Wir beißen uns durch Wissenschaft - awb-werbung

 
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Wissenschaft

        Wir beißen uns durch
        CMD-Behandlung - Ein multimodaler regulationsmedizinischer Ansatz mit Hilfe der Neuraltherapie

        Katja Schwenzer-Zimmerer, Stephan Zimmerer

        Epidemiologie                                                    61,3% der Befragten in den letzten zwölf Monaten von Rücken-
                                                                         schmerzen berichten. Des Weiteren geben 45,7% an, dass sie im
                                                                         vergangenen Jahr Nackenschmerzen hatten. Frauen sind von
        Die Craniomandibuläre Dysfunktion (CMD) ist die häufigste        allen Schmerzarten häufiger betroffen als Männer. Unter ganz-
        dysfunktionale Störung im Mund-Kiefer-Gesichtsbereich. Sie       heitlichen Gesichtspunkten und aufgrund eigener Erfahrungen
        hat ein inhomogenes Erscheinungsbild und tritt mit Leitsym-      ist zu vermuten, dass ein großer Teil der Patientinnen und Pati-
        ptomen wie Schmerzen an Zähnen, Kiefer, Kopf, Gesicht, Na-       enten mit Rückenschmerzen auch unter einer craniomandibu-
        cken und Rücken, Kiefergelenksbeschwerden oder -geräuschen,      lären Dysfunktion leidet. Ähnliches trifft für Patienten und Pa-
        Tinnitus etc. in unterschiedlichen Ausprägungen mit mehr oder    tientinnen mit Tinnitus oder „atypischem“ Gesichtsschmerz zu.
        weniger subjektivem Krankheitscharakter in unserem Kultur-       Grundsätzlich erfordert die gründliche Abklärung einer CMD
        kreis laut LeResche (1) mit einer Prävalenz von 10% und einer    auch die Untersuchung des Halteapparates und eigentlich wäre
        Inzidenz von 3% der Bevölkerung auf. 80 % der Patienten sind     auch umgekehrt bei Beschwerden am Halteapprat eine Orofazi-
        Frauen, wobei es eine hohe Dunkelziffer an Menschen gibt, die    ale Untersuchung angezeigt.
        klinisch - morphologisch alle Anzeichen einer dentalen oder
        temporomandibulären Fehlfunktion haben, allerdings (noch)
        nicht unter Krankheitsanzeichen leiden bzw. die Anzeichen        Paradigmenwandel
        nicht mit dem Kiefer-Gesichtsbereich in Zusammenhang brin-
        gen. Nach einer Umfrage des Robert Koch Institutes (RKI) be-     Die ganzheitliche Diagnostik und erfolgreiche und nachhaltige
        züglich Rückenschmerzen in Deutschland (2) zeigt sich, dass      Therapie der Craniomandibuläre Dysfunktion (CMD) gehört

         Zusammenfassung
         Die Craniomandibuläre Dysfunktion (CMD) ist die häufigs-        Neuraltherapie nach Huneke multimodal mit Schienenthe-
         te dysfunktionale Störung im MKG-Bereich. Das Erschei-          rapie, Physiotherapie, Selbstbeobachtung, Verhaltensthera-
         nungsbild ist inhomogenem mit Prävalenz 10%, Inzidenz 3%        pie zur Stressverarbeitung erfolgreich einsetzbar ist. Durch
         der Bevölkerung LeResche (1). 80 % der Patienten sind Frau-     die Neuraltherapie können somatische – muskulofasziale
         en. Nach Untersuchungen des Robert Koch Institutes (RKI)        und arthrogene Strukturen an Kopf und Körper, neuronalen
         (2) geben 61,3% der Befragten Rückenschmerzen, 45,7% Na-        Strukturen direkt und übergeordnet sowie die Hormonach-
         ckenschmerzen/12 Monate an. CMD korreliert hier häufig,         sen mit einer Methode nebenwirkungsarm und effektiv be-
         ebenso Tinnitus, atypischer Gesichtsschmerz u.a.. Grund-        handelt werden.
         sätzlich sollte bei CMD der Halteapparat untersucht werden      Schlüsselwörter: CMD, Gesichtsschmerz, Kiefergelenk, Neur-
         und umgekehrt (hohe Dunkelziffer). Die CMD-Behandlung           altherapie nach Huneke, Störfeld, Herd/Fokus, Regulations-
         erfolgt interdisziplinär, wobei regulationsmedizinisch die      medizin, ganzheitliche Behandlung

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        schon immer zu den großen Herausforderungen in der Zahn-           Stress auf dem Boden unterschiedlicher Einflussfaktoren. Aus
        medizin und Medizin. Schwer betroffene Patientinnen und Pati-      regulationsmedizinsicher Sicht können es auch unbedeutende
        enten, die meist auch unter anderen funktionellen Beschwerden      Anlässe, wie eine Impfung oder ein Infekt sein und eine gering-
        wie beispielsweise Rückenschmerzen, Organ-Erkrankungen,            fügige Erhöhung des psychosozialen Stresses, die im geeigneten
        vegetativen Fehlregulationen, diversen Kopfschmerzen oder          Gesamtkontext zur Dekompensation führen.
        Fibromyalgiesyndrom leiden, haben oft eine lange Krankenge-
        schichte hinter sich und werden von unterschiedlichen Fach-        Der wesentliche Vorteil der Neuraltherapie im Rahmen der
        disziplinen zumeist nur isoliert in Segmenten ihrer Krankheit      CMD-Behandlung liegt darin begründet, dass hiermit sowohl die
        behandelt. Häufig kommen psychosomatische oder psychische          somatischen – muskulofaszialen und arthrogenen Strukturen am
        Probleme (Depressionen, Schlafstörungen, Aggression, Bur-          Kopf und übrigen Körper, als auch die neuronalen Strukturen di-
        nout) hinzu. Den Zusammenhang zwischen den zum Teil sehr           rekt und übergeordnet sowie die Hormonachsen mit einer Metho-
        unterschiedlichen Beschwerden stellen nur Fachkolleginnen          de nebenwirkungsarm und effektiv behandelt werden können.
        und -kollegen fest, die sich darauf spezialisiert haben und auch
        bei umfassender Diagnostik und Herstellung der Beziehungen         Bemerkung: Unter dem Eindruck der Covid Epidemie fällt sub-
        zwischen den unterschiedlichen Symptomen ist nicht gesagt,         jektiv eine höhere Inzidenz der CMD auf. Dies mag an psycho-
        dass letztlich eine Salutogenese (3) erfolgen kann. In der Ver-    sozialen Faktoren durch ungewollte Abgrenzungen, frei flottie-
        gangenheit wurde die Behandlung der CMD aus zahnärztlicher         renden Ängsten und Fremdbestimmung im Zusammenhang
        Sicht eher mechanistisch und auf die Okklusion oder Störkon-       mit einer ungünstigeren Arbeitsergonomie z.B. im Homeoffice,
        takt bezogen gesehen. Inzwischen geht man jedoch von einer         weniger Ausgleichssport und ökonomischen und existenziellen
        eher über psychosoziale Faktoren getriggerte Entstehung bei        Sorgen liegen. Auch das Tragen der Schutzmasken (besonders
        der Analyse des biopsychosozialen Modells der CMD aus. Hier        FFP2) trägt nicht zu einer Besserung bei.
        hat in den letzten Jahren ein Paradigmenwechsel hin zu einem
        personalisierten Ansatz stattgefunden (4).
                                                                           Spezielle Pathogenese
        Optimalerweise erfolgt die Behandlung einer symptomatischen
        CMD interdisziplinär. Hierbei kann regulationsmedizinisch          Grundsätzlich ist die CMD in der Regel durch einen erhöhten
        bei entsprechendem Leidensdruck die Neuraltherapie nach            Tonus in der Kau- und Nacken-Muskulatur gekennzeichnet.
        Huneke neben und in Kombination mit etablierten Therapi-           Als Kardinalsymptome der Craniomandibulären Dysfunktion
        en wie Schienentherapie, Physiotherapie, Selbstbeobachtung,        gelten Schmerzen im Kiefer-Gesichtsbereich, Kiefergelenksge-
        Verhaltenstherapie und Coping Strategien und Ähnlichem zur         räusche, Funktionseinschränkungen (5). Das Stressmodell nach
        besseren Stressverarbeitung eine herausragende Rolle spielen.      Selye (6) und die Untersuchungen von Cannon (7) beschreiben
        Die schwere symptomatische CMD betrifft alle Ebenen des            bereits Mitte des letzten Jahrhunderts eindrücklich die Folgen
        Menschen – Soma, Psyche und Geist. Sie ist immer multifak-         von Stress bei Mensch und Tier einerseits auf den Hormon-
        toriell und hat häufig Teil-Ursachen in länger zurückliegenden     haushalt und andererseits auf Verhalten, Muskulatur und Or-
        Traumen oder Zusammenhängen und ist in der Regel Folge ei-         gane und sind inzwischen Lehrbuchwissen bei Schülern und
        ner psychischen und physischen Dekompensation infolge von          Studenten.

          Summary
          Craniomandibular dysfunction (CMD) is the most common             Huneke can be successfully used multimodally with splint
          dysfunctional disorder in the maxillofacial area. The appea-      therapy, physiotherapy, self-observation, behavioral therapy
          rance is inhomogeneous with a prevalence of 10% and an in-        for stress management. Neural therapy can be used to treat
          cidence of 3% in the LeResche population (1). 80% of the pa-      somatic, musculo-fascial and arthrogenic structures on the
          tients are women. According to studies by the Robert Koch         head and body, neuronal structures directly and superordi-
          Institute (RKI) (2), 61.3% of those surveyed report back pain     nately, and the hormone axes with one method with few side
          and 45.7% neck pain/12 months. CMD often correlates here,         effects and effectively.
          as does tinnitus, atypical facial pain, etc. In principle, the    Key words: CMD, facial pain, temporomandibular joint TMJ,
          holding apparatus should be examined in CMD and vice ver-         neural therapy according to Huneke, interference field, fo-
          sa (high number of unreported cases). The CMD treatment           cus, regulatory medicine, holistic treatment
          is interdisciplinary, whereby the neural therapy according to

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                                                                                         se, der die Reaktion von Tieren auf Bedrohung
                                                                                         beschreibt, und veröffentlichte zu dem Thema
                                                                                         (1915) Bodily Changes in Pain, Hunger, Fear
                                                                                         and Rage (7).

                                                                                         Zu funktionellen Erkrankungen und deren or-
                                                                                         ganischen Folgen infolge von Stress existiert eine
                                                                                         S3 Leitlinie unter Mitarbeit von über 30 Fachge-
                                                                                         sellschaften. Die Folgen von chronischem Stress
                                                                                         betreffen sowohl die Organe (Herz, Schilddrüse,
                                                                                         Magen, Darm etc. ) als auch die Psyche, Schlaf-
                                                                                         störungen, Depressionen, Panikattacken etc.

                                                                                         Die spezifische physische Reaktionsform des
                     Abb. 1: Stress Modell nach Selye                                    Menschen auf Stress im Zusammenhang mit der
                     Das „General Adaptation Syndrome“ (Selye 1946: 123)                 CMD wird bedingt durch die reflektorische Ver-
                                                                                         kürzung der Kau- und Nackenmuskulatur und
                                                                                         das Anheben der Schultern mit Vorschub des
                                                                                         Unterkiefers ausgelöst s. Abb. 3 modifiziert nach
                                                                                         Ettin et al. Dies geschieht unbewusst reflektorisch
                                                                                         infolge von akutem und chronischem Stress.
                                                                                         Bei chronischen Belastungen wird häufig in
                                                                                         der Nacht gepresst oder geknirscht mit nach-
                                                                                         folgend Kopfschmerzen und Verspannung am
                                                                                         Morgen. Bei intensiver PC -Arbeit, schlechter
                                                                                         Arbeitsergonomie – z.B. zu hoher Position
                                                                                         der Tastatur oder entsprechend belastenden
                                                                                         Situationen am Tag können auch tagsüber er-
                                                                                         hebliche Parafunktionen auftreten. Hier sollte
                                                                                         eine Selbstbeobachtung der Patientin oder des
                                                                                         Patienten nach entsprechender Anleitung mit
                                                                                         Schmerztagebuch erfolgen, um festzustellen,
                                                                                         wann hier Belastungen auftreten. Die reflek-
                                                                                         torische Verkürzung der Muskulatur setzt sich
                                                                                         oft im Bereich der autochthonen Rückenmus-
                                                                                         kulatur fort. Bei vielen Patientinnen und Pati-
                                                                                         enten fällt zudem in der Anamnese ein Unfall
                                                                                         mit Schleudertrauma auf.

                                                                                         (In diesem Zusammenhang ist die nicht all-
                                                                                         gemein als Krankheitsbild anerkannte Kryp-
                                                                                         topyrolurie (KPU) zu nennen, die in 10%
                                                                                         der Bevölkerung oft im Zusammenhang mit
                                                                                         einem HWS-Trauma auftritt und durch ver-
                                                                                         mehrte Ausscheidung von Zink, Vitaminen
                                                                                         und Spurenelementen zu einem relativen
                                                                                         Mangel mit entsprechenden Erscheinungen
                                                                                         führen kann. Diese sollten beim Nachweis
                                                                                         einer KPU durch entsprechende Nahrungs-
                                                                                         ergänzungsmittel ausgeglichen werden.)
                                                                                         Ebenso kann eine kieferorthopädische Regu-
                     Abb. 2: Fight or Flight-Reaktion                                    lation mit Einbringen erheblicher Kräfte in

        8                                                                  Systemische Orale Medizin        ·      10. Jahrgang 2/2022

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        die Kiefer besonders im wachsenden Organismus zu einer                   Salutogenesemodell nach Antonovsky (3). In Abhängigkeit
        reflektorischen Steilstellung der Wirbelsäule aufgrund der               von der individuellen Resilienz können die gleichen Faktoren
        reaktiven Anspannung der autochthonen Rückenmuskultur                    bei verschiedenen Patientinnen und Patienten unterschiedli-
        führen. Derartige Verspannungen können in manchen Fäl-                   che Folgen zeigen. Da man davon ausgeht, dass es vollständig
        len nachhaltig, auch nach Beendigung der kieferorthopädi-                gesund beziehungsweise vollständig krank (außer tot) nicht
        schen Behandlung, eine Rolle spielen. Letztlich kommen bis               gibt, gibt es auf dem Kontinuum zwischen Gesundheit und
        zum Auftreten des Krankheitsgefühls bei der Craniomandi-                 Krankheit jeweils eine Tendenz eher zur subjektiven Gesund-
        bulären Dysfunktion in der Regel mehrere Faktoren zusam-                 heit oder eher zur Krankheit hin. Dies hängt auch maßgeblich
        men. Je nach Beruf kann auch eine chronische Fehlbelastung               von Umgebungsfaktoren sowie psychischen, psychosozialen
        aufgrund der Arbeitshaltung eine Rolle spielen ( s. Abb. 4               und individuellen persönlichen Faktoren ab. Das Salutogene-
        bei Berufsgruppen Friseur*innen, Zahnärzt*innen, Bauar-                  semodell eignet sich nach meiner Auffassung am besten, um
        beiter*innen, Büro etc. oder habitueller Fehlhaltung). Nicht             die individuelle Krankheitsentstehung der CMD zu beschrei-
        zuletzt weisen Patientinnen und Patienten mit florider CMD               ben. Allein die Erklärung der Pathogenese und der Tatsache,

        Abb. 4: Zusammenhang Haltung, Nacken und Kaumuskulatur bei Fehlhaltung
        HWS Wirbelsäule und Fortleitung in den Muskelketten

                                                                                               Abb. 5: Salutogenese - Fassmodell aus Wein-
                                                                                               schenk S Handbuch der Neuraltherapie

        oft Zahn- oder Kieferfehlstellungen – Kreuzbisse, Traumen                dass Gesundheit ein Kontinuum darstellt, das man selbst regu-
        in der Anamnese oder Asymmetrien auf, die bei der Aus-                   lieren kann, hilft vielen Patientinen und Patienten bereits un-
        prägung des Krankheitsbildes eine Rolle spielen können. Es               ter Anleitung und Unterstützung durch die Schmerzbehand-
        gilt jedoch die Regel, dass eine Patientin oder ein Patient mit          lung sich auf ein entsprechendes regulationsmedizinisches
        vollständig eugnathem Gebiss bei Auftreten von erheblichen               Konzept einzulassen.
        anderen Triggern (Stress, Trauma, stattgehabte KFO, Stör-
        felder) ebenso in einer CMD münden kann, wie ein Patient                 Die Möglichkeiten der Genese auf der Basis einer gewissen Ei-
        mit dysgnathem Gebiss und offensichtlichen dentalen oder                 genverantwortung anzuleiten im Sinne der Regulationsmedizin
        maxillären Fehlstellungen, während eine tiefenentspannte                 / Neuraltherapie auch die psychische Autoregulation kombi-
        Patientin oder eine Patient mit erheblicher Dysgnathie völlig            niert mit Selbstbeobachtung, Coaching und Hypnotherapie zu
        beschwerdefrei sein kann.                                                fördern hat sich jedenfalls bewährt.

        Systemische Orale Medizin                 ·       10. Jahrgang 2/2022                                                                 9

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        Tabelle 1:
        Wichtige Faktoren bei der körperlichen Untersuchung aus regulationsmedizinische Sicht
          Bereich                     Faktoren                                            Trigger
          Kopf                        Narben                                              Störfelder
          Zähne                       Fehlstellungen/Verluste/Herde                       Vorkontakte, Schmerzen
          Zunge/Wangen                Pressen                                             Schleimhautirritation
          Kiefer                      Fehlstellungen, irreguläre Knochenstruktur          NICO, Störfelder, Fremdkörper, Narben
          Nasennebenhöhlen            Verschattungen                                      Störfelder, Entzündungen
          Kau-Muskulatur              Verspannungen, Myogelosen                           Schmerzpunkte

                                                                                          Fehlfunktion, Kompression, Entzündungsmediatoren, Arthrose,
          Kiefergelenke               Knacken, Reiben, Limitation, Subluxation
                                                                                          Kontusion

          Ohren                       Tinnitus, Druck                                     Kiefergelenkskompression
          Kehlkopf/Zungenbein         Hochstand, Kranialverlagerung                       Schmerzpunkte
          HWS                         Blockaden, Verspannungen                            Schmerzpunkte
          Schulter                    Blockaden, Arthrose, Kalkschulter                   Schmerzpunkte
          Arm                         Fehlbelastung                                       Schmerzpunkte
          BWS                         Blockaden, Verspannungen                            Schmerzpunkte
          LWS                         Blockaden, Verspannungen                            Schmerzpunkte
          ISG                         Blockaden, Arthrose                                 Schmerzpunkte
          Becken                      Schiefstand                                         Fehlbelastung/Skoliose
          Beinachsen                  Abweichungen                                        Fehlbelastung Knie
          Beinlängen                  Differenz                                           Fehlbelastung Hüfte, ISG
          Füße                        Fehlstellung, Instabilität                          Fehlbelastung Knie, Hüfte ISG

        Tabelle 2:
        Wichtige anamnestische Faktoren bei der Evaluierung von Stressoren/Einflussfaktoren
          Bereiche                                                                        Stressoren
          Familie                                                                         Tod, Erbschaft, Streit, Mutter, Missbrauch, Krankheiten
          Partnerschaft                                                                   Scheidung, Tod, Betrug, Krankheiten
          Beruf/Schule                                                                    Mobbing, Überlastung, Leistungsdruck, Arbeitslosigkeit, Rente
          Soziales Umfeld                                                                 Mobbing
          Arbeitsplatz – Körperhaltung - Belastung                                        Ungünstige Haltung wie Friseur, Zahnarzt, Büro etc.
          Arbeitszeiten                                                                   Schichtdienst
          Schlaf                                                                          Schlafstörungen, Baby, Elektrosmog
          Wohnung                                                                         Elektrosmog, bauliche Belastungen/Gifte
          Medien                                                                          PC-Sucht, Smartphone, TV
          Sorgen                                                                          Schulden, Krankheit, Ängste

        Stattgehabte Unfälle und Narben nach Verletzungen oder Operati-                   nischen Gesichtspunkten wegen ihrer Rolle als mögliches Trauma
        onen sowie Bagatellverletzungen müssen unter regulationsmedizi-                   oder Störfeld immer erfragt und sorgfältig notiert werden.

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                                                      Multimodale Therapie

                                      Abb. 6: Multimodale Therapie: Säulen der CMD-Behandlung mit verschiedenen Modalitäte

        Tabelle 3: Therapiekonzept unter Einbeziehung der Neuralthe-           7. Physiotherapie/Craniosakraltherapie – Osteopathie
        rapie bei 1. -6.                                                           orofazial und Halteapparat – Rücken
        1. A Ausschalten dentaler Trigger – Entlastung der Kieferge-               je nach Befund, Übungen und Selbstbehandlung
           lenke – hart weiche Schiene im Unterkiefer mit adjustierter         8. Je nach Ausmaß der psychischen Befunde: Selbstbeobach-
           Oberfläche ev. auch 2 mit unterschiedlicher Bisserhöhung                tung, Psychosomatische Begleitbehandlung- Coaching,
        2. B Abklären, Entfernen oder Behandeln von Foci und Stör-                 Hypnotherapie ggf. medikamentöse Einstellung – Stressver-
           feldern – NICOS, beherdeten Zähnen, NNH-Befunden,                       arbeitungsstrategien – ggf. Arbeitsplatzwechsel oder Um-
           Mandeln                                                                 schulung
        3. C Mittelfristig falls notwendig – schrittweise angepasste           9. Ausschalten von Stressoren – ggf. längerfristige Krank-
           dentale Rehabilitation                                                  schreibung – „Burnout“
        4. Ggf. Mitbehandlung - Abklärung durch HNO                            10. Ernährungsumstellung, Nahrungsergänzungsmittel nach
        5. Abklärung und ggf. Behandlung Rücken- Halteapparat –                    Bedarf
           Orthopäde/Neurochirurg                                              11. Physikalische Maßnahmen – z-B. Wärme, Rotlicht, TENS,
        6. Ggf. systemische Schmerzbehandlung – ggf. Diazepam,                     Bemer-Therapie – (Magnetfeldtherpie zur Verbesserung
           Amitriptilin oder CBD                                                   der Mikrozirkulation)

        Systemische Orale Medizin          ·       10. Jahrgang 2/2022                                                                   11

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                                                                                             Neuraltherapie nach Huneke                                        Abb. 7: Ursprungsgebiete und Organversorgung von Sympathikus (rot) und
                                                                                                                                                               Parasympathikus (blau)
                                                                                             Die Neuraltherapie ist ein regulationsmedizinisches Verfahren,
                                                                                             das mittels Injektion eines kurzwirksamen Lokalanästhetikums
                                                                                             (meist Procain) diagnostische und therapeutisch sowohl bei
                                                                                             chronischen als auch akuten Erkrankungen eingesetzt wird (8).
                                                                                             Die Neuraltherapie wirkt durch die gezielte Beeinflussung von
                                                                                             örtlich begrenzten Störungen (z.B. lokale Schmerzen, Narben,
                                                                                             Kiefergelenksbeschwerden) oder auch Allgemeinstörungen des
                                                                                             Organismus (z.B. Migräne, Schlafstörungen, Angst…) unter
                                                                                             Zuhilfenahme des vegetativen Nervensystems. Dabei werden
                                                                                             periphere und/oder zentrale Strukturen des Vegetativums durch
                                                                                             gezielte Behandlung (Injektionen) mit Lokalanästhetika vorü-
                                                                                             bergehend blockiert.
                                                                                             Die Neurophysiologischen Zusammenhänge auf der Basis des
                                                                                             vegetativen Nervensystems insgesamt und in Bezug auf die In-
                                                                                             nervation im Kiefer-Gesichtsbereich sind die Grundlage der
                                                                                             Neuraltherapie und müssen für das Verständnis der Wirkwei-
                                                                                             se und Therapieansätze unbedingt beachtet werden vgl Abb. 7       Abb. 8: Schema zur neuromuskulären Steuerung des Kaumechanismus aus
                                                                                             und Abb. 8                                                        Weinschenk S: Handbuch der Neuraltherapie basierend auf Schuhmacher GH.
                                                                                                                                                               Anatomie für Zahnmediziner Heidelberg, Hüthig 1997
  Quelle: Schünke M et al: Prometeus LernAtlas der Anatomie, Kopf-Hals- und Neuroanatomie.

                                                                                                                                                               Diese reversible kurzzeitige Impulsunterbrechung erfolgt mit
                                                                                                                                                               dem Ziel einer Normalisierung der vegetativen Membranfunk-
                                                                                                                                                               tionen im Injektionsgebiet und nachfolgender Re-Harmonisie-
                                                                                                                                                               rung der von hier aus gestörten Regelkreisen. – „Regulations-
  Illustrationen von M. Voll und K. Wesker. 4. Aufl. Stuttgart, Thieme; 2015

                                                                                                                                                               medizin“. Die neuraltherapeutisch vorgenommene Injektion ist
                                                                                                                                                               durch den Reiz mittels Nadelstich und die Reizausschaltung
                                                                                                                                                               durch das Lokalanästhetikum bestimmt (9).

                                                                                                                                                               Pharmakologische Besonderheiten
                                                                                                                                                               von Procain
                                                                                                                                                               Im Gegensatz zu manch anderslautenden Informationen tritt
                                                                                                                                                               eine Allergie auf Procain selten auf (10). Im Vergleich zu bei-
                                                                                                                                                               spielsweise Ultracain 4% ist es wenig toxisch. Die Halbwerts-
                                                                                                                                                               zeit ist sehr kurz: Procain zerfällt im Gewebe unmittelbar durch
                                                                                                                                                               die ubiquitär im Gewebe vorkommende Pseudocholinesterase
                                                                                                                                                               in Paraaminobenzoesäure, die die Kapillar-Membranen ab-
                                                                                                                                                               dichtet und Diäthylaminoethanol, welches lokal die Gefäße
                                                                                                                                                               erweitert und somit die Durchblutung erhöht. Procain diffun-
                                                                                                                                                               diert schlecht im Gewebe, sodass die Injektionen gut platziert
                                                                                                                                                               werden müssen – gleichzeitig führt dies dazu, dass man sehr

                                                                                             12                                                               Systemische Orale Medizin                ·       10. Jahrgang 2/2022

SOM-02_2022.indb 12                                                                                                                                                                                                                      29.06.22 14:43
Wir beißen uns durch Wissenschaft - awb-werbung
Wissenschaft

        spezifisch arbeiten kann und die nicht myelinisierten C-Fa-        Besserung nach Erstverschlimmerung:
        sern des autonomen Nervensystems, die ja das Zielorgan für         hierbei tritt nach einer anfänglichen Verschlechterung über
        die Autoregulation darstellen, bevorzugt werden. Diese Effekte     Stunden bis wenige Tage ebenfalls eine Besserung der Be-
        erklären die entzündungshemmende Wirkung und die positive          schwerdesymptomatik ein (9,10,11)
        Wirkung auf Nervensystem und Hormonhaushalt.
                                                                           Reaktionsphänomen:
        Wie alle Lokalanästhetica ist Procain sympathikolytisch. Eine      Hier tritt eine anfängliche Verschlechterung der Urspungssym-
        Beimengung von Adrenalin ist kontraindiziert, da dies die Wir-     ptomatik über 1-3 Tage mit Rückkehr zum Ausgangsniveau der
        kung negativ beeinflussen würde. Daher ist Procain außer bei       Beschwerden auf. Dies ist ein klarer Hinweis auf ein Störfeld
        einer nachweislichen Allergie das Medikament der Wahl für die      (11)
        Neuraltherapie.
                                                                           Retrogrades Phänomen:
                                                                           Nach Segmenttherapie neu auftretende Beschwerden, unter
        Konzept/Systematik der Neuraltherapie                              Umständen an fern abgelegenen Stellen sind ein deutlicher
                                                                           Hinweis auf ein Störfeldgeschehen (11).
        1. Therapie über den Locus dolendi –„da wo es weh tut“
        2. Therapie über das Segment – segmentale Nervenareale
        3. Therapie über zentrale Strukturen des vegetativen Nerven-       Intravasale Neuraltherapie
           systems (erweitertes Segment/Ganglien)
        4. Neuraltherapie als Infusion als Reset                           Mit unverdünntem Procain als Endoanästhesie nach Zipf oder
        5. Störfeldtherapie – z.B. Narben, Tonsillen, Weisheitszahnregi-   als Infusion mit Procain in NaCl: Hierdurch erreicht man the-
           onen                                                            rapeutisch wirksam Strukturen wie Gefäß-, Herz und Schleim-
                                                                           hautrezeptoren und das die positive Einflussnahme auf die
        Nach dieser Einteilung kann man der Topographie des vegeta-        Psyche erklärende limbische System (11, 12)
        tiven Nervensystems und den Verbindungen zum somatischen
        Nervensystem, den Hirnnerven und dem zentralen Nervensys-
        tem Rechnung tragen (9).                                           Störfeldtherapie
        1. / 2. Entspricht der Segmenttheapie:
        Die lokal-segmentale Therapie an Bereichen, die über die Seg-      Begriffsdefinitionen Herd – Störfeld:
        mentreflektorik verschaltet sind, nutzt vegetative, somatische     Herdgeschehen sind der Zahnmedizinerin und dem Zahnme-
        Afferenzen und Efferenzen(9, 10). Dies trifft für die Injektion    diziner sehr vertraut und es ist tägliches Brot der Zahnärztin
        an Muskeltriggerpunkte (15) , Quaddeln und Infiltrationen an       und des Zahnarztes Herde zu sanieren. Niemand bezweifelt
        Gelenke zu.                                                        die Tatsache, dass ein beherdeter Zahn durch das Abgeben von
        3. Die Therapie über zentrale Strukturen nutzt vertikale Ver-      Bakterien in die Blutbahn eine Fernwirkung - zum Beispiele an
        schaltungen über Körperganglien mit dem Ziel eine Durchblu-        Herzklappen oder Endoprothesen - im Sinne einer bakteriellen
        tungsverbesserung, Reset von Nerven, Löschen des Schmerz-          Besiedlung hervorrufen kann. Der Begriff Herd und Störfeld
        gedächtnisses (13) (früher: erweiterten Segmenttherapie). Sie      wir manchmal vermischt oder gleichgesetzt. Fakt ist, dass ein
        stellt technisch höhere Anforderungen an den Behandler (z.B.       Herd ein Störfeld im neuraltherapeutischen Sinne sein kann,
        Gl pterygopalatinum).                                              aber nicht muss. Umgekehrt kann ein Störfeld morphologisch
        Im Rahmen dieser Behandlung treten folgende Phänomene auf          zum Beispiel im Sinne eines Herdes oder einer Narbe sichtbar
        (s. Abb. 9).                                                       sein – es muss aber nicht makroskopisch sichtbar sein.

        Segmentphänomen:                                                   Ein Störfeld (neuromodulatorischer Trigger) ist ein chronischer
        hier kommt es nach jeder Behandlung kontinuierlich zu einer        oligo – oder asymptomatischer Gewebeabschnitt an einer be-
        Besserung der Beschwerdesymptomatik bis zu völligen Be-            liebigen Stelle des Körpers (10) dessen afferenter Schenkel sich
        schwerdefreiheit (11).                                             durch neuroplastische Modulation im Reizzustand befindet.

        Systemische Orale Medizin           ·      10. Jahrgang 2/2022                                                                  13

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        Die Hypothese der Fernwirkung liegt in der Verknüpfung des           Migräne, Tinnitus, Trigeminusneuralgie bzw. atypischer Ge-
        gesamten Körpergewebes über das autonome Nervensystem                sichtsschmerz, chronische Nebenhöhlenaffektionen, chronische
        (12), und die dem Vegetativum zugeordneten C-Fasern.                 Augenentzündungen Bronchialasthma, Allergien, Hyper- und
                                                                             Hypothyreose/Hashimoto Thyreoiditis, Herzrhythmusstörungen,
        Ein Herd ist dadurch gekennzeichnet, dass er morphologisch           chronische Prostatitis, Reizblase, Zyklusstörungen, chronische
        nachweisbar ist. Sehr häufige Störfelder, die nicht makroskopisch    Darmentzündungen., orthopädisch-rheumatische Erkrankun-
        sichtbar sind, sind die Regiones der Weisheitszähne nach Entfer-     gen, Durchblutungsstörungen, vegetative Regulationsstörungen
        nung. Manchmal sind im Kieferbereich an der Position einer sol-
        chen „Knochennarbe“ nach z.B. Weisheitszahnentfernung aber
        auch fettige Knochennekrosen im Bereich des nicht vollständig        Phänomene im Zusammenhang
        ausgeheilten Knochendefektes nach Weisheitszahnentfernung
        nachweisbar „Neuralgia Inducing Cavitational Osteonecrosis“
                                                                             mit Störfeldbehandlung
        NICOS im Sinne eines makroskopisch sichtbaren Herdes, die
        oft über das Triggern der C-Fasern wie der Name schon sagt,          Sekundenphänomen:
        auch als Störfeldes wirken. Ob ein Störfeld im Bereich einer         Sofortiges reproduzierbares Verschwinden nach Infiltration des
        Narbe oder Extraktionswunde vorliegt, lässt sich nur durch die       vermuteten Störfeldes. Vgl oben Plischko 2007 (19)
        neuraltherapeutische – diagnostische Infiltration mit Procain
        herausfinden. Wenn die Symptome nach Infiltration an einen           Nachbarschaftphänomen:
        verdächtigen Bereich für 20 h bzw. bei einer Testinfiltration im     eine nur für ein paar Stunden anhaltende Symptomlinderung
        Zahnbereich für 8 h verschwinden, liegt ein Störfeld vor (9).        bei Vorliegen eines Störfelds in direkter Nachbarschaft des ge-
                                                                             testeten Bereiches.
        Therapeutisch ist der Unterschied zwischen Störfeld und
        Herd der, dass der Herd auch chirurgisch saniert werden              Die Punkte 1-6 aus Tabelle 3 können unmittelbar durch Neur-
        muss, während man das Störfeld durch die stabilisierende             altherapie mitbehandelt werden. Durch den regulationsmedi-
        Behandlung im Sinne aufgrund der Neuroplastizität mit                zinischen Ansatz fällt der Behandlungsbedarf mit Operationen
        Procain behandeln kann. Erfahrene Chirurgen, die eine                oder invasiven Behandlungen sowie medikamentösen Einstel-
        neuraltherapeutische Ausbildung haben, infiltrieren jede             lungen oft unmittelbar bis mittelfristig weg. 80% aller Störfelder
        Wunde/Narbe prophylaktisch mit Procain, um die Entste-               liegen nach Hans Barop (12 Taschenatlas Neuraltherapie nach
        hung eine Störfelds zu vermeiden.                                    Huneke, S. 22 Haug Verlag 2017) im MKG und Tonsillenbereich.
                                                                             Im Weiteren müssen alle Narben und zum Beispiel der Bauchna-
        Grundlagen der Störfeldphysiologie:                                  bel sowie der gynäkologische Bereich – beim Mann der Plexus
        Das ursprünglich von den Gebrüdern Huneke zufällig entdeck-          vesicourethralis als Störfeld ausgeschlossen werden.
        te Störfeldphänomen wurde von Ricker (16) tierexperiementell
        belegt (9,10,11). Er konnte die Engrammierbarkeit des vege-
        tativen Nervensystems als Grundlage der Störfelderkrankung
        zeigen. Von Pischinger und Heine (14) wurde das Modell einer
        segmentübergreifenden Verschaltung über eine ubiquitäre Syn-
        apse aus zellulären, humoralen und neuronalen Komponenten,
        das „Grundsystems“ über das die Impulsweiterleitung über die
        sympathischen Fasern des vegetativen Nervensystems im Or-
        ganismus stattfindet, aufgestellt. Speransky (17) konnte in der
        Neuralpathologie, ebenfalls tierexperimentell demonstrieren,
        dass es keinen segmentalen Grenzen bei der Störfeldwirkung
        gibt. In Nature beschreibt Kevin Tracey (18) 2002 einen inflam-
        matorischen Reflex. Durch Stress, Störfelder und auch Emoti-
        onen entstandene lokale Sympathikus-Fehlinformationen kön-
        nen reflektorisch Entzündung und immunologische Antworten            Typische Injektionsorte bei CMD:
        des Organismus unterhalten und somit chronische Erkrankun-           Intradermale Quaddeln und subcutane, subgaleale infiltraionen am Schädel:
        gen in entfernten Körperregionen hervorrufen.                        Dornenkranz nach Hopfer auch Kopfkranz, die Neuerstrecke nach Perschke und
        Die häufigsten Störfelderkrankungen im Kontext der CMD               der temporomanibuläre Block. Abb. 10 a, b c: Infiltration von muskulären Trig-
        sind (auch nach eigener Beobachtung):                                gerpunkten Kaumuskulatur nach Palapation (Travell 15).

        14                                                                  Systemische Orale Medizin                  ·        10. Jahrgang 2/2022

SOM-02_2022.indb 14                                                                                                                                       29.06.22 14:43
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                                                                    Abb. 11: Injektion an das
                                                                    Koefergelenk

                                        Abb. 12: Injektion an das                                   Abb. 13: Injektion an
                                        Ganglion oticum                                             das Ganglion pterygopa-
                                                                                                    latium

        Systemische Orale Medizin   ·   10. Jahrgang 2/2022                                                            15

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Wissenschaft

        Fallbericht: XY                                                   Befund:
        Pat. S G, 44 Jahre. Verheiratet, 1 Tochter (16 Jahre), früher     MKG               OPT, Untersuchung MKG Asymmetrie we-
        Leistungssport Volleyball.                                                          gen fehlendem Zahn 23 und Lückenschluss
                                                                                            – Tendenz zum Kreuzbiss, Kaumuskula-
        Anlass für den Arztbesuch:                                                          tur verspannt, KG Knacken terminal rechts
        Die Patientin kommt wegen Gesichtsschmerzen linkseitig,                             Allgemein: Guter EZ, eingeschränkter AZ we-
        Zahnschmerzen, Tinnitus links mehr als rechts, Panikstörung,                        gen Schmerzen, schmerzhafte Trigger Nacken,
        Schlafstörungen, Erschöpfung, chronische Gastritis seit 2006.                       Tendenz Fibromyalgie, funktionelle Magenbe-
                                                                                            schwerden und Reizdarm, Pat ist erschöpft bei
        Anamnese: In der Familien-Anamnese Tod des Bruders und                              Durchschlafstörungen
        Scheidung der Eltern belastend, aktuell fehlender Sport un-
        ter Corona belastend. Die Patientin ist wegen Ängsten, Pani-      NCH               Neurologische    Untersuchung    bis   auf
        kattacken in psychologischer Behandlung gewesen – Herz-                             Schmerzen     unauffällig, keine   Ausfälle
        rasen funktionell. Aktuell Stress, Mobbing bei der Arbeit.                          HWS-LWS Syndrom, Trigger ISG
        Sport wurde seit frühester Jugend zum Ausgleich intensiv be-
        trieben.                                                          Labor             Urinprobe KPU

        Auf Nachfrage: Auffahrunfälle 1999, 2003, 2008 jeweils mit        Bildgebung        OPT, CT Rücken, MRT Rücken
        Schleudertrauma, Peitschenhiebverletzung HWS
                                                                          Sitzungen         Behandlung einmal – zweimal pro Woche

          Zeit /Psycho-Th                 Massnahmen MKG/Oral/Neurochirurgie/Physio           Neuraltherapie
          Woche 1                         Ausführliche Anamnese und Untersuchung MKG          Erste Behandlung: Infusion mit Procain und
                                          OPT (Untersuchungsbogen für Homöopathische          Basen – Bemerbehandlung,
          Coaching –psychosomatische      Erstanamnese und Erhebungsbogen CMD der             Neuraltherapie: Quaddeln cubital (Keine Aller-
          Therapie, Selbstbeobachtung     DGZMK), Urintest KPU                                gie), Infiltration Schilddrüse bds.
          begleitend incl. Hausaufgaben   Pat krank schreiben!                                Reset – Infusion
                                                                                              Quaddel – keine Allergie, Autonom NS,
                                                                                              Hormonachse Schilddrüse: Stress
                                          Ernährungsumstellung einleiten                      Neuraltherapie: Infusion Procain und Basen,
                                          Frühstücken! Haferflocken, kein Weizen, Zucker,     KPU Hoffmann, Bemer,
                                          Schweinefleisch, Konserven reduzieren               Lokal Infiltration: Triggerbehandlung Nacken,
                                          Nahrungsergänzungsmittel MSM Schwefel, Cur-         Dornenkranz, Infiltration Kaumuskulatur Spü-
                                          cuma, Kryptosan, Titrieren von CBD Tropfen zu       lung Kiefergelenke, Infiltration Myogelosen und
                                          Nacht bei Schlafstörungen                           Trigger Kaumuskulatur
                                                                                              Reset -Infusion Procain und Basen, Bemer
          Woche 2                         Untersuchung NCH: Röntgen HWS, LWS, MR              Neuraltherapie Rücken:
          Coaching –psychosomatische      HWS: Degenerative Veränderungen – kein op           Lokal Infiltration: Trigger, HWS Facetten, LWS
          Therapie, Selbstbeobachtung     würdiger Befund                                     Segment: Spinalnerven, N. occ bds., Lokal: ISG
          begleitend incl. Hausaufgaben                                                       Bemer
                                          MKG: Abdrücke OK UK,                                Neuraltherapie Störfeld: Unterspritzen Narben
                                                                                              und 8er Bereich, Mandeln Infiltration Störfeld
                                          Bissnahme aufrecht                                  Zahn 23,

        16                                                              Systemische Orale Medizin              ·      10. Jahrgang 2/2022

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Wissenschaft

          Woche 3                                           Einsetzen Entlastungsschiene hart weich mit adjus-   Reset: Infusion, Bemer Schädelbasis Therapie
          Coaching – Coping-Strategien,                     tierter Oberfläche, Physiotherapie Beginn            im Segment: Infiltrationen Gl pterygopla-
          Laufen wieder angefangen                                                                               tainum, Gl oticum,
          Hypnotherapie gegen Knirschen                                                                          Quaddeln Colon
          – Blockadenlösung (3 Sitzungen),                                                                       Hormonachse/Störfeld: Gyn-Raum
          Trauerverarbeitung – Rückfüh-
          rung zusätzlich
          Woche 4                                           Trägt Schiene, arbeitet wieder                       Reset: Infusion, Bemer
          Hypnotherapie                                                                                          Lokal: Trigger Nacken
          Woche 5                                           Trägt Schiene nachts, arbeitet wieder                Reset Infusion,
                                                                                                                 Trigger Nacken Myogelose KM
          Woche 6                                           Trägt Schiene nachts                                 Reset: Infusion
          Hypnotherapie                                     arbeitet                                             Hormonachse Störfeld: Gyn raum
          Woche 7                                           Trägt Schiene                                        Reset: Infusion
          Rückfall Tinnitus                                 Musste Schicht arbeiten                              Infiltration Kaumuskulatur, Kiefergelenke,
                                                                                                                 Trigger Nacken
          Woche 8                                           Impfung Covid                                        Reset: Infusion
                                                            3 Tage krank
          Woche 9-12                                        Trägt Schiene bei Bedarf                             Vorstellung bei Bedarf

        Behandlungsverlauf über 3 Monate – kein Tinnitus mehr, allgemein keine akuten Schmerzen mehr – gelegentlich wieder Verspan-
        nungen – Neuraltherapie bei Bedarf, Pat stellt sich auf Umschulung ein, da der Beruf mit Schichtdienst und wenig Wertschätzung
        verbunden ist.

        Interessenkonflikt:
        Die Autorin und der Autor geben an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

          Literaturverzeichnis:                                                                                       Autoren
            (1) LeResche L: Epidemiology of temporomandibular disorders: implications for
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                                                                                                                      PD Dr. med. Dr. med. dent
            (3) Antonovsky A: Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Deutsche
            Herausgabe von Alexa Franke. dgvt-Verlag, Tübingen 1997, ISBN 978-3-87159-136-5.
                                                                                                                      Katja Schwenzer-Zimmerer
            (4) Fussnegger MR: Plädoyer für einen Paradigmenwechsel in der Behandlung von
            Patienten mit orofazialen Schmerzen – ein personzentrierter, narrativer Ansatz. Dtsch
                                                                                                                      Fachärztin für Mund-, Kiefer- und
            Zahnärztl Z 2016; 71: 371–377                                                                             Gesichtschirurgie
            (5) Reißmann DR: Therapie von kraniomandibulären Dysfunktionen. Zahnmedizin
            up2date 2017; 11: 179–201                                                                                 Praxis an der Wiese
            (6) Selye H: Stress, Cortison und HomöostaseStress, Cortisone and Homeostasis. Ad-
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            Aus d. Engl. übers. von Helmut Junker, hrsg. von Thure von Uexküll. Urban & Schwar-
            zenberg-Verlag, München, Berlin, Wien 1975, Erste engl. Ausgabe 1915
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            Komplement Integr Med 2007; 2 (7): 32-34                                                                  Facharzt für Neurochirurgie
            (13) Weinschenk S et al Handbuch der Neuraltherapie: 2. überarbeitete Auflage, Thie-
            me-Verlag Stuttgart 2020                                                                                  Praxis an der Wiese
            (14) Pischinger A: Das System der Grundregulation, Haug-Verlag Stuttgart, 2010
            (15) Travell JG, Simons DG: Myofacial pain and dysfunction. Baltimore Williams and                        79539 Lörrach
            Wilkins 1998
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        Systemische Orale Medizin                           ·         10. Jahrgang 2/2022                                                                       17

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