Was das deutsche Free-TV, die Schweizer Badeanstalten, Max Frisch und das "männer.ch" miteinander zu tun haben
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Was das deutsche Free-TV, die Schweizer Badeanstalten, Max Frisch und das „männer.ch“ miteinander zu tun haben … Geburtstagsrede 10 Jahre „männer.ch“, 20.06.2015 in Luzern Martin Rosowski Aus unerfindlichen Gründen habe ich mir in den Kopf gesetzt, meiner heutigen Geburtstagsrede eine verrückte Überschrift zu geben. Das fragwürdige Ergebnis lautet: Was das deutsche Free-TV, die Schweizer Badeanstalten, Max Frisch und das „männer.ch“ miteinander zu tun haben … Was denken Sie? Beginnen wir beim Naheliegendsten – eine Rede zum zehnjährigen Geburtstag von „Männer.ch“ – gefeiert in einem ehemaligen Schwimmbad... Männer.ch und die Geschichte der Schweizer Badeanstalten Ja die Schweiz und ihre Bädergeschichte – wussten Sie, dass Phillip Emanuel von Fellenberg 1822 auf dem Landgut Hofwil das erste künstliche Schwimmbad errichten ließ, nachdem ein Zögling der dortigen „Erziehungsanstalt für Söhne höherer Stände“ in einem Natur-See ertrunken war? Und dass im Laufe des 19. Jahrhunderts zur Eindämmung der Gefahr des Ertrinkens zukünftiger (vor allem männlicher) Eliten ein wahrer Bäderboom losbrach – selbstverständlich strikt geschlechtergetrennt? Zwischen 1884 und 1885 entstand übrigens die Seebadeanstalt Luzern: Ein sogenanntes Kastenbad im Cottage-Stil mit nach Geschlechtern getrennten Bassins, deren Tiefe sich mit verstellbaren Holzrosten regulieren ließen. Während die Männer in den See hinaus schwimmen konnten, mussten/durften die Frauen innerhalb der „Anstalt“ verweilen. Ab den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts schlägt dann das Zeitalter der großen Volksbäder, an deren Gestaltung sich ganze Architektenschulen versuchen und Stile prägen. Letztlich in der Tradition solcher Volksbäder wurde 1969 das städtische Hallenbad Biregg eröffnet – an dem Platz, an dem wir uns jetzt befinden. Das moderne Konzept des heutigen Neu-Bades steht allerdings für eine „Kultur der Offenheit“, es soll zu einem Open Space für Kultur- und Kreativschaffende werden. Ein Freiraum für neue Ideen, Projekte und Produkte. An welchem Platz, wenn nicht an diesem, sollte „männer.ch“ seinen 10jährigen Geburtstag feiern. 1
Meinen allerherzlichsten Glückwunsch an Euch liebe Schweizer Männer, in den ich die Euch in kritisch-konstruktiver Partnerschaft begleitenden Frauen gern und selbstverständlich einschließe. … und Max Frisch Sie merken, ich habe ein wenig gebraucht, um mich in einen etwas seriöseren Modus zu bringen. Aber gestatten Sie mir noch einmal einen letzten Rückgriff auf die Geschichte der Schweizer Bäder und den Deutschen Boulevard. Denn die Millionenfrage in Günter Jauchs berühmter Quiz-Show des deutschen Privatfernsehens hat einem breiten Publikum bei uns diesen spannenden Zusammenhang erst bewusst gemacht: Es war der berühmte Max Frisch, der 1943 den Architekturwettbewerb für den Bau des Freibades Letzigraben in Zürich gewann – jener Max Frisch, der die bürgerliche und die künstlerische Existenz als unvereinbar empfand. Es mag Sie überraschen, aber es sind in der Tat die großen Schweizer Literaten der 50er und 60er Jahre wie Frisch oder Dürrenmatt, die uns damals junge Deutsche meiner Generation an die zeitgenössische Literatur herangeführt haben. Vielleicht weil sie anders als Grass, Lenz oder Borchert in Deutschland die Auseinandersetzung mit sich selbst als postmoderne Menschen zum Zentrum ihres Schaffens gemacht haben. Vor allem für Frisch ging es um die existentiellen Fragen nach der Identitätssuche, die Auseinandersetzung mit den Bildern anderer, um die Konstruktion der eigenen Biografie, die sie bestimmenden Geschlechterrollen und ihre Auflösung. Fragen, die unsere geschlechtlichen Identitäten, unsere sexuellen Orientierungen und unsere Lebensformen heute entscheidend bestimmen. Wie gestaltet sich Mann-Sein heute? Wie können wir lustvoll Sexualität leben, ohne uns gegenseitig durch die Normativität von Geschlechteridentitäten in unseren Entwicklungschancen einzuengen? Welche Unterstützung brauchen Frauen und Männer, die die unterschiedlichsten Formen verantwortlichen Zusammenlebens mit Kindern oder auch mit alten Menschen gestalten? Wie überwinden wir die Rollenstereotype, die möglicherweise Frauen heute das Hinausschwimmen aus der Sicherheit der Schwimmanstalt in die Gefahren der Tiefe des Sees nicht mehr verwehren – die aber Frauen heute noch immer auf die Fürsorge für das Leben 2
und Männer auf das Materielle festlegen und sie somit von der Vielfalt von Lebensentwürfen abschneiden? Ein gleichstellungsorientiertes Männernetzwerk wird gegründet In der Schweiz gibt es seit langen Jahren Organisationen, die sich solchen Fragen im Horizont eines emanzipierten und gleichstellungsorientierten Männerbildes stellen, sie für Männer und ihre unterschiedlichen Lebenshintergründe zu beantworten suchen und sich dabei als Lobbyisten für Männerchancen und -Ressourcen verstehen, ohne die historisch-strukturelle Benachteiligung von Frauen zu bestreiten oder berechtigte Interessen von Frauen dabei gering zu schätzen bzw. ihnen entgegen zu wirken. Vor zehn Jahren haben sich diese Männerorganisationen zu einem Netzwerk unter dem starken Titel Männer.ch zusammengefunden. Ihr Ziel ist es, die politische Stimme für jene Jungen, Männer und Väter zu erheben, die aus Männersicht für Gleichstellung und Geschlechterdemokratie stehen und zugleich darum besorgt sind, dass die Männer in diesem Prozess nicht vergessen werden oder sie selbst ihn nicht verschlafen. Es ist diese Organisation „Männer.ch“, die den Begriff der Männerpolitik mit gender- wissenschaftlicher Systematik und gleichstellungspolitischer Strategie gefüllt hat, ohne dabei den Anspruch der männerspezifischen Perspektive auf Gesellschaft, Wirtschaft und Politik aufzugeben. Wenn wir heute im deutschsprachigen Raum als männerpolitische Akteure unterwegs sein können, ohne als Maskulinisten oder Männerrechtler in die Ecke der ewig Gestrigen gestellt zu werden, dann verdanken wir das dem seriösen und glaubhaften Auftreten von „Männer.ch“ und seinen hier anwesenden Protagonisten, von denen ich stellvertretend nur Markus Theunert den Präsidenten von „Männer.ch“ und Ivo Knill den Herausgeber von „männerzeitung.ch“ nennen möchte. Denn ohne ein so agiles, freches und schlagkräftiges Instrumentarium wie die Schweizer Männerzeitung wäre die eine wichtige Säule der Aktivitäten des Dachverbandes neben dem Lobbying, nämlich das Campaigning, nicht erfolgreich realisierbar. Aber ebenso wenig auch ohne das bestechende Prinzip, Fachorganisationen und Männer mit ihren ganz persönlichen Interessen in den Austausch zu bringen, so wie es ja nun schon seit 20 Jahren „manne.ch“ in Luzern tut. Also auch dem älteren Bruder aus der Region ganz herzliche Glückwünsche. 3
Eine Würdigung aus Deutschland … Es scheint ja geradezu vermessen, wenn ich heute als Vorsitzender des Bundesforums Männer in Deutschland, das im November 2010 in Berlin aus der Taufe gehoben wurde, das doppelt so alte „Männer.ch“ würdigen soll. Wir haben im Vorfeld unserer Gründung sehr interessiert in die Schweiz und auf Eure Arbeit geschaut. Möglicherweise haben wir in unserer Struktur hier oder da eine andere Priorität gesetzt. So haben wir vor der Gründung bereits sehr intensiv an einer inhaltlichen Plattform gearbeitet, in der sich alle späteren Mitglieder unverrückbar auf eine Gleichstellungsperspektive verpflichten, die Lebensbedingungen von Männern, Frauen und aller Geschlechter gleichermaßen wahrnimmt und durch ihre Berücksichtigung den Ausgleich berechtigter Interessen der Geschlechter gewährleistet bzw. für die Durchsetzung gemeinsamer Interessen sorgt. Mit dieser inhaltlichen Selbstverpflichtung grenzt sich das Bundesforum radikal gegen die Szene der Maskulisten ab und macht aber auch gegenüber Feminismus und Gleichstellungsarbeit deutlich, ohne den dezidierten (auch parteilichen) Blick auf die Situation der Männer und Jungen bleibt Geschlechterpolitik auf einem Auge blind. Das Bundesforum Männer in Deutschland versteht sich als engagierter und relevanter Kooperationspartner von Gleichstellungspolitik in Bund, Ländern und bürgerschaftlichem Engagement, stellt aber, und das ist uns eminent wichtig, eine selbstständige Nicht- Regierungsorganisation dar, auch wenn wir aus Mitteln der Bundesregierung finanziert werden und uns dadurch eine bescheidene aber schlagkräftige Arbeits- und Verwaltungsstruktur mit zwei hauptamtlichen Mitarbeitern und einer Mitarbeiterin aufbauen konnten. In einer auf Pluralität setzenden Demokratie müssen jedoch auch die gesellschaftlichen Organisationen Politik mit gestalten – in diesem Sinne versteht sich das Bundesforum Männer sehr wohl als politischer Akteur. Niemals ist eine Organisation, die öffentliche Gelder erhält, völlig frei von Abhängigkeiten. Doch in Deutschland gilt das Subsidiaritätsprinzip, das den Staat auf die Unterstützung von Leistungen für die Gesellschaft verpflichtet, die gerade von nichtstaatlichen Organisationen erbracht werden. Das ist ein weitreichender struktureller Schritt, der uns von Männer.ch deutlich unterscheidet. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass wir, genauso wie die subventionierten freien Frauenverbände auch, auf der Grundlage unserer Positionen nicht als klassische Lobbyisten sondern als die Organisation einer ehrlichen, professionellen und 4
seriösen Anwaltschaft für die Interessen von Jungen, Männern und Vätern wahrgenommen werden. Moderne Gleichstellungspolitik heute ist auch Männerpolitik Denn darin setze ich unter uns allen hier Einigkeit voraus: Moderne Gleichstellungspolitik heute hat die Lebenssituationen aller Geschlechter in den Blick zu nehmen. Nach meinem Verständnis speist sich Gleichstellungspolitik aus den spezifischen Perspektiven auf die Lebenslage des jeweiligen Geschlechtes und bringt somit Benachteiligungsstrukturen, Förderbedarf aber auch Ressourcen zu Tage. Auch von Männern und für Männer! Ich betone dies, weil sich bei uns im Zuge der jüngst vom Deutschen Bundestag beschlossenen Reform des Bundesgleichstellungsgesetzes in Diskussionen die juristische Sicht durchgesetzt hat, dass es keine strukturelle Benachteiligung von Männern gebe und die Förderung von Männern daher auch keinerlei juristische Grundlage habe. Doch wie, wenn nicht als strukturelle Benachteiligung will man denn die Tatsache erklären, dass die Inanspruchnahme von Eltern- oder Pflegezeit durch Männer auf bedeutend mehr betriebliche und gesellschaftliche Blockaden trifft als bei Frauen. Die Fixierung auf den so genannten Norm-Mann als Haupternährer, der seine zeitlichen, psychischen und physischen Ressourcen in erster Linie der Erwerbsarbeit und somit seinem Arbeitgeber als Nutznießer zur Verfügung stellt, legt Männer auf eine Rolle fest, die viele von Ihnen heute überhaupt nicht mehr als Privileg erleben und die sie auch gar nicht wollen. Diese Konstruktion stimmt zwar kongenial mit den Anforderungen der Wirtschaft an ihre Arbeitnehmer überein, aber nicht unbedingt mit den Lebensbedingungen und Lebensträumen von Männern, Frauen und Kindern in unserer Gesellschaft. Die große Mehrheit der jungen Paare strebt heute eine egalitäre Verteilung zwischen Familien- und Erwerbsarbeit an. Frauen möchten mehr und Männer weniger arbeiten und in Deutschland nehmen z.B. immer mehr Männer Teile der Elternzeit in Anspruch. Und dennoch ist das rollenstereotype gesellschaftliche Orientierungsmuster des Mannes als „Versorger seiner Familie“ ein scheinbar unverwüstliches Phänomen. Grund dafür ist ein Zusammenspiel von ökonomischen Bedingungen, soziokulturell verankerten Traditionen und daraus resultierender Erwartungen. Das gender-bedingte Einkommensgefälle legt den Paaren trotz des Wunsches nach partnerschaftlicher Rollenteilung auch heute noch 5
zwingend logisch die althergebrachte Weichenstellung nahe: beruflicher Vollzeiterwerb für den Mann und Hauptfamilienarbeit höchstens mit Nebenverdienst für die Frau. Die Reduzierung von Arbeitszeit des Hauptverdieners zugunsten der Familie heißt für alle Beteiligten leider noch immer eine erhebliche Reduzierung des Gesamteinkommens. Ein gleichstellungspolitischer Paradigmenwechsel tut not Dem entspricht eine nach wie vor in vielen Firmen und Organisationen tief verwurzelte Anwesenheitskultur, in der sich Männer in Familien- aber auch sonstiger Fürsorgeverantwortung als Fremdkörper erleben. Als Nicht-Norm-Männer werden sie gerade von den Vorgesetzten des Mittelbaus mit Skepsis betrachtet und haben in der Regel den Karriereknick zu erwarten. Obwohl alle den aktiven Vater wollen, treffen Männer im beruflichen Alltag auf Arbeitszeitstrukturen, die es ihnen schwer machen, zu einer vernünftigen Balance zwischen Erwerbs- und Familienleben zu gelangen. Hier fehlen in den Betrieben und Unternehmen nach wie vor vollzeitnahe Teilzeitarbeitsmodelle, auf die Männer ein gesetzliches Anrecht haben und die von den Arbeitgebern glaubhaft vertreten werden. Doch dazu muss sich ein gleichstellungspolitischer Paradigmenwechsel endlich durchsetzen: Es geht weniger um Ergebnisgleichheit als vielmehr um Gestaltungs- und Partizipationsmöglichkeiten für Frauen und Männer. Der Blick muss sich viel radikaler auf die systemischen Ursachen von Ungleichheit richten. Denn sie liegen in einem Wirtschaftssystem begründet, das die materielle Wertschöpfung ausschließlich in der Produktion sieht und dabei die Reproduktion folgerichtig abwertet. Somit sind Rollenstereotype heute noch immer Platzanweiser: Den Frauen das Leben, den Männern das Materielle. In der ökonomischen Bewertung spiegelt sich diese Teilung genau wider und setzt die Priorisierung schlagseitig zugunsten des Materiellen. Wenn es gleichstellungsorientierter Männer- und Frauenpolitik gelingt, dieses System nachhaltig zu durchbrechen, werden sich für alle Beteiligten neue Entfaltungschancen eröffnen: Männern und Frauen partnerschaftliche Aufgabenteilungen, Kindern mehr Zeit mit Vätern und Müttern, der Wirtschaft motivierte Mitarbeiter, die eine Balance zwischen Arbeit und Beziehungen gefunden haben und der Gesellschaft eine neue umfassende Fürsorgekultur in Bezug auf Mensch und Umwelt. 6
Wir männerpolitisch Bewegten in Deutschland haben Männer.ch immer als Avantgarde eines solchen Systemwandels erlebt, der das Patriarchat zwangsläufig ins Wanken bringen wird. Und ich bin dankbar dafür, dass Ihr uns vom Beginn unserer noch jungen Existenz an als Mitstreiter und Partner die Hand gereicht habt. Die Tatsache, dass wir beide als nationale Dachverbände gestaltend an den wegweisenden beiden Internationalen Fachkongressen zu Männerpolitik 2012 in Berlin und 2014 in Wien beteiligt waren und wir ebenso beide gewissermaßen bei der Gründung eines Österreichischen Männerdachverbandes Pate stehen, macht deutlich, dass sich unsere beiden Organisationen mehr als nur freundschaftlich begegnen, sondern uns im Geiste dessen, was Männerpolitik für uns bedeutet, sehr nahe sind. Auf der Grundlage dieser inhaltlichen Gemeinsamkeiten haben wir uns verabredet, uns zukünftig noch verbindlicher in strategischen Fragen auf der geschlechterpolitischen Handlungsebene über den deutschsprachigen Raum hinaus abzustimmen. Ich bin davon überzeugt, dass es uns gemeinsam gelingen wird, im nach wie vor feministisch geprägten internationalen Gleichstellungsdiskurs Vertrauen für unsere Konzepte einer gleichstellungspolitischen Männerpolitik zu gewinnen. Das Geschenk für den 10jährigen „Knaben“ Bleibt mir noch, mich für die Ehre zu bedanken, anlässlich Eures 10 jährigen Bestehens die Geburtstagsrede halten zu dürfen. Und natürlich habe ich auch ein Geschenk mitgebracht. Was schenkt man einem 10jährigen Knaben? Bei uns in Deutschland ganz klar: Etwas von Lego natürlich! Wir haben uns in der Geschäftsstelle des Bundesforums in Berlin für den fernsteuerbaren Technic-Muldenkipper entschieden. Zum einen weil er wunderbar als Symbol für klassische Männerstereotype gelten kann, die Ihr nun nach Belieben konstruieren oder nach Lust und Laune auch wieder dekonstruieren könnt. Zum anderen aber auch weil er als Bagger so eine praktische Schaufel hat – denn wir wissen alle, wie heilsam es sein kann, wenn man sich selbst und sein Tun ab und an liebevoll „auf die Schippe nehmen“ kann. In diesem Sinne noch einmal herzlichen Glückwunsch – alles Gute für die nächsten mindestens 10 Jahre Männer.ch. Danke! 7
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