Sondernutzung öffentlicher Straßen - Prof. Dr. Friedrich Schoch - Juraexamen.info

 
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DOI 10.1515/jura-2013-0115             Juristische Ausbildung 2013(9): 911–924

Repetitorium ÖR

Prof. Dr. Friedrich Schoch

Sondernutzung öffentlicher Straßen

Friedrich Schoch: Der Autor ist Direktor des Instituts für Öffentliches          der einschlägigen Gebührensatzung zu Sondernutzungsgebüh-
Recht – Abt. 4 (Verwaltungsrecht) an der Rechtswissenschaftlichen                ren heranzuziehen2.
Fakultät der Universität Freiburg und Mitherausgeber der Zeitschrift.
                                                                                 Fall 3: Bankkauffrau B fertigt in ihrer Freizeit in der Fußgänger-
                                                                                 zone der Stadt S Scherenschnitte (Silhouetten) an und verkauft
Das Recht der öffentlichen Sachen ist Teil des Allgemeinen                       diese an Passanten; für diese Tätigkeit stellt B eine Staffelei und
Verwaltungsrechts. Ein zentrales Thema ist die Benutzung                         einen Klappstuhl auf. Bedienstete von S kündigen gegenüber B
                                                                                 den Erlass eines Bußgeldbescheides an, falls B sich weiterhin
öffentlicher Straßen. Herausragende Bedeutung hat – in
                                                                                 weigere, eine Sondernutzungserlaubnis einzuholen. B meint, da
Abgrenzung zum Gemeingebrauch – die Sondernutzung. An                            sie (Straßen-)Kunst ausübe, benötige sie kraft Verfassungsrechts
dieser Rechtsfigur lassen sich vor allem Probleme zum be-                        keine Erlaubnis3.
hördlichen Handeln durch Verwaltungsakt, zum Ermessen
und zur Einwirkung des Verfassungsrechts auf das Verwal-
tungsrecht aufzeigen. Ausgehend von der Rechtsprechung                      1. Abgrenzung zwischen Sondernutzung
werden nachfolgend ausbildungs- und prüfungsrelevante                          und Gemeingebrauch
Rechtsfragen behandelt.
                                                                            Die Benutzung der öffentlichen Straßen (Wege, Plätze)
                                                                            erfolgt durch »Gemeingebrauch«4 oder im Wege der »Son-
                                                                            dernutzung«. Nach positivem Recht ist Sondernutzung
I. Die »Sondernutzung« als                                                  die Benutzung einer Straße über den Gemeingebrauch
   verwaltungsrechtliches Institut                                          hinaus, und sie bedarf der Erlaubnis5. Gemeingebrauch
                                                                            ist die – erlaubnisfreie – Benutzung der Straßen im Rah-
     Fall 1: K betreibt in der Stadt S »BierBikes«; dies sind vierrädrige   men der Widmung und der (Straßen-)Verkehrsvorschrif-
     Fahrzeuge, die für bis zu 16 Personen Platz bieten, wobei sechs        ten; kein Gemeingebrauch liegt vor, wenn eine Straße
     quer zur Fahrtrichtung sitzende Personen Pedale tretend das
                                                                            nicht vorwiegend zum Zwecke des Verkehrs benutzt wird6.
     »BierBike« antreiben, während ein Mitarbeiter des K das Gefährt
     lenkt und bremst. Das »BierBike« ist mit einem Bierfass, einer         Diese Begriffsbestimmung gilt auch für dasjenige Landes-
     Zapfanlage und einer Musikanlage ausgestattet. Die Fahrt-              recht, das zur Definition des Gemeingebrauchs nicht aus-
     geschwindigkeit beträgt 6 km/h. Bedienstete der Stadt bereiten         drücklich auf den Verkehrszweck verweist; denn nach der
     eine Untersagungsverfügung vor und fragen K nach der Sonder-
     nutzungserlaubnis für die »rollende Partytheke«; K entgegnet, er
     brauche keine Erlaubnis, weil er mit seinem »Fahrrad« Stadt-           2 Fall nach OVG NW NJW 2005, 3162 = DÖV 2006, 125 = NWVBl 2006,
     rundfahrten veranstalte, also ganz normal am Straßenverkehr            58 → Schoch JK 3/06, StrWG NRW § 14/2.
     teilnehme1.                                                            3 Fall nach BVerwGE 84, 71 = NJW 1990 (m. Anm. Würkner) = JZ
                                                                            1990, 336 (m. Anm. Hufen) = DVBl 1990, 163 = DÖV 1990, 252; dazu
     Fall 2: Geschäftsführer A einer Getränkehandelsgesellschaft hat        Bespr. Goerlich JURA 1990, 415; ferner Heinz NVwZ 1991, 139.
     sein Kfz so umbauen lassen, dass dieses hinten einen geschlos-         4 Dazu Mager/Sokol JURA 2012, 913 ff.
     senen Aufbau hat, der über die Fahrgastzelle und die Ladefläche        5 § 16 I 1 StrG BW; Art. 18 I 1 BayStrWG; § 11 I BerlStrG; § 18 I 1 u. 2
     gezogen ist. An der Front, am Heck und an den Seiten des Kfz           BbgStrG; § 18 I 1 BremLStrG; § 19 I 1 u. 2 HbgWG; § 16 I 1 HessStrG; § 22
     sind Aufschriften für Werbezwecke angebracht. A hat das Kfz            I 1 StrWG MV; § 18 I 1 NdsStrG; § 18 I StrWG NW; § 41 I 1 LStrG RP; § 18
     mehrfach für etliche Wochen schräg zur Fahrbahn auf dem Park-          I 1 StrG SL; § 18 I 1 u. 2 SächsStrG; § 18 I StrG LSA; § 21 I 1 StrWG SH;
     streifen der X-Straße in der Stadt S abgestellt, so dass die Wer-      § 18 I 1 u. 2 ThürStrG. – Für die Bundesfernstraßen (Bundesautobah-
     bung von Verkehrsteilnehmern gut wahrgenommen werden                   nen, Bundesstraßen; § 1 I 1 u. II FStrG – Sartorius I 932) § 8 I 1 u. 2
     konnte. In der zuständigen Behörde von S wird überlegt, A nach         FStrG.
                                                                            6 § 13 I StrG BW; Art. 14 I BayStrWG; § 10 II 1 u. 3 BerlStrG; § 14 I 1
                                                                            BbgStrG; § 15 I BremLStrG; § 16 I HbgWG; § 14 S. 1 HessStrG; § 21 I
1 Fall nach BVerwG DVBl 2012, 1434 (m. Anm. Lund) = NVwZ 2012,              StrWG MV; § 14 I NdsStrG; § 14 I 1 u. III 1 StrWG NW; § 34 I 1 u. III LStrG
1623 = BayVBl 2013, 217 = NWVBl 2013, 20 → Schoch JK 6/13, StrWG            RP; § 14 I StrG SL; § 14 I 1 SächsStrG; § 14 I 1 StrG LSA; § 20 I StrWG
NW § 22/4.                                                                  SH; § 14 I ThürStrG; § 7 I 1 u. 3 FStrG.

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912           Repetitorium ÖR – Friedrich Schoch: Sondernutzung öffentlicher Straßen

Grundregel des (Landes-)Straßenrechts dienen öffentliche                rechtliche Zuordnung einer Tätigkeit bzw. eines Verhal-
Straßen (Wege, Plätze) dem öffentlichen Verkehr, so dass                tens vorgegeben werden«12.
der Verkehrsbezug des Gemeingebrauchs durch die Wid-                         Im Ergebnis sollen der erlaubnispflichtigen Sonder-
mung der Straße hergestellt wird7.                                      nutzung diejenigen Fallgestaltungen zugeordnet werden,
     Nach der Gesetzeslage ist eine »Sondernutzung« dem-                die den widmungsgemäßen Verkehr beeinträchtigen. Die
nach immer dann gegeben, wenn die Benutzung einer                       Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs als rechtliche
Straße nicht als »Gemeingebrauch« zu qualifizieren ist.                 Grenzziehung ist im Gesetzesrecht vorgezeichnet13: Die
Essentiell für den Gemeingebrauch ist der Verkehrsbezug.                den Gemeingebrauch übersteigende Benutzung von Stra-
Der Begriff Verkehr umfasst zunächst die verkehrstech-                  ßen richtet sich nach Bürgerlichem Recht, wenn die Benut-
nische Funktion der Straße und bezieht sich daher auf die               zung den Gemeingebrauch nicht beeinträchtigt14. Daraus
Benutzung der Straße zur Fortbewegung (Ortsverände-                     ergibt sich im Gegenschluss, dass für eine öffentlich-recht-
rung) unter Einschluss des »ruhenden Verkehrs«; eine                    lich zu beurteilende Sondernutzung der Gemeingebrauch
verkehrsbezogene Nutzung öffentlicher Flächen – jeden-                  tangiert sein muss. Eine tatsächliche Gefährdung der Aus-
falls im innerörtlichen Bereich und hier insbesondere in                übung des Gemeingebrauchs Dritter ist allerdings nicht
Fußgängerzonen sowie in verkehrsberuhigten Bereichen –                  gefordert; entscheidend ist, ob die Gemeingebrauchsnut-
wird seit geraumer Zeit zudem im »kommunikativen Ver-                   zung abstrakt beeinträchtigt wird15.
kehr« gesehen8. Dies ist eine Nutzung, »die den öffent-
lichen Straßenraum auch als Stätte der kommunikativen
Begegnung, der Pflege menschlicher Kontakte und des                     2. Typologie straßenrechtlicher
Informations- und Meinungsaustauschs begreift«9.                           Sondernutzungen
     Die Abgrenzung des (erlaubnisfreien) Gemeinge-
brauchs von der (erlaubnispflichtigen) Sondernutzung er-                Die Erscheinungsformen der »Sondernutzung« sind zahl-
folgt nach dem Zweck der Straßenbenutzung, bei meh-                     reich und kaum zu erfassen16. Hilfreich für die Gewinnung
reren Zwecken nach dem überwiegenden Zweck. Danach                      von Orientierungswissen sind die Bündelung vergleich-
soll es auf das objektive Verkehrsverhalten und nicht auf               barer Phänomene und die Bildung von Fallgruppen. Der
die (innere) Motivation der Straßenbenutzung ankom-                     folgende Überblick orientiert sich an besonders häufig vor-
men10. Allerdings könne ein äußerlich am Verkehr teilneh-               kommenden Sondernutzungen und an strittigen Zuord-
mendes Fortbewegungsmittel aus der Sicht eines objekti-                 nungen seitens der Rechtsprechung. Die Typologie weist
ven Beobachters durchaus eine verkehrsfremde Funktion                   auch Überschneidungen aus.
erfüllen11. Eine etwas andere Akzentuierung betont die
»Maßgeblichkeit des äußeren Erscheinungsbildes« aus
Gründen der Rechtssicherheit; es müssten »klare, ermittel-              a) Fahrten mit besonderer Zwecksetzung
bare und überprüfbare Anknüpfungspunkte für die wege-
                                                                        Öffentliche Straßen sind nach ihrer Zweckbestimmung
                                                                        dem Verkehr gewidmet. Die Widmung bezieht sich sowohl
                                                                        auf den Fußgängerverkehr als auch auf den Fahrzeug-
                                                                        verkehr. Wer mit einem Fahrzeug am Straßenverkehr teil-
7 VGH BW NVwZ 1998, 91; NVwZ-RR 2002, 740 (742); NVwZ-RR 2003,
238 (240) = VBlBW 2002, 297 (299) → Schoch JK 11/02, StrG BW § 16/2.
8 VGH BW NVwZ-RR 2002, 740 (742); NdsOVG NVwZ-RR 1996, 247
(248); vgl. ferner m. w. N. v. Danwitz in: Schoch (Hrsg.), Besonderes   12 OVG Hamburg DVBl 2012, 504 (506); ähnlich bereits OVG Ham-
Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2013, 7. Kap. Rdn. 65; ausf. Sauthoff Öf-   burg NJW 1996, 2051 (2052).
fentliche Straßen, 2. Aufl. 2010, Rdn. 301 ff.                          13 § 21 I StrG BW; Art. 22 I BayStrWG; § 23 I BbgStrG; § 19 BremLStrG;
9 So BVerwGE 84, 71 (73).                                               § 20 I HessStrG; § 30 I Nr. 1 StrWG MV; § 23 I NdsStrG; § 23 I StrWG
10 VGH BW NVwZ-RR 2002, 740 (743); NVwZ-RR 2003, 238 (241) =            NW; § 45 I LStrG RP; § 22 S. 1 StrG SL; § 23 I SächsStrG; § 23 I StrG LSA;
VBlBW 2002, 297 (301) → Schoch JK 11/02, StrG BW § 16/2; OVG Bln-       § 28 I 1 Nr. 1 StrWG SH; § 23 I ThürStrG; § 8 X FStrG.
Bbg BeckRS 2012, 48179 → Schoch JK 12/12, BlnStrG § 10/1; NdsOVG        14 Beispiele sind unterirdische Ver- und Entsorgungsrohre sowie
NVwZ-RR 1996, 247 (248); OVG NW NJW 2005, 3162 = DÖV 2006, 125          Kabelleitungen, ferner Hinweisschilder (Verkehrszeichen); vgl. Stahl-
(126) = NWVBl 2006, 58 (59) → Schoch JK 3/06, StrWG NRW § 14/2;         hut, in: Kodal, Straßenrecht, 7. Aufl. 2010, Kap. 28 Rdn. 3 und
OLG Düsseldorf NVwZ 1991, 206 (207) = JZ 1991, 49 = GewArch 1991,       Rdn. 12 ff.
158 (159).                                                              15 v. Danwitz in: BesVwR (Fn. 8) Rdn. 62; Sauthoff Öff. Straßen
11 OVG Bln-Bbg, Fn. 10; OVG NW GewArch 2012, 93 = NWVBl 2012,           (Fn. 8) Rdn. 358.
195 (196) → Schoch JK 5/12, StrWG NW § 22/2; OVG NW NVwZ-RR             16 Ein »ABC der Sondernutzungen« präsentiert Stuchlik GewArch
2012, 422 (423).                                                        2004, 143 (148 ff.).

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Repetitorium ÖR – Friedrich Schoch: Sondernutzung öffentlicher Straßen            913

nimmt, bewegt sich folglich im Rahmen der Widmung und                   b) Werbung im öffentlichen Verkehrsraum
übt Gemeingebrauch aus. Auf die Motive der Fortbewe-
gung im öffentlichen Verkehrsraum kommt es, wie er-                     Die Straßenwerbung für wirtschaftliche Zwecke ist weit
wähnt, nicht an. Folgerichtig hat das BVerwG (unter Hin-                verbreitet und tritt in ganz unterschiedlichen Erschei-
weis auf § 7 I FStrG) erklärt, aus welchen Motiven heraus               nungsformen auf22. Ein prominentes Beispiel stellen Pla-
eine Ortsveränderung zum Personen- oder Gütertransport                  katträger im öffentlichen Verkehrsraum dar; dazu ist
erfolge, sei gleichgültig; auch derjenige, »der spazieren-              nicht zweifelhaft, dass es sich um Sondernutzung handelt,
fährt oder abends planlos einen Wagen durch die Straßen                 da verkehrsfremde Zwecke verfolgt werden23. Beim Abstel-
steuert, strebt diese Ortsveränderung zum Zwecke des Per-               len eines Kfz zu Werbezwecken (z. B. mittels Reklame-
sonentransports an«17.                                                  tafel) wird differenziert: Ist das auf einer öffentlichen Ver-
     Dennoch ist entschieden worden, das Anbieten von                   kehrsfläche geparkte Kfz zugelassen und betriebsbereit,
Kutschfahrten auf einem Parkstreifen einer öffentlichen                 wird grundsätzlich eine Benutzung der Straße im Rahmen
Straße stelle eine straßenrechtliche Sondernutzung dar,                 des Gemeingebrauchs angenommen24. Etwas anderes soll
weil ein über die bloße Verkehrsteilnahme (Teilnahme am                 gelten, wenn ein Fahrzeug allein oder überwiegend zu
ruhenden Verkehr) hinausgehender Zweck (Anbieten einer                  einem anderen Zweck als der späteren Wiederinbetrieb-
Leistung in Form von Kutschfahrten) verfolgt werde; es sei              nahme geparkt werde; trotz einer scheinbar äußerlichen
unerheblich, dass die angebotene Leistung ihrerseits in                 Teilnahme am Straßenverkehr werde der Verkehrsraum zu
der Teilnahme an Verkehrsvorgängen bestehe18. Hier wird                 verkehrsfremden Zwecken (Werbung) in Anspruch genom-
der gewerbliche Zweck in den Vordergrund gerückt, der                   men, so dass eine Sondernutzung vorliege25. Zu dem be-
als verkehrsfremder Zweck den Gemeingebrauch aus-                       reits erwähnten Problem der Werbefahrten gilt, dass die
schließt19. Auf dieser Linie liegt auch eine Judikatur, die             regulär am Straßenverkehr teilnehmenden Firmenfahrzeu-
reine Werbefahrten mit einem Kleinlastfahrzeug (Werbe-                  ge mit Werbeaufschriften Gemeingebrauch ausüben, weil
tafeln auf der Ladefläche) als Sondernutzung qualifiziert,              die Werbung nur einen Nebenzweck darstellt; dient die
weil ausschließlich verkehrsfremde Zwecke verfolgt wür-                 Teilnahme am Straßenverkehr jedoch allein bzw. überwie-
den20.                                                                  gend der Werbung (»rollende Straßenwerbung«), wird ei-
                                                                        ne Sondernutzung angenommen26.
    In der Entscheidung zu Fall 1 hat das BVerwG die umstrittene
    Entscheidung der Vorinstanz21 bestätigt und den Betrieb des              In der Entscheidung zu Fall 2 hat das OVG festgestellt, dass das
    »BierBike« als erlaubnispflichtige Sondernutzung eingestuft. Ei-         Kfz des A zu Werbezwecken geparkt worden sei. Die spezielle
    ne Gesamtschau der äußerlich erkennbaren Merkmale aus der                Konstruktion und die auffälligen Werbeaufschriften erweckten
    Perspektive eines objektiven Betrachters ergebe, dass das »Bier-         den Eindruck einer »fahrenden Litfaßsäule«; die schräge Auf-
    Bike« vorwiegend nicht zur Teilnahme am Verkehr, sondern zu              stellung des Kfz spreche ebenfalls für einen Werbezweck. Die
    anderen Zwecken benutzt werde (»rollende Theke«, verkehrs-               Sondernutzung ergebe sich daher anhand objektiver Gegeben-
    fremde Sache).                                                           heiten und nicht etwa auf Grund der inneren Motivation des
                                                                             Sondernutzers.

Die Rechtsprechung wäre überzeugend(er), wenn sie sa-
gen könnte, worin die abstrakte Beeinträchtigung des Ge-                Für politische Werbung gilt bei der Abgrenzung zwischen
meingebrauchs liegt.                                                    Gemeingebrauch und Sondernutzung nichts anderes als

17 BVerwG MDR 1971, 608 (609).
18 NdsOVG NVwZ-RR 1998, 205 (206) = NdsVBl 1997, 280 (281); abl.        22 Überblick dazu bei Stahlhut in: Kodal (Fn. 14) Kap. 25 Rdn. 104 ff.
dazu OVG Hamburg NVwZ-RR 2010, 34 (36), das in seiner Entschei-         23 BVerwG NVwZ 1996, 1210; OLG Hamm NVwZ 1991, 205.
dung das Abstellen von Mietfahrrädern auf öffentlichen Wegeflächen      24 OVG NW NVwZ 2002, 218 = NWVBl 2001, 358 → Schoch JK 6/02,
(zulässiges Parken i. S. d. StVO) als Gemeingebrauch qualifiziert.      StrWG NW § 14/1. – Gegenspiel: OVG NW NVwZ-RR 2004, 885 = DÖV
19 Sauthoff Öff. Straßen (Fn. 8) Rdn. 296.                              2004, 800 = GewArch 2004, 350: Abstellen eines nicht zum Verkehr
20 OVG Bln-Bbg BeckRS 2012, 48179 → Schoch JK 12/12, BlnStrG            zugelassenen Kfz auf einer öffentlichen Verkehrsfläche als Sonder-
§ 10/1.                                                                 nutzung.
21 OVG NW GewArch 2012, 93 = NWVBl 2012, 195 → Schoch JK 5/12,          25 OVG NW NJW 2005, 3162 = DÖV 2006, 125 (126) = NWVBl 2006, 58
StrWG NW § 22/2; krit. Kümper/Milstein GewArch 2012, 180 ff. – Zu der   (59) → Schoch JK 3/06, StrWG NRW § 14/2; OLG Düsseldorf NVwZ
Thematik ferner Lund DVBl 2011, 339 ff.; ferner Fallbearbeitungen       1991, 206 (207) = JZ 1991, 49 = GewArch 1991, 158 (159); Smith NVwZ
Kobitzsch VBlBW 2012, 198 f. und 235 ff., sowie Schulz/Tallich NWVBl    2012, 1001 (1002).
2012, 199 ff.                                                           26 Stahlhut in: Kodal (Fn. 14) Kap. 25 Rdn. 110 f.

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914           Repetitorium ÖR – Friedrich Schoch: Sondernutzung öffentlicher Straßen

bei der Wirtschaftswerbung27. Erfolgt die politische Wer-                    In der Entscheidung zu Fall 3 hat das BVerwG erkannt, dass die
bung durch Plakatständer auf öffentlichen Verkehrsflä-                       Betätigung der B, auch wenn sie als Straßenkunst durch Art. 5 III
chen, liegt ohnehin eine Sondernutzung vor28.                                1 GG geschützt sein mag, als Sondernutzung zu qualifizieren ist35.
                                                                             Das Verhalten der B kann auch nicht als »kommunikativer Ver-
                                                                             kehr« anerkannt werden. Wer den öffentlichen Verkehrsraum
                                                                             mit Hilfsvorrichtungen und sonstigen Utensilien in Anspruch
c) Aufstellen von Hilfsvorrichtungen und Behältnissen                        nimmt, bewegt sich nicht mehr im Rahmen des Gemein-
                                                                             gebrauchs36. – Keine Aussage ist damit zu der Frage getroffen, ob
Generell kann gesagt werden, dass das Aufstellen von                         der Künstler einen Anspruch auf die Sondernutzungserlaubnis
                                                                             hat.
Hilfsvorrichtungen (z. B. Tische, Stühle, Bänke, Sonnen-
schirme, Zelte)29 und Behältnissen (z. B. Alttextilcontai-
ner, sonstige Wertstoffcontainer)30 im öffentlichen Ver-
kehrsraum eine Sondernutzung der Straße ist. Jedes                      d) Ansprechen von Passanten mit besonderer
Verbringen von Gegenständen auf die öffentliche Straße                     Zielsetzung
überschreitet den Gemeingebrauch und stellt eine erlaub-
nispflichtige Sondernutzung dar. Das gilt insbesondere für              Das in werbender Absicht (für eine Weltanschauung, für
Verkaufsstände31 und Informationsstände32. Politische                   eine politische Haltung, für ein Produkt etc.) erfolgende
Parteien genießen insoweit kein Privileg33. Auch die Kunst              Ansprechen und ggf. Anhalten von Passanten auf öffent-
kann für sich bei der Abgrenzung zwischen Gemein-                       lichen Straßen (insbesondere in Fußgängerzonen) wirft
gebrauch und Sondernutzung keine Sonderbehandlung                       oftmals schwierige Abgrenzungsfragen auf. Das unauf-
beanspruchen; frühzeitig ist geklärt worden, dass die – in              dringliche und unentgeltliche Verteilen von Handzetteln
Ausübung der Kunstfreiheit (Art. 5 III 1 GG) erfolgende –               (Faltblätter, Broschüren, Werbezettel etc.) und Zeit-
Aufstellung von Kunstgegenständen im Fußgängerbereich                   schriften – ohne Hilfsmittel – wird weithin als gemein-
einer Stadt straßenrechtlich als Sondernutzung zu qualifi-              gebräuchlicher kommunikativer Verkehr anerkannt37. Da-
zieren ist34.                                                           gegen sei das Verteilen politischer Schriften durch die
                                                                        Fahrbahn betretende Fußgänger an Kraftfahrer, die vor
                                                                        einer »Rot« zeigenden Lichtzeichenanlage halten, Sonder-
                                                                        nutzung; diese Zuordnung geböten die Sicherheit und
                                                                        Leichtigkeit des Verkehrs38.
27 Vgl. demgegenüber zur Einwirkung des Art. 21 I GG auf das Er-             Im Falle einer gezielten Ansprache zwecks Wer-
messen bei der Sondernutzungserlaubnis unten Text zu Fn. 114 ff.        bung (auch unter Einsatz von Handzetteln, Broschüren
28 NdsOVG NVwZ-RR 1993, 393; bestätigt durch BVerwG NVwZ-RR             etc.) soll der Gemeingebrauch überschritten sein; die Stra-
1995, 129.
                                                                        ße werde nicht mehr vorwiegend zum Verkehr genutzt,
29 VGH BW NVwZ-RR 1997, 677 (Imbissstand); VGH BW NVwZ-RR
1997, 679 = VBlBW 1997, 107 (Tische, Stühle, Sonnenschirme); VGH        auch nicht zum kommunikativen Verkehr, da diese Form
BW NVwZ-RR 2000, 837 = VBlBW 2000, 282 → Schoch JK 01, StrG BW          des Gemeingebrauchs das gezielte Ansprechen von be-
§ 16/1 und NVwZ-RR 2010, 164 = VBlBW 2010, 113 (Ständer für An-         stimmten Passanten in werbender Absicht im öffentlichen
sichtskarten); BayVGH NVwZ-RR 2003, 244 (Aufstellung von Zelten);       Verkehrsraum nicht mehr erfasse39. Auch das Verteilen
BayVGH BayVBl 2012, 147 (Sitzbänke); HessVGH NVwZ 1994, 189
                                                                        von Gratis-(Tages-)Zeitungen im Straßenraum sei als ge-
(Klapptisch); NdsOVG NVwZ-RR 1996, 244 (Tisch).
30 BayVGH NVwZ-RR 2000, 390 (Wertstoffcontainer für Ver-
packungsmaterial); OVG Bremen NVwZ-RR 1997, 385 (Altkleidersam-
melbehälter); NdsOVG NVwZ-RR 1998, 728 (Wertstoffsammelbehälter         35 Anders noch VGH BW NJW 1989, 1299 = DÖV 1989, 128 (m. Anm.
für Altglas, Altpapier, Metalle, Alttextilien); NdsOVG DVBl 2013, 454   Goerlich) = VBlBW 1989, 58: Art. 5 III 1 GG gebiete eine verfassungs-
(Container für Altkleider); OVG NW NVwZ-RR 1997, 384 = NWVBl            konforme Auslegung der Begriffe »Verkehr« und »Gemeingebrauch«.
1997, 269 und NVwZ-RR 2000, 429 = NWVBl 2000, 216 → Ehlers JK 11/       36 VGH BW GewArch 1992, 452 (mit der – im Fall verneinten – Ein-
00, StrWG NRW § 22/1 (Behälter für Alttextilien); VG Braunschweig       schränkung, die Verkehrsanschauung könne zur Qualifizierung von
KommJur 2009, 299 (Altkleider- und Schuhcontainer).                     Straßenkunst als Gemeingebrauch führen).
31 Überblick dazu bei Sauthoff Öff. Straßen (Fn. 8) Rdn. 296, sowie     37 BayVGH NVwZ-RR 1997, 258 = BayVBl 1996, 665; NVwZ-RR 2010,
Stahlhut in Kodal (Fn. 14) Kap. 25 Rdn. 97.                             830 (831) = BayVBl 2011, 176 → Schoch JK 5/11, BayStrWG Art. 18/5;
32 Instruktiv OVG NW NWVBl 2007, 64 → Schoch JK 7/07, StrWG             NdsOVG NVwZ-RR 1996, 247 (248); OLG Stuttgart NJW 1976, 201 (203);
NRW § 18/1.                                                             Stahlhut in: Kodal (Fn. 14) Kap. 25 Rdn. 113 und Rn. 115.2. – Ausdrück-
33 BVerwG DÖV 1981, 226; VGH BW VBlBW 1987, 310; OVG SL LKRZ            lich: § 18 II 1 BremLStrG.
2009, 313; OVG SH NVwZ 1992, 70.                                        38 BayObLG DÖV 2002, 829.
34 BVerwG DÖV 1981, 342. – Zur Veranstaltung von Straßenmusik           39 BVerwGE 35, 326 (329); OVG Hamburg DÖV 1992, 37; NdsOVG
als Sondernutzung BVerwG NJW 1987, 1836.                                NVwZ-RR 1996, 247 (248); NVwZ-RR 2004, 884 → Ehlers JK 7/05, GG

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Repetitorium ÖR – Friedrich Schoch: Sondernutzung öffentlicher Straßen           915

werbliche Betätigung Sondernutzung, falls durch die Ver-                 3. Folgen der Qualifizierung einer
gütungen von Anzeigekunden Gewinn erzielt werden sol-                       Straßennutzung als Sondernutzung
le40. Das BVerfG41 hat indes – allerdings in einer singulär
gebliebenen Entscheidung – erkannt, das Verteilen von                    Die Qualifizierung der Benutzung einer Straße als »Son-
Flugblättern, Broschüren etc. in Fußgängerzonen, ver-                    dernutzung« ist folgenreich. Diese Kategorisierung löst zu-
kehrsberuhigten Zonen und auf innerörtlichen Gehwegen                    nächst eine Erlaubnispflicht aus; auf die Erteilung der
sei als Gemeingebrauch zu qualifizieren, weil der Schutz                 Sondernutzungserlaubnis besteht gesetzlich kein An-
der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs nicht generell              spruch, die zuständige Behörde entscheidet vielmehr nach
einen Erlaubnisvorbehalt42 rechtfertige; diese Begründung                pflichtgemäßem Ermessen (s. u. II. 2.). Ferner kann die
ist zwar unzutreffend43, hören lässt sich jedoch die zusätz-             Sondernutzung – im Unterschied zum grundsätzlich kos-
liche Erwägung, dass bei einer kaum merklichen Beein-                    tenfreien Gemeingebrauch52 – eine Gebühr nach sich zie-
trächtigung des Gemeingebrauchs44 im Einzelfall eine Son-                hen (dazu IV.). Die unerlaubte Sondernutzung kann zu
dernutzung zu verneinen sein kann45.                                     verschiedenen Konsequenzen führen; einerseits wird der
     Zielt das Ansprechen von Passanten nach den er-                     Verwaltung die Befugnis eingeräumt, die illegale Sonder-
kennbaren Umständen auf ein Verkaufsgeschäft, liegt                      nutzung hoheitlich und notfalls zwangsweise zu been-
stets eine Sondernutzung vor46. Das gilt für Druckerzeug-                den, andererseits ist eine Ordnungswidrigkeit festzustel-
nisse jeglicher Art47. Das BVerfG hat die Qualifizierung des             len, die mit einer Geldbuße geahndet werden kann (V.).
Straßenverkaufs von Sonntagszeitungen durch ambulante
Straßenverkäufer als Sondernutzung akzeptiert48. Erfolgt
der Zeitungsverkauf mit Hilfe eines Zeitungsentnahme-                    a) Erlaubnisvorbehalt
gerätes, liegt schon auf Grund der Aufstellung des Zei-
tungsautomaten im öffentlichen Verkehrsraum Sonder-                      Im Zentrum der rechtlichen Probleme steht der straßenge-
nutzung vor49. Auch das Ansprechen und Fotografieren                     setzliche Erlaubnisvorbehalt53. Soweit die Benutzung der
von Besuchern eines öffentlichen Platzes durch einen Ani-                Straße Ausdruck einer grundrechtlich (an sich) geschütz-
mateur in der Absicht, die Fotos an die Besucher zu ver-                 ten Freiheitsbetätigung ist54, erschwert das Erfordernis,
kaufen, ist als Sondernutzung eingestuft worden50. Dassel-               zuvor eine behördliche Erlaubnis einzuholen, die Grund-
be gilt für den gewerblichen Verkauf von Nikolausmützen                  rechtsausübung; rechtsdogmatisch liegt in dieser Beein-
aus einem Bauchladen in einem Fußgängerbereich einer                     trächtigung ein Grundrechtseingriff55. Dieser Eingriff ist
Innenstadt51.                                                            allerdings verfassungsrechtlich gerechtfertigt, weil er das
                                                                         Übermaßverbot wahrt und das behördliche Kontrollver-
                                                                         fahren (s. u. II. 1.) auch dem Schutz der Grundrechte
                                                                         Dritter dient: Die Notwendigkeit, eine Erlaubnis für die

Art. 4 I/32; BayObLG NVwZ 1998, 104; abl. zu dieser Rspr. Stahlhut in:
Kodal (Fn. 14) Kap. 25 Rdn. 113.                                         52 Vgl. dazu Mager/Sokol JURA 2012, 913 (918), mit Hinweisen zu
40 BayVGH NVwZ-RR 2000, 726 = BayVBl 2000, 408 → Schoch JK 9/            Ausnahmen (Maut, Autobahnbenutzungsgebühr, Parkgebühr).
00, BayStrWG Art. 18/2.                                                  53 Vgl. dazu Nachw. oben Fn. 5.
41 BVerfG-K NVwZ 1992, 53 = BayVBl 1992, 83; dazu Bespr. Enders          54 Zu Art. 4 I, II GG (Aktivitäten von Religions- und Weltanschau-
VerwArch 83 (1992), 527 ff., sowie Lorenz JuS 1993, 375 ff.              ungsgemeinschaften) BVerwG NJW 1997, 408; VGH BW NVwZ-RR
42 Dazu Einzelheiten unten II. 1.                                        2002, 740 (744); BayVGH NVwZ-RR 2003, 244 (245); VG Berlin NJW
43 Vgl. die Entscheidung des BVerfG zu Fall 4.                           1989, 2559. – Zu Art. 5 I 1 GG BVerwGE 56, 63 (66 f.): Aufstellen von
44 Zum Erfordernis einer abstrakten Beeinträchtigung der Ausübung        Informationsständen; VGH BW NVwZ-RR 2003, 238 (243) = VBlBW
des Gemeingebrauchs vgl. Nachw. o. Fn. 15.                               2002, 297 (303) → Schoch JK 11/02; StrG BW § 16/2: Verteilung von
45 Dies deckt sich mit der in Fn. 37 nachgewiesenen Auffassung.          Handzetteln und Broschüren; OVG Hamburg DÖV 1992, 37: Verteilung
46 Sauthoff Öff. Straßen (Fn. 8) Rdn. 297; Stahlhut in: Kodal (Fn. 14)   von Prospekten. – Zu Art. 5 III 1 GG BVerwG DÖV 1981, 342: Aufstel-
Kap. 25 Rdn. 99, 100.                                                    lung von Kunstgegenständen in der Fußgängerzone; VGH BW NJW
47 VGH BW NVwZ 1998, 91; NVwZ-RR 2002, 740 (743); NVwZ-RR                1987, 1839 (1842) = VBlBW 1987, 137 (141): Straßenmusik; ferner die
2003, 238 (240 f.) = VBlBW 2002, 297 (300 f.) → Schoch JK 11/02, StrG    Entscheidung zu Fall 3. – Zu Art. 9 I GG BayVGH NVwZ-RR 2010, 830
BW § 16/2.                                                               = BayVBl 2011, 176 → Schoch JK 5/11, BayStrWG Art. 18/5: Spenden-
48 BVerfG-K NVwZ 2007, 1306 = AfP 2007, 437 → Schoch JK 3/08, GG         sammlung und Mitgliederwerbung durch gemeinnützigen Verein in
Art. 5 I 2/32. – Näher dazu unten Fall 4.                                Fußgängerzone. – Zu Art. 12 I GG VG Karlsruhe GewArch 2005, 39
49 BayVGH NVwZ-RR 2002, 782; OVG LSA LKV 2002, 335.                      (41): Straßenhandel mit einem Bauchladen in Fußgängerzone.
50 OVG LSA LKV 2001, 45 (46).                                            55 BVerfG-K NVwZ 2007, 1306 = AfP 2007, 437 (439) → Schoch JK 3/
51 VG Karlsruhe GewArch 2005, 39 (40).                                   08, GG Art. 5 I 2/32.

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916           Repetitorium ÖR – Friedrich Schoch: Sondernutzung öffentlicher Straßen

Sondernutzung einzuholen, stellt eine verhältnismäßige                  stände (§ 46 I 1 Nr. 8 StVO)62 und für ein nach § 33 I 1 Nr. 2
Belastung des Grundrechtsträgers dar, weil die Freiheits-               StVO verbotenes Warenangebot auf der Straße (§ 46 I 1
beeinträchtigung gering ist; zudem ist die Erlaubnispflicht             Nr. 9 StVO)63. In derartigen Fällen bedarf es keiner –
nur eine formale Schranke, die über die Zulässigkeit der                zusätzlichen – straßenrechtlichen Sondernutzungserlaub-
beabsichtigten Sondernutzung nichts aussagt56. Auf der                  nis.
anderen Seite ist der störungsfreie Gemeingebrauch (unter                    Die Verfahrenskonzentration begründet – nach
Einschluss des Anliegergebrauchs) der Verkehrsteilneh-                  außen – die alleinige Zuständigkeit der Straßenver-
mer durch Art. 2 I, 3 I, 14 I GG gewährleistet57. Diese Grund-          kehrsbehörde64. Die straßengesetzlichen Vorschriften65
rechte Dritter vermögen auch vorbehaltlos normierten                    schreiben jedoch vor, dass die an sich für die Sonder-
Grundrechten des Sondernutzers (z. B. Art. 4 I u. II, 5 III 1           nutzungserlaubnis zuständige Behörde vor der straßen-
GG) Schranken zu ziehen. Das BVerfG hat bestätigt, dass                 verkehrsrechtlichen Entscheidung zu hören ist; zudem
der Erlaubnisvorbehalt im Straßenrecht legitimen Zwe-                   müssen von der Straßen(bau)behörde geforderte Bedin-
cken (Wahrung der Sicherheit und Leichtigkeit des Ver-                  gungen, Auflagen und Sondernutzungsgebühren dem An-
kehrs, Ausgleich konfligierender Nutzerinteressen) dient,               tragsteller in der Erlaubnis oder Ausnahmegenehmigung
zur Zielerreichung geeignet und erforderlich ist und wegen              nach der StVO auferlegt werden.
des verhältnismäßig geringen Aufwands für einen entspre-                     Der Vorrang einer Zulassung nach der StVO gegenüber
chenden Antrag auf Erlaubniserteilung keine unangemes-                  der Sondernutzungserlaubnis greift nicht erst dann ein,
sene Belastung darstellt58.                                             wenn jene Zulassung erteilt worden ist; es genügt, dass
                                                                        eine Erlaubnis oder eine Ausnahmegenehmigung der Stra-
                                                                        ßenverkehrsbehörde objektiv »erforderlich« ist66. In die-
b) Vorrang spezieller Erlaubnistatbestände                              sem Punkt ist der Wortlaut der einschlägigen Bestimmun-
                                                                        gen67 eindeutig und eröffnet keinen Auslegungsspielraum.
Eine straßenrechtliche Sondernutzung kann zugleich stra-
ßenverkehrsrechtlich erheblich sein und einer besonderen
Zulassung bedürfen. Für derartige Fallgestaltungen ist ei-              c) Privilegierung von Versammlungen
ne Konzentrationswirkung vorgesehen: Falls nach Stra-
ßenverkehrsrecht eine Erlaubnis für eine übermäßige                     Öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel sind
Straßenbenutzung oder eine Ausnahmegenehmigung er-                      anmeldepflichtig (§ 14 VersG), aber nicht erlaubnispflich-
forderlich ist, bedarf es keiner straßenrechtlichen Sonder-             tig (vgl. Art. 8 I GG). Folglich bedarf die Durchführung
nutzungserlaubnis59. So benötigen »stationäre« Veranstal-               einer Versammlung im öffentlichen Verkehrsraum weder
tungen (d. h. Verbringen von Gegenständen – Tische,                     einer straßenrechtlichen Sondernutzungserlaubnis noch
Bänke etc. – auf die Straße), bei denen Straßen mehr als                einer straßenverkehrsrechtlichen Erlaubnis68. Die recht-
verkehrsüblich in Anspruch genommen werden, eine stra-                  liche Steuerung des Versammlungsgeschehens obliegt der
ßenverkehrsrechtliche Erlaubnis nach § 29 II StVO60. Aus-               zuständigen Versammlungsbehörde; insbesondere § 29 II
nahmegenehmigungen gemäß § 46 StVO kommen z. B. in                      StVO ist wegen des Vorrangs der §§ 14, 15 VersG nicht
Betracht für ein nach § 29 I StVO verbotenes Rennen (§ 46               anwendbar69. In der Sache überwacht die Versammlungs-
II StVO)61, für i. S. d. § 32 I StVO unzulässige Informations-          behörde die Einhaltung der straßenverkehrsrechtlichen
                                                                        Vorschriften und damit die Sicherheit und Leichtigkeit des

56 BVerwGE 84, 71 (76, 78) = NJW 1990, 2011 (2012).                     62 VGH BW VBlBW 2005, 391.
57 BVerwG NJW 1997, 408; VG Berlin NJW 1989, 2559; Sauthoff Öff.        63 BVerwGE 94, 234 = NJW 1994, 1082 = DVBl 1994, 347; HessVGH
Straßen (Fn. 8) Rdn. 324; Stahlhut in: Kodal (Fn. 14) Kap. 25 Rdn. 6.   NVwZ-RR 1992, 3 = DÖV 1992, 38; VG Karlsruhe GewArch 2005, 39
58 BVerfG-K NVwZ 2007, 1306 (1307) = AfP 2007, 437 (439 f.) →           (41).
Schoch JK 3/08, GG Art. 5 I 2/32.                                       64 HessVGH NVwZ-RR 1992, 2; Sauthoff Öff. Straßen (Fn. 8) Rdn. 393.
59 § 16 VI StrG BW; Art. 21 BayStrWG; § 19 BbgStrG; § 18 III            65 Vgl. zum folgenden Text Satz 2 u. Satz 3 der in Fn. 59 nachgewie-
BremLStrG; § 16 VII HessStrG; § 22 VII StrWG MV; § 19 NdsStrG; § 21     senen Vorschriften.
StrWG NW; § 41 VII LStrG RP; § 18 VII StrG SL; § 19 SächsStrG; § 19     66 BVerwGE 94, 234 (236) = NJW 1994, 1082 = DVBl 1994, 347;
StrG LSA; § 21 VI StrWG SH; § 19 ThürStrG; § 8 VI FStrG.                Sauthoff in: Müller/Schulz, FStrG, 2008, § 8 Rdn. 68.
60 BVerwGE 82, 34 = NJW 1989, 2411 = DVBl 1989, 995 = DÖV 1989,         67 Vgl. Satz 1 der in Fn. 59 nachgewiesenen Vorschriften.
1038.                                                                   68 Sauthoff Öff. Straßen (Fn. 8) Rdn. 391; Stahlhut in: Kodal (Fn. 14)
61 BVerwGE 104, 154 = NVwZ 1998, 1300; NdsOVG DVBl 1996, 1441;          Kap. 27 Rdn. 53.
OVG NW NVwZ-RR 1997, 4.                                                 69 BVerwGE 82, 34 (39 f.) = NJW 1989, 2411.

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Repetitorium ÖR – Friedrich Schoch: Sondernutzung öffentlicher Straßen                     917

Verkehrs auf der Grundlage des Gesetzesmerkmals »öf-                         ter Hinweis auf die vom Stadtrat beschlossenen »Richtlinien für
fentliche Sicherheit« (§ 15 I u. III VersG).                                 gewerbliche Sondernutzungen im Fußgängerbereich Altstadt«
    Besondere Rechtsprobleme stellen sich in Bezug auf                       abgelehnt. Danach soll das Erscheinungsbild der Straßen und
                                                                             Plätze im »Fußgängerbereich Altstadt« in erster Linie durch den
Bundesautobahnen. Diese sind gesetzlich nur dem
                                                                             Fußgängerverkehr und im Übrigen durch Kommunikation und
Schnellverkehr mit Kraftfahrzeugen gewidmet (§ 1 III 1                       städtebauliche Tradition (Bewahrung des historischen Altstadt-
FStrG). Danach darf auf einer Bundesautobahn kein Fuß-                       bildes) bei gleichzeitiger Vermeidung eines »touristischen An-
gängerverkehr und kein Verkehr mit nicht motorisierten                       strichs« (»Drosselgasse«) bestimmt sein. T fragt, ob derartige
Fahrzeugen stattfinden70. Dennoch hat der HessVGH eine                       Erwägungen ihren geschäftlichen Interessen entgegengehalten
                                                                             werden können74.
Fahrraddemonstration auf der A 44 für zulässig erklärt;
straßenrechtlich könne das Befahren der Autobahn mit
                                                                             Fall 6: Der Tierschutzverein V e. V. beantragt bei der Stadt S für
Fahrrädern als Sondernutzung zugelassen (§ 8 I 1 u. 2                        das übernächste Wochenende eine Sondernutzungserlaubnis
FStrG), und straßenverkehrsrechtlich dürfe das Befahrens-                    für einen Informationsstand in der Fußgängerzone in der Innen-
verbot (§ 18 I StVO) bzw. das Betretensverbot (§ 18 IX StVO)                 stadt zur Information der Bevölkerung über in Not geratene Tiere
gemäß § 29 II 1 StVO erlaubt werden71. Überzeugend ist das                   und zwecks Mitgliederwerbung. S erteilt die Erlaubnis mit der
                                                                             Einschränkung, dass Fördermitgliedschaften nicht abgeschlos-
kaum. § 29 II 1 StVO erfasst nur Veranstaltungen, die die
                                                                             sen werden dürfen; es sei gängige Verwaltungspraxis, dass für
Straße innerhalb des Widmungszwecks mehr als verkehrs-                       geschäftsanbahnende Tätigkeiten keine Erlaubnis erteilt werde,
üblich in Anspruch nehmen; der Dispens von dem Befah-                        weil die Bevölkerung vor voreiligen Vertragsabschlüssen auf
rens- bzw. Betretensverbot (§ 18 I u. IX StVO) bedarf einer                  Grund der Überrumplungssituation geschützt werden müsse. V
Ausnahmegenehmigung nach § 46 I 1 Nr. 2 StVO. Vor                            fragt nach der Rechtmäßigkeit dieser Einschränkung der Erlaub-
diesem Hintergrund kann die auf Grund der Verfahrens-                        nis75.

konzentration mit den straßenverkehrsrechtlichen Fragen
befasste Versammlungsbehörde eine geplante Fahrrad-                     Zuständig für die Erteilung einer Sondernutzungserlaub-
demonstration auf der Autobahn ermessensfehlerfrei ge-                  nis ist – je nach landes-/bundesrechtlicher Regelung – die
mäß § 15 I VersG untersagen, wenn die straßenverkehrs-                  Straßenbaubehörde (für Ortsdurchfahrten die Gemeinde,
rechtlichen Wertungen (§§ 18 I u. IX, 46 I 1 Nr. 2 StVO)                falls diese nicht ohnehin Straßenbaubehörde ist)76 bzw.
hinreichend in Rechnung gestellt werden72.                              der Träger der Straßenbaulast (für Ortsdurchfahrten die
                                                                        Gemeinde, falls diese nicht ohnehin Träger der Straßen-
                                                                        baulast ist)77. Mitunter sehen die Gesetze auch noch die
                                                                        Zustimmung anderer Behörden vor.
II. Entscheidung über die
    Sondernutzungserlaubnis
                                                                        1. Funktion und Bedeutung des
    Fall 4: L ist Teil des Vertriebswerks des AS-Verlages für Sonn-        Erlaubnisvorbehalts
    tagszeitungen und liefert derartige Zeitungen an ambulante Stra-
    ßenverkäufer, die die Zeitungen aus mitgeführten Tragetaschen
    an Passanten verkaufen. Die zuständige Behörde teilt L mit, dass
                                                                        Rechtsdogmatisch sind die gesetzlichen Erlaubnistat-
    der Straßenverkauf als Sondernutzung erlaubnispflichtig sei. L      bestände als präventives Verbot mit Erlaubnisvor-
    meint, das Grundrecht der Pressefreiheit stehe einer gesetzlichen   behalt ausgestaltet78. Die Statuierung der (formalen)
    Erlaubnispflicht, falls diese eine behördliche Ermessensent-        Erlaubnispflicht besagt nicht etwa, dass die erlaubnis-
    scheidung vorsehe, entgegen und bittet um eine Auskunft zur
    Rechtslage73.

                                                                        74 Fall nach VGH BW NVwZ-RR 2000, 837 = VBlBW 2000, 282 →
    Fall 5: T betreibt in der Fußgängerzone der historischen Altstadt
                                                                        Schoch JK 01, StrG BW § 16/1.
    der Stadt S einen Taschenbuchladen. T möchte außerhalb ihres
                                                                        75 Fall nach BayVGH NVwZ-RR 2010, 830 = BayVBl 2011, 176 →
    Ladens rechts und links neben der Ladentür unmittelbar vor der
                                                                        Schoch JK 5/11, BayStrWG Art. 18/5.
    Hauswand des Gebäudes einen Ständer für Ansichtskarten auf-
                                                                        76 § 16 II StrG BW; Art. 18 I BayStrWG; § 11 I BerlStrG; § 18 I 1 u. 2
    stellen. Die von T beantragte Sondernutzungserlaubnis wird un-
                                                                        BbgStrG; § 16 I 1 u. § 17 I HessStrG; § 18 I 2 u. 3 StrWG NW; § 41 I LStrG
                                                                        RP; § 18 I 1 StrG SL; § 18 I 1 u. 2 SächsStrG; § 18 I 1 u. 2 StrG LSA; § 18 I 2
                                                                        u. 3 ThürStrG; § 8 I 2 u. 3 FStrG.
70 Sauthoff in: Müller/Schulz (Fn. 66) § 1 Rdn. 18.                     77 § 22 I 1 StrWG MV; § 18 I 2 NdsStrG; § 21 I 1 u. 2 StrWG SH. – In
71 HessVGH NJW 2009, 312 (313) = DVBl 2008, 1322 (1323).                Bremen entscheidet die Ortspolizeibehörde, § 18 IV 1 LStrG; in Ham-
72 Schoch JK 3/09, GG Art. 8/26.                                        burg ist die Wegeaufsichtsbehörde zuständig, § 19 I 2 WG.
73 Fall nach BVerfG-K NVwZ 2007, 1306 = AfP 2007, 437 → Schoch          78 OVG NW NWVBl 2007, 64 (65) → Schoch JK 7/07, StrWG NRW
JK 3/08, GG Art. 5 I 2/32.                                              § 18/1; ThürOVG ThürVBl 2001, 109 (110) → Schoch JK 10/01,

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918           Repetitorium ÖR – Friedrich Schoch: Sondernutzung öffentlicher Straßen

pflichtige Tätigkeit an sich (materiell) verboten ist; mit der         Form des Erlaubnisverfahrens86. Anschaulich ist davon
Rechtsausübung darf allerdings erst begonnen werden,                   gesprochen worden, das der Sondernutzungserlaubnis
wenn die Rechtmäßigkeit der beabsichtigten Benutzung                   vorgeschaltete Verwaltungsverfahren diene der Präventiv-
des öffentlichen Straßenraums in einem Verwaltungsver-                 steuerung87.
fahren geprüft und festgestellt worden ist79. Im Regelfall
stellt die Sondernutzungserlaubnis einen mitwirkungs-
bedürftigen Verwaltungsakt (VA) dar; er wird nur auf An-               2. Ermessensentscheidung der Behörde
trag des Sondernutzers erteilt80. Der Erlaubnis wird nicht
die Qualität eines VA mit Drittwirkung attestiert, weil die            a) Verfassungsmäßigkeit der Ermessensnormen
Bestimmungen zur Erteilung der Sondernutzungserlaub-
nis grundsätzlich keinen Drittschutz vermittelten81. Die               Auf die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis besteht
Erlaubnis für eine Sondernutzung des öffentlichen Ver-                 kein Anspruch88. Die einschlägigen Gesetzesbestimmun-
kehrsraums kann auch durch einen verwaltungsrecht-                     gen normieren keine gebundene Verwaltungsentschei-
lichen Vertrag (§§ 54 ff. VwVfG) eingeräumt werden82; die-             dung. Folglich entscheidet die zuständige Behörde nach
se Form des Verwaltungshandelns wird insbesondere bei                  pflichtgemäßem Ermessen über den Antrag89. Tat-
der Erlaubnis zur werbemäßigen Nutzung öffentlicher                    bestandlich sind keine (materiellen) Voraussetzungen für
Straßen, Wege und Plätze für Werbeanlagen gewählt                      die Erteilung oder Versagung der Erlaubnis statuiert. Ein-
(»Werbenutzungsvertrag«)83.                                            zige Voraussetzung ist, dass kein Gemeingebrauch vor-
     In der Sache dient das Verwaltungsverfahren zunächst              liegt; für dessen Ausübung wird eine behördliche Zulas-
der behördlichen Überprüfung möglicher Auswirkungen                    sung nicht benötigt (I. 1.). Kann die zuständige Behörde
einer Sondernutzung auf die Straße und den Verkehr. Zu                 indes allein nach Ermessen entscheiden, stellen sich aus
verhindern sind etwaige Beschädigungen und Verschmut-                  dem Blickwinkel des Grundrechtsschutzes und des Be-
zungen der Fahrbahn; abzuwehren sind sodann Beein-                     stimmtheitsgebots Fragen zur Verfassungsmäßigkeit der
trächtigungen der Sicherheit und Leichtigkeit des Ver-                 einschlägigen Gesetzesbestimmungen.
kehrs, dem die Straße schließlich gewidmet ist84.
Unabhängig davon kommt es nicht selten zu einem Zu-                        In der Fall 4 zu Grunde liegenden Entscheidung hat das BVerfG
sammentreffen unterschiedlicher und manchmal sogar ge-                     die Verfassungsmäßigkeit der einschlägigen Regelung(en) be-
                                                                           stätigt. Der Begriff »pflichtgemäßes Ermessen« erlaube eine Aus-
genläufiger Nutzungsinteressen verschiedener Straßenbe-
                                                                           legung in dem Sinne, dass der Anspruch auf die Erlaubnisertei-
nutzer; insoweit ist ein Interessenausgleich zu schaffen,                  lung bestehe, wenn die Versagung nicht zur Erreichung der
der der Sondernutzungserlaubnis eine Ausgleichs- und                       Gesetzesziele (Schutz der Straße, Wahrung der Sicherheit und
Verteilungsfunktion zuweist85. Die Gefahr der Kollision                    Leichtigkeit des Verkehrs, Ausgleich unterschiedlicher Nutzer-
der Grundrechtsausübung verschiedener Straßenbenutzer                      interessen) erforderlich und unter Berücksichtigung des Grund-
rechtfertigt und verlangt eine behördliche Kontrolle in                    rechtsschutzes angemessen sei. Das behördliche Ermessen be-
                                                                           schränke sich auf Fälle, in denen entweder die Sondernutzung
                                                                           nicht den grundrechtsrelevanten Bereich betreffe oder in denen
                                                                           trotz Grundrechtsbeeinträchtigung ein Versagungsgrund beste-
ThürStrG § 18 I/1; Stuchlik GewArch 2004, 143 (146); v. Danwitz in:
                                                                           he; dann könne die Behörde die Erteilung der Erlaubnis ableh-
BesVwR (Fn. 8) 7. Kap. Rdn. 63.
                                                                           nen.
79 OVG SH NVwZ 1992, 70.
80 VGH BW NVwZ-RR 1990, 225.
81 BayVGH NVwZ-RR 2004, 886 (887) = BayVBl 2004, 533 → Schoch
JK 1/05, BayStrWG Art. 18/3. – Zu möglichen Ausnahmen BayVGH
BayVBl 2008, 276 Tz. 15 → Schoch JK 9/08, BayStrWG Art. 18/4:
Erlaubnis zur Aufstellung eines Baugerüsts beeinträchtigt Nutzungs-
recht eines Anliegers (benachbartes Café); ähnlich BayVGH GewArch
2010, 420 Tz. 37.
82 v. Danwitz in: BesVwR (Fn. 8), 7. Kap. Rdn. 63, 64; Sauthoff Öff.
Straßen (Fn. 8) Rdn. 358.                                              86 BVerwG DÖV 1981, 342; VGH BW NJW 1987, 1839 (1842) = VBlBW
83 Aus der Praxis z. B. VGH BW NVwZ 1993, 903; NdsOVG NdsVBl           1987, 137 (141).
1994, 38.                                                              87 OVG SH NVwZ 1992, 70.
84 So bereits BVerwGE 35, 326 (330 f.).                                88 BVerwGE 35, 326 (330); OVG Bremen NVwZ-RR 1997, 385 (386). –
85 BVerwG DÖV 1981, 226; BVerwGE 84, 71 (75 f.) = NJW 1990, 2011       Ausdrücklich: § 19 I 3 HbgWG.
(2012); VGH BW NJW 1987, 1836 (1837); NdsOVG NVwZ-RR 1996, 244         89 Ausdrücklich angeordnet durch § 16 II 1 StrG BW; § 18 II 3
(245); OVG NW NVwZ 1988, 269 (270); VG Karlsruhe GewArch 2005, 39      BbgStrG; § 18 IV 1 BremLStrG; »kann«-Regelung in § 19 I 4 HbgWG;
(41).                                                                  »soll«-Regelungen indes gem. § 11 II 1 u. 2 BerlStrG.

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Repetitorium ÖR – Friedrich Schoch: Sondernutzung öffentlicher Straßen          919

b) Zweck des Ermessens: Berücksichtigung                                Straßen oder Plätze, Abwehr einer wochenlangen Ver-
   straßenrechtlicher Belange                                           schandelung und Verschmutzung des Stadtbildes etwa
                                                                        durch wildes Plakatieren) eine große Bedeutung im Rah-
Für die Beurteilung der rechtsfehlerfreien Betätigung des               men des behördlichen Ermessens zu97. Die Rechtspre-
behördlichen Ermessens gilt § 40 (L)VwVfG90. Bei der Ent-               chung akzeptiert städtebauliche Ermessenserwägungen
scheidung über die Erteilung der Sondernutzungserlaub-                  zum Schutz eines bestimmten Straßen- und Ortsbildes,
nis sind zunächst die inneren Ermessensgrenzen91 ein-                   sofern diese wirklich einen Bezug zur Straße haben98. Ver-
zuhalten92. Sie ergeben sich aus dem Zweck der                          langt wird allerdings ein städtebauliches Konzept, damit
Ermächtigung. Unter Rückgriff auf die Funktion des Er-                  entsprechende Erwägungen im Rahmen des behördlichen
laubnisvorbehalts (s. o. II. 1.) besteht Einigkeit darüber,             Ermessens willkürfrei umgesetzt werden können99. Ein
dass sich die Ermessensbetätigung an straßenrechtlichen                 derartiges Konzept beruht häufig auf verwaltungsinternen
Belangen orientieren muss93. Das sind nur solche Gesichts-              Richtlinien. Sofern, wie dies in der Regel der Fall ist, die
punkte, die einen sachlichen Bezug zur Straße aufweisen:                Zuständigkeit für die Entscheidung über die Sondernut-
Schutz des Straßenkörpers und Gewährleistung eines stö-                 zungserlaubnis bei einer Kommune (Stadt, Gemeinde)
rungsfreien Gemeingebrauchs (d. h. straßenrechtliche Be-                liegt, müssen die Richtlinien von der kommunalen Ver-
lange im engeren Sinne) sowie mit dem Widmungszweck                     tretungskörperschaft (Gemeinderat) beschlossen worden
der Straße noch in einem engen Zusammenhang stehende                    sein; andernfalls ist die auf derartige Richtlinien gestützte
Belange94. Darüber hinausgehende Ermessenserwägun-                      Ablehnung einer Sondernutzungserlaubnis ermessensfeh-
gen (z. B. ordnungsrechtlicher Natur) sind von dem Zweck                lerhaft100.
der Ermächtigung nicht mehr gedeckt95. Etwas anderes gilt
nur, wenn das positive Recht dies ausdrücklich zulässt96.                   In der Entscheidung zu Fall 5 hat der VGH BW anerkannt, dass
    In der Praxis kommt bei den straßenrechtlichen Belan-                   die Ablehnung der von T beantragten Sondernutzungserlaubnis
                                                                            auf städtebauliche Erwägungen gestützt werden durfte (Schutz
gen im weiteren Sinne vor allem städtebaulichen Erwä-
                                                                            des Ortsbildes). Ein konkretes Gestaltungskonzept der Stadt
gungen (z. B. bauplanerische und baupflegerische Belan-                     S lag vor; dieses zielte darauf, dem Fußgängerbereich eine be-
ge, baugestalterische Aspekte zum Schutz bestimmter                         stimmte Ausstrahlungswirkung (ein spezifisches »Flair«) zu ver-
                                                                            leihen. Das Konzept war in Gestalt von Richtlinien vom Gemein-
                                                                            derat (Stadtrat) beschlossen worden; der VGH betont, dass
                                                                            verwaltungsinterne Richtlinien für die Steuerung des Ermessens
90 VGH BW NVwZ-RR 1997, 679 (680) = VBlBW 1997, 107 (108);
                                                                            genügten und eine Satzung nicht erforderlich sei.
NVwZ-RR 2001, 159 (160); NdsOVG UPR 1992, 455; NVwZ-RR 1996, 244
(245); OVG NW NWVBl 2007, 64 (65) → Schoch JK 7/07, StrWG NRW
§ 18/1.
91 Zur Unterscheidung zwischen »inneren« und »äußeren« Ermes-
                                                                        c) Ermessensreduzierung
sensgrenzen Schoch JURA 2004, 462 (466 f.).
92 Die äußeren Ermessensgrenzen sind vor allem für die Ermessens-
reduzierung von Bedeutung; vgl. dazu II. 2. c).                         Nach der zweiten Ermessensdirektive des § 40 (L)VwVfG
93 VGH BW NVwZ-RR 1997, 677 (678); NVwZ-RR 2006, 835; NVwZ-RR           muss die behördliche Entscheidung zur Sondernutzungs-
2010, 164 = VBlBW 2010, 113 (114); HessVGH NVwZ 1994, 189 (190);        erlaubnis die gesetzlichen Grenzen des Ermessens
NdsOVG NVwZ-RR 1993, 393; OVG NW NWVBl 2012, 435.
                                                                        einhalten. Diese äußeren Ermessensgrenzen werden ins-
94 VGH BW NVwZ-RR 1997, 679 (680) = VBlBW 1997, 107 (108);
BayVGH BayVBl 2012, 147 Tz. 19; NdsOVG NVwZ-RR 1996, 244 (245);
                                                                        besondere durch die Grundrechte (i. V. m. dem Übermaß-
OVG NW NWVBl 2007, 64 (65) → Schoch JK 7/07, StrWG NRW § 18/1;          verbot) repräsentiert101. Angezeigt ist eine sorgfältige Prü-
OVG SH NVwZ 1992, 70 (71).
95 BayVGH BayVBl 2012, 147 Tz. 19: immissionsschutzrechtliche
oder sicherheitsrechtliche Belange; HessVGH NVwZ 1994, 189 (190):       97 Sauthoff Öff. Straßen (Fn. 8) Rdn. 366.
allgemein-ordnungsbehördliche Gesichtspunkte. – OVG NW NWVBl            98 VGH BW NVwZ-RR 2000, 837 (839) = VBlBW 2000, 282 (283) →
2012, 435 (436) betont, ggf. müsse die Straßenbehörde die zuständige    Schoch JK 01, StrG BW § 16/1; NVwZ-RR 2001, 159 (160); BayVGH
Ordnungs- bzw. Polizeibehörde informieren und diese um entspre-         BayVBl 2012, 147 Tz. 22; VG Braunschweig KommJur 2009, 299 (301 f.);
chende Maßnahmen bitten.                                                VG Karlsruhe GewArch 2005, 39 (41 f.).
96 § 11 II BerlStrG, dazu OVG Berlin GewArch 1988, 130: »pflicht-       99 VGH BW NVwZ-RR 2000, 837 (839) = VBlBW 2000, 282 (283);
gemäßes Ermessen« umfasst jeden sachlichen Grund; ferner z. B.          BayVGH BayVBl 2012, 147 Tz. 25; VG Braunschweig KommJur 2009,
OVG Bln-Bbg NVwZ-RR 2012, 217 (218) → Schoch JK 9/12, BerlStrG          299 (302).
§ 11/1: Ablehnung einer Sondernutzungserlaubnis auch aus straßen-       100 VGH BW VBlBW 1987, 344 (346); NVwZ-RR 1997, 677 (678);
fernen öffentlichen Interessen wie z. B. »Klimaschutz« zulässig (am     NdsOVG DVBl 2013, 454 (455).
Beispiel von Heizpilzen im Vorgarten einer Gaststätte). – Zur Rechts-   101 Sauthoff Öff. Straßen (Fn. 8) Rdn. 373 ff.; Stahlhut in: Kodal
lage in Bremen § 18 IV 5 LStrG, zu Hamburg vgl. § 19 I 4 Nr. 3 WG.      (Fn. 14) Kap. 27 Rdn. 51 ff.

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920           Repetitorium ÖR – Friedrich Schoch: Sondernutzung öffentlicher Straßen

fung des Einzelfalles. Die Figur des »intendierten Ermes-              Das gilt z. B. bei der Zulassung von Plakatwerbung im in-
sens«102 findet keine Anwendung; die Behörde muss im                   nerörtlichen Bereich; die zuständige Behörde kann den
konkreten Fall »die für und gegen eine Sondernutzungs-                 Antrag auf Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis nicht
erlaubnis sprechenden Gesichtspunkte prüfen, gewichten                 einfach mit Hinweis darauf ablehnen, mit einem Dritten sei
und abwägen«103. Überwiegen die rechtlich geschützten                  ein Werbenutzungsvertrag geschlossen worden110. Richt-
Interessen des Antragstellers derart, dass nur die Erteilung           linien für die Verteilung von Standplätzen auf einem nicht
der Erlaubnis rechtmäßig ist, liegt ein Fall der »Ermessens-           nach § 69 GewO festgesetzten Markt dürfen für die Sonder-
reduzierung auf Null« vor, und es besteht ein Anspruch                 nutzungserlaubnis keine marktähnlichen Kriterien (»be-
auf die beantragte Sondernutzungserlaubnis104.                         kannt und bewährt«) vorgeben; eine gleiche Zulassung-
     Als wichtigste Ermessensdirektive fungieren die Frei-             schance ist nur bei einem neutralen Verfahren gegeben111.
heitsgrundrechte. Ist der beabsichtigte Straßengebrauch                Dagegen liegt kein Verstoß gegen Art. 3 I GG, wenn Richt-
als Grundrechtsausübung zu werten, muss die zuständige                 linien nur den Bereich der historischen Altstadt schützen
Behörde bei ihrer Ermessensentscheidung über die Erlaub-               (Fall 5) und »Vergleichsfälle« für die Erlaubnis zur Sonder-
nis der Sondernutzung die Bedeutung des einschlägigen                  nutzung in anderen Stadtteilen angesiedelt sind112. Als
Grundrechts berücksichtigen105. Nach den Vorgaben des                  sachlich gerechtfertigt wurde die Ablehnung einer Sonder-
BVerfG106 ist die Erlaubnis zu erteilen, wenn die beabsich-            nutzungserlaubnis für die Aufstellung von Alttextilcontai-
tigte Straßenbenutzung weder Rechte der Verkehrsteilneh-               nern im öffentlichen Verkehrsraum mit Hinweis darauf er-
mer (Art. 2 I, 3 I GG) noch das Recht der Anlieger auf                 achtet, die Gemeinde wolle die Entsorgung »aus einer
Anliegergebrauch (Art. 14 I GG i. V. m. der Anliegerschutz-            Hand« sicherstellen, nachdem eine Drittfirma (abfallrecht-
vorschrift des Straßengesetzes) beeinträchtigt107. Besteht             lich) mit der Wertstoffsammlung beauftragt worden war113.
hingegen eine Kollisionslage, muss die Behörde einen                        Befinden sich politische Parteien im Wahlkampf und
Ausgleich zwischen den konfligierenden Grundrechtsposi-                beantragen sie die Erlaubnis zur Sondernutzung des öf-
tionen nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz                   fentlichen Verkehrsraums für eine angemessene Wahl-
(z. B. durch die Verhängung von Auflagen) anstreben108.                sichtwerbung, ist das behördliche Ermessen durch die Ein-
Gelingt dies nicht, kann die Behörde den Antrag ablehnen;              wirkung des Art. 21 I GG in der Regel auf Null reduziert114.
sie kann insbesondere der Sicherheit und Leichtigkeit des              Der Umfang der politischen Werbung bestimmt sich nach
Verkehrs Vorrang einräumen gegenüber der Grundrechts-                  dem Grundsatz der abgestuften Chancengleichheit (§ 5 I
ausübung109. Das gilt insbesondere, wenn die Versagung                 ParteiG); kleinen Parteien ist zur Wahrung der Chancen-
der Sondernutzungserlaubnis nur zu einer geringen Ein-                 gleichheit eine überproportional zugemessene Zahl von
buße an grundrechtlicher Freiheitsbetätigung beim An-                  Stellflächen für die Aufstellung von Werbetafeln zuzuer-
tragsteller führt.                                                     kennen115. Die Ermessensreduzierung bezieht sich nur auf
     Die Ermessensausübung kann auch durch den all-                    die »angemessene« Wahlsichtwerbung; insoweit sind die
gemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 I GG) gesteuert werden.               Umstände des Einzelfalles zu analysieren. Das Aufstellen
Danach ist eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbe-             großflächiger (»überdimensionierter«) Wahlwerbetafeln
handlung wesentlich gleicher Sachverhalte rechtswidrig.                darf abgelehnt werden116. Wird die Wahlsichtwerbung au-
                                                                       ßerhalb der Wahlkampfschlussphase (sechs Wochen vor
                                                                       der Wahl) angestrebt, gelten die üblichen Ermessensdirek-
102 Dazu Schoch JURA 2010, 358 ff.
103 So BayVGH NVwZ-RR 2010, 830 (832) → Schoch JK 5/11,
BayStrWG Art. 18/5.
104 Überholt ist die Auffassung, eine Ermessensreduzierung auf Null    110 NdsOVG NVwZ-RR 1993, 393 (395).
komme nur ausnahmsweise in Betracht, so noch OVG NW NVwZ               111 VGH BW NVwZ-RR 2001, 159 (160 f.); dazu Bespr. Meßmer
1988, 269 (270).                                                       JuS 2002, 755; ferner Fallbearbeitung Mückl JURA 2002, 627.
105 BVerwGE 56, 63 (68); NdsOVG NVwZ-RR 1993, 393 (394); NVwZ-         112 VGH BW NVwZ 2000, 837 (840) = VBlBW 2000, 282 (285) →
RR 1996, 244 (245).                                                    Schoch JK 01, StrG BW § 16/1; Sauthoff Öff. Straßen (Fn. 8) Rdn. 382.
106 BVerfG-K NVwZ 2007, 1306 (1307) = AfP 2007, 437 (439) →            113 VG Braunschweig KommJur 2009, 299 (304).
Schoch JK 3/08, GG Art. 5 I 2/32.                                      114 VGH BW VBlBW 1987, 310 (311); OVG SH NVwZ 1992, 70; VG
107 BayVGH NVwZ-RR 2000, 726 = BayVBl 2000, 408 = AfP 2000,            Gießen NVwZ-RR 2001, 417 (418); VG München BayVBl 2007, 732
210 → Schoch JK 9/00, BayStrWG Art. 18/2 (am Beispiel des Art. 5 I 2   (734); Sauthoff Öff. Straßen (Fn. 8) Rdn. 375; Stahlhut in: Kodal
GG); ferner BayVGH NVwZ-RR 2002, 782.                                  (Fn. 14) Kap. 27 Rdn. 58.
108 BVerwGE 84, 71 (78) = NJW 1990, 2011 (2012).                       115 VG Gießen NVwZ-RR 2001, 417 (418); VG München BayVBl 2007,
109 VGH BW NVwZ-RR 1994, 370 = DÖV 1994, 568 = VBlBW 1994,             417 (418).
199; NdsOVG NVwZ-RR 1996, 244 (247), bestätigt durch BVerwG NJW        116 OVG SL LKRZ 2009, 313 (314): Verkehrssicherheit, Wahrung des
1997, 408; OVG LSA LKV 2002, 335 (336).                                Stadtbildes.

                                                Angemeldet | mail@juraexamen.info
                                                Heruntergeladen am | 14.09.14 18:49
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