Währungspolitische Lehren aus dem Scheitern des argentinischen Currency board
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Währungspolitische Lehren aus dem Scheitern des argentinischen Currency board Die Frage nach der richtigen geldpolitischen Stra- heute viele Experten im zu langen Festhalten an tegie für Länder mit einer nur wenig gefestigten der geldpolitischen Strategie eine Hauptursache für Währung ist nach wie vor offen. Der Wandel der die gegenwärtige ökonomische Krise des Landes. wirtschaftspolitischen Empfehlungen wird wesent- Um die Rolle des Currency board beim Zustande- lich von Erkenntnissen aus neuen Fallbeispielen kommen der Krise zu verstehen, ist es hilfreich, wirtschaftspolitischer Experimente bestimmt. Die erst einmal Zweck und Funktionsweise der Strate- Wirtschafts- und Finanzkrise von Argentinien bietet gie im allgemeinen zu klären. eine solche Chance zu lernen. Der Krisenausbruch Ein Currency board ist die Sonderform eines war mit dem Scheitern des dortigen Currency board Fixkurssystems. In einem Fixkurssystem erklärt verknüpft, einer geldpolitischen Strategie, die in sich die Zentralbank bereit, die Landeswährung Osteuropa gegenwärtig von Bulgarien, Estland und stets zu einem bestimmten Wechselkurs gegen eine Litauen verfolgt wird. Der Artikel analysiert an- Fremdwährung als „Ankerwährung“ (oder gegen hand des Lehrstücks Argentinien die potenziellen einen Währungskorb) zu handeln. Sie verspricht Probleme dieser währungspolitischen Strategie und also, diesen Wechselkurs zu „verteidigen“. Eine kommt zu Schlussfolgerungen, die auch für die ge- solche Politik kann in der überragenden Bedeutung nannten Länder Osteuropas von Bedeutung sind. begründet sein, die das Fremdwährungsland als Mit Hilfe des Currency board konnte Argenti- Handels- und Finanzpartner für die heimische nien längere Zeit eine stabilitätsorientierte Geld- Ökonomie spielt. Zumeist soll auch die Stabilität politik von recht hoher Glaubwürdigkeit verfolgen. der Ankerwährung durch den Fixkurs importiert Die Strategie hilft aber nur deshalb bei der Erlan- werden. Für den Erfolg einer solchen Politik, und gung von Glaubwürdigkeit, weil ein Abrücken vom das heißt für die Stabilität des Fixkurses selbst, ist Stabilitätskurs mit besonders hohen volkswirt- es wesentlich, dass das Versprechen der heimi- schaftlichen Kosten verbunden ist. Aus diesem schen Zentralbank, ihn zu verteidigen, auch glaub- Grund handelt es sich auch um eine hoch riskante haft ist. Ansonsten drohen spekulative Attacken Strategie. Weil der Rückweg zum flexiblen Wech- auf die Landeswährung: Die Finanzmarktteilneh- selkurs schwierig ist, bietet sich ein Currency mer verkaufen in großem Umfang Landeswährung, board daher besonders für Länder an, die lang- um von deren erwarteter Abwertung zu profitieren fristig sowieso eine Übernahme der Ankerwährung – oder auch, um sich gegen sie zu schützen. Spä- beabsichtigen – was für Bugarien, Estland und testens wenn die Währungsreserven der Zentral- Litauen als Beitrittskandidaten der Europäischen bank nicht mehr ausreichen, die Nachfrage nach Union ja auch zutrifft.1 Aber auch für diese Länder Fremdwährung zu befriedigen, muss der alte gilt, dass die Stabilität des Currency board letzt- Wechselkurs aufgegeben werden. Die Abwertungs- lich vom Vertrauen der internationalen Finanz- erwartung der Marktteilnehmer ist dann zur sich märkte in die Handlungsspielräume der Wirt- selbst erfüllenden Prophezeiung geworden. Spe- schaftspolitik abhängt. Diese Handlungsspiel- kulative Attacken haben immer wieder den unter- räume müssen den Finanzmärkten von Fall zu Fall schiedlichsten Fixkurssystemen ein Ende bereitet. mittels geeigneter wirtschaftspolitischer Maßnah- Ein Currency board soll durch zusätzliche Re- men kommuniziert werden. gelbindung gegen spekulative Attacken immuni- sieren: Die Zentralbank verpflichtet sich, Reserven Fixkurssysteme, spekulative Attacken und das der Fremdwährung in einem Ausmaß zu halten, Currency board das die von der Zentralbank emittierte Geldmenge Während das Currency board Argentiniens in den (die Geldbasis) mindestens abdeckt.2 Was die Geld- 90er Jahren als eine Erfolgsgeschichte galt, sehen 2 Ursprünglich sollten Currency boards vor physischen Atta- 1 Zu der Rolle, die Currency boards im Beitrittsprozess balti- cken schützen: Im britischen Kolonialreich des 19. Jahrhun- scher Staaten zur Europäischen Union spielen, vgl. derts dienten sie dazu, das Geld des Mutterlands (die An- GABRISCH, H., LINNE, T.: Die Currency boards der kerwährung) nicht den Risiken der Zirkulation in den Kolo- baltischen Beitrittsländer sind stabil und mit dem Wechsel- nien auszusetzen. Siehe WALTERS, A.: Currency Boards, kursmechanismus der EU kompatibel, in: IWH, Wirtschaft in: John Eatwell u. a (eds), The New Palgrave. A Dictionary im Wandel 11/2002, S. 333-338. of Economics: Money. London, New York 1987. Wirtschaft im Wandel 15/2002 463
basis betrifft, kann die Zentralbank damit ihr Han- das Ziel der Wechselkursstabilität zugunsten der delsversprechen stets einhalten: Im Extremfall wür- Einnahmenerzielung wird aufgeben müssen, wer- de eben die gesamte Basis an die Zentralbank zu- den die Finanzakteure versuchen, Verluste aus der rückwandern. Wäre die Geldbasis, wie es in früheren Abwertung ihrer Aktiva rechtzeitig zu vermeiden. Zeiten einmal der Fall war, der Geldmenge gleich- Es kommt zu einer spekulativen Attacke. zusetzen, könnte die Zentralbank nicht zur Aufgabe Im Rahmen eines Currency board ist der Um- des fixen Wechselkurses gezwungen werden, und fang der Seignorageeinnahmen allerdings keine spekulative Attacken hätten kaum Erfolgsaussichten. Entscheidungsvariable mehr. Die Expansion der In einer modernen Geldwirtschaft besteht die Geldmenge wird ja vom Wachstum der Währungs- Geldmenge allerdings zu einem Großteil aus Gi- reserven begrenzt. Damit fällt ein wichtiger mögli- ralgeld, also aus Guthaben der Privaten bei den cher Anlass spekulativer Attacken fort – freilich Geschäftsbanken. Wollten die Privaten einen grö- nur unter der Voraussetzung, dass die Finanz- ßeren Teil dieser Guthaben auf einmal auflösen, märkte die Selbstbindung der Zentralbank, auch in um das abgezogene Bargeld beim Currency board Zukunft an ihrer Geldpolitik festzuhalten, für in die Ankerwährung umzutauschen, müssten sich glaubhaft halten. Die Chancen und die Risiken ei- die Geschäftsbanken das Bargeld erst einmal bei ner solchen Strategie lassen sich am Fallbeispiel der Zentralbank besorgen. Falls sie dort nicht über Argentinien eindrucksvoll demonstrieren. genügend Reserven verfügen und die Währungs- reserven der Zentralbank nicht ausreichen, die Geld- Der Krisenverlauf basis zur Bereitstellung von Liquidität auszuwei- Im April 1991 setzte die Regierung Menem unter ten, droht eine Bankenkrise, ein „Bank run“. Will Wirtschaftsminister Cavallo ihren so genannten die Zentralbank eine solche systemische Finanz- „Konvertibilitätsplan“ um. Er sicherte den Haltern krise verhindern und als „Lender of Last Resort“ argentinischer Pesos das Recht zu, diese jederzeit eingreifen, muss sie von der Deckung der Geld- und in unbegrenztem Umfang zum Kurs von 1:1 in basis abrücken und das Currency board aufheben. US-Dollar einzutauschen. Zur Gewährleistung der Auch ein Currency board kann also ein Fix- Glaubwürdigkeit dieses Systems wurde die ar- kurssystem nicht für alle Fälle garantieren. gentinische Zentralbank – Banco Central de la República Argentina (BCRA) – verpflichtet, inter- Currency boards und wirtschaftspolitische nationale Währungsreserven zumindest im Um- Ursachen von Währungskrisen fang des durch sie in Umlauf gebrachten Basisgel- Allerdings könnte die geldpolitische Strategie ei- des zu halten. Hierdurch sollte vor allem die in der nes Currency board dazu beitragen, dass spekula- Vergangenheit so verhängnisvolle Finanzierung von tive Attacken erst gar nicht entstehen. Banken- Staatsschulden über die Notenpresse glaubwürdig oder Währungskrisen kommen im allgemeinen unterbunden werden. nicht aus heiterem Himmel. Vielmehr müssen die Auf die Errichtung des Currency board folgten Akteure auf den Finanzmärkten Anlass haben, ihr weitere Reformmaßnahmen mit dem Ziel einer brei- Verhalten auf einen „Bank run“ oder auch auf eine ten Liberalisierung der Wirtschaft sowie ihrer Öff- „Währungsattacke“ zu koordinieren. Ein solcher nung für die internationalen Kapital- und Güter- Anlass ist in der Vergangenheit immer wieder eine märkte. Der Bankensektor wurde – zumeist über unsolide Haushaltspolitik des betroffenen Landes Verkäufe an ausländische Banken – in großem gewesen. Der Grund ist leicht einzusehen: Eine Umfang privatisiert und strengen Regulierungs- Quelle der Haushaltsfinanzierung sind neben der maßnahmen unterworfen. So mussten argentini- Schuldenaufnahme Einnahmen, die aus der Emis- sche Banken eine Eigenkapitalquote von 11,5% sion von Zentralbankgeld entstehen (die so ge- statt der in der Baseler Übereinkunft vereinbarten nannte Seignorage). Diese Einnahmen können, in 8% halten. Darüber hinaus wurde ein obligatori- gewissen Grenzen, durch Erhöhung der Emissi- sches Einlagensicherungssystem geschaffen und onsmenge, also Ausweitung der Geldbasis vergrö- die Reservepflicht für Banken auf eine breitere Ba- ßert werden. Freilich wird eine solche Politik in sis gestellt; letztere war bis zum Ausbruch der der Regel mit der Verteidigung eines Fixkurses Bankenpanik im Herbst 2001 mit einem Reserve- nicht vereinbar sein: Die Geldmengenexpansion satz von 20% im internationalen Vergleich sehr führt zur Inflation und zwingt letztlich zur Ab- streng. Das Bankensystem Argentiniens galt in der wertung der Währung. Wenn es die Finanzmärkte Folge als eines der stabilsten unter denen der für absehbar halten, dass die Regierung in Zukunft Schwellenländer. 464 Wirtschaft im Wandel 15/2002
Abbildung 1: wieder erholen, und der dynamische Wachstums- Risikoaufschlag für argentinische Auslandsverbind- prozess setzte sich bis zum Sommer 1998 fort. lichkeitena Allerdings war dieses Bild getrübt durch einen - in Basispunkten - trotz Wirtschaftswachstum und umfangreichen Pri- vatisierungserlösen stetig zunehmenden Schul- 1600 1400 denstand der öffentlichen Haushalte. Die zuneh- 1200 mende Verschuldung war auch Konsequenz des 1000 Fiskalföderalismus. Dieser schuf Anreize für eine 800 600 übermäßige Ausgabenpolitik der Provinzregierun- 400 gen, die durch die Zentralregierung zu alimentieren 200 war. Auch die Reform der Rentenversicherung 0 belastete die öffentlichen Haushalte. 31.12.97 30.4.98 31.8.98 31.12.98 30.4.99 31.8.99 31.12.99 Darüber hinaus verschuldeten sich sowohl Staat als auch privater Sektor in großem Umfang im 6000 Ausland, sodass bereits 1998 weit über 50% der 5600 Devisenerlöse aus den Exportgeschäften auf die 5200 Bedienung von Schulden gegenüber den ausländi- schen Kapitalgebern entfielen. Zur Finanzierung 4800 der Importe mussten zusätzliche Kredite im Aus- 4400 land aufgenommen werden. 4000 Im Spätsommer 1998 geriet Argentinien – des- 3600 sen Ökonomie sich gerade in einer konjunkturellen 3200 Abschwungphase befand – in die Fahrwasser der 2800 ostasiatischen und russischen Finanzkrisen. Die 2400 Einschätzung eines grundsätzlich höheren Länder- 2000 risikos für Schwellen- und Entwicklungsländer durch 1600 die internationalen Finanzmärkte schlug sich in ei- 1200 nem Anstieg der durchschnittlichen Differenz zwi- 800 schen den Renditen auf US Treasuries und auf die 400 Auslandsverbindlichkeiten argentinischer Schuld- 0 ner nieder. In der Folge stiegen das heimische 31.12.99 30.4.00 31.8.00 31.12.00 30.4.01 31.8.01 31.12.01 Zinsniveau und damit die externen Finanzie- IWH rungskosten für die argentinischen Unternehmen. a Die Binnennachfrage ging ebenso zurück wie die Differenz zwischen der Umlaufrendite für Wertpapiere argentini- scher Schuldner in Auslandsbesitz und der Rendite für US Treasuries. Exporte in den zeitgleich krisengeschüttelten 100 Basispunkte entsprechen einem Prozentpunkt. Haupthandelspartner Brasilien. Argentinien geriet Quelle: JP Morgan. in eine Rezession. Am 15. Januar 1999 musste Brasilien die Freigabe des bis dahin an den US- Diese Reformbemühungen wurden rasch mit Dollar gekoppelten Real verkünden, in deren Folge Erfolgen belohnt. Die Hyperinflation war mit der es zu einer 40prozentigen realen Aufwertung des Einführung des Currency board vorüber und die argentinische Peso gegenüber der brasilianischen Inflationsrate ging binnen zwei Jahren sogar auf Währung kam. Da zusätzlich der US-Dollar und einstellige Werte zurück. Das jährliche reale Wirt- mit ihm der Peso gegenüber dem Euro deutlich an schaftswachstum betrug bis 1998 durchschnittlich Stärke gewannen, stiegen Argentiniens Terms of 5,1%. Diese Entwicklung ließ Argentinien als att- Trade, wodurch sich die internationale Wettbe- raktiven Standort für internationale Investoren er- werbsfähigkeit der argentinischen Wirtschaft ver- scheinen. Dass diese Einschätzung nicht gänzlich schlechterte. unbegründet war, wurde insbesondere im Zuge der Quantitativ mindestens ebenso bedeutsam wie Mexiko-Krise 1994/95 deutlich. Zwar büßte in die- die Belastungen des Außenhandels waren jedoch ser Zeit der BCRA vorübergehend fast 6 Mrd. US- die steigenden Zinszahlungen, die Argentinien auf- Dollar seiner Währungsreserven ein, und Argenti- grund der bereits aufgelaufenen Auslandsschulden nien wurde in eine Rezession gerissen. Von dieser gegenüber ausländischen Gläubigern aufzubringen konnte sich das Land jedoch anschließend schnell hatte. Idealtypischerweise käme es bei einem Cur- Wirtschaft im Wandel 15/2002 465
rency board im Falle eines Leistungsbilanzdefizits musste diese Kreditzusage im Januar 2001 jedoch zu einem Abfluss der Währungsreserven, was zu nochmals um 5,2 Mrd. Sonderziehungsrechte (ent- einem Rückgang der heimischen Geldmenge füh- sprechend 6,8 Mrd. US-Dollar) erhöht werden, ren würde. Durch die sich dann ergebende reale nachdem Argentinien im Dezember 2000 die be- Abwertung der Währung würde sich die interna- stehende Kreditlinie in Anspruch genommen hatte. tionale Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Wirt- schaft wieder verbessern. Die Zahlungsbilanz käme Abbildung 2: so wieder zum Ausgleich. Kredite argentinischer Banken Die Realität in Argentinien sah indes anders - in Mrd. Peso - aus: Das im Jahr 1999 bestehende Leistungs- 45 bilanzdefizit von 4,3% des Bruttoinlandsprodukts 40 Kredite an privaten Sektor in Dollar wurde über Nettokapitalimporte finanziert. In der 35 schwierigen konjunkturellen Lage, in der sich Ar- 30 gentinien zu diesem Zeitpunkt befand, war die Kredite an privaten Sektor in Peso hiermit induzierte zusätzliche Belastung der Leis- 25 tungsbilanz problematisch. Zudem waren die Ge- 20 werkschaften trotz der schlechten Beschäftigungs- 15 Kredite an öffentlichen Sektor in Dollar situation und der deflationären Entwicklung nicht 10 bereit, nominale Einkommenseinbußen zu akzep- 5 tieren, und so kam es zu keiner Kostenentlastung Kredite an öffentlichen Sektor in Peso 0 der argentinischen Unternehmen. Darüber hinaus 1998 Juli 1999 Juli 2000 Juli 2001 Juli 2002 führten die übermäßigen Staatsausgaben und die Januar Januar Januar Januar Januar Rezession zu einem zunehmenden Kreditbedarf IWH der öffentlichen Haushalte, der auch über eine ver- Quelle: Banco Central de la República Argentina. stärkte Inanspruchnahme von inländischen Bank- darlehen gedeckt wurde. Da die Währungsreserven Aber weder die Engagements des IWF noch die des BCRA nicht mehr zunahmen, führte dies zu Maßnahmen der Regierung mit dem Ziel einer einer Umschichtung in den Portfolios argentini- Konsolidierung der öffentlichen Finanzen über- scher Banken zugunsten der Kreditvergabe an den zeugten die internationalen Investoren. Die Länder- öffentlichen Sektor und zu Lasten der Kreditver- prämie blieb hoch und stieg seit März 2001 im Ge- gabe an den privaten Sektor. Konsequenz waren folge politischer Unstimmigkeiten in der Regierung sich verschlechternde externe Finanzierungsmög- sogar weiter an. Am 20. März übernahm Domingo lichkeiten für die argentinischen Unternehmen, die Cavallo wieder das Wirtschaftsressort und ver- zu einem weiteren Rückgang der Investitionen suchte über eine Politik der Markteingriffe der Fi- führten und die Rezession verschärften.3 nanzierungskrise der öffentlichen Haushalte Herr zu Die von der neuen Regierung De la Rúa Anfang werden. So wurde eine Steuer auf Finanztransaktio- des Jahres 2000 durchgesetzten Steuererhöhungen nen eingeführt, Exporte wurden subventioniert und brachten keine nennenswerte Entlastung der öf- zusätzliche Zölle auf Importe erhoben. Das Cur- fentlichen Budgets, zumal die Steuerbasis auf- rency board mit der festen Bindung des Peso an den grund der anhaltenden Rezession wegbrach. Der US-Dollar wurde aufgeweicht, indem ein Wäh- IWF unterstützte zwar das Programm der neuen rungskorb (zu je gleichen Teilen aus US-Dollar und Regierung im März 2000 mit einem Bereitstel- Euro bestehend) als monetärer Anker dienen sollte, lungskredit in Höhe von 5,4 Mrd. Sonderziehungs- sobald der Euro die Parität mit dem US-Dollar er- rechte (entsprechend dem zu diesem Zeitpunkt gül- reichen würde. Da Cavallo auch noch den Präsi- tigen Umtauschkurs etwa 7,2 Mrd. US-Dollar). Auf- denten des BCRA entließ, verstärkten sich die an grund der nachhaltig schlechten Haushaltssituation den Finanzmärkten aufkommenden Zweifel bezüg- lich der Unabhängigkeit und des Fortbestandes des 3 So sanken die Anlageinvestitionen zwischen dem dritten Currency board. Schließlich brachte Cavallo die ar- Quartal 1998 und dem zweiten Quartal 2000 um mehr als gentinischen Banken dazu, ihre Staatsschuldpapiere 20%, sodass die Investitionsquote trotz negativer Wachs- in zinsgünstigere Kredite umzuwandeln, was einer tumsraten für das Bruttoinlandsprodukt im selben Zeitraum Erosion des Eigenkapitals für die Banken gleichkam. von 21,5% auf 17,7% zurückging (Berechnungen des IWH Im Juli 2001 wurde deutlich, dass die gegen- aufgrund von Angaben des argentinischen Wirtschaftsmi- nisteriums). über dem IWF zugesagten Budgetgrenzen nicht 466 Wirtschaft im Wandel 15/2002
eingehalten werden konnten. Ende Juli 2001 be- gesetzes und damit die Abschaffung des Currency trug daher die Zinsdifferenz bereits über 1 700 Ba- board erklärt wurde. Zudem wurde die sogenannte sispunkte und die argentinische Regierung war Pesifizierung beschlossen, nach der Kredite von nicht mehr in der Lage, weitere Kredite an den in- Finanzinstitutionen, die 100 000 US-Dollar nicht ternationalen Finanzmärkten aufzunehmen. Im Au- überschreiten, grundsätzlich zum Kurs von 1:1 in gust 2001 startete die Regierung eine Null-Defizit- Peso umgewandelt wurden; alle anderen Forde- Politik. Zugleich wurde den Provinzregierungen rungen und Verbindlichkeiten wurden dagegen im allerdings zugestanden, ihre Defizite durch Emis- Kurs 1:1,4 umgestellt. Die daraus folgende be- sion von eigenen Schuldpapieren mit geringem wertungsbedingte Passivierung ihrer Bilanzen be- Stückwert zu finanzieren, die parallel zum Peso als lastet die Banken ebenso wie der Zahlungsausfall Zahlungsmittel in den Regionen kursieren sollten. ihres Hauptschuldners (des Staates) sowie der de- Alle Maßnahmen der Regierung, Herr über die pressionsbedingte Anstieg notleidender Kredite an sich verschärfende Krise zu werden, signalisierten Private. indes den internationalen Finanzmärkten, dass eine Gegenwärtig können die öffentlichen Haushalte Konsolidierung der öffentlichen Haushalte un- nur einem Teil ihrer Zahlungsverpflichtungen nach- möglich geworden war und ein Zahlungsausfall kommen, das Banken- und Finanzsystem ist ge- bevorstand. Deshalb stieg im September die Fi- lähmt und das reale Pro-Kopf-Einkommen liegt auf nanzierungsprämie weiter und Argentinien wurde dem Niveau von 1990/1991. als risikoreichster Schuldner weltweit eingestuft. In einer letzten Rettungsaktion legte die Regierung Die Krise: im November 2001 ein groß angelegtes Umschul- Finanzmarktpanik oder Politikversagen? dungsprogramm auf. Ziel war es, in Übereinkunft Was den Zusammenbruch des argentinischen Cur- mit den Gläubigern die Tilgungszahlungen bis ein- rency board unausweichlich machte, war also die schließlich 2004 auszusetzen und die Zinslasten pessimistische Einschätzung des Risikos argentini- um insgesamt 7 Mrd. US-Dollar zu verringern. scher Staatstitel durch die internationalen Finanz- Weil die argentinischen Banken zu einem märkte. Wie beschrieben wurde, löste die Verwei- Großteil Forderungen gegenüber einer mutmaßlich gerung frischen Kapitals aus dem Ausland die zahlungsunfähigen Regierung hielten, wünschten Flucht aus heimischer Geldhaltung, also einen immer mehr Argentinier, einem Verlust ihrer Ein- „Bank run“, und damit das chaotische Ende des lagen durch Auflösen ihrer Konten zu entgehen. In Currency board aus. Es stellt sich die Frage, ob die Folge dessen kam es zu einem Abfluss von Wäh- Wirtschaftskrise hätte überwunden werden kön- rungsreserven bei dem BCRA.4 Allein am 29. und nen, falls die Finanzmärkte von ihrer selbsterfül- 30. November 2001 wurden Konten im Umfang lenden Prophezeiung der Zahlungsunfähigkeit ab- von fast 2 Mrd. US-Dollar aufgelöst, und die Re- gerückt wären, oder ob die Akteure an den Börsen gierung reagierte, wie von der Bevölkerung be- einen Zusammenbruch des argentinischen Finanz- fürchtet, mit dem Einfrieren der Konten: Die Bar- systems nur vorwegnahmen, der aufgrund funda- abhebungen und die Auslandsüberweisungen wur- mentaler Probleme des Landes auf Dauer unaus- den auf 250 US-Dollar pro Woche und Person be- weichlich war. grenzt.5 Diese Maßnahme verschärfte die Unzu- Manche Beobachter nennen als fundamentale friedenheit der Argentinier. Im Dezember kam es Ursachen der argentinischen Finanzkrise Fehler zu öffentlichem Aufruhr und Plünderungen, bei der Geldpolitik, andere das Versagen der Fiskal- denen sogar Menschen zu Tode kamen. politik. Was die Geldpolitik betrifft, argumentieren Schließlich erklärte die Regierung am 23. De- Kritiker des Currency board, dass dieses Wäh- zember offiziell die Zahlungsunfähigkeit. Am 6. Ja- rungssystem grundsätzlich die Gefahr einer Über- nuar 2002 wurde ein Notstandsgesetz verabschie- bewertung der Währung in sich trage. Wie im Fall det, in dem die Aufhebung des Konvertibilitäts- Argentiniens geschehen, passen sich die zunächst hohen Inflationsraten einer traditionell schwachen 4 Im Jahr 2001 verringerte sich der Gesamtbestand um etwa Währung erst nach und nach den niedrigen Raten 50%, insgesamt über 12 Mrd. US-Dollar, wobei die Hälfte der Ankerwährung an. Dieses Problem ist durch hiervon allein im vierten Quartal abfloss (Berechnungen die Aufwertung des US-Dollar als Ankerwährung des IWH aufgrund von Angaben und Schätzungen des ar- gentinischen Wirtschaftsministeriums). des Peso in der zweiten Hälfte der 90er Jahre und 5 Gleichzeitig wurde der Mindestreservesatz für Bankeinla- besonders durch die drastische Abwertung des bra- gen auf 12,5% gesenkt. silianischen Real gegenüber US-Dollar und Peso Wirtschaft im Wandel 15/2002 467
im Jahr 1999 verstärkt worden.6 Die aus der Über- Einkommen laufend als Kapitalexport nach Ar- bewertung folgende Deflation habe den Zusammen- gentinien zurückführten. bruch des Currency board unausweichlich gemacht. Abbildung 3: Tabelle: Nominale Exporte Argentiniens Wichtige Wirtschaftsindikatoren Argentiniens - in Mrd. US-Dollar - a d BIP Budget- Staats- Leistungs- Auslands- DSR 30 saldob schuldenb bilanz- schuldenc saldob 25 1994 5,8 -1,1 31,1 -4,3 29,6 25,2 20 1995 -2,8 -2,8 35,9 -2,0 39,0 30,3 15 1996 5,5 -2,9 37,4 -2,5 41,7 39,5 1997 8,1 -2,1 38,9 -4,2 44,8 50,1 10 1998 3,8 -2,1 41,4 -4,9 48,5 57,7 5 1999 -3,4 -4,1 47,3 -4,3 52,6 75,8 0 2000 -0,8 k. A. k. A. -3,2 52,6 71,3 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 -4,4 k. A. k. A. -1,7 k. A. 99,5 a Mercosur Nafta EU Rest Bruttoinlandsprodukt (real), Veränderung gegenüber dem Vorjahr (in %),. – b In % des nominalen Bruttoinlandsprodukts. – c In % des Bruttonationaleinkommens. – d Debt Service Ratio: Verhältnis der IWH Schuldendienste gegenüber Ausländern zu den Erlösen aus dem Ex- Quelle: Argentinisches Wirtschaftsministerium. port von Gütern und Dienstleistungen. – k. A. = keine Angaben. Quelle: IWF; World Bank Global Development Finance 2002. Die Auslandsverbindlichkeiten bestanden Ende Tatsächlich brach der Handel mit den Staaten 2001 zu 62% aus Staatsschulden. Lag die Ursache der Freihandelszone Mercosur (der neben Argenti- der Krise einfach in einer Überschuldung des ar- nien und Brasilien auch Uruguay und Paraguay gentinischen Staates?7 Das von der Europäischen angehören) im Jahr der Währungskrise Brasiliens Union Neumitgliedern auferlegte Kriterium einer ein. Andererseits erholten sich die argentinischen Schuldenquote von unter 60% hätte Argentinien bis Exporte schon im Jahr 2000 wieder recht gut. Über zuletzt erfüllt. Allerdings stieg diese Quote, also das die gesamten 90er Jahre wuchs der Export real im Verhältnis des gesamtstaatlichen Schuldenstandes Schnitt mit immerhin fast 9% per annum. zum Bruttoinlandsprodukt, von 35,9% im Jahr 1995 Die Bindung an den starken US-Dollar hat der auf 47,3% im Jahr 1999 an;8 die Defizitquote be- argentinischen Wirtschaft gewiss nicht geholfen, wegte sich damit im Schnitt zwischen 2% und 3%. aber sie kann kaum die Hauptursache der Krise Sie sprang erst im Lauf des Jahres 2001 auf über gewesen sein. Der starke Peso ließ erst in Verbin- 6%, als der Risikozuschlag auf argentinische dung mit den fiskalpolitischen Problemen die au- Staatstitel exorbitant wurde.9 Wieder könnte man zu ßenwirtschaftliche Lage des Landes bedrohlich er- der Überzeugung kommen, dass erst die selbster- scheinen. Das Defizit der Handels- und Dienst- füllende Prophezeiung der Kapitalmärkte die Krise leistungsbilanz bildete sich (auch aufgrund der ge- ausweglos machte. Allerdings hatten die Kapital- drückten Inlandsnachfrage infolge der Rezession) märkte gute Gründe, die Bonität Argentiniens nicht in den Jahren nach der Asien- und Russlandkrise nach westeuropäischen Maßstäben zu beurteilen: rasch zurück und verwandelte sich 2001 sogar in Steuern zuzüglich Sozialversicherungseinnahmen einen kräftigen Überschuss. Der Leistungsbilanz- saldo blieb dagegen stark defizitär: Die Bedienung 7 Diese These wird etwa verfochten in MUSSA, M.: Argen- der hohen Auslandsverbindlichkeiten führte in tina and the Fund: From Triumph to Tragedy. Policy Ana- großem Umfang zum Abfluss von Vermögensein- lyses in International Economics 67. Washington D. C. 2002. kommen ins Ausland. Argentinien war darauf an- 8 Berechnung des IWF. Vgl. IMF: Public Information Notice gewiesen, dass die internationalen Anleger dieses 99/21 und 00/84. 9 Berechnungen des IWH aufgrund von Angaben und Schät- zungen des argentinischen Wirtschaftsministeriums zu 6 Vgl. FRITSCHE, U.; HORN, G. A.: Argentinien in der Bruttoinlandsprodukt und Jahresendständen der gesamt- Krise, in: DIW Wochenbericht 12/2002. staatlichen Schulden. 468 Wirtschaft im Wandel 15/2002
blieben während der zweiten Hälfte der 90er Jahre Bindung an die Ankerwährung nicht mehr über ei- zwischen 15% und 18% des Bruttoinlandsprodukts. nen flexiblen Wechselkurs aufgefangen werden. Diese geringe Quote begrenzte den finanziellen Stattdessen müssen Zinsen, Güterpreise und Löhne Spielraum des argentinischen Staates. flexibel genug sein, um die Anpassungen zu be- Der Anstieg des Zinsspreads signalisierte einen wältigen. Das gilt umso mehr, wenn die Anker- massiven Vertrauensverlust auf den internationalen währung keine überragende Bedeutung für die Au- Kapitalmärkten. Immerhin führte dieser Vertrau- ßenbeziehungen des Landes hat. Denn in diesem ensverlust nicht zu einer plötzlichen Währungsat- Fall bedeuten Änderungen des Außenwertes der tacke oder einem Bank run, die keine Zeit zu Ge- Ankerwährung auch einen exogenen Schock für genmaßnahmen gelassen hätten. Die Krise zog die Wirtschaft des Currency-board-Landes selbst. sich hin. Es musste der argentinischen Regierung Zum anderen darf die Stabilitätsorientierung der deutlich gewesen sein, dass sie nur über die Wie- Finanzpolitik nie in Frage geraten. Gerade für derherstellung des Vertrauens und einen Rückgang Schwellen- oder Transformationsländer mit in der des Zinsspread die Zinslast senken und die Zah- Regel guten Wachstumsaussichten sind Kapitalim- lungsunfähigkeit abwenden konnte. Die dazu ge- porte an sich sinnvoll und wegen unterentwickelter eignete Maßnahme wäre die Beschränkung des ge- heimischer Finanzmärkte auch notwendig. Eine hohe samtstaatlichen Defizits gemäß den Zielvereinba- Staatsverschuldung bringt es jedoch in konjunktu- rungen mit dem IWF gewesen. Dabei ging es gar rell schwierigen Zeiten mit sich, dass die Zahlungs- nicht um das kurzfristige Erreichen einer auf die fähigkeit des Staates vom Vertrauen internationaler Dauer tragfähigen Defizitquote: Dieses Ziel lag Kapitalmärkte in die nationale Fiskalpolitik abhängt. schon wegen der sinkenden Steuerbasis aufgrund In einer solchen Situation kommt es entscheidend der Rezession außer Reichweite. Stattdessen sahen darauf an, dass die Wirtschaftspolitik in der Lage etwa die Zielvereinbarungen für 2001 eine gesamt- ist, ihre Orientierung am Ziel stabiler Staatsfinanzen staatliche Defizitquote von 3,1% des Bruttoin- und ihre Handlungsfähigkeit bei der Verfolgung landsprodukts vor.10 Die sich anbahnende Verfeh- dieses Ziels glaubwürdig zu signalisieren. Dabei kann lung dieses Zieles wurde von den internationalen eine föderale Finanzverfassung hinderlich sein. Die- Investoren als Signal verstanden, dass die argenti- ses Problem stellt sich freilich für die zentral orga- nische Politik prinzipiell nicht zur Lösung der nisierten Currency-board-Staaten Osteuropas nicht. Krise in der Lage war. Obwohl sich Fundamental- Angesichts der recht hohen Anforderungen drängt faktoren wie Staatsverschuldung und Zahlungsbi- sich die Frage auf, ob die potenziellen Vorteile ei- lanz in dieser Zeit keinesfalls drastisch ver- nes Currency board gewichtig genug sind, um die schlechterten, waren Ende des Currency board und Strategie zu rechtfertigen. Der Fall Argentinien Zahlungsunfähigkeit damit unausweichlich. Die zeigt, dass der Glaubwürdigkeitsgewinn bezüglich Politik war auf Handlungsspielräume getestet wor- des endgültigen Verzichts einer Staatsausgaben- den, die über kurz oder lang auf jeden Fall ausge- finanzierung über die Notenpresse an sich hoch schöpft werden mussten. Da diese Spielräume of- sein kann, gerade diese Glaubwürdigkeit jedoch fensichtlich nicht vorhanden waren, erzwangen die fatale Folgen im Fall eines Scheiterns der Strategie Kapitalmärkte eine Aufgabe der bisherigen Politik. hat: Das Land hatte sich nur deshalb lange Zeit überzeugend an seine geldpolitische Strategie ge- Lehren bunden, weil die Kosten der Aufgabe als so über- Der Fall Argentiniens zeigt, dass ein Currency aus hoch eingeschätzt wurden. Die schlimme ge- board geeignet sein kann, eine Währung lange Zeit genwärtige Lage hat diese Einschätzung parado- stabil zu halten, dass dieser Erfolg aber nur dann xerweise im Nachhinein bestätigt. von Dauer ist, wenn Wirtschaft und Wirtschaftspo- Das Fehlen einer tragbaren „Exit Option“ ist ein litik in ihrer Gesamtheit bestimmte Anforderungen gewichtiges Argument, das gegen die Einrichtung erfüllen. von Currency boards spricht. Es entfällt freilich, Zum einen können externe Schocks, wie es die wenn, wie im Fall der Beitrittskandidaten zur Brasilienkrise für Argentinien war, aufgrund der Europäischen Union, das langfristige Ziel der Wäh- rungspolitik eine Übernahme der Ankerwährung ist. 10 Vgl. INTERNATIONAL MONETARY FUND: Argentina; Diemo.Dietrich@iwh-halle.de Third Review Under the Stand-By Arrangement. Request for Axel.Lindner@iwh-halle.de Waivers and Modification of the Program-Staff Report and News Brief on the Executive Board Discussion. June 2001. Wirtschaft im Wandel 15/2002 469
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