Wie die Hagnauer Anno 1880 und 1963 als erste den zugefrorenen Bodensee überschritten
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Wie die Hagnauer Anno 1880 und 1963 als erste den zugefrorenen Bodensee überschritten Friedrich Meichle, Hagnau Badische Heimat 46 (1966), S. 175 - 186 - Reprint 2013 Hagnau mit seiner Eisprozession nach Münsterlingen am 12. 3. 1963. phot. F. Thorbecke Inmitten der schönen gärtnerischen Anlagen Dr. Heinrich Hansjakob, wie er für dieses bei der Landebrücke von Hagnau am Boden- Denkmal eine Inschrift verfassen sollte, er aber see kündet ein wuchtiger Felsblock von der dem Konstanzer Münsterpfarrer Bru- gier den kühnen Tat der neun jungen Hagnauer, die im Auftrag übertrug. Die Inschrift lautet: Februar 1880 als erste den Marsch über den „Als Anno dreißig brach das Eis, zugefrorenen See wagten. Der Findling war Entfloh ich meinem Wassergrab, bei der Seegefrörne 1830 unter fürchterlichem Ruht’ aus am Dorfbach fünfzig Jahr’. Getöse durch die Kraft des Eises ans Ufer ge- Wer jetzt den Ehrenplatz mir gab? schoben worden. Fünfzig Jahre später wurde Lies hier die neun, die Unverzagten, er als Denkmal auf dem Löwenplatz aufgestellt Die heuer übern See sich wagten . . .“ und gelangte nach Überdeckung des Dorfba- ches an seine heutige Stelle. Wie im einzelnen die Überquerung der sieben Kilometer breiten Eisfläche verlief, schildert Im Kapitel „Mein Sakristan“ seiner „Schneebal- der folgende Bericht, den in ge- len“ (3. Reihe) schildert Pfarrer 175
stochener Schrift ein vierzehnjähriges Schul- Rupert Ehrlinspiel abgelöst. Beim nächsten mädchen nach der Erzählung eines Teilneh- Halt erklärte dieser, das Eis sei nur einen Zoll mer niedergeschrieben hat: Allenthalben liest stark, doch nach neun Meter käme wieder star- man heute vom Überschreiten des Bodensees kes Eis; denn es habe Duft. Wo Duft war, war durch Hagnauer zwischen hier und Altnau im das Eis tragfähig. Kaum aber hatte er auf den Kanton Thurgau, welche einen Tag früher als Ruf des Kompaßhalters zum Weitermarsch alle ändern die Eisfläche überschritten haben drei Stöße mit seinem Spieß gemacht, als er auf der Seebreite, wo vorher kein Mensch zu einbrach und bis an die Ohren im eiskalten wandeln wagte. Daher ist es auch für Nich- Wasser versank. tuferbewohner von Interesse, von dem weiten Dank der Hopfenstange konnte ihn der Verbin- Weg zu hören, den jene zurücklegten. dungsmann festhalten, und nach einer Minute Am Samstag, den 7. Februar, brachen die neun war der Eingebrochene wieder auf dem festen um 10 Uhr 25 Minuten trotz der Tränen von Eis. Hier zog er sich bei 5 Grad Reaumur un- Frau und Kindern auf. Der die Spitze Führende ter Null im dichten Nebel nackt aus. Was die zog an einem drei Meter langen Seil eine Hop- Gefährten ihm an trockenen Kleidern abtreten fenstange. Hinter ihm kam der Verbindungs- konnten, zog er auf dem Eise an. Nun gingen mann, die ändern sieben folgten im Abstand sie 70 Schritte zurück und beratschlagten, was von 10 bis 15 Schritten, ausgerüstet mit einem zu tun sei. Wieder hieß die Losung „Vorwärts!“ 50 Meter langen Seil, mit einem Kompaß und Unter Preysings Führung bogen sie 100 Schritt einer langen Feiter. Jeder einzelne trug ferner auf festes Eis rückwärts und mit derselben Si- einen Spieß d. h. Stange mit einem eisernen cherung nach Westen aus. Alsbald gelangten Haken. Anfänglich begleitete eine Menge Neu- sie auf ein 4—5 Zoll starkes Eisfeld, das wie gieriger die Wagemutigen. Als sie aber über feingeschliffener, getupfter Marmor aussah die „Halde“ (Übergang von dem flachen Ufer- und da und dort Übergänge von gestauten Eis- streifen zum Seekessel) kamen und unter dem platten zeigte. Wieder peilten sie mit dem Kom- Eis die nachtdunkle Tiefe drohte, verloren sich paß ihr Ziel an und kamen, eine halbe Stunde die Begleiter rasch. Die neun spießten hurtig schleifend, so rasch voran, daß ein Pferd hät- weiter, von dichtem Nebel umhüllt. Man konnte te traben müssen, um mitzuhalten. Sie legten nicht weiter als 50 Schritte sehen. Das Eis war eine erneute Pause ein, als die Uhr 12,25 zeig- glatt wie geschliffenes Glas, und rabenschwarz te. Schon hörten sie vom Schweizerufer die lag über 200 Meter tief darunter der Seegrund. Eisenbahn fahren und die Leute drüben rufen. Von Zeit zu Zeit wurde haltgemacht, der Kom- Voll Freude stießen sie weiter vor, stets das Eis paß, welcher von Anselm Meichle geführt wur- auf seine Stärke abtastend. Im Nebel tauchte de, in der Richtung der gegenüberliegenden ein Mann auf. Als sie auf ihn zuhielten, trafen Schweizer Ortschaft Altnau angeschlagen. sie plötzlich auf ein Hindernis. Wasser stand in Das Kommando hieß „Weiter gerade aus!“, einem etwa 20 Meter breiten Kanal zwischen und wenn es das Eis erlaubte, „Etwas links!“ den Eisflächen und wehrte den Weitermarsch. So ging es 400—500 Meter vorwärts. Bald Sie gingen dem Kanal in Richtung Romans- wurde die Richtung wieder nachgeprüft. Als horn entlang und suchten einen Übergang. sie etwa ein Drittel der Seebreite zurückge- Vergeblich. Schließlich kehrten sie an die Aus- legt hatten, wurde der spitzeführende Andreas gangsstelle Preysing von 176
zurück. Dort, wo sie die Gestalt im Nebel er- blickt hatten, versuchte Anselm Meichie auf der Leiter über eine dünn vereiste Stelle zu gelangen, und beinahe hatte er das feste Eis erreicht, als er mit der Leiter durchbrach. Diese richtete sich mit dem Durchnässten im Wasser zu halber Höhe auf, aber rasch hatten ihn die ändern auf das feste Eis zurückgezogen; weil er seine Handschuhe verloren hatte, kroch er nochmals ins Wasser, fischte sie heraus und kletterte auf der Leiter zurück. An einer anderen Stelle versuchte Ferdinand Model einen Übergang zu finden. Er war schon auf festem Eis und rief: „Kameraden, der Sieg ist unser!“, da brach er ein und wurde von den Nächststehenden gerettet. Beide kleideten sich auf dem Eise aus und zogen die trockenen Sachen an, welche die Kameraden entbehren konnten. Fast eine Stunde lang schritten sie dem Kanal entlang, ohne ein Ende zu finden. Inzwischen war eine Menge Neugieriger vom Schweizerufer an den Rand des Kanals herzu- gekommen. Diese schoben, als alle Versuche Denkstein des Seeüberganges 1880 der Überquerung gescheitert waren, eine Gon- del auf dem Eis heran und setzten die neun Eisgänger über. Bald betraten sie Schweizer- an. Dieser verlief ohne jeden Unfall, nur hatten boden, sie wurden nach Altnau geleitet, gast- sie wieder gegen den heimtückischen Nebel lich aufgenommen und aufs beste bewirtet. zu kämpfen. Das ganze Unternehmen hatte sechs Stun- Um einhalb zwei Uhr nachmittags trafen sie den gedauert. Den in Sorge schwebenden glücklich und wohlbehalten, begrüßt von einer Angehörigen meldete ein Telegramm, das von großen Menge, in ihrem Heimatdorf ein. Im Meersburg durch einen Boten nach Hagnau nahen Wirtshaus von Johann Zeller (dem heu- gebracht wurde, die geglückte Überquerung tigen „Seegarten“), wurde ein großes Freuden- des Sees und zeigte ihre Rückkehr für den fol- fest gefeiert. Aber schon um drei Uhr kam die genden Tag an. Trauerkunde, daß Georg Ainsers achtjähriger Bub 200 Meter von der Schiffslände entfernt Diese war erheblich leichter, da während der eingebrochen und ertrunken sei. Nacht viele der offenen Stellen sich geschlos- sen hatten. Begleitet von acht Altnauer und Die Namen der „Neun Unverzagten“, die auf zwei Kesswiler Bürgern, traten die Hagnauer dem Denkstein am Hagnauer Dorfeingang ver- Eisläufer um 3/4 elf Uhr den Rückmarsch mit zeichnet sind, heißen: Stephan Dimmeler, Ru- den gleichen Sicherungen und auf der glei- pert und Stephan Ehrlin- spiel, Polikarp Frei- chen Bahn wie tags zuvor heit, Johann Gyger, Anselm Meichie, Ferdin- and Model, Andreas und Gebhard Preysing. 177
teils trieb er sie den See hinauf, so daß er vom Eise befreit schien. Am 19. Februar konnten die Dampfschiffe zwar mit Mühe Meersburg erreichen. Am 20. 2. fuhr das bayrische und württembergische Dampfboot, die seit dem 4. Februar im Konstanzer Hafen lagen, in ihren Heimathafen zurück. Vom 21. ab wurden die Fahrten auf dem Obersee wieder fahrplanmä- ßig ausgeführt. 50 Jahre früher hielt die Seegefrörne bei an- dauernder Windstille und hohen Kältegraden wochenlang an, so daß das Eis eine zuver- Bodensee-Übergang, die I. Gruppe lässige Tragfähigkeit erlangte. Auch damals waren zwei Hagnauer die ersten, welche über das Eis nach Altnau gingen, Sie wurden mit Dass nach diesem geglückten Gang über das Denkmünze und Zeugnis für ihren Mut geehrt. Eis der schöne Brauch der Eisprozession nicht Der eine von ihnen, und zwar der erste, der wieder erneuert und das Bildnis des hl. Johan- drüben ankam, war Johann Wegis, genannt nes Evangelista in der Hagnauer Kirche von Prinz Hanne, dessen Reckentum Hansjakob niemand abgeholt wurde, liegt nicht, wie es bewundernd schildert. Hansjakob beklagt, daran, dass er in Verges- senheit geriet, sondern daß der Obersee nicht Beinahe hätte der alte Volksglaube recht be- so fest zugefroren war, dass die Eisprozessi- halten, daß alle fünfzig Jahre der Bodensee on ohne Gefahr für die zahlreichen Teilnehmer zugefriert. Denn der Polarwinter von 1929 ließ hätte unternommen werden können. Denn weite Buchten und Uferstreifen im Eis erstar- schon am nächsten Tag, dem 9. Februar, wur- ren. Der Untersee, dessen mittlere Tiefe nur de bei hellem Sonnenschein das Eis hin- und 28 Meter beträgt, war ganz zugefroren, aber hergetrieben, daß es ganze Kanäle gab. Die heftige Winde verhinderten, daß sich das Eis- gestern anekommenen Schweizer getrauten fenster über dem Überlinger See und dem sich nicht mehr über das Eis an ihr heimatli- Obersee schloß. ches Ufer. Sie marschierten nach Meersburg, So vergingen seit der letzten Gfrörne 83 Jahre, gingen von da übers Eis nach Staad, wander- bis das große Eis wieder kam. Schon in den ten nach Konstanz und erreichten mit der Ei- letzten Dezembertagen 1962 hatte eine unun- senbahn ihren Heimatort. terbrochene Kälte die Straßen vereist und Fuß- Von Hagnau wagte sich niemand mehr wei- gängern wie Kraftfahrern das Leben schwer ter hinaus aufs Eis. Dagegen sah man um die gemacht. Mitte Januar wurden auf dem Un- Mittagsstunde, wie ein Mann auf Schlittschu- tersee Übergänge zwisehen der Mettnau und hen in größter Eile aus Richtung Güttingen der Höri sowie zwischen der Insel Reichenau auf den Landungssteg von Schloß Kirchberg und Allensbach abgesteckt. Zehn Tage später zufuhr, plötzlich einbrach und verschwand. schloß sich die Eisdecke im westlichen Teil des Es war unmöglich, ihm Hilfe zu bringen. Eine Überlinger Sees. Nach erneutem Temperatur- Woche blieb das Wetter und die Eisfläche fast rückgang auf -11 Grad C verstärkte sich das immer gleich. Dann kam ein starker Nordwest- Eis und dehnte sich weiter aus, so dass die wind, häufte die Eisplatten teils am Ufer auf, Wasservögel, auf wenige offene Wasserstel- 178
len zusammengedrängt, in große Not gerieten. Am 1. Februar wurde der Schiffsverkehr zwi- schen Überlingen und Dingelsdorf eingestellt. Am gleichen Tag überschritten drei Burschen zum ersten Male den Überlinger See auf die- ser Strecke. Am 5. Februar kam auch auf dem Obersee der Schiffsverkehr zum Stillstand. Nur die beiden Fähren zwischen Konstanz— Meersburg und Friedrichshafen—Romanshorn setzten, wenn auch mühsam und unter Behinderungen, ihre Fahrten fort. Die Seeüberschreitung, erste Gruppe Um die Mittagsstunde des 6. Februar 1963 verbreitete sich die Nachricht, daß zwei Grup- vier abmarschieren sah, packte mich die größ- pen von jungen Hagnauern über das Eis das te Lust mitzumachen. Ich eilte nach Hause, Schweizer Ufer erreicht hatten. Wie sich der steckte den Personalausweis ein, packte die nicht ungefährliche Übergang im einzelnen Schlittschuhe und betrat auf ihnen beim „Ad- vollzog, darüber lassen wir am besten einen ler“ das Eis. Die Sicht reichte etwa einen hal- Teilnehmer von jeder Gruppe zu Wort kom- ben Kilometer weit. Ich konnte die vier gerade men: noch im Dunst erkennen, hielt auf sie zu und Hermann Urnauer, 32 Jahre alt, Vater von zwei holte sie bald ein. Ein anderer Hagnauer, Josef Kindern, Enkel der oben angeführten Berichte- Ritter (17 Jahre), stieß noch zu uns. Er war al- rin der Überquerung 1880, erzählt: lein vor den ändern auf den See gegangen und In den letzten Tagen, als durch die anhaltende etwa drei Kilometer auf dem Eis vorgedrungen. Kälte das Eis auf dem See sich immer mehr Da er im Nebel die Orientierung verloren hatte, ausdehnte, besprachen Klaus Winder (22 Jah- kehrte er um und schloß sich uns an. Ich fand re), Berthold Arnold (25 Jahre) und die Brüder einen Haubentaucher, der erschöpft auf dem Konrad (24 Jahre) und Manfred Maier (17 Jah- Eise saß, hob ihn auf und brachte ihn zu einer re) den Plan, über das Eis an das schweize- offenen Wasserstelle am Ufer zurück, wo dicht rische Ufer zu gehen. Am Mittwoch, dem 6. beisammen noch viele Wasservögel schwam- Februar 1963, gegen 9 Uhr 30, versammelten men, die von den Uferbewohnern mit Küchen- sie sich beim neuen Bootshafen am Ostaus- abfällen gefüttert wurden. Schlittschuhfahrend gang des Unterdorfes, ausgerüstet mit einem holte ich meine Kameraden schnell wieder ein. Davoser Schlitten, einem 40 Meter langen Seil, Je weiter wir vordrangen, um so dicker wur- einer ca. 14 Meter langen Leiter, einem Paar de der Nebel. Langsam tasteten wir uns vor. Skier, einem Kompaß, einem Fernglas, einer Manfred Maier übernahm die Spitze. Er hatte Trompete, einer Leuchtpistole, etwas Schnaps das geringste Körpergewicht und die Skier an- zum Einreiben und mit einem Matchsack, der geschnallt, welche das Gewicht gleichmäßig Unterwäsche für einen Mann enthielt. Um 9 auf dem dünnen Eis verteilten. Im Abstand von Uhr 45 brachen sie auf. 8—10 Schritten folgten im weiten Bogen, jeder Ich hatte soeben meinen zweijährigen Bub zur das Seil haltend, Win- Kinderschule gebracht. Als ich die 179
Fernglas das Ufer zu erkennen. Freudig mar- schierten wir darauf zu, aber der Nebel nahm immer mehr zu. Beim Näherkommen sahen wir, daß es ein Schwarm „Tucherle“, d. h. Bel- chen, waren, die sich in einer „Wunne“, d. h. in einer Wasserlache, tummelten. Eine neue Sorge überkam uns. Der Duft des Eises ließ nach, es wurde tief- schwarz. Wir nahmen an, daß es frisches Eis sei. In einem Abstand von ca. 150 Meter zogen wir an der rund 200 Meter langen Wasserstelle entlang. Ich fuhr auf 100 Meter heran und be- Die erste Gruppe in Marschordnung hei der kam einen heillosen Respekt davor. Im weiten Seeüberschreitung Bogen umgingen wir sie und schlugen wieder die bisherige Richtung — Kompaßkurs 210 der, ich, Konrad Maier mit dem Schlitten, — ein. Keiner sprach ein Wort. Da hörten wir Berthold Arnold und Josef Ritter, der die Leiter plötzlich in der unheimlichen Stille die Eisen- auf dem Eise zog. bahn fahren. Das gab uns neuen Auftrieb. Die Eisfläche wurde rauher und daher schwieriger Wir hatten etwa zwei Drittel des rund sieben zum Gehen und Schlittschuhfahren. Durch Kilometer langen Weges zurückgelegt, als die den dichten Nebelvorhang bohrten sich unsere Lage kritisch wurde. Das Eis federte beim Ge- Blicke, aber wir konnten vom Schweizer Ufer hen stark und krachte dabei. Wir blieben ste- nichts erkennen. Angespannt marschierten wir hen und schauten einander mehr angstvoll als weiter. Da — es war gegen einhalb zwölf Uhr mutig an. Wir konnten nicht zusammentreten, — entdeckten wir dunkle, senkrechte Striche in um zu beraten, was zu tun sei. In dem Duft, der der weißgrauen Wand. Wir hielten darauf zu, wie dünner Schnee auf dem Eise lag, zeich- blieben fünf Minuten lang stehen, horchten und neten sich unsere Tritte und die Spuren der spähten, aber die Striche bewegten sich nicht. Schnee- und Schlittschuhe deutlich ab. Um die Neugierig rückten wir weiter; nach zehn Minu- Festigkeit des Eises zu prüfen, hüpfte Man- ten erkannten wir in diesen dunklen Schatten fred Maier, der die ganze Strecke die Spitze Pappeln, die in langer Reihe das Ufer säum- innehatte, mit den Skiern von Zeit zu Zeit in die ten. Höhe. Zum Glück hielt das Eis immer. So auch diesmal. Frohgemut zog er weiter, und wir folg- Das Eis wurde holpriger, breite Platten waren ten ihm mit neuer Zuversicht. aufeinander geschichtet. Wir erklärten uns das so, daß der Ostwind, der vor mehreren Tagen Um 11 Uhr vernahmen wir das Läuten einer wehte, das Eis zerschlagen und plattenweis Glocke. Dem Klang nach konnten wir nicht zusammengeschoben hatte. Zwischen den mehr allzu weit vom Schweizer Ufer entfernt Pappeln entdeckten wir auch ein Haus. Weit sein. Aber wir konnten nicht feststellen, ob die und breit war kein Mensch zu sehen. Jetzt Glockentöne aus Altnau oder Güttingen her- konnten wir uns nicht mehr halten. Jubelnd überdrangen. Nach kurzer Zeit entdeckten wir stürmten wir auf das nahe Ufer zu. Ein Hund auf dem Eis durch den milchig-grauen Dunst schlug an. Dann erschien ein Mann und zwei einen dunklen Schatten. Konrad Maier glaub- Frauen. Als sie uns erblickten, verschlug es ih- te, mit dem nen die 180
Sprache. Wir sagten, daß wir von Hagnau kä- Eis nur mühsam vorankam, fuhr dann über men. Sie wollten es nicht fassen, daß man am die Grenze, Kreuzlingen, Münsterlingen nach zweiten Tag, nachdem sich das Eis geschlos- Altnau, wo er um 13 Uhr eintraf. Beim Zöllner sen, über den See kommen konnte. erkundigte er sich, ob die Hagnauer Eisgän- ger schon angekommen seien. Er wußte von Es war fünf vor zwölf Uhr, als uns die Wirts- nichts. Darauf fuhr er an den Strand bei dem leute „Zum Schiff“ in Güttingen in ihre warme Altnauer Bootshafen. Er kam gerade recht, Stube führten. Gastfreundlich boten sie uns ihr um die zweite Gruppe Hagnauer zu begrüßen, Mittagessen an. Es war ein prima Gulasch mit welche, nach einem Einbruch im Eis aufgehal- Kartoffelstock, der uns vorzüglich schmeckte. ten, eben im Nebel auftauchten und Schweizer Zuerst aber ging ich ans Telefon. In zwei Mi- Boden betraten. Von einem Gendarm erfuhr er, nuten hatte ich die Verbindung mit Hagnau. daß schon eine Gruppe Hagnauer in Güttingen Als sich mein Vater meldete, teilte ich ihm angekommen sei und daß Herr Raggenbass unsere glückliche Ankunft in Güttingen mit. im „Schiff“ bei ihnen weile. So kam er zu uns Inzwischen verständigte Schiffswirt Egloff die mit der Freudenbotschaft, daß auch die ändern Behörde. Als erster erschien der Reporter der Eisläufer ihr Ziel erreicht hatten. in Zürich erscheinenden Tageszeitung „Blick“, der über Zürich durch Funk verständigt, von Gegen 14 Uhr wollten wir zu ihnen im VW- Romanshorn im Auto hergefahren war. Er be- Bus fahren, da ging die Tür auf, und herein grüßte uns mit der Frage: „Seid Ihr die Wahn- trat das 13jährige Bürschlein Gusti Knoblauch sinnigen, die über das Eis gekommen sind?“ mit dem Gruß „Tag miteinand!“ Auf die Frage Er spendete uns drei Flaschen Wein, und nun „Wo kommst denn du her?“ meinte er trocken: hub ein Fragen und Erzählen an über unser „Über den See wie Ihr auch.“ Als er von der Abenteuer. Dann besprachen wir die Rück- Schule nach Haus gekommen war, schlich er kehr, sie sollte um 13 Uhr 45 beginnen und sich heimlich weg, folgte unsern Spuren und auf der alten Strecke uns heimführen. Aber der erreichte in zwei Stunden die Wirtschaft „Zum Wirt kündigte die Ankunft eines Behördenver- Schiff“. treters an. Der kam bald. Es war Herr Statt- Im Bus nahmen wir ihn mit nach Altnau und halter (Landrat) Raggenbass aus Kreuzlingen beglückwünschten in der „Krone“ unweit des und der Ortspolizist in Zivil. Er begrüßte uns Hafens unsere Konkurrenten. freundlich, erkundigte sich nach dem Verlauf unseres Marsches und anerkannte unsern Mut Wie es ihnen erging, erzählt Albert Berger, 40 und erklärte nach Aufnahme unserer Persona- Jahre alt, Vater eines Kindes: lien, er könne es nicht verantworten, daß wir Am Mittwoch, den 2. 2., begab ich midi um 8 über das Eis zurückkehrten, weil die Uferge- Uhr an das nahe Ufer beim neuen Bootsha- meinden bei einem Unfall haftpflichtig seien. fen und traf mehrere Kameraden. Wir bespra- Während dieser Unterhaltung, die sehr freund- chen den Plan, den Marsch über das Eis in die lich verlief, erschien zu unserer Überraschung Schweiz zu wagen. Rasch wurden wir einig und der Stellvertreter des Hagnauer Bürgermei- holten zu Hause Kleider, Wäsche und was wir sters Hermann Ehrlinspiel. Er war um 10 Uhr für notwendig hielten. Inzwischen hatten zwei 30 mit zwei Begleitern in seinem VW-Bus ein kleines Kunststoffboot herbeigeschafft. zur Fähre nach Meersburg gefahren, muß- Aus vier Schlitten und mehreren Brettern, die te aber bis 12 Uhr warten, da sie durch das wir längs und quer auf die Schlitten nagelten, bauten wir ein Unterlager für das Boot. 181
Hinein packten wir ein Paar Wasserskier, fünf Auf dem Eis fanden wir vereinzelt Belchen, Paar Schneeschuhe, einen kleinen Pickel, Möwen und Haubentaucher. Sie waren festge- mehrere Seile von insgesamt ca. 200 Meter, froren und schon tot. Eine Möwe lebte noch. dazu die mitgebrachten Kleider und Wäsche. Wir wickelten sie in einen Anorak und legten Auch eine Leiter mit 28 Sprossen (ca. 10 Meter sie ins Boot. Es wurde etwas heller, und ganz lang) hatten wir herbeigeschafft und darunter schwach zeigte sich durch den Nebel die Son- einige Dachlatten als Kufen genagelt. Etliche ne in unserer Marschrichtung. Also waren wir hatten ein „Butele“ Schnaps eingesteckt, nicht sicher, den rechten Weg eingeschlagen zu zum innern Gebrauch, sondern um sich damit haben. Von der Gruppe, die vor uns aufgebro- einzureiben,, wenn wir mit dem Wasser Be- chen war, fanden wir nirgends eine Spur, ob- kanntschaft machen würden. Der benachbarte gleich wir oft Ausschau hielten. Wenn das Eis Fischer Winder überließ uns seinen Kompaß schwankte, beschleunigten wir unsere Schrit- und stellte für unsere Marschrichtung den Kurs te. Wir glitten und schlitterten rasch über das 210 fest. Eis hin, um so das harte Aufsetzen unserer Schuhe beim Gehen zu vermeiden. Trotzdem Die Aufstellung der Teilnehmer zeigt das Pho- trat Oskar Ehrlinspiel mit einem Fuß durch die tobild. dünne Eisdecke und sank bis zur Wade ein. Um 10 Uhr 30 zogen wir los. Wir kamen gut Ungefähr nach jedem Kilometer machten wir voran. Das Eis knirschte und federte unter dem eine kleine Pause, in der Kress mit dem Kom- Gewicht der Schlitten und des Bootes. Locke- paß unsere Richtung nachprüfte und die Stär- rer Schnee bedeckte einen Zentimeter das ke des Eises maß. Mit dem Pickel schlug er Eis und erleichterte uns das Gehen. Die Sicht ein Loch hinein und stellte sie mit dem Finger reichte etwa 100—200 Meter. Kress führte den fest. Sie schwankte zwischen 2,5—3,5 Zenti- Kompaß und gab den Kurs an. Der Spitzenrei- metern. Immer wieder stießen wir auf Eiswälle, ter Stärk fuhr mit dem Fahrrad oft 100 Meter die 2—3 Meter breit, ein Meter hoch und etwa voraus. Franz Müller schob die Leiter an einer 20—30 Meter lang waren. Bei der schlechten hol- menartig festgenagelten Latte auf dem Eis Sicht glaubten wir, daß es sich um einen Land- vor sich her, bald aber band er sie an das Fahr- streifen handle. In der Nähe glänzten diese Er- rad, was weniger Mühe kostete. hebungen, die von Eisstauungen herrührten, Wir waren etwa 1500 Meter vom Ufer entfernt, wie Kristall. Sie waren uns ein Beweis, daß hier als wir hinter uns einen Schatten erblickten. Wir das Eis eine große Sicherheit bot. Wenn wir warteten sein Kommen ab. Es war Fischhänd- sie erblickten, riefen wir einander zu: „Packeis“ ler Precht (35 J.) auf Schlittschuhen. Er zog ei- und eilten freudig darauf los. nen Schlitten, der mit zehn Flaschen Hagnauer Um 11 Uhr 45 kamen wir an eine schwache Wein beladen war, hinter sich her. Da er ganz Stelle. Das merkte man immer daran, wenn erschöpft war, ließen wir ihn samt Schlitten in das Eis unter den Füßen nachgab. Um nicht un- serm Boot Platz nehmen. Stellenweise war einzubrechen, riefen die Kameraden vorn: das Eis uneben und huppelig. Das kam davon, „Schneller, schneller!“ Plötzlich spürte ich an daß sich Eisplatten übereinander geschoben meinem Seil einen starken Ruck, ich blickte hatten. Nach etwa 500 Meter stieg Precht aus zurück. Das Boot war mit dem Unterlager ein- dem Boot und Heinz Ganser nahm darin Platz. gebrochen und schwamm im Wasser. Die vier, Wir waren bei guter Stimmung und vergnüg- die es schoben, hatten sich mit nassen Füßen ten uns mit dem Singen von Marschliedern. hineingerettet. Nun 182
überlegten wir, wie wir es wieder auf das Eis zurückbringen könnten. Der Spitzenreiter mit der Leiter wurde herbeigerufen. Wir schoben die Leiter quer vor das Boot; über sie stiegen die Insassen einer nach dem ändern aus und stellten sich seitlich vom Boote auf, nachdem jeder zur besseren Gewichtsverteilung Skier angeschnallt hatte. Mit zwei Seilen versuchten sie auf den Ruf „Hoh ruck!“ das Boot auf das Eis zu ziehen. Aber es gelang nicht; denn je- desmal brach das Eis und vergrößerte die Öff- nung. Schließlich kletterte Precht über die Lei- ter ins Boot und schnitt mit dem Taschenmes- Bodensee-Übergang, die II. Gruppe bei der ser die Stricke durch, die es mit dem Unterla- Vorbereitung ger verbanden. Drei Schlitten und die Bretter hob er ins Boot, trat auf die Leiter und wuchtete das Boot mit dem Bug darauf. Mit vereinten schafter winkte uns und wies uns an, die westli- Kräften gelang es, wobei ein möglichst großer che Richtung parallel zum Ufer einzuschlagen. Abstand gewahrt werden mußte, das Boot auf Flott marschierten wir, immer das Boot ziehend das Eis zu schaffen. Auf einem in der Nähe be- und schiebend, etwa einen Kilometer in der findlichen niederen Packeisstreifen bauten wir angegebenen Richtung und bogen dann nach Unterlager und Boot wieder zusammen. Den Süden direkt auf den kleinen Hafen von Altnau vierten Schlitten sowie die Leiter mußten wir zu. Zu unserer größten Überraschung erblick- zurücklassen, da es uns zu gefährlich schien, ten wir einen kleinen Bus am Ufer. Unmittelbar sie zu bergen. Dies Mißgeschick hatte uns bei der Mole winkte ein Mann. Da wußte ich, eine Stunde Zeit gekostet. daß es Hermann Ehrlinspiel war; denn vor un- serm Aufbruch hatten wir von seiner geplanten Bevor wir weiterzogen, hielten wir in südlicher Fahrt gehört. Richtung Ausschau. Durch die diesige Wand gewahrten wir ganz schwach in regelmäßigen Um 13 Uhr 15 betraten wir den festen Boden Abständen senkrechte Schatten, die wir als der Schweiz, freudig begrüßt von unserm Vi- eine Pappelreihe ausmachten, welche dem zebürgermeister und seinen zwei Begleitern. Uferweg entlanglief. Etwas näher bemerkten Wir gingen in den nahen Gasthof „Zur Krone“ wir zwei größere und eine kleinere Gestalt. Un- und trafen mehrere Schweizer, die aufs äu- sere gedämpfte Stimmung verwandelte sich in ßerste verwundert waren. Die zehn Flaschen Lreude. Walter Stärk fuhr mit dem Fahrrad auf Wein hatten wir mitgebracht und stießen nun sie zu. Es waren zwei Männer mit einem Hund. frohbewegt auf das über- standene Abenteuer Sie mochten etwa 300 Meter vom Ufer entfernt an. Unsern Angehörigen meldeten wir sogleich sein. telefonisch unsere glückliche Ankunft. Er grüßte sie, sagte ihnen, daß wir von Hagnau Alsbald kamen Herr Bezirksstatthalter Rag- kämen, und fragte nach dem Weg nach Altnau genbass, Herr Gemeindeammann Roth und und der Beschaffenheit des Eises. Sie waren sein Polizist und drückten uns die Hände. Wir erstaunt und eilten sogleich mit der Neuigkeit überreichten ihnen sowie dem Kronenwirt je ins Dorf. Unser Kund- eine Flasche Wein, auf deren Etikett wir unse- re Namen geschrieben hat- 183
Den eingerahmten Stahlstich händigte er uns aber nicht aus, weil die Schuljugend von Alt- nau ihn nach Hagnau in den nächsten Tagen bringen solle. Das geschah auch, wie der Ver- merk unter obiger Widmung beweist: „Das Bild wurde heute von 60 Schülern und drei Lehrern der Sekundarschule Altnau über das Eis nach Hagnau zurückgebracht. Hagnau, den 9. Februar 1963 Hans Reich Sibylle von Hold Suzi Schmid“ In unserm Namen bedankte sich Walter Kress für den freundlichen Empfang und wies auf die guten nachbarlichen Beziehungen zwischen den beiden Ufergemeinden hin. Dann servierte man uns ein kräftiges Essen, das Herr Statt- halter Raggenbass bestellt hatte und das uns vortrefflich mundete. Um 14 Uhr 30 erschien, Die zweite Gruppe vor dem Gasthaus „Zur Krone“ von Hermann Ehrlinspiel im Bus herbeigeholt, in Altnau die erste Gruppe, die eine Dreiviertelstunde mit weniger Gepäck vor uns gestartet war, aber zwei Kilometer nach Osten abgekommen, kurz ten. In seiner Ansprache erinnerte uns der vor 12 Uhr Güttingen erreicht hatte. Es war ein Altnauer Bürgermeister daran, daß im Schul- freudiges Wiedersehen und ein lebhafter Aus- haus seit 1830 genau vom gleichen Tag ein tausch der Erlebnisse. Christusbild aufbewahrt sei. Er hatte es mitge- Plötzlich rief einer, zum Fenster gewandt: „Da- bracht und las uns die Widmung vor. Sie lautet: hinten kommen noch mehr!“ Tatsächlich kam, „Am 6. Februar 1830 gingen die Hagnauer wie der „Blick“-Reporter S:gi Maurer schreibt, Schulkinder, 100 an der Zahl, nach Altnau und „im hellen Dunst die deutsche Invasion über brachten das Bild des Heilandes mit über die das Schwabenmeer“. Mit Windeseile hatte Eisfläche mit der Bitte, das Bild möchte die sich die Freudenbotschaft von der glückli- Schule zu Altnau als ein Angedenken dieser chen Seeüberquerung in Hagnau verbreitet. seltenen Begebenheit aufbewahren, bis der Nun begann eine Wanderung über das Eis zu Bodensee einst wieder überfrieren wird, wo un- Fuß, mit Fahrrädern und Schlittschuhen. Drei sere Nachkommen von den Nachbarn Altnaus Radfahrer, Leitern hinter sich herziehend, er- dasselbe wieder über den See holen werden. öffneten den aufgelockerten Zug. Meist waren es Jugendliche und Schüler, die den gut sicht- Hagnau, den 6. Februar 1830 baren Spuren im Schnee folgten. Die leichte Vogt Ainser“ Schneedecke verhinderte auch den Blick in die schwarze Tiefe des Seegrundes. Hätte blan- (Urgroßvater des derzeitigen Hagnauer Bür- kes Eis die germeisters Felix Ainser) 184
Hagnau mit den Wegen der Eisübergänge der Gruppe I und II sowie der Eisprozession sen Blick freigegeben, sicherlich wären die mei- Eises mit ihrem Gefolge nach Meersburg und sten zurückgeblieben. Wie von einem Rausch trafen gegen 17 Uhr in ihrem Heimatort ein, gepackt, hasteten sie in Sprüngen, schlitternd freudig begrüßt von den Bewohnern, die sich und schleifend in knapp einer Stunde über die an der Schiffslandestelle versammelt hatten. Eisbahn. Zusammen mit den beiden Gruppen Vom nächsten Tag an begann ein ungeheurer waren nach und nach 57 Hagnauer in Altnau Zulauf und eine Wanderung über den See von versammelt. beiden Ufern. Manch ergötzliche Episode wäre Da die Schweizer Behörden den Rückweg zu berichten. So machte sich eine Hagnauer nicht verantworten konnten, bestellten sie ei- Familie auf den Weg in die Schweiz. Nach nen Omnibus, dessen Kosten die Gemeinde- dreistündigem Marsch fand sie sich schließlich verwaltung Hagnau später beglich. Er brachte im Nebel einige hundert Meter unterhalb der sie an die Grenze und zur Fähre nach Kon- Ausgangsstelle wieder am heimischen Strand. stanz-Staad. Die erstangekomme- nen Eisläu- Die Nachbarn von drüben kamen zunächst fer fuhren, mit Kaffee und Schokolade von den einzeln, angetan mit Rettungsringen, Luftma- gastfreien Nachbarn beschenkt, im Kleinbus tratzen, Tauen u. a., dann in größeren Scha- voraus. Ehe die zweite Gruppe die Fahrt an- ren. Verschlossen und schweigsam schritten trat, schafften sie ihr Boot an Land. Es wurde sie einher, zielten nach den Weinstuben und wie die Leiter bei einem späteren Besuch zu- schlürften voll Behagen den Weißherbst und rückgebracht, der vierte Schlitten war in die Ruländer. Er löste ihnen die schweren Zungen; Tiefe gesunken. Mit einer der letzten Fähren — sie waren gesprächig und sangesfroh, wenn am nächsten Tag wurde der Verkehr eingestellt sie gegen Abend den Heimweg an- — gelangten die Erstbezwinger des Obersee- 185
traten. „Ihr habt en guete Wi“, meinte einer, er 9. März versuchten die Fährschiffe eine Rinne wolle schnell heim, um das Vieh zu besorgen, nach Meersburg aufzubrechen, aber ohne Er- dann komme er gleich wieder. Ein anderer folg. Es gelang erst am 15. des Monats. Nach bestieg schwankend sein Velo und steuerte 66tägiger Unterbrechung nahmen die Schiffe slalomartig Altnau zu. Dabei geriet er in eine der Bundesbahn am 7. April auf dem Obersee Spalte, und ehe er sich von dem Sturz erholt ihre Fahrten wieder auf. Anderwärts hatte der hatte, war sein Fahrrad unter das Eis gerutscht See auch vier Opfer gefordert. Wider Erwarten und versunken. Es schlossen sich viele Bande waren die Schäden durch das Eis gering. freundnachbarlicher Verbundenheit, die, durch So begeistert die Seehasen das große Eis be- gegenseitige Besuche enger geknüpft, zu dau- grüßt hatten, sie freuten sich nicht minder, als ernden menschlichen Beziehungen führten. der See, aus der Todesstarre erwacht, wieder Der Höhepunkt all dieser Begegnungen wurde zu atmen begann, das Plätschern, Rauschen die Eisprozession am Dienstag, dem 12. Fe- und Schlagen der Wellen zu vernehmen war bruar. Ob Pilger oder Zuschauer, die zu Tau- und das rhythmische Tacken der Fischerboo- senden herbeigeströmt waren, alle waren von te neue Nahrung verhieß. Für die Hagnauer der tiefen Bedeutung dieses säkularen und aber war es die größte Überraschung, daß der weihevollen Ereignisses ergriffen. Eiswinter 1963 ihren Reben keinen Schaden zugefügt hatte. Ein erneuter Kälteeinbruch dehnte die Eiszeit 1963 bis über die erste Märzwoche hinaus. Am 186
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