Wie steht es wirklich um die Verkehrssicherheit? - Eine Reflexion über die Aussagekraft von Verkehrsunfallstatistiken

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Dipl.-Ing. Dr. techn. Harald Frey, Prof. Dr. Ralf Risser und Dr. phil. Christine Chaloupka-Risser

Wie steht es wirklich um die Verkehrssicherheit?
Eine Reflexion über die Aussagekraft von Verkehrsunfallstatistiken

1. Einführung                                                 sollten, wurden aber auf jeden Fall deutlich verfehlt.4 Wäh-
                                                              rend die Zielerreichung bei der Zahl der Getöteten in den
Folgt man den vermittelten Schlussfolgerungen zur Statis-
                                                              kommenden Jahren durch Forcierung weiterer Maßnah-
tik der Straßenverkehrsunfälle,1 müsste aus der langfristi-
                                                              men (zB Verbesserung des Rettungswesens, passive Si-
gen Tendenz der Abnahme der Unfälle auf eine Erhöhung
                                                              cherheitsvorkehrungen in Fahrzeugen, siehe weiter unten
der Verkehrssicherheit geschlossen werden. Tatsächlich
                                                              mehr dazu) erreicht werden könnte, zeigten die bisherigen
wurde bereits im Jahr 2009 bei den maßgebenden Indi-
                                                              Initiativen auf die Zahl der Verkehrsunfälle und Verletzten
katoren der Statistik, den Verkehrsunfällen mit Perso-
                                                              nur geringfügige Auswirkungen.
nenschaden, der Zahl der Verletzten und der Getöteten,
der niedrigste Wert seit Beginn der einheitlich geführten     Vergleicht man weltweit die Entwicklung von Verkehrs-
Verkehrsunfallstatistik im Jahr 1961 verzeichnet. Während     unfällen mit jener von Krankheiten, so werden Unfälle im
aber die Reduktion der Verkehrstoten nach dem Höchst-         Straßenverkehr bis zum Jahr 2020 zur dritthäufigsten Ur-
stand im Jahr 1972, unterstützt durch die Einführung der      sache für Verluste von Lebenszeit werden (ausgehend von
Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Bundesstraßen im             der neunten Stelle im Jahr 1990).5 Geht man der Frage
Jahr 1973 und jener auf Autobahnen im Jahr darauf, sowie      nach, wie viele im Straßenverkehr Verletzte und Getöte-
durch weitere Maßnahmen (wie zB die Gurtenpflicht oder        te wir akzeptieren, müsste ein klares Bekenntnis zur so-
den Probeführerschein) beinahe kontinuierlich fortgesetzt     genannten vision zero erfolgen, die postuliert, dass es im
werden konnte, entwickelte sich die Zahl der Verletzten im    Straßenverkehr keine Toten mehr geben sollte, wofür aber
Straßenverkehr nicht so eindeutig.                            auch die öffentliche Hand und die im Verkehrsbereich be-
Der vorläufige Höchststand an Verletzten wurde im Jahr        ruflich tätigen Personen Verantwortung tragen. Aus dieser
1971 gemessen. Eine ähnlich kontinuierliche Reduktion         Zielsetzung wären konkrete Maßnahmen abzuleiten und
wie bei der Zahl der Getöteten konnte jedoch nicht bewirkt    umzusetzen. Die Tötungswahrscheinlichkeit pro Stunde
werden. So kam es insbesondere zwischen den Jahren            Straßenbenützung war im Jahr 2000 in den Ländern der
1997 bis 2003 zu einem Anstieg, sodass im Jahr 2003 so-       EU-25 sowie Norwegen und der Schweiz durchschnitt-
wohl die Zahl der Verletzten als auch die Gesamtzahl an       lich rund siebenmal so hoch wie im Rest des alltäglichen
Unfällen mit Personenschaden sogar den hohen Wert aus         Lebens. Ein pragmatischer Ansatz zur Zielerreichung, zB
dem Jahr 1961 überstieg. Auf diesen peak folgte zwar eine     nach Allsop,6 wäre, dass die Tötungswahrscheinlichkeit pro
Abnahme, aber erst im Jahr 2009 wurden wieder die Werte       Stunde Straßenbenützung zumindest nicht höher sein soll
des Jahres 1996 erreicht (vgl Abbildung 1).                   als durchschnittlich im Rest des alltäglichen Lebens.
Vergleicht man das österreichische Unfallgeschehen der
Jahre 2000 und 2005 im Detail, zeigt sich, dass im Bereich    3. Indikatoren
der innerörtlichen Gemeindestraßen die Unfälle deutlich
zugenommen haben. Besonders alarmierend ist es, dass          Entscheidend für die Evaluierung der Verkehrssicherheit
zirka 60 % der im Ortsgebiet Getöteten zu Fuß, mit dem        und die Erreichung bestimmter Ziele ist die Wahl der rich-
Fahrrad oder mit einem einspurigen Kfz unterwegs wa-          tigen Indikatoren. Ein permanentes Monitoring scheint
ren.2 17 % der Getöteten sterben auf Gemeindestraßen.         sinnlos, wenn unspezifische oder fehlende Daten keine
Während es im Vergleichszeitraum 2000 bis 2005 einen          sinnvollen Aussagen zulassen. Das Argument der Verbes-
Rückgang an Getöteten auf Landes- und Bundesstraßen           serung der Verkehrssicherheit muss in jedem Fall differen-
gab, wurde eine Zunahme der Anzahl der Getöteten im           ziert betrachtet werden. Es gilt nicht nur auf den jeweiligen
Ortsgebiet auf Gemeindestraßen verzeichnet.                   Vergleichszeitraum bzw -zeitpunkt, sondern insbesondere
                                                              auf die Art der Verkehrsteilnahme, das heißt die Verkehrs-
                                                              mittelwahl, und auf die Exposition, das heißt den Umfang
2. Ziele?
                                                              der Verkehrsteilnahme, Bezug zu nehmen. Dies ist bzw
Die Ziele des österreichischen Verkehrssicherheitspro-        wäre besonders bei Vergleichen zwischen Ländern mit
gramms,3 gemäß dem die Zahl der Straßenverkehrsunfälle        einer gänzlich anderen Aufteilung der Verkehrsmittelwahl
mit Personenschaden bis zum Jahr 2010 auf rund 33.000         notwendig. Vor allem aber wesentlich, um Aussagen über
und jene der Verkehrstoten auf etwa 500 reduziert werden      die Risiken und deren Entwicklung machen zu können.
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Wie steht es wirklich um die Verkehrssicherheit?

4. Die Gesamtzahl der Unfälle                                           5. Wurde das Zufußgehen sicherer?
Wie man Abbildung 1 entnehmen kann, fanden die gra-                     Betrachtet man die oben dargestellte Unfallentwicklung mit
vierendsten Veränderungen bei den Todesraten bis 1986                   Fokus auf den Fußgängerverkehr und nimmt man die po-
nach Herabsetzung des Tempolimits auf Autobahnen so-                    litischen Interessensbekundungen der letzten Jahre ernst,
wie nach Einführung der Gurtenpflicht und des Motorrad-                 dann besteht hinsichtlich dieses schwächsten Gliedes in
helms (zwei von diesen Maßnahmen fallen somit unter                     der Mobilitätskette noch ein enormer Nachholbedarf be-
passive Sicherheitsmaßnahmen) statt.                                    züglich dessen (Lebens-)Sicherung.
                                                                        Verkehrssicherheitsaktivitäten für Fußgeher stehen immer
Bei der Reduktion der Gesamtzahl an Verkehrsunfällen mit
                                                                        in Wechselwirkung mit Maßnahmen für den motorisierten
Personenschaden konnten seit Mitte der 1990er-Jahre keine
                                                                        Individualverkehr, der für Fußgeher den Hauptunfallgeg-
wesentlichen Fortschritte erzielt werden (vgl Abbildung 1).
                                                                        ner und die Hauptursache für schwere und tödliche Unfälle
Zwar konnte die Unfallschwere (ausgedrückt durch den                    darstellt. Obwohl es in den vergangenen Jahren zu teilwei-
Quotienten Verhältnis Tote/schwer Verletzte zu leicht Ver-              sen Verbesserungen insbesondere im städtischen Bereich
letzten) reduziert werden (vgl Abbildung 2), was vermutlich             gekommen ist, werden Bewegungsfreiheit und Sichtbe-
in erster Linie an der schnelleren Versorgung nach Unfällen             ziehungen weiterhin massiv eingeschränkt und Fußgeher
(Flugrettung, Mobiltelefonie) und der verbesserten medizi-              zu Umwegen gezwungen, womit diese auch ein höheres
nischen Erstversorgung liegt; in diesem Zusammenhang                    Maß an Unfallrisiko in Kauf nehmen (müssen). Während
wäre aber zu klären, inwiefern das 30-Tage-Intervall für                beim motorisierten Individualverkehr trotz zunehmender
Verkehrstote noch gerechtfertigt ist bzw welchen Einfluss               Motorisierung eine Abnahme des spezifischen Risikos zu
die verbesserte medizinischen Versorgung auf die Zahl der               beobachten ist, muss diese Frage beim Fußgeher unter
nach 30 Tagen verstorbenen Verunglückten hat.                           Berücksichtigung der Entwicklung bei der Verkehrsmittel-
                                                                        wahl gestellt werden.

Abb. 1: Verletzte und Getötete im Straßenverkehr in Österreich –        Abb. 2: Verhältnis getötete und schwer verletzte zu leicht verletzten
deutliche Abnahme der Zahl an Getöteten, während die Zahl der           Verkehrsteilnehmern, dargestellt sowohl für Fußgeher als auch für
Verletzten nur geringfügig abnimmt (Quelle: Statistik Austria, eigene   alle Verkehrsunfälle (Quelle: Statistik Austria, eigene Darstellung)
Darstellung)

Abb. 3: Entwicklung von verunglückten Fußgehern nach Verletzungs-       Abb. 4: Entwicklung von Verunglückten nach Verletzungsgrad aller
grad – nur mehr geringfügige Veränderungen ab dem Jahr 2000             Unfälle (Quelle: Statistik Austria, eigene Darstellung)
(Quelle: Statistik Austria, eigene Darstellung)

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Wie steht es wirklich um die Verkehrssicherheit?

                                                                        Abb. 6: Anteil der zu Fuß zurückgelegten Wege am Gesamt-Modal-
Abb. 5: Unfälle mit verletzten und getöteten Fußgehern zwischen den
                                                                        Split in Niederösterreich, Vorarlberg und Wien in den Jahren 1995 und
Jahren 1998 und 2009 – indexierte Darstellung (Quelle: Statistik Aus-
                                                                        2001 bzw 2003 (Quelle: Herry ua, Verkehr in Zahlen, Ausgabe 2007,
tria, eigene Darstellung)
                                                                        herausgegeben vom Bundesministerium für Verkehr, Innovation und
                                                                        Technologie, Wien 2007; eigene Darstellung)

                                                                        rückgelegt wird bzw wie sich dieser Anteil im Vergleichs-
                                                                        zeitraum zu den sinkenden Unfallzahlen entwickelt hat.
                                                                        Sinken die Unfälle von Fußgehern beispielsweise weniger
                                                                        stark, als der Anteil der zu Fuß zurückgelegten Wege sinkt,
                                                                        wird das Zufußgehen unsicherer. Es ist also entscheidend,
                                                                        wie sich die Gesamtmobilität verändert hat. Abbildung 7
                                                                        weist darauf hin, dass es hier eine Verschlechterung ge-
                                                                        geben hat.
                                                                        Abbildung 7 entspricht in abgeschwächter Form Entwick-
                                                                        lungen, die schon in früheren Untersuchungen aufgezeigt
                                                                        wurden. Knoflacher stellte bereits 1984 dar, dass das Un-
                                                                        fallrisiko für Fußgeher im Straßenverkehr zwischen 1970
                                                                        und 1980 um rund 35 % zugenommen hat, während das
                                                                        Todesrisiko für Pkw-Insassen im selben Zeitraum um min-
Abb. 7: Veränderung des Unfallrisikos sowie der Unfallzahlen für        destens 30 % abgenommen hat. Aus diesen Ergebnis-
Fußgänger zwischen den Jahren 1995 bis 2005; Grundlage für die          sen kann die Schlussfolgerung gezogen werden, die bei
Berechnung des Unfallrisikos sind die Anzahlen der von Fußgehern        Betrachtung der Entwicklung der Unfallzahlen von Fuß-
zurückgelegten Wege; in den Berechnungen wurde von einer kons-
                                                                        gängern heute noch genauso Gültigkeit hat, dass das
tanten durchschnittlichen Wegehäufigkeit pro Einwohner und Tag in-
nerhalb der Vergleichsjahre ausgegangen (Basis: Herry ua, Verkehr in    Schwergewicht der Verkehrssicherheitsarbeit aufgrund
Zahlen 2007; eigene Berechnungen, eigene Darstellung)                   des zunehmenden spezifischen Risikos der ungeschütz-
                                                                        ten Verkehrsteilnehmer in Zukunft viel stärker als bisher
                                                                        diesen gewidmet sein muss.7
Betrachtet man neben der Unfallquote bei Fußgängern
(Fußgängerunfälle je 100.000 Einwohner) auch die Zahl
                                                                        6. Unfälle auf „Schutzwegen“
und Entwicklung der verletzten und getöteten Fußgeher
bezogen auf die Einwohnerzahl, kann man zwar Entwick-                   In der Vergangenheit kam es, nicht nur im Ortsgebiet, im-
lungstrends ablesen, aber keine konkrete Aussage über                   mer wieder zu schweren Verkehrsunfällen mit Fußgehern,
die Verkehrssicherheit für Fußgeher ableiten, da der Anteil             und zwar besonders dort, wo Fußgeher in Interaktion mit
des Fußgängerverkehrs an den zurückgelegten Wegen                       dem Kfz-Verkehr treten müssen. Gerade an diesen neu-
(Modal Split) nicht berücksichtigt wurde bzw nicht genau                ralgischen Punkten versucht die traditionelle Verkehrs-
genug bekannt ist.                                                      planung und Verkehrsorganisation, durch regelnde Maß-
                                                                        nahmen, wie beispielsweise Verkehrslichtsignalanlagen,
Die Statistik zeigt zwar eine Abnahme der Zahl von im                   einzugreifen, auch um die Sicherheit der Verkehrsteilneh-
Straßenverkehr getöteten Fußgehern um rund 40 %, da-                    mer zu erhöhen. Dass diese Sicherheit keine objektive sein
mit hat jedoch nicht zwingend das Risiko als Fußgänger                  muss, zeigen zahlreiche Unfälle mit Fußgehern im Bereich
im Verkehr zu verunglücken abgenommen. Bei den bisher                   verkehrslichtsignalgeregelter Kreuzungen. Ähnliches gilt
dargestellten Zahlen wurde im Wesentlichen außer Acht                   für die Entwicklung der Zahl an Unfällen auf Schutzwegen
gelassen, welcher Anteil der gesamten Wege zu Fuß zu-                   (vgl Abbildung 8).
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Wie steht es wirklich um die Verkehrssicherheit?

Abb. 8: Entwicklung von Unfällen auf Schutzwegen; dabei wäre auch       Abb. 9: Die Unfallschwere, gemessen als getötete Fußgeher je 1.000
die Anzahl an Schutzwegen zu berücksichtigen, also zumindest der        Unfälle im Jahr 2006 im Zusammenhang mit der durchschnittlichen
Indikator Unfälle/Schutzweg auszuweisen (Quelle: Statistik Austria,     Geschwindigkeit im Verkehr für die Bundesländer in Österreich (Quel-
eigene Darstellung)                                                     le: Statistik Austria; Herry ua, Verkehr in Zahlen 2007; eigene Berech-
                                                                        nungen)

Abb. 10: Durchschnittliche Anzahl überquerter Straßen und Verlet-       Abb. 11: Die Konsequenzen einer Gestaltung des öffentlichen Raums
zungsrate von Kindern (Quelle: MacPherson ua, Children’s Exposure       für Maschinen und ihre Geschwindigkeit (Quelle: Tageszeitung
to Traffic and Pedestrian Injuries, Am J Public Health 1998;88: 1840-   „Österreich“)
1845)

Eine Studie, an der unter anderem die Universität für Bo-               zum Fahrzeug bereits eine Gefahrensituation entsteht.
denkultur (VIVAT) teilnahm, konnte aufzeigen, dass das                  An der Einschätzung der Situation orientiert sich auch die
Gewähren des Vorrangs am Schutzweg selbst von Exper-                    Höhe der Strafe.
ten (ÖAMTC, Bundespolizeidirektion Wien) unterschiedlich
beurteilt wurde, relativiert an der Annäherungsentfernung               7. Einflussgrößen der Verkehrssicherheit
zur zu überquerenden Fahrbahn sowie dem sich bereits
                                                                        Es ist davon auszugehen, dass viele Fußgängerunfälle im
mit 50 km/h annähernden Kraftfahrzeug. Bei einer Situa-
                                                                        Rahmen der Verkehrsteilnahme passieren, die nicht in der
tion, bei der sich der Fußgänger bereits am Zebrastreifen
                                                                        Verkehrsunfallstatistik geführt werden. Dazu zählen vor
befindet, geht der ÖAMTC in seiner Beurteilung von einem
                                                                        allem Fußgängeralleinunfälle, also jene ohne Involvierung
Grenzfall zur Behinderung aus, mit der Begründung, dass
                                                                        anderer Verkehrsteilnehmer (Stürze, Ausrutscher etc). Ins-
der Fußgänger etwa 2 Meter vom Auto entfernt und der                    besondere bei diesen Unfällen spielt die Gestaltung der
Sicherheitsabstand von 1,5 Meter noch gerade gewahrt                    Infrastruktur eine entscheidende Rolle. Schmale und mit
sei. Die Experten der Bundespolizeidirektion Wien gehen                 Hindernissen übersäte Gehsteige (zB Verkehrsschilder etc
hingegen, bei Nichtanhalten des Fahrzeugs von einer Be-                 auf Fußgeherflächen), kombinierte Geh- und Radwege auf
hinderung aus, da der Fußgänger eindeutig seine Absicht                 schmalen Gehsteigen, ausgeprägte Niveauunterschiede
anzeigt, die Straße zu überqueren. Ähnlich unterschiedlich              zwischen Gehsteig und Fahrbahn, Unebenheiten und Lö-
fällt auch die Bewertung bei einem Abstand < 1,5 Meter                  cher im Belag usw führen zu erschwerter Verwendbarkeit
aus. Der ÖAMTC spricht von Behinderung, sofern das                      des Straßenraums, erhöhen das Stresslevel beim Gehen
Auto nicht anhält, die Bundespolizeidirektion Wien geht                 und ziehen die spezifische Aufmerksamkeit der Verkehrs-
von Gefährdung aus, da aufgrund des geringen Abstands                   teilnehmer vom Verkehrsgeschehen ab. Sicherheit und
82   SACHVERSTÄNDIGE                                                                                                               HEFT 2/2011
Wie steht es wirklich um die Verkehrssicherheit?

                                                                                                   Abb. 12: Unterschiedliche Bewertung
                                                                                                   verschiedener Situationen bei Über-
                                                                                                   queren des Schutzwegs von Vertretern
                                                                                                   eines Automobilclubs und der Polizei –
                                                                                                   Analyse des Handlungsspielraums zur
                                                                                                   Erhöhung der Verkehrssicherheit durch
                                                                                                   Optimierung von Information, Verkehrs-
                                                                                                   überwachung, Sanktionierung und so-
                                                                                                   zialer Akzeptanz (Hössinger/Berger/
                                                                                                   Unbehaun/Sammer, VIVAT-Analyse des
                                                                                                   Handlungsspielraumes zur Erhöhung
                                                                                                   der Verkehrssicherheit durch Optimie-
                                                                                                   rung von Information, Verkehrsüber-
                                                                                                   wachung, Sanktionierung und sozialer
                                                                                                   Akzeptanz [2009])

Sicherheitsgefühl beeinflussen aber wiederum die Ver-                 kaps zur Geschwindigkeitsreduktion kommt es im Ein-/
kehrsmittelwahl. Deshalb müssen die Zielsetzungen in                  Ausstiegsbereich zu offensichtlichen Konflikten. Die Breite
allen Verkehrssicherheitsprogrammen (Reduktion der im                 der Fahrbahn gemeinsam mit dem Gleiskörper reduzieren
Straßenverkehr Verunglückten) mit konkreten verkehrspo-               die Querungsmöglichkeiten und damit die Verkehrssicher-
litischen Zielsetzungen (Erhöhung der Anzahl der Nicht-               heit für Fußgänger.
Motorisierten) verknüpft und unter diesen gemeinsamen
Gesichtspunkten evaluiert werden. Daraus abzuleiten wä-               8. Zusammenfassung
ren beispielsweise folgende Maßnahmen:
                                                                      Nicht zuletzt die verbesserte Fahrzeugtechnologie und
●●   im Sinne der Sicherheit und der leichten Verwend-
                                                                      medizinische Erstversorgung haben zu einer Reduktion
     barkeit angemessene Gestaltung des öffentlichen
                                                                      der im Straßenverkehr Getöteten beigetragen. In diesem
     Raums (Gehwege, Kreuzungen, ÖV-Zugänge ua);
                                                                      Zusammenhang ist auch die Bedeutung der 30-Tage-Frist
●●   fußgängerfreundliche Organisation des Kfz-Verkehrs               für die Definition von Verkehrstoten zu hinterfragen.
     (Kfz-Geschwindigkeiten, Querungs­ zeiten bei Am-
     peln, Koordination des Fußgängerverkehrs mit abbie-              Die Fußgeher haben in den vergangenen Jahren massiv
     genden Kfz etc);                                                 Anteile am Modal Split verloren. Dies wirkt sich auf das
                                                                      Unfallrisiko für das Zufußgehen aus. In Zukunft müssen
●●   ausreichender und übersichtlicher Raum für Fuß-
     gänger (Gehsteigbreiten, Kontinuität der Gehwege,                Unfallzahlen je Zahl der zurückgelegten Wege betrachtet
     Schutz vor Verparkung und Sichtbehinderungen etc);               werden, um das Sicherheitsrisiko zu quantifizieren. Län-
                                                                      gen- und damit geschwindigkeitsabhängige Indikatoren,
●●   klare Prioritätenreihung zugunsten der Fußgeher in
                                                                      wie die Unfallrate unter Verwendung der zurückgelegten
     der Planung.
                                                                      Kilometeranzahl, sind hier nicht geeignet. Eine genauere
Konfliktanalysen in diesem Bereich weisen auf das Gefähr-             und kontinuierliche Datenerhebung über die Verkehrsmit-
dungspotenzial von Fußgängern durch den Kfz-Verkehr                   telwahl und Wegeanalyse auf verschiedenen Ebenen ist
hin. Trotz der Errichtung eines befahrbaren Haltestellen-             notwendig.

Abb. 13 und 14: Vergleich der tatsächlichen Gehlinien von Fußgehern innerhalb einer Stunde (die ja ihre Bedürfnisse zum Ausdruck bringen)
und der Gestaltung des Straßenraums in der Ottakringer Straße in Wien

HEFT 2/2011                                                                                                        SACHVERSTÄNDIGE    83
Wie steht es wirklich um die Verkehrssicherheit?

Abb. 15 und 16: Resultierende Konflikte im Straßenraum und Gefährdungspotenzial für Fußgeher im Bereich der Ottakringerstraße/Bergsteig-
gasse in Wien (Abbildung links: A=Kfz, F=Straßenbahn im Haltestellenbereich; Abbildung rechts: A=Fußgeher, B/C/D=Kfz)

Die Reduktion der Geschwindigkeit im motorisierten In-                ●●    Verkehrsberuhigung und 30 km/h als Tempolimit in
dividualverkehr ist Voraussetzung zur Erhöhung der                          innerörtlichen Wohngebieten sowie Straßen mit gro-
Fußgehersicherheit. Eine verbesserte Organisation des                       ßem Fußgängerquerungsbedarf;
Kfz-Verkehrs im Hinblick auf die Bedürfnisse und Verhal-
                                                                      ●●    konsequente Überwachung der Einhaltung der zuläs-
tensweisen der Gehenden sowie mehr Raum für Fuß-
                                                                            sigen Höchstgeschwindigkeit;
gänger bilden unter anderem die notwendigen Grundla-
gen, die Tendenz des abnehmenden Anteils der zu Fuß                   ●●    Sanierung von Unfallhäufungsstellen.
zurückgelegten Wege am Modal Split zu bremsen bzw zu
stoppen, aber gleichzeitig die Verkehrssicherheit der nicht           Zielsetzungen in den Verkehrssicherheitsprogrammen
motorisierten Verkehrsteilnehmer zu erhöhen.                          (Reduktion der im Straßenverkehr Verunglückten) müssen
                                                                      mit konkreten verkehrspolitischen Zielsetzungen (zB der
Angesichts der (unter Unfällen auf Schutzwegen) darge-                Erhöhung der Verkehrsmittelwahl von Nicht-Motorisierten)
stellten offensichtlichen Uneinheitlichkeit bei der Interpre-         verknüpft und unter diesen gemeinsamen Gesichtspunk-
tation der notwenigen Verhaltensweisen (Einleitung des                ten evaluiert werden. Dazu benötigt es Indikatoren, die
Bremsmanövers bzw Verlangsamung des Fahrtempos) im                    eine solide Basis für Planungsentscheidungen bieten und
Annäherungsbereich vor „Schutzwegen“ selbst bei Exper-                eine Evaluierung auch auf Systemebene zulassen.
ten, braucht es dringend eine rechtliche Regelung, die in
eindeutige, unmissverständliche Handlungsweisen sowohl
seitens der Fußgänger, vor allem aber der motorisierten –             Anmerkungen:
und damit potenziell „gefährlichen“ – Verkehrsteilnehmer              1
                                                                           Siehe zB Statistik Austria, Straßenverkehrsunfälle 2000 – 2009.
umsetzbar ist.                                                        2
                                                                           Berger/Sammer, Verkehrssicherheitsleitfaden für Städte und Ge-
So äußerte sich auch Städtebund-Generalsekretär Tho-                       meinden – Ein Beitrag zur lokalen Verkehrssicherheit (2007).
mas Weninger anlässlich der Präsentation des Verkehrs-
                                                                      3
                                                                           Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie, Öster-
                                                                           reichisches Verkehrssicherheitsprogramm 2002 – 2010 (2002).
sicherheitsleitfadens:
                                                                      4
                                                                           Vgl Statistik Austria, Straßenverkehrsunfälle 2000 – 2009.
„Wir müssen aber angesichts der Entwicklung der Un-                   5
                                                                           Vgl Lopez ua, The global burden of disease, 1990 – 2020, Nature
fallzahlen auf Gemeindestraßen im Ortsgebiet hier neue                     Medicine 4 (1998), Nr 11.
Wege beschreiten. Vor allem gegen die Unfallursache Nr. 1             6
                                                                           Allsop, How many deaths are we prepared to accept? Präsentation
– also überhöhte bzw. nicht angepasste Fahrgeschwindig-                    am 4. Europäischen Verkehrskongress, Salzburg, Juni 2005.
keit – sollte mit aller Konsequenz vorgegangen werden“,               7
                                                                           Vgl Knoflacher, Bedeuten abnehmende Unfall- und Getötetenzah-
erklärt Weninger. „Eine stärkere Ausrichtung der StVO auf                  len für Fußgänger höhere Verkehrssicherheit für diese Teilnehmer-
städtische Besonderheiten – das Auftreten einer größeren                   gruppe? Zeitschrift für Verkehrssicherheit 30 (1984), 50 f.
Fußgängerdichte, die Ballung von öffentlichem Verkehr,                8
                                                                           Online abrufbar unter http://www.staedtebund.gv.at/oegz/oegz-
motorisiertem Individualverkehr sowie mehr Radfahrer.“                     beitraege/jahresarchiv/details/artikel/verkehrssicherheitsleit
                                                                           faden-fuer-staedte-und-gemeindenein-beitrag-zur-lokalen-
Der österreichische Städtebund sieht als Schlüsselmaß-                     ver kehrssicherheit.html?tx_ttnews[pS]=1175378400&tx_
nahmen für ein Verkehrssicherheitsprogramm auf kommu-                      ttnews[pL]=2591999&tx_ttnews[arc]=1&tx_ttnews[backPid]=9140&
naler Ebene Folgendes:8                                                    cHash=996bdb63239b8027c9d21d3436b04800.

84   SACHVERSTÄNDIGE                                                                                                              HEFT 2/2011
Wie steht es wirklich um die Verkehrssicherheit?

Zu den Autoren:                                                Korrespondenz:
Dipl.-Ing. Dr. techn. Harald Frey, Bauingenieur mit dem        Harald Frey
Spezialgebiet Verkehrs- und Infrastrukturplanung, arbei-
                                                               Technische Universität Wien
tet seit 2006 als Assistent am Forschungsbereich für Ver-
kehrsplanung und Verkehrstechnik an der TU Wien. Tätig-        Institut für Verkehrswissenschaften
keiten der Lehre, Forschung und Praxis belegen Beiträge        Fachbereich Verkehrsplanung und Verkehrstechnik
und Präsentationen zum Thema Verkehrsplanung und Mo-           Gußhausstraße 30/231, A-1040 Wien
bilitätsmanagement.                                            Tel.:+43 (1) 58801-23117
Dr. phil. Christine Chaloupka-Risser ist Geschäftsführerin     Fax:+43-(1) 58801-23199
des Forschungsinstituts FACTUM Chaloupka & Risser              Internet: http://www.ivv.tuwien.ac.at
OHG, Lektorin für Verkehrspsychologie an der BOKU Wien         E-Mail: harald.frey@ivv.tuwien.ac.at
und TU Graz; sie leitet nationale und internationale For-
schungsprojekte zum Thema „Mensch und Verkehr“.                Christine Chaloupka-Risser und Ralf Risser
                                                               FACTUM Chaloupka & Risser OHG
Prof. Dr. Ralf Risser ist Geschäftsführer von FACTUM, ad-
jungierter Professor am Institut für Technologie und Gesell-   Danhausergasse 6/4, A-1040 Wien
schaft der Universität Lund, Lektor für Verkehrssoziologie     Tel.:+43 (1) 5041546
an der Universität Wien und TU Wien; seit 25 Jahren in         Fax:+43-(1) 5041548
Forschung und Lehre tätig; Beteiligung an zahlreichen na-      Internet: http://www.factum.at
tionalen/internationalen Forschungsprojekten zum Faktor        E-Mail:ralf.risser@factum.at
Mensch im Verkehr.                                             christine.chaloupka@factum.at

    Gesetzliche Bestimmungen bei Verwaltungs-
         übertretungen im Straßenverkehr

                                                                Die einzelnen Delikte
                                                                Alkomat und Geschwindigkeitsmessung
                                                                Vom Organstrafmandat bis zur Entziehung
                                                                 der Lenkerberechtigung
                                                                Verfahrensrecht
                                                                Lenkererhebung
                                                                Inkl. Verkehrssicherheitspaket 2009

                                                                                                 Dr. Alfred Stöbich
                                                                                           Mitglied des Unabhängigen
                                                                                            Verwaltungssenates Tirol,
                                                                                                 Fachvortragender des
                                                                                                 Verwaltungsstraf- und
                                                                                                   Führerscheinrechts.

                                                                                                  Dr. Franz Triendl
                                                       Stöbich/Triendl
                                                                                           Mitglied des Unabhängigen
                                                       2009, 640 Seiten, geb.                Verwaltungssenates Tirol,
                                                       ISBN 978- 3-7073-1264-5         Fachvortragender, Publikationen
                                                       EUR 78,–                                  im öffentlichen Recht.

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HEFT 2/2011                                                                                           SACHVERSTÄNDIGE     85
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