WAS EINE IST REGIEFASSUNG? - Mona Kino Heide Schwochow - Deutsche Filmakademie
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
WAS IST EINE REGIEFASSUNG? Mona Kino Petra Lüschow Heide Schwochow
DER INHALT Darum sind wir angetreten 4 Das haben wir festgestellt 10 1. Am Anfang steht Wagemut 11 2. Partnerschaften 14 3. Geschmack ist ein schlechter Ratgeber 18 4. Kompetenz und Kommunikation 20 5. Quote versus Qualität 22 6. Kino versus Fernsehen 24 7. Das Ende vor dem Ende 27 8. Kreativer Nukleus – Buch und Regie 30 9. Kampfplatz Regiefassung 32 10. Am Ende kann man nur verlieren 35 11. Zusammenfassung 36 Das schlagen wir vor 38 1. Rechtliche Verträge 38 2. Ungeschriebene Verträge 41 3. Ein Szenario 41 4. Praktische Lösungsansätze im Umgang mit 43 Konflikten 5. Moderation 44 6. Vertrauen und Respekt 45 7. Drehbuchbesprechung 46 8. Buch und Regie 48 9. „Drehfassung“ versus „Regiefassung“ 51 10. Sichtbarkeit 52 11. Entscheidungsgremien/Förderungen 53 12. Am Ende können alle nur gewinnen 54
DARUM SIND WIR ANGETRETEN März 2021. Wir befinden uns mitten im Lockdown. Die Kinos haben seit Anfang November des letzten Jahres geschlossen. Vom Kinosterben ist vielerorts die Rede. Dennoch: Überall im Land sitzen Drehbuchautor:innen an ihren Schreibtischen und arbeiten an Büchern für kommende Filme. Es wird gedreht, auch wenn der Boden unter unseren Füßen schwankt. Was wird sein, wenn die Kinos endlich wieder öffnen dürfen? Wer- den die Zuschauer zurückkommen? Welche Filme erwarten sie von uns? Die Problematik des folgenden Textes hat von seiner Aktualität nichts eingebüßt. Im Gegenteil. Er ist das Ergebnis einer Arbeitsgruppe, die Autorinnen der Sektion Drehbuch der Deutschen Filmakademie vor ein paar Jahren initiiert haben. August 2017. Vor ein paar Tagen rief mich eine Regisseurin an. Sie suche eine Co-Autorin, weil sie das Drehbuch zu ih- rem neuen Projekt, genauer gesagt, die erste Fassung, nicht selbst schreiben wolle. Ich war im ersten Moment sprachlos, dann: „Du weißt aber schon, dass das ein Widerspruch in sich ist?“ Sie brauchte einen Moment, dann sagte sie wie in einem Atemzug: Sie würde sich eine ganze Drehbuchfassung nicht al- lein zutrauen, sie hätte auch wenig Zeit; sie müsse drehen. Ihr würde es mehr liegen, ein Drehbuch „zu bearbeiten“. Frappie- 4
DARUM SIND WIR ANGETRETEN DARUM SIND WIR ANGETRETEN rend, dachte ich, mit welcher Selbstverständlichkeit eine Regis- Kohlhasse sagte einmal, es sei eine Arbeit mit offener Tür. Im- seurin eine Drehbuchautorin fragt, ob sie die Vorlage für ihre mer wieder käme jemand herein, um Kritik anzubringen und Bearbeitung schreiben würde. Ohne Zweifel. Ohne Arg. Wie seine Meinung zu sagen. So ist Film. Es gibt zahlreiche Kriteri- kommt das? Eine Erklärung mag sein: Wer als Regisseur:in den en, die zu erfüllen sind, um ihn zu realisieren. Stoff für einen Film entwickelt und diesen dann auch umsetzt, kann ihn gänzlich als „seinen/ihren“ betrachten. Ein Autoren- Das Schreiben von Romanen ist ein weitestgehend autonomer film ist entstanden. Davon gibt es ganz wunderbare von großer Prozess. Es gibt meist nur eine Person, die lektoriert. Was in der Kraft und Besonderheit. War ein Autorenfilm das Ziel der Re- Filmbranche oft vergessen wird: Das Schreiben eines Drehbu- gisseurin? Nur ohne die Anfangsarbeit und vielleicht die vie- ches benötigt genauso viel Feingefühl wie das Schreiben eines len, oft schwierigen Zwischenstufen, die bis zum kurbelfertigen Romans. Autor:innen entwickeln über einen langen Zeitraum Drehbuch zu durchlaufen sind? Hat sie dabei meine Arbeit als und – über mehrere Schritte – ihre Geschichte. Exposé, Tre- Dienstleistung auf ihrem Weg zum Autorenfilm gesehen? Über atment, jede Drehbuchfassung werden der Kritik unterzogen, das Telefonat habe ich Leuten aus unserer Branche erzählt. Was das gehört zum Alltag der Stoffentwicklung. Über die Qualität mich noch mehr frappierte: Es kam oft gar keine Reaktion. Es von Kritik wird später zu berichten sein. Denn dass die Emoti- war, als wenn man jemandem einen Witz erzählt und er ver- onen in der Veranstaltung so heftig hochschlugen, hat mit Ver- steht die Pointe nicht. Bei Nachfrage: Es sei aber doch üblich, letzungen zu tun, die Autor:innen im langen Prozess der Arbeit dass Regisseure und Regisseurinnen ein Drehbuch bearbeiten, an einem Drehbuch immer wieder erfahren. spätestens, wenn sie ihre „Regiefassung“ schreiben. Was sei daran so seltsam? Zurück zum Treffen der Sektion Drehbuch in der Deutschen Fil- makademie. Unter den Gästen saß eine Regisseurin. Sie sagte, Diese kleine Geschichte war nicht der Anlass für das Bilden das Schönste wäre, wenn sie ein Drehbuch bekäme und sagen unserer Arbeitsgruppe: „Was ist eine Regiefassung?“ Was war könnte: „Das kann man so drehen.“ Aber so etwas habe sie in dem vorausgegangen? Die Sektion Drehbuch hatte sich im ihrer gesamten Laufbahn noch nicht erlebt. „Ihr glaubt ja nicht, Herbst 2016 zu einem ihrer jährlichen Treffen in der Deutschen was ich für Bücher auf den Tisch bekomme. Die sind so nicht Filmakademie zusammengefunden. Es ging um die Rechte von verfilmbar.“ Sie sprach weiter, über den Druck, der auf ihr laste, Autor:innen und wie man sie vertraglich absichern kann. Der wenn sie zu ihrer eigentlichen Arbeit auch noch die Verantwor- letzte Punkt auf der Tagesordnung war ein Diskurs über die Fra- tung für ein Drehbuch übernehmen müsse. „Warum nimmst ge: „Was ist eigentlich eine Regiefassung?“ Damals brachen Du den Auftrag dann an?“, fragte eine Autorin. Sofort tat sich heftige Emotionen los. Übergriffe von Seiten der Regie wurden eine Front auf. Als unser Gast in der Sektion Regie von dem beschrieben, Eingriffe in abgenommene Bücher, die Art und Treffen erzählte, schlugen auch dort die Wogen hoch. Beide Weise, wie Autoren ausgetauscht werden usw. ... Immer wieder Seiten liefen Gefahr, eine Täter-Opfer-Diskussion zu führen, die fiel der Begriff der „feindlichen Übernahme“. in gegenseitige Schuldzuweisungen zu münden drohte, statt in konstruktive Lösungsansätze. Wer sich auf das Drehbuchschreiben einlässt, weiß, dass die gesamte Stoffentwicklung ein komplexer Prozess ist, an dem So entstand die Idee, ein Treffen gemeinsam mit der Sektion viele Menschen mitarbeiten. Der Drehbuchautor Wolfgang Regie zu machen und die Veranstaltung auch für andere Ge- 5 6
DARUM SIND WIR ANGETRETEN DARUM SIND WIR ANGETRETEN werke zu öffnen. Über fünfzig Leute erschienen. Wir tasteten In der Praxis ist es oft so, dass Regisseur:innen kurz vor dem uns langsam an Begrifflichkeiten heran. Dreh die Bücher umschreiben, obwohl sie keine Autor:innen sind. Ich meine jene, die eigentlich nicht selbst schreiben. Wa- „Regiefassung.“ Sprach man nicht ursprünglich von einer rum ist das so? Weil man ihnen per se eine Kompetenz zutraut, „Drehfassung?“ Und meinte damit die Einrichtung eines die zu einem anderen Berufsfeld gehört? Weil Produktion und Drehbuches? Drehfassung assoziierte für mich immer die In- Redaktion das von ihnen erwarten? Könnte es vielleicht sein, terpretation eines Skripts. Aber in der Praxis meint der Begriff dass es grundsätzlich zu wenig Vertrauen in die Fähigkeit von „Regiefassung“ oft ein von der Regie bearbeitetes, also ein Autor:innen gibt? Oder gibt es zu wenige, die Qualität ablie- umgeschriebenes Buch. fern? Bei der Veranstaltung in der Filmakademie meldeten sich auch Mitglieder anderer Gewerke zu Wort. Ein Kameramann Ein Regisseur sagte: Oft ginge es schneller, Änderungen selbst beschrieb sein Problem mit Büchern, die von einer Autorin zur vorzunehmen, vor allem nach der Motivsuche. Danach aber sei nächsten übergehen und danach auch noch von der Regie be- es für ihn selbstverständlich, das Manuskript zum Autor oder arbeitet werden. Es sei unmöglich, eine Vision für den Film zu zur Autorin zurückzuschicken, um es noch einmal mit ihnen ab- finden, weil kein Stil, keine Handschrift, keine Vision im Buch zu zustimmen. Das letzte Wort hätten die Autor:innen, das gebie- erkennen sei. Das beschrieb er als ein großes Problem im All- te der Respekt. Gelächter im Raum. Respekt? tag des Filmemachens. „Wir reden immer über Regie- Hand- schriften, lasst uns doch auch mal über die schöpferische Kraft Es zeigte sich, dass zwischen beiden Berufsgruppen über Jahre von Autor:innen sprechen.“ Er würde sich wünschen, sagte er, ein Graben entstanden war, auch wenn es wunderbare Beispie- dass man viel mehr Zeit und Sorgfalt in die Stoffentwicklung le- le für die Zusammenarbeit von Regie und Drehbuch gibt, in der gen würde. Eine Film-Editorin stimmte ihm zu. Oft hätte sie am sich beide Seiten respektieren und voneinander profitieren. Schneidetisch auszubügeln, was vorher nicht bewältigt wurde. Für den Bundesverband Regie gilt der Regisseur immer noch Nun kam ein anderes Problem zur Sprache. Über Machtfragen als der Haupturheber eines Filmes, „der ihn persönlich und müsse diskutiert werden. Denn Kreativität und schöpferisches eigenschöpferisch unter Bearbeitung vorbestehender Werke Potential gingen oft im Gerangel um Verantwortlichkeiten und (z. B. Drehbuch) und im Zusammenwirken mit anderen Mitur- Kompetenzen unter. Jetzt bekamen vor allem die Sender und hebern prägt.“ Die „Bearbeitung“ eines Drehbuchs gehört die Redaktionen ihr Fett weg. Es ging heftig zur Sache. demnach ganz selbstverständlich zur Regietätigkeit. Und die Perspektiven und Erfahrungen prallten aufeinander, die nicht Verständigung über die „beabsichtigte Gesamtwirkung des mehr in einen zielgerichteten Diskurs mündeten. Unsere ur- Filmwerkes“ erfolge zwischen der Produktion, Redaktion und sprüngliche Frage: „Was ist eine Regiefassung?“ problema- Regie. Das Drehbuch wäre demnach nur eine Vorlage, also Ma- tisierte plötzlich den gesamten Prozess der Filmentstehung. terial für Regie. Das suggeriert, die Autoren hätten im Prozess Symptome wurden beschrieben, die auf immer wiederkeh- der Vorbereitung und der Inszenierung des Filmes nichts mehr rende Störungen in der Drehbuch- und Filmentwicklung hin- zu suchen. wiesen. Die Idee von einigen der Anwesenden, einen Verhal- tenskodex für einen respektvolleren Umgang miteinander zu erarbeiten, griff zu kurz. Das wurde schnell im weiteren Verlauf 7 8
DARUM SIND WIR ANGETRETEN DAS HABEN WIR der Diskussion klar. Es geht um mehr als um eine respektvolle Umgangskultur. Wir benötigen eine Tiefenanalyse der Struk- turen und Prozesse bei der Arbeit an einem Film. So reifte die Idee, eine Arbeitsgruppe zu bilden. Um uns thematisch nicht zu verheddern, formulierten wir Fra- FESTGESTELLT gen, mit denen wir in die Gruppe gingen: 1. Wer ist wann und in welcher Art und Weise am Entstehungs- prozess eines Drehbuches beteiligt? 2. Wo beginnen die „Hoheitsgebiete“ der einzelnen Beteilig- ten und wo enden sie? (Produktion, Redaktion, Drehbuch, Re- gie). Wer trägt wann und wofür die Verantwortung? 3. Wann kippt die Zusammenarbeit der einzelnen Mitstreiter:in- nen vom Konstruktiven ins Destruktive und warum? (Welche Szenarien gibt es?) Allein der Begriff Regiefassung löst in der Filmbranche star- 4. Wie können die einzelnen Beteiligten dazu beitragen, damit ke Emotionen aus. Das zeigt sich deutlich an der anhaltenden der Prozess konstruktiv bleibt? Diskussion, die seit geraumer Zeit in den Gewerken Drehbuch 5. Welche Lösungsansätze gibt es für eine Verbesserung der und Regie gärt. Zusammenarbeit? Ausgelöst wurde sie u.a. durch die 2018 publizierte Erklärung Grundansatz unserer Arbeit war von Anfang an: Filmarbeit ist der Initiative Kontrakt 18, die die Drehbucharbeit der Autor:in- Teamarbeit. Es geht nicht vordergründig um die Interessen nen in der Filmherstellung angemessen gewürdigt sehen will der Autor:innen, sondern um die Qualität der Zusammenar- und wichtige Forderungen nach einer künstlerischen Zusam- beit (zwischen Produktion, Redaktion, Autor:innen und Regie) menarbeit auf Augenhöhe mit der Regie stellt. bei der Entwicklung und Realisierung eines Drehbuches. Je- der Prozess ist anders. Aber sicher lassen sich aus der Analyse Die Initiative hat einen längst überfälligen Diskurs angestoßen von Grundstrukturen Muster erkennen, die zu den oben be- und erfährt viel Zustimmung und Unterstützung, stößt aber schriebenen Störungen führen. Ohne Anamnese keine Thera- auch auf Unverständnis. pie. Dazu wollen wir Strukturen unter die Lupe nehmen. Nach Viele Regisseure und Regisseurinnen reagieren so, als wäre die Verantwortlichkeiten fragen. Nach Kompetenzen, die jeder der Initiative ein Angriff auf ihre Arbeit. Andere schweigen, als gin- Beteiligten am Prozess braucht, um seinen Part in der nötigen ge sie das alles nichts an. Qualität auszufüllen. Daraus ableitend werden wir Lösungen Auch viele Autor:innen kanzeln die Einwände der Regie, sie anbieten, um sie als Diskurs in die Filmbranche tragen. Darum würde künstlerisch ähnlich stark beschnitten, einfach ab. Aber sind wir angetreten. auch, wenn es inzwischen schon mehr produktive Auseinander- setzung zwischen den verschiedenen Gewerken gibt, sind viele Heide Schwochow Fragen noch genauso aktuell wie damals. 9 10
DAS HABEN WIR FESTGESTELLT DAS HABEN WIR FESTGESTELLT Statt darüber ins Gespräch zu kommen, wie der Filmherstel- Konstellationen mit den Autor:innen an den Tisch, um zusam- lungsprozess durch eine neue Zusammenarbeit zwischen Buch men diesen Stoff zu entwickeln. Mal als Dreieck aus Drehbuch, und Regie verbessert werden kann, dominiert in der Auseinan- Regie und Produktion. Mal als Viereck aus Buch, Produktion, dersetzung immer noch der Konflikt um Hoheitsgebiete und Regie und Redaktion2. Der Anspruch ist hoch, die Lust ist groß: damit vorrangig um die Frage, wie der jeweilige künstlerische Neues soll entstehen, dieses Mal soll alles ganz anders werden. Anteil dieser beiden Schlüsselpositionen zu bewerten sei. Die Verantwortlichkeiten sind an diesem Punkt noch nicht klar definiert. Dazu gehört etwa die Frage, wer den Prozess mode- Aber kreist diese Auseinandersetzung nicht vor allem um Sym- riert. ptome? Ist die Diskussion nicht selbst Ausdruck einer Unzufrie- denheit, die uns Filmschaffende schon lange umtreibt?1 Autor:innen spüren am Anfang sehr deutlich, wie sehr sie ge- braucht werden. Ihr Können ist gefragt: ihr Handwerk, ihre Art, Versteckt sich hinter diesen Reaktionen nicht außerdem die auf die Welt zu blicken, ihre Fähigkeit, erzählerisch zu verdich- Frage nach dem Verhältnis von künstlerischer Autonomie, ten. Handwerk und Handschrift sind die Wasserzeichen des Kompetenz und Macht? Werfen die Zweifel nicht eher die Fra- Autors. Autor:innen erfinden nicht nur die Erzählung, sie entwi- ge auf, ob unsere gemeinsame Arbeitskultur ausgereift genug ckeln mit ihrer Vision auch die ureigene Dramaturgie des Stoffs ist? Statt weiter Argumente auszutauschen, die um Pfründe und das emotionale Thema. Das Thema wiederum verhandelt, und Hoheitsgebiete kreisen, wollen wir eine Qualitätsdebatte worum es eigentlich hinter der Erzählung geht. Im Wechsel- anstoßen. spiel von Form und Inhalt, Stil, Tonalität und Subtext entsteht Dafür müssen wir zum Anfang zurück: dahin, als alles noch gut die jeweils individuelle Handschrift.3 war. Zum Beginn der Stoffentwicklung. Doch Autor:innen stehen am Anfang vor einer fundamentalen Herausforderung. Im Gegensatz zu allen anderen Gewerken 1. AM ANFANG STEHT WAGEMUT 2 In Deutschland verwischen zuweilen die Grenzen, denn viele Kinostoffe wer- den ebenfalls in diesem Viereck entwickelt. Bei manchen Kinoproduktionen Alles beginnt mit einer zündenden Idee. Die Autorin oder der kommen noch Vertreter:innen des Verleihs hinzu. Wir betrachten beide Varian- ten der Stoffentwicklung. Allerdings treffen viele Fragestellungen gleicherma- Autor präsentiert einen Entwurf, ob im Auftrag, als Adaption ßen auf das kreative Dreieck oder Viereck zu. oder Originalstoff, für die Arbeit am Stoff macht das keinen 3 Sicher gibt es im Fernsehen Formate, die routiniertes Handwerk erfordern, Unterschied. aber gutes Handwerk wächst mit Erfahrung und Professionalität. Auch im Man trifft sich zunächst meist in fast privater Atmosphäre, man TV-Bereich entwickeln viele Autor:innen eine eigene Vision und starke Erzäh- plaudert, isst und trinkt zusammen. Oft kommt das Gefühl auf, lerstimme, zumal sich die Grenzen zwischen Kino und Fernsehen und Strea- Freunde säßen zusammen am Tisch. Hoch motiviert, mutig und mingdiensten ja ohnehin gerade neu formieren und starke Autor:innen fordern. Die Brandbreite, über die wir hier also sprechen, ist groß. Sie bewegt sich neugierig setzen sich nun also Fachleute in unterschiedlichen zwischen Qualitätsfernsehen, seriellem Erzählen und dem Kinofilm als Gemein- schaftswerk von Buch und Regie, und bezieht auch den Autorenfilm mit ein, 1 Der Text untersucht die Stoffentwicklung und bezieht sich deswegen vor al- bei dem eine Person für Buch und Regie verantwortlich ist. Wir verweigern uns lem auf die Gewerke, die hier mitarbeiten und mitreden. in unserer Untersuchung zudem bewusst einer Trennung zwischen E und U. 11 12
DAS HABEN WIR FESTGESTELLT DAS HABEN WIR FESTGESTELLT fangen sie oft bei Null an. Wer schreibt, muss nicht selten aus 2. PARTNERSCHAFTEN dem „Nichts“ schöpfen. Das macht diese Arbeit extrem an- greifbar, denn Autor:innen müssen sich im Prozess zeigen und Im Idealfall kennt jedes Gewerk seine Kompetenzen. Arbeitsschritte präsentieren, wenn sie selber noch auf der Su- Im Idealfall nimmt die Produktion hier eine Schlüsselposition che sind. ein. Sie brennt für den Stoff, kann die Stärken und Handschrif- ten einschätzen, schafft und verbindet künstlerische und viel- Jeder Inhalt fordert seine eigene Form. Kein Stoff lässt sich versprechende Allianzen aus Buch und Regie. Produzent:innen haargenau mit der gleichen Dramaturgie, mit der gleichen moderieren den Prozess, sie sind Ansprechpartner:innen für emotionalen Sprache erzählen. Jeder Stoff kommuniziert am Probleme auch in der Zusammenarbeit, sie helfen, alle aufkom- Ende auf seine eigene Weise mit dem Zuschauer. Diese ideale menden Konflikte zu lösen. Form gilt es zu finden, deswegen ist Stoffentwicklung auch im- mer eine Suche. Darum brauchen Autor:innen Gesprächspart- Die Produktion organisiert auch das Geld und steuert die Kom- ner, die wissen, was es bedeutet, einen Stoff zu entwickeln. Im munikationsprozesse zwischen den Beteiligten. Nicht wenige Idealfall sind das Fachleute, die über ein sensibles Einfühlungs- Produktionsfirmen teilen die Kompetenzen zwischen inhalt- vermögen, über Menschenkenntnis und ein weit gefächertes licher Arbeit und organisatorischer Akquise auf. Während ein dramaturgisches Wissen verfügen. Sie stellen Fragen zum Ver- Part mit am Stoff arbeitet, analysiert der andere die Möglich- ständnis, sie spiegeln, was sie vorfinden, sie unterstützen die keiten und Unmöglichkeiten für die Produktion und versucht Autor:innen, mutig zu sein. sein Möglichstes zu geben, um Geld zu akquirieren und das Projekt angemessen auf die Beine stellen. So kann sich in der Stoffentwicklung im besten Sinne ein Ver- trauensverhältnis aufbauen. Respekt, Vertrauen und Anerken- Produzent:innen erkennen auch, ab wann die Vision eines nung sind die Währung im Umgang miteinander. Der Prozess Stoffes unter den gegebenen Voraussetzungen finanziell nicht schließt auch kreative Umwege mit ein. Keine Entwicklung ist mehr zu stemmen ist. Das kann Auswirkungen auf den Stoffent- einfach und linear. Vor allem dann, wenn man Neuland betre- wicklungsprozess haben. ten will, führen einfache Lösungen nicht zum gewünschten Ziel. Das mag Unsicherheit auf allen Seiten auslösen. Wenn die Part- Viele Kolleg:innen aus den Produktionen klagen, dass sie durch ner:innen den Prozess aber an dieser Stelle offen miteinander immer kleinere Budgets nicht mehr für die Qualität sorgen kön- gestalten, gewinnen alle am Ende mit Sicherheit sogar eher nen, die die Werke brauchen. Andererseits ist der Cash-Flow Zeit, als sie zu verlieren. Sind die Voraussetzungen aber ge- der Produktionsfirmen an die Herstellung des Films gebunden. währleistet, kann eine wunderbare Reise beginnen. Für kleine Firmen ist das oft existentiell. Das führt dazu, dass viele Bücher zu früh verfilmt werden. Worunter die Qualität des Was hier so idealistisch und selbstverständlich klingt, ist aller- Endprodukts leidet. Diese Bücher hätten mehr Stoffentwick- dings eine der anspruchsvollsten Herausforderungen der Stof- lung gebraucht. fentwicklung. 13 14
DAS HABEN WIR FESTGESTELLT DAS HABEN WIR FESTGESTELLT Die Redakteurin oder der Redakteur vertreten als Angestellt vielfältiger, aber die führenden Rollen werden durchgehend einer Institution die Anliegen des Senders.4 besetzt wie immer. Das (Massen)Medium Fernsehen reflektiert in seinem filmi- Diversität bedeutet eben auch, dass wir uns damit auseinander- schen Erzählen die Werte und Bilder unserer Gesellschaft. Je setzen, wie wir gute Kriterien schaffen und neue Narrative ent- diverser und vielfältiger, desto besser – das verlangt schon der wickeln können, die unsere Gesellschaft in ihrer ganzen Kom- Programmauftrag der öffentlich-rechtlichen Sender. plexität und Gänze erzählen; es geht hier nicht nur um Bilder, Die Aufgabe von uns Künstler:innen besteht auch darin, die sondern auch um Teilhabe. Das mag manchmal anstrengend Sehnsüchte und Konfliktfelder einer Gesellschaft zu reflektie- sein, und es wird Widersprüche produzieren. Veränderungen ren, kreative Offenheit zu garantieren und zusammen mit den geschehen manchmal sprunghaft, aber sie brauchen ihre Zeit, Redakteur:innen dafür zu sorgen, dass das ÖRF die unterschied- auch damit wir uns alle austauschen und qualifizieren können, lichen Gruppen der Gesellschaft, ihre Vielfalt, ihre Perspektiven wir müssen alle lernen. Permanentes Lernen und neugierig vor und hinter der Kamera angemessen und gleichberechtigt bleiben sind entscheidende Kräfte unserer kreativen Arbeit. repräsentiert. Dazu gehört auch die Geschlechterparität, dazu Deswegen ist es wichtig, die gemeinsame Reflexion mit einem gehört auch Diversität. Die Perspektiven und Lebenswirklich- Bekenntnis zur Widersprüchlichkeit und zur Unabschließbarkeit keiten von Menschen mit Migrationsbiographien, BIPoC5, von zu beginnen und sich mit Wohlwollen zu begegnen. Mit der Di- Frauen, LGBTQIA+6, behinderten Menschen usw. kommen im- versitätsdebatte ist ein wichtiger Prozess losgetreten, bei dem mer noch viel zu wenig vor und wenn, werden sie immer noch wir als Gesellschaft und Filmkultur nur gewinnen und wachsen oft erneut stereotypisiert. können. Durch Organisationen wie Pro Quote, der Queer Media Soci- ety und BIPoC-Vertreter:innen ist der Branche in den letzten Denn Diversität bedeutet auch, neue Erzählformen und Inhal- Jahren deutlich gemacht worden, dass sich hier dringend et- te zuzulassen. Die Formate, Genres, Konflikte und Themen, was ändern muss. So ist Aufmerksamkeit entstanden, eine ers- die das Fernsehen behandelt, schöpfen weder die vielfältigen te Achtsamkeit. Diversität wird ernst genommen. Möglichkeiten filmischen Erzählens aus noch scheinen sie je- mals auf Tuchfühlung mit der Wirklichkeit zu sein. Allerdings befindet sich die Branche hier am Anfang einer Ent- Immer noch dominiert das Krimigenre7, immer noch dominie- wicklung, was nicht wenig verwundert, wenn diskriminierende ren Dramaturgien, die dem Zuschauer zwar viel bieten, aber Strukturen aufgebrochen werden sollen, die in der Gesellschaft bloß nicht zu viel zumuten wollen. Der Zuschauer wolle das so tief verankert sind. nicht, heißt es dann. Es gibt erste gute Ansätze, trotzdem muss sich noch vieles än- dern. Da scheint die Welt in Filmen oder Serien dann äußerlich 7 Das öffentlich-rechtliche Fernsehen wurde in den letzten Jahren stark kri- tisiert. Zum einen wird die Dominanz des Krimigenres beklagt. Zum anderen spielen viele Filme in ähnlichen Milieus, haben eine ähnliche Tonalität, beleh- 4 Wir beziehen uns in unserer Analyse auf die öffentlich-rechtlichen Sender, nen oft ähnliche Eskalationsmuster, haben aber selten starke emotionale Kon- die vor allem über die GEZ finanziert werden. flikte oder erzählerische Haltungen, die den Zuschauer auf interessante oder ungewöhnliche Weise herausfordern und spiegeln. Diese Kritik richtet sich 5 BIPoC ist die Abkürzung für Black, Indigenous, People of Colour auch gegen das Kino, dem immer wieder vorgeworfen wird, dass es sich den 6 LGBTQIA+ ist die Abkürzung für Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer Vereindeutigungstendenzen und dem Retrorealismus des Fernsehens klaglos and/or Questioning, Intersex and Asexual and/or Ally. unterwirft und mit wenig erzählerischer und filmästhetischer Vision aufwartet. 15 16
DAS HABEN WIR FESTGESTELLT DAS HABEN WIR FESTGESTELLT Spannende Filme und Serien zu aktuellen ökonomischen und 3. GESCHMACK IST EIN sozialen Konflikten, gewagte Perspektiven gibt es selten. Auch andere Formen, die jenseits jeglichen Realismus nach Wahrhaf- SCHLECHTER RATGEBER tigkeiten schürfen, sind kaum zu finden. Doch vom Idealfall hört man das viel zu selten.. Im Idealfall bringen Redakteur:innen das Know-How mit, das Fast jede Drehbuchautorin oder jeder Drehbuchautor kennt es braucht, um Autor:innen kompetent zu spiegeln. Starke, den Fall, in dem jede:r mitredet und behauptet, mehr vom kreative Redakteur:innen sind neugierig, sie suchen die Dis- Stoff zu verstehen als alle anderen. Jede:r sieht seinen eigenen kussion auf Augenhöhe und stellen die richtigen Fragen, die Film, jede:r hält die eigene Interpretation des Treatments oder an der gemeinsamen Vision ausgerichtet sind. Jede:r Autor:in des Drehbuchs für die Vision des Films. Jede:r hat Ideen und wird schon großartige Redakteur:innen und Produzent:innen ureigene Befindlichkeiten, die sich nicht mit dem Verhalten der getroffen haben, und genauso können alle Partner:innen der Figuren zu decken scheinen. Manchmal wird ein persönliches Stoffentwicklung ein Lied davon singen, wenn das Gegenüber Erlebnis aufgerufen, in dem es ganz anders war. Damit rückt sich als falscher Partner erweist. Woran das liegt, kann viele Ur- die Diskussion in den Dunstkreis von Vorlieben und Abneigun- sachen haben. Ein paar ergründen wir hier, aber eins ist sicher, gen, das Feld des persönlichen Geschmacks. in einem Team, das zusammen einen Stoff entwickelt, braucht es Offenheit, Kritikfähigkeit und die Fähigkeit, eigene Sichtwei- Geschmack ist, wenn jemand aus dem Entwicklerkreis einen sen zu überdenken und einen machtfreien Umgang. Das gilt neuen, erfolgreichen Film gesehen hat, der jetzt zur Maßga- für Autor:innen genauso wie für ihre Partner:innen Denn wir be für das gemeinsame Projekt werden soll, auch wenn dieser sind am Ende meistens nur so gut wie das Team, in dem wir Film und das gemeinsame Projekt überhaupt nicht vergleich- arbeiten. bar sind. Geschmack ist, wenn man eine Figur nicht mag oder einen das Verhalten einer Figur stört, weil es sie angeblich un- Im kreativen Viereck teilt sich die Redaktion diese Aufgabe mit sympathisch macht. Geschmack ist, wenn jemand seine per- der Produktion: Trotzdem stehen sich diese beiden Positionen, sönliche Erfahrungswelt zum Richtmesser aller Bewertungen gerade in Fragen der künstlerischen Freiheit, oft gegenüber. macht. Hier gibt es die meisten Streitpunkte. Geschmack speist sich aus der Lebenswirklichkeit des Einzel- Auch deswegen ist die Überprüfung der gemeinsamen Vision nen, und diese Grenzen sind subjektiv und sehr variabel. Nicht des Stoffes so wichtig. Die Vision ist der Fokus, an dem sich alle selten paart sich der Geschmack mit Abwehrmechanismen und Diskussionen ausrichten, sie beeinflusst Form, Tonalität, Inhalt Vorurteilen, Phobien und Idiosynkrasien. und Aussage. Es braucht deshalb eine Person, die den Prozess der Kommunikation steuert. In den meisten Entwicklungen Die Anekdote eines Autors verdeutlicht das. In seinem Fall war sind das die Produzent:innen. Sie moderieren alle offenen Fra- die Hauptfigur den Beteiligten zu unsympathisch. Auf seine gen. Sie verteidigen die gemeinsame Vision. Im Idealfall kehrt Frage, was sie denn unter einer sympathischen Hauptfigur ver- die Autorin oder der Autor nach jedem Treffen inspiriert und stünden, mündete die Diskussion darin, dass sich Redakteur ermutigt an den Schreibtisch zurück. und Produzent begeistert an die Serie „Homeland“ erinnerten: Carrie Mathison, die Protagonistin, die wir alle als psychopathi- 17 18
DAS HABEN WIR FESTGESTELLT DAS HABEN WIR FESTGESTELLT sche Borderlinerin kennen, sei eine sympathische Hauptfigur, legen. Schließlich hat man sie aufgrund ihres erzählerischen und das behauptete, dass sie sich mit ihr identifizierten und Talents und ihrer künstlerisch-kreativen Kompetenz angefragt. diese Identifikation mit der Hauptfigur im Stoff, der ihnen vor- Sie haben die Vision erarbeitet und sind durch ihre Arbeit am lag, vermissten. Mit Adjektiven wie „sympathisch“ oder unsym- besten mit dem Stoff und seinen Fallstricken vertraut. Schrei- pathisch“ geraten Buchdiskussionen in schwieriges Fahrwasser, ben ist Erkunden. werden vage und tendenziell bewertend; Ungenauigkeit in der Erzählung und Dramaturgie sind die Folge, Wirkungsziele des In der Stoffentwicklung sind Geschmacksdiskussionen neu- Erzählens werden verwaschen. In Homeland geht es viel stärker ralgische Punkte. Gerade hier wird eine Moderation wichtig, um Empathie als um Identifikation. um die Diskussion zur Vision zurückzugeleiten. Geschieht das nicht, gerät der Prozess leicht ins Schlingern, da verwischen Die Verwechslung, die hier greift, ist häufig. Sie kann fatal für auf einmal die Zuständigkeitsbereiche aus Kompetenz und die Vision eines Stoffes sein, organisiert die Erzählhaltung doch Entscheidungsgewalt. Nicht selten entscheidet nun das Macht- im Wesentlichen die emotionale Kommunikation zwischen dem wort. Damit stellt sich in künstlerischen Entscheidungsprozes- Film und seinem Publikum. sen die Macht über die Kompetenz. Wir unterscheiden im Erzählen in Bezug auf Figuren im We- sentlichen zwischen drei Erzählrichtungen: die der Identifika- tion, der Empathie und der Beobachtung. Das sind drei ver- schiedene Formen mit verschiedenen Wirkungszielen, über 4. KOMPETENZ UND KOMMUNIKATION die die Figurenführung und Wahrnehmung zwischen Werk und Zuschauer erzählerisch ausgerichtet werden.8 Produktionen und Redaktionen, die um die Herausforderungen der Stoffentwicklung wissen, holen sich im Zweifelsfall kompe- Wenn aber der Geschmack die Diskussionen bestimmt, gestal- tente Dramaturg:innen dazu. ten sich Stoffentwicklungsprozesse schwierig. Dann ersetzt der Dramaturgie fordert ein kompetentes Wissen: vom dramati- Geschmack die dramaturgisch-kompetente Reflektion. Nicht schen über das epische bis zum lyrischen Erzählen. Die Dra- selten wird dann das eliminiert, was die Gesprächspartner:in- maturgie präsentiert keine Blaupause. Sie arbeitet im Sinne nen unangenehm herausfordert oder provoziert. Der Prozess einer Wirkungsästhetik und sucht für jeden Stoff eine geeig- ist dann nicht mehr frei. Die Stoffentwicklung lebt aber davon, nete Form. Die Fragestellungen orientieren sich am Stoff und dass alle im Sinne der Vision argumentieren und das auch so folgen keinem vorgefertigten Muster. Dramaturgische Regeln kommunizieren. sind deswegen nie fix, sondern dynamisch. Außerdem müssten Autor:innen gerade bei strittigen eine star- Nicht umsonst ist das Feld der Dramaturgie ein eigener kom- ke Stimme haben. Jetzt brauchen sie sogar besonders Gehör, plexer Berufszweig, der viel Wissen, Erfahrung und Einfühlung um ihre Vision und die künstlerischen Entscheidungen darzu- erfordert. Die Angst mancher Autor:innen, dass Dramaturg:innen als ver- 8 Das Wirkungsziel kann von der Identifikation mit Figuren, die uns durch eine längerter Arm der Redaktion oder Produktion auftreten, wenn Geschichte leiten und unsere Affekte antriggern über Verstehen bis zur äs- es um strittige künstlerische Entscheidungen geht, mag im Ein- thetisch- intellektuellen Beobachtung führen, die eine/n sehr aufmerksame/n Zuschauer:in fordert, die das Material einordnet und interpretiert. zelfall berechtigt sein. 19 20
DAS HABEN WIR FESTGESTELLT DAS HABEN WIR FESTGESTELLT Kompetente Dramaturg:innen aber stellen auch ihr Ego, ihre wickelt ist. Dreh- und Angelpunkt ist auch hier wie so oft der persönliche Interpretation oder Vision des Stoffes hinten an Stoff, das Treatment, das Drehbuch. und nehmen eine neutrale Position ein. Sie befragen das Dreh- buch im Hinblick auf seinen impliziten Anspruch und seine Visi- on, stellen die richtigen Fragen und machen konkrete Vorschlä- ge, wie das Problem gelöst werden kann. Das ist im Idealfall 5. QUOTE VERSUS QUALITÄT inspirierend und motivierend. Das Fernsehen ist eine komplexe Institution. Selbst, wenn die Eine andere Entscheidungshilfe, die in strittigen Momenten Redakteurin oder der Redakteur für einen Stoff brennt, der an- hinzugezogen wird, oft nach der 1. Drehbuchfassung, ist das ders ist – dann ist da noch immer die Entscheidungshierarchie. anonyme Lektorat. Die Redaktion ist der Redaktionsleitung, der Redaktionskonfe- Das anonyme Lektorat hat eine große Macht im Entscheidungs- renz, der Programmleitung und der Intendanz verpflichtet. Wie prozess. Dabei ist für Autor:innen oft nicht zu überprüfen und und warum die Entscheidungen in dieser Institution getroffen nachzuvollziehen, ob die Person, die dort urteilt, das dramatur- werden, ist da oft für die Kreativen nicht mehr transparent. gische Wissen und die Weitsicht hat, den Stoff zu beurteilen. Die Entscheidungshierarchie innerhalb des Senders zeigt aber auch, dass die Redakteurin oder der Redakteur eine Gestalt mit Viele Lektorate sind schon vom Format her wie ein Erhebungs- „relativer“ Macht ist.9 bogen aufgebaut. Darin werden immer die gleichen Fragen zu Figur, Struktur, Dialog usw. gestellt. Das suggeriert eine wieder- Durch die Einführung des Privatfernsehens in den 80ern kehrende Objektivität, verliert aber durch den Umstand, dass kam außerdem das Thema Wirtschaftlichkeit auch im öffent- der/die Lektor:in niemals zeigen muss, ob er/sie das Anliegen lich-rechtlichen Fernsehen an. Dadurch hat sich die Zuschau- des Buches erkannt hat und dennoch Noten gibt, Glaubwür- erquote zu einem entscheidenden Kriterium für den Erfolg im digkeit. Fernsehen entwickelt und wird auch als eine Art Qualitätskrite- Wer spricht und urteilt hier? Und nach welchen Maßstäben? rium geführt. Richtiggehend spekulativ wird es, wenn Lektor:innen die Wirt- Seither setzt sich die Quote wie ein ewig unzufriedenes Phan- schaftlichkeit des Projekts beurteilen sollen. tom mit an den Tisch von Stoffentwicklung und Filmherstel- lung. Denn die Frage, was eine Zuschauerquote garantiert, ist Wir sehen, dass eine klare, transparente Kommunikation wich- vage. So agieren die Verantwortlichen meistens risikoavers und tig ist, um den Stoffentwicklungsprozess frei und offen zu ge- wiederholen das, was schon mal erfolgreich war. Neues und stalten. Anderes wird nicht gewagt. Immer wieder stellt sich die Frage nach der Entscheidungsho- heit über die erzählerische und künstlerische Vision des Films. Immer wieder wird sie zur Machtfrage. Damit ist ein instituti- oneller Konflikt angesprochen, der darauf verweist, wie sehr Stoffentwicklung und ihre Entscheidungsfindungen in Deutsch- 9 Vielleicht sind auch deswegen viele Redakteur:innen immer mehr in die Rol- land in die Zwänge von Fernsehen und Kulturförderung ver- le von Produzent:innen gerückt? Die Zuständigkeitsbereiche sind jedenfalls in den Meetings mit Buch und Regie häufig verwischt. 21 22
DAS HABEN WIR FESTGESTELLT DAS HABEN WIR FESTGESTELLT Was sagen Zuschauerzahlen außerdem am Ende aus, wenn die 6. KINO VERSUS FERNSEHEN Mehrzahl des Publikums bereits zu anderen Medien wie den neuen Streamingdiensten abgewandert ist? Und was bedeutet Mit dem Auftreten der Corona-Pandemie und der Schließung die Quote eigentlich? Warum schalten Menschen zu oder ab? der Kinotheater ist die Krise des Kinos noch einmal immens Eine Autorin berichtete von einer Diskussion, bei der die Mei- beschleunigt worden. Niemand weiß im Moment, in welcher nungsumfrage herausgefunden haben soll, dass Fernsehzu- Verfassung das Kino sich befindet, wenn die Pandemie ein- schauer:innen abschalten, wenn sich zwei Männer küssen oder mal vorbei sein wird. Aber die Sorgen kreisen erst einmal da- weinen. Was sollen wir von solchen Erhebungen halten? Wie rum, ob die Filmtheater überhaupt überleben und wann die Z objektiv sind sie? Schalten die Zuschauer:innen wirklich aus schauer:innen nach der langen Abstinenz zurückkehren. oder schauen sie, wenn sie alleine sind, doch neugierig weiter? Als Kulturgut ist das Kino immer ein Ereignis, wenn es uns im Schutze der Dunkelheit des Kinosaals zum Träumen einlädt, in Das Beispiel zeigt, wie schnell die Analyse der Marktforschung fremde Welten entführt oder herausfordert oder sogar provo- auf die falsche Fährte führen kann, wie scheinbar längst über- ziert, in unsere tiefsten Abgründe zu schauen. holte Vorurteile durch eine fragwürdige Meinungserhebung Kino ist aber nicht nur ein ästhetisches, es ist auch ein soziales und Statistik reproduziert werden. Ereignis. Man nimmt sich die Zeit, man verbringt einen Abend im Kino, geht vielleicht anschließend zusammen etwas trinken Die Frage nach der Zuschauerquantität im Fernsehen erweist oder essen, redet über den Film. sich da als fragwürdiges Kriterium. In einer Gesellschaft, die Auch das macht uns die Pandemie schmerzlich bewusst. Was vielfältig geworden ist, existieren viele Zuschauergruppen und uns fehlt. In der Anonymität eines dunklen Kinosaals erleben keine homogene Masse, für die man den kleinsten gemeinsa- wir uns mit dem Film neu und anders. Dafür erwarten wir auch men Nenner sucht.10 etwas Besonderes. Außerdem entstehen interessante Erzählungen doch gerade Für viele beginnt das Kinoschaffen mit einem Debüt, das in 95 dann, wenn wir die Ängste thematisieren und Perspektiven, Prozent der Fälle in Zusammenarbeit mit den Fernsehsendern Lebensformen und Erzählweisen zulassen und erkunden, die entsteht. Beim Debütfilm ist die Offenheit gerade auch durch uns herausfordern und mit denen wir nicht vertraut sind. Redakteur:innen gegeben, die den Nachwuchs ermuntern, Die Quote produziert aber nicht nur Druck und Angst. Sie för- sich auszuprobieren. Das Potenzial beim Nachwuchs ist groß, dert Anpassung. Das wiederum führt zu einer Verengung des die Ausbildungssituation ist sehr gut. Erzählhorizonts. Jedes Jahr bewerben sich viele Talente an den Filmhochschu- len. So entstehen spannende Filme, die international erfolg- reich laufen und auch auf vielen Festivals reüssieren. Oft steht der Nachwuchs aber viel zu früh unter Druck, der Branche ge- fallen zu müssen. 10 Auch müssen wir uns fragen, wie sich solche Grenzen weiter verschieben In Deutschland ist das Kino immer wieder an die öffent- werden, wenn die extremen Rechten, die die Kulturbranche immer wieder at- tackieren, weiter an Macht gewinnen. lich-rechtlichen Fernsehsender gebunden. Und auch wenn sich 23 24
DAS HABEN WIR FESTGESTELLT DAS HABEN WIR FESTGESTELLT alle einig sind, dass es hier mehr künstlerische Freiheit braucht Verhältnis zu Zeit, Arbeit und Kosten am Ende recht übersicht- und viele Kinoproduzent:innen dafür eintreten, dass Autor:in- lich. Um über die Runden zu kommen, kann es sich kein:e Kino- nen und Regisseur:innen ihren Blick und ihre Handschriften autor:in leisten, kein zweites Standbein zu haben. möglichst unabhängig entwickeln können, kann auch hier eine Ohne Fernsehen bekommen das die wenigsten hin, auch die Schieflage entstehen, wenn der Erfolgsdruck zu groß ist, denn neuen Streamingdienste und Plattformen bieten neue Mög- je mehr Leute über einen Stoff sprechen, desto mehr Zweifel lichkeiten. haben Platz, desto mehr Risikoaversion greift. Während das eher unabhängige Mainstreamkino dabei sehr Die Branche lockt den erfolgreichen Nachwuchs mit guten große Erfolge einfahren kann, greift die Krise im Bereich des Jobs. Nicht selten bekommen erfolgreiche Nachwuchs-Au- Arthouse- und künstlerischen Kinos deutlicher11. So wird immer tor:innen und Regisseur:innen nach ihrem Debüt hier eine wieder bemängelt, dass es viel zu selten Filme wie „Goodbye Chance und verschwinden damit als interessante Partner:innen Lenin“, „Gundermann“ oder „Toni Erdmann“ gäbe. Dabei vom Kinomarkt. können sich Arthouse und künstlerisches Kino nur dann ent- falten, wenn Autor:innen und Regisseur:innen andere Sicht- Wer künstlerisch frei arbeiten möchte und dem Kino treu blei- weisen riskieren und sich ästhetisch und inhaltlich aussetzen. ben möchte, muss es sich da schon finanziell leisten können. Dafür braucht es ein gewisses Maß an Unabhängigkeit und es Denn auch, wenn die Drehbuchförderung in Deutschland sehr braucht Risikobereitschaft. gut ist, stehen für die Entwicklung der Bücher immer noch zu wenig Gelder zur Verfügung, um Stoffe wirklich in die Tiefe zu Eine künstlerische Laufbahn benötigt außerdem mehr als ein entwickeln. Zwar gibt es die Drehbuchfortentwicklung bei der Debüt, um den eigenen Blick und Erzählstil entwickeln und FFA, aber diese ist dem kommerziellen Film vorbehalten. schärfen zu können. Aber andere Formen, die ganz ohne Drehbuch in die Filment- Der Erfolgsdruck ist allerdings enorm groß, das liegt nicht zu- wicklung einsteigen oder andere neue Wege gehen, haben es letzt an der erheblichen Konkurrenz auf dem Markt. Da geht in der Branche schwer, in der immer anhand des Drehbuchs man entweder auf oder schnell unter. Und möglicherweise er- entschieden wird, ob ein Film finanziert wird. klärt das auch, warum viele Produzent:innen nicht mehr so gern Die Zukunft unserer Filmkultur hängt auch davon ab, ob wir uns ins Risiko gehen. darauf besinnen, was die besondere Kraft des Kinos ausmacht und dass man Innovation nur dann haben kann, wenn die Ent- Ein guter Stoff braucht außerdem Durchhaltevermögen. Ent- scheider:innen den Autorenfilmer:innen, den Drehbuchau- wicklungsperioden von bis zu sieben Jahren sind keine Selten- tor:innen und Regisseur:innen und ihrer künstlerischen Kompe- heit. tenz und Vision ein Stück mehr vertrauen lernen als jetzt, damit 30.000 Euro brutto, die eine Drehbuchentwicklung hierzulande so viel Freiraum wie möglich gewährt wird. umfasst, sind auf den ersten Blick viel Geld, bleiben aber im Denn nur wo künstlerische und ökonomische Freiräume entste- hen, kann das Neue, das ganz Andere entstehen. 11 Das Gros der Filme entsteht mit Senderbeteiligung oder/und im Bereich des Mainstreamkinos mit Hilfe großer Verleihfirmen. 25 26
DAS HABEN WIR FESTGESTELLT DAS HABEN WIR FESTGESTELLT 7. DAS ENDE VOR DEM ENDE Die Gremien der Förderungen setzen sich meistens aus Vertre- ter:innen zusammen, die zwar aus den verschiedenen Sparten Auch im Kinobereich ist einer der neuralgischen Punkte die der Filmherstellung kommen, aber mit den Feinheiten der Stof- Förderentscheidung. Auch hier ist das Drehbuch die Grundla- fentwicklung und der Drehbuchlektüre nicht unbedingt ver- ge, auf der entschieden wird. Eine Ablehnung entscheidet das traut sind. Neben den Vertreter:innen von Produktionen, Regie Schicksal des Stoffes oft neu. und Buch sitzen vor allem Vertreter:innen aus Wirtschaft und Wo die Ressourcen beschränkt und Produktionsfirmen bereits Verwertung (Festivals, Kinos, Verleihe, Filmkritik) mit am Tisch. auf Drehbuchförderung angewiesen sind, weil sie keine eige- nen Etats besitzen, kann eine Ablehnung schnell zum Ende der Weil die einheitlichen Kriterien fehlen, aber zudem meistens Entwicklung führen. Die Ablehnung wird dann oft absolut ge- eine klare dramaturgische Moderation fehlt, wird auch hier der lesen, wirkt wie ein Urteil, so, als würde eine Leistung bewertet Geschmack zum Zünglein an der Waage. Viele halten ihre urei- und verworfen werden. gene Interpretation des Drehbuchs für die Vision, dabei geht Doch ausgerechnet da, wo es interessant werden könnte, setzt es darum, die Vision von Buch und Regie zu erkennen13. Mög- auf einmal die Kommunikation aus. Nicht wenige Autor:innen licherweise braucht es mehr Kontakt zwischen Künstler:innen ziehen sich gekränkt zurück, statt die konstruktive Auseinander- und Kritiker:innen aus dem Gremium, das könnte ein Prozess setzung mit den Förderern zu suchen. Redakteur:innen, Produ- sein, von dem alle Beteiligten profitieren14. zent:innen und der Verleih hingegen beginnen auf einmal, am Stoff selbst zu zweifeln. Eine Ablehnung wird aber auch schnell für alle Beteiligten des Nun ist Verunsicherung zutiefst menschlich. Entwicklungsteams existentiell. Mit dieser Aussicht gehen viele Aber kann ein Stoff über Nacht auf einmal aus sich heraus Produzent:innen, Autor:innen und Regisseur:innen nicht ein- „schlecht“ geworden sein? Wohl kaum. Ein Buch kann noch mal mehr das Risiko ein, ein innovatives Projekt zu entwickeln nicht fertig entwickelt sein. Dann muss die Stoffentwicklung na- und einzureichen. türlich fortgesetzt werden, aber absurderweise setzt die Kritik ausgerechnet da aus, wo sie möglicherweise besonders kon- Was also, wenn das Projekt, das man wagemutig entwickelt hat, struktiv für alle Beteiligten werden könnte, denn ein Förder- in der Drehbuchförderung oder nach einem langen Stoffent- gremien könnte ja auch das erste größere Publikum sein, das wicklungsprozess in der Produktionsförderung abgelehnt wird? spannende Anregungen gibt. Die Kritik in den Ablehnungsbescheiden wird aber oft vage 13 Sätze wie „Dieser Stoff hat mich nicht abgeholt“ oder „Dieser Stoff hat und allgemein formuliert, manche Gremien geben gar keine mich nicht berührt“ sind nur dann von Wert für eine Diskussion, wenn sie dra- maturgisch und filmästhetisch fundiert begründet werden können. Begründungen. Zum einen haben viele Gremien keine einheit- lichen Kriterien, anhand derer sie jeden Stoff diskutieren12, zum 14 Ein anderes Dilemma betrifft den Punkt, dass der sogenannte Festivalfilm und der Unterhaltungsfilm in Deutschland oft im selben Gremium beurteilt anderen hat das oft rechtliche Gründe. werden. Deutschland ist das einzige Land auf der Welt, in dem die ernste Kunst und die sogenannte Unterhaltung immer noch getrennt werden, in E und U. 12 Vielleicht sollten wir auch über andere Präsentationsformen nachdenken. Damit verbunden ist eine Wertediskussion, die den Unterhaltungsfilm a priori Hier hätten Autor:innen und Regisseur:innen mehr Raum, die erzählerische abwertet und Filme, denen das Label künstlerisch anhaftet, a priori aufwertet. Vision, Tonalität und Stil des Films zu präsentieren, müssten sich aber auch Doch am Ende führt die ewige Wertediskussion über hohe und niedere Kunst direkter den kritischen Fragen der Gremien stellen. nur in Sackgassen und verengt den Blick bei der Entscheidungsfindung. 27 28
DAS HABEN WIR FESTGESTELLT DAS HABEN WIR FESTGESTELLT Nicht selten ist die Produktion bereits ins finanzielle Risiko ge- Im kommunikativen Spiel von Kompetenz und Macht sind die gangen. Diese Entscheidung ist für alle Beteiligten existentiell. Autor:innen vielleicht das Bauernopfer, doch letztlich gibt es in Dementsprechend groß sind Verunsicherung und Frustration. diesem Spiel nur Verlierer. Kann man dem Urteil trauen? Wirtschaftlich muss man das, denn das Urteil der Förderung bedeutet meist Top oder Flop. Der neuralgische Punkt ist hier die Abnahme. Im Zweifelsfall wird sie verweigert. Dann fließt kein Geld. Und so schreibt Kommt es zu einer Ablehnung, dreht sich oft der Wind. Recht manche Autorin und mancher Autor so lange um, bis irgend- hat jetzt, wer am längeren Hebel sitzt. Die Ablehnung sei ja wann doch die Abnahme erfolgt. Beweis genug. Der Wagemut, mit dem alle angetreten sind, weicht Unsicher- Der nächste neuralgische Punkt tritt auf, wenn die Regie ge- heit. Viel zu selten wird diese Unsicherheit eingestanden. Viel sucht wird. zu oft wird nun die Machtkarte gezückt. Oft wird die Ursache dann im Drehbuch gesucht. Nicht selten sicherlich zu Recht. Gerade bei Ablehnungen müssen Produzent:innen häufig Ent- 8. KREATIVER NUKLEUS – scheidungen an die Autor:innen und später an die Regisseur:in- nen übermitteln, die sie weder künstlerisch noch wirtschaftlich BUCH UND REGIE richtig finden. Damit wird auch die ursprüngliche Eigenstän- Viele Drehbuchautor:innen und Regisseur:innen plädieren digkeit und kreative Kompetenz der Produktion beschnitten dafür, dass sie früh in Kontakt treten und die Arbeit am Stoff und degradiert. Viel zu selten gehen Produzent:innen selbst- gemeinsam beginnen. Denn beide profitieren enorm davon, bewusst in den Konflikt, nicht zuletzt, weil in diesem Prozess wenn sie den langen Weg der Stoffentwicklung zusammen ge- eine Diskussion mit den Förderern nicht vorgesehen ist. hen. Im Kino passiert das häufiger als beim Fernsehen. Wenn Am Ende haben vor allem Stoffe Chancen, die sich durch ihre das Buch die künstlerische Basis des Films ausmacht, so bilden scheinbar marktkonforme Relevanz oder durch eine konventi- Buch und Regie den künstlerischen Nukleus im Filmherstel- onelle Dramaturgie legitimieren, die irgendwie verdächtig an lungsprozess. Filme erinnert, die schon einmal erfolgreich waren. Die Autor:in hat den Stoff adaptiert oder erfunden. Die Regie interpretiert ihn. Sie formt das Buch gemeinsam mit den Ge- Autor:innen und auch Produzent:innen sehen sich nun in der werken zum fertigen Film: Im besten Sinne transformiert sich Rolle von Dienstleistern, und manch mutige Redaktion muss das Drehbuch im Film. die Geschmacksurteile derjenigen akzeptieren, die am Ende Ein Austausch zwischen Regie und Buch kann ein Projekt entscheiden. Nicht selten werden Autor:innen an dieser Stelle enorm voranbringen. Man erkennt, ob man ein gemeinsames ausgetauscht. Hier beißt sich die Katze in den Schwanz, denn Ziel hat, eine gemeinsame Sprache spricht und eine gemeinsa- diese Praxis bringt Autor:innen, Regisseur:innen und Produ- me Erzählidee verfolgt. Zentral ist vor allem die Frage nach der zent:innen hervor, die ihre Handschrift und Originalität preis- emotionalen Sprache des Films. Wer als Autor:in feinjustiert gegeben haben, weil sie sich selber nur noch als Dienstleister und figurenorientiert arbeitet, wird das Glück niemals in einer verstehen. 29 30
DAS HABEN WIR FESTGESTELLT DAS HABEN WIR FESTGESTELLT Regie finden, die eher Handlungsbögen und affektorientierte Diese Kommunikation findet derzeit viel zu selten statt. Anstel- Gefühle inszeniert. le eines Meetings, bei dem alle zusammen am runden Tisch Platz nehmen, gibt es häufig nur das Gespräch zwischen Re- Oft wissen Autor:innen sehr genau, wer ein:e gute Regisseur:in daktion, Produktion und Regie. für ihren Stoff wäre, wer das Feingefühl und den adäquaten Gerade, wenn Redaktion und Produktion unsicher sind oder es künstlerischen Blick für ihre Art von Stoff hat. Wer die Subtexte Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Vision des Stoffes versteht und ihre Vision teilen und erweitern kann. gibt, delegieren sie die eigene Ratlosigkeit häufig an die Regie und setzen damit die bisherige Arbeit am Stoff aufs Spiel. Autor:innen und Regisseur:innen können zusammen die tie- Die Regie wiederum sitzt hier oft zwischen Baum und Borke. feren Zusammenhänge des Buchs erkunden, was nicht heißt, Im Übergabeprozess beziehen sich viele Regisseur:innen des- dass die Regie nicht ihre eigene Vision finden muss. Aber die wegen häufig auch nur auf die Produktion und Redaktion. Statt Kommunikation zwischen Buch und Regie ist entscheidend, also bei strittigen Fragen im Hinblick auf das Buch mit den Au- gerade wenn es um die Tiefenstruktur einer Geschichte geht. tor:innen zu sprechen, setzt hier oft die Kommunikation aus, Beide Seiten müssen lernen, sich zu vertrauen und letztlich weil Angst und Unsicherheit greifen. auch die Kompetenz des anderen Gewerks zu respektieren An diesem neuralgischen Punkt wird die sogenannte Regiefas- und so gut es geht zu unterstützen. Beide Seiten können hier sung zum Dreh- und Angelpunkt. enorm profitieren. Schwierig wird es, wenn wie bisher vor allem im TV-Bereich üblich – von der Redaktion und der Produktion im Alleingang 9. KAMPFPLATZ REGIEFASSUNG entschieden wird, wer Regie führt. Statt die Autor:innen in die Entscheidungsfindungsprozesse Der Begriff „Regiefassung“ bezeichnet im eigentlichen Sinn einzubinden, setzt die Kommunikation zwischen Redaktion, den Prozess, in dem die Regie die Feinheiten einer Inszenie- Produktion, Regie und Drehbuch ausgerechnet an dem Punkt rung erarbeitet, oder anders ausgedrückt, das Drehbuch an aus, an dem über die Umsetzung der Vision entschieden wird. Drehorte, Inszenierungsideen und die Auflösung anpasst. In der Fernsehbranche wird die „Regiefassung“ derzeit aber Auch hier geht es wieder um das Verhältnis von Kompetenz oft als Überarbeitung definiert. Das führt in alle Richtungen zu und Macht. Eine Regie, die einen Stoff verfilmen will, sollte zu- Missverständnissen. mindest zeigen, wie sie sich die Umsetzung vorstellt, wie sie Denn die Ankündigung, die Regie schreibe jetzt mal eine „Re- die Figuren einschätzt und wohin Tonalität und Vision weisen, giefassung“, und der Verfasser des Drehbuchs sei entlassen, thematisch und ästhetisch gesehen. kommt für Autor:innen nicht selten überraschend. Im Bereich des Fernsehens muss sich die Regie mit der Regie- Das Potential einer gelungenen Zusammenarbeit zwischen fassung vor der Redaktion behaupten, sie muss beweisen, ob Buch und Regie kann gar nicht hoch genug eingeschätzt wer- sie des Stoffes würdig ist. Hier kann sie zudem ihre Autonomie den, doch dies kann sich nur entfalten, wenn sie eine andere definieren, eine Zone, in der sie unantastbar bleibt. Deswegen Kommunikation miteinander entwickeln. kann die Regiefassung zum Kampfplatz werden. 31 32
DAS HABEN WIR FESTGESTELLT DAS HABEN WIR FESTGESTELLT Es steht außer Frage, dass Bücher in Sackgassen geraten und Bei der Übergabe des Buches wären Produzent:innen und Re- Autor:innen an Grenzen geraten oder künstlerisch und hand- dakteur:innen gefragt. Sie könnten Buch und Regie zu einer Al- werklich nicht versiert genug sind, so dass es ratsam ist, die lianz führen, zum Team machen, um das Beste aus dem Stoff zu Zusammenarbeit zu beenden. rauszuholen. Doch nur wenige machen von dieser Möglichkeit Doch wenn der Kommunikationsprozess transparent und res- Gebrauch, weil das Problem oft gar nicht erkannt wird. pektvoll ist, wird es auch für Autor:innen leichter, ihre Grenzen Glücklicherweise gibt es Regisseur:innen, die diese Arbeit ge- zu erkennen. meinsam mit den Autor:innen machen, weil sie ihre Kompeten- Vielleicht findet man dann sogar zusammen zu der Entschei- zen und Grenzen kennen. dung, dass man sich besser trennt und eine neue kreative Kraft den Stoff zu Ende entwickelt. Viele Regisseur:innen beanspruchen für die Regiefassung au- ßerdem einen Autor:innen-Kredit. Das hat nicht selten ökono- Doch die Realität sieht anders aus. Aus Angst vor Konflikten mische Gründe. entscheiden sich Redaktionen und Produktionsfirmen oft für Die Regie wird, gerade wenn sie ein Projekt monatelang, die Flucht nach vorn. manchmal jahrelang, begleitet, oft unzureichend entlohnt. Auch deswegen fühlen sich viele Regiefassungen für die Au- Redaktion und Produktion haben kein weiteres Geld, im Zwei- tor:innen eher nach einer feindlichen Übernahme denn nach felsfall wird die Regie aus dem Drehbuchhonorar bezahlt. Der einer Weiterentwicklung an. Prozess zur Entwertung des Autor:innen findet dann nicht nur ideell, sondern auch ökonomisch statt. Erstaunlicherweise müssen sich Regisseur:innen bei Überarbei- tungen des Drehbuchs selten als dramaturgisch versierte Au- Doch auch die Regie hat letztlich nicht die künstlerische Hoheit tor:innen legitimieren. Bei Rückfragen, warum es eine Regie- über das Werk. Auch sie sieht ihre kreative und künstlerische fassung geben muss, erntet mancher Autor:in die Antwort, die Freiheit in Frage gestellt. Ein Aspekt, der zeigt, dass Autor:in- Regie habe das Buch so nicht verfilmen können. nen und Regisseur:innen letztlich im selben Boot sitzen. Was vor allem dann verwundert, wenn die Regie das Drehbuch Überall wird eingegriffen, ins Casting, ins Kostüm, ins Szenen- anfänglich unbedingt verfilmen wollte. bild, ins Grading. Der Final Cut obliegt ihnen ohnehin selten oder nie. Im Regelfall wird die Regie nun vor den Karren der Die Regie überarbeitet nun in ein paar Wochen, manchmal in eigentlichen Entscheider gespannt. Auch sie wird zum Dienst- ein paar Tagen ein Werk, das der/die Autor:in einem zeitinten- leister und damit ihrer künstlerischen Kompetenz beraubt. siven, künstlerischen Prozess entwickelt hat. Häufig werden die Bücher nicht besser, sondern einfach nur anders. Das, was als Überarbeitung ausgegeben wird, ist häufig eine Angleichung an den Geschmack der Regie, aber sollte es nicht auch hier um mehr gehen als Geschmack, sondern um eine gemeinsame, differenzierte Vision? 33 34
Sie können auch lesen