WIR SIND AFFEN, ABER DOCH GANZ ANDERS
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Anthropologie «Wir sind Affen, aber chern. Die Schimpansen können bereits mit Steinen Nüsse knacken, weiter kommen sie doch ganz anders» aber nicht. So hat es bei uns Menschen ein- mal angefangen. Der Unterschied ist, dass die frühen Menschen diese Techniken und die Werkzeuge weiterentwickelt haben. Bei den Menschen kumulieren sich die kulturellen Der Anthropologe Carel van Schaik hat sein wissenschaftliches Leben der Frage Fortschritte. Heute ist alles ungeheuer kom- gewidmet, weshalb sich die Menschen von den Affen unterscheiden. Jetzt hat er plex geworden. Die Menschenaffen haben das eine Erklärung dafür gefunden. Mit Carel van Schaik sprach Thomas Gull. nicht geschafft. Meine Aufgabe ist zu erklären, weshalb das so ist. Herr van Schaik, Sie beschäftigen sich Man kann die Weitergabe solcher Techni- mit der Evolution der Affen und ziehen ken unterbinden und dann schauen, was in Zu welchen Schlüssen sind daraus Schlüsse auf die Evolution des der nächsten Generation noch vorhanden ist. Sie bisher gekommen? Menschen. Wodurch unterscheiden Dabei stellt man fest, dass sehr viel verloren van Schaik: Wir unterscheiden zwischen sich die Menschen von den Affen? geht. «kumulierter» Kultur, das heisst der Weiter- Carel van Schaik: Seit Darwin ist dieser gabe und Verbesserung von Techniken, und Unterschied das grosse Thema. In den letzten Sie haben verschiedene Orang-Utan- der «symbolischen» Kultur, wo arbiträre Sym- zwanzig, dreissig Jahren haben wir sehr viel Populationen beobachtet und festgestellt, bole verwendet werden. Dazu gehören vor gelernt über die Affen. Das hat dazu geführt, dass einige wussten, wie man die einfachen allem Sprache und Schrift: Wenn ich «Stift» dass viele der vermeintlichen Unterschiede Werkzeuge einsetzt, während das bei sage, ist uns beiden klar, was ich damit meine, relativiert worden sind. Beispielsweise die Kul- anderen nicht der Fall war. Ein klarer obwohl nichts an dieser Bezeichnung auf das tur: Wir haben immer angenommen, sie unter- Hinweis darauf, dass es sich dabei um Ding verweist, sie ist arbiträr. Die kumulierte scheide uns von den Affen. Mittlerweile wissen eine kulturelle Innovation handelt? Kultur hat dazu beigetragen, dass wir heute wir, dass es bei den Menschenaffen bereits van Schaik: Die Populationen in von einan- ungeheuer komplexe Dinge tun und herstel- Elemente von Kultur gibt. Wie wir festgestellt der getrennten Gebieten haben verschiedene len können. Versuchen Sie einmal eine PET- haben, gibt es viel mehr Ähnlichkeiten zwi- Techniken entwickelt, wie man Früchte wie Flasche zu produzieren, wenn Sie nichts wis- schen den Menschenaffen und den Menschen, die Neesia öffnet, die sehr nahrhafte Samen sen. Das ist unmöglich. Da bauen wir auf tau- als wir dachten. Auf der anderen Seite verste- enthalten, an die man aber nur schwer her- sende Jahre Erfahrung auf. Das Schreiben hat hen wir aber auch besser, wie die Menschen vor ungefähr sechs Millionen Jahren angefangen haben, sich anders zu entwickeln als die ande- «Die gemeinsame Aufzucht der Jungen unterscheidet uns von den ren Menschenaffen. Wir sind zwar Menschen- Affen. Sie ist der Schlüssel, um die Menschwerdung zu erklären.» affen, aber doch ganz anders. Man kann sagen: Es gibt die grosse Gruppe von Menschenaffen und weit entfernt gibt es die Menschen. ankommt, weil sie durch scharfe Nadeln ungeheuer zu dieser Entwicklung beigetragen. geschützt sind. Nun gibt es Gruppen von Doch das sind alles alte Geschichten. Jetzt Was haben wir denn gemeinsam? Orang-Utans, die wissen, wie man mit Holzste- sind wir weiter. van Schaik: Vieles, aber sehr wichtig ist cken die Früchte herausholen kann, während die Fähigkeit zur Innovation, etwa für den sie andere einfach ignorieren, weil sie damit Weiter – in welchen Sinn? Gebrauch von Werkzeugen oder im Sozialver- schlechte Erfahrungen gemacht haben. van Schaik: Wir haben endlich eine plau- halten. Das sind Fähigkeiten, die nicht gene- sible Erklärung dafür, weshalb sich die Men- tisch weitergegeben, sondern entwickelt und Solche primitiven Techniken stehen schen weiterentwickelt haben, während die dann sozial tradiert werden. also am Anfang unserer Kultur? Menschenaffen stehen geblieben sind: Der van Schaik: Das ist nur eines von ungefähr Schlüssel ist die Kooperation. Das sind die bei- Können Sie ein Beispiel nennen? dreissig Beispielen unterschiedlicher kultu- den grossen Unterschiede zwischen uns und van Schaik: Etwa die Art und Weise, wie reller Errungenschaften bei Orang-Utans. den Menschenaffen: Kultur und Kooperation. in gewissen Orang-Utan-Populationen Werk- Das heisst: Grundsätzlich gibt es bei Men- Menschenaffen sind zwar nett zueinander, aber zeuge benutzt werden, etwa um Früchte zu öff- schenaffen auch so etwas wie Kultur. Bei den sie haben nie Kooperationsformen entwickelt, nen. Dazu kann man ein Experiment machen: Orang-Utans blieb es allerdings beim Sto- die sich mit unseren vergleichen lassen. Der 10 UNIMAGAZIN 1/08 Website www.aim.uzh.ch Bild Tom Haller
Carel van Schaik, Anthropologe 11
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Zürcher Verhaltensökonom Ernst Fehr (siehe Begreifen die Affen die Versuchs nicht kennen. Das legt den Schluss nahe, dass Interview Seite 36) hat einmal gesagt, die Men- anlage überhaupt? die gemeinsame Aufzucht des Nachwuchses schen seien dramatische Ausreisser unter den van Schaik: Es gibt Kontrollexperimente, ungeheuer wichtig war in der menschlichen Tieren. Da hat er völlig Recht: Wir sind unge- die zeigen, dass sie sehr genau wissen, was sie Evolution. Man kann eine Liste machen: Was heuer kooperativ, darin unterscheiden wir uns tun. Also: Schimpansen teilen nicht. Es gibt ist alles anders geworden, das auf die gemein- von unseren nächsten Verwandten. Wissenschaftler, die das nicht geglaubt haben. same Aufzucht zurückgeführt werden kann? Aber es waren gute und genaue Experimente. Bisher sagten die Anthropologen: Im Laufe Können Sie erklären, was Das heisst für uns: Im Laufe der Evolution ist der Evolution ist so vieles anders geworden, Sie unter Kooperation verstehen eine neue Psychologie entstanden. Wir spre- die Wissenschaft braucht zwanzig Theorien, und wie Sie die Kooperations- chen von spontanem Altruismus oder Proso- um alles zu erklären. Das habe ich auch immer These begründen? zialität, die Ökonomen von «other regarding angenommen. Und plötzlich glaube ich, dass van Schaik: Das ist eine lange Geschichte. preferences». Das gibt es bei den Menschen wir mit der gemeinsamen Aufzucht der Jungen Fangen wir so an: Die Ökonomen arbeiteten affen nicht. Jetzt stellen wir uns die Frage: Wo einen Schlüsselfaktor gefunden haben, der sehr lange Zeit mit dem Modell des Homo oeco- nomicus als rationalem Nutzenmaximierer. Die Leute auf der Strasse haben sowieso nie «Schimpansen teilen nicht, Menschen hingegen schon – das ist daran geglaubt. In den letzten Jahren haben ein entscheidender evolutionärer Vorteil.» Verhaltensökonomen wie Ernst Fehr mit Expe- rimenten bewiesen, dass das Modell modifi- ziert werden muss. kommt das her? Da kommen die südamerika- vieles erklärt. Deshalb sind wir im Moment nischen Weissbüscheläffchen ins Spiel. Die etwas im Rausch. Wir haben etwas gefunden, Das heisst, die neuen Erkenntnisse Affen könnten ein Mosaikstein sein, um die von dem wir glauben, dass es sehr wichtig sein der Verhaltensökonomie beeinflussen Frage zu beantworten. kann, um die Menschwerdung zu erklären. auch die Anthropologie? van Schaik: Genau. Aber ich bin noch nicht Weshalb sind gerade diese Affen Das ging jetzt etwas schnell: Die fertig: Es gibt diese schönen Experimente, für Sie interessant, sie gehören nicht Weissbüscheläffchen ziehen ihren die Fehr gemacht hat. Das allereinfachste zu unseren nächsten Verwandten, Nachwuchs auch gemeinsam auf, heisst das «Diktator-Spiel» – man gibt einer den Menschenaffen? sie haben aber trotzdem nicht den Versuchsperson Geld und sagt: Jetzt darfst du van Schaik: Das Stimmt. Aber sie sind «co- gleichen evolutionären Sprung gemacht nach eigenem Gutdünken einen Teil davon operative breeders» wie wir. Das heisst, sie wie wir Menschen. Weshalb? jemand anderem geben. Der klassische Homo ziehen gemeinsam ihre Jungen auf. Die Men- van Schaik: Diese Affen sind sehr klein. oeconomicus würde sagen: Weshalb sollte ich schenaffen tun das nicht. Wir haben mit ihnen Wenn man so klein ist, hat man aus evolu etwas davon abgeben, ich behalte alles für das gleiche Experiment wie mit den Schim- tionärer Sicht einfach Pech, weil gewisse Ent- mich. Doch was tun die Leute? Sie geben 20 pansen gemacht, wobei die Versuchsanord- wicklungen gar nicht möglich sind, etwa bei bis 30 Prozent weg. Das ist schön. Und führt nung war: Die Äffchen konnten für andere Fut- der Hirngrösse. uns zur Frage, weshalb sie das tun, weshalb ter ziehen, aber sie selber haben nichts bekom- sie ohne Zwang kooperativ sind. Deshalb ver- men. Und sie haben es gemacht! Das heisst, Sie sprechen davon, wir Menschen suchen wir jetzt, die Psychologie der Koopera- sie haben die gleiche Psychologie wie wir, sie hätten es geschafft, die «graue Decke» zu tion zu erforschen. Wir fragen uns: Welche Art können auch spontan altruistisch sein. durchstossen, das heisst, grössere Gehirne von Psychologie führt zu diesem sonderbaren zu entwickeln. Weshalb hat das unsere Art Verhalten, das sich fundamental von jenem der Wie passt diese neue Erkenntnis in geschafft und die anderen Primaten nicht? anderen Menschenaffen unterscheidet? Man Ihre grosse Theorie, die die Entwicklung van Schaik: Ein grosses Gehirn hat seinen hat genau diese Experimente mit Schimpan- von den Menschenaffen zu den Preis. Es hängt von der Hirngrösse ab, in wel- sen durchgespielt, mit Futter statt Geld. Und Menschen zu erklären versucht? chem Alter die Reproduktion beginnen kann. was tun die Affen? Van Schaik: Wir vergleichen uns Menschen Je grösser das Gehirn, umso später beginnt mit unseren nächsten Verwandten. So können die Reproduktion. Menschenaffen haben im Sie behalten alles für sich? wir begreifen, was im Laufe der Evolution pas- Alter zwischen 13 und 15 Jahren ihr erstes van Schaik: Genau. Sie haben überhaupt siert ist. Die Psychologie der Kooperation ist Kind, Jäger und Sammler mit ca. 19 Jahren. keinen Bedarf, mit anderen zu teilen. Selbst ein fundamentaler Unterschied, weil sie die Je grösser das Gehirn, umso später kann man wenn es sie nichts kostet. Affen mit Ausnahme der Weissbüscheläffchen sich fortpflanzen. Das wirkt sich auf die Zahl 13
der Nachkommen aus. Wenn unter den Pri- Gruppe für den Nachwuchs entstanden. Men- Und ihre Ideen werden hinterfragt werden? maten die Gehirne grösser werden, sinkt die schenaffenweibchen sind im Gegensatz dazu van Schaik: Natürlich, aber das ist kein Wachstumsrate der Population. Das können auf sich alleine gestellt. Diese Entwicklung hat Problem. In unserer Begeisterung sehen wir meine Mitarbeiterin Karin Isler und ich bele- vor etwa zwei Millionen Jahren angefangen. nicht, was die Theorie nicht erklärt. Bis vor gen. Irgendwann tendiert das Wachstum gegen zwei oder drei Jahren habe ich an der Theorie Null. Das heisst, die Art kann sich nicht mehr Das heisst, wir Menschen konnten der kulturellen Evolution gearbeitet, die für selbst erhalten. Deshalb können die Gehirne dank dem cooperative breeding die mich der Motor der Evolution war. Jetzt kommt nicht mehr grösser werden. Konkret wissen «graue Decke» durchstossen? etwas ganz Neues dazu. wir, dass Affen mit einer Hirngrösse zwi- van Schaik: So ist es. Aus dem cooperative schen 600 und 900 Kubikzentimetern an diese breeding hat sich ein weiterer wichtiger Unter- Lagen Sie mit Ihrer These der Grenze stossen, die wir als «graue Decke» schied zu den Affen entwickelt: Wir helfen uns kulturellen Evolution falsch? van Schaik: Nein, daran müssen wir nichts ändern. Das cooperative breeding macht die «Wir können die menschliche Evolution mit biolog ischen Theorien Entwicklung von Kultur überhaupt erst mög- erklären. Darauf habe ich mein ganzes Leben gewartet.» lich. Ich habe die Frage gestellt, weshalb wir es als einzige der Menschenaffen geschafft haben, eine solche Kulturstufe zu erreichen. bezeichnen. Affenarten mit grösseren Gehir- gegenseitig. Wenn ich alleine bin und mich Jetzt haben wir die Erklärung: Das cooperative nen können nicht überleben. verletze oder krank werde, werde ich gefres- breeding hat den menschlichen Sozialverband sen oder verhungere. Als Gruppe kann man die geschaffen, in dem soziales Lernen und damit Was hat dem Menschen den Überlebenschancen erhöhen. Dadurch wer- die Entwicklung von Kultur möglich wurde. evolutionären Vorteil verschafft, den viele limitierende Faktoren aufgehoben Die neue Theorie erklärt nun viel besser, was ein dreimal grösseres Gehirn und die Decke kann durchstossen werden. wir schon wussten. Wir sind nicht mehr auf zu entwickeln? Alles basiert auf dem cooperative breeding Spekulationen angewiesen. van Schaik: Die Menschen haben viel kür- – man hält zusammen, man zieht die Kinder zere Geburtsintervalle als die Menschenaf- gemeinsam auf und die Kinder lernen über fen. Ein Orang-Utan-Weibchen hat alle 7 bis die sozialen Kontakte sehr schnell, was wir 9 Jahre ein Kind, eine Schimpansin alle 4 bis als Gemeinschaft wissen. Wir sehen: Alles fügt 7, wir Menschen aber alle 2 bis 4 Jahre. Wir sich wunderbar zusammen. Was mir an der wissen auch weshalb: Die Menschenkinder These des cooperative breeding auch gefällt: werden sehr früh entwöhnt und dann wird Wir brauchen keine spezielle Theorie für den Müttern von anderen bei der Aufzucht den Menschen, sondern können die mensch- geholfen. Das heisst: Die Lösung des Problems liche Evolution mit allgemeinen biologischen der Hirngrösse und der dadurch verzögerten T heorien erklären. Darauf habe ich mein gan- Fortpflanzung ist, dass in einer dieser Grup- zes Leben gewartet. pen von Menschenaffen im Laufe der Evolu- tion die gemeinsame Aufzucht der Jungen, das Wird die Theorie des cooperative breeding Zur Person «cooperative breeding», entstanden ist. Damit die Anthropologie revolutionieren? wurde den Weibchen ermöglicht, während van Schaik: Das ist an sich nicht das Ziel. Carel van Schaik ist Ordentlicher Professor ihrer Lebenszeit wesentlich mehr Kinder zu Aber ich möchte zeigen, wie die Menschwer- für Biologische Anthropologie. Der gebür- haben trotz des grösseren Gehirns. Wir den- dung mit alltäglichen biologischen Prozes- tige Niederländer hat in Utrecht Biologie ken, wir wissen auch, weshalb es dazu kam. sen erklärt werden kann. Wir versuchen, alle studiert und über das Verhalten von Affen Arten als Produkte der biologischen Evolution promoviert. Seit 1989 arbeitet er als Bio Verraten Sie es uns? zu verstehen. Nur uns haben wir bisher davon logischer Anthropologe, zuerst 15 Jahre an van Schaik: Die Bipedalität der Menschen, ausgenommen. der Duke University in Durham, USA, seit der aufrechte Gang auf zwei Beinen, und die 2004 in Zürich. Sein Hauptinteresse gilt der Zunahme der Hirngrösse haben das Kinder- Jetzt werden Sie die nächsten Frage, wie wir Menschen geworden sind. gebären sehr schwierig gemacht. Es brauchte Jahre damit verbringen, Ihre Dazu studiert er das Verhalten und die Bio- deshalb Hebammen, die bei der Geburt h alfen. Theorie weiter auszuarbeiten? logie der Affen. Daraus ist dann die Fürsorge der ganzen van Schaik (lacht): Habe ich denn eine Wahl? Kontakt vschaik@aim.uzh.ch 14 UNIMAGAZIN 1/08
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