Sondernutzung öffentlicher Straßen - Prof. Dr. Friedrich Schoch - Juraexamen.info
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DOI 10.1515/jura-2013-0115 Juristische Ausbildung 2013(9): 911–924 Repetitorium ÖR Prof. Dr. Friedrich Schoch Sondernutzung öffentlicher Straßen Friedrich Schoch: Der Autor ist Direktor des Instituts für Öffentliches der einschlägigen Gebührensatzung zu Sondernutzungsgebüh- Recht – Abt. 4 (Verwaltungsrecht) an der Rechtswissenschaftlichen ren heranzuziehen2. Fakultät der Universität Freiburg und Mitherausgeber der Zeitschrift. Fall 3: Bankkauffrau B fertigt in ihrer Freizeit in der Fußgänger- zone der Stadt S Scherenschnitte (Silhouetten) an und verkauft Das Recht der öffentlichen Sachen ist Teil des Allgemeinen diese an Passanten; für diese Tätigkeit stellt B eine Staffelei und Verwaltungsrechts. Ein zentrales Thema ist die Benutzung einen Klappstuhl auf. Bedienstete von S kündigen gegenüber B den Erlass eines Bußgeldbescheides an, falls B sich weiterhin öffentlicher Straßen. Herausragende Bedeutung hat – in weigere, eine Sondernutzungserlaubnis einzuholen. B meint, da Abgrenzung zum Gemeingebrauch – die Sondernutzung. An sie (Straßen-)Kunst ausübe, benötige sie kraft Verfassungsrechts dieser Rechtsfigur lassen sich vor allem Probleme zum be- keine Erlaubnis3. hördlichen Handeln durch Verwaltungsakt, zum Ermessen und zur Einwirkung des Verfassungsrechts auf das Verwal- tungsrecht aufzeigen. Ausgehend von der Rechtsprechung 1. Abgrenzung zwischen Sondernutzung werden nachfolgend ausbildungs- und prüfungsrelevante und Gemeingebrauch Rechtsfragen behandelt. Die Benutzung der öffentlichen Straßen (Wege, Plätze) erfolgt durch »Gemeingebrauch«4 oder im Wege der »Son- dernutzung«. Nach positivem Recht ist Sondernutzung I. Die »Sondernutzung« als die Benutzung einer Straße über den Gemeingebrauch verwaltungsrechtliches Institut hinaus, und sie bedarf der Erlaubnis5. Gemeingebrauch ist die – erlaubnisfreie – Benutzung der Straßen im Rah- Fall 1: K betreibt in der Stadt S »BierBikes«; dies sind vierrädrige men der Widmung und der (Straßen-)Verkehrsvorschrif- Fahrzeuge, die für bis zu 16 Personen Platz bieten, wobei sechs ten; kein Gemeingebrauch liegt vor, wenn eine Straße quer zur Fahrtrichtung sitzende Personen Pedale tretend das nicht vorwiegend zum Zwecke des Verkehrs benutzt wird6. »BierBike« antreiben, während ein Mitarbeiter des K das Gefährt lenkt und bremst. Das »BierBike« ist mit einem Bierfass, einer Diese Begriffsbestimmung gilt auch für dasjenige Landes- Zapfanlage und einer Musikanlage ausgestattet. Die Fahrt- recht, das zur Definition des Gemeingebrauchs nicht aus- geschwindigkeit beträgt 6 km/h. Bedienstete der Stadt bereiten drücklich auf den Verkehrszweck verweist; denn nach der eine Untersagungsverfügung vor und fragen K nach der Sonder- nutzungserlaubnis für die »rollende Partytheke«; K entgegnet, er brauche keine Erlaubnis, weil er mit seinem »Fahrrad« Stadt- 2 Fall nach OVG NW NJW 2005, 3162 = DÖV 2006, 125 = NWVBl 2006, rundfahrten veranstalte, also ganz normal am Straßenverkehr 58 → Schoch JK 3/06, StrWG NRW § 14/2. teilnehme1. 3 Fall nach BVerwGE 84, 71 = NJW 1990 (m. Anm. Würkner) = JZ 1990, 336 (m. Anm. Hufen) = DVBl 1990, 163 = DÖV 1990, 252; dazu Fall 2: Geschäftsführer A einer Getränkehandelsgesellschaft hat Bespr. Goerlich JURA 1990, 415; ferner Heinz NVwZ 1991, 139. sein Kfz so umbauen lassen, dass dieses hinten einen geschlos- 4 Dazu Mager/Sokol JURA 2012, 913 ff. senen Aufbau hat, der über die Fahrgastzelle und die Ladefläche 5 § 16 I 1 StrG BW; Art. 18 I 1 BayStrWG; § 11 I BerlStrG; § 18 I 1 u. 2 gezogen ist. An der Front, am Heck und an den Seiten des Kfz BbgStrG; § 18 I 1 BremLStrG; § 19 I 1 u. 2 HbgWG; § 16 I 1 HessStrG; § 22 sind Aufschriften für Werbezwecke angebracht. A hat das Kfz I 1 StrWG MV; § 18 I 1 NdsStrG; § 18 I StrWG NW; § 41 I 1 LStrG RP; § 18 mehrfach für etliche Wochen schräg zur Fahrbahn auf dem Park- I 1 StrG SL; § 18 I 1 u. 2 SächsStrG; § 18 I StrG LSA; § 21 I 1 StrWG SH; streifen der X-Straße in der Stadt S abgestellt, so dass die Wer- § 18 I 1 u. 2 ThürStrG. – Für die Bundesfernstraßen (Bundesautobah- bung von Verkehrsteilnehmern gut wahrgenommen werden nen, Bundesstraßen; § 1 I 1 u. II FStrG – Sartorius I 932) § 8 I 1 u. 2 konnte. In der zuständigen Behörde von S wird überlegt, A nach FStrG. 6 § 13 I StrG BW; Art. 14 I BayStrWG; § 10 II 1 u. 3 BerlStrG; § 14 I 1 BbgStrG; § 15 I BremLStrG; § 16 I HbgWG; § 14 S. 1 HessStrG; § 21 I 1 Fall nach BVerwG DVBl 2012, 1434 (m. Anm. Lund) = NVwZ 2012, StrWG MV; § 14 I NdsStrG; § 14 I 1 u. III 1 StrWG NW; § 34 I 1 u. III LStrG 1623 = BayVBl 2013, 217 = NWVBl 2013, 20 → Schoch JK 6/13, StrWG RP; § 14 I StrG SL; § 14 I 1 SächsStrG; § 14 I 1 StrG LSA; § 20 I StrWG NW § 22/4. SH; § 14 I ThürStrG; § 7 I 1 u. 3 FStrG. Angemeldet | mail@juraexamen.info Heruntergeladen am | 14.09.14 18:49
912 Repetitorium ÖR – Friedrich Schoch: Sondernutzung öffentlicher Straßen Grundregel des (Landes-)Straßenrechts dienen öffentliche rechtliche Zuordnung einer Tätigkeit bzw. eines Verhal- Straßen (Wege, Plätze) dem öffentlichen Verkehr, so dass tens vorgegeben werden«12. der Verkehrsbezug des Gemeingebrauchs durch die Wid- Im Ergebnis sollen der erlaubnispflichtigen Sonder- mung der Straße hergestellt wird7. nutzung diejenigen Fallgestaltungen zugeordnet werden, Nach der Gesetzeslage ist eine »Sondernutzung« dem- die den widmungsgemäßen Verkehr beeinträchtigen. Die nach immer dann gegeben, wenn die Benutzung einer Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs als rechtliche Straße nicht als »Gemeingebrauch« zu qualifizieren ist. Grenzziehung ist im Gesetzesrecht vorgezeichnet13: Die Essentiell für den Gemeingebrauch ist der Verkehrsbezug. den Gemeingebrauch übersteigende Benutzung von Stra- Der Begriff Verkehr umfasst zunächst die verkehrstech- ßen richtet sich nach Bürgerlichem Recht, wenn die Benut- nische Funktion der Straße und bezieht sich daher auf die zung den Gemeingebrauch nicht beeinträchtigt14. Daraus Benutzung der Straße zur Fortbewegung (Ortsverände- ergibt sich im Gegenschluss, dass für eine öffentlich-recht- rung) unter Einschluss des »ruhenden Verkehrs«; eine lich zu beurteilende Sondernutzung der Gemeingebrauch verkehrsbezogene Nutzung öffentlicher Flächen – jeden- tangiert sein muss. Eine tatsächliche Gefährdung der Aus- falls im innerörtlichen Bereich und hier insbesondere in übung des Gemeingebrauchs Dritter ist allerdings nicht Fußgängerzonen sowie in verkehrsberuhigten Bereichen – gefordert; entscheidend ist, ob die Gemeingebrauchsnut- wird seit geraumer Zeit zudem im »kommunikativen Ver- zung abstrakt beeinträchtigt wird15. kehr« gesehen8. Dies ist eine Nutzung, »die den öffent- lichen Straßenraum auch als Stätte der kommunikativen Begegnung, der Pflege menschlicher Kontakte und des 2. Typologie straßenrechtlicher Informations- und Meinungsaustauschs begreift«9. Sondernutzungen Die Abgrenzung des (erlaubnisfreien) Gemeinge- brauchs von der (erlaubnispflichtigen) Sondernutzung er- Die Erscheinungsformen der »Sondernutzung« sind zahl- folgt nach dem Zweck der Straßenbenutzung, bei meh- reich und kaum zu erfassen16. Hilfreich für die Gewinnung reren Zwecken nach dem überwiegenden Zweck. Danach von Orientierungswissen sind die Bündelung vergleich- soll es auf das objektive Verkehrsverhalten und nicht auf barer Phänomene und die Bildung von Fallgruppen. Der die (innere) Motivation der Straßenbenutzung ankom- folgende Überblick orientiert sich an besonders häufig vor- men10. Allerdings könne ein äußerlich am Verkehr teilneh- kommenden Sondernutzungen und an strittigen Zuord- mendes Fortbewegungsmittel aus der Sicht eines objekti- nungen seitens der Rechtsprechung. Die Typologie weist ven Beobachters durchaus eine verkehrsfremde Funktion auch Überschneidungen aus. erfüllen11. Eine etwas andere Akzentuierung betont die »Maßgeblichkeit des äußeren Erscheinungsbildes« aus Gründen der Rechtssicherheit; es müssten »klare, ermittel- a) Fahrten mit besonderer Zwecksetzung bare und überprüfbare Anknüpfungspunkte für die wege- Öffentliche Straßen sind nach ihrer Zweckbestimmung dem Verkehr gewidmet. Die Widmung bezieht sich sowohl auf den Fußgängerverkehr als auch auf den Fahrzeug- verkehr. Wer mit einem Fahrzeug am Straßenverkehr teil- 7 VGH BW NVwZ 1998, 91; NVwZ-RR 2002, 740 (742); NVwZ-RR 2003, 238 (240) = VBlBW 2002, 297 (299) → Schoch JK 11/02, StrG BW § 16/2. 8 VGH BW NVwZ-RR 2002, 740 (742); NdsOVG NVwZ-RR 1996, 247 (248); vgl. ferner m. w. N. v. Danwitz in: Schoch (Hrsg.), Besonderes 12 OVG Hamburg DVBl 2012, 504 (506); ähnlich bereits OVG Ham- Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2013, 7. Kap. Rdn. 65; ausf. Sauthoff Öf- burg NJW 1996, 2051 (2052). fentliche Straßen, 2. Aufl. 2010, Rdn. 301 ff. 13 § 21 I StrG BW; Art. 22 I BayStrWG; § 23 I BbgStrG; § 19 BremLStrG; 9 So BVerwGE 84, 71 (73). § 20 I HessStrG; § 30 I Nr. 1 StrWG MV; § 23 I NdsStrG; § 23 I StrWG 10 VGH BW NVwZ-RR 2002, 740 (743); NVwZ-RR 2003, 238 (241) = NW; § 45 I LStrG RP; § 22 S. 1 StrG SL; § 23 I SächsStrG; § 23 I StrG LSA; VBlBW 2002, 297 (301) → Schoch JK 11/02, StrG BW § 16/2; OVG Bln- § 28 I 1 Nr. 1 StrWG SH; § 23 I ThürStrG; § 8 X FStrG. Bbg BeckRS 2012, 48179 → Schoch JK 12/12, BlnStrG § 10/1; NdsOVG 14 Beispiele sind unterirdische Ver- und Entsorgungsrohre sowie NVwZ-RR 1996, 247 (248); OVG NW NJW 2005, 3162 = DÖV 2006, 125 Kabelleitungen, ferner Hinweisschilder (Verkehrszeichen); vgl. Stahl- (126) = NWVBl 2006, 58 (59) → Schoch JK 3/06, StrWG NRW § 14/2; hut, in: Kodal, Straßenrecht, 7. Aufl. 2010, Kap. 28 Rdn. 3 und OLG Düsseldorf NVwZ 1991, 206 (207) = JZ 1991, 49 = GewArch 1991, Rdn. 12 ff. 158 (159). 15 v. Danwitz in: BesVwR (Fn. 8) Rdn. 62; Sauthoff Öff. Straßen 11 OVG Bln-Bbg, Fn. 10; OVG NW GewArch 2012, 93 = NWVBl 2012, (Fn. 8) Rdn. 358. 195 (196) → Schoch JK 5/12, StrWG NW § 22/2; OVG NW NVwZ-RR 16 Ein »ABC der Sondernutzungen« präsentiert Stuchlik GewArch 2012, 422 (423). 2004, 143 (148 ff.). Angemeldet | mail@juraexamen.info Heruntergeladen am | 14.09.14 18:49
Repetitorium ÖR – Friedrich Schoch: Sondernutzung öffentlicher Straßen 913 nimmt, bewegt sich folglich im Rahmen der Widmung und b) Werbung im öffentlichen Verkehrsraum übt Gemeingebrauch aus. Auf die Motive der Fortbewe- gung im öffentlichen Verkehrsraum kommt es, wie er- Die Straßenwerbung für wirtschaftliche Zwecke ist weit wähnt, nicht an. Folgerichtig hat das BVerwG (unter Hin- verbreitet und tritt in ganz unterschiedlichen Erschei- weis auf § 7 I FStrG) erklärt, aus welchen Motiven heraus nungsformen auf22. Ein prominentes Beispiel stellen Pla- eine Ortsveränderung zum Personen- oder Gütertransport katträger im öffentlichen Verkehrsraum dar; dazu ist erfolge, sei gleichgültig; auch derjenige, »der spazieren- nicht zweifelhaft, dass es sich um Sondernutzung handelt, fährt oder abends planlos einen Wagen durch die Straßen da verkehrsfremde Zwecke verfolgt werden23. Beim Abstel- steuert, strebt diese Ortsveränderung zum Zwecke des Per- len eines Kfz zu Werbezwecken (z. B. mittels Reklame- sonentransports an«17. tafel) wird differenziert: Ist das auf einer öffentlichen Ver- Dennoch ist entschieden worden, das Anbieten von kehrsfläche geparkte Kfz zugelassen und betriebsbereit, Kutschfahrten auf einem Parkstreifen einer öffentlichen wird grundsätzlich eine Benutzung der Straße im Rahmen Straße stelle eine straßenrechtliche Sondernutzung dar, des Gemeingebrauchs angenommen24. Etwas anderes soll weil ein über die bloße Verkehrsteilnahme (Teilnahme am gelten, wenn ein Fahrzeug allein oder überwiegend zu ruhenden Verkehr) hinausgehender Zweck (Anbieten einer einem anderen Zweck als der späteren Wiederinbetrieb- Leistung in Form von Kutschfahrten) verfolgt werde; es sei nahme geparkt werde; trotz einer scheinbar äußerlichen unerheblich, dass die angebotene Leistung ihrerseits in Teilnahme am Straßenverkehr werde der Verkehrsraum zu der Teilnahme an Verkehrsvorgängen bestehe18. Hier wird verkehrsfremden Zwecken (Werbung) in Anspruch genom- der gewerbliche Zweck in den Vordergrund gerückt, der men, so dass eine Sondernutzung vorliege25. Zu dem be- als verkehrsfremder Zweck den Gemeingebrauch aus- reits erwähnten Problem der Werbefahrten gilt, dass die schließt19. Auf dieser Linie liegt auch eine Judikatur, die regulär am Straßenverkehr teilnehmenden Firmenfahrzeu- reine Werbefahrten mit einem Kleinlastfahrzeug (Werbe- ge mit Werbeaufschriften Gemeingebrauch ausüben, weil tafeln auf der Ladefläche) als Sondernutzung qualifiziert, die Werbung nur einen Nebenzweck darstellt; dient die weil ausschließlich verkehrsfremde Zwecke verfolgt wür- Teilnahme am Straßenverkehr jedoch allein bzw. überwie- den20. gend der Werbung (»rollende Straßenwerbung«), wird ei- ne Sondernutzung angenommen26. In der Entscheidung zu Fall 1 hat das BVerwG die umstrittene Entscheidung der Vorinstanz21 bestätigt und den Betrieb des In der Entscheidung zu Fall 2 hat das OVG festgestellt, dass das »BierBike« als erlaubnispflichtige Sondernutzung eingestuft. Ei- Kfz des A zu Werbezwecken geparkt worden sei. Die spezielle ne Gesamtschau der äußerlich erkennbaren Merkmale aus der Konstruktion und die auffälligen Werbeaufschriften erweckten Perspektive eines objektiven Betrachters ergebe, dass das »Bier- den Eindruck einer »fahrenden Litfaßsäule«; die schräge Auf- Bike« vorwiegend nicht zur Teilnahme am Verkehr, sondern zu stellung des Kfz spreche ebenfalls für einen Werbezweck. Die anderen Zwecken benutzt werde (»rollende Theke«, verkehrs- Sondernutzung ergebe sich daher anhand objektiver Gegeben- fremde Sache). heiten und nicht etwa auf Grund der inneren Motivation des Sondernutzers. Die Rechtsprechung wäre überzeugend(er), wenn sie sa- gen könnte, worin die abstrakte Beeinträchtigung des Ge- Für politische Werbung gilt bei der Abgrenzung zwischen meingebrauchs liegt. Gemeingebrauch und Sondernutzung nichts anderes als 17 BVerwG MDR 1971, 608 (609). 18 NdsOVG NVwZ-RR 1998, 205 (206) = NdsVBl 1997, 280 (281); abl. 22 Überblick dazu bei Stahlhut in: Kodal (Fn. 14) Kap. 25 Rdn. 104 ff. dazu OVG Hamburg NVwZ-RR 2010, 34 (36), das in seiner Entschei- 23 BVerwG NVwZ 1996, 1210; OLG Hamm NVwZ 1991, 205. dung das Abstellen von Mietfahrrädern auf öffentlichen Wegeflächen 24 OVG NW NVwZ 2002, 218 = NWVBl 2001, 358 → Schoch JK 6/02, (zulässiges Parken i. S. d. StVO) als Gemeingebrauch qualifiziert. StrWG NW § 14/1. – Gegenspiel: OVG NW NVwZ-RR 2004, 885 = DÖV 19 Sauthoff Öff. Straßen (Fn. 8) Rdn. 296. 2004, 800 = GewArch 2004, 350: Abstellen eines nicht zum Verkehr 20 OVG Bln-Bbg BeckRS 2012, 48179 → Schoch JK 12/12, BlnStrG zugelassenen Kfz auf einer öffentlichen Verkehrsfläche als Sonder- § 10/1. nutzung. 21 OVG NW GewArch 2012, 93 = NWVBl 2012, 195 → Schoch JK 5/12, 25 OVG NW NJW 2005, 3162 = DÖV 2006, 125 (126) = NWVBl 2006, 58 StrWG NW § 22/2; krit. Kümper/Milstein GewArch 2012, 180 ff. – Zu der (59) → Schoch JK 3/06, StrWG NRW § 14/2; OLG Düsseldorf NVwZ Thematik ferner Lund DVBl 2011, 339 ff.; ferner Fallbearbeitungen 1991, 206 (207) = JZ 1991, 49 = GewArch 1991, 158 (159); Smith NVwZ Kobitzsch VBlBW 2012, 198 f. und 235 ff., sowie Schulz/Tallich NWVBl 2012, 1001 (1002). 2012, 199 ff. 26 Stahlhut in: Kodal (Fn. 14) Kap. 25 Rdn. 110 f. Angemeldet | mail@juraexamen.info Heruntergeladen am | 14.09.14 18:49
914 Repetitorium ÖR – Friedrich Schoch: Sondernutzung öffentlicher Straßen bei der Wirtschaftswerbung27. Erfolgt die politische Wer- In der Entscheidung zu Fall 3 hat das BVerwG erkannt, dass die bung durch Plakatständer auf öffentlichen Verkehrsflä- Betätigung der B, auch wenn sie als Straßenkunst durch Art. 5 III chen, liegt ohnehin eine Sondernutzung vor28. 1 GG geschützt sein mag, als Sondernutzung zu qualifizieren ist35. Das Verhalten der B kann auch nicht als »kommunikativer Ver- kehr« anerkannt werden. Wer den öffentlichen Verkehrsraum mit Hilfsvorrichtungen und sonstigen Utensilien in Anspruch c) Aufstellen von Hilfsvorrichtungen und Behältnissen nimmt, bewegt sich nicht mehr im Rahmen des Gemein- gebrauchs36. – Keine Aussage ist damit zu der Frage getroffen, ob Generell kann gesagt werden, dass das Aufstellen von der Künstler einen Anspruch auf die Sondernutzungserlaubnis hat. Hilfsvorrichtungen (z. B. Tische, Stühle, Bänke, Sonnen- schirme, Zelte)29 und Behältnissen (z. B. Alttextilcontai- ner, sonstige Wertstoffcontainer)30 im öffentlichen Ver- kehrsraum eine Sondernutzung der Straße ist. Jedes d) Ansprechen von Passanten mit besonderer Verbringen von Gegenständen auf die öffentliche Straße Zielsetzung überschreitet den Gemeingebrauch und stellt eine erlaub- nispflichtige Sondernutzung dar. Das gilt insbesondere für Das in werbender Absicht (für eine Weltanschauung, für Verkaufsstände31 und Informationsstände32. Politische eine politische Haltung, für ein Produkt etc.) erfolgende Parteien genießen insoweit kein Privileg33. Auch die Kunst Ansprechen und ggf. Anhalten von Passanten auf öffent- kann für sich bei der Abgrenzung zwischen Gemein- lichen Straßen (insbesondere in Fußgängerzonen) wirft gebrauch und Sondernutzung keine Sonderbehandlung oftmals schwierige Abgrenzungsfragen auf. Das unauf- beanspruchen; frühzeitig ist geklärt worden, dass die – in dringliche und unentgeltliche Verteilen von Handzetteln Ausübung der Kunstfreiheit (Art. 5 III 1 GG) erfolgende – (Faltblätter, Broschüren, Werbezettel etc.) und Zeit- Aufstellung von Kunstgegenständen im Fußgängerbereich schriften – ohne Hilfsmittel – wird weithin als gemein- einer Stadt straßenrechtlich als Sondernutzung zu qualifi- gebräuchlicher kommunikativer Verkehr anerkannt37. Da- zieren ist34. gegen sei das Verteilen politischer Schriften durch die Fahrbahn betretende Fußgänger an Kraftfahrer, die vor einer »Rot« zeigenden Lichtzeichenanlage halten, Sonder- nutzung; diese Zuordnung geböten die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs38. 27 Vgl. demgegenüber zur Einwirkung des Art. 21 I GG auf das Er- Im Falle einer gezielten Ansprache zwecks Wer- messen bei der Sondernutzungserlaubnis unten Text zu Fn. 114 ff. bung (auch unter Einsatz von Handzetteln, Broschüren 28 NdsOVG NVwZ-RR 1993, 393; bestätigt durch BVerwG NVwZ-RR etc.) soll der Gemeingebrauch überschritten sein; die Stra- 1995, 129. ße werde nicht mehr vorwiegend zum Verkehr genutzt, 29 VGH BW NVwZ-RR 1997, 677 (Imbissstand); VGH BW NVwZ-RR 1997, 679 = VBlBW 1997, 107 (Tische, Stühle, Sonnenschirme); VGH auch nicht zum kommunikativen Verkehr, da diese Form BW NVwZ-RR 2000, 837 = VBlBW 2000, 282 → Schoch JK 01, StrG BW des Gemeingebrauchs das gezielte Ansprechen von be- § 16/1 und NVwZ-RR 2010, 164 = VBlBW 2010, 113 (Ständer für An- stimmten Passanten in werbender Absicht im öffentlichen sichtskarten); BayVGH NVwZ-RR 2003, 244 (Aufstellung von Zelten); Verkehrsraum nicht mehr erfasse39. Auch das Verteilen BayVGH BayVBl 2012, 147 (Sitzbänke); HessVGH NVwZ 1994, 189 von Gratis-(Tages-)Zeitungen im Straßenraum sei als ge- (Klapptisch); NdsOVG NVwZ-RR 1996, 244 (Tisch). 30 BayVGH NVwZ-RR 2000, 390 (Wertstoffcontainer für Ver- packungsmaterial); OVG Bremen NVwZ-RR 1997, 385 (Altkleidersam- melbehälter); NdsOVG NVwZ-RR 1998, 728 (Wertstoffsammelbehälter 35 Anders noch VGH BW NJW 1989, 1299 = DÖV 1989, 128 (m. Anm. für Altglas, Altpapier, Metalle, Alttextilien); NdsOVG DVBl 2013, 454 Goerlich) = VBlBW 1989, 58: Art. 5 III 1 GG gebiete eine verfassungs- (Container für Altkleider); OVG NW NVwZ-RR 1997, 384 = NWVBl konforme Auslegung der Begriffe »Verkehr« und »Gemeingebrauch«. 1997, 269 und NVwZ-RR 2000, 429 = NWVBl 2000, 216 → Ehlers JK 11/ 36 VGH BW GewArch 1992, 452 (mit der – im Fall verneinten – Ein- 00, StrWG NRW § 22/1 (Behälter für Alttextilien); VG Braunschweig schränkung, die Verkehrsanschauung könne zur Qualifizierung von KommJur 2009, 299 (Altkleider- und Schuhcontainer). Straßenkunst als Gemeingebrauch führen). 31 Überblick dazu bei Sauthoff Öff. Straßen (Fn. 8) Rdn. 296, sowie 37 BayVGH NVwZ-RR 1997, 258 = BayVBl 1996, 665; NVwZ-RR 2010, Stahlhut in Kodal (Fn. 14) Kap. 25 Rdn. 97. 830 (831) = BayVBl 2011, 176 → Schoch JK 5/11, BayStrWG Art. 18/5; 32 Instruktiv OVG NW NWVBl 2007, 64 → Schoch JK 7/07, StrWG NdsOVG NVwZ-RR 1996, 247 (248); OLG Stuttgart NJW 1976, 201 (203); NRW § 18/1. Stahlhut in: Kodal (Fn. 14) Kap. 25 Rdn. 113 und Rn. 115.2. – Ausdrück- 33 BVerwG DÖV 1981, 226; VGH BW VBlBW 1987, 310; OVG SL LKRZ lich: § 18 II 1 BremLStrG. 2009, 313; OVG SH NVwZ 1992, 70. 38 BayObLG DÖV 2002, 829. 34 BVerwG DÖV 1981, 342. – Zur Veranstaltung von Straßenmusik 39 BVerwGE 35, 326 (329); OVG Hamburg DÖV 1992, 37; NdsOVG als Sondernutzung BVerwG NJW 1987, 1836. NVwZ-RR 1996, 247 (248); NVwZ-RR 2004, 884 → Ehlers JK 7/05, GG Angemeldet | mail@juraexamen.info Heruntergeladen am | 14.09.14 18:49
Repetitorium ÖR – Friedrich Schoch: Sondernutzung öffentlicher Straßen 915 werbliche Betätigung Sondernutzung, falls durch die Ver- 3. Folgen der Qualifizierung einer gütungen von Anzeigekunden Gewinn erzielt werden sol- Straßennutzung als Sondernutzung le40. Das BVerfG41 hat indes – allerdings in einer singulär gebliebenen Entscheidung – erkannt, das Verteilen von Die Qualifizierung der Benutzung einer Straße als »Son- Flugblättern, Broschüren etc. in Fußgängerzonen, ver- dernutzung« ist folgenreich. Diese Kategorisierung löst zu- kehrsberuhigten Zonen und auf innerörtlichen Gehwegen nächst eine Erlaubnispflicht aus; auf die Erteilung der sei als Gemeingebrauch zu qualifizieren, weil der Schutz Sondernutzungserlaubnis besteht gesetzlich kein An- der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs nicht generell spruch, die zuständige Behörde entscheidet vielmehr nach einen Erlaubnisvorbehalt42 rechtfertige; diese Begründung pflichtgemäßem Ermessen (s. u. II. 2.). Ferner kann die ist zwar unzutreffend43, hören lässt sich jedoch die zusätz- Sondernutzung – im Unterschied zum grundsätzlich kos- liche Erwägung, dass bei einer kaum merklichen Beein- tenfreien Gemeingebrauch52 – eine Gebühr nach sich zie- trächtigung des Gemeingebrauchs44 im Einzelfall eine Son- hen (dazu IV.). Die unerlaubte Sondernutzung kann zu dernutzung zu verneinen sein kann45. verschiedenen Konsequenzen führen; einerseits wird der Zielt das Ansprechen von Passanten nach den er- Verwaltung die Befugnis eingeräumt, die illegale Sonder- kennbaren Umständen auf ein Verkaufsgeschäft, liegt nutzung hoheitlich und notfalls zwangsweise zu been- stets eine Sondernutzung vor46. Das gilt für Druckerzeug- den, andererseits ist eine Ordnungswidrigkeit festzustel- nisse jeglicher Art47. Das BVerfG hat die Qualifizierung des len, die mit einer Geldbuße geahndet werden kann (V.). Straßenverkaufs von Sonntagszeitungen durch ambulante Straßenverkäufer als Sondernutzung akzeptiert48. Erfolgt der Zeitungsverkauf mit Hilfe eines Zeitungsentnahme- a) Erlaubnisvorbehalt gerätes, liegt schon auf Grund der Aufstellung des Zei- tungsautomaten im öffentlichen Verkehrsraum Sonder- Im Zentrum der rechtlichen Probleme steht der straßenge- nutzung vor49. Auch das Ansprechen und Fotografieren setzliche Erlaubnisvorbehalt53. Soweit die Benutzung der von Besuchern eines öffentlichen Platzes durch einen Ani- Straße Ausdruck einer grundrechtlich (an sich) geschütz- mateur in der Absicht, die Fotos an die Besucher zu ver- ten Freiheitsbetätigung ist54, erschwert das Erfordernis, kaufen, ist als Sondernutzung eingestuft worden50. Dassel- zuvor eine behördliche Erlaubnis einzuholen, die Grund- be gilt für den gewerblichen Verkauf von Nikolausmützen rechtsausübung; rechtsdogmatisch liegt in dieser Beein- aus einem Bauchladen in einem Fußgängerbereich einer trächtigung ein Grundrechtseingriff55. Dieser Eingriff ist Innenstadt51. allerdings verfassungsrechtlich gerechtfertigt, weil er das Übermaßverbot wahrt und das behördliche Kontrollver- fahren (s. u. II. 1.) auch dem Schutz der Grundrechte Dritter dient: Die Notwendigkeit, eine Erlaubnis für die Art. 4 I/32; BayObLG NVwZ 1998, 104; abl. zu dieser Rspr. Stahlhut in: Kodal (Fn. 14) Kap. 25 Rdn. 113. 52 Vgl. dazu Mager/Sokol JURA 2012, 913 (918), mit Hinweisen zu 40 BayVGH NVwZ-RR 2000, 726 = BayVBl 2000, 408 → Schoch JK 9/ Ausnahmen (Maut, Autobahnbenutzungsgebühr, Parkgebühr). 00, BayStrWG Art. 18/2. 53 Vgl. dazu Nachw. oben Fn. 5. 41 BVerfG-K NVwZ 1992, 53 = BayVBl 1992, 83; dazu Bespr. Enders 54 Zu Art. 4 I, II GG (Aktivitäten von Religions- und Weltanschau- VerwArch 83 (1992), 527 ff., sowie Lorenz JuS 1993, 375 ff. ungsgemeinschaften) BVerwG NJW 1997, 408; VGH BW NVwZ-RR 42 Dazu Einzelheiten unten II. 1. 2002, 740 (744); BayVGH NVwZ-RR 2003, 244 (245); VG Berlin NJW 43 Vgl. die Entscheidung des BVerfG zu Fall 4. 1989, 2559. – Zu Art. 5 I 1 GG BVerwGE 56, 63 (66 f.): Aufstellen von 44 Zum Erfordernis einer abstrakten Beeinträchtigung der Ausübung Informationsständen; VGH BW NVwZ-RR 2003, 238 (243) = VBlBW des Gemeingebrauchs vgl. Nachw. o. Fn. 15. 2002, 297 (303) → Schoch JK 11/02; StrG BW § 16/2: Verteilung von 45 Dies deckt sich mit der in Fn. 37 nachgewiesenen Auffassung. Handzetteln und Broschüren; OVG Hamburg DÖV 1992, 37: Verteilung 46 Sauthoff Öff. Straßen (Fn. 8) Rdn. 297; Stahlhut in: Kodal (Fn. 14) von Prospekten. – Zu Art. 5 III 1 GG BVerwG DÖV 1981, 342: Aufstel- Kap. 25 Rdn. 99, 100. lung von Kunstgegenständen in der Fußgängerzone; VGH BW NJW 47 VGH BW NVwZ 1998, 91; NVwZ-RR 2002, 740 (743); NVwZ-RR 1987, 1839 (1842) = VBlBW 1987, 137 (141): Straßenmusik; ferner die 2003, 238 (240 f.) = VBlBW 2002, 297 (300 f.) → Schoch JK 11/02, StrG Entscheidung zu Fall 3. – Zu Art. 9 I GG BayVGH NVwZ-RR 2010, 830 BW § 16/2. = BayVBl 2011, 176 → Schoch JK 5/11, BayStrWG Art. 18/5: Spenden- 48 BVerfG-K NVwZ 2007, 1306 = AfP 2007, 437 → Schoch JK 3/08, GG sammlung und Mitgliederwerbung durch gemeinnützigen Verein in Art. 5 I 2/32. – Näher dazu unten Fall 4. Fußgängerzone. – Zu Art. 12 I GG VG Karlsruhe GewArch 2005, 39 49 BayVGH NVwZ-RR 2002, 782; OVG LSA LKV 2002, 335. (41): Straßenhandel mit einem Bauchladen in Fußgängerzone. 50 OVG LSA LKV 2001, 45 (46). 55 BVerfG-K NVwZ 2007, 1306 = AfP 2007, 437 (439) → Schoch JK 3/ 51 VG Karlsruhe GewArch 2005, 39 (40). 08, GG Art. 5 I 2/32. Angemeldet | mail@juraexamen.info Heruntergeladen am | 14.09.14 18:49
916 Repetitorium ÖR – Friedrich Schoch: Sondernutzung öffentlicher Straßen Sondernutzung einzuholen, stellt eine verhältnismäßige stände (§ 46 I 1 Nr. 8 StVO)62 und für ein nach § 33 I 1 Nr. 2 Belastung des Grundrechtsträgers dar, weil die Freiheits- StVO verbotenes Warenangebot auf der Straße (§ 46 I 1 beeinträchtigung gering ist; zudem ist die Erlaubnispflicht Nr. 9 StVO)63. In derartigen Fällen bedarf es keiner – nur eine formale Schranke, die über die Zulässigkeit der zusätzlichen – straßenrechtlichen Sondernutzungserlaub- beabsichtigten Sondernutzung nichts aussagt56. Auf der nis. anderen Seite ist der störungsfreie Gemeingebrauch (unter Die Verfahrenskonzentration begründet – nach Einschluss des Anliegergebrauchs) der Verkehrsteilneh- außen – die alleinige Zuständigkeit der Straßenver- mer durch Art. 2 I, 3 I, 14 I GG gewährleistet57. Diese Grund- kehrsbehörde64. Die straßengesetzlichen Vorschriften65 rechte Dritter vermögen auch vorbehaltlos normierten schreiben jedoch vor, dass die an sich für die Sonder- Grundrechten des Sondernutzers (z. B. Art. 4 I u. II, 5 III 1 nutzungserlaubnis zuständige Behörde vor der straßen- GG) Schranken zu ziehen. Das BVerfG hat bestätigt, dass verkehrsrechtlichen Entscheidung zu hören ist; zudem der Erlaubnisvorbehalt im Straßenrecht legitimen Zwe- müssen von der Straßen(bau)behörde geforderte Bedin- cken (Wahrung der Sicherheit und Leichtigkeit des Ver- gungen, Auflagen und Sondernutzungsgebühren dem An- kehrs, Ausgleich konfligierender Nutzerinteressen) dient, tragsteller in der Erlaubnis oder Ausnahmegenehmigung zur Zielerreichung geeignet und erforderlich ist und wegen nach der StVO auferlegt werden. des verhältnismäßig geringen Aufwands für einen entspre- Der Vorrang einer Zulassung nach der StVO gegenüber chenden Antrag auf Erlaubniserteilung keine unangemes- der Sondernutzungserlaubnis greift nicht erst dann ein, sene Belastung darstellt58. wenn jene Zulassung erteilt worden ist; es genügt, dass eine Erlaubnis oder eine Ausnahmegenehmigung der Stra- ßenverkehrsbehörde objektiv »erforderlich« ist66. In die- b) Vorrang spezieller Erlaubnistatbestände sem Punkt ist der Wortlaut der einschlägigen Bestimmun- gen67 eindeutig und eröffnet keinen Auslegungsspielraum. Eine straßenrechtliche Sondernutzung kann zugleich stra- ßenverkehrsrechtlich erheblich sein und einer besonderen Zulassung bedürfen. Für derartige Fallgestaltungen ist ei- c) Privilegierung von Versammlungen ne Konzentrationswirkung vorgesehen: Falls nach Stra- ßenverkehrsrecht eine Erlaubnis für eine übermäßige Öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel sind Straßenbenutzung oder eine Ausnahmegenehmigung er- anmeldepflichtig (§ 14 VersG), aber nicht erlaubnispflich- forderlich ist, bedarf es keiner straßenrechtlichen Sonder- tig (vgl. Art. 8 I GG). Folglich bedarf die Durchführung nutzungserlaubnis59. So benötigen »stationäre« Veranstal- einer Versammlung im öffentlichen Verkehrsraum weder tungen (d. h. Verbringen von Gegenständen – Tische, einer straßenrechtlichen Sondernutzungserlaubnis noch Bänke etc. – auf die Straße), bei denen Straßen mehr als einer straßenverkehrsrechtlichen Erlaubnis68. Die recht- verkehrsüblich in Anspruch genommen werden, eine stra- liche Steuerung des Versammlungsgeschehens obliegt der ßenverkehrsrechtliche Erlaubnis nach § 29 II StVO60. Aus- zuständigen Versammlungsbehörde; insbesondere § 29 II nahmegenehmigungen gemäß § 46 StVO kommen z. B. in StVO ist wegen des Vorrangs der §§ 14, 15 VersG nicht Betracht für ein nach § 29 I StVO verbotenes Rennen (§ 46 anwendbar69. In der Sache überwacht die Versammlungs- II StVO)61, für i. S. d. § 32 I StVO unzulässige Informations- behörde die Einhaltung der straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften und damit die Sicherheit und Leichtigkeit des 56 BVerwGE 84, 71 (76, 78) = NJW 1990, 2011 (2012). 62 VGH BW VBlBW 2005, 391. 57 BVerwG NJW 1997, 408; VG Berlin NJW 1989, 2559; Sauthoff Öff. 63 BVerwGE 94, 234 = NJW 1994, 1082 = DVBl 1994, 347; HessVGH Straßen (Fn. 8) Rdn. 324; Stahlhut in: Kodal (Fn. 14) Kap. 25 Rdn. 6. NVwZ-RR 1992, 3 = DÖV 1992, 38; VG Karlsruhe GewArch 2005, 39 58 BVerfG-K NVwZ 2007, 1306 (1307) = AfP 2007, 437 (439 f.) → (41). Schoch JK 3/08, GG Art. 5 I 2/32. 64 HessVGH NVwZ-RR 1992, 2; Sauthoff Öff. Straßen (Fn. 8) Rdn. 393. 59 § 16 VI StrG BW; Art. 21 BayStrWG; § 19 BbgStrG; § 18 III 65 Vgl. zum folgenden Text Satz 2 u. Satz 3 der in Fn. 59 nachgewie- BremLStrG; § 16 VII HessStrG; § 22 VII StrWG MV; § 19 NdsStrG; § 21 senen Vorschriften. StrWG NW; § 41 VII LStrG RP; § 18 VII StrG SL; § 19 SächsStrG; § 19 66 BVerwGE 94, 234 (236) = NJW 1994, 1082 = DVBl 1994, 347; StrG LSA; § 21 VI StrWG SH; § 19 ThürStrG; § 8 VI FStrG. Sauthoff in: Müller/Schulz, FStrG, 2008, § 8 Rdn. 68. 60 BVerwGE 82, 34 = NJW 1989, 2411 = DVBl 1989, 995 = DÖV 1989, 67 Vgl. Satz 1 der in Fn. 59 nachgewiesenen Vorschriften. 1038. 68 Sauthoff Öff. Straßen (Fn. 8) Rdn. 391; Stahlhut in: Kodal (Fn. 14) 61 BVerwGE 104, 154 = NVwZ 1998, 1300; NdsOVG DVBl 1996, 1441; Kap. 27 Rdn. 53. OVG NW NVwZ-RR 1997, 4. 69 BVerwGE 82, 34 (39 f.) = NJW 1989, 2411. Angemeldet | mail@juraexamen.info Heruntergeladen am | 14.09.14 18:49
Repetitorium ÖR – Friedrich Schoch: Sondernutzung öffentlicher Straßen 917 Verkehrs auf der Grundlage des Gesetzesmerkmals »öf- ter Hinweis auf die vom Stadtrat beschlossenen »Richtlinien für fentliche Sicherheit« (§ 15 I u. III VersG). gewerbliche Sondernutzungen im Fußgängerbereich Altstadt« Besondere Rechtsprobleme stellen sich in Bezug auf abgelehnt. Danach soll das Erscheinungsbild der Straßen und Plätze im »Fußgängerbereich Altstadt« in erster Linie durch den Bundesautobahnen. Diese sind gesetzlich nur dem Fußgängerverkehr und im Übrigen durch Kommunikation und Schnellverkehr mit Kraftfahrzeugen gewidmet (§ 1 III 1 städtebauliche Tradition (Bewahrung des historischen Altstadt- FStrG). Danach darf auf einer Bundesautobahn kein Fuß- bildes) bei gleichzeitiger Vermeidung eines »touristischen An- gängerverkehr und kein Verkehr mit nicht motorisierten strichs« (»Drosselgasse«) bestimmt sein. T fragt, ob derartige Fahrzeugen stattfinden70. Dennoch hat der HessVGH eine Erwägungen ihren geschäftlichen Interessen entgegengehalten werden können74. Fahrraddemonstration auf der A 44 für zulässig erklärt; straßenrechtlich könne das Befahren der Autobahn mit Fall 6: Der Tierschutzverein V e. V. beantragt bei der Stadt S für Fahrrädern als Sondernutzung zugelassen (§ 8 I 1 u. 2 das übernächste Wochenende eine Sondernutzungserlaubnis FStrG), und straßenverkehrsrechtlich dürfe das Befahrens- für einen Informationsstand in der Fußgängerzone in der Innen- verbot (§ 18 I StVO) bzw. das Betretensverbot (§ 18 IX StVO) stadt zur Information der Bevölkerung über in Not geratene Tiere gemäß § 29 II 1 StVO erlaubt werden71. Überzeugend ist das und zwecks Mitgliederwerbung. S erteilt die Erlaubnis mit der Einschränkung, dass Fördermitgliedschaften nicht abgeschlos- kaum. § 29 II 1 StVO erfasst nur Veranstaltungen, die die sen werden dürfen; es sei gängige Verwaltungspraxis, dass für Straße innerhalb des Widmungszwecks mehr als verkehrs- geschäftsanbahnende Tätigkeiten keine Erlaubnis erteilt werde, üblich in Anspruch nehmen; der Dispens von dem Befah- weil die Bevölkerung vor voreiligen Vertragsabschlüssen auf rens- bzw. Betretensverbot (§ 18 I u. IX StVO) bedarf einer Grund der Überrumplungssituation geschützt werden müsse. V Ausnahmegenehmigung nach § 46 I 1 Nr. 2 StVO. Vor fragt nach der Rechtmäßigkeit dieser Einschränkung der Erlaub- diesem Hintergrund kann die auf Grund der Verfahrens- nis75. konzentration mit den straßenverkehrsrechtlichen Fragen befasste Versammlungsbehörde eine geplante Fahrrad- Zuständig für die Erteilung einer Sondernutzungserlaub- demonstration auf der Autobahn ermessensfehlerfrei ge- nis ist – je nach landes-/bundesrechtlicher Regelung – die mäß § 15 I VersG untersagen, wenn die straßenverkehrs- Straßenbaubehörde (für Ortsdurchfahrten die Gemeinde, rechtlichen Wertungen (§§ 18 I u. IX, 46 I 1 Nr. 2 StVO) falls diese nicht ohnehin Straßenbaubehörde ist)76 bzw. hinreichend in Rechnung gestellt werden72. der Träger der Straßenbaulast (für Ortsdurchfahrten die Gemeinde, falls diese nicht ohnehin Träger der Straßen- baulast ist)77. Mitunter sehen die Gesetze auch noch die Zustimmung anderer Behörden vor. II. Entscheidung über die Sondernutzungserlaubnis 1. Funktion und Bedeutung des Fall 4: L ist Teil des Vertriebswerks des AS-Verlages für Sonn- Erlaubnisvorbehalts tagszeitungen und liefert derartige Zeitungen an ambulante Stra- ßenverkäufer, die die Zeitungen aus mitgeführten Tragetaschen an Passanten verkaufen. Die zuständige Behörde teilt L mit, dass Rechtsdogmatisch sind die gesetzlichen Erlaubnistat- der Straßenverkauf als Sondernutzung erlaubnispflichtig sei. L bestände als präventives Verbot mit Erlaubnisvor- meint, das Grundrecht der Pressefreiheit stehe einer gesetzlichen behalt ausgestaltet78. Die Statuierung der (formalen) Erlaubnispflicht, falls diese eine behördliche Ermessensent- Erlaubnispflicht besagt nicht etwa, dass die erlaubnis- scheidung vorsehe, entgegen und bittet um eine Auskunft zur Rechtslage73. 74 Fall nach VGH BW NVwZ-RR 2000, 837 = VBlBW 2000, 282 → Fall 5: T betreibt in der Fußgängerzone der historischen Altstadt Schoch JK 01, StrG BW § 16/1. der Stadt S einen Taschenbuchladen. T möchte außerhalb ihres 75 Fall nach BayVGH NVwZ-RR 2010, 830 = BayVBl 2011, 176 → Ladens rechts und links neben der Ladentür unmittelbar vor der Schoch JK 5/11, BayStrWG Art. 18/5. Hauswand des Gebäudes einen Ständer für Ansichtskarten auf- 76 § 16 II StrG BW; Art. 18 I BayStrWG; § 11 I BerlStrG; § 18 I 1 u. 2 stellen. Die von T beantragte Sondernutzungserlaubnis wird un- BbgStrG; § 16 I 1 u. § 17 I HessStrG; § 18 I 2 u. 3 StrWG NW; § 41 I LStrG RP; § 18 I 1 StrG SL; § 18 I 1 u. 2 SächsStrG; § 18 I 1 u. 2 StrG LSA; § 18 I 2 u. 3 ThürStrG; § 8 I 2 u. 3 FStrG. 70 Sauthoff in: Müller/Schulz (Fn. 66) § 1 Rdn. 18. 77 § 22 I 1 StrWG MV; § 18 I 2 NdsStrG; § 21 I 1 u. 2 StrWG SH. – In 71 HessVGH NJW 2009, 312 (313) = DVBl 2008, 1322 (1323). Bremen entscheidet die Ortspolizeibehörde, § 18 IV 1 LStrG; in Ham- 72 Schoch JK 3/09, GG Art. 8/26. burg ist die Wegeaufsichtsbehörde zuständig, § 19 I 2 WG. 73 Fall nach BVerfG-K NVwZ 2007, 1306 = AfP 2007, 437 → Schoch 78 OVG NW NWVBl 2007, 64 (65) → Schoch JK 7/07, StrWG NRW JK 3/08, GG Art. 5 I 2/32. § 18/1; ThürOVG ThürVBl 2001, 109 (110) → Schoch JK 10/01, Angemeldet | mail@juraexamen.info Heruntergeladen am | 14.09.14 18:49
918 Repetitorium ÖR – Friedrich Schoch: Sondernutzung öffentlicher Straßen pflichtige Tätigkeit an sich (materiell) verboten ist; mit der Form des Erlaubnisverfahrens86. Anschaulich ist davon Rechtsausübung darf allerdings erst begonnen werden, gesprochen worden, das der Sondernutzungserlaubnis wenn die Rechtmäßigkeit der beabsichtigten Benutzung vorgeschaltete Verwaltungsverfahren diene der Präventiv- des öffentlichen Straßenraums in einem Verwaltungsver- steuerung87. fahren geprüft und festgestellt worden ist79. Im Regelfall stellt die Sondernutzungserlaubnis einen mitwirkungs- bedürftigen Verwaltungsakt (VA) dar; er wird nur auf An- 2. Ermessensentscheidung der Behörde trag des Sondernutzers erteilt80. Der Erlaubnis wird nicht die Qualität eines VA mit Drittwirkung attestiert, weil die a) Verfassungsmäßigkeit der Ermessensnormen Bestimmungen zur Erteilung der Sondernutzungserlaub- nis grundsätzlich keinen Drittschutz vermittelten81. Die Auf die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis besteht Erlaubnis für eine Sondernutzung des öffentlichen Ver- kein Anspruch88. Die einschlägigen Gesetzesbestimmun- kehrsraums kann auch durch einen verwaltungsrecht- gen normieren keine gebundene Verwaltungsentschei- lichen Vertrag (§§ 54 ff. VwVfG) eingeräumt werden82; die- dung. Folglich entscheidet die zuständige Behörde nach se Form des Verwaltungshandelns wird insbesondere bei pflichtgemäßem Ermessen über den Antrag89. Tat- der Erlaubnis zur werbemäßigen Nutzung öffentlicher bestandlich sind keine (materiellen) Voraussetzungen für Straßen, Wege und Plätze für Werbeanlagen gewählt die Erteilung oder Versagung der Erlaubnis statuiert. Ein- (»Werbenutzungsvertrag«)83. zige Voraussetzung ist, dass kein Gemeingebrauch vor- In der Sache dient das Verwaltungsverfahren zunächst liegt; für dessen Ausübung wird eine behördliche Zulas- der behördlichen Überprüfung möglicher Auswirkungen sung nicht benötigt (I. 1.). Kann die zuständige Behörde einer Sondernutzung auf die Straße und den Verkehr. Zu indes allein nach Ermessen entscheiden, stellen sich aus verhindern sind etwaige Beschädigungen und Verschmut- dem Blickwinkel des Grundrechtsschutzes und des Be- zungen der Fahrbahn; abzuwehren sind sodann Beein- stimmtheitsgebots Fragen zur Verfassungsmäßigkeit der trächtigungen der Sicherheit und Leichtigkeit des Ver- einschlägigen Gesetzesbestimmungen. kehrs, dem die Straße schließlich gewidmet ist84. Unabhängig davon kommt es nicht selten zu einem Zu- In der Fall 4 zu Grunde liegenden Entscheidung hat das BVerfG sammentreffen unterschiedlicher und manchmal sogar ge- die Verfassungsmäßigkeit der einschlägigen Regelung(en) be- stätigt. Der Begriff »pflichtgemäßes Ermessen« erlaube eine Aus- genläufiger Nutzungsinteressen verschiedener Straßenbe- legung in dem Sinne, dass der Anspruch auf die Erlaubnisertei- nutzer; insoweit ist ein Interessenausgleich zu schaffen, lung bestehe, wenn die Versagung nicht zur Erreichung der der der Sondernutzungserlaubnis eine Ausgleichs- und Gesetzesziele (Schutz der Straße, Wahrung der Sicherheit und Verteilungsfunktion zuweist85. Die Gefahr der Kollision Leichtigkeit des Verkehrs, Ausgleich unterschiedlicher Nutzer- der Grundrechtsausübung verschiedener Straßenbenutzer interessen) erforderlich und unter Berücksichtigung des Grund- rechtfertigt und verlangt eine behördliche Kontrolle in rechtsschutzes angemessen sei. Das behördliche Ermessen be- schränke sich auf Fälle, in denen entweder die Sondernutzung nicht den grundrechtsrelevanten Bereich betreffe oder in denen trotz Grundrechtsbeeinträchtigung ein Versagungsgrund beste- ThürStrG § 18 I/1; Stuchlik GewArch 2004, 143 (146); v. Danwitz in: he; dann könne die Behörde die Erteilung der Erlaubnis ableh- BesVwR (Fn. 8) 7. Kap. Rdn. 63. nen. 79 OVG SH NVwZ 1992, 70. 80 VGH BW NVwZ-RR 1990, 225. 81 BayVGH NVwZ-RR 2004, 886 (887) = BayVBl 2004, 533 → Schoch JK 1/05, BayStrWG Art. 18/3. – Zu möglichen Ausnahmen BayVGH BayVBl 2008, 276 Tz. 15 → Schoch JK 9/08, BayStrWG Art. 18/4: Erlaubnis zur Aufstellung eines Baugerüsts beeinträchtigt Nutzungs- recht eines Anliegers (benachbartes Café); ähnlich BayVGH GewArch 2010, 420 Tz. 37. 82 v. Danwitz in: BesVwR (Fn. 8), 7. Kap. Rdn. 63, 64; Sauthoff Öff. Straßen (Fn. 8) Rdn. 358. 86 BVerwG DÖV 1981, 342; VGH BW NJW 1987, 1839 (1842) = VBlBW 83 Aus der Praxis z. B. VGH BW NVwZ 1993, 903; NdsOVG NdsVBl 1987, 137 (141). 1994, 38. 87 OVG SH NVwZ 1992, 70. 84 So bereits BVerwGE 35, 326 (330 f.). 88 BVerwGE 35, 326 (330); OVG Bremen NVwZ-RR 1997, 385 (386). – 85 BVerwG DÖV 1981, 226; BVerwGE 84, 71 (75 f.) = NJW 1990, 2011 Ausdrücklich: § 19 I 3 HbgWG. (2012); VGH BW NJW 1987, 1836 (1837); NdsOVG NVwZ-RR 1996, 244 89 Ausdrücklich angeordnet durch § 16 II 1 StrG BW; § 18 II 3 (245); OVG NW NVwZ 1988, 269 (270); VG Karlsruhe GewArch 2005, 39 BbgStrG; § 18 IV 1 BremLStrG; »kann«-Regelung in § 19 I 4 HbgWG; (41). »soll«-Regelungen indes gem. § 11 II 1 u. 2 BerlStrG. Angemeldet | mail@juraexamen.info Heruntergeladen am | 14.09.14 18:49
Repetitorium ÖR – Friedrich Schoch: Sondernutzung öffentlicher Straßen 919 b) Zweck des Ermessens: Berücksichtigung Straßen oder Plätze, Abwehr einer wochenlangen Ver- straßenrechtlicher Belange schandelung und Verschmutzung des Stadtbildes etwa durch wildes Plakatieren) eine große Bedeutung im Rah- Für die Beurteilung der rechtsfehlerfreien Betätigung des men des behördlichen Ermessens zu97. Die Rechtspre- behördlichen Ermessens gilt § 40 (L)VwVfG90. Bei der Ent- chung akzeptiert städtebauliche Ermessenserwägungen scheidung über die Erteilung der Sondernutzungserlaub- zum Schutz eines bestimmten Straßen- und Ortsbildes, nis sind zunächst die inneren Ermessensgrenzen91 ein- sofern diese wirklich einen Bezug zur Straße haben98. Ver- zuhalten92. Sie ergeben sich aus dem Zweck der langt wird allerdings ein städtebauliches Konzept, damit Ermächtigung. Unter Rückgriff auf die Funktion des Er- entsprechende Erwägungen im Rahmen des behördlichen laubnisvorbehalts (s. o. II. 1.) besteht Einigkeit darüber, Ermessens willkürfrei umgesetzt werden können99. Ein dass sich die Ermessensbetätigung an straßenrechtlichen derartiges Konzept beruht häufig auf verwaltungsinternen Belangen orientieren muss93. Das sind nur solche Gesichts- Richtlinien. Sofern, wie dies in der Regel der Fall ist, die punkte, die einen sachlichen Bezug zur Straße aufweisen: Zuständigkeit für die Entscheidung über die Sondernut- Schutz des Straßenkörpers und Gewährleistung eines stö- zungserlaubnis bei einer Kommune (Stadt, Gemeinde) rungsfreien Gemeingebrauchs (d. h. straßenrechtliche Be- liegt, müssen die Richtlinien von der kommunalen Ver- lange im engeren Sinne) sowie mit dem Widmungszweck tretungskörperschaft (Gemeinderat) beschlossen worden der Straße noch in einem engen Zusammenhang stehende sein; andernfalls ist die auf derartige Richtlinien gestützte Belange94. Darüber hinausgehende Ermessenserwägun- Ablehnung einer Sondernutzungserlaubnis ermessensfeh- gen (z. B. ordnungsrechtlicher Natur) sind von dem Zweck lerhaft100. der Ermächtigung nicht mehr gedeckt95. Etwas anderes gilt nur, wenn das positive Recht dies ausdrücklich zulässt96. In der Entscheidung zu Fall 5 hat der VGH BW anerkannt, dass In der Praxis kommt bei den straßenrechtlichen Belan- die Ablehnung der von T beantragten Sondernutzungserlaubnis auf städtebauliche Erwägungen gestützt werden durfte (Schutz gen im weiteren Sinne vor allem städtebaulichen Erwä- des Ortsbildes). Ein konkretes Gestaltungskonzept der Stadt gungen (z. B. bauplanerische und baupflegerische Belan- S lag vor; dieses zielte darauf, dem Fußgängerbereich eine be- ge, baugestalterische Aspekte zum Schutz bestimmter stimmte Ausstrahlungswirkung (ein spezifisches »Flair«) zu ver- leihen. Das Konzept war in Gestalt von Richtlinien vom Gemein- derat (Stadtrat) beschlossen worden; der VGH betont, dass verwaltungsinterne Richtlinien für die Steuerung des Ermessens 90 VGH BW NVwZ-RR 1997, 679 (680) = VBlBW 1997, 107 (108); genügten und eine Satzung nicht erforderlich sei. NVwZ-RR 2001, 159 (160); NdsOVG UPR 1992, 455; NVwZ-RR 1996, 244 (245); OVG NW NWVBl 2007, 64 (65) → Schoch JK 7/07, StrWG NRW § 18/1. 91 Zur Unterscheidung zwischen »inneren« und »äußeren« Ermes- c) Ermessensreduzierung sensgrenzen Schoch JURA 2004, 462 (466 f.). 92 Die äußeren Ermessensgrenzen sind vor allem für die Ermessens- reduzierung von Bedeutung; vgl. dazu II. 2. c). Nach der zweiten Ermessensdirektive des § 40 (L)VwVfG 93 VGH BW NVwZ-RR 1997, 677 (678); NVwZ-RR 2006, 835; NVwZ-RR muss die behördliche Entscheidung zur Sondernutzungs- 2010, 164 = VBlBW 2010, 113 (114); HessVGH NVwZ 1994, 189 (190); erlaubnis die gesetzlichen Grenzen des Ermessens NdsOVG NVwZ-RR 1993, 393; OVG NW NWVBl 2012, 435. einhalten. Diese äußeren Ermessensgrenzen werden ins- 94 VGH BW NVwZ-RR 1997, 679 (680) = VBlBW 1997, 107 (108); BayVGH BayVBl 2012, 147 Tz. 19; NdsOVG NVwZ-RR 1996, 244 (245); besondere durch die Grundrechte (i. V. m. dem Übermaß- OVG NW NWVBl 2007, 64 (65) → Schoch JK 7/07, StrWG NRW § 18/1; verbot) repräsentiert101. Angezeigt ist eine sorgfältige Prü- OVG SH NVwZ 1992, 70 (71). 95 BayVGH BayVBl 2012, 147 Tz. 19: immissionsschutzrechtliche oder sicherheitsrechtliche Belange; HessVGH NVwZ 1994, 189 (190): 97 Sauthoff Öff. Straßen (Fn. 8) Rdn. 366. allgemein-ordnungsbehördliche Gesichtspunkte. – OVG NW NWVBl 98 VGH BW NVwZ-RR 2000, 837 (839) = VBlBW 2000, 282 (283) → 2012, 435 (436) betont, ggf. müsse die Straßenbehörde die zuständige Schoch JK 01, StrG BW § 16/1; NVwZ-RR 2001, 159 (160); BayVGH Ordnungs- bzw. Polizeibehörde informieren und diese um entspre- BayVBl 2012, 147 Tz. 22; VG Braunschweig KommJur 2009, 299 (301 f.); chende Maßnahmen bitten. VG Karlsruhe GewArch 2005, 39 (41 f.). 96 § 11 II BerlStrG, dazu OVG Berlin GewArch 1988, 130: »pflicht- 99 VGH BW NVwZ-RR 2000, 837 (839) = VBlBW 2000, 282 (283); gemäßes Ermessen« umfasst jeden sachlichen Grund; ferner z. B. BayVGH BayVBl 2012, 147 Tz. 25; VG Braunschweig KommJur 2009, OVG Bln-Bbg NVwZ-RR 2012, 217 (218) → Schoch JK 9/12, BerlStrG 299 (302). § 11/1: Ablehnung einer Sondernutzungserlaubnis auch aus straßen- 100 VGH BW VBlBW 1987, 344 (346); NVwZ-RR 1997, 677 (678); fernen öffentlichen Interessen wie z. B. »Klimaschutz« zulässig (am NdsOVG DVBl 2013, 454 (455). Beispiel von Heizpilzen im Vorgarten einer Gaststätte). – Zur Rechts- 101 Sauthoff Öff. Straßen (Fn. 8) Rdn. 373 ff.; Stahlhut in: Kodal lage in Bremen § 18 IV 5 LStrG, zu Hamburg vgl. § 19 I 4 Nr. 3 WG. (Fn. 14) Kap. 27 Rdn. 51 ff. Angemeldet | mail@juraexamen.info Heruntergeladen am | 14.09.14 18:49
920 Repetitorium ÖR – Friedrich Schoch: Sondernutzung öffentlicher Straßen fung des Einzelfalles. Die Figur des »intendierten Ermes- Das gilt z. B. bei der Zulassung von Plakatwerbung im in- sens«102 findet keine Anwendung; die Behörde muss im nerörtlichen Bereich; die zuständige Behörde kann den konkreten Fall »die für und gegen eine Sondernutzungs- Antrag auf Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis nicht erlaubnis sprechenden Gesichtspunkte prüfen, gewichten einfach mit Hinweis darauf ablehnen, mit einem Dritten sei und abwägen«103. Überwiegen die rechtlich geschützten ein Werbenutzungsvertrag geschlossen worden110. Richt- Interessen des Antragstellers derart, dass nur die Erteilung linien für die Verteilung von Standplätzen auf einem nicht der Erlaubnis rechtmäßig ist, liegt ein Fall der »Ermessens- nach § 69 GewO festgesetzten Markt dürfen für die Sonder- reduzierung auf Null« vor, und es besteht ein Anspruch nutzungserlaubnis keine marktähnlichen Kriterien (»be- auf die beantragte Sondernutzungserlaubnis104. kannt und bewährt«) vorgeben; eine gleiche Zulassung- Als wichtigste Ermessensdirektive fungieren die Frei- schance ist nur bei einem neutralen Verfahren gegeben111. heitsgrundrechte. Ist der beabsichtigte Straßengebrauch Dagegen liegt kein Verstoß gegen Art. 3 I GG, wenn Richt- als Grundrechtsausübung zu werten, muss die zuständige linien nur den Bereich der historischen Altstadt schützen Behörde bei ihrer Ermessensentscheidung über die Erlaub- (Fall 5) und »Vergleichsfälle« für die Erlaubnis zur Sonder- nis der Sondernutzung die Bedeutung des einschlägigen nutzung in anderen Stadtteilen angesiedelt sind112. Als Grundrechts berücksichtigen105. Nach den Vorgaben des sachlich gerechtfertigt wurde die Ablehnung einer Sonder- BVerfG106 ist die Erlaubnis zu erteilen, wenn die beabsich- nutzungserlaubnis für die Aufstellung von Alttextilcontai- tigte Straßenbenutzung weder Rechte der Verkehrsteilneh- nern im öffentlichen Verkehrsraum mit Hinweis darauf er- mer (Art. 2 I, 3 I GG) noch das Recht der Anlieger auf achtet, die Gemeinde wolle die Entsorgung »aus einer Anliegergebrauch (Art. 14 I GG i. V. m. der Anliegerschutz- Hand« sicherstellen, nachdem eine Drittfirma (abfallrecht- vorschrift des Straßengesetzes) beeinträchtigt107. Besteht lich) mit der Wertstoffsammlung beauftragt worden war113. hingegen eine Kollisionslage, muss die Behörde einen Befinden sich politische Parteien im Wahlkampf und Ausgleich zwischen den konfligierenden Grundrechtsposi- beantragen sie die Erlaubnis zur Sondernutzung des öf- tionen nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz fentlichen Verkehrsraums für eine angemessene Wahl- (z. B. durch die Verhängung von Auflagen) anstreben108. sichtwerbung, ist das behördliche Ermessen durch die Ein- Gelingt dies nicht, kann die Behörde den Antrag ablehnen; wirkung des Art. 21 I GG in der Regel auf Null reduziert114. sie kann insbesondere der Sicherheit und Leichtigkeit des Der Umfang der politischen Werbung bestimmt sich nach Verkehrs Vorrang einräumen gegenüber der Grundrechts- dem Grundsatz der abgestuften Chancengleichheit (§ 5 I ausübung109. Das gilt insbesondere, wenn die Versagung ParteiG); kleinen Parteien ist zur Wahrung der Chancen- der Sondernutzungserlaubnis nur zu einer geringen Ein- gleichheit eine überproportional zugemessene Zahl von buße an grundrechtlicher Freiheitsbetätigung beim An- Stellflächen für die Aufstellung von Werbetafeln zuzuer- tragsteller führt. kennen115. Die Ermessensreduzierung bezieht sich nur auf Die Ermessensausübung kann auch durch den all- die »angemessene« Wahlsichtwerbung; insoweit sind die gemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 I GG) gesteuert werden. Umstände des Einzelfalles zu analysieren. Das Aufstellen Danach ist eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbe- großflächiger (»überdimensionierter«) Wahlwerbetafeln handlung wesentlich gleicher Sachverhalte rechtswidrig. darf abgelehnt werden116. Wird die Wahlsichtwerbung au- ßerhalb der Wahlkampfschlussphase (sechs Wochen vor der Wahl) angestrebt, gelten die üblichen Ermessensdirek- 102 Dazu Schoch JURA 2010, 358 ff. 103 So BayVGH NVwZ-RR 2010, 830 (832) → Schoch JK 5/11, BayStrWG Art. 18/5. 104 Überholt ist die Auffassung, eine Ermessensreduzierung auf Null 110 NdsOVG NVwZ-RR 1993, 393 (395). komme nur ausnahmsweise in Betracht, so noch OVG NW NVwZ 111 VGH BW NVwZ-RR 2001, 159 (160 f.); dazu Bespr. Meßmer 1988, 269 (270). JuS 2002, 755; ferner Fallbearbeitung Mückl JURA 2002, 627. 105 BVerwGE 56, 63 (68); NdsOVG NVwZ-RR 1993, 393 (394); NVwZ- 112 VGH BW NVwZ 2000, 837 (840) = VBlBW 2000, 282 (285) → RR 1996, 244 (245). Schoch JK 01, StrG BW § 16/1; Sauthoff Öff. Straßen (Fn. 8) Rdn. 382. 106 BVerfG-K NVwZ 2007, 1306 (1307) = AfP 2007, 437 (439) → 113 VG Braunschweig KommJur 2009, 299 (304). Schoch JK 3/08, GG Art. 5 I 2/32. 114 VGH BW VBlBW 1987, 310 (311); OVG SH NVwZ 1992, 70; VG 107 BayVGH NVwZ-RR 2000, 726 = BayVBl 2000, 408 = AfP 2000, Gießen NVwZ-RR 2001, 417 (418); VG München BayVBl 2007, 732 210 → Schoch JK 9/00, BayStrWG Art. 18/2 (am Beispiel des Art. 5 I 2 (734); Sauthoff Öff. Straßen (Fn. 8) Rdn. 375; Stahlhut in: Kodal GG); ferner BayVGH NVwZ-RR 2002, 782. (Fn. 14) Kap. 27 Rdn. 58. 108 BVerwGE 84, 71 (78) = NJW 1990, 2011 (2012). 115 VG Gießen NVwZ-RR 2001, 417 (418); VG München BayVBl 2007, 109 VGH BW NVwZ-RR 1994, 370 = DÖV 1994, 568 = VBlBW 1994, 417 (418). 199; NdsOVG NVwZ-RR 1996, 244 (247), bestätigt durch BVerwG NJW 116 OVG SL LKRZ 2009, 313 (314): Verkehrssicherheit, Wahrung des 1997, 408; OVG LSA LKV 2002, 335 (336). Stadtbildes. Angemeldet | mail@juraexamen.info Heruntergeladen am | 14.09.14 18:49
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