Von der Milieupartei zur Catch-All Party - Ein Paradigmenwechsel innerhalb der Schweizer Bundesratsparteien?
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Universität Bern Sommersemester 2003 Institut für Politikwissenschaft Philippe Rogger Prof. Dr. Andreas Ladner Patrick Emmenegger Seminar «Parteien im Wandel – Lokalparteien» Paper zum Vortrag vom 19. Juni 2003 Von der Milieupartei zur Catch-All Party – Ein Paradigmenwechsel innerhalb der Schweizer Bundesratsparteien? 1. Einleitung Mitte der sechziger Jahre trat Otto Kirchheimer (1905-1965) mit einem wegweisenden Beitrag der vergleichenden Parteienforschung zur Erklärung des Wandels der Parteien hervor. Kirchheimers Theorie zufolge wandelte sich die einstige Massen- und Mitgliederpartei, die in einer Zeit schärfster Klassenunterschiede und deutlich erkennbarer Konfessionsstrukturen entstanden war, zu einer Al- lerweltspartei (catch-all party oder auch Volkspartei). Diese Entwicklung war möglich, weil die traditionellen Spaltungen gemäss Kirchheimer mit dem wirtschaftlichen Aufschwung der Nach- kriegszeit und dem gleichzeitigen Aufkommen einer neuen Mittelschicht zunehmend an Bedeutung verloren haben. Aufgrund dieser Entwicklungen formulieren wir für die Schweiz als Untersu- chungsgegenstand folgende Fragestellung: Wandeln sich die Schweizer Bundesratsparteien von «Weltanschauungsparteien» zu Allerweltsparteien, den so genannten Catch-all parties in der Kirchheimer’schen Terminologie? Der von Kirchheimer prognostizierte Wandel umfasst diverse Bereiche einer Partei. Die vorliegende Arbeit untersucht jedoch nur einen Teilaspekt der Aller- weltshypothese und stellt den Bedeutungsverlust der ideologischen Komponente anhand der vier Bundesratsparteien ins Zentrum der Betrachtung. 2. Theorie Währenddem Seymour Martin Lipset und Stein Rokkan mit der Ausdehnung des Wahlrechts auf die gesamte Bevölkerung im ersten Viertel dieses 20. Jahrhunderts den Prozess der parteipolitischen Mobilisierung sozialer Gruppen als abgeschlossen und die diesem Prozess zugrundeliegenden Kon- fliktgegnerschaften als eingefroren sahen, entwarf Otto Kirchheimer das Szenario eines fundamen- talen Wandels im westeuropäischen Parteiensystem. Gemäss Kirchheimer wird das Parteiensystem nach 1945 tendenziell durch einen neuen Parteientypus bestimmt: Die vorher dominierende Mit- glieder- oder Massenintegrationspartei, die in einer Zeit schärfster Klassenunterschiede und deutlich erkennbarer Konfessionsstrukturen entstanden war, formt sich zu einer Allerweltspartei (catch-all party, Volkspartei) um. Ihr vorrangiges Bestreben gilt der Maximierung von Wählerstimmen, über Klassengrenzen und Trennlinien zwischen sozialmoralischen Milieus hinweg, mittels pragmatischer 1 von 11 Seiten
und opportunistischer Politik. Kirchheimers Catch-all party weist dabei inhaltlich grosse Über- schneidungen mit der ökonomischen Theorie der Demokratie von Anthony Downs auf. Die Folgen einer solchen Strategie müsste gemäss Karl Dittrich folgende Entwicklung innerhalb eines Parteien- systems zu erwarten sein: Unterliegt die Ideologie in der westlichen Konsumgesellschaft tatsächlich einem Bedeutungsverlust, so ist der Effekt, neben einer Lockerung der Parteibindung, die bewusste Nichtakzentuierung ideologischer Komponenten der Parteien. Ist eine Partei mit dieser Strategie auf dem Wählermarkt erfolgreich, übernehmen auch andere Parteien diese Strategie. Trotz kontroversen Ansichten, inwiefern die Theorie Kirchheimers auch auf die schweizerischen Verhältnisse ange- wendet werden kann, ist die These von Bedeutung, wie die unter anderen von Nabholz beobachte- ten Konvergenzbewegungen der ideologischen Komponenten der Schweizer Parteien zeigen. Dar- aus leiten wir Hypothese 1 ab: Auf parteiideologischer Ebene konvergieren die Schweizer Bundes- ratsparteien. Untersucht man die Relevanz der Ideologie für ein Parteiensystem anhand Kirchheimers Thesen, so sind die soziokulturellen und sozioökonomischen Spannungslinien von zentraler Bedeutung. Die Milderung gesellschaftlicher Spaltungen bildet die unabdingbare Voraussetzung für die Entstehung der Allerweltspartei. Nur aufgrund dieser Milderung war der Wandel der Massenintegrationspartei, „die in einer Zeit schärfster Klassenunterschiede und deutlich erkennbarer Konfessionsstrukturen entstanden war“ (Kirchheimer 1965:27), zu einer Allerweltspartei möglich. Der neue Wohlstand, die staatliche Sozialpolitik, die Säkularisierung und Herausbildung eines gehaltsabhängigen Mit- telstandes milderten die Schärfe alter Interessensgegensätze. Gemäss Kirchheimer wurde demzufol- ge der Wählermarkt nach 1945 flüssig, da die Wähler nicht mehr der Disziplin einer Integrations- partei oder festgefügter sozialmoralischer Milieus unterstanden. Aufgrund der spezifischen Eigenar- ten der Soziostruktur der Schweiz und des schweizerischen politischen Systems formulieren wir folgende Hypothesen. Hypothese 2.1: Die Spaltung Deutschschweiz vs. lateinische Schweiz verliert in der Schweizer Poli- tik an Bedeutung. Hypothese 2.2: Die Spaltung Katholizismus vs. Protestantismus verliert in der Schweizer Politik an Bedeutung. Hypothese 2.3: Die Spaltung Landgemeinden vs. Stadt-/Agglomerationsgemeinden verliert in der Schweizer Politik an Bedeutung. Hypothese 2.4: Die Spaltung Kapital vs. Arbeit verliert in der Schweizer Politik an Bedeutung. 2 von 11 Seiten
3. Empirische Ergebnisse 3.1. Einleitende Bemerkungen Sowohl eine Trend- als auch eine Panelanalyse haben ihre spezifischen Vorteile. Wenn man einen Wandel bei Lokalparteien nachweisen will, ist eine Trendanalyse heikel, da zu den beiden Zeit- punkten teilweise nicht die gleichen Lokalparteien auf die Fragen antworten. Man läuft Gefahr, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Auf der anderen Seite hat auch eine Panelanalyse Schwächen. Erstens ist die Fallzahl bei der Panelanalyse massiv geringer als bei einer Trendanalyse und zwei- tens werden Lokalparteien, die erst nach 1989 entstanden sind, in der Panelanalyse mit Sicherheit nicht betrachtet. Das führt zum Umstand, dass die nach den Grossratswahlen 2003 drittstärkste poli- tische Kraft im Kanton Luzern (nur ganz knapp hinter der FDP), die SVP Luzern, in der Panelana- lyse mit keiner einzigen Lokalpartei vertreten ist. Um dieser Problematik Rechnung zu tragen, wer- den darum in der Abschlussarbeit die Ergebnisse aus der Trendanalyse im Hauptteil und die Ergeb- nisse der Panelanalyse zum Vergleich als Fussnote und im Anhang wiedergegeben. Weiter werden im empirischen Teil nur die vier Bundesratsparteien berücksichtigt. Diese Ein- schränkung ist einerseits durch die Fallzahlen der einzelnen Parteien bedingt, andererseits durch das spezifische politische System der Schweiz, das zu einer Vielzahl von Parteien führt. Unter diesen Umständen wäre eine Untersuchung der Hypothesen Kirchheimers von Anfang zum Scheitern ver- urteilt, denn das schweizerische politische System ermöglicht es auch kleinen, politisch extremen Parteien ein Überleben. Trotzdem ist ihr Einfluss nur gering, da Politik in der Schweiz vor allem von denjenigen vier Parteien gemacht wird, die seit über 40 Jahren zusammen die Regierungskoali- tion bilden und rund 80 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigen können. Da sich keine Ver- änderung in diesem Bereich abzeichnet, zumindest was die parteipolitische Zusammensetzung, je- doch nicht unbedingt die zahlenmässige Verteilung der Sitze, halten wir die Beschränkung unserer Analyse auf die vier Bundesratsparteien für zulässig1. Zur Messung der ideologischen Positionierung der Lokalparteien werden zwei Messmethoden mit- einbezogen: (1) die Positionierung der Lokalparteien auf den 10er Skalen zur Links/Rechts- Einteilung auf lokaler, kantonaler und nationaler Ebene sowie zur Grün/Antigrün-Einteilung auf lokaler Ebene und (2) die Position der Lokalparteien zu 17 spezifischen Issues (Ausprägungen: Mehrheit zustimmend, Meinungen geteilt und Mehrheit ablehnend). Neben diesen Einschränkungen existieren weitere methodische Probleme. Beispielsweise gehen wir in der Panelanalyse davon aus, dass wir den Wandel einer spezifischen Lokalpartei nachverfolgen können. Das setzt aber voraus, dass (1) die Person, die den Fragebogen ausfüllt, die Situation in der Partei richtig einschätzt und (2) die gleiche Person den Fragebogen sowohl 1989, als auch 2002 den 1 Vgl. hierzu auch das Skript zur Vorlesung «Politische Ideen und ihre Träger» von Andreas Ladner, Wintersemester 2002/03, Seite 26. 3 von 11 Seiten
Fragebogen ausfüllt. Solche methodischen Probleme werden in der Abschlussarbeit ausführlich diskutiert, hier aber nicht weiter berücksichtigt. Aus Platzgründen werden weiter die Ergebnisse der empirischen Untersuchung für die zweite Leit- hypothese hier zur sehr kurz wiedergegeben. 3.2. Leithypothese 1: Kirchheimer Die Leithypothese 1 besagt, dass die Schweizer Bundesratsparteien auf parteiideologischer Ebene konvergieren. Diese Tendenz kann man auf zwei Arten messen: (1) mit Hilfe der Distanzen zwi- schen den einzelnen Parteien und (2) mit Hilfe der parteiinternen Heterogenität und Konfliktivität, die beide aufgrund des breiteren ideologischen Spektrums, das eine Catch-all party verglichen mit einer Weltanschauungspartei abdeckt, grösser werden sollten. Bei allen vier 10er Skalen zeigt sich ein einheitliches Bild (vgl. Tabelle 1). Sowohl bei der Betrach- tung aller vier Bundesratsparteien, als auch bei der gesonderten Betrachtung der drei bürgerlichen Bundesratsparteien nimmt die Distanz zwischen der Partei am linken und der Partei am rechten Rand des Spektrums über die Periode 1989 bis 2002 zu. Auf den drei Links/Rechts-Skalen zeigt sich dabei die gleiche Tendenz. Während sich die SPS und die SVP jeweils gegen die Pole zu be- wegen, konvergieren die CVP (etwas stärker) und die FDP gegen die Mitte. Dies entspricht ziem- lich genau dem, was wir aus der täglichen Medienlektüre erwarten würden. 4 von 11 Seiten
Tabelle 1: Distanzen auf den 10er Skalen Partei 1989 2002 Differenz Alle Parteien Bürgerliche Links/Rechts-Skala FDP 6.94 6.77 - 0.17 Max. Distanz: Max. Distanz: Lokalpartei CVP 6.35 6.02 - 0.33 1989: 3.70 1989: 0.69 SVP 7.04 7.22 + 0.18 2002: 4.13 2002: 1.20 SPS 3.34 3.09 - 0.25 Polarisierung! Polarisierung! Links/Rechts-Skala FDP 7.28 6.86 - 0.42 Max. Distanz: Max. Distanz: Kantonalpartei CVP 6.50 5.88 - 0.62 1989: 4.25 1989: 0.90 SVP 7.40 7.55 + 0.15 2002: 4.81 2002: 1.67 SPS 3.15 2.74 - 0.41 Polarisierung! Polarisierung! Links/Rechts-Skala FDP 7.54 6.79 - 0.75 Max. Distanz: Max. Distanz: Bundespartei CVP 6.48 5.73 - 0.75 1989: 4.32 1989: 1.06 SVP 7.31 8.04 + 0.73 2002: 5.19 2002: 2.31 SPS 3.22 2.85 - 0.37 Polarisierung! Polarisierung! Grün/Antigrün-Skala FDP 5.39 5.61 + 0.22 Max. Distanz: Max. Distanz: Lokalpartei CVP 4.82 5.27 + 0.45 1989: 2.41 1989: 0.67 SVP 5.49 6.22 + 0.73 2002: 2.96 2002: 0.95 SPS 3.08 3.26 + 0.18 Polarisierung! Polarisierung! Ein anderes Bild zeigt sich, wenn man die Parteiideologie auf der Ebene der 17 spezifischen Issues misst. Um die Analyse ein wenig Übersichtlicher zu gestalten, haben wir in einem ersten Schritt eine Aggregation vorgenommen. Aus den fünf Issues «Dafür sorgen, dass der Staat nicht immer mehr reglementiert», «Verringerung der Steuerbelastung», «Förderung des Wirtschaftswachstums der Gemeinde», «Förderung des Finanzplatzes» und «Den Gemeindesteuerfuss möglichst niedrig halten» haben wir den Faktor «Ökonomie» gebildet, aus den fünf Issues «Dafür sorgen, dass die Arbeitnehmer mehr Einfluss erhalten», «Ausbau des Mieterschutzes», «Mehr öffentliche Unterstüt- zung für soziale Dienstleistungen», «Gleichstellung von Mann und Frau durchsetzen» und «Mehr tun für Flüchtlinge und Asylsuchende» den Faktor «Soziales» und aus den vier Issues «Bei allen wichtigen Entscheidungen muss geprüft werden, ob sie verträglich für die Umwelt sind», «Förde- rung des öffentlichen Verkehrs», «Ausstieg der Schweiz aus der Kernenergie» und «Dafür sorgen, dass der Umweltschutz nicht auf Kosten der Wirtschaftsentwicklung betrieben wird» (negativ ko- diert!) den Faktor «Ökologie». Dabei bedeutet ein tiefer Wert, dass sich die Lokalpartei wirtschafts- freundlicher, sozialer bzw. ökologischer gebärdet. Die Graphiken 1 bis 3 geben die Ergebnisse wie- der. 5 von 11 Seiten
Graphik 1: Ökonomische Streitfragen Graphik 2: Soziale Streitfragen 2.300 2.300 2.100 2.100 1.900 1.900 1.700 1.700 FDP FDP 1.500 CVP 1.500 CVP 1.300 SVP 1.300 SVP 1.100 SPS 1.100 SPS 0.900 0.900 0.700 0.700 0.500 0.500 1989 2002 1989 2002 Graphik 3: Ökologische Streitfragen 2.300 2.100 1.900 1.700 FDP 1.500 CVP 1.300 SVP SPS 1.100 0.900 0.700 0.500 1989 2002 Betrachtet man die maximale Distanz zwischen den beiden extremen zum jeweiligen Faktor, so kann für die Faktoren «Ökonomie» und «Ökologie» sowohl zwischen den drei bürgerlichen Partei- en, als auch zwischen allen vier Bundesratsparteien eine Polarisierung beobachtet werden. Beim Faktor «Soziales» stellen hingegen in beiden Fällen eine Entpolarisierung fest. Dieses Ergebnis muss aber mit Vorsicht genossen werden. Während nämlich 1989 vor allem die CVP noch eine Mit- teposition zwischen den beiden Extremen hatte und damit eine Mitte-Links-Koalition für eine grosszügerige Haltung in sozialen Frage hätte gebildet werden können, so haben sich die Kräftever- hältnisse nun klar in Richtung «asozial» verschoben. Effektiv scheint hier eher eine Polarisierung zwischen den bürgerlichen Parteien und der SPS vorzuliegen. Auf einen analogen Befund stossen wir auch bei einer Diskriminanzanalyse (vgl. Tabelle 2). Stellen wir zwei bürgerliche Parteien einander gegenüber, so lassen sich über die Zeitperiode hinweg 6 von 11 Seiten
Tabelle 2: Diskriminanzanalyse2 1989 2002 r (in %) Ҳ2 r (in %) Ҳ2 FDP vs. CVP 52.1 110.57 41.1 64.46 FDP vs. SVP 32.2 31.68 9.5 2.71 FDP vs. SPS 86.1 568.70 90.4 682.87 CVP vs. SVP 54.5 87.56 38.4 38.63 CVP vs. SPS 73.2 293.19 83.6 410.78 SVP vs. SPS 85.2 416.58 88.1 442.23 schlechter unterscheiden. Stellen wir einer bürgerlichen Partei die SPS gegenüber, so können mit Hilfe der durch die Diskriminanzanalyse berechnete Diskriminanzfunktion die beiden Parteien bes- ser unterschieden werden. Als zweite Überprüfungsmöglichkeit können, wie eingangs dieses Kapitels erwähnt, die parteiinter- ne Heterogenität, gemessen mit Hilfe der Standardabweichungen der Lokalparteien auf der Links/Rechts-Skala Lokal, und die parteiinterne Konfliktivität, gemessen mit Hilfe der Issues3, her- beigezogen werden (vgl. hierzu Graphik 4 und 5). Gemäss Kirchheimer dürften wir hier eine Graphik 4: Heterogenität Graphik 5: Konfliktivität 35 1.60 1.40 30 1.20 25 1.00 20 1989 0.80 1989 2002 15 0.60 2002 10 0.40 0.20 5 0.00 0 FDP CVP SVP SP FDP CVP SVP SP 2 Die Grösse r entspricht hier der einfachen Punkt-Moment-Korrelation zwischen der Gruppenzugehörigkeit (hier der nationalen Parteiorganisation) und der Diskriminanzfunktion. Ein hoher Wert impliziert hier, dass man die beiden sich gegenüberstehenden Gruppen gut voneinander unterscheiden kann. 3 Vgl. hierzu Ladner/Brändle 2001, Seite ____. 7 von 11 Seiten
Zunahme der parteiinternen Heterogenität sowie Konfliktivität erwarten. Beides ist hier nicht der Fall. Einzig bei der SPS nimmt die parteiinterne Konfliktivität leicht, aber bereits auf tiefem Ni- veau, zu. 3.3. Leithypothese 2: Spaltungen Die Leithypothese 2 besagt, dass vier gesellschaftliche Spaltungen in der Schweizer Politik an Be- deutung verlieren. Die Variablen wurden gemäss Tabelle 3 gebildet. Tabelle 3: Operationalisierung der Hypothese 2.1. bis 2.4. H2.1. Die Spaltung Deutschschweiz Æ Deutsche Schweiz: rund 76.8 % der Beobachtungen. vs. lateinische Schweiz verliert Æ Lateinische Schweiz: rund 23.2 % der Beobachtungen. in der Schweizer Politik an Be- deutung. H2.2. Die Spaltung Katholizismus Æ Mehrheitlich nicht katholisch: Anteil Katholiken 0- vs. Protestantismus verliert in 35%: rund 39.9 % der Beobachtungen. der Schweizer Politik an Bedeu- Æ Paritär: Anteil Katholiken zwischen 35 und 65 %: rund tung. 25.6 % der Beobachtungen. Æ Mehrheitlich katholisch: Anteil Katholiken über 65%: rund 34.5 der Beobachtungen. H2.3. Die Spaltung Landgemeinden Æ Stadtgemeinden: 43.4 % der Beobachtungen. vs. Stadt-/Agglomerations- Æ Landgemeinden: 56.6 % der Beobachtungen. gemeinden verliert in der Schweizer Politik an Bedeu- tung. H2.4. Die Spaltung Kapital vs. Ar- Æ Links: 1 bis 4 auf der Li/Re-Skala Lokal 2002: 30.9 % beit verliert in der Schweizer der Beobachtungen. Politik an Bedeutung. Æ Mitte: 5 bis 6 auf der Li/Re-Skala Lokal 2002: 31.3 % der Beobachtungen. Æ Rechts: 7 bis 10 auf der Li/Re-Skala Lokal 2002: 37.7 % der Beobachtungen. Die Ergebnisse der Auswertungen der Leithypothese 2 können folgendermassen kurz zusammenge- fasst werden: (1) die Spaltungen «Konfession» und «Sprache» verlieren über die Periode 1989 bis 2002 an Bedeutung, die Spaltungen «Urbanität» und «Klasse» gewinnen im 8 von 11 Seiten
Tabelle 4: Zusammenfassende Tabelle Leithypothese 2 Ökonomische Soziale Ökologische Streitfragen Streitfragen Streitfragen 1989 2002 Wertung 1989 2002 Wertung 1989 2002 Wertung H2.1: Deutsche Schweiz vs. Lateinische Schweiz Deutsche Schweiz 1.57 1.50 1.71 1.89 1.71 1.87 Entpolarisierung Entpolarisierung Polarisierung Lateinische Schweiz 1.47 1.58 1.54 1.84 1.70 1.80 Differenz 0.11* 0.08 0.17* 0.04 0.01 0.07 H2.2: Katholizismus vs. Protestantismus Nicht katholisch 1.60 1.52 1.77 1.86 1.73 1.87 Entpolarisierung Entpolarisierung Entpolarisierung Katholisch 1.45 1.61 1.61 1.95 1.71 1.88 Differenz 0.15* 0.09 0.16* 0.09 0.02 0.01 H2.3: Landgemeinden vs. Stadt-/Agglomerationsgemeinden Landgemeinden 1.51 1.47 1.71 1.95 1.75 1.93 Polarisierung Polarisierung Polarisierung Stadt (+ Agglo.) 1.58 1.55 1.64 1.83 1.68 1.80 Differenz 0.07 0.08 0.07 0.12* 0.06 0.13* H2.4: Kapital vs. Arbeit Links 2.07 2.11 1.20 1.33 1.35 1.43 Polarisierung Polarisierung Polarisierung Rechts 1.27 1.22 2.02 2.16 1.93 2.13 Differenz 0.80* 0.89* 0.82* 0.83* 0.58* 0.71* Bemerkung: Wenn sich die beiden Mittelwerte auf dem Einprozent-Niveau signifikant voneinander unterscheiden, sind die Differenzen mit einem Stern (*) gekennzeichnet. 9 von 11 Seiten
gleichen Zeitraum an Bedeutung. Während die Unterschiede zwischen Positionen bei den drei Spal- tungen «Konfession», «Sprache» und «Urbanität» gering sind (bis 0.17), so sind sie für die Spal- tung «Klasse» vergleichsweise massiv (bis 0.89). Zu analogen Ergebnisse führten auch alternative Auswertungsmethoden. 4. Zusammenfassung Mit Hilfe der vier 10er Skalen stellen wir sowohl zwischen den Bundesratsparteien, als auch den drei bürgerlichen Bundesratsparteien eine Polarisierung fest. Ein anderes Bild ergibt sich bei der Analyse der Issues. Zwar kann auch hier zwischen allen vier Bundesratsparteien eine Polarisierung festgestellt werden, die Daten deuten jedoch für die drei bürgerlichen Bundesratsparteien eine Ent- polarisierung an. Die Analysen der parteiinternen Heterogenität und Konfliktivität liefern dahinge- gen ein einheitliches Resultat. Sowohl die parteiinterne Heterogenität, als auch die parteiinterne Konfliktivität nehmen ab. Zusammenfassend kann darum gesagt werden, dass auf der Ebene der parteipolitischen Ideologie die kirchheimer’sche Hypothese falsifiziert werden kann. Bei der zweiten Leithypothese zeigt sich ein ambivalentes Bild: Während die Spaltungen «Konfes- sion» und «Sprache» an Einfluss verlieren, gewinnen die Spaltungen «Urbanität» und «Klasse» an Bedeutung. Das kann dahingehend interpretiert werden, dass Kirchheimer wohl die Beständigkeit der gesellschaftlichen Spaltungen unterschätzt hat. 5. Auswahl der verwendeten Literatur Beyme, Klaus von (2000). Parteien im Wandel. Von den Volksparteien zu den professionalisierten Wähler- parteien. Wiesbaden. Westdeutscher Verlag Dittrich, Karl (1983). Testing the Catch-all Thesis: Some Difficulties and Possibilities. In: Daalder, Hans und Peter Mair. 1983. Western European Party Systems. London: Sage. S.258-266. Geser, Hans et. al. (1994). Die Schweizer Lokalparteien. Zürich: Seismo Kirchheimer, Otto (1965). Der Wandel des westeuropäischen Parteiensystems. In: Politische Vierteljahres- schrift 6. Jg., Heft 1, S. 20-41. Ladner, Andreas (1991). Politische Gemeinden, kommunale Parteien und lokale Politik. Eine empirische Untersuchung in den Gemeinden der Schweiz. Zürich. Seismo Ladner, Andreas, Brändle, Michael (2001): Die Schweizer Parteien im Wandel. Von Mitgliederparteien zu professionalisierten Wählerorganisationen? Seismo, Zürich. Linder, Wolf (1999). Schweizerische Demokratie. Institutionen, Prozesse, Perspektiven. Bern: Haupt. Nabholz, Ruth (1998). Das Wählerverhalten in der Schweiz: Stabilität oder Wandel? Eine Trendanalyse von 1971-1995. In: Hanspeter Kriesi, Wolf Linder und Ulrich Klöti (Hg.). Schweizer Wahlen 1995. Bern/Stuttgart/Wien. Haupt. S. 17-44. 10 von 11 Seiten
Schmidt, Manfred G. (1985). Allerweltsparteien in Westeuropa? Ein Beitrag zu Kirchheimers These vom Wandel des westeuropäischen Parteiensystems, in Leviathan, Jg. 13, H. 3, S. 376-397. Schmidt, Manfred G. (1989). 'Allerweltsparteien' und 'Verfall der Opposition' - Ein Beitrag zu Kirchhei- mers Analysen westeuropäischer Parteiensysteme. In: Luthardt, Wolfgang; Söllner, Alfons (Hrsg.), Verfas- sungsstaat, Souveränität, Pluralismus. Otto Kirchheimer zum Gedächtnis, Opladen. Westdeutscher Verlag. S. 173-181. Senti, Martin (05.07.2001). Stabilität und Wandel im Parteiensystem. Wissenswertes über die Schweizer Parteien, in: Neue Zürcher Zeitung, Nr. 153, 222. Jg., S.15. Senti, Martin (19.04.2003). Wahlen 2003. Wählermarkt und traditionelle Konfliktlinien, in Neue Zürcher Zeitung, Nr. 91, 224. Jg., S.13. 11 von 11 Seiten
Sie können auch lesen