WIRTSCHAFT - HMW Emissionshaus AG
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WIRTSCHAFT 1 2 Wie Immunzellen Krebszellen eliminieren 1 Zwei Krebszellen. 2 Eine Immunzelle hat Kontakt aufgenommen, die Krebszelle beginnt, sich zusammenzuziehen. 3 Die Apoptose (programmierter Zelltod) wurde eingeleitet. Dies ist an der Bildung von Bläschen (Vesikel) zu erkennen. 4 Die Krebszelle zerfällt in Partikel, die von Makrophagen, den Fresszellen, leicht aufgenommen werden können. Die Immunzelle löst die Verbindung und sucht nach der nächsten Krebszelle. Der Grund, warum dieser Prozess oft unterbleibt: Krebszellen können sich tarnen, werden für Immunzellen unsichtbar 4 3 62
G E S U N D H E I T S - I N N OVAT I O N Krebs-Stratege Ugur Sahin, 52, wurde in der Türkei geboren. Er stu- dierte in Köln. Der Onkologieprofessor an der Universität Mainz und Chef von BioNTech hält 60 Patente Fotos: Ramon Haindl für FOCUS-Magazin, Oliver Meckes/eye of science/Ag. Focus Das Biotech-Wunder von Mainz In der Landeshauptstadt am Rhein ist ein milliardenschweres Netzwerk innovativer Krebsforscher entstanden. Wie kam es dazu? FOCUS 22/2018 63
WISSEN „Wir sind nicht nur Fastnacht, Fußball, Wein und Gutenberg“, sagt der Wirtschaftsdezernent S o viele bekannte, aber auch so vestoren eingesammelt und viele neue junge Gesichter: sich mit Genentech aus San Christoph Huber blickt zufrie- Francisco verbündet. Die Toch- den in das lichtdurchflutete ter des Schweizer Pharmarie- Foyer der Mainzer Rheingold- sen Hoffmann-LaRoche ist das halle. Der 74-jährige Onkologe zweitgrößte – manche sagen ist unbestritten die Zentralfigur auf dem auch: das mutigste – Biotech- Jahreskongress der Krebs-Immunthera- Unternehmen der Welt. Ge- pieforscher. Mehrere Dutzend der rund meinsam will man die Krebs- 800 Teilnehmer hat Huber in seiner Zeit impfung erst an Hunderten, als Klinikleiter ausgebildet. Nie vergaß später an Tausenden Patien- er die „Translation“, die Übertragung ten erproben und zur Markt- der wissenschaftlichen Erkenntnisse der reife bringen. Krebs-Immunologie auf die Patientenbe- Ebenso aus Mainz stammt An der Goldgrube Die BioNTech-Zentrale sitzt an einer handlung. Er knüpfte Verbindungen zu Ganymed. Das ehemalige vielversprechenden Adresse. Zurzeit wirbt sie Millionen ein Firmen und zu ehrgeizigen Nachwuchs- Start-up ging soeben für 422 wissenschaftlern. Mittlerweile werden Millionen US-Dollar an Astel- weltweit schätzungsweise 2000 Immun- las Pharma aus Tokio. Anlass therapien gegen Krebs entwickelt – und war ein von Ganymed entwi- die rheinland-pfälzische Landeshaupt- ckelter Antikörper gegen Ma- stadt spielt dabei eine bedeutende Rolle. gen- und Speiseröhrenkrebs. „Wir sind hier eines der größten Wissen- In bisherigen Tests verdop- schafts-Netzwerke auf diesem Gebiet“, pelte sich die Überlebenszeit sagt Huber. Wer in das nüchterne Sech- schwer kranker Patienten durch ziger-Jahre-Gebäude am linken Rhein- das Medikament von durch- ufer zur CIMT, der Konferenz zu Cancer schnittlich neun auf 17 Mo- Immunotherapy, gekommen ist, der will nate nahezu. Mindestens bei mitmischen. jedem Vierten schrumpfte der Es ist kein Zufall, dass die Veranstal- Tumor sogar. Das Mittel steht tung zum 16. Mal in Mainz stattfindet. nun vor der dritten, entschei- Hier leisteten Huber und seine Kollegen denden Erprobungsstufe. Hält Pionierarbeit, hier entstanden Förderiniti- der Antikörper, was er bisher ativen zur Zusammenarbeit von Forschern versprochen hat, werden wei- und Pharmafirmen, hier etablierten sich tere 860 Millionen für Gany- Der Mentor spricht Der Österreicher Christoph Huber kam erfolgreiche Start-up-Firmen. Neuerdings med fällig. 1990 nach Mainz und schuf den Immuntherapie-Schwerpunkt fließt auch viel Geld in die Stadt. Daneben gibt es in Mainz Bislang brachte die Strategie, das unter dem Kürzel Tron (Trans- Abwehrsystem des Körpers für seinen lationale Onkologie) ein Ser- Kampf gegen die Tumorzellen zu stär- vicezentrum für Krebsforscher der Johan- topher Sitte, Wirtschaftsdezernent der Fotos: Ramon Haindl für FOCUS-Magazin, Andrea Enderlein ken, einige wenige, in sehr speziellen nes-Gutenberg-Universität. Tron, das 215 000-Einwohner-Stadt. Mit 24 000 Ar- Fällen wirksame Medikamente hervor. In dabei hilft, wissenschaftliche Ergebnisse beitsplätzen im Gesundheitssektor sei Mainz will man nun für jeden Patienten rechtlich abzusichern und sie zu verwer- Mainz ein wichtiger „Cluster“. Der On- den passenden therapeutischen Impfstoff ten, entwickelte schon manche wertvolle kologe Huber hält die katholische Bis- finden. Nicht mehr so sehr der von Krebs Hilfsmethode zur verfeinerten Krebsdia- tumsstadt gar für ähnlich innovativ wie befallene Körperteil, die Lunge etwa, die gnose. Die Stiftung des im Nachbarort München-Martinsried und Heidelberg. Brust oder der Darm, soll über die Art der beheimateten Pharmakonzerns Boehrin- Zwischen 1990 und 2009 leitete der Behandlung entscheiden, sondern das ger-Ingelheim verpflichtete sich kürzlich, mittlerweile emeritierte Professor die III. individuelle Genprofil der Tumorzellen. weitere 54 Millionen Euro in das Univer- Medizinische Universitätsklinik in Mainz. sitätsinstitut für Molekulare Biologie zu Er legte den wissenschaftlichen Schwer- Ein Antikörper für 1,2 Milliarden Dollar investieren. Dort entschlüsselt man die punkt auf Tumorimmunologie und schuf Unter der Adresse An der Goldgrube 12 Entwicklung von Krebszellen. einen – aus Bundesmitteln ausreichend sitzt die Firma BioNTech. Sie hat soeben „Wir sind nicht nur Fastnacht, Fuß- geförderten – Sonderforschungsbereich. 270 Millionen US-Dollar Kapital von In- ball, Wein und Gutenberg“, sagt Chris- Außerdem gelang es Huber, ein Forscher- 64 FOCUS 22/2018
G E S U N D H E I T S - I N N OVAT I O N und mit Medikamenten ohne Patent- schutz (Generika) groß gemacht hatten. 2005 verkauften sie ihre Anteile für rund sechs Milliarden Euro an die Schwei- zer Novartis und widmen sich seitdem verschiedenen Projekten, zu denen die Finanzierung von Zukunftstechnologien gehört. Mittlerweile zählt auch Fide- lity Investments aus Boston, einer der größten Vermögensverwalter der Welt, zu den potenziellen Investoren von BioNTech. Die Mitarbeiterzahl der Mainzer Firma wächst, auch zur Freude der Stadt. Zurzeit beschäftigt das Unternehmen fast 900 Menschen. Fast alle Krebsarten sind Angriffsziele Das Prinzip des Krebsimpfstoffs aus Mainz klingt simpel. Die Herstellung des Medi- kaments ist aber extrem aufwendig. Selbst innerhalb eines eng umgrenzten Krebstyps unterscheiden sich die gene- tischen Besonderheiten – die Mutatio- nen – des Tumors von Patient zu Patient. Deshalb „sequenzieren“ von BioNTech entwickelte Maschinen jeden einzelnen Tumor, dokumentieren also das jeweilige Genprofil. Durch Algorithmen werden die Angriffsziele identifiziert. So entsteht ein Leitfaden zur Aktivierung körper- eigener Immunzellen. Schließlich wird der Botenstoff, fachsprachlich mRNA, injiziert. „Wir haben 20 Jahre lang Puzzleteil- chen zusammengetragen“, erklärt Sahin. Der größte bekannt gewordene Etappen- sieg war eine Publikation in der Fach- zeitschrift „Nature“ vor knapp einem Jahr (FOCUS 41/17). Bei allen 13 an schwarzem Hautkrebs (Melanom) lei- Tempomacher Diese robotergesteuerten Pumpen beschleunigen die Analyse der Blut- und denden Versuchspersonen löste der „Ivac Tumorproben in den Mainzer BioNTech-Labors Mutanome“ genannte Impfstoff eine Reaktion des Immunsystems aus. Bei acht Patienten kam der Krebs über den Beobachtungszeitraum von 23 Monaten ehepaar mit türkischen Wurzeln aus dem gen Genentech-Manager am Rande des hinweg zum Stillstand. Bei einem regis- benachbarten Saarland abzuwerben. Mainzer Immuntherapeutentreffens gerät trierten die Ärzte sogar eine komplette Heute ist Ugur Sahin der gefeierte Kopf Sahin ins Schwärmen: „Wenn der Erfolg Rückbildung des Tumors. von BioNTech, während sich seine Frau andauert, werden wir auch Standorte auf Mittlerweile laufen Versuche mit deut- Özlem Türeci gerade neu orientiert. Von anderen Kontinenten wie Amerika und lich mehr Patienten. Weder BioNTech Türeci kamen die entscheidenden Impul- Asien eröffnen.“ Der „Innovationsfokus“ noch die beteiligten Ärzte reden über se bei der Antikörperentwicklung durch aber bleibe in Mainz. Zwischenergebnisse – sie wären auch Ganymed. BioNTech-Finanzchef Sierk Poetting schwierig zu interpretieren, solange Nach dem Verkauf des Unternehmens weiß, was das bedeutet: „In ungefähr nicht alle Daten ausgewertet sind. Viel- könnte sich das Paar zur Ruhe setzen. einem Jahr müssen wir nachtanken“, versprechend ist aber eine Liste von in Doch die Herausforderung, mit den von sprich weitere Millionen an Wagnis- Angriff genommenen Krebsarten, die BioNTech verfolgten Behandlungsstra- kapital einwerben. Zu den ersten Inves- FOCUS aus der Unternehmenszentrale tegien einen Durchbruch zu erzielen, ist toren der Firma zählten die Gebrüder An der Goldgrube erhielt. Demnach will ungleich spannender. Vor einer Strate- Andreas und Thomas Strüngmann, die man die Impfung „grundsätzlich“ nicht giebesprechung mit einem hochrangi- von 1986 an die Firma Hexal aufgebaut nur bei Hautkrebs, sondern auch FOCUS 22/2018 65
W IRTSCH A FT G E S U N D H E I T S - I N N OVAT I O N bei Tumoren in der Lunge, der Brust, im Darm, in der Blase, den Nieren, der Gebärmutter, bei Kopf-Hals-Tumoren Faktenreport: Mainz und noch weiteren erproben. Allein für die „nicht soliden“ Tumorarten, etwa Der hohe Anteil an Beschäftigten im Gesundheitswesen bildet eine gute Leukämie, scheint die Methode unge- Basis. Dazu kommt der Standortfaktor Innovationsstärke eignet zu sein. Ein Impfstoff zu „akzeptablen Kosten“ MAINZ Beschäftigte in der Gesundheitswirtschaft: 24 000 Auch wenn sich das Konzept bewährt – mit einer einzigen Krebsimpfung wäre 4000 die Krankheit wohl in nur wenigen Fäl- 2 Wissenschaftler: len zu heilen. Bei den meisten Patienten BioNTech müsste das Immunsystem immer wieder 900 +270 Mio. angestachelt werden. In seiner Selbst- Mitarbeiter: darstellung gibt BioNTech denn auch jüngste Finanzierungsrunde: Euro Mrd. als Ziel aus, Krebs „in eine beherrsch- momentane Bewertung des Unternehmens: Euro bare, nicht tödliche Krankheit“ zu ver- wandeln. Das wirft die Frage nach der Finanzierbarkeit auf. Derzeit kosten Anzahl der Institutionen aus Forschung und Entwicklung, die im Spitzencluster für individualisierte Immunintervention arbeiten: 37 individuelle Immuntherapien wie jene von BioNTech sechsstellige Summen. Huber, der Mentor, beteuert: „Wir haben DEUTSCHLAND Beschäftigte im Biotech-Sektor: 26 000 die geeigneten Algorithmen gefunden, um Impfstoffe zu akzeptablen Kosten 55 (647 Unternehmen) 8% % aller Biotech-Start-ups sind herzustellen. Wir werden keine Fanta- siepreise verlangen.“ Umsatzsteigerung Unablässig sucht das Mainzer Vor- 2017 gegenüber 2016 im Süden/Südwesten Deutschlands zeigeunternehmen weitere Mitarbeiter. Schließlich gibt es nicht nur den Partner in Genentech aus San Francisco, sondern Rhe auch Kooperationen mit den Pharmarie- CI 3 Tron BioNTech AG sen Eli Lilly and Company, Bayer, Sanofi, TechnologieZentrumMainz (TZM) dem dänischen Antikörper-Spezialisten Main Genmab und mit Siemens. Gern würde BioNTech auch räumlich HESSEN expandieren, neue Laboratorien und RHEINLAND- Büros bauen. Christopher Sitte unter- MAINZ PFALZ stützt das. Ein Kasernengelände in der Ganymed Pharmaceuticals Stadt, das die Bundeswehr im kom- Universitätsmedizin der Johannes-Gutenberg- menden Jahr räumen will, böte sich Universität an. „Krebsforschung statt militärischer Nutzung“ lautet die Devise des Wirt- schaftsdezernenten. Nicht nur BioNTech selbst, auch andere Betriebe, die aus dem öffentlich geförderten Technologie- ZentrumMainz hervorgehen, könnten sich dort ansiedeln. Doch schon eine Rückfrage bei der zentralen Pressestelle der Stadt relati- viert Sittes Wünsche. Mainz habe auch andere Sorgen, heißt es dort sinngemäß. Bei Mieten und Immobilienpreisen zum Pionierin Förderer Beispiel zähle die Stadt zu den teuers- Ihre Arbeit machte Ganymed Reklamiert Gewerbeflächen ten Deutschlands. Also müssten auf dem Quelle: Ernst & Young wertvoll und lässt die für die erhoffte Expansion der Kasernengelände, sobald es endlich ver- Fotos: action press Investoren bei BioNTech Firma, die neue Krebstherapien fügbar sei, vor allem neue Wohnungen Schlange stehen: Krebs- entwickelt: Wirtschafts- entstehen. n forscherin Özlem Türeci dezernent Christopher Sitte KURT-MARTIN MAYER 66 FOCUS 22/2018
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