Was Wollen Wir essen? - Gibt es für jede Lebensphase das passende Produkt, und ist das überhaupt gewünscht?
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Eine tiefenpsychologische Studie des rheingold instituts im Auftrag der DLG Was wollen wir essen? Gibt es für jede Lebensphase das passende Produkt, und ist das überhaupt gewünscht? 3
Lebensmittel in den Lebensphasen – Studie 2013 Was wollen wir essen? Gibt es für jede Lebensphase das passende Produkt, und ist das überhaupt gewünscht? Eine tiefenpsychologische Studie des rheingold instituts im Auftrag der DLG Produkte, die auf die Bedürfnisse der Verbraucher zugeschnit Bei genauem Hinsehen lässt sich feststellen, dass sich auch ten sind, haben das größte Potenzial auf dem Markt. Die An Lebensphasen bzw. Übergänge von einer Phase in die nächste sprüche der Konsumenten unterscheiden sich jedoch erheblich. auf die Ernährungsgewohnheiten auswirken können. So stellen Dabei spielen nicht allein individuelle Bedürfnisse eine Rolle, beispielsweise Eltern nach der Geburt des ersten Kindes häu nicht allein das Alter, die Herkunft, die Sozialisation oder in fig die eigene Ernährung völlig um. Ein anderes Beispiel sind dividuelle Vorlieben. Auch gesamtkulturelle Entwicklungen Jugendliche, die sich von Süßigkeiten abwenden, speziell von und Trends verändern die Vorstellungen und Wünsche des Ein Angeboten, die sich im ganzen Look and Feel als naiv bun zelnen an Ernährung und Nahrungsmittel. Dass zum Beispiel tes, fröhlich harmloses Kinderprodukt präsentieren. Kaum ein ein Salat jemals mehr als eine Beilage sein und – entsprechend Jugendlicher freut sich noch über ein Überraschungsei, welches dimensioniert und aufgehübscht – sogar als Hauptgang akzep ihn mit 4 oder 6 Jahren noch begeisterte. tiert werden könnte, wäre vor einigen Jahrzehnten noch undenk bar gewesen. Die Studie Das rheingold Institut in Köln ist im Auftrag der DLG in einer qualitativen Verbraucherstudie der Frage nachgegangen, wie stark spezifische Lebensabschnitts-Themen bei Verbrauchern die grundlegenden Erwartungen und Ansprüche im Bereich Lebensmittel beeinflussen. Und welche spezifischen Lebens abschnitts-Themen sich überhaupt identifizieren lassen. Im Rahmen der Studie wurden 50 Verbraucherinnen und Verbraucher in jeweils zweistündigen ,face-to-face Inter- views‘ zu ihrer aktuellen Ernährungswirklichkeit, aber auch zu ihrer Ernährungsbiographie psychologisch vertiefend befragt. Dies wurde flankiert durch ein ,Consumption Diary‘, in dem die Befragten über eine Woche lang Tagebuch darüber führten, in welchen konkreten Situationen und unter welchen Rahmen bedingungen sie welche Lebensmittel konsumierten. In der Stichprobe wurden unterschiedliche, relativ pragma tisch gefasste ,Lebensphasen‘ berücksichtigt. Befragt wurden: n 12 junge Erwachsene (20 - 35 Jahre, Singles u. DINKs), n 7 Eltern (20 - 50 Jahre, Mütter / Väter) mit Kindern von 1 - 7 Jahre, n 7 Eltern (30 - 50 Jahre, Mütter / Väter) mit Kindern von 8 - 16 Jahre, n 12 Empty Nester (50 - 60 Jahre, Paare und Alleinstehende und Paare, deren Kinder bereits aus dem Haus sind) n 12 Best Ager (60 - 70 Jahre, Paare und Alleinstehende) Verkrampft im Paradies Die 50 Tiefeninterviews zeigten ein Phänomen, das heutzutage Alt und Jung vereint, wenn es um das Thema Ernährung geht: n ir leben in paradiesischen Zuständen. Die Regale im LEH W quellen über und an jeder Straßenecke erwarten uns Imbiss-, ,Fast Food‘- und ,To Go‘-Angebote. Hunger im eigentlichen Sinn kann unter diesen Umständen kaum noch aufkommen. Stattdessen haben wir die Qual der Wahl, wenn es um unser tägliches Brot geht. 2
Studie 2013 – Lebensmittel in den Lebensphasen n Auf einer anderen Ebene ist Ernährung aber zum Problem rungsthema ist. Aber was bedeutete das für unsere anfängliche geworden. Verbraucher fühlen sich mit immer neuen ,Do’s Fragestellung? Ist der Aufschnitt eine Frage des Alters bzw. und Don’ts‘, Ratschlägen und Vorgaben hinsichtlich der einer Lebensphase? Der fettreduzierte Aufschnitt könnte einer ,richtigen‘ Ernährung konfrontiert. seits für den perfekten Sixpack eines jung-dynamischen Nach wuchsmanagers stehen – andererseits aber genauso gut in dem Im Spannungsfeld zwischen paradiesischer Vielfalt und im dringlichen Rat eines Arztes an einen ,Best Ager‘ begründet mer neuen Empfehlungen und Ermahnungen plagt viele Ver sein, in seinem Alter etwas auf die Cholesterinwerte zu achten braucher die latente Sorge, sich ,falsch‘ zu ernähren, bzw. und weniger fett zu essen. den gesellschaftlichen Ansprüchen nicht zu genügen, weil man Am sichersten lassen sich anhand des Kühlschranks lediglich ,zu schwach‘, undiszipliniert, egoistisch, unreflektiert etc. ist. In Familien mit jungen Kindern erkennen: Der ist im Normalfall den Gesprächen war häufig eine Grundnervosität spürbar, einem nicht nur größer und voller als im Single-Haushalt, sondern ent Außenstehenden Einblick in den eigenen Kühlschrank zu gewäh hält meist auch Produkte, die klar „Kind im Haushalt“ signali ren und die ‚nackten Tatsachen‘ der eigenen Ernährung zu outen. sieren – Beispiele dafür sind die legendäre ,Bärchenwurst‘ oder der bunte Kinder-Pudding. Kunterbuntes im Kühlschrank Mangelndes Angebot oder Was der Blick in den Kühlschrank bzw. in die detaillierten gewollte Alterslosigkeit? ,Consumption Diaries‘ der 50 Befragten zeigte, war quer durch die Stichprobe wohltuend menschlich-allzumenschlich, bunt Woher kommt diese relative Alterslosigkeit bei den Ess- gemischt und quasi „wie gewachsen“. Da fand sich fettarmer Gewohnheiten? Wie kann es sein, dass sehr unterschiedliche Geflügel-Aufschnitt neben vollwertiger Mousse au Chocolat. Menschen, die in sehr unterschiedlichen Lebensphasen stecken, Da kochte man am Wochenende mit Bio-Zutaten und schob in auf der Ebene der gekauften Lebensmittel-Produkte anschei der Woche genüsslich eine Tiefkühl-Pizza in den Ofen. nend so viele Gemeinsamkeiten haben? Liegt es an fehlenden Ob man es mit einem 20-jährigen Single oder einem 60-jähri Ausdrucksmöglichkeiten, also an einem Mangel an phasen-dif gen Best Ager zu tun hatte – das ließ sich an den konsumierten ferenzierend und phasen-spezifisch positionierten Produkten? Produkten kaum ablesen. Oder fehlt es einem solchen Ansatz einfach an Relevanz, weil Der fettarme Aufschnitt zum Beispiel war ein klarer Hinweis das Thema Ernährung und die tagtäglichen Kaufentscheidun darauf, dass man es mit einem „Fleisch-Esser“ zu tun hatte, für gen von ganz anderen, weitgehend „alterslosen“ und phasen den Fettreduktion zumindest ansatzweise ein relevantes Ernäh unabhängigen Faktoren beeinflusst werden? 3
Lebensmittel in den Lebensphasen – Studie 2013 Das Relevanzproblem n er moderne Verbraucher sträubt sich gegen die Vorstellung, D auf die Zugehörigkeit zu einer Lebensphase reduziert und auf Auf Basis der Stichprobe muss man eindeutig von einem ein vergleichsweise statisches und als eher ‚äußerlich‘ empfun Relevanzproblem, ja sogar einem Akzeptanzproblem ausge- denes Datum festgenagelt zu werden. In früheren Zeiten hat hen! Ein expliziter Bezug auf spezifische Lebensabschnitts- te zum Beispiel der Status ‚Familienvater‘ noch eine gewisse Themen ist für die Verbraucher kein kaufrelevantes Kriteri- normative Kraft. Und es war nicht ungewöhnlich, wenn Eltern um, wenn es um den Lebensmittelkauf geht! Ein Bedürfnis sich gegenseitig mit ,Mutti‘ und ,Vati‘ ansprachen. Heute aber nach „Lebensabschnitts-Produkten“ ist in der Studie nicht will ein Vater nicht mehr nur ,Vati‘, eine Mutter nicht mehr zu erkennen. nur ,Mutti‘ sein. Der moderne Konsument möchte zumindest n Biographische ‚Phasenwechsel‘ (z.B. von ‚Eltern‘ zu ‚Empty optional alles sein können, sich jederzeit verändern und ver Nester‘) sind zwar mit Umstellungen auch der Ernährungs wandeln können. Die Abneigung gegen eine Festlegung auf gewohnheiten verbunden, aber dazu braucht es aus Verbrau ‚alte‘ Rollenmodelle zeigt sich auch und gerade bei der älteren chersicht keine ‚phasenspezifischen Spezialprodukte‘. Das Generation. Vom klassischen ‚Ruhestand‘ und einem Rückzug bestehende Angebot ist nach Auffassung der Probanden groß aufs ‚Altenteil‘ wollen die Älteren nichts mehr wissen: und die Möglichkeiten sind vielfältig genug. „Ich schaffe zwar nicht mehr so große Portionen wie früher, „Ich brauche eigentlich keine neuen Produkte, das ist mir jetzt aber das Wort ‚Senioren-Teller‘ mag ich gar nicht.“ schon manchmal alles zu viel an Auswahl.“ Im Gegenteil: Immer mehr Verbraucher im reiferen Alter n ie Verbraucher haben Probleme, sich vorzustellen, über D fühlen sich in jeder Hinsicht fit genug, um noch einmal neue welche konkreten Produkteigenschaften eine glaubhafte, Horizonte zu erschließen. nachvollziehbare Differenzierung nach Lebensphasen bei Lebensmitteln erfolgen könnte. „Seit wir als Rentner mehr rumkommen, esse ich auch andere Sachen. Zum Beispiel waren wir jetzt endlich mal in den USA. Die Frage lautet: Was soll eine TK-Pizza für Best Ager sinn Und jetzt haben wir immer locker 3 Steaksaucen im Kühl vollerweise von einer TK-Pizza für Singles, DINKs oder Fa schrank, eine von Jack Daniel’s, so mit Whiskey.“ milien unterscheiden? Man kennt Vorbilder aus anderen Pro duktsegmenten – z.B. der Hautpflege („Für die Haut ab 40“), Letztlich zeigt sich in der Studie die grundlegende Proble die mit physiologischen, altersbezogenen Argumenten arbeiten. matik einer klassischen Zielgruppen-Denke, bei der Zielgrup Aber ein Food Produkt, das so argumentiert, positioniert sich pen anhand soziodemographischer Merkmale definiert wer als ‚functional food‘, als Spezialfall mit spezifischer Indikation. den. Derart definierte Zielgruppen erlauben kaum noch sichere 4
Studie 2013 – Lebensmittel in den Lebensphasen Rückschlüsse auf das tatsächliche Kauf- und Entscheidungs Prototypische ‚Phasen-Modelle‘, wie sie verhalten der Konsumenten. So kommt es, dass der Inhalt des die befragten Konsumenten schildern: Kühlschranks im Normalfall nicht verrät, ob man es mit einem 30-jährigen Single oder einem 57-jährigen Empty Nester zu Phase 1 – Versorgt werden durch die Eltern tun hat. Das Kauf- und Entscheidungsverhalten wird vielmehr Die Analyse der jeweiligen Ernährungsbiografien zeigt, dass durch quasi ‚alterslose‘, psychologische Wirkversprechen von ernährungs-‚stilbildende‘ Grundlinien schon im Kindesalter Produkten und Marken bestimmt, durch (unbewusste) Wünsche angelegt werden und oft bis ins hohe Alter weiterwirken. Wie nach einem bestimmten Lebensgefühl. viel Aufmerksamkeit man zum Beispiel der Frage „Was esse ich Der Kauf eines Produktes hat meist wenig mit Soziodemogra heute?“ widmet, wie anspruchsvoll oder experimentierfreudig phie – und stattdessen viel mit kontextabhängigen psychischen man beim Essen ist – das wird oft schon im eigenen Eltern Verfassungen und Gestimmtheiten, mit übergreifenden (Selbst-) haus angelegt. Die elterliche ‚Ernährungsheimat‘, die man als Bildern und Verwandlungswünschen zu tun, denen das Pro Kind erfährt, wirkt als Referenzpunkt auch im Erwachsenen dukt entgegenkommen muss. Ein Beispiel: Die „quadratisch- alter nach – in den Vorlieben, Abneigungen, Erwartungen und praktisch-gute“ Ritter Sport-Schokolade befriedigt eine andere, Ansprüchen, die man an seine Ernährung stellt. ,bissigere‘ und aktivere Verfassung als eine zart-schmelzende, sanft verwöhnende Milka-Schokolade. Beide Verfassungen kennt Phase 2 – Loslösung aus der elterlichen Versorgung jeder. Und sie sind eben nicht exklusiv an soziodemographische Mit der Loslösung vom Elternhaus steht der Schritt in die Selbst Merkmale oder an das Alter und die Lebensphase des Konsu versorgung an: Auf eigenen Beinen stehen bedeutet auch, einen menten gebunden, sondern stehen quasi ‚jedem offen‘. eigenen, tragfähigen Lebens- und Ernährungsstil zu entwickeln, einen eigenen Umgang, ein eigenes Maß zu finden. Letztendlich hat man in dieser Lebensphase aber wichtigeres Haben Lebensphasen denn gar keinen Einfluss? zu tun, als sich mit Ernährung zu beschäftigen. In der neuen Freiheit der Selbstständigkeit wollen die jungen Verbraucher sich Auf Basis der gewonnenen Insights besteht zwar kein echtes ausprobieren, etwas erleben. Bei der Ernährung heißt es häu Bedürfnis der Verbraucher nach Produktangeboten, die mit fig: Hauptsache schnell satt werden, auf unkomplizierte, leckere einer bestimmten Lebensphasen-Indikation argumentieren. In und günstige Art, denn man hat beschränkte Mittel bzw. braucht allen Gesprächen werden aber lebensgeschichtliche Umbrüche sein Geld für anderes. Selber gekocht wird eher selten. bzw. Phasenwechsel angesprochen, in deren Zusammenhang sich das gelebte ‚Versorgungssystem‘ und der persönliche Phase 3 – Partnerschaft in gemeinsamer Wohnung Ernährungsstil (analog zu Veränderungen im Bekleidungsstil) (DINKs) im Ganzen verändert haben. Als Paar muss und möchte man auch in Sachen Ernährung zu sammenkommen, eine gemeinsame Basis und einen für beide Partner akzeptablen ,modus vivendi‘ finden. Ob und wie ein fach das gelingt, wird (unbewusst) als Indikator empfunden, wie gut man als Paar passt und sich versteht. Nach dem Single- Dasein werden auch gemeinsames Kochen und gemeinsame Mahlzeiten als soziales Medium (wieder-)entdeckt. Phase 4 – Elternschaft, kleine Kinder Wenn Kinder kommen, wird die ganze Welt umgekrempelt. Je jün ger die Kinder, desto mehr kreist der ganze familiäre Alltag um sie. Dabei zeigen die geführten Gespräche, unter welchem Ver antwortungsdruck Eltern mit kleinen Kindern heutzutage stehen bzw. sich selber setzen. Viele dieser Eltern plagt heute die (laten te) Sorge, sich mit einer ‚falschen‘, ‚unvernünftigen‘ Ernährung am eigenen Kind zu versündigen und ihm Entwicklungschan cen zu verbauen. Zugespitzt heißt das: Nur eine Nachlässigkeit, nur eine bequeme TK-Pizza – und schon wird es nichts mit dem Nobelpreis für den Sprössling! Hinzu kommt der Druck, dem Kind immer ein Vorbild für ‚richtige‘ Ernährung sein zu müssen – auch wenn man selbst nicht mehr auf einen Nobelpreis hoffen darf! Das führt zu Situa tionen, in den Eltern (Erwachsene!) so heimlich und verstohlen naschen wie Max und Moritz. „Man will ja auch Vorbild sein. Letztens hab ich die Gelegen heit genutzt und mir an der Tanke, in der Waschstraße, schnell ein Snickers reingezogen – das hat so richtig gut getan.“ 5
Lebensmittel in den Lebensphasen – Studie 2013 Meist werden diese hohen Ansprüche aber früher oder später geht es allerdings eher um den Wunsch, weiterhin körperlich zermürbt – durch den Druck der modernen Alltagshektik und attraktiv und leistungsfähig zu bleiben, um die schönen Seiten den der lieben Kleinen, die nicht lockerlassen. des Lebens weiter auskosten zu können. „Im Kühlschrank nehmen die Regale mit den Kindersachen viel „Ich will nicht auseinandergehen. Auch in meinem Alter will Platz weg. Paula-Pudding, Kinder Pingui, Ferdi Fuchs – ich ich noch attraktiv sein, nicht aussehen wie ein alter Sack.“ hab‘ aufgegeben, dagegen zu kämpfen.“ Phase 5 – Elternschaft, ältere Kinder Exkurs Je älter die Kinder werden, desto mehr entspannt sich die Lage. Dass Kinder immer selbstständiger werden und Eltern an Ein 1. Es muss schnell gehen: fluss verlieren, ist der normale Gang der Dinge und bei allen Convenience ist das Zauberwort Diskussionen, die die Pubertät mit sich bringt, erwünscht. Wenn es dann heißt „Es hat keinen Sinn mehr, die Fritten zu verbie ‚Gute‘ Convenience-Produkte sind alters- und zielgruppenüber ten“, können Eltern auch selber wieder lockerer mit der Essens greifend das größte Thema in der Studie! auswahl umgehen. Der Druck, ein Vorbild zu sein, nimmt ab. Beim Blick in die Lebensmittel-Tagebücher wird deutlich, dass die Zeiten vorbei sind, da die Mahlzeiten den Tag struktu Phase 6 – Empty Nester / Best Ager rierten und eine Art Grundtakt vorgaben. Heute findet Ernährung Vorbemerkung: Da heutzutage länger mit dem ,Kinderkriegen‘ zunehmend dann statt, wenn sich quasi spontan ein Zeitfenster gewartet wird und Kinder oft auch länger im Elternhaus blei im straff durchgetakteten, prall gefüllten Multitasking-Alltag ben, ist die Lebensphase zwischen Empty Nester und Best Ager auftut. Das gilt heute auch für die ältere Generation: Die Best relativ kurz. Ager fühlen sich zu jung und unternehmungslustig, als dass sie Die neue Freiheit nach den Jahren der Eltern-Pflicht und spä stundenlang hinter dem Herd stehen wollten. ter der Berufstätigkeit wird von den Probanden als neuer Le Das hat konkrete Folgen: Was zu sperrig ist, in der Zuberei bensabschnitt, als eine wiedergewonnene neue Freiheit erlebt. tung zu komplex oder zeitaufwändig, um sich in solche Lücken Die Älteren (besonders Frauen) wirken sogar genussorien einfügen zu lassen, hat es heutzutage ausgesprochen schwer. tierter und entdeckungsfreudiger als mancher Jüngere. Nebenher, zwischendurch, on the go – wie auch immer: Es muss schnell gehen! Von dieser Entwicklung profitieren grundsätz „Ich genieße meine Zeit. Mein Sohn ist gut versorgt, mein Mann lich alle Convenience-Angebote. in Rente. Ich esse, worauf ich Appetit habe.“ Schnelligkeit allein ist aber nicht genug. Die Verbraucher su chen nach Lösungen, die ihnen das Gefühl geben, den moder „Auf meinen Reisen habe ich ja einiges kennengelernt und jetzt nen Ansprüche an eine ‚richtige‘ und gesunde Ernährung aus probiere ich auch mal was Indisches, das hätte ich früher nie reichend gerecht zu werden. Und ihnen zudem das Versprechen gemacht.“ geben, für die aktuelle seelische Verfassung genau das richtige Lebensmittel zu sein, also quasi die Aufgabe eines situativen Die ‚richtige‘ Ernährung als performance-fördernder Faktor Therapeutikums zu erfüllen. ist in den geführten Gesprächen eher ein Thema der jüngeren In diesem Zusammenhang interessant: Die Gespräche zeigen Befragten. Wer schlank und fit ist, hat Winner-Attribute im Hinweise für eine Krise von ‚Fertiggerichten aus der Dose‘. Rennen des Berufs- und Liebeslebens – fett und träge kenn Diese Angebotsform scheint den Ansprüchen heutiger Conveni zeichnet den Verlierertyp. ence-Käufer nicht mehr ausreichend zu entsprechen. ‚Richtige‘ Ernährung als performance-fördernder Faktor wird ,Gute‘ Convenience meint dabei nicht zwingend ‚Fertigge interessanterweise auch von Älteren angesprochen. Bei ihnen richt‘. Gute Convenience meint auch Angebote, die einem quasi zuarbeiten und helfen, ein qualitativ überzeugendes Essen mit weniger (Zeit-)Aufwand zuzubereiten. So wünschen sich viele Befragte fertige Salat-/Gemüse-Mixes für das Frische-Regal, wie man sie zum Beispiel in den Niederlanden findet. 2. Der Wunsch nach Dosierbarkeit Ein zweiter Themenkomplex, der – quer durch die Studie – auf fallend oft angesprochen wird, dreht sich um Features, die eine punktgenauere Dosierbarkeit anzielen, zum Beispiel kleine Packungsgrößen, Wiederverschließbarkeit, „Kammersysteme“ und die Möglichkeit einer portionsweisen Entnahme. Hintergrund dieses Alter- und Lebensphasen übergreifenden Wunsches ist einerseits die Zunahme an Single-Haushalten. An dererseits aber auch die Flexibilität der Mehrpersonenhaushalte, in denen den individuellen Vorlieben oft mehr Raum gegeben wird als früher. Auch sie benötigen oft kleinere Dosierungen. 6
Studie 2013 – Lebensmittel in den Lebensphasen Es sei die Hypothese erlaubt, dass die genannten Features die zeigen die moderne Lebensmittelindustrie als globales Labyrinth generell veränderten Alltagsbedingungen, in denen Ernährung und undurchsichtiges Gebilde, in dem man kaum jemandem heute stattfindet, widerspiegeln. Zugespitzt und in Analogie trauen kann. Ein Trend-Thema wie ‚Regionalität‘ greift – neben zum Militärischen: Im modernen Ernährungsalltag braucht man anderen Aspekten – die latente Sehnsucht der älteren wie der jün Produkte, die als schnelle, taktische ‚Eingreiftruppe‘ punktgenau geren Konsumenten nach Überschaubarkeit und Vertrauen auf. eingesetzt werden können. 3. Und sonst? Resümee Verpackungen, Schriftgrößen und Vertrauen Für jede Lebensphase das passende Produkt – es wäre schön, Eigentlich ist es keine Überraschung, aber in allen Gesprä wenn das funktionieren würde. Doch wäre es das wirklich? chen zeigt sich auch eine enorme Bedeutung der Verpackungs Die Studienergebnisse zeigen mehr Risiken als Chancen. gestaltung, des Packungsdesigns für Erleben und Bewertung Die befragten Verbraucher erleben entsprechende Überlegun von Produktangeboten! Die Verpackung ist die Visitenkarte gen mehr als persönliche Einengung denn als Zugewinn. eines Produktes und integrierter Faktor im Kauf- und Entschei Die Vision, sich zukünftig im Supermarkt dazu genötigt zu füh dungsprozess. Mit gestalterischen Mitteln kann das Verfas len, seinen Einkaufswagen lebensphasengerecht zu befüllen, ist sungsversprechen eines Produktes anschaulich in Szene gesetzt ihnen unangenehm, ja sie verweigern sich diesem Gedanken und vom Konsumenten optisch angeschmeckt werden. Es macht regelrecht. Sinn, einem Traditionsgericht wie Königsberger Klopsen ge Die Überlegungen, lebensphasenabhängige Lebensmittel an stalterisch etwas von Heimat und Heimeligkeit mitzugeben. Ein zubieten, folgt letztlich einem klassischen Zielgruppen-Denken, Convenience-Produkt, das sich über ein Lebensgefühl medi das heute mehr Probleme denn je aufwirft. Es geht davon aus, terraner Leichtigkeit vermarkten will, sollte diese Story auch dass Menschen, die bestimmte soziodemographische Merkmale in der Packungsgestaltung und im verwendeten Bildmaterial teilen, auch in ihren Kaufentscheidungen weitgehend konform anklingen lassen. sind – was natürlich voraussetzt, dass diese Merkmale die Kauf Ein echtes Ärgernis – gerade für die älteren Konsumenten –, entscheidungen des Einzelnen determinieren und quasi vorher sind winzige Schriftgrößen, schlechte Lesbarkeit und generell sagbar machen. Gestaltungen, bei denen Varianten eines Angebotes nur schwer Wie in vielen anderen tiefenpsychologischen rheingold- zu unterscheiden und Missgriffe programmiert sind. Studien zeigt sich aber auch in der vorliegenden Untersuchung Je voller die Regale, je variantenreicher das Angebot, des eine Realität, in der die relevanten Faktoren für Kaufentschei to dankbarer sind die Verbraucher für Produkte, die ihnen die dung völlig unabhängig und oft konträr zu Merkmalen wie Orientierung leicht machen. Zumal viele Verbraucher sich insge Alter oder Lebensphasen verlaufen. Und in der Kaufentschei samt nach einem Gefühl von mehr Transparenz und ,Ehrlichkeit‘, dung durch teils unbewusste Selbstentwürfe und Verwandlungs Authentizität und klareren Verhältnissen im Food-Sektor sehnen. wünsche der Konsumenten bestimmt sind. Heute mehr denn je Negativ-Schlagzeilen wie zuletzt zum ,Pferdefleisch-Skandal‘ und von Menschen unterschiedlichster Altersstufen. 7
Die DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft e.V.) Das rheingold institut zählt zu den renommiertesten ist eine der Spitzenorganisationen der deutschen Agrar-und Adressen der qualitativ-psychologischen Wirkungsforschung Ernährungswirtschaft. Die DLG verfolgt das Ziel, wissen- und ist eines der letzten unabhängigen Marktforschungs schaftliche Erkenntnisse in die Praxis umzusetzen. Die DLG institute in Deutschland. Das Institut hat sich mit seinen sieht sich als neutrales, offenes Forum des Wissensaus rund 50 festen Mitarbeitern und 120 freien Auftragnehmern tausches und der Meinungsbildung. Eine der zentralen Auf- – überwiegend Diplom-Psychologen – auf tiefenpsychologi- gaben der DLG ist die Förderung der Qualität von Lebens sche Kultur-, Markt- und Medienforschung spezialisiert. Ihre mitteln. Zu diesem Zweck führt das DLG-Test zentrum Analysen erarbeiten die Kölner auf der Basis der morpholo- Lebensmittel regelmäßig Qualitätstests in zahlreichen Le- gischen Markt- und Medienforschung, die an der Universi- bensmittelbereichen durch und verleiht die Auszeichnung tät Köln entwickelt wurde. Jahr für Jahr liegen bei rheingold „DLG-prämiert“. In den letzten Jahren hat die DLG Studi- über 7.000 Frauen und Männer „auf der Couch“. Dabei en zu aktuellen Themen aus der Lebensmittel- und Ernäh- analysieren die Wissenschaftler auch die unbewussten rungswirtschaft veröffentlicht. Dazu zählen Studien zu den seelischen Einflussfaktoren und Sinnzusammenhänge, die Themen „Nachhaltigkeit“, „Regionalität“ und „Lebensmittel das Handeln eines jeden Menschen mitbestimmen. Zu den kommunikation“. Die Studien sind erhältlich bei: DLG e.V., Kunden des Instituts zählt neben öffentlichen Auftraggebern Guido Oppenhäuser, G.Oppenhaeuser@DLG.org die Beletage der deutschen und europäischen Wirtschaft. www.dlg.org www.rheingold-marktforschung.de www.dlg-verbraucher.info www.facebook.de/rheingoldmarktforschung Impressum Kontakt ViSdP: Thomas Kirschmeier, rheingold institut DLG e.V. Guido Oppenhäuser, DLG Eschborner Landstraße 122 60489 Frankfurt Studie: Thomas Oppel, rheingold institut Johannes Dorn, rheingold institut Guido Oppenhäuser Tel.: +49 (0) 69 / 24788-213 Bilder: Fotolia.com Fax: +49 (0) 69 / 24788-112 G.Oppenhaeuser@dlg.org Grafik: Jörg Jaspert, Düsseldorf Druck: Druckerei Gutenberg, Bottrop Köln, September 2013
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