Weniger, aber besser. Design in Frankfurt 1925 bis 1985: Das Frankfurter Zimmer Wandtexte Zeitstrahl - Museum ...

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Weniger, aber besser. Design in Frankfurt 1925 bis 1985:
Das Frankfurter Zimmer

Wandtexte Zeitstrahl

Das im deutsch-deutschen Krieg von 1866 siegreiche Preußen annektiert Kurhessen, Nassau und die
bis dahin freie Reichsstadt Frankfurt. Die Stadt verliert ihre politische Freiheit, erhält aber einen
deutlichen Industrialisierungs- und Modernisierungsschub. Dabei stehen weniger produktorientierte
Unternehmen im Mittelpunkt als vielmehr elektrotechnische, chemische und pharmazeutische.
Besondere Bedeutung haben jedoch die Frankfurter Schriftgießereien, die in Zeiten des Bleisatzes
eine neue Typografie weltweit etablieren.

Die sehr alte Handelstradition bleibt in Frankfurt wichtiger als die Produktion von Gütern.
Markenunternehmen bilden sich mit Ausnahme der Frankfurter Adlerwerke, ringförmig um die Stadt;
so Buderus und Leitz in Wetzlar, Thonet in Frankenberg, Horex-Motorräder in Bad Homburg, e-15 in
Oberursel, die Sektkellerei Henkel in Wiesbaden, Opel in Rüsselsheim, Wella in Darmstadt, Goldpfeil
und Rowenta in Offenbach, serien lighting in Rodgau oder Koziol in Erbach.

Frankfurt ist dabei stets der Verhandlungsort neuer Ideen. Die Frankfurter Messen gehen bis in das
Mittelalter zurück. 1330 erhält Frankfurt das Recht zu einer zweiten Messe im Frühjahr. 1564
erscheint der Frankfurter Bücherkatalog. Es bildet sich eine Mentalität des Handelns und eben auch
des Verhandelns. Das betrifft nicht nur Güter und Geld, sondern auch Ideen. Als freie Reichsstadt ist
Frankfurt in seiner langen Geschichte keinem Fürstenwillen untertan, sondern definiert sich aus den
Ideen seiner Bürger. Die gründen 1912 eine eigene Stiftungsuniversität, die heute eine der größten
Universitäten Deutschlands ist.

Der Mitteldeutsche Kunstgewerbeverein entsteht 1877 als Reaktion auf die gesunkene
Gestaltungsqualität in Handwerk und Industrie. Eine Ausstellung mit historischen Vorbildern im
Palais Thurn und Taxis im Jahr 1875 hat eine überwältigende Resonanz und führt zur Gründung des
Vereins, der seit 1881 in der Neuen Mainzer Straße ein Museum, eine entsprechende Bibliothek und
eine Kunstgewerbeschule betreibt.

1898 reorganisiert der neue Eigentümer Georg Hartmann die 1837 gegründete Bauersche Gießerei
und gewinnt renommierte Entwerfer wie Lucian Bernhard oder Emil Rudolf Weiß. Sechs Jahre zuvor
gründet sich die Schriftgießerei Klingspor in Offenbach, die mit Peter Behrens, Otto Eckmann oder
Rudolf Koch zusammenarbeitet.

Ernst Ludwig, kunstsinniger letzter Großherzog von Hessen-Darmstadt und kulturpolitisch liberaler
Gegenpart zu seinem Cousin Kaiser Wilhelm II. in Berlin, beruft 1899 den Architekten und Designer
Joseph Maria Olbrich aus Wien sowie weitere Jugendstilkünstler nach Darmstadt, um mit der
Künstlerkolonie Mathildenhöhe einen sowohl kulturellen als auch wirtschaftlichen Impuls zur
Landesentwicklung zu geben. Der Maler Peter Behrens erhält hier erstmals Gelegenheit, auch als
Architekt tätig zu werden und die Grundlagen für seine spätere Tätigkeit als einflussreichster
deutscher Industriedesigner zu legen. Bis zum Ersten Weltkrieg werden vier große Ausstellungen zu
Architektur und Design ausgerichtet. Neben dem Frankfurter Kunstgewerbemuseum entsteht so ein
zweiter Ort zur Verhandlung der neuen Dingwelten.

Der Industriebau bildet eine Vorreiterrolle im Projekt Moderne. Hier wird vor anderen Bautypen und
 

vor der Produktgestaltung mit neuen, einfachen Formen eine zeitgemäße Gestaltung evaluiert. Peter
Behrens, mittlerweile Chefdesigner der AEG in Berlin entwirft das 1911 errichtete Gaswerk Ost in
Frankfurt aus den rein stereometrischen Elementen Würfel und Zylinder. Dem folgen zahlreiche
Industriebauten im Neuen Frankfurt, so 1928 die Großmarkthalle von Martin Elsässer oder die Kokerei
im Osthafen und das Prüfwerk 6 von Adolf Meyer.

Nietzsches Begriff des Überhistorischen führt zu Bauten, die sich in der Geschichte stehend, aber
gleichzeitig innovativ und eigenständig definieren: die Möbelfabrik Alter in Darmstadt, das Kohlensilo
zum Gaswerk in Hanau, die Lederfabrik Epstein in Frankfurt-Niederrad, der Henkel-Bau von Paul
Bonatz in Wiesbaden, der Merck-Turm von Friedrich Pützer in Darmstadt oder der Neubau des
Generalanzeigers in Frankfurt. Auch hier muss das ganze Rhein-Main-Gebiet gesehen werden.

Der 1903 in Berlin gegründete, gewerkschaftlich orientierte Bildungsverband der Deutschen
Buchdrucker wird in den 1920er Jahren zu einem Protagonisten der neuen Typographie und publiziert
sowohl erstmals den Schriftpionier Jan Tschichold mit seiner „Neuen Typographie“ als er auch 1929
das Buch „Grundsätzliches zur neuen Typographie“ des Vorsitzenden des Kreises Frankfurt des
Bildungsverbandes, Philipp Albinus, herausgibt. Der Frankfurter Setzermeister ist auch Fachlehrer in
der Klasse für Gebrauchsgrafik von Willi Baumeister an der Kunstschule und ein begeisterter
Sammler von Akzidenzien. Diese sogenannten Gelegenheitsdrucke wie Briefbögen, Karten,
Prospekte oder Werbematerialien befinden sich als Sammlung Albinus in den Beständen des
Museum Angewandte Kunst.

1924 gründet der Bildungsverband die Büchergilde Gutenberg in Leipzig, die sich seit 1947 in
Frankfurt befindet und besonderen Wert auf sehr gut gestaltete Bücher legt. Nach 1945 entsteht mit
der Frankfurter Buchmesse die größte Bücherschau weltweit und 1965 gründen der Börsenverein des
Deutschen Buchhandels, die Deutsche Bibliothek und die Stadt Frankfurt die Stiftung Buchkunst, die
in einem jährlichen Wettbewerb die am besten gestalteten Bücher auszeichnet. Stadt des Buches
war und ist Frankfurt allemal, dies auch hinsichtlich der Buchgestaltung.

1913 entwickelt Oskar Barnack bei den optischen Werken Leitz in Wetzlar die erste Kleinbildkamera,
die seit 1924 als Leica I auf den Markt kommt. Eine ganz neue Fotografie entsteht, die nicht mehr auf
Standbilder angewiesen ist. Ilse Bing und Paul Wolff werden zu bedeutenden Leica-Fotografen in
Frankfurt, nach 1945 sind es Marta Hoepffner, Barbara Klemm, Abisag Tüllmann oder Will McBride.

Die Kunstschule Frankfurt entsteht 1923 durch die Übernahme der Kunstgewerbeschule und der
Städelschule durch die Stadt Frankfurt und wird zu einer zentralen Institution des Neuen Frankfurt.
Der Kunsthistoriker Fritz Wichert ist als Direktor Pendant zum Architekten Ernst May und
intellektueller Motor für die Designdiskussion. Er beruft unter anderem 1924 Erich Lisker für die
Textilklasse, 1925 den Werkmeister der Metallwerkstatt am Bauhaus, Christian Dell, 1925 / 26 Paul
Renner aus München für Werbegrafik und Typografie, 1927 Franz Schuster aus Wien für
Innenausstattung und 1928 Willi Baumeister als Nachfolger von Renner. Die Leiterin der Modeklasse,
Margarete Klimt, besaß erstklassige internationale Kontakte, z.B. zu Chanel und Sonja Delaunay in
Paris. Freie Kunst unterrichteten Max Beckmann und Richard Scheibe. Man sieht sich durchaus auf
Augenhöhe mit dem Bauhaus.

Nach Berlin und Leipzig entsteht als einer der frühesten deutschen Sender, Radio Frankfurt und wird
seit 1924 von dem erst 27 jährigen Gründungsintendanten Hans Flesch geleitet, der sich selbst als
„modern bis in die Fingerspitzen“ bezeichnet. Flesch betrachtet das neue Medium als
Herausforderung und gibt vielen unkonventionellen Positionen Raum zum Experiment. Er selbst
schreibt das erste deutsche Hörspiel. Bereits in den frühen Sendungen lässt er das selbe
Musikstück in unterschiedlichen Räumen und mit unterschiedlichen Mikrofonkonstellationen
 

aufführen und senden. Ein zentrales Thema aller Medientheorien, die Bedeutung der technischen
Apparatur für die Rezeption, wird damit in der Praxis vorgeführt.

Im Rundfunkzyklus „Gedanken zur Zeit“, u.a. konzipiert von dem Direktor der Kunstschule Fritz
Wichert sprechen May, Wichert, Le Corbusier, Gropius oder van de Velde über neues Wohnen und
Bauen. Sowohl die moderne Sportreportage als auch akademische Streitgespräche finden hier ihre
ersten Formate. Und auch die Neue Musik, die in Frankfurt mit Paul Hindemith einen herausragenden
Vertreter besitzt, erhält breiten Raum im Radio Frankfurt.

Design im städtischen Hochbau- und Siedlungsamt des Dezernenten Ernst May ist mehr als nur eine
Assistenztätigkeit zum Siedlungsbau. In Frankfurt geht es um einen ganzheitlichen Ansatz, bei dem
nicht nur die Kubatur der neuen Wohnungen, sondern auch ihre Ausstattung und darüber hinaus das
ganze städtische Umfeld neu definiert werden sollen. So leitet Ferdinand Kramer die Abteilung für
Typisierung. Dieses zentrale Thema der Gestaltungsmoderne macht Vorschläge von den Möbeln bis
hin zum Türdrücker. Zusammen mit Franz Schuster entwirft er Systemmöbel sowohl für die neuen
Wohnungen als auch für Kindergärten. Schließlich kommt der langjährige Partner von Walter Gropius,
der Architekt Adolf Meyer, im Jahr 1926 als städtischer Baurat und Leiter der Bauberatung nach
Frankfurt

Die Wiener Architektin Margarete Lihotzky, erste Österreicherin mit abgeschlossenem
Architekturstudium, kommt 1926 in das Team des neuen Frankfurt und wird zur Spezialistin für die
Küchen der Neubauten. Die nach den Prinzipien des Taylorismus entwickelten, effizienten Frankfurter
Küchen werden in mehr als 10.000 Exemplaren gefertigt.

Anlass für das Frankfurter Gestaltungsprojekt ist ein eklatanter Mangel an Wohnraum, vor allem für
die geringer verdienenden Bewohner der Stadt. In nur fünf Jahren entstehen 12.000 Wohnungen im
Stil des Neuen Bauens, was über 10 Prozent des Gesamtwohnraums entspricht. Die meisten der als
Trabantenstädte gebauten Großsiedlungen haben mehr als 1.000 Wohneinheiten.

Die neuen Wohnungen sind mit ihren geringeren Volumen und Deckenhöhen für die großen und
schweren Möbel des Historismus gar nicht mehr geeignet. Es gilt also auch entsprechend neue
Ausstattungen zu entwerfen, die hell, klar, geometrisch und ornamentlos sein sollen und zwar „vom
Sofakissen bis zum Städtebau“, wie es der Initiator des Deutschen Werkbundes, der Architekt
Hermann Muthesius, schon 1912 für die neue Gestaltung fordert, wird auch in Frankfurt zum
Programm.

Den Frankfurter Protagonisten geht es nicht nur um Wohneinheiten, sondern um ein ganz neues
Verständnis von Stadt und von entsprechenden neuen Lebenswelten mit
Gemeinschaftseinrichtungen wie Großküchen, Zentralwäschereien oder Kindergärten. Die
Emanzipation der Frau steht dabei in vielen Bereichen im Vordergrund gestalterischer Überlegungen.

Seit 1926 ist Hans Leistikow Leiter des grafischen Büros der Stadtverwaltung und erneuert
sukzessive das Erscheinungsbild Frankfurts. 1930 wird sein konstruktivistischer Adler zum neuen
Stadtlogo. Für die visuelle Stadtraumgestaltung engagiert May den Kunsthistoriker, Grafiker, Maler
und Leiter des Kunstvereins Jena Walter Dexel, der im Hochbauamt eine Beratungsstelle für
Außenwerbung leitet und auch dort die Prinzipien der neuen Typografie umzusetzen sucht. Mit einer
„Reklameordnung“, die für den Außenbereich ausschließlich Grotesk-Schriften vorschreibt, will man
die werbende Wirtschaft auf die neue Ästhetik festlegen und den öffentlichen Raum ordnen und
strukturieren. Das ambitionierte Projekt findet jedoch nicht nur Zustimmung, sondern auch harsche
Kritik der Werbetreibenden, die sich zu eingeschränkt fühlen.
 

Paul Renner entwirft während seiner nur kurzen Tätigkeit in Frankfurt eine der wichtigsten Schriften
der Gestaltungsmoderne, die von der Bauerschen Gießerei in Frankfurt in die ganze Welt exportiert
wird. Die serifenlose Satzschrift Futura wird zur Ikone der neuen Typografie. Sie wird bis heute für das
Corporate Design von Volkswagen benutzt und auch der Regisseur Stanley Kubrick verwendete sie
für seine Filme.

1927 initiiert Kurt Schwitters in Hannover zusammen mit Lázlo Moholy-Nagy in Dessau und Willi
Baumeister in Frankfurt den Ring neuer Werbegestalter. Auch die Frankfurter Gestalter Robert Michel,
Walter Dexel, Hans Leistikow und Adolf Meyer sind Mitglieder des fortschrittlichen Rings.

Das Weimarer und Dessauer Bauhaus und das Neue Frankfurt stehen in vielfältiger Beziehung. Bei
der Gründung 1919 in Weimar nimmt Walter Gropius Positionen des Werkbundes und der
Arbeitsrates für Kunst auf und transformiert sie in ein pädagogisches Konzept für seine Schule, was
für die Frankfurter Kunstschule wiederum zum Vorbild wird. Andererseits ist das Frankfurter Projekt
sehr viel breiter vernetzt und hat einen stärkeren Bezug zur Praxis. Was in Weimar und Dessau im
Laborbetrieb läuft und sich mehr auf Grundsätzliches und Theoretisches als auf Konkretes bezieht,
das findet in Frankfurt eine tatsächliche Anwendung und eine Resonanz durch die vielfältigen
Probleme der Realisation und die Reaktionen der Nutzer. Ein ähnliches Verhältnis besteht nach 1945
zwischen der theoriegetriebenen HfG Ulm und der praxisorientierten Firma Braun. Design als
Prozess geht dabei immer über die Theorie und das Labor hinaus und formuliert sich erst in der
Anwendung vollständig aus.

Das Bauhaus hat einen konkreten Beginn (das 1. Bauhausmanifest von Gropius) und ein ebenso
konkretes Ende (die Selbstauflösung in Berlin 1933). Das Neue Frankfurt ist in dieser Hinsicht eher
amorph, d.h. nicht auf Ereignisse konkretisierbar und hat nicht den Nimbus der Geschlossenheit wie
das Bauhaus oder die Großausstellungen des Werkbundes in Köln 1914 oder in Stuttgart 1927.
Nichtsdestoweniger hat sich auch hier eine starke, eigenständige Gestaltungshaltung definiert.

Der „Sommer der Musik“ und die Ausstellung „Musik im Leben der Völker“ ist der Versuch, die
konstruierte Feindschaft zwischen Deutschland und Frankreich durch ein konstruiertes Kulturereignis
aus Ausstellungen und Konzerten aufzulösen. Ferdinand Kramer entwirft dazu eigens einen Flügel
der heute im Historischen Museum zu besichtigen ist. Die Eröffnung am 29. Juni 1927 findet in
Gegenwart des deutschen Außenministers Gustav Stresemann und des französischen
Kulturministers Édouard Herriot statt.

1929 zeigt das Kunstgewerbemuseum die vom Württembergischen Gewerbeamt aus Stuttgart
übernommene aber deutlich erweiterte Ausstellung „Der Stuhl“, bei dem zeitgenössische Sitzmöbel
mit Bildern von Mondrian, Leger und Baumeister kombiniert werden. Die von der Kunstschule, dem
städt. Hochbau- und dem Wirtschaftsamt veranstaltete Präsentation steht unter dem Motto „Das
Publikum wird gebeten auf den Stühlen Platz zu nehmen“. Kuratoren sind Ferdinand Kramer, Franz
Schuster und Mart Stam. Wiechert und Gantner von der Kunstschule sehen die Ausstellung als
Anregung, um ein „Museum der Gegenwart“ zu initiieren, das im Folgenden ausführlich in der
Zeitschrift „Das Neue Frankfurt“ diskutiert wird. Hierbei geht es sowohl um das zukünftige
Selbstverständnis von Museen, als auch um die Forderung, ganz neue Ausstellungsformate zu
erfinden. In kleinen, mobilen Ausstellungen solle etwa die Bevölkerung mit Themen der neuen
Gestaltung konfrontiert werden.

1930 erhält Ernst May aus der Sowjetunion das Angebot, zum Chefplaner neuer Industriestädte in
Sibirien zu werden. Mit 37 Mitarbeitern, darunter Mart Stam, Margarete Schütte-Lihotzky und Hans
Leistikow geht die Brigade May noch im selben Jahr nach Russland und entwirft
Generalbebauungspläne für mehrere Städte, u.a. auch eine Stadterweiterung für Moskau. Die
 

Aufbruchstimmung wird jedoch schon bald von der stalinistischen Kulturbürokratie abgelöst, die
keinen Sinn mehr für die neue Gestaltung hat.

Im Frühjahr 1933 übernehmen die Nationalsozialisten die Macht in Frankfurt. OB Landmann muss
zurücktreten und geht ins niederländische Exil. Fast alle Institutsleiter, Lehrer und Gestalter werden
entlassen oder beurlaubt, so auch die Leiterin der Modeklasse, Margarete Klimt. Wenig später
jedoch beschließt der neue nationalsozialistische Oberbürgermeister die Gründung eines
Modeamtes und beruft die Designerin erneut. Klimt soll und kann hier „Hochmode“ entwerfen, die so
gar nicht dem Klischee des nationalsozialistischen Frauenbildes entspricht, aber auch der
Vertreibung des jüdischen Anteils in der Modebranche bezweckt. Klimt erkennt erst spät, auf
welchen faustischen Pakt sie sich eingelassen hat und geht während des Krieges zurück in ihre
österreichische Heimat, um sich dem Widerstand anzuschließen.

Ferdinand Kramer, im Neuen Frankfurt zuständig für Typisierung, geht 1938 ins US-amerikanische
Exil und baut sich erfolgreich eine neue Existenz als Architekt und Designer auf. Seine „Knock
down“ Möbel, die Siedlungsbauten für das ebenfalls emigrierte Frankfurter Institut für
Sozialforschung, die Inneneinrichtungen oder sein Papierregenschirm „Rainbelle“ machen ihn
bekannt.

Als nach dem Krieg der nach Frankfurt zurückgekehrte Soziologe Max Horkheimer Präsident der
Goethe-Universität wird, bietet er Kramer die Stelle des Universitätsbaumeisters an. 1952 kehrte er
nach Frankfurt zurück und entwirft mit einem engagierten Team insgesamt 23 Neubauten
einschließlich der kompletten Innenausstattung von der Möblierung bis zum Türdrücker.

Auch Hans Leistikow versucht nach 1945 seine alte Stellung als städtischer Drucksachengestalter
wieder einzunehmen, trifft aber bei den Nachkriegspolitikern auf keinerlei Resonanz mehr. 12 Jahre
Nationalsozialismus haben nicht nur die Gestaltungshaltung des Neuen Frankfurt verschüttet,
sondern auch den Glauben an die große Vision. Moderne geschieht in Frankfurt nun woanders.

Hans Leistikow wird Professor an der Staatlichen Werkakademie Kassel und begründet hier eine
legendäre Plakatschule, der Jan Lenica, Hans Hillmann oder Gunter Rambow angehören. Der Bezug
zu Frankfurt aber bleibt. Auch der dokumenta Gründer Arnold Bode hat enge Kontakte zu Frankfurt.
1956 initiiert er die private Göppinger Galerie im Neubau des Architekturbüros Otto Apel in der
Berliner Straße, die er selbst mit Designausstellungen auf Museumsniveau kuratiert. Neben dem
Jazzkeller wird sie zum Treffpunkt der jungen Frankfurter Gestaltungsavantgarde.

Nach 1945 wird zunächst Darmstadt zum Zentrum moderner Gestaltung. Seit 1950 finden jährlich die
themenbezogenen, hochkarätigen Darmstädter Gespräche, meist in Zusammenhang mit einer
Ausstellung statt; so 1951 zum Thema Mensch und Raum und unter Teilnahme fast aller bedeutenden
Nachkriegsarchitekten.

Hier wird 1953 der Rat für Formgebung gegründet und ein Jahr zuvor unter dem Vorsitz Ludwig Prinz
von Hessen das Institut für Neue Technische Form. Auch das Generalsekretariat des wieder
begründeten Deutschen Werkbundes entsteht in Darmstadt. 1986 bzw. 1987 siedeln sowohl der
Werkbund als auch der Rat nach Frankfurt über, das nun zunehmend zum Zentrum von
Designinstitutionen wird. 1984 eröffnet das Deutschen Architekturmuseum, die Städt. Galerie im
Karmeliterkloster widmet sich ab 1989 ebenfalls dem Design, vor allem dem Grafikdesign, von 1989
bis 1995 gibt es die Veranstaltungs- und Ausstellungsreihe „Design Horizonte“ und seit 2002 das
Lichtfestival „Luminale“. Der Werkbund Hessen hat seinen Sitz in Frankfurt und 1989 wird hier der
„Deutsche Designer Club“ gegründet. Und seit 1994 verfügt das Museum Angewandte Kunst über
eine eigene Designabteilung.
 

Schon in den 1920er Jahren besitzt die Frankfurter Musikhochschule die erste Jazzklasse
Deutschlands. Während des Nationalsozialismus studieren Emil Mangelsdorff und der Trompeter
und Musiktheoretiker Carlo Bohländer in Frankfurt Musik und kommen zum von den Nazis verpönten
Jazz. Bohländer eröffnet 1952 den ersten deutschen Jazzkeller, das „domicil du jazz“ in Frankfurt. Bis
in die 1970er Jahre ist er nicht nur Treffpunkt der Musiker, sondern auch der Bildenden Künstler,
Architekten, Grafiker und Produktdesigner. Der Jazz wurde durch die zahlreichen Clubs der
amerikanischen Besatzungstruppen, durch Konzerte der US Jazzgrößen und durch das 1951
gegründete Deutsche Jazzfestival zu einer bestimmenden Frankfurter Kulturgröße. Gleichzeit war er
auch das verschleifende Medium für die „Kreativwirtschaft“ im Rhein-Main-Gebiet. Erwin Braun, Fritz
Eichler und die Designer um Dieter Rams sind zu dieser Zeit begeistert vom Cool-Jazz, der nach der
Marschmusik des „Dritten Reichs“ wie eine Offenbarung für eine neue Zeit wirkte. Und auch die HiFi
Entwicklung des Frankfurter Unternehmens wird durch die Jazz-Szene durchaus mitmotiviert.

1954 beginnen die jungen Eigentümer der 1921 gegründeten Firma Radio Braun ihr
Gestaltungsexperiment, das zur bedeutenden Innovation im deutschen Design der 2. Hälfte des 20.
Jahrhunderts werden soll. Zunächst in Zusammenarbeit mit den ehemaligen Bauhausschülern
Wilhelm Wagenfeld und Herbert Hirche, dann mit der HfG Ulm und schließlich mit einer eigenen
Designabteilung um Fritz Eichler und Dieter Rams, entsteht bis 1961 eine Art Designlabor. Durch eine
intensive Zusammenarbeit aller – Techniker, Designer, Kaufleute und einer verständigen
Unternehmensleitung – entsteht eine Designhaltung, welche die Maschinenästhetik im
Industriedesign überwindet und zu einer Art eleganter, aber immer funktionsorientierter Zivilästhetik
weiterentwickelt. Es ist vor allem Dieter Rams, von 1961 bis 1995 Chefdesigner von Braun, der diesen
Designprozess über fast vier Jahrzehnte entwickelt und steuert. So entsteht eine umfangreiche und
unverwechselbare Designleistung mit mehreren Hundert Entwürfen von höchster Qualität. Braun wird
in den 60er und 70er Jahren zum Synonym für deutsches Design.

Der Verleger Siegfried Unseld entwickelt mit dem Grafiker Willy Fleckhaus ab 1959 ein völlig
neuartiges Erscheinungsbild für den Frankfurter Suhrkamp Verlag. Auftraggeber und Gestalter
begeben sich dabei in einen dialektischen Prozess auf Augenhöhe, der nicht nur vom Ergebnis,
sondern auch von seinem Prozesscharakter beispielhaft für das Grafikdesign wird. Die Reihen
„Bibliothek Suhrkamp“ und „edition suhrkamp“ bleiben gestalterisch über Jahrzehnte unverändert
erfolgreich.

1959 gründen Niels Wiese Vitsoe und Otto Zapf ein Möbelunternehmen, das sich ausschließlich den
Entwürfen von Dieter Rams widmet. Sein Regalsystem 606 wird seit 1960 ununterbrochen hergestellt
und nach wie vor mit großem Erfolg verkauft. Auch das MoMA New York hat es in seiner ständigen
Sammlung. Dem Sessel 620 hat ein deutsches Gericht künstlerisches Urheberrecht bescheinigt,
eine Bewertung die gerade einmal eine Handvoll von Produkten für sich beanspruchen kann. Heute
besteht die Firma vitsoe Ltd in London und ist mit weiteren showrooms in New York, San Francisco,
Tokyo und München vertreten. Die Möbel von Dieter Rams bilden das herausragende Beispiel für ein
funktionierendes Langzeitdesign.

Der HfG Absolvent und Braun-Designer Richard Fischer wird 1968 Professor an der HfG Offenbach.
Aus seiner Beschäftigung mit den Anzeigefunktionen im Industriedesign und in bewusstem Bezug zu
Ulm entwickelt die Schule ein semantikorientiertes Vorgehen als Theorie der Produktsprache aus,
das zunächst vor allem einer postmodernen Haltung Vorschub leistet, aber auch noch ganz neue
Potentiale entwickeln kann.

Ähnlich wie mit dem produzierenden Gewerbe verhält es sich mit der Designausbildung in Frankfurt.
Alle Schulen befinden sich nicht in, sondern dicht um Frankfurt herum: in Offenbach, Darmstadt,
 

Mainz und Wiesbaden. So entsteht keine Hierarchie zwischen Zentrum und Peripherie, sondern eine
Tableau von Möglichkeiten, das sich graduell unterscheidet, sich aber auch untereinander verbindet.

Volker Fischer, Kurator und stellvertretender Direktor am Deutschen Architekturmuseum stellt 1988
die Ausstellung „MASSTÄBE - DESIGN HEUTE“ zusammen, die sowohl einen Überblick zum
zeitgenössischen Design als auch zu seiner Kontextualisierung gibt und das Thema erstmals wieder
mit großer Öffentlichkeitswirksamkeit vorstellt. Von 1994 bis 2012 entwickelt und betreut er die
Designsammlung des Museums Angewandte Kunst.

                                                                               Prof. Dr. Klaus Klemp
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