersagung ausschließlich aufgrund möglicher Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und des öffentlichen Wohles, Rechtsgut Gesundheit, zu prüfen. Probleme entstehen insbesondere dann, wenn die Behörde die Untersagungstatbestände zu eng auslegt. Nach der stRsp des VfGH bedarf es deswegen eine Prüfung sämtlicher Aspekte des Einzelfalls.70 Der Gesetzgeber verfolgte mit den gesetzte Maßnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 im wesentlichen folgende Ziele: • Vermeidung einer Überlastung des Gesundheitssystems durch zu viele im selben Zeitraum infizierte Personen, welche eine intensivmedizinische oder zumindest stationäre Behandlung benötigen (Überlastungsschutz der Gesundheitsinfrastruktur). • Verhinderung einer vermehrten Ansteckung mit dem Virus und der damit einhergehenden Gesundheitsgefahr für die Betroffenen (Gesundheitsschutz des Einzelnen). Den wissenschaftlichen Daten des deutschen RKI zufolge verläuft eine Erkrankung in der überwiegenden Zahl der Fälle mild. Das Risiko eines schweren und auch tödlichen Krankheitsverlaufes steigt mit zunehmenden Alter und bestehender Vorerkrankungen stark an. Eine abschließende Analyse zur Gefährlichkeit sowie zu möglichen Langzeitfolgen einer Infektion von Covid-19 sei nach derzeitigem Stand der Wissenschaft allerdings noch nicht möglich. Es wird festgestellt, dass auch bei jungen Menschen ohne Vorerkrankungen schwere und lebensbedrohliche Krankheitsverläufe bekannt sind.71 69 Giese in Bachmann et al (Hrsg) 136. 70 VfSlg 19.961/2005. 71 Risikobewertung des Robert-Koch-Instituts zu Covid-19 https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html (abgerufen am 11.01.2021) 20 11. Jänner 2021
Es steht daher außer Zweifel, dass die Bekämpfung von Covid-19 aufgrund der bestehenden Gesundheitsgefahr jedenfalls als öffentliches Interesse zu qualifizieren ist und damit grundsätzlich einen Eingriff in das Grundrecht rechtfertigen könnte.72 Nach der stRsp des VfGH ist der Gesundheitsschutz sogar als „schwerwiegendes öffentliches Interesse anerkannt.73 Laut RKI sei der Covid-19-Virus leicht von Mensch zu Mensch übertragbar. Der Ausstoß von möglicherweise virushaltigen Partikeln steigt beim Sprechen, Singen oder Lachen stark und insbesondere beim Husten und Nießen enorm an. Wird der Mindestabstand unterschritten und keine Mund-Nasen-Schutzmaske getragen, kann es auch im Freien zu einem erhöhten Übertragungsrisiko kommen.74 Da unter Versammlungen grundsätzlich das Zusammenkommen einer Menschengruppe an einem bestimmten Ort zu verstehen ist, an der die Teilnehmer sprechen, mitunter laut schreien, und dadurch, selbst wenn diese im Freien stattfindet, ein erhöhtes Risiko an einer Covid-19- Infektion besteht, ist die Maßnahme grundsätzlich als geeignet anzusehen, um Infektionen zu vermeiden und dadurch die Gesundheit der Teilnehmer zu schützen. Grundsätzlich bieten Auflagen eine geeignete Maßnahme um einen abzulehnenden Bescheid genehmigungsfähig zu machen. Gemäß § 59 AVG ist die Aufnahme von Auflagen in den Bescheidspruch jedoch nur insoweit zulässig, als • dies gesetzlich ausdrücklich vorgesehen, • mit dem Sinn der zu treffenden Hauptentscheidung untrennbar verbunden ist oder • dem Antrag der Partei entspricht.75 Dem VersG fehlt eine ausdrückliche Ermächtigung der Versammlungsbehörde, Auflagen vorzuschreiben. Als Konsequenz kann die Versammlungsbehörde keine Auflagen für das Abhalten der Versammlung vorschreiben. Die Behörde hat sich in ihrer Arbeit daher darauf zu beschränken, die Organisatoren von Versammlungen darüber zu informieren und auf eine etwaige Änderung der Versammlungsanzeige hinzuwirken. Die Initiative zu bestimmten gesundheitlichen Maßnahmen muss daher freiwillig vom Organisator der Versammlung ausgehen. Da die Behörde bei der zu erstellenden Prognose die spezifische Ausgestaltung der Versammlung unter Beachtung aller vom Organisator angekündigten Maßnahmen zum Gesundheitsschutz einerseits und die Höhe des Risikos einer Gesundheitsgefahr andererseits genau zu bewerten und 72 LVwG OÖ 750874/6/MZ/MaH. 73 Fister, AnwBl 2020/07-08, 406 (407); VfSlg 20.151 (Punkt 2.4.5. der Entscheidungsgründe). 74 Risikobewertung des Robert-Koch-Instituts zu Covid- 19 https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html (abgerufen am 11.01.2021) 75 Hengstschläger/Leeb, AVG § 59 Rz 36 (Stand 1.7.2005, rdb.at). 21 11. Jänner 2021
anschließend eine Abwägung vorzunehmen hat, wird dieses Thema weiter unten näher dargestellt.76 § 15 EpiG enthält ab seiner Neufassung77, wie oben dargestellt, eine ausdrückliche Ermächtigung für die Behörde zum Vorschreiben von Auflagen im Rahmen von Veranstaltungen. Da der Begriff der Veranstaltung jenen der Versammlung nicht umfasst, bildet auch § 15 EpiG keine geeignete Rechtsgrundlage um Auflagen bei Versammlungen vorzuschreiben.78 Die Frage der Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen hängt wesentlich davon ab, welches Ausmaß das Bedrohungsszenario von Covid-19 tatsächlich hat. Dem Gesetzgeber ist an dieser Stelle ein wesentlicher Spielraum gegeben.79 Wie bereits oben dargestellt; hat die Behörde etwaige in der Versammlungsanzeige angekündigte freiwillige Gesundheitsmaßnahmen des Organisators jedenfalls in ihre Entscheidungsfindung miteinzubeziehen. Sind die vorgestellten Maßnahmen geeignet, das Risiko für die Gesundheit der Teilnehmer und das öffentliche Gesundheitssystem zu mindern, besteht die Möglichkeit, dass seitens der Behörde im Wege der Abwägung des Grundrechtseingriffes eine Untersagung nicht mehr gerechtfertigt werden kann.80 Als geeignete freiwillig zu setzende Maßnahmen seitens der Organisatoren, die sie in ihrer Versammlungsanzeige bereits anführen, sind jedenfalls denkbar: • Der geäußerte Wille des Organisators, die Teilnehmer der Versammlung auf das Einhalten eines Mindestabstandes von einem Meter sowie das Tragen einer Mund-Nasen- Schutzmaske hinzuweisen und entsprechend den zum jeweiligen Zeitpunkt geltenden Verhaltensvorschriften beim Betreten öffentlicher Orte aufzurufen. Zur ausdrücklichen Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Schutzmaske während der Teilnahme an einer Versammlung kam es gemäß § 10 Abs 11 Z 3 Covid-19-LV mit der 5. Covid-19-LV-Novelle81, falls der festgeschriebene Mindestabstand von einem Meter zu haushaltsfremden Personen nicht eingehalten werden konnte. Diese Verpflichtung erscheint problematisch, da § 10 Covid-19-LV als Durchführungsverordnung zu § 15 EpiG zu sehen ist und der Verfassungsgesetzgeber zwischen den Begriffen der Veranstaltung und der Versammlung eine strikte Abgrenzung vorgenommen hat. Es kann daher nicht 76 Gstöttner/Lachmayr, NetV 2020/3, 124 (127 ff). 77 BGBl 43/2020. 78 Vgl zur Abgrenzung des Versammlungs- und Veranstaltungsbegriffes Gstöttner/Lachmayr, NetV 2020/3, 124 (126 ff). 79 Rohregger, ZWF 2020/3, 108 (111). 80 Gstöttner/Lachmayr, NetV 2020/3, 124 (127 ff). 81 BGBl II 266/2020. 22 11. Jänner 2021
davon ausgegangen werden, dass § 15 EpiG auch Regelungen für Versammlungen nach dem Versammlungsgesetz treffen kann.82 • Zu denken ist insbesondere auch an das Bereitstellen von Sanitäreinrichtungen sowie Desinfektionsmitteln. • Ist zu erwarten, dass sich bei der Versammlung größere Menschengruppen bilden, erscheint als geeignete Maßnahme, um das Risiko zu verringern, die Ausarbeitung eines Covid-19-Präventionskonzepts sowie die Bestellung eines Covid-19- Präventionsbeauftragten. Darin sollten konkrete Verhaltensweisen festgeschrieben sein, wie die Verantwortlichen, etwa im Falle einer Person mit Covid-19-Symptomen umgehen werden. In Folge wären die anwesenden Ordner jedenfalls vor Abhaltung der Versammlung ausreichend zu schulen. • Je nach zu erwartender Teilnehmerzahl sollten sich der Versammlungsorganisator bereiterklären geeignete Kommunikationsformen zu verwenden, um die anwesenden Personen über eben diese gesundheitlichen Maßnahmen zu informieren. Dazu zählen etwa die Verwendung von Lautsprechern, Plakaten, Hinweisschildern, Leinwänden oder die Ausgabe von Flugblättern. Dass mit dem Argument der Gesundheitsgefahr nicht automatisch jede Art des Eingriffes gerechtfertigt werden kann, ist bereits dem ausdrücklichen Wortlaut des Art 11 Abs 2 EMRK zu entnehmen, der Einschränkungen an der Zumutbarkeit für eine demokratischen Gesellschaft misst. Handelt es sich um eine bisher unbekannte Krankheit, so kann die Verwaltung zu Beginn einer Pandemie auf wenig wissenschaftliche Daten zurückgreifen. Daraus ergibt sich jedenfalls eine bestimmte Unsicherheit über die Nützlichkeit von gesundheitlichen Maßnahmen zur Krankheitsbekämpfung. Dieses fehlende Wissen ist jedenfalls dazu geeignet, das öffentliche Interesse am Unterbleiben der Versammlung zu erhöhen. Die Untersagung von Versammlungen nach § 6 Abs 1 VersG erscheint daher zu Beginn einer Pandemie als rechtfertigbar. Ab dem Zeitpunkt, an dem zuverlässige Informationen zu den Krankheitsverläufen, Sterblichkeitsrate, Höhe der Ansteckungsgefahr, Übertragungswege oder geeignete Schutzmöglichkeiten vorliegen, muss die Verhältnismäßigkeit jedenfalls erneut geprüft werden. Ebenso in die laufende 82 Vgl zur Abgrenzung des Versammlungs- und Veranstaltungsbegriffes Gstöttner/Lachmayr, NetV 2020/3, 124 (126 ff). 23 11. Jänner 2021
Überprüfung miteinzubeziehen ist die aktuelle epidemiologische Situation, welche zB Auskunft über die Anzahl an Neuinfektionen und Neugenesenen gibt. Handelt es sich bei Veranstaltern von Versammlungen um politische, wahlwerbende Parteien, ist aus demokratiepolitischer Sicht jedenfalls ein höheres Interesse gegeben als bei Versammlungen, denen ein derartiger Hintergrund fehlt. Die Versammlungsfreiheit dient der Machtkritik, ermöglicht den Diskurs über politisch brisante Themen und hat daher eine demokratiefördernde Aktion.83 Am 11. Oktober 2020 fanden in Wien die Gemeinderats- und Bezirksvertretungswahlen statt. Gemäß § 43 ff Wiener Gemeindewahlordnung haben jene wahlwerbenden Parteien, die nicht aufgrund des Ergebnisses der letzten Gemeinderatswahl im Wiener Gemeinderat vertreten sind, ihren Wahlvorschlägen Unterstützungserklärungen beizulegen. Um als Partei auf Landesebene sowie in allen Bezirksvertretungen antreten zu können, bedarf es insgesamt 2.95084 Unterstützungserklärungen, welche nach der Wahlordnung zwischen 14. Juli und 14. August 2020 zu sammeln waren. Für Kleinparteien, denen in der täglichen Presseberichterstattung idR wenig Präsenz zukommt, hat dies zur Folge, dass sie darauf angewiesen sind, während und auch schon vor den Eintragungswochen durch öffentliche Auftritte Aufmerksamkeit zu erlangen. Es erscheint daher jedenfalls als notwendig, bei politischen Parteien, insbesondere ab der Zeit des Vorwahlkampfes, Versammlungen zuzulassen. Es ist zu bedenken, dass Versammlungsverbote für Kleinparteien zur Folge haben können, dass diese mangels Aufmerksamkeit innerhalb der Bevölkerung es nicht schaffen, die notwendige Anzahl an Unterstützungserklärungen zu sammeln, und damit die Möglichkeit der Teilnahme am demokratischen Prozess der Wahl verlieren. Weiters ist anzunehmen, dass bei Versammlungen von Kleinparteien erfahrungsgemäß nur sehr wenige Teilnehmer anwesend sind, was das Risiko einer Infektion deutlich verringert. Das aufgrund des geringen Risikos deutlich geminderte öffentliche Interesse des Gesundheitsschutzes ist nun den fundamentalsten Grundrechten einer demokratischen Gesellschaft gegenüberzustellen. Die Verhältnismäßigkeit der Untersagung erscheint in solchen Fällen als nicht rechtfertigbar. Wie oben bereits angeführt, müssen im Rahmen jeder Untersagungsentscheidung der Behörde sämtliche Aspekte des konkreten Einzelfalls beurteilt werden. Die Anzahl der erwarteten Teilnehmer ist jedenfalls als ein wesentlicher Indikator zu sehen, um beurteilen zu können, welche Gefahr bei dieser Versammlung entsteht. In Bezug auf die oben angeführten möglichen Gesundheitsmaßnahmen ist es bei geringen Teilnehmerzahlen deutlich einfacher, diese, etwa den geforderten Mindestabstand von einem Meter, einzuhalten. Ebenso einfacher gestaltet sich 83 Kalteis in Holoubek/Lienbacher, GRC- Kommentar² Art 12 Rz 18 (Stand 1.4.2019, rdb.at) 84 100 Unterstützungserklärungen in jedem der 18 Landeswahlkreise sowie 50 Unterstützungserklärungen in allen 23 Gemeindebezirken gemäß § 44 Wiener Gemeindewahlordnung. 24 11. Jänner 2021
die Überwachungstätigkeit der erteilten Auflagen durch den Leiter der Versammlung, die Ordner oder die anwesenden Sicherheitsbehörden. Von wesentlicher Bedeutung ist auch die Örtlichkeit der angemeldeten Versammlung. Handelt es sich dabei um große Flächen, wie etwa Parks oder öffentliche Plätze, können Auflagen zur Einhaltung eines Mindestabstandes leichter eingehalten werden, als es in schmalen Seitenstraßen der Fall wäre. 25 11. Jänner 2021
VI. Covid-19-Vorschriften und ihre behördliche Umsetzung Unter Punkt III. A. kommt die Arbeit zum Ergebnis, dass der Befürchte Verstoß gegen Verwaltungsstrafrecht eine Untersagung gemäß § 6 Abs 1 VersG nicht rechtfertigt. Die Versammlungsbehörden beantworteten diese Frage mitunter anders und untersagten Versammlungen aufgrund befürchteter Verstöße gegen die Ausgangsbeschränkung des § 1 der Verordnung gemäß § 2 Z 1 des Covid-19-MG. Die Darstellung der zum jeweiligen Zeitpunkt geltenden Rechtslage ist daher für die rechtliche Beurteilung des Verwaltungshandelns relevant. Ebenso wurden ab in Kraft treten der Covid-19-LV für Versammlungen nach der Vorschrift des § 15 EpiG und dessen Ausführungsverordnung Auflagen erteilt, obwohl der Begriff der Veranstaltung des § 15 EpiG, wie in dieser Arbeit vertreten, Versammlungen nicht umfasst.85 Die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Schutzmaske wenn der Mindestabstand zu haushaltsfremden Personen nicht eingehalten werden konnte gemäß § 15 Abs 11 Z 3 Covid-19- LV86 erscheint daher ebenso problematisch. A. Rechtslage von 16. März bis 30. April 2020 („Lockdown I“) Mit 16. März 2020 ist die auf Grundlage von § 2 Z 1 Covid-19-MG87 erlassene Verordnung88 des BMSGPK in Kraft getreten. Gemäß § 1 dieser Verordnung war das Betreten öffentlicher Orte grundsätzlich verboten. Ausnahmen bestanden gemäß § 2 zu Beginn89 nur in folgenden Fällen: • (Z 1) Abwendung unmittelbarer Gefahr für Leib, Leben und Eigentum, • (Z 2) Betreuung und Hilfeleistung von unterstützungsbedürftigen Personen, • (Z 3) soweit zu Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens erforderlich und sichergestellt ist, dass am Ort der Deckung des Bedarfs zwischen den Personen ein Abstand von mindestens einem Meter eingehalten werden kann, • (Z 4) für berufliche Zwecke, wenn sichergestellt ist, dass am Ort der beruflichen Tätigkeit zwischen den Personen ein Abstand von mindestens einem Meter eingehalten werden kann und • (Z 5) wenn öffentliche Orte im Freien alleine, mit Personen, die im gemeinsamen Haushalt leben, oder mit Haustieren betreten werden sollen, gegenüber anderen Personen ist dabei ein Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten. 85 Gstöttner/Lachmayr, NetV 2020/3, 124 (126 ff). 86 BGBl II 266/2020. 87 StF BGBl I 12/2020. 88 BGBl II 98/2020. 89 BGBl II 98/2020. 26 11. Jänner 2021
Weder im Covid-19-MG selbst noch in der Verordnung des BMSGPK gemäß § 2 Z 1 Covid-19-MG war zu diesem Zeitpunkt definiert, was genau unter dem Begriff „öffentlicher Ort“ zu verstehen sei.90 Eine Legaldefinition für diesen Begriff findet sich in § 27 Abs 2 SPG. Öffentliche Orte sind demnach solche, die von einem nicht von vornherein bestimmten Personenkreis betreten werden können. Eine weitere befindet sich in § 1 Z 11 TNRSG, welche darunter jeden Ort versteht, der von einem nicht von vornherein beschränkten Personenkreis ständig oder zu bestimmten Zeiten betreten werden. Es ist anzunehmen, dass sich der Verordnungsgeber an diesen Begriffserklärungen orientiert hat, wodurch die Definition als übertragbar erscheint. Die Lehre trennt den Begriff der „öffentlichen Orte“ strikt von örtlichen Eigentums- und Besitzverhältnissen, knüpft ihn allerdings streng an das Qualifikationsmerkmal der „allgemeinen Zugänglichkeit“, welche nach der Judikatur des VwGH auch dann zu bejahen ist, wenn eine bestimmte nach allgemeinen Merkmalen umschriebene Personengruppe von der Nutzung ausgeschlossen wird.91 Der VwGH hat ein Wettbüro als allgemein zugänglich und folglich als öffentlichen Ort qualifiziert, obwohl in diesen Geschäftslokalen der Zutritt von Personen unter 18 Jahren vollständig untersagt ist. 92 Betrachtet man das Betretungsverbot des § 1 nun gemeinsam mit den Ausnahmetatbeständen des § 2, so kann von einem tatsächlichen Betretungsverbot öffentlicher Orte nicht gesprochen werden, da nach Z 5 das Betreten öffentlicher Orte immer erlaubt war, solange dabei die Auflage des Mindestabstands zu haushaltsfremden Personen eingehalten wurde. Die Verwendung dieses Begriffes „Lockdown“ für die Zeit von 16. März bis 30. April 2020 ist daher insoweit unzweckmäßig, als es eine Ausgangssperre, wie soeben dargestellt, im genannten Zeitraum nicht gegeben hat. Die Ausnahmetatbestände wurden durch Verordnungsnovellen geringfügig erweitert, enthielten allerdings keine wesentlichen Neuerungen, da der in Bezug auf Versammlungen und auch sonst wichtigste Ausnahmetatbestand der Z 5 durchgehend bis zum Außerkrafttreten der Verordnung unverändert blieb: 90 Zu einer Legaldefinition dieses Begriffes im Covid-19-MG kommt es erst mit der am 25. September 2020 kundgemachten Novelle; BGBl I 104/2020. 91 Eller/Wachter, Die Rechtsprechung zum allgemeinen Betretungsverbot öffentlicher Orte, CuRe 2020/84; VwSlg 18.363 A/2012. 92 VwSlg 18.363 A/2012. 27 11. Jänner 2021
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