Baden-Württemberg 2020 - Grundlagen und Ziele für Monitoring, Forschung und Maßnahmenbegleitung in Waldschutzgebieten

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Baden-Württemberg 2020 - Grundlagen und Ziele für Monitoring, Forschung und Maßnahmenbegleitung in Waldschutzgebieten
Baden-Württemberg 2020

Grundlagen und Ziele für Monitoring, Forschung
und Maßnahmenbegleitung in Waldschutzgebieten
Baden-Württemberg 2020 - Grundlagen und Ziele für Monitoring, Forschung und Maßnahmenbegleitung in Waldschutzgebieten
Baden-Württemberg 2020 - Grundlagen und Ziele für Monitoring, Forschung und Maßnahmenbegleitung in Waldschutzgebieten
Inhalt     3
 1                                      Einleitung     4
 2           Waldschutzgebiete: Begriffsdefinition     7
 3                                Zuständigkeiten      9
 4                                     Bannwälder      10
 4.1                                   Funktionen      10
 4.1.1                        Ökologische Funktion     10
 4.1.2                   Wissenschaftliche Funktion    12
 4.1.3                    Gesellschaftliche Funktion   13
 4.2                          Bannwaldprogramm         14
 4.2.1                       Ausweisungskriterien      14
 4.2.2   Fokusflächen für Monitoring und Forschung     20
 4.2.3                        Bannwaldmonitoring       25
 4.2.4                     Forschungsschwerpunkte      32
 5                                    Schonwälder      35
 5.1                                    Zielsetzung    35
 5.1.1                     Schutzzweck-Kategorien      35
 5.1.2                   Seltene Waldgesellschaften    38
 5.1.3             Historische Waldnutzungsformen      39
 5.1.4                              Artenförderung     40
 5.2                         Schonwaldprogramm         41
 5.2.1                        Ausweisungskriterien     41
 5.2.2                    Umsetzungsschwerpunkte       42
 5.2.3                     Forschungsschwerpunkte      43
 6                   Regionale Waldschutzgebiete       45
 7       Wissenstransfer und Öffentlichkeitsarbeit     46
 8                                        Synthese     48
 9                                        Literatur    50

                                                            3
Baden-Württemberg 2020 - Grundlagen und Ziele für Monitoring, Forschung und Maßnahmenbegleitung in Waldschutzgebieten
1 Einleitung

    V
                or dem Hintergrund der wachsenden        die wissenschaftliche Betreuung von Bann- und
                Anforderungen an den Waldnatur-          Schonwäldern sowie Fachkriterien für Umsetzung
                schutz in Zeiten des Klimawandels        und Ausweisung.
                und gestützt durch nationale und
    internationale Strategien zum Erhalt der biologi-    Rahmenbedingungen
    schen Vielfalt, stehen Ausweisung, Betreuung und     In Baden-Württemberg wurden die Ziele der
    Beobachtung von Waldschutzgebieten in Baden-         nationalen Biodiversitätsstrategie (BMUB, 2007)
    Württemberg wieder verstärkt im Fokus von For-       und die Naturschutzstrategie des Landes (MLR,
    schung und Gesellschaft. Als im Landeswaldgesetz     2013) in einer Gesamtkonzeption Waldnatur-
    rechtlich verankerte Instrumente des Waldnatur-      schutz (FORSTBW, 2015) konkretisiert und für
    schutzes tragen Waldschutzgebiete zur Umsetzung      den Staatswald zu zehn Zielen zusammengefasst.
    wesentlicher Naturschutzziele bei. Waldbiodiversi-   Obwohl sich diese Ziele auf den Staatswald be-
    tät wird gefördert, zum einen durch das Zulassen     ziehen, liefern die im Rahmen der Gesamtkonzep-
    natürlicher Waldentwicklung, zum anderen durch       tion erarbeiteten Handlungsempfehlungen und
    aktive Schutz- und Pflegemaßnahmen für speziel-      Umsetzungskonzepte auch eine Grundlage für den
    le Arten und Lebensgemeinschaften                    Naturschutz in den anderen Waldbesitzarten.

    Bannwälder entwickeln sich ohne menschliche          Diese neue Schwerpunktsetzung des Waldnatur-
    Zielsetzung oder forstlicher Eingriffe als Ergeb-    schutzes lieferte den Anstoß für eine Überarbei-
    nis der Interaktion biotischer und abiotischer       tung der Waldschutzgebietskonzeption. Der Fo-
    Faktoren. Für die Forschung sind sie wichtige        kus der Überarbeitung lag auf einer Optimierung
    Referenzflächen, um die Auswirkung natürlicher       des Waldschutzgebietsprogramms im Hinblick auf
    Waldentwicklung auf die Waldbiodiversität zu         die Bereitstellung wissenschaftlicher und praxis-
    quantifizieren und daraus Grundlagen für eine na-    orientierter Grundlagen für die Umsetzung der in
    turschutzgerechte Waldbewirtschaftung abzuleiten.    den politischen Strategien definierten Ziele. Dies
                                                         beinhaltet sowohl die Ausrichtung des Monito-
    Schonwälder bieten die Möglichkeit, Ziele des        rings und der Forschung, als auch die Definition
    Biotop- und Artenschutzes durch gezielte Pflege-     fachlicher Kriterien für die Auswahl neuer Ge-
    und Entwicklungsmaßnahmen aktiv und recht-           biete.
    lich verbindlich umzusetzen und ihre Effizienz zu
    erforschen.                                          Während die erste Waldschutzgebietskonzeption
                                                         (DIETERICH, 1979; BÜCKING et al., 1993) vor
    Die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt       allem Vorschläge für die Ausweisung kleinerer
    Baden-Württemberg (FVA) erarbeitet im Rahmen         Waldschutzgebiete (bis zu 20 ha) nach standorts-
    ihres Waldschutzgebietsprogramms wissen-             kundlichen (Bannwälder) und nutzungshistori-
    schaftliche Grundlagen für die Bewertung, Be-        schen (Schonwälder) Kriterien enthielt, rückte
    treuung und Ausweisung von Waldschutzgebieten.       eine erste Überarbeitung (BÜCKING et al., 1993)
    Diese fließen in praktische Umsetzungskonzepte       erstmals die Bedeutung von Gebietsgröße und
    ein und spielen eine Rolle bei der Konkretisie-      Landschaftszusammenhang für Naturschutz und
    rung und Operationalisierung politischer und         Ökosystemforschung in den Vordergrund. Durch
    naturschutzfachlicher Ziele. Die mittelfristige      die damals neu empfohlene Mindestgröße von
    inhaltliche und strategische Ausrichtung des         100 ha sollten Bannwälder ausreichend ungestörte
    Waldschutzgebietsprogramms ist in der Wald-          Kernfläche aufweisen, um ein dynamisches Mo-
    schutzgebietskonzeption zusammengefasst.             saik unterschiedlicher Waldentwicklungsphasen
    Diese definiert die Schwerpunkte im Hinblick auf     entwickeln zu können. Die Einführung Regionaler

4
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Waldschutzgebiete, einer Kombination aus Bann-
und Schonwäldern, zielte auf eine Arrondierung
und Vernetzung wertvoller Teilflächen ab. Zusätz-
lich wurde ein Flächenkonzept entwickelt, nach
dem standörtlich repräsentativ je 1 % der Landes-
waldfläche als Bann- oder Schonwald ausgewiesen
werden sollten.

Zielsetzung
Mit der Waldschutzgebietskonzeption 2020 baut
die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt
Baden-Württemberg (FVA) auf der bestehen-
den Konzeption (MOOSMAYER, 1993) auf und
erweitert und konkretisiert diese im Hinblick
auf aktuelle Zielsetzungen, Vorgaben und Frage-
stellungen. Aufgrund ihrer unterschiedlichen
Funktionen werden Bann- und Schonwälder dabei
getrennt betrachtet.

Im überarbeiteten Bannwaldprogramm geht es
darum, die Kontinuität der langfristig bestehen-
den Datenreihen zu garantieren und gleichzeitig
die Integration neuer Methoden und Fragestel-
lungen zur Erforschung natürlicher Prozesse und
deren Auswirkung auf die Biodiversität zu ermög-
lichen. Zudem wurde ein Fachkonzept entwickelt,
anhand dessen die bestehende Bannwald-Flächen-
kulisse im Rahmen der politischen Ziele möglichst
sinnvoll ergänzt werden kann, um sowohl ihre
Repräsentativität als auch ihren Naturschutzwert
zu steigern.

Im Schonwaldprogramm wurden die in den
jeweiligen Verordnungen definierten Schutzziele
systematisiert um ihre Umsetzung - insbesondere
im Hinblick auf die neuen Zielsetzungen – zu
verstärken. Der Fokus bei der Ausweisung neuer
Schonwälder soll sich künftig an den Zielen der
genannten Strategien orientieren. Zudem soll das
Potential von Schonwäldern zur Evaluierung von
Förder- und Pflegemaßnahmen verstärkt genutzt
werden.

Durch einen optimierten und kombinierten Ein-
satz beider, komplementärer Instrumente soll das
Waldschutzgebietsprogramm 2020 zum Erhalt
und Förderung der Waldbiodiversität in Baden-
Württemberg beitragen und gleichzeitig Rahmen-
bedingungen für eine umfassende und langfristige
Naturschutzforschung liefern.

                                                    5
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    Bannwald Flüh
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2 Waldschutzgebiete:
 Begriffsdefinition

Z
           u den Waldschutzgebieten zählen                          Neben den Bannwäldern gibt es in Baden-Würt-
           Bann- und Schonwälder. Diese werden                      temberg weitere geschützte Wälder mit natürlicher
           nach Landeswaldgesetz (LWaldG § 32)                      Entwicklung, welche nach Bundesnaturschutz-
           durch die zuständige höhere Forst-                       gesetz ausgewiesen werden. Hierzu zählen die
 behörde (Regierungspräsidium Freiburg oder                         Kernzonen von Großschutzgebieten, d.h. der
 Körperschaftsforstdirektion) per Rechtsver-                        Biosphärengebiete (nach BNatSchG § 25) und
 ordnung ausgewiesen. Während Bannwälder der                        des Nationalparks (nach BNatSchG § 24). Die
 natürlichen Waldentwicklung überlassen werden,                     beiden Schutzgebietskategorien Bannwälder
 ist die waldbauliche Behandlung in Schonwäldern                    und Kernzonen unterliegen dem Prozessschutz
 auf ein spezielles Schutzziel ausgerichtet, das in                 und werden daher unter dem Sammelbegriff
 der Rechtsverordnung festgehalten ist. Soweit                      Prozessschutzflächen (PdF – dem Prozess-
 die Verordnung spezielle Bestimmungen zum                          schutz dienende Flächen) zusammengefasst
 Artenschutz enthält, werden diese mit der                          (Abbildung 1). Die Kernzonen werden hier
 höheren Naturschutzbehörde abgestimmt.                             genannt, da auch nach Bundesnaturschutzgesetz
                                                                    ausgewiesene Prozessschutzflächen (z.B. die im
                                                                    Wald liegenden Kernzonen der Biosphärengebiete
                                                                    Baden-Württembergs) im Rahmen des Wald-
                                                                    schutzgebietsprogramms untersucht werden.

                                                                                                 Bundesnaturschutz-
Landeswald-                            Prozessschutzflächen (PdF)                                gesetz (BNatSchG)
gesetz (LWaldG)                                                                                      § 24 Nationalparks
§ 32 Waldschutzgebiete                      • Bannwald (BW)                                          § 25 Biosphärengebiete
                                            • Biosphärengebiets-Kernzone (BK)
    • Bannwald                              • Nationalpark-Kernzone (NK)                             • Biosphärengebiets-Kernzone
    • Schonwald                                                                                      • Nationalpark-Kernzone

 Abb.1 | Die Waldschutzgebietskonzeption bezieht sich auf Flächen (Prozessschutzflächen und Schonwälder, die nach unterschiedlichen
 rechtlichen Grundlagen ausgewiesen werden. Per Rechtsverordnung, nach Landeswaldgesetz (Bannwälder) oder Bundesnaturschutzgesetz
 (Kernzonen der Großschutzgebiete) ausgewiesene, nicht bewirtschaftete Waldflächen werden unter dem Begriff Prozessschutzflächen
 zusammengefasst.

                                                                                                                                      7
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Bannwälder sind…
    ⇨ Waldschutzgebiete, die der natürlichen
      Entwicklung überlassen werden (Prozess-
      schutz). Forstliche Eingriffe oder Pflegemaß-
      nahmen sind nicht erlaubt, es soll ein »Urwald
      von morgen« entstehen.

    ⇨ Schutzgebiete, deren Entwicklung keiner Ziel-
      setzung unterliegt. Natürliche Störungen und
      Zufallsereignisse dürfen ungehindert ablaufen,
      der Mensch nimmt lediglich eine beobachtende
      Position ein.

    ⇨ Referenzgebiete für die Erforschung der natür-
      lichen Dynamik von Wäldern und ihrer Rolle
      für die Waldbiodiversität und für den Waldbau.

    Schonwälder sind…
    ⇨ bewirtschaftete Waldschutzgebiete, in denen
      forstliche Eingriffe auf ein definiertes Schutz-
      ziel ausgerichtet sind. Sie können dem Erhalt
      oder der Entwicklung besonderer Waldgesell-
      schaften, landschaftstypischer Waldbestände,
      historischer Waldnutzungsformen, lichter
      Strukturen oder der Lebensraumförderung
      gefährdeter Tier- und Pflanzenarten dienen.

    ⇨ geeignete Versuchsflächen für die Erforschung
      der Auswirkung von Bewirtschaftungs- und
      Pflegemaßnahmen auf die Waldbiodiversität.

8
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3 Zuständigkeiten
F
      ür die Ausweisung und Betreuung                                                                 Die Forstaufsicht fällt in die Zuständigkeit
      der Waldschutzgebiete in Baden-                                                                 der jeweiligen unteren Forstbehörde und
      Württemberg sind unterschied-                                                                   wird i.d.R. von den jeweiligen hoheitlich
      liche Stellen zuständig, die eng                                                                zuständigen Revierleitenden ausgeübt.
zusammenarbeiten (Abbildung 2).
                                                                                                      Die wissenschaftliche Betreuung der Wald-
Die verwaltungsrechtliche Zuständigkeit liegt                                                         schutzgebiete erfolgt durch die Forstliche
nach § 36 LWaldG bei der höheren Forstbehörde                                                         Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Würt-
(Regierungspräsidium Freiburg, Referat 84,                                                            temberg (FVA), Abteilung Waldnaturschutz. Sie
Waldnaturschutz, Biodiversität und Waldbau                                                            ist zuständig für die waldökologische Forschung
bzw. bei der Körperschaftsforstdirektion).                                                            und das langfristige Monitoring. Sie hat eine
Sie ist für das Ausweisungsverfahren gemäß                                                            beratende Funktion bei der Ausweisung der
VwV Waldschutzgebiete1, für die Schutz-                                                               Schutzgebiete, bei Befreiungen von Verboten
gebietsverordnungen sowie in der Regel für                                                            sowie bei Fragen der forstlichen Praxis.
Sondergenehmigungen zuständig. Ihr obliegen
alle rechtlichen Entscheidungen im Zusammen-                                                          Bei der Gebietsausweisung, der Definition von
hang mit den Schutzgebietsverordnungen.                                                               Schutzzielen oder der Bewertung von Eingriffen
                                                                                                      und Ausnahmegenehmigungen pflegen die
Die Umsetzung von Maßnahmen vor                                                                       höhere Forstbehörde (Regierungspräsidium
Ort, d.h. die Pflege von Schonwäldern im                                                              Freiburg) und die FVA einen intensiven
Rahmen der definierten Schutzziele oder die                                                           fachlichen Austausch. Bei Fragen, die die
Sicherstellung der Flächenstilllegung in Bann-                                                        einzelnen Gebiete betreffen, stehen sie in
wäldern, obliegt den betroffenen Waldbesitzern                                                        direktem Kontakt mit den zuständigen unteren
(Forstbetrieben). Die Pflegemaßnahmen                                                                 Forstbehörden und den Waldbesitzenden.
in Schonwäldern erfolgen im öffentlichen
Wald auf Grundlage der Forsteinrichtung.

                                                            MLR BW Ministerium für ländlichen Raum und
                                                               Verbraucherschutz Baden-Württemberg

                                                   LFV BW                           Anträge
                                         LandesForstVerwaltung
                                            Baden-Württemberg                 Genehmigungen

    Höhere Forstbehörde                                              Forstliche Versuchs-                                          Untere Forstbehörden,
    Regierungspräsidium                                              und Forschungsanstalt                                         Forstaufsicht/Revierleitende (RL)
    Freiburg                                                         Baden-Württemberg                                             Waldbesitzende

     Rechtliches                                                        Fachliches                                                            Umsetzung
                                                                                                                HHHHHHI
                                                                                                                Beratung
                                                  Fachlicher
     • Ausweisungen durch
                                                  Austausch
                                                                        • Forschung                           HHHHHHHHI                       • Maßnahmen

                                                  JHH H HI
       Verordnungen                                                     • Flächenauswahl-                                                       bzw. Stilllegung
     • Erteilung des                                                      und Beurteilung                                                     • Information
                                                                                                                Information
       Einvernehmens                                                    • Beratung

Abb.2 | Aufteilung der Zuständigkeiten für Ausweisung, Betreuung und Beforschung von Waldschutzgebieten.

1
 Gesamtvorschrift in der Gültigkeit zum 31.12.2017 bis 31.12.2024: Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Ländlichen Raum, Ernährung und Verbraucherschutz über die Ausweisung von Waldschutz-
gebieten nach § 32 des Landeswaldgesetzes sowie deren Schutz und Pflege (VwV Waldschutzgebiete) vom 9. Dezember 2010 – Az.: 52-8604.13/8602.50 – Fundstelle: GABl. 2010, S. 568; geändert durch
Verwaltungsvorschrift vom 04.12.2017 (GABl. 2017, S. 721)

                                                                                                                                                                                                     9
Baden-Württemberg 2020 - Grundlagen und Ziele für Monitoring, Forschung und Maßnahmenbegleitung in Waldschutzgebieten
4 Bannwälder
     4.1     Funktionen

     Bannwälder haben drei wesentliche Funktionen:       Urwaldreliktarten sind in hohem Maß auf eine
     Die ökologische Funktion beinhaltet den Schutz      lange Habitattradition angewiesen und brauchen
     natürlicher Prozesse und ihrer Auswirkungen         häufig große Mengen an Totholz unterschied-
     auf die Waldbiodiversität. Die wissenschaft-        licher Qualität und Zersetzungsgrade (BÄSSLER
     liche Funktion liegt in der Erforschung der         u. MÜLLER, 2010), wie sie sich nur in Schutz-
     natürlichen Waldentwicklung ohne den Einfluss       gebieten entwickeln können, in denen großflächig
     des Menschen unter bestehenden oder sich            natürliche Dynamik und Störungen zugelassen
     ändernden Umweltbedingungen. Umweltbildung          werden. Will man langfristig überlebensfähige
     und Naturerlebnis sind Teile der gesellschaft-      Populationen solcher hochspezialisierter Arten
     lichen Funktion von Bannwäldern. Aus                erhalten, muss man ihnen ausreichend zusam-
     diesen Anforderungen an die Bannwälder in           menhängenden Lebensraum bieten. Kleine Still-
     Baden-Württemberg leiten sich unter anderem         legungsflächen, wie sie in Baden-Württemberg
     die Kriterien für Neuausweisungen ab.               durch das Alt- und Totholzkonzept (FORSTBW,
                                                         2016) entstehen, sollen einen Beitrag zur funktio-
     4.1.1   Ökologische Funktion                        nellen Vernetzung größerer Prozessschutzflächen
                                                         leisten.
     Zwar wird in Europa eine naturnahe Waldbe-
     wirtschaftung praktiziert (BAUHUS et al., 2013),    Allerdings profitieren nicht alle Artengruppen
     dennoch fehlen diesen Wäldern die Strukturmerk-     gleichermaßen von der Stilllegung von Waldge-
     male, wie sie Waldökosysteme besitzen, die durch    bieten (PAILLET et al., 2010). Dies liegt teilweise
     natürliche Sukzession und Dynamik entstanden        auch daran, dass die heute bestehenden Bannwäl-
     sind (PETERKEN, 1996). Insbesondere Alters-         der auch nach Stilllegungszeiträumen von bis zu
     und Zerfallsphasen sind im bewirtschafteten         rund 100 Jahren noch relativ jung sind und noch
     Wald unterrepräsentiert (SPIES u. TURNER,           Jahrzehnte benötigen werden, bis sie die Funktion
     1999), aber auch Lücken und lichte Strukturen,      alter Wälder erfüllen können.
     die durch natürliche Störungen wie Schneebruch,
     Sturmwurf, Verbiss oder Insektenbefall entstehen    Die Ausweisung bewirtschafteter Waldflächen als
     (KULAKOWSKI et al., 2017) und ein vielfältiges      Bannwald ist zunächst häufig mit einer tem-
     Strukturmosaik bilden können (KORPEL, 1995;         porären »Verdunkelung« verbunden (HEIRI et
     CADA et al., 2016).                                 al., 2012), die sich insbesondere auf licht- und
                                                         wärmeliebende Arten negativ auswirken kann
     Viele der im Wald vorkommenden Arten, die           (BRAUNISCH et al., 2019), bis natürliche Zerfalls-
     an diese Waldstrukturen gebunden sind, sind in      und Störungsprozesse zu Auflichtungen führen.
     ihrem Bestand gefährdet oder vom Aussterben         Um diese Entwicklung zu ermöglichen, ist eine
     bedroht (SCHERZINGER, 1997). Während Licht-         langfristige, rechtliche Sicherung von Prozess-
     waldstrukturen auch durch forstliche Maßnahmen      schutzgebieten erforderlich (BOLLMANN, 2011;
     gefördert werden können, profitieren von Prozess-   BOLLMANN u. BRAUNISCH, 2013).
     schutzgebieten vor allem Arten, die an Alt- und
     Totholz gebunden sind. Biologisch alte Bestände
     und Wälder ohne forstliche Nutzung spielen zu-
     dem eine wichtige Rolle beim Erhalt der begrenz-
     ten Ressourcen für »Urwaldreliktarten« (MÜLLER
     et al., 2005) oder »Arten alter Wälder« (HERMY
     u. VERHEYEN, 2007; BOLLMANN u. MÜLLER,
     2012).

10
Dreizehenspecht | Picoides tridactylus

Flacher Lackporling | Ganoderma applanatum   Rindenschröter | Ceruchus chrysomelinus   11
4.1.2 Wissenschaftliche Funktion

     Bannwälder stellen einzigartige Referenzflächen     Welche Strukturen entwickeln sich in Prozess-
     für die Forschung dar. Bereits in den 1930er Jah-   schutzgebieten? Welche Artengruppen profitieren
     ren fanden vegetationskundliche, standortskundli-   davon? Welche waldstrukturellen Zielgrößen
     che und bestandesstrukturelle Untersuchungen in     lassen sich daraus für eine naturnahe Waldbewirt-
     den damaligen »Banngebieten« Baden-Württem-         schaftung ableiten? Auch die Entwicklung von
     bergs statt (BÜCKING, 1990). Das Europäische        Baumarten und Waldökosystemen im Klimawan-
     Naturschutzjahr 1970 brachte einen entscheiden-     del und die Bedeutung der genetischen Diversität
     den Anschub für die Forschung in Naturwaldre-       sind aktuelle Forschungsthemen.
     servaten in ganz Europa. In Baden-Württemberg
     wurden zahlreiche Bannwälder neu ausgewiesen        Grundlage für die Naturwaldforschung in Baden-
     und die FVA mit der Forschung in Bannwäldern        Württemberg liefert ein langfristiges Monitoring
     beauftragt.                                         der Waldentwicklung, basierend auf terrestrischen
                                                         Inventurverfahren (Waldstrukturaufnahme, WSA),
     Während in den Anfangsjahren der Naturwaldfor-      zunehmend ergänzt durch Fernerkundungsdaten.
     schung noch überwiegend waldwachstumskundli-        Zusammen mit Erhebungen von Fauna und Flora
     che Fragestellungen zur Bewertung waldbaulicher     liefert es Daten für die Beantwortung zahlreicher
     Verfahren im Vordergrund standen, entwickelte       waldökologischer Fragestellungen.
     sie sich zunehmend in Richtung Waldökologie
     und Biodiversität, mit dem Ziel, Grundlagen für
     eine naturnaheWaldbewirtschaftung abzuleiten.

12
4.1.3 Gesellschaftliche Funktion

Bannwälder sind entstehende Wildnis. Die Ent-        Bannwälder sind beliebte Erholungsräume, bei
wicklung der »Urwälder von morgen« ist nicht nur     denen die Erholungsfunktion jedoch mit der Ziel-
wissenschaftlich interessant, sondern bietet auch    setzung einer natürlichen Waldentwicklung im
ein besonderes Naturerlebnis. Die Information        Einklang stehen sollte. Da nur dringend erforder-
von Fachpublikum und Waldbesuchenden unter-          liche Forstwege funktionsfähig erhalten werden
schiedlichen Alters, sowie eine zielgruppenorien-    und keine Verkehrssicherung zum Schutz der
tierte Vermittlung ökologischer Zusammenhänge        Waldbesuchenden stattfindet, wird auf Erho-
im Rahmen von Exkursionen und Vorträgen sind         lungs-Infrastruktur wie Bänke, Informationstafeln,
daher wichtige Komponenten des Waldschutzge-         Schutzhütten oder Picknickstellen innerhalb des
bietsprogramms. Ein Teil der Öffentlichkeitsarbeit   Bannwalds verzichtet. Diese werden stattdessen
erfolgt häufig auch durch die unteren Forstbe-       außerhalb des Gebietes oder an Punkten konzen-
hörden und Revierleitenden, die naturkundliche       triert, die eine gute Aussicht auf das Waldgebiet
Führungen anbieten.                                  bieten.

                                                                                                          13
4.2    Bannwaldprogramm
                                                           4.2.1.1 Kriterien für die Auswahl neu
     4.2.1 Ausweisung von Bannwäldern                      auszuweisender Bannwälder

     Aufbauend auf der nationalen Strategie zur bio-       Bei der Bannwaldausweisung stand bisher haupt-
     logischen Vielfalt (BMUB, 2007) sieht die Natur-      sächlich eine repräsentative Verteilung der Bann-
     schutzstrategie Baden-Württemberg vor, 5 % der        wälder auf Naturräume und Waldgesellschaften
     Gesamtwaldfläche aus der forstlichen Nutzung          Baden-Württembergs im Vordergrund. Mit der
     zu nehmen (MLR, 2013). Die Gesamtkonzeption           Waldschutzgebietskonzeption von 1993 kam der
     Waldnaturschutz des Landesforstbetriebs ForstBW       besondere Schutz seltener Waldgesellschaften
     (Ziel 8: Prozessschutz) trägt zur Umsetzung dieses    hinzu (BÜCKING et al., 1993). Die theoretisch
     Ziels bei, indem 10 % der Staatswaldfläche Baden-     definierten Fachkriterien wurden in der Praxis
     Württembergs der natürlichen Waldentwick-             jedoch häufig von forstpraktischen und ökono-
     lung überlassen werden soll (FORSTBW, 2015).          mischen Aspekten überlagert, weswegen sich die
     Mindestens 3 % davon sollen auf langfristig durch     bestehenden Bannwälder überdurchschnittlich
     Rechtsverordnung gesicherte Flächen (d.h. Bann-       häufig in schlecht zugänglichen Steillagen befin-
     wälder und Großschutzgebiets-Kernzonen) entfal-       den (FVA, 2021a).
     len (MLR, 2013). Dies erfordert ein Fachkonzept
     für eine gezielte Auswahl neuer Bannwaldflächen.      Neue Gebiete sollten daher zum einen die Re-
                                                           präsentativität der Bannwald-Flächenkulisse
     Neuausweisungen von Bannwäldern sollten auf           verbessern und zum anderen Flächen abbilden,
     eine Optimierung der beschriebenen Funktionen         die im Hinblick auf die ökologische Funktion
     von Bannwäldern ausgerichtet sein. Während die        besonders hochwertig sind. Möglichst alte, natur-
     wissenschaftliche Funktion eine repräsentative        nahe und strukturreiche Wälder sollen in die
     Verteilung der Flächen auf Waldgesellschaften         Kulisse aufgenommen werden, da erwartet wird,
     und standörtliche Einheiten erfordert, sind für die   dass sie schneller »Urwald«-ähnliche Strukturen
     ökologische Funktion insbesondere Kriterien der       entwickeln können (BRAUNISCH et al., 2019).
     Waldgeschichte (Habitattradition), der ökologi-       Zusätzlich sollen, wo sinnvoll, auch ökonomische
     schen Ausstattung (z.B. strukturelle Ausstattung,     Aspekte berücksichtigt werden. In einer Arbeits-
     Naturnähe, Alter) sowie der Flächengröße und          gruppe von Experten wurden dafür ein Kriterien-
     räumlichen Verteilung (Vernetzung) von Bedeu-         katalog und die relevanten Indikatoren für deren
     tung.                                                 Umsetzung erarbeitet (Tabelle 1).

14
Tab.1 | Auswahlkriterien für zukünftige Prozessschutzflächen.

         Ziele                Kriterien                Indikatoren

     Erforschung                                     Klima-Höhenstufen
                                    1.
      natürlicher                                    natürliche Waldgesellschaften (Definition gemäß der Bundeswaldinventur)
                           Repräsentativität
     Waldprozesse                                    Topographie (Hangneigung, Exposition)

                                    2.               hohe Naturnähebewertung der Baumartenzusammensetzung
                            Habitatqualität          lange Habitattradition
                               (Zustand)             vielfältige vertikale Struktur
                                                     hoher Anteil an höheren Altersklassen

       Schutz des                                    Vorkommen von Urwaldreliktarten/Prozessschutzarten (Pflanzen/Tiere/Pilze/Flechten)
      naturschutz-                  3.
                                                     Vermeidung naturschutzfachliche Zielkonflikte aufgrund von:
       fachlichen            Artvorkommen
       Potenzials                                    · pflegebedürftiger Waldbiotope (seltene Waldgesellschaften, Naturgebilde, Sonderstandorte)
                           und Zielkonflikte
                                                     · pflegebedürftiger Arten (z.B. Lichtwaldarten)

                                                     geringe Distanz zu bestehenden Wäldern mit natürlicher Entwicklung
                                    4.
                                                     hohe Kompaktheit1 der Prozessschutzflächen
                              Vernetzung
                                                     Vermeidung von Randeinflüssen und Zerschneidung durch Infrastruktur und Besiedelung

                                                     Vermeidung hoher ökonomischen Kosten
     Ökonomische                    5.               geringer Bestandeswert
     Optimierung          Umsetzungskosten           geringer Anteil an ökonomisch bedeutsamen Waldentwicklungsklassen
                                                     (LWET: Douglasie, Fichte, Kiefer)

 1
     hohe Kompaktheit: niedriges Verhältnis Umfang zur Fläche

Was ist
neu?
     Die Kriterien für die Auswahl neuer Bannwaldflächen wurden überarbeitet und ergänzt.
     Folgende Kriterien sollen systematisch berücksichtigt werden:

     • Repräsentativität: Klimahöhenstufen, Waldgesell-      • Vernetzung: Neue Gebiete sollen bevorzugt eine
       schaften und topografische Bedingungen sollen durch     geringe Distanz zu bestehenden Prozessschutz-
       das Bannwaldprogramm repräsentativ abgebildet           flächen haben, oder diese erweitern, um die unbe-
       werden.                                                 einflusste Fläche zu vergrößern. Zusätzlich sollen bei
                                                               zukünftigen Gebieten Randeinflüsse oder Zerschnei-
     • Habitatqualität: Besonders alte, naturnahe Flächen      dung durch Infrastruktur vermieden werden.
       mit langer Habitattradition und mit hoher struktu-
       reller Vielfalt erreichen in kürzerer Zeit die Eigen- • Umsetzungskosten: Bei gleicher Eignung im Hinblick
       schaften von Naturwäldern und werden bevorzugt.         auf die genannten naturschutzfachlichen und
                                                               Repräsentanz-Kriterien sollen Flächen mit geringeren
     • Artvorkommen und Zielkonflikte: Gebiete mit             Bestandeswerten oder ökonomisch weniger bedeut-
       Vorkommen seltener Urwaldreliktarten werden             samen Waldentwicklungstypen bevorzugt werden.
       bevorzugt. Flächen, auf denen aktive Maßnahmen zur
       Erhaltung der Biodiversität notwendig sind, werden
       ausgeschlossen.

                                                                                                                                                   15
4.2.1.2 Fachkonzept: Prioritätsflächen                 Für die verbleibenden Staatswaldgebiete wurden
      für Neuausweisungen im Staatswald                      im zweiten Schritt Flächenmodellierungen mit der
                                                             Optimierungs-Software MARXAN (BALL et al.,
      Eine gleichzeitige Berücksichtigung und Optimie-       2009) durchgeführt, um Flächen zu identifizieren,
      rung aller genannten Kriterien und Indikatoren         die künftig als prioritäre Flächenkulisse für die
      über die gesamte Waldfläche Baden-Württem-             Ausweisung neuer Prozessschutzflächen dienen
      bergs hinweg ist allein mit gutachterlichen Metho-     sollen. Dabei wurden drei Szenarien verglichen,
      den nicht möglich. Bei der Herleitung geeigneter       bei denen verschiedene Ansprüche an die Opti-
      Flächen für Schutzgebietsausweisungen können           mierung der oben genannten Kriterien gestellt
      daher mathematische Algorithmen zur »systema-          und unterschiedliche politische Flächenziele an-
      tischen Naturschutzplanung« (Systematic Conser-        genommen wurden.
      vation Planning, SCP) (MARGULES u. PRESSEY,
      2000) helfen. Diese Algorithmen identifizieren,        Die resultierende Flächenkulisse weist drei Priori-
      basierend auf räumlich expliziten Daten zu den         tätsstufen aus und stellt grobe »Suchräume« bereit,
      Indikatoren der Kriterien »Repräsentativität« und      innerhalb derer für eine genaue Flächenabgren-
      »Habitatqualität«, die Waldflächen, auf denen die      zung weitere Prüfkriterien bzw. Entscheidungs-
      genannten Kriterien bestmöglich erfüllt werden         hilfen herangezogen werden sollten: Zum einen
      (BALL et al., 2009). Dabei wird nicht nur auf die      müssen potentielle Zielkonflikte mit anderen
      Optimierung der Kriterien im einzelnen Gebiet          Schutzobjekten (z.B. Biotopen oder Lebens-
      geachtet, sondern auch auf Komplementarität, das       räumen hochgradig gefährdeter Arten, für die
      heißt auf die Optimierung aller Kriterien über die     Pflegemaßnahmen erforderlich sind) geprüft und
      Gesamtkombination aller potentiellen Flächen           bewertet werden. Zum anderen sollte die potenti-
      hinweg. Der Vorteil von SCP-Algorithmen ist die        elle Bannwaldfläche im Hinblick auf ihre mögliche
      transparente und objektive Herangehensweise, die       Funktion in einem ökologischen Vernetzungs-
      eine nachvollziehbare Identifizierung von Gebie-       konzept geprüft werden. Als weitere Entschei-
      ten unter Berücksichtigung definierter Kriterien       dungshilfe wurde die ökonomische Wertigkeit der
      erlaubt.                                               Flächen berechnet.

       Eine solche, systematische Flächenselektion wurde     Das Fachkonzept stellt damit eine großräumige
       für den Staatswald durchgeführt und liefert eine      Planungsgrundlage für die Ausweisung neuer
       Grundlage, um bei der Planung von Neuauswei-          Prozessschutzflächen im Staatswald Baden-Würt-
       sungen im Rahmen des Ziels, 10 %-des Staatwal-        tembergs dar. Die konkrete Flächenabgrenzung
       des als Prozessschutzflächen auszuweisen, die         auf Bestandesebene muss jedoch vor Ort, in
       vielfältigen Ansprüche an Bannwälder bestmög-         Zusammenarbeit mit den Waldbesitzenden, Forst-
       lich zu erfüllen (FVA, 2021b). Für diese Selektion    und ggf. Naturschutzbehörden und unter Berück-
       wurden im ersten Schritt Waldgebiete mit er-          sichtigung der lokalen Gegebenheiten, erfolgen.
       höhten Randeinflüssen durch Infrastruktur oder
       Besiedelungen identifiziert und ausgeschlossen.

     Was ist
     neu?

      • Mit Hilfe von Optimierungsalgorithmen wurden         • Flächen, auf denen aktive Maßnahmen zur Erhaltung
        im Staatswald systematisch Prioritätsflächen für       der Biodiversität notwendig sind, werden ausge-
        Neuausweisungen von Bannwäldern identifiziert,         schlossen.
        auf denen die Kriterien bestmöglich erfüllt werden
        können.                                              • Die Prioritätsflächen stellen »Suchräume« für neue
                                                               Bannwälder dar, die konkrete Abgrenzung soll unter
      • Dabei wurden nicht nur die Eigenschaften der           Berücksichtigung der lokalen Gegebenheiten erfolgen.
        jeweiligen Einzelfläche, sondern auch deren
        Funktion im Bannwaldkollektiv berücksichtigt.

16
17
     Bannwald Faulbach
4.2.1.3 Flächengröße                                  In Baden-Württemberg existieren unterschiedli-
                                                           che Elemente eines Netzwerks von nutzungsfreien
     Die erforderliche Mindestgröße von Prozess-           Waldflächen auf unterschiedlichen Maßstabsebe-
     schutzgebieten und daraus abzuleitende Zielgrö-       nen. Die größten Flächen bilden die Kernzonen
     ßen für Bannwälder werden kontrovers diskutiert.      des Nationalparks Schwarzwald, gefolgt von
     Da die Bedeutung der Schutzgebietsfläche stark        Bannwäldern und den Kernzonen der Biosphä-
     vom betrachteten Ziel abhängt, ist eine einheit-      rengebiete. Kleinere Einheiten bilden die Wald-
     liche Mindestgröße schwer zu definieren (MEYER        refugien (i.d.R. 1-3 ha, maximal 20 ha) sowie die
     et al., 2011). Die häufig geforderte Mindestfläche    Habitatbaumgruppen im Rahmen des Alt- und
     von 100 ha für Prozessschutzgebiete leitet sich aus   Totholzkonzeptes (FORSTBW, 2010). Waldrefu-
     dem Phasenzyklus für verschiedene Waldtypen           gien und Habitatbaumgruppen zusammen sollen
     unter natürlichen Entwicklungsbedingungen ab          flächendeckend Alt- und Totholzstrukturen im
     (ALBRECHT, 1991): Sie ermöglicht ein mosaik-          Wirtschaftswald bereitstellen, werden jedoch nicht
     artiges Nebeneinander der verschiedenen Sukzes-       per Rechtsverordnung ausgewiesen, sondern als
     sionsstadien. Dies erhöht die Kapazität, das Arten-   freiwillige Leistung des Waldbesitzers » gesichert«.
     und Strukturinventar nach natürlichen Störungen       Im öffentlichen Wald erfolgt dies in der Regel im
     zu regenerieren (PICKETT u. THOMPSON, 1978;           Rahmen der Forsteinrichtung oder eines Öko-
     TURNER et al., 1998), und im Idealfall überle-        kontos.
     bensfähige Populationen seltener oder spezialisier-
     ter Arten zu beherbergen.                             Die Flächengrößen der aktuell bestehenden Bann-
                                                           wälder in Baden-Württemberg fallen sehr unter-
     Aus Sicht des Biodiversitätsschutzes lässt sich       schiedlich aus, von kleinen Gebieten mit weniger
     keine einheitliche Mindestfläche festlegen, da        als 5 ha bis zu sehr großen Gebieten mit mehr als
     Flächenanforderungen je nach Organismengruppe         400 ha (FVA, 2021a). Bannwälder nehmen somit
     variieren. Für überlebensfähige Populationen von      hinsichtlich ihrer Größe eine Zwischenstellung
     Arten mit großen Raumansprüchen (z.B. Schwarz-        zwischen Nationalpark-Kernzonen und Waldrefu-
     storch, Dreizehenspecht) sind 100 ha - Flächen        gien ein.
     viel zu klein (JIGUET u. VILLARUBIAS, 2004;
     PECHACEK u. D’OLEIRE-OLTMANNS, 2004)               Um Randeffekte zu verringern und ein Sukzes-
     während für Arthropoden wie einige Totholz-        sionsmosaik zu ermöglichen, sollen neue Bann-
     käferarten bereits 3 bis 5 ha ausreichen können    wälder auch weiterhin eine Mindestgröße von
     (MÜLLER et al., 2005). Arten mit großen Raum-      100 ha erreichen. Kleinere Bannwälder sollen, wo
     ansprüchen können in den Wäldern Zentraleuro-      es möglich und entsprechend der Ausweisungs-
     pas meist nur in einem Metapopulationssystem       kriterien sinnvoll ist, erweitert werden, um diese
     erhalten werden, in denen für Reproduktion         Mindestgröße zu erreichen. Dabei werden kom-
     geeignete Kernflächen über Vernetzungselemente     pakte Gebietsformen angestrebt.
     in Verbindung stehen. Die benötigte Größe von
     Kernflächen und die Distanz zwischen Vernet-       Allerdings können in besonderen Fällen auch
     zungselementen sind dabei von den ökologischen     kleinere Flächen sinnvoll als Bannwald ausgewie-
     Ansprüchen und der Mobilität der Arten abhängig. sen werden. Bei schützenswerten, nur kleinflächig
     Generell gilt jedoch: Mit zunehmender Flächen-     vorkommenden seltenen Waldgesellschaften, bei
     größe erhöht sich die standörtliche Vielfalt und   wissenschaftlich oder ökologisch interessanten
     ökologische Resilienz. Eine Verzehnfachung der     Eigenschaften (z.B. natürliche Störungsflächen
     Schutzgebietsfläche bewirkt in der Regel eine Ver- wie Sturmwurfflächen, Waldbrandflächen oder
     doppelung der Artenzahl (CONNOR u. MCCOY,          Überschwemmungsgebiete) oder bei besonderer
     1979). Neben der reinen Flächengröße ist jedoch    Bedeutung als Vernetzungselemente mit Tritt-
     auch die Kompaktheit der Flächen sowie die         steinfunktion für spezialisierte Arten können
     Qualität der sie umgebenden Waldmatrix von Be-     Bannwälder mit Flächen zwischen 20 und 100 ha
     deutung, insbesondere bei kleineren Flächen, die   eingerichtet werden. Hierdurch wird die Flächen-
     verstärkt unerwünschten Randeffekten (FENGER, größen-bezogene »Lücke« zwischen Waldrefugien
     1996) ausgesetzt sind.                             (bis 20 ha) und dem Standard-Bannwald (ab
                                                        100 ha) geschlossen.

18
Was ist
neu?
                                                          • Bei ökologisch oder wissenschaftlich interessanten
  • Bei der Neuausweisung von Bannwäldern wird              Besonderheiten (kleinflächige, seltene Waldgesell-
    weiterhin eine Mindestfläche von 100 ha angestrebt.     schaften, Störungsflächen, Vernetzungsfunktion)
                                                            können in Ausnahmefällen auch kleinere Flächen
  • Kleinere, bestehende Bannwälder sollen, wenn            (< 100 ha) ausgewiesen werden.
    entsprechend der Ausweisungskriterien sinnvoll,
    auf Flächen > 100 ha erweitert werden.                • Kompakte, arrondierte Flächenformen
                                                            werden angestrebt.

                                                                                                                 19
4.2.2 Fokusflächen für
       Monitoring und Forschung

       Forschung ist eine besondere Aufgabe, die in der        Aussagen für die einzelne Fläche treffen zu
       Rechtsverordnung der Bannwälder verankert               können, sollte jede Fokusfläche mit mindestens
       ist. Nicht alle Prozessschutzflächen sind jedoch        40 Stichprobenpunkten repräsentiert sein.
       gleichermaßen für die Naturwaldforschung
       geeignet. Manche sind beispielsweise zu klein           Nach den genannten Kriterien wurden 50 von
       oder aufgrund einer ungünstigen Form zu vielen          157 Prozessschutzflächen als Fokusflächen
       Randeffekten ausgesetzt. Um die Effizienz der zur       (Abbildung 3) für ein regelmäßiges Monitoring
       Verfügung stehenden Ressourcen zu optimieren,           ausgewählt (Tabelle 2). Die übrigen Flächen kön-
       wurden prioritäre Prozessschutzflächen für Moni-        nen gezielt zur Beantwortung spezieller Fragestel-
       toring und Forschung identifiziert. Diese Fokusflä-     lungen zusätzlich aufgenommen werden, dienen
       chen sollten primär die großen naturräumlichen          jedoch prioritär dem Prozessschutz. Neu ausge-
       Einheiten Baden-Württembergs – Wuchsgebiete             wiesene Prozessschutzflächen können gegebenen-
       (MICHIELS, 2014), z.T. zu Gruppen zusammen-             falls in das Kollektiv der Fokusflächen aufgenom-
       gefasst, repräsentieren, möglichst lange aus der        men werden, wenn sie Eigenschaften aufweisen,
       forstlichen Nutzung genommen sein und bereits           die in den derzeit existierenden Prozessschutz-
       mindestens eine Waldstrukturaufnahme durchlau-          flächen unterrepräsentiert sind oder wenn sie aus
       fen haben. Große und kompakte Flächen wurden            anderen Gründen ein hohes Potential aufweisen,
       bei der Auswahl bevorzugt, um Randeffekte mög-          in der Zukunft wertvolle Informationen zur natür-
       lichst zu vermeiden. Um fundierte strukturelle          lichen Waldentwicklung oder zur Waldbiodiversi-
                                                               tät liefern zu können.

     Was ist
     neu?

       • Aus dem Kollektiv aller Prozessschutzflächen wurden   • Die übrigen Bannwälder werden nur in besonderen
         je Naturraum Fokusflächen selektiert, auf die sich      Fällen zur Beantwortung spezieller Fragestellungen
         das langfristige Monitoring im Rahmen des Wald-         untersucht und dienen prioritär dem Prozessschutz.
         schutzgebietsprogramms künftig konzentriert.
                                                               • Neu ausgewiesene Bannwälder können
       • Auswahlkriterien sind Repräsentativität für den         in das Kollektiv der Fokusflächen aufge-
         Naturraum (Wuchsgebiet), Ausweisungsdauer,              nommen werden, wenn sie dieses durch
         Anzahl der Waldstrukturaufnahmen, Größe und             ihre Eigenschaften sinnvoll ergänzen.
         Flächenform.

20
Mannheim

                                                                  Heilbronn

                                                               Stuttgart

                                                                                         Ulm

Freiburg

                                                           Konstanz

 Abb.3 | Lage der Fokusflächen.

 Fokusflächen (FF)
      Fokusflächen (FF)Übrige Prozessschutzflächen (PdF)
                                   Prozessschutzflächen  (PdF)WuchsgebieteWuchsgebiete
                < 50
              < 50 haha                < 50  200               150 - 200 >ha200 ha

             > 200 ha                 > 200 ha

                                                                                               21
Tab.2 | Übersicht der Fokusflächen.

      Wuchs-                                                    Fläche           Erst-          Anzahl
      gebiet             Typ     Name                            [ha]       erklärungsjahr   Stichproben-
                                                                                                punkte
                         NK     Wilder See                         151           1911             90
                         NK     Hoher Ochsenkopf-Nägleliskopf       98           1970            235
                         BW     Zweribach                           76           1970             98
                         BW     Wildseemoor                        281           1928             94
                         BW     Waldmoor-Torfstich                  66           1970             87
                         BK     Schwarzahalden                     282           1970            136
                         BK     Flüh                                50           1970             77
                         BK     Faulbach                            77           1970             85
                         BK     Napf                               175           1970            142
                         BK     Scheibenfelsen                      81           1991             54
      Schwarzwald
                         BW     Teufelsries                         39           1992             83
                         BW     Feldseewald                        102           1993             56
                         BW     Eiberg                              97           1997             71
                         BW     Bärlochkar                         102           1997             62
                         BW     Stürmlesloch                       100           1998             71
                         BW     Schnepfenmoos                       42           1999             67
                         BW     Altlochkar-Rotwasser               106           2000             45
                         BW     Maienberg                          121           2001             85
                         BW     Riedis                              81           2002             50
                         BW     Siedigkopf                          97           2003             71
                         BK     Bosler                              41           2008             48
                         BK     Pfannenberg                         72           1986            108
                         BK     Donntal-Lange Steige               216           1995             61
                         BK     Kaltental                           64           2008             47
                         BK     Nägelesfelsen-Eichhalde             83           2008             81
                         BK     Drackenberg                         81           2008             50
       Schwäbische       BK     Föhrenberg                         191           2008             66
           Alb           BK     Baldeck                             68           2008             55
                         BK     Jörgenbühl - Geichenbuch           100           2008             64
                         BK     Hochberg-Amseltal                   96           2008             66
                         BK     Gieselwald-Heumacher                77           2008             59
                         BK     Rabensteig                          42           2008             23
                         BW     Untereck                            86           1939             60
                         BW     Rabensteig                         127           1970             50
                         BW     Weisweiler Rheinwald                78           1970             99
                         BW     Taubergießen                       190           1986            146
                         BW     Schwetzinger Hardt                 143           2013            248
      Oberrheinisches
         Tiefland        BW     Schnapsried                        100           1970             71
                         BW     Hollmuth                           136           1998            100
        Neckarland       BW     Schlierbach                         29           1970             68
                         BW     Hofstatt                            42           1990             62
         Odenwald
                         BW     Silbersandgrube                     20           1993             52
                         BW     Schüßlersklinge                    111           1995             49
                         BW     Altspöck                           123           1995             86
                         BW     Schmalegger Tobel                  124           1970             83
                         BW     Dornachried                         65           1924             78
       Südwestliches     BW     Brunnenholzried                    164           1924             71
       Alpenvorland      BW     Allgaier Riedle                     50           1924             54
                         BW     Pfrunger-Burgweiler Ried           441           1991             88
                         BW     Bayrischer Schlag                   64           1993             53

                        NK      Nationalpark-Kernzone/ehemaliger Bannwald
                        BW      Bannwald
                        BK      Biosphärengebiets-Kernzone

22
23
24
Grenzbaum
                                      r1

                                     Azimuth

                             5m

                                            g  un
                                          fern
                                      Ent
                                                    r2

Abb.4 | Probekreis für die terrestrische Waldstrukturaufnahme:
Die Probekreisfläche (Radius r1=17,84 m) ist grün, die Satelliten-
kreise zur Aufnahme der Verjüngung (Radius r2=1,78 m) grau
dargestellt. Innerhalb der Probekreisfläche wird jeder Baum ab
einem Brusthöhendurchmesser von 7 cm in seiner Lage relativ zum
Kreismittelpunkt eingemessen und aufgenommen.

4.2.3 Bannwaldmonitoring

Zur Erforschung der natürlichen Waldentwicklung
werden in Baden-Württemberg seit Jahrzehn-
ten Waldstrukturdaten erhoben. Ergebnis dieses
Monitorings sind langfristige Zeitreihen, die als
Datengrundlage für die unterschiedlichsten For-
schungsprojekte in den Bereichen Walddynamik,
Biodiversitäts- und Klimafolgenforschung dienen.
Die Ansprüche an ein Monitoring-Programm in
Bannwäldern sind dabei hoch: In der Vergangen-
heit aufgebaute Zeitreihen dürfen nicht unter-
brochen und Aufnahmeparameter nicht verändert
werden, so dass die Datenkonsistenz erhalten
bleibt. Gleichzeitig muss sich die Aufnahmeme-
thodik flexibel an neue Technologien anpassen
lassen und ermöglichen, nicht nur Antworten auf
aktuelle sondern auch auf mögliche zukünftige
Fragestellungen zu geben.

                                                                     25
Traditionell wurden die Waldstrukturen in Bann-        aufgenommen, wobei zwischen drei Höhenklas-
       wäldern terrestrisch erhoben. Diese zeit- und          sen unterschieden wird. Um seltene Baumarten
       kostenintensive Methode liefert sehr genaue            besser zu erfassen und einen Eindruck über die
       Waldstrukturdaten. Seit einiger Zeit kommen zu-        Gehölzverjüngung der gesamten Probekreisfläche
       nehmend auch fernerkundungsbasierte Metho-             zu erhalten, wird zudem der Deckungsgrad der
       den der Strukturerkennung zum Einsatz. Durch           einzelnen Baumarten in der Verjüngung im Ge-
       ergänzende floristische und faunistische Erhebun-      samtkreis eingeschätzt. Auf diese Weise entsteht
       gen können die Auswirkungen einer natürlichen          ein sehr detailliertes Bild des Baum- und Strauch-
       Waldentwicklung auf verschiedene Biodiversi-           bestandes auf den Stichprobenflächen.
       tätskomponenten quantifiziert und artspezifische
       Ansprüche an Waldstrukturen abgeleitet werden.         Auf die Bannwaldfläche hochgerechnet wird so die
                                                              strukturelle Situation des Gebietes beschrieben.
       4.2.3.1 Terrestrische                                  Eine detaillierte Beschreibung der Methodik der
       Waldstrukturaufnahme                                   Waldstrukturaufnahme findet sich in FVA u. ANF
                                                              (2016a).
       Für das langfristige Monitoring in Bannwäldern
       und Biosphärengebiets- Kernzonen in Baden-             Das heute angewendete Verfahren wurde seit
       Württemberg wurde an der FVA die Methode der           1990 periodisch aktualisiert und an sich ändernde
       Waldstrukturaufnahme (WSA) entwickelt. Das             technische Möglichkeiten und inhaltliche Anfor-
       heutige Verfahren der Waldstrukturaufnahme,            derungen angepasst. In die Aufnahmemethodik
       ehemals »Forstliche Grundaufnahme (FGA)«               wurden weitere Strukturparameter, insbesondere
       (FVA, 1997) genannt, besteht seit den 1990er Jah-      potentielle Habitatstrukturen, integriert. Eine
       ren und wurde seither sukzessive weiterentwickelt.     individuelle Identifikation von Baumindividuen
                                                              ermöglicht seit 2014 die Entwicklung einzelner
       In den Untersuchungsgebieten wird ein gleichmä-        Bäume zu dokumentieren und so Daten über
       ßiges Raster von dauerhaft markierten Stichpro-        dynamische Größen wie Zuwachs, Mortalität und
       benkreisen angelegt, die in der Regel eine Fläche      Einwuchs zu erhalten.
       von 0,1 ha umfassen (Abbildung 4). In Ausnah-
       mefällen, wie bei sehr steilem Gelände oder einer      Die Daten werden im Wald digital mit einer dafür
       großen Anzahl einzumessender Bäume, kann die           angepassten Aufnahmesoftware (FVA u. ANF,
       Fläche auf 0,05 ha verkleinert werden. Eine Puffer-    2016a,b) erhoben und nach Plausibilitätsprü-
       zone von 30 m Breite entlang der zugänglichen          fungen in ein speziell für die WSA entwickeltes
       Wege sowie der Außengrenzen bleibt von Stich-          Auswerteprogramm (FVA u. ANF, 2017) über-
       probenflächen ausgespart, um den Einfluss von          nommen. Neben den Berechnungen von wald-
       Störungen und Randeffekten zu vermeiden.               kundlichen Messgrößen auf Stichprobenkreisebe-
                                                              ne und für die jeweilige Gesamtfläche liefert das
       In jedem Stichprobenkreis (Abbildung 4) werden         Programm eine Vielzahl standardisierter Berichte,
       allgemeine Informationen zur Probefläche erho-         Tabellen, Grafiken und ermöglicht den Export
       ben. An allen lebenden und abgestorbenen und an        von Geodaten für die Nutzung in geographischen
       allen stehenden und liegenden Bäumen ab einem          Informationssystemen (GIS). Es dient zusätzlich
       Brusthöhendurchmesser (BHD) von 7 cm werden            als zentrales Archiv für die Waldstrukturdaten.
       verschiedene Strukturparameter aufgenommen             Weiterhin ermöglicht eine Exportfunktion die
       (Tabelle 3). Die Gehölzverjüngung (BHD < 7 cm)         Auswertung der Daten mit Hilfe von anderen
       wird in zwei je 0,001 ha großen »Satellitenkreisen«    Statistikprogrammen.

     Was ist
     neu?
      • Die bisher weitgehend forstlich geprägten Parameter   • Die Kombination eines automatisierten Aufnahme-
        der Waldstrukturaufnahme wurden durch biodiversi-       und Auswerteprogramms bietet eine kompatible
        tätsrelevante Strukturparameter (z.B. Baum-Mikro-       Lösung für individuelle und standardisierte Auswer-
        habitate) ergänzt.                                      tungen.

      • Eine Einzelbaumzuordnung bei der Wiederholungsauf- • Der Export berechneter Daten erlaubt
        nahme erlaubt die Beobachtung einzelner Baumindivi-  gebietsübergreifende Auswertungen mit
        duen und die Ableitung der dynamischen Kenngrößen    gängiger GIS und Statistik-Software.
        Zuwachs, Mortalität und Einwuchs.

26
Tab.3 | Vereinfachte Übersicht über die Aufnahmeparameter
der terrestrischen Waldstrukturaufnahme.
 Aufnahmeparameter
                     Hangneigung
                     Exposition
      Aufnahme-
                     Besondere Geländestrukturen
          fläche
                     Schichtigkeit (vertikaler Bestandesaufbau)
                     Schlussgrad
                     Koordinaten des Baumes
       stehende      Baumart
         Bäume       Volumen (BHD* und Höhe)
   (BHD > 7 cm       Zersetzungsgrad
            und      Mikrohabitate (Bruch, Dürre, Höhle, Pilz, Insekten, Rin-
 Höhe > 130 cm)      denmerkmale, Stockausschlag, Zwiesel, Schälschäden)
                     Schicht, Vitalität und Tendenz
        liegende     Koordinaten der Messpunkte: Zopf (dünnes Ende
          Bäume      ≥ 7 cm) und "BHD" (130 cm Abstand vom dicken Ende)
   (Durchmesser      Baumart
         in 1.3 m    Durchmesser von Zopf und "BHD" Messpunkt
    Abstand vom
   dickeren Ende     Zersetzungsgrad
        ≥ 10 cm)
                     Gesamtkreis
                     Baumart
                     Deckung (%)
                     Verbiss (%)
                     Satellitenkreise (Ost und West)
           Jung-
           wuchs     Höhenklasse (HK1: < 11 cm, HK2: 11-150 cm,
                     HK3: > 150 cm, BHD < 7 cm)
                     Baumart
                     Anzahl
                     Deckung (%)
                     Verbiss (%)
                                                                                27
*BHD: Brusthoehendurchmesser, Durchmesser des Stammes bei 1.30m
4.2.3.2 Fernerkundungsbasierte
     Waldstrukturaufnahmen

     Terrestrische Waldstrukturaufnahmen liefern sehr     sowie den daraus abgeleiteten Orthophotos und
     genaue Daten, diese sind jedoch auf die Fläche      Höheninformationen in Form von digitalen Ober-
     des Stichprobenkreises beschränkt. Um flächige      flächen- und Vegetationshöhenmodellen (DOM,
     Strukturinformationen sowie Daten zur räum-         VHM). Diese Daten entsprechen aufgrund ihres
     lichen Anordnung ausgewählter Strukturen zu         regelmäßigen Befliegungsturnus, ihrer geprüften
     erhalten, kommen zusätzlich fernerkundungs-         Qualität sowie ihrer hohen Auflösung und großen
     basierte Methoden zum Einsatz. Während dies in      räumlichen Abdeckung den Anforderungen eines
     der Vergangenheit mittels visueller Luftbildinter-  flächigen und fortlaufenden Waldstrukturmonito-
     pretation erfolgte, liegt der Schwerpunkt nun auf   rings.
     der Automatisierung der Datenprozessierung und
     Strukturerkennung. Hierdurch wird im Vergleich      Neben den Luftbildern wird je nach Fragestellung
     zur visuellen Interpretation (AHRENS et al., 2004) und räumlicher Maßstabsebene das Potential
     eine größere Objektivität und Wiederholbarkeit      anderer Sensoren getestet und genutzt. Hierzu
     der Auswertungen gewährleistet. Die räumliche       zählen:
     Kontinuität und große Ausdehnung der Ferner-
     kundungsdaten ermöglichen zudem eine nahtlose, • Luftgestützte und terrestrische Laserscanning-
     flächendeckende Analyse von Waldstrukturen            daten (LiDAR) zur Erfassung von vertikalen
     unabhängig von administrativen Einheiten oder         Waldstrukturen auch unterhalb des Kronen-
     Bestandesgrenzen und über die Waldschutzge-           daches,
     bietsgrenzen hinaus. Allerdings ist ihre Aussage-
     kraft hinsichtlich kleinstruktureller Eigenschaften • Satellitenaufnahmen für die großflächigen
     (z.B. Baum-Mikrohabitate), Strukturen unter           Auswertungen der Waldstrukturen,
     Schirm (z.B. Unterstand, liegendes Totholz, Bo-
     denvegetation) und qualitativer Eigenschaften (z.B. • Drohnenaufnahmen (Fotos oder LiDAR) für
     Erkennung von Baumarten) noch sehr begrenzt,          hochaufgelöste kleinflächige Analysen beson-
     weshalb derzeit die terrestrischen Aufnahmen er-      derer Strukturen, Einzelbäume oder Bestände.
     gänzt, aber nicht ersetzt werden können.
                                                         Doch auch die historischen Luftbilddaten sind
     Die aktuellen methodischen Schwerpunkte im          weiterhin eine wichtige Informationsquelle für
     Bereich der Fernerkundung liegen in der Erarbei-    retrospektive Zeitreihenanalysen der natürlichen
     tung und Evaluierung von Indices zur Beschrei-      Walddynamik. Es bleibt eine Aufgabe, das Poten-
     bung der horizontalen und vertikalen Bestandes-     tial der alten Luftbilder für automatisierte Auswer-
     struktur, der automatisierten Erfassung einzelner   tungsverfahren zu evaluieren und mit aktuellen
     Strukturelemente wie zum Beispiel Waldlücken        Daten vergleichbar zu machen.
     und stehendem Totholz (Abbildung 5) sowie in
     der Analyse dynamischer Prozesse (z.B. Störungs-    Die Waldstrukturparameter aus der Fernerkun-
     oder Verjüngungsdynamik) durch Auswertung           dung liefern nicht nur in Bannwäldern Eingangs-
     von Zeitreihen.                                     daten für räumlich explizite Habitat- oder Suk-
                                                         zessionsmodelle. Auch in Schonwäldern können
     Die Grundlagendaten bestehen aus den digitalen      sie die flächige Planung von Maßnahmen zur
     überlappenden Luftbildern des Landesamts für        Biotoppflege oder zur Lebensraumförderung für
     Geoinformation und Landentwicklung (LGL)            seltene Arten unterstützen.

28
3427880                    3427920

                                                                                               5304160

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     Geobasisdaten @ LGL, www.lgl-bw.de, Az.: 2851.9-1/19 | Projektdaten FVA 2020
                          3427880                         3427920

                                                                                5304160

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     Geobasisdaten @ LGL, www.lgl-bw.de, Az.: 2851.9-1/19 | Projektdaten FVA 2020
                          3427880         3427880
                                                3427920        3427920

                                                                                               5304120
                                                               5304160

                                                                                     5304160

                                                                                                                                                 Geobasisdaten @ LGL, www.lgl-bw.de, Az.: 2851.9-1/19 | Projektdaten FVA 2020

                                                                                                                                                                                                                                           Geobasisdaten @ LGL, www.lgl-bw.de, Az.: 2851.9-1/19 | Projektdaten FVA 2020
                                                                                5304120
                                                               5304120

                                                                                     5304120

     Referenzdaten (1):                                                                                  Klassfizierung (2):
               Lebende Bäume                                                                                             Lebend
               Absterbende Bäume                                                                                         Absterbend
Referenzdaten    (1):
             Totholz
                                                                                       Klassfizierung
                                                                         Klassfizierung (2):           Tot
                                                                                        Klassfizierung (2):
                                                                                                            (2):                         20                               10                                                         0                                                                                         20 Meter
    Referenzdaten (1):
                  Referenzdaten (1):
        Lebende
           LebendeBäume
                   Bäume Lebende Bäume                                         Lebend                      Lebend
                                                                                                         Lebend
           Absterbende Bäume
                          Absterbende Bäume                                    Absterbend                Absterbend
                                                                                                          Absterbend
        Absterbende    Bäume                                                                             20         10      0 20   10 20 Meter
                                                                                                                                         0                                                                                      20 Meter
            Totholz        Totholz                                             Tot                       Tot                       20      10                                                                                   0                                                                                         20 Meter
        Totholz                                                                                               Tot
    Abb.5 | Automatisierte Klassifizierung von stehendem Totholz; (1) Trainingsbäume im Waldbestand für die auto-
    matisierte Klassifizierung von stehendem Totholz (lebend, absterbend und tot), (2) finale Klassifizierung des Bestandes
    (lebend, absterbend und tot) (ZIELEWSKA-BÜTTNER et al., 2020).

Was ist
neu?                                                                            • Luftbilddaten werden durch weitere Datenquellen
   • In der Fernerkundung wird die visuelle Luftbild-                             (Satellitendaten, Laserscanning, Aufnahmen aus
     interpretation zunehmend durch automatisierte                                Drohnenbefliegungen) ergänzt.
     Verfahren ersetzt.
                                                                                • Methoden zur großflächigen Erfassung und Quanti-
   • Ein Schwerpunkt liegt auf der Nutzung regelmäßig                             fizierung ausgewählter Waldstrukturparameter
     erhobener und öffentlich verfügbarer digitaler                               ermöglichen flächendeckende Analysen auch
     Luftbilder.                                                                  über die Waldschutzgebietsgrenzen hinaus.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    29
30
4.2.3.3 Floristische und                            Die Aufnahmen der Artengruppen erfolgen
  faunistische Aufnahmen                              in ausgewählten Fokusflächen, zeitnah zu den
                                                      Waldstrukturaufnahmen und auf repräsentativen
  Ein langfristiges Ziel der Waldschutzgebietsfor-    Flächen der jeweiligen Prozessschutzgebiete. Der
  schung ist es, die Entwicklung nicht bewirtschaf-   Standort der Aufnahmegeräte bzw. Fallen wird
  teter Wälder im Hinblick auf die Lebensraumeig-     an den Stichprobenpunkten der Waldstrukturauf-
  nung für Tier- und Pflanzenarten zu untersuchen     nahme orientiert, um Zusammenhänge zwischen
  und diese mit bewirtschafteten Wäldern zu           Waldstrukturen und Artvorkommen abbilden
  vergleichen. Dafür bedarf es systematischer und     zu können. Wenn Vergleichsflächen im bewirt-
  umfangreicher faunistischer und floristischer Er-   schafteten Wald untersucht werden, sollten diese
  fassungen.                                          im Hinblick auf Standort und Waldgesellschaft
                                                      ähnliche Verhältnisse aufweisen.
  Der Schwerpunkt liegt dabei auf Artengruppen,
  die verschiedene Anspruchstypen in Bezug auf        Der Aufbau des floristischen und faunistischen
  Waldlebensräume und Waldstrukturen reprä-           Monitorings in Bannwäldern erfolgt in enger
  sentieren und aus denen die Waldzielarten der       Kooperation mit bestehenden und derzeit ent-
  Gesamtkonzeption Waldnaturschutz ausgewählt         wickelten, landesweiten Monitoringprogrammen
  wurden (BRAUNISCH et al., 2020). Hierzu zählen      für einzelne Artengruppen im Wald. Damit soll
  Gefäßpflanzen, Moose, Pilze, Flechten, holz-        eine Vergleichbarkeit der Daten erreicht werden,
  bewohnende Käfer, Tagfalter und Widderchen,         die es ermöglicht, Veränderungen von Klima oder
  Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugetiere, mit     Waldnutzung auf die Waldbiodiversität zu quanti-
  einem Schwerpunkt auf Fledermäuse.                  fizieren.

Was ist
neu?

  • Das Waldschutzgebietsmonitoring wird in ausge-    • Es werden Vergleichsdaten aus bewirtschafteten
    wählten Fokusflächen durch floristische und         Vergleichsflächen erhoben.
    faunistische Aufnahmen ergänzt.
                                                      • Langfristig sollen ausgewählte Prozessschutz-
  • Ein Schwerpunkt liegt auf den Artengruppen          flächen als Stichprobenflächen in ein umfassendes
    des Waldzielartenkonzeptes der Gesamt-              Biodiversitätsmonitoring aufgenommen werden.
    konzeption Waldnaturschutz von ForstBW.

                                                                                                            31
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