Welche Leistungen erbringen grosse Waldschutzgebiete für den Biodiversitätsschutz?

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Welche Leistungen erbringen grosse Waldschutzgebiete für den Biodiversitätsschutz?
Forum für Wissen 2020: 45–54                                                                                               45

Welche Leistungen erbringen grosse Waldschutzgebiete für
den Biodiversitätsschutz?
Martin M. Gossner1,2 und Jörg Müller2,3

1
    Eidg. Forschungsanstalt WSL, Zürcherstrasse 111, CH-8903 Birmensdorf, martin.gossner@wsl.ch
2
    Department of Environmental Systems Science, Institute of Terrestrial Ecosystems, ETH Zürich, Zürich
3
    Field Station Fabrikschleichach, Biocenter, University of Würzburg, Rauhenebrach, joerg.mueller@npv-bw.bayern.de
4
    Bavarian Forest National Park, Grafenau.

Weltweit wird ein Rückgang der Biodiversität beobachtet und es wird erwar-            in Nutzwäldern Bäume weit vor dem
tet, dass dieser im Zuge der Klimaveränderung noch weiter fortschreitet. Grosse       Alter ihrer natürlichen Mortalität ge-
Waldschutzgebiete sind ein wichtiges Element für den Schutz der Biodiversität.        erntet werden (siehe z. B. Moning und
Im Klimawandel ist mit einer Zunahme an Extremereignissen wie Stürmen, In-            Müller 2009).
sektenmassenvermehrungen und Trockenheit zu rechnen. Dieses überregionale               Die Veränderung von Wäldern durch
Phänomen wird sowohl Schutzgebiete als auch bewirtschaftete Landschaften be-          den Menschen hat zu einer Gefähr-
treffen, möglicherweise aber nicht im gleichen Ausmass. Extremereignisse könn-        dung vieler vor allem gegenüber Nut-
ten sich negativ auf die Biodiversität auswirken oder aber auch Chancen für den       zung sensitiven und spezialierten Ar-
Biodiversitätsschutz bieten. Dies erfordert eine neue Diskussion über die Wirk-       ten geführt. Sie finden sich auf regio-
samkeit verschiedener Strategien zum Schutz von Biodiversität und damit ver-          nalen, nationalen und internationalen
bundenen Ökosystemfunktionen. Hier diskutieren wir die Chancen und Grenzen            Roten Listen (BFN 2009ff; Monne-
grosser Waldschutzgebiete für den Biodiversitätsschutz in Mitteleuropa unter den      rat et  al. 2016; IUCN 2020). Die Ro-
vom globalen Wandel neu gesetzten Rahmenbedingungen im Lichte ökologischer            ten ­Listen spiegeln häufig die bekannte
Prinzipien und neuer Forschungsergebnisse.                                            Nutzungsgeschichte wider. So konnte
                                                                                      Seibold et  al. (2015) für Totholzkäfer
                                                                                      zeigen, dass vor allem grosse Arten des
1 Hintergrund                              und Weidewald sowie Streunutzung           Flachlands, die an Laubholz gebunden
                                           waren auf die damaligen Bedürfnisse        sind und auf dickes, insbesondere be-
Waldökosysteme nehmen weltweit und         ausgerichtet und hatten bereits eine       sonntes Totholz angewiesen sind, ein
in Europa rund ein Drittel der Waldflä-    nachhaltige Holzversorgung zum Ziel        höheres Aussterberisiko haben. Die
che ein (Forest Europe 2015). Sie er-      (Radkau und Schäfer 2007). Eine mo-        Forstwirtschaft war im Flachland inten-
bringen eine Vielzahl wichtiger Öko-       derne, wissenschaftlich basierte Forst-    siver und führte zu einer Strukturar-
systemleistungen, wie Holzproduktion,      wirtschaft hat ihre Wurzeln vor allem      mut, insbesondere zu einer Reduktion
Schutzwald, Schutz von Boden und           in Rationalismus und Aufklärung so-        von Totholzstrukturen starker Bäume.
Trinkwasserressourcen, und sie spielen     wie der Industrialisierung. Diese zielte   Ein eindrucksvolles Beispiel ist das
eine wichtige Rolle für die Klimaregula-   auf eine zuverlässige, überregionale       Aussterben des Ungleichen Furchen-
tion. Natürliche Waldökosysteme bieten     Holzversorgung, insbesondere für Erz-      walzkäfers Rhysodes sulcatus von West
darüber hinaus eine Vielzahl von Habi-     verhüttung und Bergbau, aber auch für      nach Ost in Europa während der letz-
taten, die eine hohe natürliche Biodi-     Bau- und Brennholz, ab. Dies führte        ten Jahrtausende und Jahrhunderte als
versität aufweisen. Dies wird besonders    in Deutschland, Österreich und der         Ausdruck des Verlustes an ausreichend
in ungenutzten Wäldern deutlich, in de-    Schweiz zu einer Zunahme der Wald-         starkem Totholz (Speight 1989; Kos-
nen natürliche Prozesse zu einer hohen     fläche in den letzten Jahrhunderten.       tanjsek et  al. 2018). Ein weiteres gut
horizontalen und vertikalen Heteroge-      Es fand jedoch ein deutlicher Wechsel      dokumentiertes Beispiel aus borealen
nität der Waldstrukturen führen.           der Baumartenzusammensetzung von           Fichtenwäldern ist der Drachenkäfer
   In Mitteleuropa folgte nach den um-     Laubholz-dominierten hin zu Nadel-         Pytho kolwensis (Abb. 1), der mehr als
fangreichen Rodungen bis ins Hoch-         holz-dominierten Wäldern statt. Das        70 m3ha-1 Totholz benötigt und in Finn-
mittelalter eine natürliche Wiederbe-      Ergebnis, die heutige Waldstruktur, un-    land bei Nutzung regional verschwin-
waldung in der Wüstungsphase ab der        terscheidet sich in der bewirtschafte-     det (Siitonen und Saaristo 2000). Der
Mitte des 14. Jahrhunderts. Der Wie-       ten Waldlandschaft signifikant von Na-     Übergang zur Hochwaldwirtschaft und
deranstieg der Bevölkerungsdichte in       turwäldern. Insbesondere frühe und         zur vermehrten Einzelstammnutzung
der Neuzeit wurde zunächst durch den       späte Sukzessionsphasen fehlen weit-       führte darüber hinaus zu einer Ver-
Dreissigjährigen Krieg unterbrochen.       gehend (Hilmers et  al. 2018). Erstere,    dunklung der Wälder auf grosser Flä-
Danach stieg mit dem Bevölkerungs-         weil durch heutige waldbauliche Ver-       che (Schelhaas und Nabuurs 2003;
wachstum der Nutzungsdruck auf die         fahren in der Regel durch frühe und        Christensen et  al. 2005) mit negati-
Wälder wieder stark. Kulturhistorische     flächige Vorausverjüngung frühe Pha-       ven Auswirkungen auf die Biodiversi-
Nutzungsformen wie Nieder-, Mittel-        sen übersprungen werden, letztere weil     tät (Schall et  al. 2018). Der Rückgang

WSL Berichte, Heft 100, 2020
Welche Leistungen erbringen grosse Waldschutzgebiete für den Biodiversitätsschutz?
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                                                                                                1.1 Chancen und Grenzen von
                                                                                                    ­grossen Schutzgebieten

                                                                                                Naturschutzwert von grossen und
                                                                                                kleinen Schutzgebieten
                                                                                                Eine aktuelle Übersichtsarbeit von
                                                                                                Fahrig (2017) zeigt eindrücklich, dass
                                                                                                viele kleine Flächen generell einen
                                                                                                grösseren Naturschutzwert haben als
                                                                                                eine equivalente Fläche an wenigen,
                                                                                                grossen Flächen. Der Wert von vielen
a                          b                    c                      d                        kleinen Flächen ergib sich unter an-
                                                                                                derem dadurch, dass mit diesen eine
Abb. 1. Anspruchsvolle Arten unter den Totholzbewohnern. (a) Der Drachenkäfer Py-               grössere Heterogenität an Umweltbe-
tho kolwensis benötigt mehr als 70  m3ha-1 Totholz und stirbt bei der Nutzung von Fichten-
                                                                                                dingungen und damit unterschiedliche
wäldern in Finnland lokal aus. Die deutliche Erhöhung von mit dem Rotrandigen Baum-
schwamm Fomitopsis pinicola besiedelten Totholz nach dem grossflächigen Absterben von           Artenzusammensetzungen auf regio-
Fichten im Nationalpark Bayerischer Wald hat zu einem Populationsaufschwung vieler ge-          naler oder nationaler Ebene integriert
fährdeter Arten geführt, so z. B. des Schnellkäfers Danosoma fasciata (b), des Flachkäfers      werden können (grosse Bedeutung der
Peltis grossa (c) und der Rindenwanze Aradus obtectus (d).                                      ­b-Diversität = Artenwechsel zwischen
                                                                                                 den Flächen; Gossner et  al. 2016a;
                                                                                                 Schall et  al. 2018). Grosse Schutzge-
der Insektenbiodiversität schreitet in                 Dies wirft die Frage auf, ob durch we-    biete haben zudem den Nachteil, dass
der planar-kollinen Höhenstufe der in-              nige grosse oder viele kleine Schutz-        bei Aussterbeereignissen ganzer Popu-
tensiv genutzten Landschaft Mitteleu-               gebiete der Biodiversitätsschutz in          lationen nach Katastrophenereignis-
ropas vermutlich auch im Wald derzeit               der stark fragmentierten Europäi-            sen eine Wiederbesiedlung erschwert
weiter fort (Seibold et  al. 2019).                 schen Waldlandschaft besser verwirk-         wird. Dies gilt insbesondere für Ar-
   Im Rahmen von Naturschutzstrate-                 licht werden kann. Diese SLOSS-De-           ten, deren Vorkommen aufgrund ihrer
gien werden neben integrativen Ele-                 batte (Single Large or Several Small         hohen Ansprüche an Habitatmengen
menten als Teil einer multifunktiona-               reserves) war vor allem in den 1970er-       und Ressourcen auf Schutzgebiete be-
len Waldbewirtschaftung auch segrega-               und 1980er-Jahren in der Ökologie und        schränkt ist (s. auch Abschnitt 2). In ak-
tive Elemente zum Biodiversitätsschutz              Naturschutzbiologie sehr präsent und         tuellen Diskussionen wird dieses Prin-
gefordert (Bollmann und Braunisch                   wurde kontrovers geführt (Diamond            zip des Vergleichs bei gleicher Fläche
2013). Die geschützte Fläche beläuft                1975; Wilson und Willis 1975). Die           aber häufig vernachlässigt und statt
sich derzeit jedoch nur auf 11 % der glo-           Debatte basierte auf der Beobachtung,        grosser Schutzgebiete werden schlicht
balen und 10 % der europäischen Wald-               dass grosse naturnahe Flächen welt-          mehrere kleinere Flächen von geringe-
fläche (Parviainen und Schuck 2011).                weit immer seltener wurden und auf           rer Gesamtfläche unter Schutz gestellt
Jegliche Holznutzung ist nur auf 0,7 %              Überlegungen, die sich in der Insel-         (geringere Habitatmenge, vgl. «habitat
der Fläche untersagt (Bücking 2007).                biogeografie gründeten. Die Probleme         amount hypothesis»; Fahrig 2013). Ein
Die Reste von Primärwäldern in Eu-                  der Landschaftsveränderung heute lie-        aktuelles Beispiel ist die Schaffung von
ropa sind verschwindend gering. Die                 gen allerdings vor allem in den beiden       ~ 5000 ha Schutzgebieten auf vier Teil-
letzten grösseren zusammenhängen-                   Hauptfolgen der Fragmentierung, dem          flächen anstelle eines > 10000 ha gros-
den Flächen in Osteuropa verschwin-                 Habitatverlust und der zunehmenden           sen Nationalparks in Bayern.
den derzeit in einer alarmierenden                  räumlichen Isolierung der Resthabi-             Bei der SLOSS-Diskussion ist aller-
Geschwindigkeit (Knorn et al. 2013;                 tate. Auch wenn diese beiden Faktoren        dings auch zu berücksichtigen, dass
Chylarecki und Selva 2016). Die meis-               im Laufe des Nutzungswandels stark           kleine Schutzgebiete im Vergleich zu
ten Naturwaldreste sind klein und iso-              miteinander korrelierten, stellt sich die    grossen Schutzgebieten generell stär-
liert (Sabatini et  al. 2018). In vielen mit-       Frage, ob die Förderung der Biodiver-        ker von Randeffekten beeinflusst sind.
teleuropäischen Ländern gibt es Bestre-             sität in der heutigen Landschaft bes-        Diese können in vielfältiger Weise die
bungen, den Anteil der aus der Nutzung              ser durch eine flächendeckende oder          Biodiversität in Wäldern nachhaltig ne-
genommenen Waldfläche auf 5 % zu er-                konzentriert auf grosse Schutzgebiete        gativ beeinflussen. In der Landschaft
höhen, so auch in Deutschland (BMUB                 ausgerichtete Erhöhung der Habitat-          Mitteleuropas, die stark von intensiver
2015) und der Schweiz (Rigling und                  menge oder durch eine bessere Vernet-        Landwirtschaft geprägt ist, können Ein-
Schaffer 2015). Mit Ausnahme we-                    zung z. B. durch Korridore oder Tritt-       träge von Stickstoff und Pestiziden die
niger grösserer Schutzgebiete – in der              steine erreicht werden kann.                 Artenvielfalt nachhaltig beeinträchti-
Schweiz wird ein Grossreservat (> 500                  Im Folgenden soll der Wert von            gen. Dies wird auch im Rahmen des ak-
ha) pro Wirtschaftsregion gefordert                 grossen Waldschutzgebieten auf Basis         tuellen Rückgangs der Insektenvielfalt
(Rigling und Schaffer 2015) – werden                von ökologischen Prinzipen und neuen         und -biomasse im Wald (Seibold et  al.
dies jedoch relativ kleine Naturwaldre-             Forschungsergebnissen diskutiert wer-        2019) und des Rückgangs der Insek-
servatsflächen von wenigen Hektaren                 den.                                         tenbiomasse in Schutzgebieten (Hall-
sein.                                                                                            mann et  al. 2017) intensiv diskutiert.

                                                                                                          WSL Berichte, Heft 100, 2020
Forum für Wissen 2020                                                                                                          47

Dies wirkt sich wiederum stark auf           möglichen. Für Grosskarnivoren ist je-     1974; Eckelt et  al. 2017). Dabei sind
höhere trophische Ebenen wie insek-          doch in der Regel der Ausschluss von       diese Arten in Wildnisgebieten wie z. B.
tivore Vögel aus (Bowler et  al. 2019).      Verfolgung der Schlüssel des Überle-       der nördlichen Mongolei mit einem
Ein höherer Anteil an Randhabitaten          bens (Müller et  al. 2014). Daher sind     sehr hohen Angebot an Totholzstruk-
hat zudem negative Konsequenzen für          Schutzgebiete für Grossprädatoren in       turen auf grossen Flächen nicht selten
die Populationen von Arten, da sich da-      Ländern von Bedeutung, in denen die        (Müller et  al. 2013a). Das Beispiel
mit die Wahrscheinlichkeit von loka-         Verfolgung in der Restlandschaft stark     des Nationalparks Bayerischer Wald
len Aussterbeereignissen erhöht (Con-        ist. In Ländern mit einem entwickelten     hat gezeigt, dass eine deutliche Erhö-
nor und McCoy 2017). Je kleiner ein          Jagdschutz haben Grossschutzgebiete        hung von Totholz bei derartigen Arten
Schutzgebiet ist, desto negativer ist der    für Prädatoren teilweise nur eine un-      zu einem Populationsaufschwung füh-
Einfluss auf die Populationen vieler Ar-     tergeordnete Rolle. Wölfe besiedeln in     ren kann, zumindest wenn sie noch in
ten und dieser kann durch die dort oft       erster Linie Flächen mit hoher Beut-       der Region überlebt haben. Es gibt ei-
höheren Populationen von Mesopräda-          edichte (Dufresnes et  al. 2019). In der   nige Beispiele von anspruchsvollen Ar-
toren, wie dem Fuchs, der von den ho-        Schweiz z. B. haben sich die zehn exis-    ten, die durch die Erhöhung des Tot-
hen Randlinieneffekten und einer eu-         tierenden Wolfsrudel ausserhalb von        holzangebots nach dem grossflächigen
trophen Landnutzung profitiert, noch         Schutzgebieten angesiedelt, dort wo        Absterben der Altfichten durch Buch-
verstärkt werden. Durch die Schaffung        das Nahrungsangebot an Hirsch und          drucker in ihrer Abundanz wieder über
grosser Schutzgebiete können diese ne-       Gams ganzjährig hoch ist, und nicht        die Nachweisgrenze angestiegen sind.
gativen Einflüsse auf die Biodiversi-        nur im Sommer so wie im Schweize-          Unter den Pilzen ist die Zitronengelbe
tät minimiert werden. Es ist allerdings      rischen Nationalpark. Auch in Ita-         Tramete (Antrodiella citrinella) zu nen-
auch zu berücksichtigen, dass die hohe       lien und Ostdeutschland leben Wolfs-       nen, die erst ab einer Totholzmenge
Dichte an Ökotonen, sofern sie struk-        rudel häufig ausserhalb von Schutzge-      von > 140 m3ha-1 vorkommt (Bässler
turreich sind, auch positiv auf die Bio-     bieten und sogar in Grossstädten. Auch     und Müller 2010). Beispiele bei den
diversität wirken. So wurde vielfach         die Luchsdichten sind in der genutzten     Totholzkäfern sind der Flachkäfer Pel-
gezeigt, dass Waldränder eine höhere         Landschaft hoch, wo sich Wald und Ag-      tis grossa und der Schnellkäfer Dano-
Insektenvielfalt aufweisen als Waldin-       rarland mosaikartig verzahnen und zu       soma fasciata, die beide von Fomitop-
nenhabitate (Flückiger 1999; Werme-          hohen Rehdichten (Hauptbeute) füh-         sis pinicola besiedeltes Nadelholz etwa
linger et  al. 2007; Müller et  al. 2008).   ren. Die meisten Schutzgebiete Euro-       zehn Jahre nach Absterben des Bau-
                                             pas sind zudem zu klein, um auch nur       mes besiedeln (Müller 2015). Die
                                             einige wenige grosse Fortpflanzungsein-    sonst selten gefundene Rindenwanze
                                             heiten von Arten wie Wolf und Luchs        Aradus obtectus konnte fast an jeder
2 Ressorcenverfügbarkeit                     aufzunehmen (Woodroffe und Gins-           stehenden abgestorbenen Fichte mit
  und Populationsgrössen                     berg 1998). Der Schutz von Grosskarni-     Fomitopsis gefunden werden (Abb. 1).
                                             voren erfordert somit die Einbeziehung        Generell haben Schwellenwertsana­
Grosse Schutzgebiete ermöglichen ein         der umgebenden Gebiete (Bollmann           lysen gezeigt, dass Totholzmengen
hohes Ressourcenangebot (z. B. Mi-           und Müller 2012). Europa ist ein gutes     von mindestens 20–50 m3ha-1 notwen-
krohabitate, Nahrung usw.), sowohl           Beispiel dafür, dass Grosskarnivoren       dig sind, um das Vorkommen der meis-
auf der räumlichen (flächig vorhan-          Gebiete mit mässiger Bevölkerungs-         ten Arten zu gewährleisten (Müller
den, keine Fragmentierungseffekte) als       dichte wiederbesiedeln und mit dem         und Bütler 2010). Diese Mengen lie-
auch auf der zeitlichen Skala (konti-        Menschen koexistieren können, wenn         gen deutlich über den Mengen, die wir
nuierliches Angebot von Strukturen           man es ihnen ermöglicht. In Europa         in den meisten Wäldern der Schweiz
und Nahrung). Hierdurch können Ar-           existieren derzeit auf einem Drittel der   vorfinden (Intensiv Wirtschaftswäl-
ten mit hohen Ansprüchen an Habitat-         Fläche stabile und wachsende Populati-     der 5–15  m3ha-1, Durchschnitt Schweiz:
grösse, Ressourcenmenge bzw. deren           onen von zumindest einer Grosskarni-       24,4  m3ha-1, [Lachat et al. 2019]). Hier-
kontinuierlichen Verfügbarkeit Popu-         vorenart (Chapron et  al. 2014).           bei ist zu berücksichtigen, dass die
lationsgrössen erreichen, die ihnen ein         Unter den von Totholz abhängigen        höchsten Totholzmengen in den Ge-
dauerhaftes Überleben ermöglicht. In         Artengruppen, die einen grossen Teil       birgsregionen vorhanden sind, wo auf-
einer genutzten Waldlandschaft hinge-        der Biodiversität im Wald ausmachen        grund der geringeren Temperaturen der
gen kann die räumlich-zeitliche Kon-         (Stokland et  al. 2012), finden sich ei-   Artenreichtum geringer ist und eine
tinuität der für Naturwälder typischen       nige anspruchsvolle Arten, die auf         höhere Totholzmenge erforderlich ist,
Ressourcen, Entwicklungsphasen und           grosse Habitatmengen und Kontinuität       um auf diesem Niveau die gleiche Ar-
Strukturen nicht erreicht werden.            in der Verfügbarkeit von Totholzstruk-     tenvielfalt an Totholzkäfern zu erhalten
   Für Grosskarnivoren wie den Luchs         turen angewiesen sind. Darunter gibt       (Müller et  al. 2015). Für ein dauerhaf-
oder auch den Persischen Leopard, der        es auch viele Arten, für die insbeson-     tes Überleben von Arten, die lange Ent-
aktuell noch in den grossflächigen Hyr-      dere lebende Altbäume und ihre Mi-         wicklungszeiten oder hohe Ansprüche
kanischen Buchenwäldern im Iran vor-         krohabitate inkl. des Kronentotholzes      an Nistmöglichkeiten oder Nahrungs-
kommt (Soofi et  al. 2018), ist das Nah-     zentral wichtig sind. Bereits früh haben   ressourcen haben, sind jedoch deut-
rungsangebot in grossen Schutzgebie-         dies Entomologen erkannt und diese         lich höhere Totholzmengen notwendig,
ten ausreichend, um ein Überleben            Arten als Urwaldreliktarten bezeich-       die nur in Schutzgebieten erreicht wer-
zumindest von Teilpopulationen zu er-        net (für Käfer, siehe Horion 1941–         den können. Zum Vergleich findet man

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in Urwäldern 30–400  m3ha-1 (Lachat          liche Verteilung der Schutzgebiete und       sen Schutzgebieten kann sich die na-
und Müller 2018). Hier stellt sich die       deren Konnektivität achten? Aktuelle         türliche Dynamik auf grosser Flä-
Frage, auf welcher Fläche diese Men-         Forschungsergebnisse zu Totholzkä-           che abspielen und ermöglicht, dass
gen erforderlich sind. Eine lokale Erhö-     fern zeigen, dass die Habitatmenge und       alle Waldentwicklungsphasen immer
hung der Totholzmenge in einem klei-         Vielfalt in vielen Fällen bedeutender ist    gleichzeitig vertreten sind (Abb. 2), da-
nen Reservat reicht höchstwahrschein-        als die räumliche Verteilung (Seibold        runter sowohl bei Tieren und Pflanzen
lich nicht aus, um die Arten langfristig     et  al. 2017) und Arten vielfach stärker     artenarme (Optimalphase) als auch ar-
erhalten zu können. Somit muss die           durch das Auffinden geeigneter Habi-         tenreiche (frühe und späte Sukzessi-
Totholzmenge über die Reservatsgren-         tate als durch Ausbreitungsfähigkeit li-     onsphasen) (Hilmers et  al. 2018). Da
zen hinaus erhöht werden. In ­Estland        mitiert sind (Komonen und Muller             verschiedene Arten unterschiedliche
haben zum Beispiel Arten wie der Na-         2018). Für einige Arten spielen jedoch       Habitatansprüche haben, garantiert
delbaum-Borkenkäfer (Boridae) Bo-            Isolationseffekte sicherlich eine Rolle.     dies eine hohe Biodiversität. So errei-
ros schneideri in genutzten Waldland-        Da viele Arten in räumlich strukturier-      chen Pilze anders als Tiere und Pflan-
schaften überlebt, da flächig Totholz        ten Populationen organisiert sind, ist       zen in der Optimalphase bis zur Ter-
vorhanden ist, obwohl lokal oft nicht        die Frage des Biotopverbunds zentral.        minalphase die höchste Artenvielfalt.
die Schwellenwerte erreicht werden           Diese Populationen sind stabiler, wenn       Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Ar-
(Blažytė-Čereškienė und Karalius             die Populationen grösser sind oder           ten innerhalb dieser Gruppen ganz be-
2012; Runnel und Lõhmus 2017). Des-          wenn es mehr kleine Subpopulatio-            stimmte Phasen bevorzugen. Bei den
weiteren ist nicht nur die reine Menge,      nen gibt, die nach Aussterbeereignissen      Tieren gibt es unter den Waldarten
sondern auch die Diversität an Totholz-      (stochastisch oder z. B. durch das Ver-      beispielsweise Spezialisten für dunkle
strukturen (Baumarten, Dicke, Zerset-        schwinden von Totholz durch Zerset-          Wälder ebenso wie Blütenbesucher, die
zungsgrad, Mikroklima) für eine hohe         zung) neu enstehende Totholzhabitate         auf Waldöffnungen angewiesen sind
Artenvielfalt entscheidend (Gossner          oder vorhandene Mikrohabitate wie-           (siehe z. B., Dorow et  al. 2019), was die
et  al. 2016b; Seibold et  al. 2016; Vogel   der besiedelt können (Hanski 1999).          Bedeutung eines Nebeneinanders die-
et  al. 2020). Das Potenzial einer hohen     In grossen Schutzgebieten sollte ein         ser Waldentwickungsphasen und der
Diversität von Totholzmikrohabita-           Überleben dieser Arten ohne Probleme         damit verbundenen Heterogenität un-
ten ist in grossen Schutzgebieten deut-      möglich sein. Wenn allerdings durch ein      terstreicht. Das Vorhandensein dieser
lich höher. Dies gilt insbesondere für       Katastrophenereignis eine ganze Po-          Waldentwicklungsphasen hängt in na-
Baum-Mikrohabitate, die in Schutzge-         pulation ausstirbt, ist eine Wiederbe-       türlichen Wäldern von der Störungs-
bieten signifikant häufiger sind und de-     siedlung nicht möglich, weshalb meh-         dynamik ab. Das räumliche Ausmass
ren Förderung im Wirtschaftswald auf-        rere kleine Schutzgebiete, deren Sub-        der Störungen ist dabei abhängig vom
grund des Konflikts mit dem Bewirt-          populationen im Austausch stehen, in         Waldtyp. So spielen sich Störungen bei-
schaftungsziel (z. B. Produktion von         manchen Fällen eine bessere Strategie        spielsweise in Fichtenwäldern auf viel
Wertholz) stark begrenzt ist (Lachat         sein kann als nur ein grosses Schutzge-      grösserer Skala ab als in Buchenwäl-
und Müller 2018; Larrieu et  al. 2018).      biet (Liu et  al. 2019). Räumlich struktu-   dern. Das Beispiel von Sturmwurf und
                                             rierte Populationen zeichnen sich meist      Buchdruckerkalamität im National-
                                             dadurch aus, dass die Subpopulationen        park Bayerischer Wald in Deutschland
                                             nicht alle gleich gross sind und lücken-     veranschaulicht eindrücklich die Gross-
3 Habitatmenge vs.                           haft vorkommen. In der Praxis scheint        flächigkeit dieser Ereignisse und deren
  Konnektivität                              deshalb eine Investition in mehr und         Bedeutung für die Biodiversität (Leh-
                                             räumlich verteilte Flächen sinnvoller,       nert et  al. 2013). Auch wenn grossflä-
In Bezug auf Effizienz von Schutzstra-       um die Hauptpopulationen zu erhalten,        chige Störungen in natürlichen Bu-
tegien im Rahmen einer multifunktio-         als grosse Anstrengungen zu unterneh-        chenwäldern relativ selten vorkommen
nalen Waldbewirtschaftung wird der-          men, die Konnektivität (z. B. durch Bio-     (Hobi et  al. 2015), ist die durch dieses
zeit viel über die Bedeutung von Habi-       topverbünde und Korridore) zu erhö-          Störungsregime bewirkte Heterogeni-
tatmenge und Isolation (Fahrig 2013)         hen (Fronhofer et  al. 2012). Dies be-       tät für einen Teil der Buchenwaldfauna
und der Dispersionsfähigkeit von Ar-         deutet nicht, dass Verbundelemente in        und somit für die Gesamtbiodiversi-
ten (Komonen und Muller 2018) dis-           Einzelfällen nicht wichtig sind (Baz         tät in Buchenwäldern entscheidend.
kutiert. So stellt sich beispielsweise die   und Garcia-Boyero 1996; Tjørve 2010;         Es hat sich beispielsweise gezeigt, dass
Frage, ob im oben erwähnten Beispiel         Lindenmayer et  al. 2015).                   sich die Gemeinschaften in Lücken, in-
aus Estland allein die Totholzmenge auf                                                   neren Waldrändern und im geschlos-
Landschaftsebene oder auch die Vertei-                                                    senen Wald sowohl in Buchenurwäl-
lung und Konnektivität für das Über-                                                      dern (Lachat et  al. 2016) als auch in
leben der Arten eine entscheidende           4 Prozesse der natürlichen                   Fichten-dominierten Wäldern (Mül-
Rolle gespielt haben. Sollte man, wenn         Waldentwicklung und                        ler et  al. 2008; Lehnert et  al. 2013) si-
man sich für viele kleine Schutzgebiete        ­Heterogenität                             gnifikant unterscheiden. Aufgrund der
entscheidet, nur auf eine möglichst gute                                                  Grossflächigkeit der Störungen sollten
Integration unterschiedlicher Umwelt-        Natürliche Dynamik schafft Hetero-           die Schutzgebiete in Fichtenwäldern
bedingungen fokussieren (s. Abschnitt        genität, sowohl auf der räumlichen als       daher eine gewisse Grösse nicht unter-
1.1) oder muss man auch auf die räum-        auch auf der zeitlichen Skala. In gros-      schreiten. Lehnert et  al. (2013) emp-

                                                                                                    WSL Berichte, Heft 100, 2020
Forum für Wissen 2020                                                                                                            49

fehlen dabei eine Grösse der Schutz-
gebiete in Bergregionen Mitteleuropas
von mindestens 10 000  ha, um auch bei
hohem Level an Störungen langfris-
tig eine hohe Habitatheterogenität ga-
rantieren zu können. Eine Mindestflä-
chengrösse ist aber auch für Laubwald-
Schutzgebiete sinnvoll, auch wenn sie
gegebenenfalls kleiner zu bemessen ist,
da flächige Störungsereignisse nur sel-
ten vorkommen.
   Es stellt sich die Frage, wie sich die
Förderung der Biodiversität durch Stö-
rungsdynamiken auf wichtige Ökosys-
temleistungen von Schutzgebieten wie
Trinkwasser und Tourismus sowie auf
die Holzproduktion in den angrenzen-
den bewirtschafteten Waldgebieten
auswirkt. Dies führt zur Frage, ob und
was man in Schutzgebieten nach gross-
flächigen Störungsereignissen tun soll.
                                            Abb. 2. Strukturvielfalt im Nationalpark Bayerischer Wald dank Störungsereignissen
Studien aus dem Gebiet des National-        (Quelle: Nationalparkverwaltung).
parks Bayerischer Wald haben gezeigt,
dass die Förderung der Biodiversität
durch       Buchdrucker-Massenvermeh-       tagsstress schätzen. Hiervon profitieren      des Waldes signifikant schwächen kön-
rungen nicht auf Kosten der Trinkwas-       nicht nur Nationalpärke selbst, son-          nen (Sebald et  al. 2019).
serqualität gehen (Beudert et  al. 2015).   dern auch angrenzende Gebiete öko-               Zusammenfassend        braucht    das
Weitere negative Folgen werden gene-        nomisch (Mayer et  al. 2010; Mayer            Waldmanagement eine bessere räum-
rell in Bezug auf die Holzproduktion        2014; Mayer und Job 2014).                    lich-zeitliche Planung von Schutzge-
gesehen. Im Bayerischen Wald kam               Es sollte Teil einer nachhaltigen Be-      bieten und ungestörten Flächen aus-
es nach den grossen Störungsereig-          wirtschaftung im Sinne eines effizien-        serhalb von Reservaten. Auf der
nissen zu einem grossflächigen Ent-         ten Biodiversitätsschutzes sein, auftre-      räumlichen Ebene sollten hierbei ins-
fernen betroffener Bäume in den Er-         tende Störungen im Wirtschaftswald            besondere Aspekte der Habitatqualität
weiterungsflächen des Nationalparks.        für den Biodiversitätsschutz zu nutzen        und die Repräsentativität von Schutz-
Solche Massnahmen werden in Schutz-         (Bollmann und Braunisch 2013). Auf-           gebieten hinsichtlich ihrer Abdeckung
gebieten generell beobachtet (Mül-          grund der Trockenjahre und vermehr-           von Standortfaktoren und Waldtypen
ler et  al. 2019), obwohl das räumliche     ter Stürme in den letzten Jahren tre-         in einem Land bzw. biogeografischen
Ausmass der Gefahr durch eine Mas-          ten Störungen vermehrt nicht mehr nur         Region berücksichtigt werden (Boll-
senvermehrung von Borkenkäfern und          in Fichtenwäldern auf, sondern es sind        mann und Müller 2012). Unterschied-
damit die Schädigung von Wirtschafts-       auch vermehrt Kiefern-, Tannen- und           liche Umweltbedingungen fördern den
wäldern als eher gering engeschätzt         Buchenwälder in der temperaten Zone           bereits erwähnten räumlichen Wech-
wird (Kautz et  al. 2011). Unverhältnis-    betroffen (Sommerfeld et  al. 2018).          sel von Arten (b-Diversität) und da-
mässig waren im Vergleich hierzu die        Sommerfeld et  al. (2018) vermuten,           mit die Gesamtdiversität auf grösserer
negativen Folgen für die Biodiversi-        dass die biotische Vereinheitlichung          räumlicher Skala (siehe auch Müller
tät (Thorn et  al. 2016), weshalb Mül-      von Wäldern durch das Management              und Gossner 2010; Gossner und Mül-
ler et  al. (2019) fordern, diese Mass-     im Vergleich zu natürlichen Waldöko-          ler 2011; Gossner et  al. 2013; Müller
nahmen mit Ausnahme von Eingrif-            systemen zu einer höheren Anfällig-           et  al. 2013b). Auf der zeitlichen Skala
fen für menschliche Sicherheit und den      keit gegenüber Störungen führt. Dies          sollten auftretende Störungsereignisse,
Schutz des Eigentums von Angrenzern         hat signifikante Folgen für das Wald-         die zu einem hohen Strukturreichtum
generell in Schutzgebieten zu verbie-       management, bietet aber auch neue             und damit zu einer hoher Habitatdi-
ten. Eine immer wichtiger werdende          Chancen. Die Nutzung dieser scheinen          versität in der bewirtschafteten Land-
Ökosystemdienstleistung von Schutz-         jedoch aufgrund der begrenzten Wald-          schaft führen, für den Schutz und zur
gebieten ist die Erholungsfunktion.         flächen und der zahlreichen weiteren          Förderung von Biodiversität, unter Be-
Studien haben gezeigt, dass der Touris-     Funktionen der Waldökosysteme (z. B.          rücksichtigung der oben genannten As-
mus eine wirtschaftlich günstige Land-      Holzproduktion, Schutzwald) im Wirt-          pekte, genutzt werden. Diese Flächen
nutzungsoption darstellt, da Menschen       schaftswald limitiert und nur in grös-        können entweder dauerhaft oder auch
zunehmend das Wandern in Schutzge-          seren Schutzgebieten uneingeschränkt          zeitlich beschränkt auf die für die Bio-
bieten und das damit verbundene Erle-       realisierbar. So zeigt eine grossflächige     diversiät wichtigen frühen Sukzessi-
ben von natürlicher Dynamik und Bio-        Studie in den Ostalpen, dass vermehrte        onsstadien (Strukturreichtum, Licht;
diversität zur Regeneration vom All-        Störungen die wichtige Schutzfunktion         siehe z. B. Wermelinger et  al. 2017) als

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Schutzgebiete ausgewiesen werden.          lente grosse zusammenhängende Flä-         Beitrag zum Biodiversitätsschutz leis-
Diese Ausweisung sollte durch globale      che (Fahrig 2017).                         ten. Die Hauptvorteile grosser, streng
und regionale Karten von natürlichen           Da unsere Naturschutzmittel be-        geschützer Gebiete sind dabei:
Störungsereignissen geleitet werden        grenzt sind, muss die aktuelle Natur-      – Dynamiken können dort ungestört
(Müller et  al. 2019).                     schutzpraxis revidiert werden und es          und ohne Intervention des Men-
                                           müssen effizientere Strategien geschaf-       schen ablaufen. So sind grossflächige
                                           fen werden, insbesondere vor dem Hin-         Windürfe und Borkenkäfer-Massen-
                                           tergrund der fortschreitenden Inten-          vermehrungen dort noch eher poli-
5 Schlussfolgerungen – Vor-                sivierung der Landwirtschaft, dem ra-         tisch und gesellschaftlich durchzuset-
  teile und Grenzen grosser                santen Klimawandel und dem damit              zen als in genutzten Waldlandschaf-
  Schutzgebiete                            verbundenen Anstieg von Extremer-             ten. Sogar Extremereignisse wie das
                                           eignissen (siehe hierzu auch Müller           Massensterben von Hirschen, Stein-
Welche Schlussfolgerungen können           et  al. 2020). Letztere können zwar ne-       böcken und Gemsen durch Krank-
aus den neuen Erkenntnissen in Bezug       gative Effekte auf die Biodiversität ha-      heiten, Lawinen und harte Winter
auf die SLOSS-Debatte gezogen wer-         ben (z. B. Rückgang von Arten dunk-           werden im Schweizerischen Nati-
den? Brauchen wir mehr kleine, wenige      ler, schattiger Wälder), bieten aber          onalpark als Teil der natürlichen
grosse oder eine Kombination von klei-     auch neue Chancen. Arten, die auf             Dynamik ohne die Einleitung von
nen und grossen Schutzgenbieten, um        frühe Sukzessionsstadien und ein ho-          Massnahmen zur Veringerung der
die Biodiversität in mitteleuropäischen    hes Angebot an Strukturen (insbes.            Mortalität (z. B. Fütterung) akzep-
Wäldern effektiv zu schützen? Die ak-      Totholz) angewiesen sind, werden zum          tiert.
tuelle Forschung zur Waldbiodiversität     Teil durch Sturmwurf, Feuer oder Tro-      – Arten mit hohen Ansprüchen an
und deren Treiber zeigt, dass weder der    ckenheits-bedingte Baummortalität ge-         das kontinuierlich hohe Angebot
häufig zu hörende Slogan «Schützen         fördert. Hierbei sollten innovative und       der typischen Habitate und Res-
durch Nutzen» noch ein einzelner Na-       effiziente Massnahmen zur Biodiver-           sourcen einer natürlichen Entwick-
tionalpark auf grosser Fläche die Wald-    sitätsförderung im Wirtschaftswald ein-       lung auf grosser Fläche können hier
biodiversität in Mitteleuropa erhalten     gesetzt werden und dabei die durch            hohe Populationsdichten aufbauen
kann. Eine Mischung grosser und klei-      vermehrte Störungen entstehende               und von dort wieder in die bewirt-
ner Schutzgebiete unter starker Be-        Strukturvielfalt berücksichtigt werden.       schaftete Waldlandschaft ausstrah-
rücksichtigung lokaler und regionaler      Zum Beispiel könnten die für die Bio-         len.
Hotspots der Biodiversität ist der ziel-   diversität wertvollen frühen Sukzes-       – Naturdynamiken sind in der Re-
führendste Weg für den Biodiversitäts-     sionsstadien nach Störungen für eine          gel immer heterogener (zeitlich-
schutz, weil sowohl grosse wie kleine      bestimmte Zeit unter Schutz geststellt        räumliches Auftreten, Diversität der
Schutzgebiete Vor- und Nachteile ha-       werden. Darüber hinaus sollten sowohl         Strukturen usw.) als anthropogene
ben und die Vergrösserung der Habi-        grosse als auch kleine Schutzgebiete auf      Störungen (siehe hierzu Sommer-
tatmenge im Umfeld von Hotspots am         Grundlage von Expertenempfehlun-              feld et  al. 2018) oder das akzeptierte
wirksamsten sein dürfte (siehe auch        gen ausgewiesen werden, um eine mög-          Mass an natürlichen Störungen im
Primack 2014). Natürliche Prozesse         lichst grosse Heterogenität in der Ar-        Waldmanagement. Dies fördert die
fangen am einzelnen Objekt wie dem         tenausstattung und somit eine hohe Di-        b- und damit die g-Diversität auf
Baum oder Kadaver an und übersetzen        versität auf grosser geografischer Skala      Landschaftsebene durch ein Mo-
sich in ihrer Wirkung auf Landschaften.    abzudecken, unter Berücksichtigung            saik unterschiedlicher Waldentwick-
Hierbei ist es allerdings entscheidend,    des Entwicklungspotenzials hinsicht-          lungsphasen und Störungen unter-
die Vielfalt der unterschiedlichen Um-     lich Biodiversitäts-fördernder Struktu-       schiedlicher Flächengrösse und Art
weltbedingungen auf nationaler und         ren (z. B. Bollmann und Müller 2012).         (Hilmers et  al. 2018). Hierbei ist zu
Länder-übergreifender Ebene zu be-         Bei Flächen in Gebieten, die aufgrund         berücksichtigen, dass diese Hetero-
rücksichtigen, da diese unterschiedli-     z. B. ihrer biogeografischen Lage, ihrer      genität nach der Unterschutzstel-
che Artengemeinschaften fördern und        besonderen Umweltbedingungen oder             lung eines Wirtschaftswaldes, der
somit essenziell zur Gesamtbiodiversi-     historischen Faktoren eine besondere          sich meist noch in der Optimalphase
tät beitragen. Hier werden die Grenzen     Artenausstattung haben, denen aber            befindet, nicht sofort entsteht (siehe
von Grossschutzgebieten vor allem in       gewisse Biodiversitäts-fördernde Struk-       auch Vandekerkhove et  al. 2009;
der Limitierung ihrer Anzahl in einer      turen fehlen, ist zu empfehlen, die Ent-      Meyer und Schmidt 2011; Larrieu
dicht besiedelten Landschaft wie Mit-      wicklung solcher Strukturen durch ak-         et  al. 2017). Die Dynamik setzt häu-
teleuropa deutlich. Die sich ändernden     tive Initialmassnahmen zu beschleuni-         fig erst nach langer Zeit ein, dann
Umweltbedingungen und der damit            gen.                                          kann Heterogenität aber schnell
verbundene hohe Wechsel von Arten              Werden grosse, streng geschützte          entstehen. Zum Beispiel wenn
(b-Diversität) zwischen verschiede-        Schutzgebiete unter Berücksichtigung          Windwürfe und Insektenkalamitä-
nen Wäldern fördert die Diversität auf     der oben genannten Faktoren und in            ten auftreten, denn diese sind unab-
Landschaftsebene (g-Diversität) (Mül-      Kombination mit kleinen Schutzge-             hängig von der Zeit seit der Unter-
ler und Gossner 2010). Somit haben         bieten und Biodiversitäts-fördernden          schutzstellung. So konnten Brau-
viele kleine Flächen häufig einen grös-    Massnahmen im Wirtschaftswald aus-            nisch et  al. (2019) keinen Effekt der
seren Naturschutzwert als eine äquiva-     gewiesen, können sie einen grossen            Zeit nach Unterschutzstellung auf

                                                                                                WSL Berichte, Heft 100, 2020
Forum für Wissen 2020                                                                                                                        51

  das stehende Totholzangebot in Na-               tivorous bird populations and potential           doscorpiones, Heteroptera, Coleoptera,
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– Natürliche Dynamiken können sich               Braunisch, V.; Roder, S.; Coppes, J.; Froi-         Skripten 544: 1-388.
  eher über trophische Ebenen hin-                 devaux, J.S.P.; Arlettaz, R.; Bollmann,         Dufresnes, C.; Miquel, C.; Taberlet, P.; Fu-
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WSL Berichte, Heft 100, 2020
52                                                                                                                   Forum für Wissen 2020

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WSL Berichte, Heft 100, 2020
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