Wissenschaftler widersprechen: Orang-Utans sind nicht mehr geworden. Besseres Monitoring gefordert

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Wissenschaftler widersprechen: Orang-Utans sind nicht mehr geworden. Besseres Monitoring gefordert
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Pressemitteilung
Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig
Volker Hahn
05.11.2018
http://idw-online.de/de/news705365
Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
Biologie, Tier- / Agrar- / Forstwissenschaften, Umwelt / Ökologie
überregional

Wissenschaftler widersprechen: Orang-Utans sind nicht mehr geworden.
Besseres Monitoring gefordert
Leipzig/Brunei. Die Orang-Utan-Populationen nehmen nach wie vor rapide ab, auch wenn die
indonesische Regierung behauptet, die Lage für die Menschenaffen habe sich verbessert. In der
Fachzeitschrift Current Biology kritisiert ein Team von Wissenschaftlern, darunter Maria Voigt vom
Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und dem Max-Planck-Institut für
Evolutionäre Anthropologie, dass ungeeignete Methoden verwendet worden seien, um die
Orang-Utan-Populationen zu erfassen. Die Forscher fordern die konsequente Anwendung
wissenschaftlich fundierter Methoden für ein zuverlässiges Monitoring der Menschenaffen.

In einem kürzlich veröffentlichten Bericht der indonesischen Regierung heißt es, die Orang-Utan-Populationen hätten
im Zeitraum von 2015 bis 2017 um mehr als 10 % zugenommen. Diese Zahlen werden nun in der aktuellen Ausgabe der
Zeitschrift Current Biology kritisiert. Erstautor Erik Meijaard vom Center of Excellence for Environmental Decisions an
der University of Queensland erklärt: „Diese Zahlen stehen in krassem Gegensatz zu anderen Studien über die
Entwicklung der Orang-Utan-Populationen.“

Laut den Autoren ist alleine in den vergangenen zehn Jahren die Anzahl der Borneo-Orang-Utans um mindestens 25 %
zurückgegangen, was einem Verlust von über 100.000 Individuen seit 1999 entspricht. Sumatra-Orang-Utans und der
kürzlich beschriebene Tapanuli-Orang-Utan haben zwischen 1985 und 2007 mehr als 60 % ihres Lebensraums verloren
und es wird befürchtet, dass bis 2020 weitere 11–27 % der Orang-Utan-Bestände auf Sumatra verschwinden.

Die jüngsten Zahlen zeigen aus Sicht der Wissenschaftler, dass das Überleben der drei Orang-Utan-Arten nach wie vor
ernsthaft durch Abholzung und Tötung gefährdet ist. Alle drei Arten werden auf der Roten Liste der IUCN
(Weltnaturschutzunion) als „vom Aussterben bedroht“ eingestuft.

Wie kommt es zu einer derartigen Diskrepanz zwischen dem, was die Regierung sagt und dem, was unabhängige
Wissenschaftler über den Status der Orang-Utan-Populationen veröffentlicht haben? Aus Sicht der Autoren gibt es
dafür mehrere Erklärungen:

Das Monitoring der Regierung konzentriert sich stichprobenartig auf neun Populationen. Diese Populationen
repräsentieren allerdings weniger als 5 % des Verbreitungsgebiets der Borneo- und Sumatra-Orang-Utans und 0 % des
Verbreitungsgebiets des Tapanuli-Orang-Utans. Alle Beobachtungsflächen befinden sich innerhalb geschützter
Gebiete, während die Mehrheit der Orang-Utans in nicht geschützten Gebieten wie Holzeinschlaggebieten,
Palmölplantagen, Privatgärten und Gemeindeland lebten. Die Lebensraum-Bedingungen und Gefährdungen
unterscheiden sich zwischen diesen enorm. Daher können die an wenigen geschützten Orten erhobenen
Populationstrends keine zuverlässigen Informationen über den Status aller drei Spezies liefern. Die von der Regierung
angegebenen Zuwächse sind auch extrem unwahrscheinlich angesichts der niedrigen Reproduktionsraten sowie der
häufig beobachteten Tötungen.

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Hauptautorin Maria Voigt vom Forschungszentrum iDiv und dem Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie
betont die Notwendigkeit, die Zusammenarbeit und den Datenaustausch zwischen Wissenschaftlern und den
indonesischen Regierungsbehörden zu verbessern: „Die Regierung ist offenbar nicht ausreichend über die aktuellen
wissenschaftlichen Erkenntnisse informiert“, erklärt Voigt. „Beide Seiten müssen stärker zusammenarbeiten.“

Laut Voigt ist eine bessere Zusammenarbeit zwischen Regierung, Nichtregierungsorganisationen und Wissenschaftlern
besonders wichtig, weil Indonesien derzeit seinen neuen Aktionsplan zum Schutz der Orang-Utans für den Zeitraum
2018 bis 2027 erstellt. „Es müssen die besten Daten und Methoden genutzt werden, um die richtigen Maßnahmen
wählen zu können“, erläutert Voigt. „Welches die besten Schutzmaßnahmen sind – ob Waldschutz, Strafverfolgung,
Aufklärung, gesellschaftliches Engagement oder Rettungs- und Rehabilitationszentren für Orang-Utans – hängt von
den Populationstrends, den Überlebensraten und den konkreten Bedrohungen der lokalen Orang-Utan-Bestände ab.
Und hier kann sich die Wissenschaft einbringen.“

„Ich bin optimistisch“, sagt Erstautor Erik Meijaard. „Ich glaube immer noch: wenn wir Wissenschaft, Politik,
Landnutzung und Artenmanagement an einen Tisch bringen, können wir den Orang-Utan retten und sein Aussterben in
der freien Wildbahn verhindern.“

Das neue Moratorium des indonesischen Präsidenten Jokowi auf Ölpalmenlizenzen könnte jene 10.000 Orang-Utans
retten, die derzeit in Wäldern leben, wo demnächst Ölpalmen wachsen sollen. Das Moratorium soll diesen Gebieten
einen permanenten Schutzstatus verleihen.

Allerdings erfordere dies, so die Wissenschaftler, ein neues Denken im Artenschutz: „Wir müssen lernen, wie wir die
Populationen, die außerhalb offiziell geschützter Gebiete leben, besser schützen können“, so Maria Voigt. „Dafür
brauchen wir eine echte Zusammenarbeit und das Engagement aller Parteien, die ein Interesse an diesen Gebieten
haben: der Agrarindustrie, der lokalen Bevölkerung und der Kommunalpolitik.“

Frühere Medienmitteilung zum Thema:
Dramatischer Rückgang von Orang-Utans auf Borneo (06.02.2018):
https://www.idiv.de/de/news/news_single_view/news_article/up_to_16_per.html

Biodiversitätsmonitoring in Deutschland
Biodiversitätsmonitoring ist auch in Deutschland zu einem wichtigen Thema geworden – spätestens seit Entomologen
2017 einen dramatischen Rückgang der Fluginsekten-Biomasse meldeten („Krefelder Studie“). Seitdem ist viel über das
Insektensterben diskutiert worden. In ihrer Koalitionsvereinbarung hat die Bundesregierung die Errichtung eines
wissenschaftlichen Zentrums für Biodiversitätsmonitoring versprochen. In diesem Kontext fordern Forscher den Einsatz
fundierter, wissenschaftlicher Methoden. „Die Wissenschaft des Biodiversitätsmonitoring entwickelt sich schnell“,
erklärt Christian Wirth, Direktor von iDiv und Professor an der Universität Leipzig. „Mit neuen statistischen Verfahren,
sensorbasierten Erfassungsmethoden und der Analyse großer Datenmengen verstehen wir, wie sich Biodiversität
verändert. Das ist dringend nötig, um effektive Maßnahmen zum Schutz der Biodiversität zu entwickeln. Wir erleben
gerade eine wissenschaftliche Revolution, die in der aktuellen Biodiversitätskrise enorm wichtig ist.“

wissenschaftliche Ansprechpartner:

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Maria Voigt
Arbeitsgruppe Nachhaltigkeit und Komplexität der Lebensräume von Menschenaffen
Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig
Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie
Tel.: +49 157 88936214
E-Mail: maria.voigt@idiv.de
Web: https://www.idiv.de/de/gruppen_und_personen/mitarbeiterinnen/mitarbeiterdetails/eshow/voigt_maria.html

Originalpublikation:
Meijaard, E., J. Sherman, M. Ancrenaz, S. A. Wich, T. Santika, and M. Voigt (im Druck). Orangutan populations are
certainly not increasing in the wild. Current Biology.
https://www.cell.com/current-biology/fulltext/S0960-9822(18)31277-6 (Link wird nach Veröffentlichung am 5.
November freigeschaltet). DOI: 10.1016/j.cub.2018.09.052

Ein internationales Forscher-Team fordert ein wissenschaftlich fundiertes Monitoring der Orang-Utan-Populationen.
HUTAN-KOCP

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Wälder werden in Palmölplantagen umgewandelt. Dies ist einer der Gründe für die Bedrohung der Orang-Utans.
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