Ökumenische Gedanken zu Epiphanias 2021 - Herzlich ...
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Ökumenische Gedanken zu Epiphanias 2021 Evangelium: Mt 2,1-16 Da Jesus geboren war zu Bethlehem in Judäa zur Zeit des Königs Herodes, siehe, da kamen Weise aus dem Morgenland nach Jerusalem und sprachen: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, ihn anzubeten. Als das der König Herodes hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem, und er ließ zusammenkommen alle Hohenpriester und Schriftgelehrten des Volkes und erforschte von ihnen, wo der Christus geboren werden sollte. Und sie sagten ihm: In Bethlehem in Judäa; denn so steht geschrieben durch den Propheten (Micha 5,1): »Und du, Bethlehem im Lande Juda, bist mitnichten die kleinste unter den Fürsten Judas; denn aus dir wird kommen der Fürst, der mein Volk Israel weiden soll.« Da rief Herodes die Weisen heimlich zu sich und erkundete genau von ihnen, wann der Stern erschienen wäre, und schickte sie nach Bethlehem und sprach: Zieht hin und forscht fleißig nach dem Kindlein; und wenn ihr's findet, so sagt mir's wieder, dass auch ich komme und es anbete. Als sie nun den König gehört hatten, zogen sie hin. Und siehe, der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, ging vor ihnen her, bis er über dem Ort stand, wo das Kindlein war. Da sie den Stern sahen, wurden sie hocherfreut und gingen in das Haus und sahen das Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder und beteten es an und taten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe. Und da ihnen im Traum befohlen wurde, nicht wieder zu Herodes zurückzukehren, zogen sie auf einem andern Weg wieder in ihr Land. Liebe Leserinnen und Leser, es gibt sie, solche Momente, in denen einem ein Licht aufgeht. Aha-Momente, Augenblicke, bei denen einem auf einmal alles klar wird. Der niederländische Theologe Edward Schillebeeckx spricht in diesem Fall von „Disclosure“-Erfahrungen. Erfahrungen, in denen sich die Wirklichkeit als Ganze in neuer Form erschließt. Das vergangene Jahr war für mich ein Jahr voller Aha-Momente. Die Coronakrise hat vieles, was meinen beruflichen wie privaten Alltag bislang ganz fraglos bestimmt hat, auf einmal fragwürdig erscheinen lassen. Diese Krise hat Selbstverständlichkeiten in ein neues Licht gerückt. Die Selbstverständlichkeit, wie wir miteinander in Kontakt treten, die Selbstverständlichkeit, mit der wir davon ausgehen, dass unser wirtschaftliches und soziales System funktioniert, die Selbstverständlichkeit, wie wir als Christinnen und Christen unseren Glauben nach außen hin leben. Diese Selbstverständlichkeiten gibt es so nicht mehr. Und allein die Tatsache, dass ich meine Gedanken zum heutigen Tag nicht als gesprochene Predigt, sondern schriftlich mit Ihnen teile, zeugt davon. Gleichwohl bin ich für diese Möglichkeit und für die Einladung der evangelischen Kirchengemeinde sehr dankbar. Denn einige meiner persönlichen Aha-Erlebnisse des vergangenen Jahres haben mit der Art und Weise zu tun, auf die wir als evangelische und katholische Christinnen und Christen versucht haben, auf die Herausforderungen dieser Pandemie zu reagieren.
Das heutige Fest ist voll von lichtvollen Momenten und Aha-Erlebnissen, die Menschen im Neuen Testament erlebt haben. Sie können uns als eine Hilfe dienen, wenn wir gemeinsam einen Blick zurück in das vergangene und einen vorsichtigen Ausblick in das noch junge neue Jahr werfen. Diese Fülle der Erfahrungen spiegelt sich auch in den verschiedenen Namen wider, die das heutige Hochfest im Laufe der Zeit erhalten hat: „Epiphanias“ oder „Erscheinung des Herrn“ und „Dreikönig“ sind die gebräuchlichsten. In der Alpengegend sagt man auch noch „Großneujahr“ oder „Hochneujahr“. Auch der Inhalt des Festes hat in seiner langen Geschichte unterschiedliche Akzente erhalten. War Epiphanie im Osten ursprünglich das Geburtsfest Jesu, so feiert man dort heute vor allem seine Taufe im Jordan. Damit ist oft eine große und feierliche Wasserweihe verbunden. Im Westen feierte man seit dem Mittelalter die sogenannten „drei Geheimnisse“: die Anbetung der drei „Magier“ oder „Weisen“ aus dem Osten, die Taufe Jesu und das Weinwunder bei der Hochzeit von Kana. Da kann einem vor lauter liturgischer Vielfalt schon ganz schön schwindelig werden! Bei allen unterschiedlichen Akzenten in Ost und West, damals und heute: in den biblischen Texten, die diesem Fest zugrunde liegen, geht es immer darum, dass Menschen „ein Licht aufgeht“. Es geht ihnen ein Licht auf, wer dieser Jesus eigentlich ist, der laut Matthäus und Lukas in Bethlehem geboren wird, den Johannes im Jordan tauft und der in Kana vor den Augen vieler Menschen Wunder vollbringt. Besonders augenfällig wird das im heutigen Abschnitt aus dem Matthäusevangelium geschildert (Mt 2,1-16). Auch hier geht den Menschen ein Licht auf. Bei den einen – so berichtet Matthäus – führt das zu blankem Entsetzen: „Als das der König Herodes hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem.“ Bei den anderen, den Magiern oder Sterndeutern, ist es Grund zu großer Freude: „Da sie den Stern sahen, wurden sie hocherfreut.“ Sowohl Herodes als auch den Männern aus dem Osten geht ein Licht auf. Dem einen, dass seine ungerechte irdische Herrschaft vom umfassenden Anspruch des verheißenen „Christus“ in Frage gestellt wird, den anderen, dass dieser neue „König der Juden“ mehr ist als nur ein Fürst, so dass sie sich vor dem Kind und seiner Mutter niederwerfen und es anbeten. Offensichtlich sind Augenblicke, in denen uns ein Licht aufgeht, nie eindeutig. Bezogen auf unser heutiges Fest heißt das: Das Erscheinen Jesu in dieser Welt ist ebenfalls nicht eindeutig. Dieser Mensch kommt als kleines Kind in diese Welt hinein. Das ist für alle sichtbar: Für die Menschen in Jerusalem, den König Herodes, die Schriftgelehrten und Hohepriester und sogar für Menschen aus der Fremde, die nicht zum erwählten Volk gehören. Alle haben eine Ahnung davon, wer dieses Kind sein könnte: Der ungerechte Herrscher Herodes redet vom „Christus“, also vom verheißenen Erlöser Israels. Die religiösen Fachleute können sogar den passenden Schriftbeleg liefern. Es scheint doch klar zu sein, wer dieses Kind ist, wenn sogar fremde und ungläubige Menschen sich auf den Weg machen, angelockt von „seinem Stern“, wie es heißt. Um im Bild zu bleiben: Es „dämmert“ ihnen allen, aber nicht alle werden „erleuchtet“. Im Gegenteil: Herodes versucht die Magier für seinen Plan zu benutzen, das Kind aus dem Weg zu räumen, das ihm gefährlich werden könnte. Und von den Schriftgelehrten und Hohepriestern erfährt man nichts weiter. Wahrscheinlich machen sie einfach mit ihrem theologischen Geschäft am Tempel weiter: Business as usual.
Es reicht also nicht, den Stern zu sehen. Man muss sich auch auf den Weg machen und ihm folgen. Theologisch formuliert: Es braucht den Glauben. Und sicher ist es kein Zufall, dass gleich im ersten Vers des Matthäusevangeliums von Abraham die Rede ist. Abraham, der sich auch auf den Weg gemacht hat, weil er dem Herrn glaubte. Das ist das Erste, das uns der Text als Verstehenshilfe an die Hand gibt: Man muss der Einsicht, die einem geschenkt wurde, folgen. Man muss dem Licht, das einem aufgeht, Raum geben, damit es leuchten kann. Blicken wir auf das vergangene Jahr zurück, so habe ich viele Momente erleben können, in denen Menschen sich aufgemacht haben, überall in unserem Land und auch hier vor bei uns vor Ort. Als der erste Lockdown quasi aus dem Nichts über uns hereinbrach, haben kirchliche und nichtkirchliche Gruppen und Einzelpersonen spontan Hilfe organisiert. Sie haben Einkäufe für ältere und alleinstehende Menschen erledigt, haben einsame Menschen angerufen, Kinder haben Bilder für Senioren in den Pflegeheimen hier vor Ort gemalt und so in all der Unsicherheit ein Zeichen der Solidarität und der Hoffnung gesetzt. Und die evangelischen Gemeinden in Forst und Ubstadt haben zusammen mit der katholischen Seelsorgeeinheit Abend für Abend die Glocken geläutet und zu einem gemeinsamen Vaterunser eingeladen. Seit dieser Zeit gibt es eine gemeinsame Rubrik „Ökumene“ in unseren Mitteilungsblättern und die Frage „Wie machen es die Evangelischen?“ taucht bei uns im Dienstgespräch mit schöner Regelmäßigkeit auf. Es klappt nicht immer mit der gemeinsamen Linie zwischen den Konfessionen, aber doch immer öfter. Es sind Podcastgottesdienste und Onlineangebote aus dem Nichts entstanden. Zu St. Martin haben von Kindern bemalte Lichtertüten die Fenster unserer Häuser erleuchtet und zur Weihnachtszeit wurden rund 2000 ökumenisch erarbeitete Gottesdienstvorlagen für einen Hausgottesdienst an Heiligabend verteilt. Der Segen der Sternsinger erreicht in diesem Jahr die Menschen auf dem Postweg. Viele Menschen haben in den letzten Monaten die Fernsehgottesdienste für sich entdeckt und das gemeinsame Gebet und Singen zu Hause als neues Ritual in ihr Leben integriert. Familien haben Ostern und Weihnachten bewusst zu Hause gefeiert und sich dabei ganz neu als Hauskirche erlebt. Einige werden sagen: „Ja, jetzt werden noch weniger Leute in die Gottesdienste kommen und noch weniger Leute zu den Treffen unserer Gruppen und Kreise.“ Stimmt, das wird so sein. Corona wird das Gesicht unserer Kirchengemeinden und das kirchliche Leben in ihnen verändern. Es wird nach der Pandemie nie wieder so sein wie vorher. Das hat sicher nicht nur positive Folgen, aber eben auch nicht nur negative. Die Frage ist, wonach wir Ausschau halten und wem wir mehr trauen: unseren Enttäuschungen und Ängsten oder der Verheißung, die hinter den vielen kleinen Aufbrüchen dieser letzten Monate hindurchscheint. Vielleicht haben wir es in den letzten Jahren, Jahrzehnten und sogar Jahrhunderten systemrelevanter Kirchlichkeit verlernt, auf Verheißung hin zu leben. Vielleicht müssen wir uns da von anderen an die Hand nehmen lassen. In unserer Geschichte sind es die Magier, die Leute aus dem Osten, die „Heiden“, die dem Stern folgen und die der Verheißung Glauben schenken, die für sie mit seinem Leuchten verbunden ist.
Das ist das Zweite, das uns der Text als Verstehenshilfe mitgibt: Wer sich vom Stern leiten und führen lässt und wer sich zum Kind nach Bethlehem aufmacht, das ist keine ausgemachte Sache. Es sind in unserer Geschichte eben gerade nicht die religiösen Profis, die Schriftgelehrten und Hohepriester. Es sind aber auch nicht die einfachen Gläubigen. Es sind die, die nicht zum „auserwählten Volk“ gehören. Es waren exotische Leute aus einem anderem Land mit einer exotischen Profession: „Magier“. Auch ihre Worte verraten sie. Sie kennen sich mit der religiösen Sprache der Zeit nicht aus: Sie reden nicht vom „Messias“ oder vom „Christus“ oder vom „König Israels“. Sie reden ganz profan vom „König der Juden“. Das tun im Matthäusevangelium nur die Heiden, wenn sie über Jesus sprechen. Aber ausgerechnet diese Leute sind es, die sich niederwerfen, um den Sohn Gottes anzubeten. Das führt mich zu einem weiteren Aha-Moment in diesen letzten Monaten: Es waren eben nicht nur die kirchlichen „Profis“, die Zeichen der Solidarität und der Hoffnung gesetzt haben. Viele Aktionen und Aufbrüche kamen von Gruppen und Menschen, die erst einmal mit Kirche nicht viel am Hut hatten. Vor ein paar Wochen las ich von einem „Barkeepertelefon“. Ein Darmstädter Kneipier kam mitten im vorweihnachtlichen Lockdown aus einer Laune heraus auf die Idee, für seine Stammgäste eine Telefonhotline einzurichten, ein „virtuelles Tresengespräch“. Aus einem PR-Gag wurde schnell ein viel nachgefragtes Angebot. Als ich das las, dachte ich: „Da macht ja einer unsere Arbeit!“ Interessanterweise heißt die Kneipe „Goldene Krone“. Zufall? Wenn ich einen Blick in das kommende Jahr wage, dann stellt sich für mich die Frage, ob wir bereit sein werden, von anderen zu lernen und uns in die Pflicht nehmen zu lassen. Wir haben als Christinnen und Christen keinen Exklusivanspruch darauf, Hoffnungsträger für diese Welt zu sein. Vielleicht braucht es mehr solcher Leute wie diesen Darmstädter Barkeeper. Sie erinnern uns daran, dass Gott Menschen in seinen Dienst ruft, deren „weltliche“ Sprache wir nicht sprechen und die unsere eigene kirchliche Sprache schon längst nicht mehr verstehen. Solche Menschen können uns auch daran erinnern, was – bei aller berechtigter Sorge um den gegenwärtigen Zustand und die künftige Gestalt unserer Kirchengemeinden – unsere eigentliche Aufgabe ist: Den Menschen von dem Kind aus Bethlehem zu erzählen und von dem Leuchten, das von ihm ausgeht und Menschen ins Ungewisse aufbrechen lässt. Die Anbetung der Magier zeigt den grenzenlosen Anspruch Gottes und seines Messias: Jesus ist der Christus aller Menschen. Das ist das Dritte, das uns das Evangelium als Verstehenshilfe mitgibt, wenn wir auf das vergangene Jahr und das kommende Jahr blicken. Und das ist sicher auch die entscheidende Perspektive. Gottes Licht scheint allen auf, die sich nach diesem Licht sehnen und die sich von diesem Licht anziehen lassen. Das wusste auch schon das Volk Israel. Und deshalb gehört die Lesung aus Jesaja 60 auch zu den Texten für diesen Festtag: Steh auf, werde licht, Jerusalem, denn es kommt dein Licht und die Herrlichkeit des Herrn geht strahlend auf über dir. Denn siehe, Finsternis bedeckt die Erde und Dunkel die Völker,
doch über dir geht strahlend der Herr auf, seine Herrlichkeit erscheint über dir. Nationen wandern zu deinem Licht und Könige zu deinem strahlenden Glanz. (Jes 60,1-3 EÜ) Gottes Licht, das in dem Kind aus Bethlehem aufstrahlt, will das Leben aller Menschen hell machen. Und das ist doch tröstlich. Das vergangene Jahr hat mir so manchen Aha-Augenblick geschenkt: Sicher ist nicht alles, was wir in unseren Kirchen tun, systemrelevant und schon gar nicht die Art, wie wir es tun. Aber die Botschaft, die wir zu verkünden haben, die ist es auf jeden Fall! Es gibt gerade in unserer coronageplagten Zeit Menschen, die auf ihre ganz persönliche Weise nach dem Licht Ausschau halten, das von dem Kind aus Bethlehem für die Welt ausgeht. Und es gibt Menschen, die bereit sind, sich nach diesem Licht ausstrecken und ihm zu folgen. Menschen, mit denen wir gar nicht rechnen. Ich glaube fest daran: Wenn wir es ihnen in ökumenischer Verbundenheit gleichtun und uns auf den Weg machen, dann wird uns im kommenden Jahr so mancher Aha-Moment geschenkt werden, der uns dem Geheimnis näherbringt, das wir heute feiern. Steh auf, werde licht, Jerusalem, denn es kommt dein Licht und die Herrlichkeit des Herrn geht strahlend auf über dir. Ihnen allen ein gesegnetes 2021! Tobias Schnieders, Pastoralreferent
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