Wie entstehen Geschlechtsstereotype und wie wirken sie sich aus?

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Aufwachsen mit Geschlechtsstereotypen
in den Medien – Entstehung, Wirkung
und Umgang

                                                                                       Schwerpunkt

Wie entstehen Geschlechtsstereo-
type und wie wirken sie sich aus?
Ilka Wolter, Leibniz-Institut für Bildungsverläufe

Einleitung                                            Soziale Kategorien prägen, wenn auch nicht
       „Ein Vater und sein Sohn fahren gemein-        immer bewusst, unsere Vorstellungen, unsere
       sam im Auto und haben einen schlimmen          Meinungen und unser Wissen über andere Per-
       Autounfall. Der Vater ist sofort tot. Der      sonen und uns selbst. Sie unterstützen uns dabei,
       Sohn wird mit Blaulicht ins Krankenhaus        die Vielzahl an Informationen, die täglich auf
       gefahren und sofort in den Operationssaal      uns einströmen, schnell zu kategorisieren und
       gebracht. Der Arzt besieht ihn sich kurz       Entscheidungen zu treffen. Allerdings gehen
       und meint, man müsse eine Koryphäe zu          mit diesen automatisch angewendeten sozialen
       Rate ziehen. Diese kommt, sieht den jungen     Kategorisierungen auch Risiken einher, wenn
       Mann auf dem Operationstisch und meint:        Stereotype über Mitglieder einer Gruppe auf un-
       „Ich kann ihn nicht operieren, er ist mein     bekannte Personen verallgemeinert angewendet
       Sohn.“ - Wie ist das möglich?“                 und damit potentiell falsche Schlussfolgerungen
                                                      gezogen werden.
       (Stöger, Ziegler und David, 2004, S. 515)

                                                      Was sind Geschlechtsstereotype?
Dieses Rätsel gibt einen sehr anschaulichen           Ein Stereotyp wird darüber definiert, dass auf
Einstieg in das Thema Geschlechtsstereotype und       der Basis von wahrgenommenen Gemeinsam-
verdeutlicht mögliche Auswirkungen automa-            keiten und Unterschieden soziale Kategorisie-
tischer Informationsverarbeitung und sozialer         rungen vorgenommen werden, also Personen in
Kategorisierungen – die zu Rate gezogene Kory-        Gruppen eingeteilt werden, wobei tatsächliche
phäe ist eine Frau und die Mutter des hier be-        Unterschiede zwischen Personen in einer Grup-
schriebenen jungen Mannes. Stöger, Ziegler und        pe vernachlässigt werden. Unter Stereotypen
David (2014) zeigten in ihrer Studie, dass nur etwa   verstehen wir demnach, dass Personen, die eine
ein Drittel der befragten Studierenden das Rät-       Gruppenzugehörigkeit teilen (jeweiligen sozialen
sel richtig lösen konnte; die anderen hatten ein      Kategorien angehören), bestimmte Merkmale
Geschlechtsstereotyp verinnerlicht und mit der        (z. B. Verhaltensweisen, Personeneigenschaften,
Koryphäe eine männliche Person assoziiert.            Einstellungen) zugewiesen werden. Stereotype

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können sich auf ganz unterschiedliche soziale             Geschlechtsrollen umfassen demnach Ver-
Kategorien (z. B. Geschlecht, Hautfarbe, Berufs-      haltensweisen, die Männer und Frauen zeigen,
gruppen) beziehen. Eine sehr bedeutsame soziale       Eigenschaften, die sie aufweisen, oder Positionen,
Kategorie ist das Geschlecht einer Person.            die sie in der Gesellschaft innehaben (Blakemore,
    Geschlechtsstereotype bezeichnen dement-          Berenbaum & Liben, 2009). Geschlechtsrollen in-
sprechend die Zuschreibung von Merkmalen zu           teragieren auch mit anderen sozialen Rollen, zum
einer Geschlechtskategorie. Sie sind charakteri-      Beispiel Rollenerwartungen, die an bestimmte
siert als sozial geteilte Annahmen darüber, welche    Berufe oder einen Status geknüpft sind. Daher
Merkmale männliche und weibliche Personen             kann es geschehen, dass beispielsweise Frauen
(angeblich) haben (sog. deskriptive Normen) oder      und Männern unterschiedliche Erwartungen
haben sollten (sog. präskriptive Normen) (Eagly,      entgegengebracht werden, obwohl sie in densel-
1987).                                                ben Berufen tätig sind (Eagly & Karau, 2002; Eagly
    Geschlechtsstereotype sind als kognitive Sche-    & Carli, 2007).
mata zu verstehen, die mental abgespeichert wer-          Die Inhalte von Geschlechtsstereotypen wer-
den und automatisch aktiviert und angewendet          den in einem sehr prominenten Modell, dem
werden können (Geschlechterschema-Theorie,            sogenannten Stereotype Content Model von
z. B. Martin und Halverson, 1981). Diese Annahme      Fiske, Cuddy, Glick und Xu (2002), auf den Di-
über automatische Informationsverarbeitung ist        mensionen Kompetenz und Wärme angeordnet.
besonders bedeutsam, wenn neue Informationen          Hiernach wird weiblichen Personen aufgrund
auf uns eintreffen. Ein Schema steuert gewisser-      ihres geringeren gesellschaftlichen Status weniger
maßen die Verarbeitung von neuen Informatio-          Kompetenz zugeschrieben als männlichen Per-
nen und bestimmt somit, inwiefern diese über-         sonen. Darüber hinaus wird Frauen mehr Wärme
haupt wahrgenommen und wie sie kategorisiert          zugeschrieben, wenn sie als nicht konkurrenz-
und interpretiert werden. Schemata sind dadurch       fähig oder wettbewerbsorientiert wahrgenom-
gekennzeichnet, dass das darin abgelegte Wissen       men werden. Dieses weibliche Stereotyp wird
einen hohen Allgemeinheitsgrad aufweist. Aus          allerdings weiter unterschieden in verschiedene
diesem Grund können kognitive Schemata auch           Substereotypen: Hausfrauen wird beispielsweise
auf beliebige konkrete Beispiele angewendet           weniger Kompetenz und gleichzeitig mehr Wär-
werden. Informationen, die inkonsistent mit dem       me zugeschrieben als Karrierefrauen, die wie-
mentalen Schema sind, werden weitgehend igno-         derum als kompetent und kalt wahrgenommen
riert oder umgedeutet. Fehlende Informationen         werden können (Eckes, 1994; Glick, Wilkerson
über Personen oder Gruppen werden aus dem             und Cuffe, 2015).
mental abgelegten Schema ergänzt. Dieser Prozess
hat zur Folge, dass sich Schemata – und in un-
serem Fall Geschlechtsstereotype – in der Tendenz     Wann werden Geschlechtsstereotype erlernt?
sehr langfristig aufrechterhalten.                    Kinder machen sehr früh die Erfahrung, dass
    Geschlechtsstereotype Annahmen und un-            Geschlecht eine bedeutsame Kategorie ist, wenn
terschiedliche Erwartungen in Bezug auf Frauen        sie ihre soziale Umwelt erkunden. Kinder können
und Männer werden häufig auf der Dimension            bereits mit drei bis vier Monaten männliche und
„agency versus communion“ (Bakan, 1966) ein-          weibliche Gesichter (Quinn, Yahr, Kuhn, Slater
geordnet. Unter Agency fassen wir Eigenschaften       & Pascalis, 2002) und im Verlaufe ihres ersten
wie Selbstvertrauen, Kompetenz und soziale Do-        Lebensjahrs männliche und weibliche Personen
minanz zusammen. Die Dimension Communion              sicher voneinander unterscheiden (z. B. Leinbach
ist gekennzeichnet durch Merkmale wie Koopera-        & Fagot, 1993). Schon in den ersten zwei bis drei
tionsbereitschaft, Rücksichtnahme und Einfühl-        Lebensjahren erwerben Kinder weiteres Wis-
samkeit. Ähnlich hierzu werden instrumentelle         sen über das Geschlecht, z. B. ob Spielzeuge „für
Rollen, z. B. Zielorientiertheit und das Sorgen für   Mädchen“ oder „für Jungen“ sind (Serbin, Poullin-
Familieneinkommen, Disziplin und Sanktionen,          Dubois, Colburne, Sen und Eichstedt, 2001), und
unterschieden von expressiven Rollen, z. B. Orien-    zeigen geschlechtstypische Verhaltensweisen
tierung auf das Wohlergehen der Mitglieder der        (z. B. Campbell, Shirley & Candy, 2004). Im Alter
eigenen Gruppe, Wärme und Geborgenheit bieten         von drei bis sieben Jahren zeigen Kinder dann
und das Versorgen von Hilfsbedürftigen (Parsons       auch stereotype Einstellungen gegenüber den Ge-
und Bales, 1955).                                     schlechtern, was dazu führen kann, dass sie ihre

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Aktivitäten, Kleidung und sozialen Rollen diesen      sie werden als wettbewerbsorientiert und sozial
Einstellungen stärker anpassen (z. B. Cherney &       dominant eingeschätzt.
London, 2006). Dieses Wissen über Geschlechts-            Einen weiteren und stärker sozial-interaktiven
stereotype äußert sich unter anderem beispiels-       Ansatz zur Erklärung der Geschlechtsrollenent-
weise in geschlechtstypischen Selbstzuschrei-         wicklung stellt die sozial-kognitive Lerntheorie
bungen von Eigenschaften, Verhaltensweisen oder       (Bussey und Bandura, 1999) dar. Dieser theore-
Präferenzen. So konnte bei drei- bis vierjährigen     tische Ansatz geht davon aus, dass der Selbstwahr-
Kindern gezeigt werden, dass die Selbstbeschrei-      nehmung ein bestimmtes Verhalten vorausgeht.
bungen bezüglich des Geschlechts in diesem            Nach diesem Ansatz lernen Kinder durch Modelle
Altersbereich differenzierter werden und Kinder       bestimmte geschlechtstypische Verhaltenswei-
beginnen, sich sozial erwünschte Charakteristiken     sen, welche durch Verstärkung und Bestrafung
zuzuschreiben (Cowan & Hoffman, 1986). Aller-         gefestigt werden. Bereits im Kindesalter werden
dings sind in diesem Altersbereich Unterschiede       Geschlechtsstereotype gefestigt, indem typisches
zwischen Jungen und Mädchen in den Selbstbe-          Verhalten durch Nachahmung (Imitation) und
schreibungen noch nicht bedeutsam. Im Verlauf         Modelllernen geschlechtstypischen Verhaltens
der weiteren Entwicklung erwerben Kinder dann         erlernt wird. Zudem können Geschlechtsstereo-
zunehmend mehr Wissen über Geschlechtsstere-          type direkt vermittelt werden, beispielsweise in
otype, meist viel früher als Stereotype über andere   der Interaktion mit den Eltern oder auch durch
soziale Gruppen (Zemore, Fiske & Kim, 2000).          verschiedene Medien. Darüber hinaus erlernen
Mit acht bis neun Jahren weisen Kinder dann           Kinder Geschlechtsstereotype durch Erfahrungen
relativ stabile geschlechtstypische Muster in den     und Konsequenzen als Reaktion auf das eigene
Selbstzuschreibungen auf (Boldizar, 1991). Kinder     geschlechtstypische Verhalten (vgl. Bussey und
erwerben demnach bereits vom Kleinkindalter an        Bandura, 1999). Diese drei Mechanismen der
bis ungefähr zum Eintritt in die Schule ein breites   Vermittlung von Geschlechtsstereotypen verdeut-
Wissen über Geschlechtsstereotype, nicht nur          lichen, dass die soziale Umwelt der Kinder sowohl
über einfache, sondern auch über sehr abstrakte       über das Beobachten von Verhaltensweisen der
Konzepte, wie beispielsweise Schulfächer (Signo-      direkten Bezugspersonen oder stellvertretend
rella, Bigler und Liben 1993).                        über Personen, die in Medien dargestellt werden,
                                                      als auch über Einstellungen und Rückmeldungen
                                                      von sozialen Modellen (direktes Vermitteln sowie
Wie werden Geschlechtsstereotype erworben?            Erfahren von Konsequenzen) einen potentiellen
Basierend auf der sehr einflussreichen sozialen       Einfluss auf Kinder und deren Entwicklung von
Rollentheorie (Eagly, 1987) entstehen Geschlechts-    Geschlechtsstereotypen nehmen kann. Kinder
stereotype aus Erfahrungen, die Menschen ver-         wenden Geschlechtsstereotype ungefähr bis
schiedener Geschlechter in jeweils typischen          zum Einschulungsalter sehr rigide an, und zwar
sozialen Rollen machen. Die Verhaltensweisen, die     sowohl bei der Ausrichtung ihres eigenen Verhal-
bei der Ausübung dieser typischen Rollen gezeigt      tens als auch bei der Bewertung der Angemessen-
werden, sind die Grundlage für generelle Schluss-     heit des Verhaltens anderer. Das äußert sich darin,
folgerungen, welche Merkmale die Mitglieder           dass Kinder im Vorschulalter sehr geschlechtsty-
der jeweiligen Gruppe haben. Durch eine sehr          pisierte Verhaltensweisen zeigen und häufiger mit
typische Arbeitsteilung der Geschlechter werden       gleichgeschlechtlichen als mit gegengeschlechtli-
demnach Rückschlüsse auf ihre Persönlichkeiten        chen anderen Kindern interagieren (Martin, Fabes
getroffen. Menschen tendieren dazu, die Aktivi-       und Hanish, 2014). Im Grundschulalter zeigen
täten einer Person mit ihren Persönlichkeitsei-       Kinder dann mehr Flexibilität in der Anwendung
genschaften gleichzusetzen (Eagly & Steffen, 1984).   von Geschlechtsstereotypen (Ruble et al., 2007;
Wenn also Frauen häufiger in geschlechtsty-           Trautner et al., 2005).
pischen Rollen, beispielsweise als Mutter oder als
Grundschullehrerin zu beobachten sind, werden
ihnen kommunale Eigenschaften zugeschrieben.
Wenn Männer in geschlechtstypischen Rollen,           Wie wirken sich Geschlechtsstereotype aus?
beispielsweise im Handwerk oder in Führungspo-        In der Wissenschaft stehen wir immer wieder
sitionen zu beobachten sind, werden ihnen häu-        vor der Frage, ob Geschlechtsunterschiede die
figer agentische Eigenschaften zugeschrieben und      Ursache für Geschlechtsstereotype sind – oder

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umgekehrt Geschlechtsstereotype die Ursache für       somit die Erwartung der anderen Person durch
Unterschiede zwischen Personen verschiedener          das geschlechtstypische Verhalten der Person be-
Geschlechter sind.                                    stätigt und die Erwartung „erfüllt sich von selbst“
                                                      (für ausführlichere Darstellung siehe z. B. Aron-
Übernahme von Geschlechtsstereotypen in               son, Wilson & Arkert, 2014).
Selbstzuschreibungen
Obwohl bereits zu Beginn dargestellt wurde, dass      Bedrohung durch Geschlechtsstereotype
es einen deskriptiven Anteil in Stereotypen gibt,     Ein weiterer Mechanismus, wie Geschlechtsstere-
gibt es auch viele Belege dafür, dass Geschlechts-    otype die Selbstwahrnehmung und das Verhalten
stereotype ihrerseits Unterschiede zwischen den       einer Person beeinflussen können, wird in der
Geschlechtern erzeugen, indem sie beispielsweise      Theorie der Stereotypen-Bedrohung (Steele und
die Geschlechtsidentität oder das Geschlechtsrol-     Aronson 1995; Steele 1997) beschrieben. Dieser
len-Selbstkonzept (also das Ausmaß, in dem eine       Theorie nach kann eine Person Bedrohung er-
Person sich selbst geschlechtstypisierte Merkmale     leben, wenn sie sich in einer Leistungssituation
zuschreibt, z. B. Tobin et al., 2010) beeinflussen.   befindet, in der sie einem negativen Geschlechts-
Bereits im Vorschulalter schreiben sich Jungen        stereotyp ausgesetzt ist. Die betroffene Person
stärker agentische oder instrumentelle und Mäd-       befürchtet, dass sie selbst von anderen im Sinne
chen sich stärker kommunale oder expressive Ei-       des negativen Geschlechtsstereotyps wahrgenom-
genschaften zu (z.B. Wolter und Hannover, 2016).      men wird, d. h. in stereotyper Weise beurteilt oder
Im Laufe der Grundschulzeit verfestigen sich          behandelt wird. Daher leiden betroffene Personen
diese unterschiedlichen Selbstbeschreibungen, so      auch unter der Vorstellung, das negative Stereo-
dass sie auch bei Jugendlichen und Erwachsenen        typ möglicherweise zu bestätigen, auch wenn sie
zu finden sind (Altstötter-Gleich, 2004; Egan und     selbst nicht unbedingt an das Stereotyp glauben
Perry, 2001; Kessels und Hannover, 2008) und sich     müssen. Dieser Effekt tritt besonders dann auf,
im Verhalten festigen. Das äußert sich beispiels-     wenn sich eine Person mit dem jeweiligen Bereich
weise darin, dass Jugendliche, die sich selbst sehr   oder der fachlichen Domäne stark identifiziert
geschlechtsstereotyp beschreiben, wahrschein-         und diese einen hohen persönlichen Wert für die
licher Verhaltensweisen zeigen, die nach Ge-          Person hat. In diesen durch Stereotype bedrohten
schlechtsstereotypen zu ihnen „passen“.               Situationen schneiden Personen häufig schlechter
                                                      ab, als es ihnen aufgrund ihrer eigenen Fähigkei-
Selbsterfüllende Prophezeiung                         ten möglich wäre, und sie bestätigen dadurch das
Es ist außerdem bekannt, dass Geschlechtsstereo-      zugrundeliegende Stereotyp (Steele, 1997).
type wie Erwartungen oder sich selbst erfüllende
Prophezeiungen wirken. Geschlechtsstereotype
beeinflussen die Wahrnehmung, die das Indivi-         Fazit
duum von sich selbst und anderen hat und damit        In dem Beitrag wurde dargestellt, dass Ge-
auch die Verhaltensweisen, die es der eigenen         schlechtsstereotype stark in der Gesellschaft
und anderen Personen gegenüber zeigt. Der             verankert sind und sehr früh in der Entwicklung
Mechanismus der selbsterfüllenden Prophezeiung        des Menschen bedeutsam werden. Nicht nur des-
(Merton, 1948) veranschaulicht sehr gut, welchen      wegen ist es wichtig, sich der Auswirkungen von
Effekt es haben kann, wenn eine Person einer ihr      Geschlechtsstereotypen bewusst zu sein, um den
unbekannten Person aufgrund ihres Geschlechts         Konsequenzen für die Entwicklung von Kindern
spontan mit dem Stereotyp konsistente Eigen-          und Jugendlichen entgegenzuwirken. Personen,
schaften zuschreibt. Der Kreislauf wird dadurch       die mit Kindern und Jugendlichen interagieren,
in Gang gesetzt, dass das Verhalten einer Person      also unter anderem beispielsweise Eltern und
Auswirkungen darauf hat, was eine andere Person       pädagogische Fachkräfte, können auf ihre Modell-
über sie denkt. Aufgrund der daraus entstehenden      funktion achten und sich selbst möglichst wenig
Erwartung der anderen Person verhält sie sich         geschlechtstypisiert verhalten. Auch in verschie-
gegenüber der Person anders. Hieraus verstärkt        denen Medien, mit denen Kinder und Jugendliche
sich wiederum die Wahrnehmung der Person              regelmäßig umgehen, können Themen mög-
über sich selbst und in der Konsequenz passt sie      lichst wenig geschlechtstypisiert gestaltet und
ihr eigenes Verhalten an diese wahrgenommene          geschlechtsstereotyp-inkonsistente oder wenig
Erwartung an. Am Ende dieses Prozesses wird           geschlechtstypische Modelle präsentiert werden.

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Bussey, K. & Bandura, A. (1999). Social cognitive theory of gender
Auch das von Erwartungen beeinflusste Inter-                               development and differentiation. Psychological Review, 106 (4),
aktionsverhalten gegenüber anderen Personen,                               676-713.
beispielsweise die Rückmeldungen, die wir an-                           Campbell. A., Shirley, L. & Candy, J. (2004). A longitudinal study
deren Personen geben oder die Einstellungen die                            of gender-related cognition and behaviour. Developmental
                                                                           Science, 7, 1-9.
wir unbewusst über unser Verhalten vermitteln,
                                                                        Cherney, I. D., & London, K. (2006). Gender-linked differences
sollten Menschen immer wieder reflektieren. Ein
                                                                           in the toys, television shows, computer games, and outdoor
reflektierter Umgang und die Überwachung von                               activities of 5- to 13-year-old children. Sex Roles, 54, 717-726.
automatisierten Kategorisierungen sind unerläss-                        Cowan, G. & Hoffman, C. D. (1986). Gender stereotyping in young
liche Faktoren, um den Einfluss von Geschlechts-                           children: Evidence to support a concept-learning approach. Sex
stereotypen zu minimieren.                                                 Roles, 14, 211-224.
                                                                        Eagly, A. H. (1987). Sex differences in social behavior: A social-role
                                                                           interpretation. Hillsdale: Erlbaum.
                                                                        Eagly. A. H. & Karau, S. J. (2002). Role congruity theory of prejudice
Literaturhinweis zum vertieften Nachlesen:                                 toward female leaders. Psychological Review, 109, 573-598.
Eine ausführlichere Darstellung der hier vor-                           Eagly, A. H. & Carli, L. L. (2007). Through the Labyrinth. The truth
gestellten Konzepte und Theorien können sie                                about how women become leaders. Boston: Harvard Buisness
auch hier nachlesen: Hannover, B. & Wolter, I.                             School Press.
                                                                        Eagly, A. H. & Steffen, V. J. (1984). Gender stereotypes stem from
(2019). Geschlechtsstereotype: wie sie entstehen
                                                                           the distribution of women and men into social roles. Journal of
und sich auswirken. In B. Kortendiek, B. Riegraf                           Personality and Social Psychology, 46, 735-754.
& K. Sabisch (Hrsg.), Handbuch Interdisziplinäre                        Eckes, T. (1994). Explorations in gender cognition: Content and struc-
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Springer VS-Verlag für Sozialwissenschaften. doi:                       Egan, S. K. & Perry, D. G. (2001). Gender identity: A multidimen-
10.1007/978-3-658-12500-4_16-1                                             sional analysis with implications for psychosocial adjustment.
                                                                           Developmental Psychology, 37 (4), 451–463.
                                                                        Fiske, S. T., Cuddy, A. J. C., Glick, P. & Xu, J. (2002). A model of
                                                                           (often mixed) stereotype content: Competence and warmth
Zur Person:                                                                respectively follow from the perceived status and competition.
Dr. Ilka Wolter leitet seit Februar 2019 die Ab-                           Journal of Personality and Social Psychology, 82, 878–902.
teilung „Kompetenzen, Persönlichkeit, Lernum-                           Glick, P., Wilkerson, M. & Cuffe, M. (2015). Masculine identity,
                                                                           ambivalent sexism, and attitudes toward gender subtypes. Fa-
welten“ am Leibniz-Institut für Bildungsverläufe                           voring masculine men and feminine women. Social Psychology,
(LIfBi) in Bamberg. Anschließend an das Psycho-                            46 (4), 210–217.
logiestudium promovierte Ilka Wolter an der Frei-                       Kessels, U. & Hannover, B. (2008). When being a girl matters less.
en Universität Berlin. Nach einem Forschungs-                              Accessibility of gender-related self-knowledge in single-sex
aufenthalt an der University of Sussex, England,                           and coeducational classes and its impact on studentsʼ physics
                                                                           related self-concept of ability. British Journal of Educational
wechselte sie zum LIfBi und arbeitete zunächst im                          Psychology, 78 (2), 273–289.
Bereich der Kompetenzmessung im Nationalen                              Leinbach, M. D. & Fagot, B. I. (1993). Categorical habituation to
Bildungspanel (NEPS). In der Folge übernahm sie                            male and female faces: Gender schematic processing in infancy.
die Leitung einer Nachwuchsgruppe zum Thema                                Infant Behavior and Development, 16, 317-332.
„Geschlechterrollen und Kompetenzen im Le-                              Martin, C. L., Fabes, R. A. & Hanish, L. D. (2014). Gendered-peer
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benslauf“. Ilka Wolter forscht im Schwerpunkt zu
                                                                           opment and Behavior, 47, 151–187.
den Themen Kompetenzentwicklung, Selbstkon-                             Martin, C. L. & Halverson, C. F. (1981). A schematic processing
zepte und Geschlechterstereotype.                                          model of sex typing and stereotyping in children. Child Devel-
                                                                           opment, 52 (4), 1119–1134.
                                                                        Merton, R. K. (1948). The self-fulfilling prophecy. The Antioch
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Literaturverzeichnis
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8__BPJMAKTUELL 2/2020
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