Was Wollen Wir essen? - Gibt es für jede Lebensphase das passende Produkt, und ist das überhaupt gewünscht?

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Was Wollen Wir essen? - Gibt es für jede Lebensphase das passende Produkt, und ist das überhaupt gewünscht?
Eine tiefenpsychologische Studie des rheingold instituts im Auftrag der DLG

Was wollen
wir essen?
Gibt es für jede Lebensphase das passende Produkt,
und ist das überhaupt gewünscht?

                                                                              3
Was Wollen Wir essen? - Gibt es für jede Lebensphase das passende Produkt, und ist das überhaupt gewünscht?
Lebensmittel in den Lebensphasen – Studie 2013

    Was wollen wir essen?
    Gibt es für jede Lebensphase das passende Produkt, und ist das überhaupt gewünscht?
    Eine tiefenpsychologische Studie des rheingold instituts im Auftrag der DLG

    Produkte, die auf die Bedürfnisse der Verbraucher zugeschnit­         Bei genauem Hinsehen lässt sich feststellen, dass sich auch
    ten sind, haben das größte Potenzial auf dem Markt. Die An­        Lebensphasen bzw. Übergänge von einer Phase in die nächste
    sprüche der Konsumenten unterscheiden sich jedoch erheblich.       auf die Ernährungsgewohnheiten auswirken können. So stellen
    Dabei spielen nicht allein individuelle Bedürfnisse eine Rolle,    beispielsweise Eltern nach der Geburt des ersten Kindes häu­
    nicht allein das Alter, die Herkunft, die Sozialisation oder in­   fig die eigene Ernährung völlig um. Ein anderes Beispiel sind
    dividuelle Vorlieben. Auch gesamtkulturelle Entwicklungen          Jugendliche, die sich von Süßigkeiten abwenden, speziell von
    und Trends verändern die Vorstellungen und Wünsche des Ein­        Angeboten, die sich im ganzen Look and Feel als naiv bun­
    zelnen an Ernährung und Nahrungsmittel. Dass zum Beispiel          tes, fröhlich harmloses Kinderprodukt präsentieren. Kaum ein
    ein Salat jemals mehr als eine Beilage sein und – entsprechend     Jugendlicher freut sich noch über ein Überraschungsei, welches
    dimensioniert und aufgehübscht – sogar als Hauptgang akzep­        ihn mit 4 oder 6 Jahren noch begeisterte.
    tiert werden könnte, wäre vor einigen Jahrzehnten noch undenk­
    bar gewesen.
                                                                       Die Studie

                                                                       Das rheingold Institut in Köln ist im Auftrag der DLG in einer
                                                                       qualitativen Verbraucherstudie der Frage nachgegangen, wie
                                                                       stark spezifische Lebensabschnitts-Themen bei Verbrauchern
                                                                       die grundlegenden Erwartungen und Ansprüche im Bereich
                                                                       Lebensmittel beeinflussen. Und welche spezifischen Lebens­
                                                                       abschnitts-Themen sich überhaupt identifizieren lassen.
                                                                          Im Rahmen der Studie wurden 50 Verbraucherinnen und
                                                                       Verbraucher in jeweils zweistündigen ,face-to-face Inter-
                                                                       views‘ zu ihrer aktuellen Ernährungswirklichkeit, aber auch zu
                                                                       ihrer Ernährungsbiographie psychologisch vertiefend befragt.
                                                                       Dies wurde flankiert durch ein ,Consumption Diary‘, in dem
                                                                       die Befragten über eine Woche lang Tagebuch darüber führten,
                                                                       in welchen konkreten Situationen und unter welchen Rahmen­
                                                                       bedingungen sie welche Lebensmittel konsumierten.
                                                                          In der Stichprobe wurden unterschiedliche, relativ pragma­
                                                                       tisch gefasste ,Lebensphasen‘ berücksichtigt. Befragt wurden:
                                                                       n 12 junge Erwachsene (20 - 35 Jahre, Singles u. DINKs),
                                                                       n 7 Eltern (20 - 50 Jahre, Mütter / Väter) mit Kindern von
                                                                          1 - 7 Jahre,
                                                                       n 7 Eltern (30 - 50 Jahre, Mütter / Väter) mit Kindern von
                                                                          8 - 16 Jahre,
                                                                       n 12 Empty Nester (50 - 60 Jahre, Paare und Alleinstehende und
                                                                          Paare, deren Kinder bereits aus dem Haus sind)
                                                                       n 12 Best Ager (60 - 70 Jahre, Paare und Alleinstehende)

                                                                       Verkrampft im Paradies

                                                                       Die 50 Tiefeninterviews zeigten ein Phänomen, das heutzutage
                                                                       Alt und Jung vereint, wenn es um das Thema Ernährung geht:

                                                                       n    ir leben in paradiesischen Zuständen. Die Regale im LEH
                                                                           W
                                                                           quellen über und an jeder Straßenecke erwarten uns Imbiss-,
                                                                           ,Fast Food‘- und ,To Go‘-Angebote. Hunger im eigentlichen
                                                                           Sinn kann unter diesen Umständen kaum noch aufkommen.
                                                                           Stattdessen haben wir die Qual der Wahl, wenn es um unser
                                                                           tägliches Brot geht.
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Was Wollen Wir essen? - Gibt es für jede Lebensphase das passende Produkt, und ist das überhaupt gewünscht?
Studie 2013 – Lebensmittel in den Lebensphasen

n   
    Auf   einer anderen Ebene ist Ernährung aber zum Problem            rungsthema ist. Aber was bedeutete das für unsere anfängliche
    geworden. Verbraucher fühlen sich mit immer neuen ,Do’s             Fragestellung? Ist der Aufschnitt eine Frage des Alters bzw.
    und Don’ts‘, Ratschlägen und Vorgaben hinsichtlich der              einer Lebensphase? Der fettreduzierte Aufschnitt könnte einer­
    ,richtigen‘ Ernährung konfrontiert.                                 seits für den perfekten Sixpack eines jung-dynamischen Nach­
                                                                        wuchsmanagers stehen – andererseits aber genauso gut in dem
   Im Spannungsfeld zwischen paradiesischer Vielfalt und im­            dringlichen Rat eines Arztes an einen ,Best Ager‘ begründet
mer neuen Empfehlungen und Ermahnungen plagt viele Ver­                 sein, in seinem Alter etwas auf die Cholesterinwerte zu achten
braucher die latente Sorge, sich ,falsch‘ zu ernähren, bzw.             und weniger fett zu essen.
den gesellschaftlichen Ansprüchen nicht zu genügen, weil man               Am sichersten lassen sich anhand des Kühlschranks ledig­lich
,zu schwach‘, undiszipliniert, egoistisch, unreflektiert etc. ist. In   Familien mit jungen Kindern erkennen: Der ist im Normalfall
den Gesprächen war häufig eine Grundnervosität spürbar, einem           nicht nur größer und voller als im Single-Haushalt, sondern ent­
Außenstehenden Einblick in den eigenen Kühlschrank zu gewäh­            hält meist auch Produkte, die klar „Kind im Haushalt“ signali­
ren und die ‚nackten Tatsachen‘ der eigenen Ernährung zu outen.         sieren – Beispiele dafür sind die legendäre ,Bärchenwurst‘ oder
                                                                        der bunte Kinder-Pudding.

Kunterbuntes im Kühlschrank
                                                                        Mangelndes Angebot oder
Was der Blick in den Kühlschrank bzw. in die detaillierten              gewollte Alterslosigkeit?
,Consumption Diaries‘ der 50 Befragten zeigte, war quer durch
die Stichprobe wohltuend menschlich-allzumenschlich, bunt               Woher kommt diese relative Alterslosigkeit bei den Ess-
gemischt und quasi „wie gewachsen“. Da fand sich fettarmer              Gewohnheiten? Wie kann es sein, dass sehr unterschiedliche
Geflügel-Aufschnitt neben vollwertiger Mousse au Chocolat.              Menschen, die in sehr unterschiedlichen Lebensphasen stecken,
Da kochte man am Wochenende mit Bio-Zutaten und schob in                auf der Ebene der gekauften Lebensmittel-Produkte anschei­
der Woche genüsslich eine Tiefkühl-Pizza in den Ofen.                   nend so viele Gemeinsamkeiten haben? Liegt es an fehlenden
  Ob man es mit einem 20-jährigen Single oder einem 60-jähri­           Ausdrucksmöglichkeiten, also an einem Mangel an phasen-dif­
gen Best Ager zu tun hatte – das ließ sich an den konsumierten          ferenzierend und phasen-spezifisch positionierten Produkten?
Produkten kaum ablesen.                                                 Oder fehlt es einem solchen Ansatz einfach an Relevanz, weil
  Der fettarme Aufschnitt zum Beispiel war ein klarer Hinweis           das Thema Ernährung und die tagtäglichen Kaufentscheidun­
darauf, dass man es mit einem „Fleisch-Esser“ zu tun hatte, für         gen von ganz anderen, weitgehend „alterslosen“ und phasen­
den Fettreduktion zumindest ansatzweise ein relevantes Ernäh­           unabhängigen Faktoren beeinflusst werden?
                                                                                                                                           3
Was Wollen Wir essen? - Gibt es für jede Lebensphase das passende Produkt, und ist das überhaupt gewünscht?
Lebensmittel in den Lebensphasen – Studie 2013

    Das Relevanzproblem                                                   n    er moderne Verbraucher sträubt sich gegen die Vorstellung,
                                                                              D
                                                                              auf die Zugehörigkeit zu einer Lebensphase reduziert und auf
    Auf Basis der Stichprobe muss man eindeutig von einem                     ein vergleichsweise statisches und als eher ‚äußerlich‘ empfun­
    Relevanzproblem, ja sogar einem Akzeptanzproblem ausge-                   denes Datum festgenagelt zu werden. In früheren Zeiten hat­
    hen! Ein expliziter Bezug auf spezifische Lebensabschnitts-               te zum Beispiel der Status ‚Familienvater‘ noch eine gewisse
    Themen ist für die Verbraucher kein kaufrelevantes Kriteri-               normative Kraft. Und es war nicht ungewöhnlich, wenn Eltern
    um, wenn es um den Lebensmittelkauf geht! Ein Bedürfnis                   sich gegenseitig mit ,Mutti‘ und ,Vati‘ ansprachen. Heute aber
    nach „Lebensabschnitts-Produkten“ ist in der Studie nicht                 will ein Vater nicht mehr nur ,Vati‘, eine Mutter nicht mehr
    zu erkennen.                                                              nur ,Mutti‘ sein. Der moderne Konsument möchte zumindest
    n Biographische ‚Phasenwechsel‘ (z.B. von ‚Eltern‘ zu ‚Empty             optional alles sein können, sich jederzeit verändern und ver­
       Nester‘) sind zwar mit Umstellungen auch der Ernährungs­               wandeln können. Die Abneigung gegen eine Festlegung auf
       gewohnheiten verbunden, aber dazu braucht es aus Verbrau­              ‚alte‘ Rollenmodelle zeigt sich auch und gerade bei der älteren
       chersicht keine ‚phasenspezifischen Spezialprodukte‘. Das              Generation. Vom klassischen ‚Ruhestand‘ und einem Rückzug
       bestehende Angebot ist nach Auffassung der Probanden groß              aufs ‚Altenteil‘ wollen die Älteren nichts mehr wissen:
       und die Möglichkeiten sind vielfältig genug.
                                                                          „Ich schaffe zwar nicht mehr so große Portionen wie früher,
    „Ich brauche eigentlich keine neuen Produkte, das ist mir jetzt       aber das Wort ‚Senioren-Teller‘ mag ich gar nicht.“
    schon manchmal alles zu viel an Auswahl.“
                                                                            Im Gegenteil: Immer mehr Verbraucher im reiferen Alter
    n    ie Verbraucher haben Probleme, sich vorzustellen, über
        D                                                                 fühlen sich in jeder Hinsicht fit genug, um noch einmal neue
        welche konkreten Produkteigenschaften eine glaubhafte,            Horizonte zu erschließen.
        nachvollziehbare Differenzierung nach Lebensphasen bei
        Lebensmitteln erfolgen könnte.                                    „Seit wir als Rentner mehr rumkommen, esse ich auch andere
                                                                          Sachen. Zum Beispiel waren wir jetzt endlich mal in den USA.
       Die Frage lautet: Was soll eine TK-Pizza für Best Ager sinn­       Und jetzt haben wir immer locker 3 Steaksaucen im Kühl­
    vollerweise von einer TK-Pizza für Singles, DINKs oder Fa­            schrank, eine von Jack Daniel’s, so mit Whiskey.“
    milien unterscheiden? Man kennt Vorbilder aus anderen Pro­
    duktsegmenten – z.B. der Hautpflege („Für die Haut ab 40“),             Letztlich zeigt sich in der Studie die grundlegende Proble­
    die mit physiologischen, altersbezogenen Argumenten arbeiten.         matik einer klassischen Zielgruppen-Denke, bei der Zielgrup­
    Aber ein Food Produkt, das so argumentiert, positioniert sich         pen anhand soziodemographischer Merkmale definiert wer­
    als ‚functional food‘, als Spezialfall mit spezifischer Indikation.   den. Derart definierte Zielgruppen erlauben kaum noch sichere

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Was Wollen Wir essen? - Gibt es für jede Lebensphase das passende Produkt, und ist das überhaupt gewünscht?
Studie 2013 – Lebensmittel in den Lebensphasen

Rückschlüsse auf das tatsächliche Kauf- und Entscheidungs­        Prototypische ‚Phasen-Modelle‘, wie sie
verhalten der Konsumenten. So kommt es, dass der Inhalt des       die befragten Konsumenten schildern:
Kühlschranks im Normalfall nicht verrät, ob man es mit einem
30-jährigen Single oder einem 57-jährigen Empty Nester zu         Phase 1 – Versorgt werden durch die Eltern
tun hat. Das Kauf- und Entscheidungsverhalten wird vielmehr       Die Analyse der jeweiligen Ernährungsbiografien zeigt, dass
durch quasi ‚alterslose‘, psychologische Wirkversprechen von      ernährungs-‚stilbildende‘ Grundlinien schon im Kindesalter
Produkten und Marken bestimmt, durch (unbewusste) Wünsche         angelegt werden und oft bis ins hohe Alter weiterwirken. Wie
nach einem bestimmten Lebensgefühl.                               viel Aufmerksamkeit man zum Beispiel der Frage „Was esse ich
   Der Kauf eines Produktes hat meist wenig mit Soziodemogra­     heute?“ widmet, wie anspruchsvoll oder experimentierfreudig
phie – und stattdessen viel mit kontextabhängigen psychischen     man beim Essen ist – das wird oft schon im eigenen Eltern­
Verfassungen und Gestimmtheiten, mit übergreifenden (Selbst-)     haus angelegt. Die elterliche ‚Ernährungsheimat‘, die man als
Bildern und Verwandlungswünschen zu tun, denen das Pro­           Kind erfährt, wirkt als Referenzpunkt auch im Erwachsenen­
dukt entgegenkommen muss. Ein Beispiel: Die „quadratisch-         alter nach – in den Vorlieben, Abneigungen, Erwartungen und
praktisch-gute“ Ritter Sport-Schokolade befriedigt eine andere,   Ansprüchen, die man an seine Ernährung stellt.
,bissigere‘ und aktivere Verfassung als eine zart-schmelzende,
sanft verwöhnende Milka-Schokolade. Beide Verfassungen kennt      Phase 2 – Loslösung aus der elterlichen Versorgung
jeder. Und sie sind eben nicht exklusiv an soziodemographische    Mit der Loslösung vom Elternhaus steht der Schritt in die Selbst­
Merkmale oder an das Alter und die Lebensphase des Konsu­         versorgung an: Auf eigenen Beinen stehen bedeutet auch, einen
menten gebunden, sondern stehen quasi ‚jedem offen‘.              eigenen, tragfähigen Lebens- und Ernährungsstil zu entwickeln,
                                                                  einen eigenen Umgang, ein eigenes Maß zu finden.
                                                                     Letztendlich hat man in dieser Lebensphase aber wichtigeres
Haben Lebensphasen denn gar keinen Einfluss?                      zu tun, als sich mit Ernährung zu beschäftigen. In der neuen
                                                                  Freiheit der Selbstständigkeit wollen die jungen Verbraucher sich
Auf Basis der gewonnenen Insights besteht zwar kein echtes        ausprobieren, etwas erleben. Bei der Ernährung heißt es häu­
Bedürfnis der Verbraucher nach Produktangeboten, die mit          fig: Hauptsache schnell satt werden, auf unkomplizierte, leckere
einer bestimmten Lebensphasen-Indikation argumentieren. In        und günstige Art, denn man hat beschränkte Mittel bzw. braucht
allen Gesprächen werden aber lebensgeschichtliche Umbrüche        sein Geld für anderes. Selber gekocht wird eher selten.
bzw. Phasenwechsel angesprochen, in deren Zusammenhang
sich das gelebte ‚Versorgungssystem‘ und der persönliche          Phase 3 – Partnerschaft in gemeinsamer Wohnung
Ernährungsstil (analog zu Veränderungen im Bekleidungsstil)       (DINKs)
im Ganzen verändert haben.                                        Als Paar muss und möchte man auch in Sachen Ernährung zu­
                                                                  sammenkommen, eine gemeinsame Basis und einen für beide
                                                                  Partner akzeptablen ,modus vivendi‘ finden. Ob und wie ein­
                                                                  fach das gelingt, wird (unbewusst) als Indikator empfunden,
                                                                  wie gut man als Paar passt und sich versteht. Nach dem Single-
                                                                  Dasein werden auch gemeinsames Kochen und gemeinsame
                                                                  Mahl­zeiten als soziales Medium (wieder-)entdeckt.

                                                                  Phase 4 – Elternschaft, kleine Kinder
                                                                  Wenn Kinder kommen, wird die ganze Welt umgekrempelt. Je jün­
                                                                  ger die Kinder, desto mehr kreist der ganze familiäre Alltag um sie.
                                                                     Dabei zeigen die geführten Gespräche, unter welchem Ver­
                                                                  antwortungsdruck Eltern mit kleinen Kindern heutzutage stehen
                                                                  bzw. sich selber setzen. Viele dieser Eltern plagt heute die (laten­
                                                                  te) Sorge, sich mit einer ‚falschen‘, ‚unvernünftigen‘ Ernährung
                                                                  am eigenen Kind zu versündigen und ihm Entwicklungschan­
                                                                  cen zu verbauen. Zugespitzt heißt das: Nur eine Nachlässigkeit,
                                                                  nur eine bequeme TK-Pizza – und schon wird es nichts mit dem
                                                                  Nobelpreis für den Sprössling!
                                                                     Hinzu kommt der Druck, dem Kind immer ein Vorbild für
                                                                  ‚richtige‘ Ernährung sein zu müssen – auch wenn man selbst
                                                                  nicht mehr auf einen Nobelpreis hoffen darf! Das führt zu Situa­
                                                                  tionen, in den Eltern (Erwachsene!) so heimlich und verstohlen
                                                                  naschen wie Max und Moritz.

                                                                  „Man will ja auch Vorbild sein. Letztens hab ich die Gelegen­
                                                                  heit genutzt und mir an der Tanke, in der Waschstraße, schnell
                                                                  ein Snickers reingezogen – das hat so richtig gut getan.“

                                                                                                                                         5
Was Wollen Wir essen? - Gibt es für jede Lebensphase das passende Produkt, und ist das überhaupt gewünscht?
Lebensmittel in den Lebensphasen – Studie 2013

      Meist werden diese hohen Ansprüche aber früher oder später       geht es allerdings eher um den Wunsch, weiterhin körper­lich
    zermürbt – durch den Druck der modernen Alltagshektik und          attraktiv und leistungsfähig zu bleiben, um die schönen Seiten
    den der lieben Kleinen, die nicht lockerlassen.                    des Lebens weiter auskosten zu können.

    „Im Kühlschrank nehmen die Regale mit den Kindersachen viel         „Ich will nicht auseinandergehen. Auch in meinem Alter will
    Platz weg. Paula-Pudding, Kinder Pingui, Ferdi Fuchs – ich         ich noch attraktiv sein, nicht aussehen wie ein alter Sack.“
    hab‘ aufgegeben, dagegen zu kämpfen.“

    Phase 5 – Elternschaft, ältere Kinder                              Exkurs
    Je älter die Kinder werden, desto mehr entspannt sich die Lage.
    Dass Kinder immer selbstständiger werden und Eltern an Ein­        1. Es muss schnell gehen:
    fluss verlieren, ist der normale Gang der Dinge und bei allen      Convenience ist das Zauberwort
    Diskussionen, die die Pubertät mit sich bringt, erwünscht. Wenn
    es dann heißt „Es hat keinen Sinn mehr, die Fritten zu verbie­     ‚Gute‘ Convenience-Produkte sind alters- und zielgruppenüber­
    ten“, können Eltern auch selber wieder lockerer mit der Essens­    greifend das größte Thema in der Studie!
    auswahl umgehen. Der Druck, ein Vorbild zu sein, nimmt ab.            Beim Blick in die Lebensmittel-Tagebücher wird deutlich,
                                                                       dass die Zeiten vorbei sind, da die Mahlzeiten den Tag struktu­
    Phase 6 – Empty Nester / Best Ager                                 rierten und eine Art Grundtakt vorgaben. Heute findet Ernährung
    Vorbemerkung: Da heutzutage länger mit dem ,Kinderkriegen‘         zunehmend dann statt, wenn sich quasi spontan ein Zeitfenster
    gewartet wird und Kinder oft auch länger im Elternhaus blei­       im straff durchgetakteten, prall gefüllten Multitasking-Alltag
    ben, ist die Lebensphase zwischen Empty Nester und Best Ager       auftut. Das gilt heute auch für die ältere Generation: Die Best
    relativ kurz.                                                      Ager fühlen sich zu jung und unternehmungslustig, als dass sie
       Die neue Freiheit nach den Jahren der Eltern-Pflicht und spä­   stundenlang hinter dem Herd stehen wollten.
    ter der Berufstätigkeit wird von den Probanden als neuer Le­          Das hat konkrete Folgen: Was zu sperrig ist, in der Zuberei­
    bensabschnitt, als eine wiedergewonnene neue Freiheit erlebt.      tung zu komplex oder zeitaufwändig, um sich in solche Lücken
       Die Älteren (besonders Frauen) wirken sogar genussorien­        einfügen zu lassen, hat es heutzutage ausgesprochen schwer.
    tierter und entdeckungsfreudiger als mancher Jüngere.              Nebenher, zwischendurch, on the go – wie auch immer: Es muss
                                                                       schnell gehen! Von dieser Entwicklung profitieren grundsätz­
    „Ich genieße meine Zeit. Mein Sohn ist gut versorgt, mein Mann     lich alle Convenience-Angebote.
    in Rente. Ich esse, worauf ich Appetit habe.“                         Schnelligkeit allein ist aber nicht genug. Die Verbraucher su­
                                                                       chen nach Lösungen, die ihnen das Gefühl geben, den moder­
    „Auf meinen Reisen habe ich ja einiges kennengelernt und jetzt     nen Ansprüche an eine ‚richtige‘ und gesunde Ernährung aus­
    probiere ich auch mal was Indisches, das hätte ich früher nie      reichend gerecht zu werden. Und ihnen zudem das Versprechen
    gemacht.“                                                          geben, für die aktuelle seelische Verfassung genau das richtige
                                                                       Lebensmittel zu sein, also quasi die Aufgabe eines situativen
       Die ‚richtige‘ Ernährung als performance-fördernder Faktor      Therapeutikums zu erfüllen.
    ist in den geführten Gesprächen eher ein Thema der jüngeren           In diesem Zusammenhang interessant: Die Gespräche zeigen
    Befragten. Wer schlank und fit ist, hat Winner-Attribute im        Hinweise für eine Krise von ‚Fertiggerichten aus der Dose‘.
    Rennen des Berufs- und Liebeslebens – fett und träge kenn­         Diese Angebotsform scheint den Ansprüchen heutiger Conveni­
    zeichnet den Verlierertyp.                                         ence-Käufer nicht mehr ausreichend zu entsprechen.
       ‚Richtige‘ Ernährung als performance-fördernder Faktor wird        ,Gute‘ Convenience meint dabei nicht zwingend ‚Fertigge­
    interessanterweise auch von Älteren angesprochen. Bei ihnen        richt‘. Gute Convenience meint auch Angebote, die einem quasi
                                                                       zuarbeiten und helfen, ein qualitativ überzeugendes Essen mit
                                                                       weniger (Zeit-)Aufwand zuzubereiten. So wünschen sich viele
                                                                       Befragte fertige Salat-/Gemüse-Mixes für das Frische-Regal,
                                                                       wie man sie zum Beispiel in den Niederlanden findet.

                                                                       2. Der Wunsch nach Dosierbarkeit

                                                                       Ein zweiter Themenkomplex, der – quer durch die Studie – auf­
                                                                       fallend oft angesprochen wird, dreht sich um Features, die eine
                                                                       punktgenauere Dosierbarkeit anzielen, zum Beispiel kleine
                                                                       Packungsgrößen, Wiederverschließbarkeit, „Kammersysteme“
                                                                       und die Möglichkeit einer portionsweisen Entnahme.
                                                                          Hintergrund dieses Alter- und Lebensphasen übergreifenden
                                                                       Wunsches ist einerseits die Zunahme an Single-Haushalten. An­
                                                                       dererseits aber auch die Flexibilität der Mehrpersonenhaushalte,
                                                                       in denen den individuellen Vorlieben oft mehr Raum gegeben
                                                                       wird als früher. Auch sie benötigen oft kleinere Dosierungen.
6
Was Wollen Wir essen? - Gibt es für jede Lebensphase das passende Produkt, und ist das überhaupt gewünscht?
Studie 2013 – Lebensmittel in den Lebensphasen

   Es sei die Hypothese erlaubt, dass die genannten Features die    zeigen die moderne Lebensmittelindustrie als globales Labyrinth
generell veränderten Alltagsbedingungen, in denen Ernährung         und undurchsichtiges Gebilde, in dem man kaum jemandem
heute stattfindet, widerspiegeln. Zugespitzt und in Analogie        trauen kann. Ein Trend-Thema wie ‚Regionalität‘ greift – neben
zum Militärischen: Im modernen Ernährungsalltag braucht man         anderen Aspekten – die latente Sehnsucht der älteren wie der jün­
Produkte, die als schnelle, taktische ‚Eingreiftruppe‘ punktgenau   geren Konsumenten nach Überschaubarkeit und Vertrauen auf.
eingesetzt werden können.

3. Und sonst?                                                       Resümee
Verpackungen, Schriftgrößen und Vertrauen
                                                                    Für jede Lebensphase das passende Produkt – es wäre schön,
Eigentlich ist es keine Überraschung, aber in allen Gesprä­         wenn das funktionieren würde. Doch wäre es das wirklich?
chen zeigt sich auch eine enorme Bedeutung der Verpackungs­         Die Studienergebnisse zeigen mehr Risiken als Chancen.
gestaltung, des Packungsdesigns für Erleben und Bewertung              Die befragten Verbraucher erleben entsprechende Überlegun­
von Produktangeboten! Die Verpackung ist die Visitenkarte           gen mehr als persönliche Einengung denn als Zugewinn.
eines Produktes und integrierter Faktor im Kauf- und Entschei­      Die Vision, sich zukünftig im Supermarkt dazu genötigt zu füh­
dungsprozess. Mit gestalterischen Mitteln kann das Verfas­          len, seinen Einkaufswagen lebensphasengerecht zu befüllen, ist
sungsversprechen eines Produktes anschaulich in Szene gesetzt       ihnen unangenehm, ja sie verweigern sich diesem Gedanken
und vom Konsumenten optisch angeschmeckt werden. Es macht           regelrecht.
Sinn, einem Traditionsgericht wie Königsberger Klopsen ge­             Die Überlegungen, lebensphasenabhängige Lebensmittel an­
stalterisch etwas von Heimat und Heimeligkeit mitzugeben. Ein       zubieten, folgt letztlich einem klassischen Zielgruppen-Denken,
Convenience-Produkt, das sich über ein Lebensgefühl medi­           das heute mehr Probleme denn je aufwirft. Es geht davon aus,
terraner Leichtigkeit vermarkten will, sollte diese Story auch      dass Menschen, die bestimmte soziodemographische Merkmale
in der Packungsgestaltung und im verwendeten Bildmaterial           teilen, auch in ihren Kaufentscheidungen weitgehend konform
anklingen lassen.                                                   sind – was natürlich voraussetzt, dass diese Merkmale die Kauf­
   Ein echtes Ärgernis – gerade für die älteren Konsumenten –,      entscheidungen des Einzelnen determinieren und quasi vorher­
sind winzige Schriftgrößen, schlechte Lesbarkeit und generell       sagbar machen.
Gestaltungen, bei denen Varianten eines Angebotes nur schwer           Wie in vielen anderen tiefenpsychologischen rheingold-
zu unterscheiden und Missgriffe programmiert sind.                  Studien zeigt sich aber auch in der vorliegenden Untersuchung
   Je voller die Regale, je variantenreicher das Angebot, des­      eine Realität, in der die relevanten Faktoren für Kaufentschei­
to dankbarer sind die Verbraucher für Produkte, die ihnen die       dung völlig unabhängig und oft konträr zu Merkmalen wie
Orientierung leicht machen. Zumal viele Verbraucher sich insge­     Alter oder Lebensphasen verlaufen. Und in der Kaufentschei­
samt nach einem Gefühl von mehr Transparenz und ,Ehrlichkeit‘,      dung durch teils unbewusste Selbstentwürfe und Verwandlungs­
Authentizität und klareren Verhältnissen im Food-Sektor sehnen.     wünsche der Konsumenten bestimmt sind. Heute mehr denn je
Negativ-Schlagzeilen wie zuletzt zum ,Pferdefleisch-Skandal‘        und von Menschen unterschiedlichster Altersstufen.
                                                                                                                                        7
Was Wollen Wir essen? - Gibt es für jede Lebensphase das passende Produkt, und ist das überhaupt gewünscht?
Die DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft e.V.)         Das rheingold institut zählt zu den renommiertesten
ist eine der Spitzenorganisationen der deutschen Agrar-und   Adressen der qualitativ-psychologischen Wirkungsforschung
Ernährungswirtschaft. Die DLG verfolgt das Ziel, wissen-     und ist eines der letzten unabhängigen Marktforschungs­
schaftliche Erkenntnisse in die Praxis umzusetzen. Die DLG   institute in Deutschland. Das Institut hat sich mit seinen
sieht sich als neutrales, offenes Forum des Wissensaus­      rund 50 festen Mitarbeitern und 120 freien Auftragnehmern
tausches und der Meinungsbildung. Eine der zentralen Auf-    – überwiegend Diplom-Psychologen – auf tiefenpsychologi-
gaben der DLG ist die Förderung der Qualität von Lebens­     sche Kultur-, Markt- und Medienforschung spezialisiert. Ihre
mitteln. Zu diesem Zweck führt das DLG-Test­       zentrum   Analysen erarbeiten die Kölner auf der Basis der morpholo-
Lebensmittel regelmäßig Qualitätstests in zahlreichen Le-    gischen Markt- und Medienforschung, die an der Universi-
bensmittelbereichen durch und verleiht die Auszeichnung      tät Köln entwickelt wurde. Jahr für Jahr liegen bei rheingold
„DLG-prämiert“. In den letzten Jahren hat die DLG Studi-     über 7.000 Frauen und Männer „auf der Couch“. Dabei
en zu aktuellen Themen aus der Lebensmittel- und Ernäh-      analysieren die Wissenschaftler auch die unbewussten
rungswirtschaft veröffentlicht. Dazu zählen Studien zu den   seeli­schen Einflussfaktoren und Sinnzusammenhänge, die
Themen „Nachhaltigkeit“, „Regionalität“ und „Lebensmittel­   das Handeln eines jeden Menschen mitbestimmen. Zu den
kommunikation“. Die Studien sind erhältlich bei: DLG e.V.,   Kunden des Instituts zählt neben öffentlichen Auftraggebern
Guido Oppenhäuser, G.Oppenhaeuser@DLG.org                    die Beletage der deutschen und europäischen Wirtschaft.

www.dlg.org                                                  www.rheingold-marktforschung.de
www.dlg-verbraucher.info                                     www.facebook.de/rheingoldmarktforschung

Impressum                                                    Kontakt

ViSdP: Thomas Kirschmeier, rheingold institut                DLG e.V.
       Guido Oppenhäuser, DLG                                Eschborner Landstraße 122
                                                             60489 Frankfurt
Studie: Thomas Oppel, rheingold institut
         Johannes Dorn, rheingold institut                   Guido Oppenhäuser
                                                             Tel.: +49 (0) 69 / 24788-213
Bilder: Fotolia.com                                          Fax: +49 (0) 69 / 24788-112
                                                             G.Oppenhaeuser@dlg.org
Grafik: Jörg Jaspert, Düsseldorf

Druck: Druckerei Gutenberg, Bottrop

Köln, September 2013
Was Wollen Wir essen? - Gibt es für jede Lebensphase das passende Produkt, und ist das überhaupt gewünscht? Was Wollen Wir essen? - Gibt es für jede Lebensphase das passende Produkt, und ist das überhaupt gewünscht?
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