Volkswirtschaftliche und raumordnungspolitische Auswir-kungen der NEAT - Schweizerische ...

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Volkswirtschaftliche und raumordnungspolitische Auswir-kungen der NEAT - Schweizerische ...
Volkswirtschaftliche und raumordnungspolitische Auswir-
kungen der NEAT
Infrastrukturprojekte dürfen nicht nur aus einer betriebswirtschaftlichen und finanzpolitischen
Perspektive betrachtet werden. Sie haben auch einen erheblichen volkswirtschaftlichen und
raumordnungspolitischen Nutzen, der systematisch erfasst und quantifiziert werden sollte. Im
vorliegenden Artikel werden erste Erkenntnisse der Auswirkungen des Lötschbergbasistun-
nels auf das Berner Oberland und das Wallis dargestellt und daraus Analogieschlüsse für die
Kantone Uri und Tessin abgeleitet.

Thomas Egger, Direktor Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete (SAB),
Seilerstrasse 4, 3001 Bern

Spekulationen vor der Eröffnung des                dass die Gäste direkt ins Wallis reisen und
Lötschbergbasistunnels                             das Kandertal mit den Destinationen Adel-
Lange vor der Inbetriebnahme des                   boden und Kandersteg unterfahren wür-
Lötschbergbasistunnels wurde im Ober-              den. Jetzt, drei Jahre nach Inbetriebnah-
wallis spekuliert über die möglichen volk-         me des Basistunnels können die Auswir-
wirtschaftlichen Auswirkungen. An zahlrei-         kungen aufgezeigt und teils auch quantifi-
chen öffentlichen Veranstaltungen wurde            ziert werden.
das Thema aufgegriffen und letztlich sogar
eine ex-ante Evaluation in Auftrag gege-
ben. In den meisten Diskussionen über-
wogen die positiven Elemente. Das Ober-
wallis erhoffte sich vom Lötschbergba-
sistunnel neue Impulse. Insbesondere im
Tourismusbereich sah man ein grosses
Potenzial. Man ging davon aus, dass die
Zahl der Tagesgäste vor allem in den Des-
tinationen rund um Brig und Visp massiv
zulegen könnten. Das Gewerbe sah der
Eröffnung des Basistunnels hingegen mit
gemischten Gefühlen entgegen. Befürch-
tet wurde ein Wegfall des Distanzschutzes          Bern rückt in Pendeldistanz
und zunehmende Konkurrenz von Firmen               Mit der Eröffnung des Lötschbergba-
aus dem Kanton Bern. Das Lötschental               sistunnels beträgt die Reisezeit von Visp
befürchtete zudem massive Einbussen im             nach Bern noch 54 Minuten. Das Oberwal-
Tourismus und als Wohnstandort, da der             lis ist damit in Pendeldistanz zu Bern ge-
Intercity-Halt in Goppenstein wegfallen            rückt. Basel und Zürich können innert zwei
würde.                                             Stunden erreicht werden. Von diesen bei-
                                                   den Metropolitanregionen (und natürlich
Erst relativ spät stellte man sich auch im         auch der Hauptstadtregion Bern) können
Berner Oberland die Frage, was die Eröff-          bequem Tagesausflüge ins Wallis ge-
nung des Lötschbergbasistunnels für Kon-           macht werden. Das Wallis hat sich damit
sequenzen haben würde. Bei den Diskus-             einen wichtigen touristischen Quellmarkt
sionen überwog die Befürchtung, dass der           erschlossen. Die massiv verbesserte Er-
Tourismus im Berner Oberland Einbussen             reichbarkeit drückt sich in den Fahrgast-
verzeichnen würde. Man ging davon aus,             frequenzen aus. Im Jahr 2007 fuhren täg-
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lich rund 7'000 Personen über die               während der Woche in Bern zu wohnen
Bergstrecke. Im Jahr 2009 durchquerten          und dadurch von der Familie getrennt zu
täglich über 10'000 Personen den Basis-         sein, nehmen sie lieber die längere Pen-
tunnel. An Spitzentagen werden in Visp          delzeit von rund eineinhalb Stunden pro
Frequenzen von bis zu 20'000 Personen           Weg in Kauf. Die bisher weit verbreitete
gemessen. Die Züge müssen an Sonnta-            Annahme, dass die maximale Pendeldis-
gen doppelt geführt werden, um den An-          tanz bei rund einer Stunde liege, muss vor
sturm der Touristen bewältigen zu können.       diesem Hintergrund revidiert werden. Der
Doch auch zu den Hauptpendelzeiten sind         Basistunnel hat also trotz fehlendem
die Züge dermassen ausgelastet, dass            Westast Auswirkungen auf den ganzen
man kaum noch einen Sitzplatz ergattern         Kanton Wallis. Belegt werden kann dies
kann. Die massive Frequenzsteigerung            eindrücklich mit den Umsatzsteigerungen
hat auch Auswirkungen auf das nachgela-         an den Bahnhöfen (vgl. Graphik).
gerte Verkehrsnetz. Die Matterhorn Gott-
hard Bahn (MGB) konnte die Transport-
leistung steigern von 5,69 Mio. transpor-
tierten Gästen im Jahr 2007 auf 6,32 Mio.
im Jahr 2009. Das entspricht einer Zu-
nahme um 11%. Die Postautolinien haben
den Halbstundentakt eingeführt und kön-
nen beispielsweise auf der Strecke Visp –
Visperterminen praktisch eine Verdoppe-
lung der Fahrgastzahlen vermelden.

                                                Erwartungen im Tourismus übertrof-
                                                fen...
                                                Die Erwartungen im Tourismus wurden
                                                übertroffen. Zugenommen hat insbesonde-
                                                re die Anzahl der Tagesgäste. Diese sind
                                                allerdings statistisch nur schwer zu erfas-
                                                sen. Bei den Hotellogiernächten ist auffal-
                                                lend, dass Brig als Ausgangsort ein
                                                Wachstum von 14% verzeichnen konnte.
                                                Visp konnte mangels geeigneter Hotelinf-
Reisende pro Tag über resp. durch den           rastruktur keine zusätzlichen Logiernächte
Lötschberg und Frequenzen der SBB an den
                                                verbuchen. Bei den Bergdestinationen
Bahnhöfen Brig und Visp
                                                legte Bellwald um 40% zu. Bei den übri-
                                                gen Destinationen hält sich das Wachstum
Positive Auswirkungen im ganzen Wal-
                                                der Hotellogiernächte im einstelligen Be-
lis
                                                reich. Aussagekräftiger sind die Zahlen
Im Vorfeld hatte man erwartet, dass die
                                                der Bergbahnen. Hier konnten die Bahnen
Eröffnung des Lötschbergbasistunnels vor
                                                auf das Aletschplateau (Belalp, Bettme-
allem im Oberwallis spürbare Wirkung
                                                ralp, Riederalp) sowie die Bahnen in Vis-
erzielen würde. Mit Auswirkungen auf das
                                                perterminen die Frequenzen um mehr als
Unterwallis rechnete man kaum, da der
                                                10% steigern. Grächen steigerte die Fre-
Westast mit dem Tunnelportal in Steg
                                                quenzen sogar um fast 20%. Die Zunah-
Budgetkürzungen zum Opfer gefallen war.
                                                me betrifft sowohl das Sommer- aus als
Die Realität zeigt, dass auch das Unter-
                                                auch das Wintergeschäft. Diese Resultate
wallis vom Basistunnel profitiert. Zahlrei-
                                                sind umso erfreulicher, als das Jahr 2009
che Arbeitnehmer pendeln täglich aus
                                                geprägt war durch die Konjunkturkrise mit
dem Unterwallis, teils sogar bis aus Mar-
                                                einem weltweiten Nachfragerückgang im
tigny in den Raum Bern. Auch für sie
                                                Tourismus.
bringt der Basistunnel eine wesentliche
Verbesserung der Lebensqualität. Statt

                                     Auswirkungen NEAT                              Seite 2
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...aber sehr unterschiedliche Vorberei-          einzige ganzjährige Strassenverbindung
tung                                             vom Oberwallis nach Bern sicherstellt.
Frappant ist das Verhalten einiger touristi-     Durch den Regionalverkehr werden die
scher Leistungsträger. Wallis Tourismus          Dörfer entlang der Bergstrecke erschlos-
hat vor der Eröffnung des Basistunnels           sen. Die BLS hat rechtzeitig neues Roll-
eine gezielte Werbekampagne gestartet            material für diesen Regionalverkehr be-
und damit wesentlich zum Erfolg im Tou-          schafft. Der „Lötschberger“ wird zudem
rismus beigetragen. Auch Bürchen hat             kombiniert mit touristischen Angeboten
beispielsweise schon vor der Eröffnung           wie einer verstärkten Vermarktung der
mit dem Bus alpin seine touristische Er-         Südrampe als Wandergebiet.
schliessung ausgebaut und sich mit der
Dachmarke Moosalp neu positioniert.
Demgegenüber hat sich der Verkehrsver-
ein rund um Visp aufgelöst. Rund um Visp
galt seit den 80-er Jahren als erfolgreiches
Kooperationsmodell. Hier waren die ver-
schiedenen kleinen Orte rund um den
neuen      Knotenbahnhof     zusammenge-
schlossen. Rund um Visp wäre damit prä-
destiniert gewesen, das touristische Po-
tenzial des Basistunnels gemeinsam zu
vermarkten. Just im Moment der Eröffnung
des Basistunnels wurde diese Kooperation
aber aufgelöst. Jeder Ort kämpft wieder          Gewerbe profitiert
für sich alleine. Auch einige Gaststätten        Zur Entwicklung des Gewerbes im Ober-
und Hotelbetriebe scheinen von der zehn          wallis liegen leider keine aussagekräftigen
Jahre zuvor angekündigten Eröffnung ü-           statistischen Angaben vor. Auf Grund von
berrumpelt worden zu sein und haben erst         Aussagen von Gewerbetreibenden kann
nach der Eröffnung ihr Angebot ausgebaut         aber klar fest gehalten werden, dass die
oder erneuert. Auch heute noch wird der in       negativen Befürchtungen nicht eingetrof-
Visp ankommende Gast als erstes einen –          fen sind. Die Gemeinde Visp liess bei-
durchaus innovativen und geschäftsüchti-         spielsweise verlauten, dass in Visp zu
gen - Kebab-Verkäufer vorfinden. Regio-          wenig Räumlichkeiten für Gewerbetrei-
nale Produkte wie Walliser Trockenfleisch,       bende vorhanden seien. Ähnlich sieht die
Roggenbrot und Käse sucht er aber auf            Situation in Brig aus. Durch gezielte Aktio-
dem Bahnhofareal vergebens. Der Tou-             nen haben es verschiedene Betriebe ver-
rismus verpasst es damit zumindest in            standen, BernerInnen zum Shoppen nach
Visp, Gäste längerfristig zu binden und          Brig und Visp zu locken. So konnte bei-
zusammen mit der Landwirtschaft die              spielsweise das Modehaus Bayard sowohl
Wertschöpfung zu steigern.                       an den Standorten in Bern als auch im
                                                 Oberwallis Umsatzsteigerungen verzeich-
Bergstrecke erhalten                             nen.
Die Lötschbergbergstrecke bleibt auch
nach Eröffnung des Basistunels erhalten          Eine neue Raumordnung
und wird weiterbetrieben. Dafür sind ver-        Der Lötschbergbasistunnel hat die Agglo-
schiedene Faktoren ausschlaggebend:              merationsbildung im Oberwallis verstärkt.
Der Basistunnel hat nicht genügend Kapa-         Die Bevölkerung konzentriert sich zuneh-
zität, um den gesamten Güterverkehr ab-          mend in der Agglomeration Brig-Visp-
wickeln zu können. Ein Teil verkehrt weiter      Naters. In den Talgemeinden ist eine star-
über die Bergstrecke. Die Bergstrecke            ke Wohnbautätigkeit festzustellen. Miet-
muss auch jenen Güterverkehr überneh-            wohnungen sind knapp und werden des-
men, welcher verspätet eintrifft und des-        halb prioritär erstellt. Wer jetzt aber vermu-
halb im Basistunnel keinen Slot mehr er-         tet, dass diese Wohnungsnachfrage auf
hält. Nach wie vor wichtig ist der Autover-      Zuzüger aus anderen Kantonen zurückzu-
lad Kandersteg – Goppenstein, der die            führen sei, liegt falsch. Vielmehr findet ein
                                      Auswirkungen NEAT                                 Seite 3
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Konzentrationsprozess innerhalb des O-           wallis an der Hauptstadtregion Bern. Man
berwallis statt. Es ist atraktiv, im Wallis      könnte bildlich von einer „Drehung der
wohnen zu bleiben und in Bern zu arbei-          Achsen“ sprechen. Welche Konsequen-
ten. Auch Studenten verzichten teilweise         zen diese Ausrichtung auf Bern längerfris-
auf eine Wohnung in Bern und pendeln             tig für den inneren Zusammenhalt im Kan-
lieber jeden Tag. Es darf denn auch nicht        ton haben wird, lässt sich im Moment nur
verwundern, dass vor allem die junge Be-         schwer prognostizieren. Auf jeden Fall hat
völkerung eine Wohnung in Brig-Glis oder         „Sitten“ noch mehr Grund, das Oberwallis
Visp einer Wohnung in den Bergdörfern            in seiner Politik (Bsp. Strassenbau) nicht
vorzieht. Konsequenz ist u.a. eine fort-         zu vergessen.
schreitende Zersiedelung im Talboden.
Ohne die Lonza-Deponie und Kehrricht-            „Drehung der Achsen“:
verbrennungsanlage in Gamsen wären
Brig und Visp schon lange zusammen
gewachsen. Die Konzentration hat aber
auch Konsequenzen auf die Wohnungs-
preise, welche in den Zentren stetig stei-
gen.

Lötschental und Berner Oberland ohne
Einbussen
Wie erwähnt wurde vor der Eröffnung des
Basistunnels wiederholt die Befürchtung
geäussert, dass das Lötschental und das
Berner Oberland zu den Verlierern zählen         Uri wird umfahren
würden. Diese Befürchtung hat sich nicht         Welche Erkenntnisse lassen sich aus den
bestätigt. Die Zahl der Logiernächte blieb       realen Entwicklungen an der Lötschber-
im Lötschental stabil. Adelboden und Kan-        gachse für den Gotthardbasistunnel ablei-
dersteg konnten im Jahr 2008 die Logier-         ten? Der Kanton Uri ist geprägt durch den
nächte erhöhen. Im Jahr 2009 ist zwar ein        Transitverkehr. Und er wird es auch nach
Rückgang zu verzeichnen, dieser dürfte           der Eröffnung des Gotthardbasistunnels
aber auf den allgemeinen Nachfragerück-          bleiben. Uri erhält keine NEAT-Haltestelle.
gang in Folge der Konjunkturkrise zurück-        Der Kanton hat es damit verpasst, von
zuführen sein. Eine Abwanderung der Be-          einer besseren Erschliessung profitieren
völkerung ist zu mindest bis jetzt nicht fest    zu können. Damit zeichnen sich weder im
zu stellen. In Spiez und Frutigen ist der        Tourismus noch in der Demographie posi-
Leerwohnungsbestand bis 2009 auf prak-           tive Tendenzen ab. Der Betrieb des Basis-
tisch Null gesunken.                             tunnels birgt vielmehr die Gefahr, dass
                                                 Arbeitsplätze von Bahnpersonal verloren
Zwischenfazit zum Lötschberg                     gehen, da kein Lok-Wechsel und kein Un-
Zusammenfassend kann festgehalten                terhalt mehr erforderlich ist. Heute stellen
werden, dass der Lötscherbergbasistunnel         die SBB im Kanton Uri rund 230 Arbeits-
die Erwartungen deutlich übertroffen hat.        plätze. Vor diesem Hintergrund ist auch
Vom Betrieb des Tunnels profitiert nicht         der ausdrückliche Wunsch des Kantons
nur das Oberwallis sondern der ganze             nach einem Interventionszentrum in Erst-
Kanton. Das Lötschental und das Berner           feld zu sehen, welches rund 80 Arbeits-
Oberland gehören nicht wie vermutet zu           plätze schaffen wird.
den Verlierern. Die zunehmende Bevölke-
rungskonzentration an den Bahnkoten-             Uri wird von der NEAT profitieren im Be-
punkten stellt jedoch insbesondere für die       reich Umwelt und Raumplanung. Der Ba-
Raumplanung wichtige Herausforderun-             sistunnel wird mit der Verlagerung des
gen dar. Das Oberwallis orientiert sich          Güterverkehrs auf die Schiene zu einer
wirtschaftlich und kulturell zunehmend           Verbesserung der Umweltsituation beitra-
nach Bern. Ausdruck dieser Tendenz ist           gen. Zudem hat bereits der Bau des Ba-
beispielsweise die Beteiligung des Ober-         sistunnels dazu geführt, dass für die Urner
                                      Auswirkungen NEAT                               Seite 4
Volkswirtschaftliche und raumordnungspolitische Auswir-kungen der NEAT - Schweizerische ...
Reussebene Testplanungen durchgeführt          Fahrzeit bis zur nächsten NEAT-
wurden, welche Basis für eine neue             Haltestelle in Kauf nehmen. Diese Kon-
Raumordnung sein können. Die im Urner-         zentration muss bereits jetzt mit entspre-
see aufgeschütteten Inseln haben ein           chenden raumplanerischen Massnahmen
neues und beliebtes Naherholungsgebiet         antizipiert werden. Die deutlich verbesser-
mit mediterranem Flair geschaffen.             te Erschliessung könnte auch dazu führen,
                                               dass sich das Tessin kulturell und sozial
                                               vermehrt nach Zürich und der Inner-
                                               schweiz ausrichten könnte. Der Gotthard-
                                               basistunnel könnte so einen Beitrag zu
                                               einem verstärkten räumlichen Zusammen-
                                               halt innerhalb der Schweiz liefern.

                                               Tessin und Wallis buhlen um die Ta-
                                               gesgäste
                                               Die schnellere Verbindung wird zahlreiche
                                               zusätzliche Tagesgäste ins Tessin locken.
                                               Allerdings stellt sich die Frage, ob hierbei
                                               ein Substitutionseffekt bei den Hotelüber-
Tessin in erweiterter Pendeldistanz            nachtungen stattfinden wird. Eventuell
Die Erreichbarkeit des Tessins von Zürich      könnte die Zahl der Logiernächte rückläu-
aus wird sich mit der Inbetriebnahme des       fig sein, weil die Gäste am gleichen Tag
Gotthardbasistunnels erheblich verbes-         an- und abreisen können. Einer derartigen
sern. Die Fahrzeit von Zürich nach Lugano      Entwicklung müsste durch geeignete tou-
reduziert sich voraussichtlich von heute       ristische Angebote und ein entsprechen-
zwei Stunden und 47 Minuten auf noch           des Marketing entgegnet werden. Wäh-
eine Stunde und 22 Minuten (wobei die          rend das Oberwallis heute noch den tou-
Angaben noch etwas unsicher sind). Wie         ristischen Quellmarkt der Agglomerationen
am Beispiel des Wallis aufgezeigt werden       Zürich anzapft, wird sich das Blatt mit der
konnte, entspricht dies durchaus einer         Eröffnung des Gotthardbasistunnels wen-
Pendeldistanz, insbesondere angesichts         den. Das Tessin ist dann deutlich schnel-
der Standortqualitäten und des positiven       ler erreichbar als das Oberwallis. Die Wal-
Images des Tessins. Die Tessiner gelten –      liser Destinationen müssten auf diese ver-
wie die Walliser – als sehr standortgebun-     schärfte Konkurrenzsituation rechtzeitig
den. Es ist deshalb davon auszugehen,          reagieren.
dass etliche Tessiner die Zeit in Kauf
nehmen werden, um täglich nach Zürich
zu pendeln. Es darf sogar vermutet wer-
den, dass Personen aus dem Raum Zü-
rich ins Tessin ziehen werden und von da
aus nach Zürich zur Arbeit pendeln. Inner-
halb der Agglomeration Zürich sind heute
angesichts des sternförmigen Verkehrs-
netzes Pendelzeiten von einer Stunde
keine Seltenheit, insbesondere wenn man
über den Knoten des Hauptbahnhofes
reisen muss.

Gotthardbasistunnel als Beitrag zum            Wann beginnt im Tessin die öffentliche
nationalen Zusammenhalt?                       Diskussion?
Die bessere Erreichbarkeit dürfte wie im       Auffallend war bei den Recherchen zu
Oberwallis dazu führen, dass eine Bevöl-       diesem Beitrag, dass im Tessin bis anhin
kerungskonzentration an den Bahnhöfen          kaum eine öffentliche Diskussion um die
statt finden wird. Wer pendelt, möchte         Auswirkungen des Betriebs des Basistun-
nicht zuerst noch 20 oder 30 Minuten           nels statt gefunden hat. Dies kontrastiert
                                    Auswirkungen NEAT                               Seite 5
Volkswirtschaftliche und raumordnungspolitische Auswir-kungen der NEAT - Schweizerische ...
stark zu den langjährigen Debatten im           Schlussfolgerungen
Oberwallis. Wenn das Tessin wirklich vom        Vor dem Bau eines grossen Infrastruktur-
Tunnel profitieren will, wäre es gut bera-      projektes wird jeweils viel spekuliert über
ten, sich bereits jetzt entsprechende Über-     den möglichen volkswirtschaftlichen Nut-
legungen anzustellen. Das Tessin hat den        zen des Projektes. Nur sehr selten finden
Vorteil, dass es von den Erfolgen aber          sich aber systematische Studien nach der
auch den Fehlern des Wallis lernen kann.        Erstellung des Projektes über die real ein-
                                                getretenen Auswirkungen. Dabei würden
Wird der Gotthard unterfahren?                  derartige Studien wichtige Hinweise für
Mit der Inbetriebnahme des Basistunnels         andere Infrastrukturprojekte liefern. Was
wird der Gotthard sprichwörtlich unterfah-      also fehlt ist ein systematisches Monitoring
ren. Welche Auswirkungen hat dies für die       der Auswirkungen derartiger Projekte und
Region rund um den Gotthardpass? Aus-           die Publikation der entsprechenden Resul-
gelöst durch die Vision der Porta Alpina        tate. Diese Aufgabe ist anspruchsvoll und
arbeiten die vier Regionen rund um den          muss deshalb von einer öffentlich-
Gotthardpass im Projekt San Gottardo            rechtlichen Trägerschaft übernommen
bereits intensiv zusammen. Sie haben            werden. Für Bundesprojekte ist es nahe
gemeinsam ein Umsetzungsprogramm                liegend, dass das Bundesamt für Raum-
nach Neuer Regionalpolitik erarbeitet und       entwicklung diese Aufgabe übernehmen
entwickeln gemeinsame touristische An-          sollte. Die Erkenntnisse würden es erlau-
gebote wie das Alpmobil. Das Tourismus-         ben, den Entscheid über den Bau von Inf-
resort in Andermatt wird dafür sorgen,          rastrukturen von einer rein betriebswirt-
dass Andermatt und die umliegenden Ge-          schaftlichen und finanzpolitischen Betrach-
biete auch in Zukunft eine interessante         tung zu lösen und auch die volkswirt-
touristische Destination bleiben. Das Re-       schaftlichen und raumordnungspolitischen
sort wird über die Kantonsgrenzen aus-          Aspekte in die Entscheidfindung einflies-
strahlen. So ist beispielsweise ein Zu-         sen zu lassen. Das in diesem Beitrag dar-
sammenschluss mit dem Skigebiet von             gestellte Beispiel des Lötschbergbasistun-
Sedrun geplant. Zudem muss das Perso-           nels zeigt die volkswirtschaftlichen und
nal für das Resort untergebracht werden,        raumordnungspolitischen Konsequenzen
wofür es im Urserental deutlich zu wenig        sehr deutlich auf. Daraus können Erkennt-
Wohnungen hat.                                  nisse für die Gotthardachse und allenfalls
                                                andere grosse Infrastrukturprojekte abge-
                                                leitet werden, die für Bund, Kantone und
                                                Leistungsträger wegweisend sein sollten.

                                                Bern, 12. November 2010

Das Schicksal der Bergstrecke ist vorerst
unsicher. Hier wäre ein Vergleich mit der
Lötschbergbergstrecke hilfreich. Ein Auto-
verlad zwischen Göschenen und Airolo
würde beispielsweise die Bergstrecke ret-
ten und den Strassentunnel entlasten. Der
Aufbau touristischer Angebote und allen-
falls das UNESCO-Label würden der
Bergstrecke zusätzlichen Auftrieb verlei-
hen.
                                     Auswirkungen NEAT                               Seite 6
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