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www.ssoar.info Moderationsfaktoren: ein Ansatz zur Analyse von Selektionsentscheidungen im Community Management Paasch-Colberg, Sünje; Strippel, Christian; Laugwitz, Laura; Emmer, Martin; Trebbe, Joachim Erstveröffentlichung / Primary Publication Sammelwerksbeitrag / collection article Empfohlene Zitierung / Suggested Citation: Paasch-Colberg, S., Strippel, C., Laugwitz, L., Emmer, M., & Trebbe, J. (2020). Moderationsfaktoren: ein Ansatz zur Analyse von Selektionsentscheidungen im Community Management. In V. Gehrau, A. Waldherr, & A. Scholl (Hrsg.), Integration durch Kommunikation (in einer digitalen Gesellschaft): Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft 2019 (S. 109-119). Münster: Deutsche Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft e.V. https://doi.org/10.21241/ssoar.67858 Nutzungsbedingungen: Terms of use: Dieser Text wird unter einer CC BY Lizenz (Namensnennung) zur This document is made available under a CC BY Licence Verfügung gestellt. Nähere Auskünfte zu den CC-Lizenzen finden (Attribution). For more Information see: Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by/4.0 https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de
Moderationsfaktoren: Ein Ansatz zur Analyse von Selektionsentscheidungen im Community Management Sünje Paasch-Colberg, Christian Strippel, Laura Laugwitz, Martin Emmer & Joachim Trebbe Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Freie Universität Berlin Zusammenfassung Aggressive und diskriminierende Kommentare im Umfeld journalistischer Berichterstattung auf Nachrichten- seiten und in sozialen Medien gelten als Bedrohung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und Herausfor- derung für die verantwortlichen Redaktionen. Auf der Basis von 20 qualitativen Leitfadeninterviews mit Com- munity Manager*innen untersucht dieser Beitrag, welche Moderationsstrategien im Umgang mit Hasskommen- taren ergriffen werden und welche Faktoren diese Moderationsentscheidungen erklären können. Mit Rückgriff auf die Gatekeeping-Forschung werden die Ergebnisse zu einem Modell von Erklärungsfaktoren verdichtet, das diese ‚Moderationsfaktoren‘ auf den Ebenen des Individuums, der Profession, der Organisation und der Gesellschaft anordnet. Keywords: Community Management, Kommentarmoderation, Gatekeeping, Hate Speech, Interviews © Sünje Paasch-Colberg, Christian Strippel, Laura Laugwitz, Martin Emmer & Joachim Trebbe (2020). Moderationsfaktoren: Ein Ansatz zur Analyse von Selektionsentscheidungen im Community Management. In: Gehrau, V., Waldherr, A. & Scholl, A. (Hrsg.) Integration durch Kommunikation. Jahrbuch der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft 2019, Münster, S.109-119. DOI: https://doi.org/10.21241/ssoar.67858.
Moderationsfaktoren: Ein Ansatz zur Analyse von Selektionsentscheidungen im Community Management 110 Summary Aggressive and discriminatory comments posted on news websites and social media threaten social cohesion and pose challenges for a site‘s respective editorial staff. Based on 20 qualitative, guided interviews with com- munity managers, this article is an early examination of the factors that influence moderation decisions and the moderation strategies which are used to address hate comments online. By referencing preexisting gatekeeping research, this study models the explanatory factors which, in turn, define the ‚moderation factors‘ on the level of the individual, the norms and routines of the profession, the organization and society. Keywords: Community Management, Content Moderation, Gatekeeping, Hate Speech, Interviews © Sünje Paasch-Colberg, Christian Strippel, Laura Laugwitz, Martin Emmer & Joachim Trebbe (2020). Moderationsfaktoren: Ein Ansatz zur Analyse von Selektionsentscheidungen im Community Management. In: Gehrau, V., Waldherr, A. & Scholl, A. (Hrsg.) Integration durch Kommunikation. Jahrbuch der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft 2019, Münster, S.109-119. DOI: https://doi.org/10.21241/ssoar.67858.
Moderationsfaktoren: Ein Ansatz zur Analyse von Selektionsentscheidungen im Community Management 111 Einleitung gement vor. Um ein solches Modell erarbeiten zu kön- nen, stellen sich zwei Forschungsfragen: Hetze, Hass und Diskriminierung haben die Sicht auf partizipative Medienangebote im Internet in den ver- FF1: Welche Strategien wenden Community Mana- gangenen Jahren deutlich verändert: Der anfänglichen ger*innen in deutschen Redaktionen im Umgang mit Hoffnung auf eine Stärkung gesellschaftlicher Delibe- Hasskommentaren an? ration durch das Aufkommen von Kommentarspalten auf Nachrichtenseiten, Blogs und sozialen Netzwerk- FF2: Anhand welcher Faktoren lassen sich die Mo- en folgte der Befund, dass Diskussionen in diesen derations- und Selektionsentscheidungen erklären? Kommunikationsräumen durch aggressive, beleidigen- de und diskriminierende Nutzerkommentare zunehm- Im Rückgriff auf etablierte Gatekeeping-Modelle dis- end gestört werden (Coe et al., 2014; Quandt, 2018; Su kutiert dieser Beitrag Erklärungsfaktoren für Modera- et al., 2018). Phänomene wie Cyber Mobbing, Inzivi- tionsentscheidungen auf vier Ebenen: (1) jener des in- lität und Hate Speech haben dabei nicht nur negative dividuellen Community Managers, (2) professioneller Folgen für die von ihnen betroffenen Menschen, son- Routinen, (3) der Organisation und (4) Gesellschaft. In dern bedrohen auch die gesellschaftliche Integration. Anlehnung an den etablierten Ansatz der Nachrich- So richtet sich etwa Hate Speech vor allem gegen mar- tenfaktoren (z. B. Eilders, 2006) und jüngere Arbeiten ginalisierte Gruppen und deren Mitglieder und ver- zu Diskussionsfaktoren (z. B. Ziegele, 2016) sprechen sucht sie von öffentlichen Diskussionen auszuschließ- wir dabei von ‚Moderationsfaktoren‘. Sie sollen erklä- en (Sirsch, 2013; Waltman & Mattheis, 2017). Da die ren, wie nutzergenerierte Inhalte kategorisiert werden Teilhabe und Repräsentation aller gesellschaftlichen und welche journalistischen Selektions- und Modera- Gruppen am bzw. im öffentlichen Diskurs als Voraus- tionsentscheidungen daraus folgen. Zur Beantwortung setzungen für kommunikative Integration gelten, stellt der Forschungsfragen wurden Anfang 2018 qualitative sich die Frage, wie in Redaktionen, die für die Ge- Leitfadeninterviews mit Community Manager*innen staltung öffentlicher Debatten maßgeblich sind, mit deutscher Nachrichtenseiten im Internet geführt. solchen Hasskommentaren umgegangen wird. Gatekeeping: Faktoren journalistischer Selektion In den Redaktionen hat sich mit dem vermehrten Auf- kommen von problematischen Nutzerkommentaren ei- Ein Großteil der Forschung zum Community Manage- ne neue journalistische Rolle professionalisiert: Com- ment greift auf den in der Journalismusforschung eta- munity Manager*innen moderieren und selektieren blierten Gatekeeping-Ansatz zurück. Dessen Ziel ist, Nutzerkommentare im Internet und regulieren so den den Prozess der journalistischen Informationskontrol- öffentlichen Meinungsaustausch (Bakker, 2014; Pau- le zu erklären (White, 1950). In der Literatur werden lussen, 2011; Braun & Gillespie, 2011). Diese Tätig- dazu verschiedene Formen des Gatekeepings disku- keiten werden in der Literatur oft als neue oder modi- tiert: So differenziert Rosengren (1974) etwa zwischen fizierte Gatekeeping-Praxis beschrieben. selektivem, qualitativem und quantitativem Gatekeep- ing – also der Auswahl, Aufbereitung und Gewichtung Die bisherige Forschung hat sich dabei vor allem den von Informationen zur Publikation. Arbeitsroutinen und Moderationspraktiken von Com- munity Manager*innen (Reich, 2011; Binns, 2012; Mit der Zeit wurden verschiedene Modelle zur Syste- Chen & Pain, 2017; Frischlich et al., 2019) sowie den matisierung der relevanten Einflussfaktoren auf jour- Folgen der Moderation insbesondere problematischer nalistisches Verhalten vorgelegt, so etwa das Zwiebel- Kommentare (Binns, 2012; Ziegele & Jost, 2016) ge- modell von Weischenberg (1992) oder die ‚hierarchy widmet. Die Befunde zu Moderationspraktiken im Um- of influences‘ durch Shoemaker und Reese (1996). In gang mit solchen Kommentaren sind bisher jedoch einer synoptischen Gegenüberstellung verschiedener theoretisch unverbunden geblieben. Vor dem Hinter- Modelle journalistischen Handelns und der jeweils grund zunehmender Medienkritik und Zensurvorwür- berücksichtigten Erklärungsfaktoren macht Hanitzsch fen verlangt jedoch gerade dieser Aspekt der Kommen- (2009) folgende sechs Analyseebenen aus: (1) Indivi- tarmoderation eine systematische Betrachtung. Dieser duen, (2) Medienroutinen, (3) Organisationen, (4) Me- Beitrag widmet sich diesem Desiderat und stellt ein dienstrukturen, (5) Gesellschaft, (6) Kultur und Ideo- theoretisches Modell zur Erklärung von Moderations- logie. Die meisten existierenden Modelle würden da- und Selektionsentscheidungen im Community Mana- bei vier oder fünf dieser Ebenen beinhalten (S. 156). © Sünje Paasch-Colberg, Christian Strippel, Laura Laugwitz, Martin Emmer & Joachim Trebbe (2020). Moderationsfaktoren: Ein Ansatz zur Analyse von Selektionsentscheidungen im Community Management. In: Gehrau, V., Waldherr, A. & Scholl, A. (Hrsg.) Integration durch Kommunikation. Jahrbuch der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft 2019, Münster, S.109-119. DOI: https://doi.org/10.21241/ssoar.67858.
Moderationsfaktoren: Ein Ansatz zur Analyse von Selektionsentscheidungen im Community Management 112 Der Vergleich zeigt, dass alle Modelle eine Individual- die Community in die Moderation einbeziehen, deutet ebene aufweisen, auf der Faktoren wie persönliche Singer (2014) als „another indication of a shift toward Merkmale und Einstellungen der Journalist*innen ein- increased user ability to shape the content of news geordnet werden (Hanitzsch, 2009, S. 156-157). Auch websites, with users making decisions about what die Ebene der Medienroutinen ist mit nur einer Aus- others are to see or not see” (S. 60) und eine geteilte nahme in allen Modellen angelegt. Hierunter fassen Gatekeeping-Verantwortung zwischen Journalist*in- die jeweiligen Autor*innen neben professionellen Tä- nen und Nutzer*innen. Keyling (2017) ergänzt dies um tigkeitsmustern (wie etwa die Orientierung an Nach- den Hinweis, dass die aggregierten Aktivitäten der richtenfaktoren) vor allem Faktoren wie Ressourcen Nutzer*innen (z.B. Klicks, Likes, Kommentare) ins- und Zeitdruck (Hanitzsch, 2009, S. 156-157). besondere Social-Media-Inhalte in einem kollaborati- ven Prozess gewichten, sichtbarer machen und damit Abweichungen zwischen den verschiedenen Modellen die weitere Nutzung steuern (S. 79-81). bestünden hinsichtlich der Ebenen Organisation und Medienstrukturen, zwischen denen nicht alle Modelle Barzilai-Nahon (2008) differenziert deutlicher als an- unterscheiden (Hanitzsch, 2009, S. 156-157). Auf der dere Autor*innen zwischen Gatekeepern und Gate- Organisationsebene werden redaktionelle Strukturen, keeping-Mechanismen, die sie als „a tool, technology, Abläufe und Ziele angesiedelt (Shoemaker & Reese, or methodology to carry out the process of gatekeep- 2014, S. 9), während die Ebene der Medienstrukturen ing“ definiert (S. 1496). Demnach ist die Kommentar- vor allem ökonomische Faktoren umfasse (Hanitzsch, moderation also als neuer Gatekeeping-Mechanismus 2009, S. 157). Gesellschaftliche, kulturelle und ideolo- zu verstehen. Neben der Selektion von Kommentaren gische Einflüsse fasst Hanitzsch schließlich auf der und Sprecher*innen können auch die verschiedenen Ebene der Mediensysteme zusammen. Diese Sphäre Moderationspraktiken dazu gezählt werden, da sie umfasst aus seiner Sicht medienpolitische und -rechtli- Einfluss auf die Interaktion und Diskussionsqualität che Faktoren sowie den nationalen kulturellen und so- haben können und sich daher auch als eine Form der zialen Kontext (Hanitzsch, 2009, S. 157). Inhaltsregulierung verstehen lassen. Eine Studie von Chen und Pain (2017) zeigt, dass sich dieser Gate- Wenngleich Journalismus, zumindest teilweise, auch keeping-Mechanismus bereits normalisiert hat: Die heute noch ein massenmedialer Prozess der Informa- Moderation wird von vielen Journalist*innen als neue tionsselektion und -verbreitung ist, so ist Nachrichten- berufliche Rolle verstanden, mit der versucht wird, die produktion im digitalen Zeitalter deutlich komplexer Informationskontrolle zurückzugewinnen, die durch und kollaborativer: Die nicht-lineare Kommunikation das Auftreten der oben beschriebenen neuen Öffent- mit Quellen und Publikum ist für den Prozess der lichkeitsakteure teilweise verloren ging. Nachrichtenproduktion zentraler geworden. Zudem wurde ein Teil der Informationskontrolle von nicht- Community Management als neuer journalistischen Kommunikatoren, dem Publikum und Gatekeeping-Mechanismus technischen Gatekeepern (etwa digitalen Plattformen und Intermediären) übernommen, die nun ebenfalls Befragungsstudien weisen weitestgehend übereinstim- Informationen produzieren, filtern, strukturieren und mend auf ambivalente Einstellungen in den Redak- verteilen (Bro & Wallberg, 2015; Vos, 2015). tionen gegenüber nutzergenerierten Inhalten hin. Als besondere Herausforderungen für die neu entstandene Trotz dieser dynamischen Verschiebung gilt der Gate- Profession des Community Managements werden in keeping-Ansatz noch immer als angemessenes Modell der Literatur vor allem das hohe Aufkommen an Kom- zur Analyse der Informationsproduktion im journa- mentaren, ihre teils mangelnde Qualität und fragwür- listischen Umfeld (Vos, 2015). Um den genannten Ent- dige Quellenlage sowie Bedenken hinsichtlich der Of- wicklungen und den Leerstellen bestehender Gate- fenlegung von Quellen genannt (Diakopoulos & Naa- keeping-Modelle theoretisch gerecht zu werden, haben man, 2011; Reich, 2011; Binns, 2012). Darüber hinaus eine Reihe von Autor*innen modifizierte Modelle vor- zeigen diese Studien die Bandbreite der verschieden- geschlagen. So weist Bruns (2009) darauf hin, dass es en sozio-technologischen Lösungen, die zur Bewälti- dem Publikum in seiner hybriden Rolle als ‚produser‘ gung dieser Herausforderungen eingesetzt werden, wie nun möglich ist, in großem Umfang Nachrichtenin- etwa ‚Netiquetten‘ für die Kommentierenden, unter- halte zu kommentieren und zu ergänzen (S. 117). Die schiedliche Registrierungsverfahren, automatische Fil- Tatsache, dass die meisten Webseiten ihre Kommen- ter, Pre- oder Post-Moderation sowie Bewertungssys- tarspalten auf Post-Moderation umgestellt haben und teme und das technische Design der Seiten, die ange- © Sünje Paasch-Colberg, Christian Strippel, Laura Laugwitz, Martin Emmer & Joachim Trebbe (2020). Moderationsfaktoren: Ein Ansatz zur Analyse von Selektionsentscheidungen im Community Management. In: Gehrau, V., Waldherr, A. & Scholl, A. (Hrsg.) Integration durch Kommunikation. Jahrbuch der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft 2019, Münster, S.109-119. DOI: https://doi.org/10.21241/ssoar.67858.
Moderationsfaktoren: Ein Ansatz zur Analyse von Selektionsentscheidungen im Community Management 113 messenes Verhalten belohnen oder Kommentare von tenten Modell zusammengefasst worden. Neben den positiv bewerteten Nutzer*innen priorisieren (Reich, Kommentarinhalten werden dabei das Thema des Arti- 2011; Binns, 2012; Meltzer, 2015). kels (Reich, 2011; Kwon & Cho, 2017), Normen und Routinen (Muddiman & Stroud, 2017), individuelle Die Moderationspraktiken im Umgang mit problema- Merkmale und das Rollenselbstverständnis als Mode- tischen Kommentaren wurden grob in interaktive und rator*in (Chen & Pain, 2017) sowie die redaktionelle nicht-interaktive Praktiken differenziert (Boberg et Linie, das Image und wirtschaftliche Interessen (Binns, al., 2018). Als interaktive Praktiken gelten dabei etwa 2012; Pöyhtäri, 2014) als relevant angesehen. Im Fol- sachliche oder humorvolle Antworten auf problema- genden greifen wir diese Thesen sowie die einzelnen tische Kommentare und das Hervorheben wertvoller Befunde auf und erarbeiten mit Rückgriff auf die bis- Benutzerkommentare. Hingegen sind das Löschen von herige Forschung zum Gatekeeping ein auch theore- Kommentaren und das Sperren von Nutzer*innen tisch fundiertes Erklärungsmodell für journalistische Beispiele für die nicht-interaktive Moderation. Eine Entscheidungen in der Kommentarmoderation. dritte, kollaborative Strategie bezieht die Community der Nutzer*innen in die Moderation ein (Diakopoulos Methode & Naaman, 2011; Ziegele & Jost, 2016). Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurden im Ein wachsender Fundus an Studien widmet sich der Januar und Februar 2018 qualitative Experteninter- Wirkung solcher Moderationspraktiken auf die Nut- views mit Community Manager*innen von 20 deutsch- zer*innen und die Diskussionsqualität (Binns, 2012; sprachigen Nachrichtenseiten und Social-Media-An- Ziegele & Jost, 2016; Kramp & Weichert, 2018; Zie- geboten durchgeführt. Die Auswahl der Befragten er- gele et al., 2018). Sie weisen darauf hin, dass sich die folgte dabei nach dem Prinzip des „maximum varia- wahrnehmbare Präsenz von Moderator*innen positiv tion sampling“ (Schreier, 2018) entlang der Kriterien auf die Nutzerdiskussionen auswirkt. Reichweite, Angebotstyp, Finanzierung, Zielgruppe und Diskursarchitektur. Auf diese Weise sollte ein Erwähnenswert sind zudem zwei Studien, in denen möglichst breites Spektrum an Erfahrungen mit Nut- tatsächliche Moderationsentscheidungen mithilfe ei- zerkommentaren abgedeckt werden. Berücksichtigt ner automatisierten Inhaltsanalyse von gelöschten und wurden die Internetseiten etablierter Printmedien mit publizierten Kommentaren auf Muster untersucht wur- nationaler Verbreitung, von Regional- und Lokalzei- den. Die Befunde weisen auf Inkonsistenzen in der Mo- tungen, öffentlich-rechtlichen und privaten Radio- derationspraxis hin. Muddiman und Stroud (2017) ana- bzw. Fernsehprogrammen sowie originäre Internetan- lysieren über neun Millionen Nutzerkommentare der gebote. Die Stichprobe bildet zudem verschiedene Dis- New York Times und können dabei zeigen, dass Kom- kursarchitekturen ab: 14 Angebote mit Kommentar- mentare mit bestimmten Schimpfwörtern signifikant spalten, drei mit Diskussionsforen und fünf Social- häufiger gelöscht wurden als jene, die diese Worte Media-Angebote. Zwei Angebote bieten sowohl Kom- nicht beinhalten. Ein ähnlich gerichteter, aber deutlich mentarspalten als auch ein Diskussionsforum an und schwächerer Zusammenhang zeigte sich für Kommen- sind daher in Tabelle 1 zweifach ausgewiesen. tare, die inzivile Begriffe aufweisen. Scheinbar lässt das Konzept der Inzivilität in der Moderationspraxis Tabelle 1: Auswahlkriterien und Anzahl der realisiert- Spielraum für individuelle Interpretationen. In einer en Interviews (n=20) ähnlich konzipierten Analyse von Moderationsent- scheidungen auf Spiegel Online (Boberg et al., 2018) ergab sich dagegen kein signifikanter Zusammenhang zwischen der Löschung eines Kommentars und der Präsenz von Schimpfwörtern. Was die Forscher*in- nen jedoch feststellen, ist ein Unterschied in der Mo- deration je Thema: Kommentare im Kontext der The- men Rechtspopulismus, Fake News und Geflüchtete wurden signifikant strenger moderiert. Welche Faktoren letztlich zu welchen Moderationsent- scheidungen führen, ist in der Literatur bisher nur ver- einzelt untersucht und noch nicht in einem konsis- © Sünje Paasch-Colberg, Christian Strippel, Laura Laugwitz, Martin Emmer & Joachim Trebbe (2020). Moderationsfaktoren: Ein Ansatz zur Analyse von Selektionsentscheidungen im Community Management. In: Gehrau, V., Waldherr, A. & Scholl, A. (Hrsg.) Integration durch Kommunikation. Jahrbuch der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft 2019, Münster, S.109-119. DOI: https://doi.org/10.21241/ssoar.67858.
Moderationsfaktoren: Ein Ansatz zur Analyse von Selektionsentscheidungen im Community Management 114 Die ausgewählten Redaktionen wurden kontaktiert und berichten von nicht-interaktiven, kooperativen und in- für ein Interview angefragt. In drei Fällen wurden auf teraktiven Maßnahmen und bestätigen damit den bis- Vorschlag bzw. Wunsch der Redaktion hin Doppelin- herigen Forschungsstand: Nicht-interaktive Praktiken terviews mit zwei Personen durchgeführt, sodass die umfassen das Bearbeiten und Löschen von Kommen- Stichprobe 23 Personen umfasst. Auf dieser individu- taren, das Beobachten und Sperren von Nutzer*innen ellen Ebene variieren die Eigenschaften der Inter- sowie das Schließen von Kommentarspalten (spontan viewten in Bezug auf Geschlecht, Berufstätigkeit und oder systematisch für bestimmte Themen). Zudem ar- Arbeitsposition. So wurden 13 Frauen und zehn Män- beiten die meisten Redaktionen mit einer Software, die ner befragt. Aufgrund der unterschiedlichen Organi- Kommentare mit bestimmten Begriffen automatisch sation und Größe der Redaktionen ist die Kommen- verbirgt oder markiert. In einigen Fällen erlaubt die tarmoderation eine Aufgabe, die von Journalist*inn- Software auch die Kooperation mit den Nutzer*innen, en, Social-Media- oder Community-Manager*innen etwa indem sie problematische Kommentare melden durchgeführt wird. Darüber hinaus finden sich in der können. Als interaktive Praktiken wurden das Ver- Stichprobe auch Personen, die nicht selbst moderieren, warnen von Nutzer*innen, die sachliche oder humor- aber Moderationsteam leiten. Neben der praktischen volle Gegenrede und das Loben wertvoller Kommen- Erfahrung ließen sich so auch Informationen über tare genannt. Mit Blick auf die erste Forschungsfrage Hintergründe der Moderation sammeln. lassen sich anhand dieser Praktiken drei miteinander kombinierbare Moderationsstrategien identifizieren, Der Interviewleitfaden umfasste 19 offene Haupt- und die im Folgenen idealtypisch vorgestellt werden. zehn offene Eventualfragen zu den Themenkomplexen (1) Arbeitsbedingungen und professionelles Selbstver- Zum ersten ließ sich bei manchen Redaktionen eine ständnis, (2) Kommentaraufkommen und Nutzerdis- Vermeidungsstrategie beobachten, deren Ziel es ist, kussionen, (3) Hasskommentare sowie (4) Moderati- das Ausmaß insbesondere problematischer Kommen- onsstrategien im Umgang mit Hasskommentaren. Die tare stark einzudämmen. Dieses Ziel wird etwa durch Interviews wurden transkribiert und in einer qualitati- einen beschränkten Zugang zur Diskussion (z. B. nur ven Inhaltsanalyse mithilfe von MAXQDA ausgewer- für Abonnent*innen einer Zeitung) oder die Deakti- tet. Dabei wurden deduktive und induktive Kategori- vierung der Kommentarfunktion erreicht. Auch lässt enbildung kombiniert: In Anlehnung an das Modell sich hierunter die Entscheidung fassen, die Kom- von Shoemaker & Reese (1996; 2014), das internatio- mentarfunktion nur bei weniger sensiblen Themen nal stark rezipiert wurde, haben die Analyseebenen In- freizuschalten. Eine Interviewte berichtet davon, dass dividuum, Profession und Routinen, Organisation und sensible Themen zu kritischen Tageszeiten nicht mehr Gesellschaft die Codierung als deduktive Hauptkate- auf die Webseite oder Social Media gestellt werden: gorien angeleitet. Im Codierprozess wurden aus dem Material heraus Unterkategorien für die jeweiligen Er- „[W]ir sind uns den Themen ja bewusst und wissen, klärungsfaktoren entwickelt. dass es gleich losgeht, wenn wir eines dieser Themen posten. Deswegen machen wir manche Themen auch Ergebnisse gar nicht mehr auf Social [Media].“ (Nr. 14) Hasskommentare werden in allen von uns befragten Die zweite von uns identifizierte Strategie fokussiert Redaktionen als Herausforderung gesehen: Mehrere In- darauf, die Diskussion möglichst offen zu halten und terviewte gaben an, dass sie oder ihre Teams sich von die Masse der Kommentare zu beherrschen. Die er- der Menge und dem Ton der eingehenden Kommen- griffenen Maßnahmen sind dabei oft nicht-interaktiv; tare zeitweise überfordert fühlten. Hintergrund war zudem werden bestimmte Kommentare mithilfe von dabei nicht selten ein Mangel an Personal. Tools automatisch geflaggt oder verborgen und Nut- Entsprechend befanden sich auch einige der Teams zer*innen beobachtet. Beispielhaft für diese Strategie zum Zeitpunkt der Gespräche in steht etwa die folgende Beschreibung: einer Umstrukturierung. „Wir sind eher unsichtbar tätig, weil wir eher lö- Moderationspraktiken und -strategien schend eingreifen oder Nutzer sperren. Direkt in den Dialog gehen wir eigentlich nur, wenn wir gezielt Um den genannten Herausforderungen zu begegnen, angesprochen werden, wenn es gezielt um uns geht, kommen in den Redaktionen eine Reihe verschiedener zum Beispiel wenn wir auf Fehler hingewiesen werden Moderationspraktiken zur Anwendung. Die Befragten oder weil ein Kollege kritisiert wird, oder weil wir uns © Sünje Paasch-Colberg, Christian Strippel, Laura Laugwitz, Martin Emmer & Joachim Trebbe (2020). Moderationsfaktoren: Ein Ansatz zur Analyse von Selektionsentscheidungen im Community Management. In: Gehrau, V., Waldherr, A. & Scholl, A. (Hrsg.) Integration durch Kommunikation. Jahrbuch der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft 2019, Münster, S.109-119. DOI: https://doi.org/10.21241/ssoar.67858.
Moderationsfaktoren: Ein Ansatz zur Analyse von Selektionsentscheidungen im Community Management 115 für einen Hinweis bedanken.“ (Nr. 1) terschiede und (Wert-)Einstellungen als die dahinter liegenden Faktoren an. Eine Befragte meinte etwa: Mithilfe dieser Strategie können die Ressourcen auf die Moderation sensibler Themen konzentriert werden. Abbildung 1: Moderations- und Selektionsfaktoren für Das Ziel ist dabei, möglichst früh zu intervenieren, Nutzerkommentare Präsenz in der Diskussion zu zeigen und vergleichs- weise streng zu moderieren. Die dritte Strategie kann schließlich als Bewältigungs- strategie für die Moderator*innen bezeichnet werden. Sie wird zugleich auch als die hilfreichste Strategie zur Verbesserung des Diskussionsklimas beschrieben. Im Kern geht es dabei um den Versuch, die Ressourcen auf wertvolle Nutzerbeiträge zu konzentrieren und so Positives zu fördern. Eine Interviewte beschrieb die Vorteile dieser Strategie wie folgt: „Da wird es immer Unterschiede geben, je nachdem, „Mittlerweile haben wir gemerkt, dass das gar nicht so was für einen Hintergrund man hat. Ist man eher ein gut tut, diesen destruktiven Postings so viel Aufmerk- junger Mensch, ein alter Mensch, ein Mann oder eine samkeit zu schenken, sondern eher die konstruktiven Frau. Da hat jeder ein anderes Empfinden.“ (Nr. 13) hervorzuheben. Jetzt geht es nicht nur uns besser, sondern gefühlt auch dem Forum und der Community. Solche individuellen Unterschiede werden zwar kri- Gefühlt sind die Diskussionen konstruktiver und qua- tisch betrachtet und es werden von einigen Redaktion- litätsvoller.“ (Nr. 18) en auch Maßnahmen ergriffen, um eine gemeinsame Linie in der Moderation herauszubilden; andererseits Redaktionelle Wertschätzung wird dabei auch durch wird eine individuelle Moderation auch als authen- die Seitengestaltung ausgedrückt, etwa durch das Her- tisch wertgeschätzt, wie die folgenden Zitate zeigen: vorheben guter Kommentare als ‚Editor’s Pick‘ oder das Einbinden von Nutzerkommentaren in die Artikel. „Wir sind alle Menschen und man versucht natürlich, Andere Redaktionen berichten von erfolgreichen Son- seine eigene Meinung ein bisschen zurückzunehmen. derformaten wie etwa Live-Diskussionen per Video- Das ist nicht immer einfach und wird nie ganz funktio- Stream, mit denen direkte Begegnungen und das Dis- nieren.“ (Nr. 18) kussionsklima zwischen der Redaktion und den Nut- zer*innen gefördert werden sollten. Diese Ergebnisse „[...] jeder, wie er kann. Ich meine, jemandem, der unterstützen den oben besprochenen Befund, dass die jetzt nicht besonders witzig ist, zu sagen: ‚Moderier persönliche Präsenz der Moderation einen positiven das jetzt witzig ab‘, das würde ja eine Katastrophe Effekt auf die Diskussionskultur hat. werden. Und jemand, der nicht besonders sachlich ist, aber das Flapsige ganz gut kann, die sollen das so Moderationsfaktoren machen, wie sie es wollen und können.“ (Nr. 8) Hinsichtlich der zweiten Forschungsfrage zeigen die Zudem zeigen die Interviews, dass sich Routinen in Antworten der Befragten, dass die Moderations- und der Moderation herausbilden. Hinsichtlich der Kom- Selektionsentscheidungen in der Kommentarmodera- mentarinhalte werden etwa Beleidigungen, Schimpf- tion komplex sind. Auf den vier theoretischen Analy- worte, ein mangelnder Bezug zum Ausgangsartikel, seebenen ließen sich jeweils mehrere relevante Erklär- Spam, Werbung und nicht-deutschsprachige Äußer- ungsfaktoren ausmachen (siehe Abbildung 1). ungen nahezu übereinstimmend als Gründe für das Löschen von Kommentaren genannt. Dennoch ist die Individuelle Einflüsse auf die Moderation werden von Bewertung der Kommentarinhalte kontextsensibel und mehreren Befragten erwähnt: Während viele dieser auch vom Thema abhängig: Aussagen lediglich auf individuelle Unterschiede im Befinden gegenüber problematischen Kommentaren „Wenn problematische Themen einlaufen, sind wir sowie im eigenen Moderationsstil verweisen, führen achtsam und geben dem auch die nötige Priorität. einige der Befragten explizit sozioökonomische Un- Pauschalisierende Kommentare und solche, die im © Sünje Paasch-Colberg, Christian Strippel, Laura Laugwitz, Martin Emmer & Joachim Trebbe (2020). Moderationsfaktoren: Ein Ansatz zur Analyse von Selektionsentscheidungen im Community Management. In: Gehrau, V., Waldherr, A. & Scholl, A. (Hrsg.) Integration durch Kommunikation. Jahrbuch der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft 2019, Münster, S.109-119. DOI: https://doi.org/10.21241/ssoar.67858.
Moderationsfaktoren: Ein Ansatz zur Analyse von Selektionsentscheidungen im Community Management 116 Ansatz als hetzerisch wahrgenommen werden könnten, „Als öffentlich-rechtliche Anstalt ist Sperren richtig verschwinden dann sehr schnell. Bei solchen Themen schwer. Die Leute zahlen halt Rundfunkbeiträge, da moderieren wir definitiv strenger.“ (Nr. 6) können wir eigentlich nicht so viel machen.“ (Nr. 8) „Wenn die Themen lockerer sind, lassen wir auch mal Im Gegensatz dazu verweisen private Angebote häufig fünfe gerade sein.“ (Nr. 11) auf ihr Hausrecht für die von ihnen verantworteten In- ternetseiten: Darüber hinaus ist das Objekt einer wertenden Aussa- ge oft entscheidend für deren Einordnung. So zeigen „Grundsätzlich bin ich für das Hausrecht und ich fin- sich einige Moderator*innen konsequenter, wenn eine de, wir können veröffentlichen, was wir veröffentlich- gesellschaftlich marginalisierte Gruppe beleidigt wird, en wollen. [...] Ich halte den Eingriff für unser Recht. und weniger streng, wenn dies mit Journalist*innen Das ist unsere Seite und das bestimmt auch, wie wir geschieht. Zudem wurde berichtet, dass auch harmlo- als Medium wahrgenommen werden.“ (Nr. 6) sere Kommentare mal gelöscht werden, weil diese un- ter Umständen problematische Kommentare auslösen Darüber hinaus ist auch die Redaktionslinie eines An- und zu einer Abwärtsspirale führen können. Solche gebots für die Moderationspraxis relevant. So wird et- Befunde zu individuellen Faktoren und kontextsen- wa die politische Ausrichtung eines Nachrichtenange- siblen Lösch-Routinen können die scheinbar inkon- bots auf den Kommentarbereich übertragen: sistenten Befunde zur Moderationspraxis innerhalb einer Medienorganisation (z. B. Muddiman & Stroud, „Ein rechter Diskurs findet bei uns nicht statt, weil wir 2017; Boberg et al., 2018) erklären. den gar nicht zulassen. Das ist bei anderen Zeitungen halt anders. Die Art, wie der Diskurs geführt oder wie Des Weiteren umfasst die Ebene der Routinen auch stark ein rechter Diskurs zugelassen wird, spiegelt das Publikumsbild, an dem sich die Moderationspraxis schon ein wenig die Haltung des Hauses wider, würde orientiert. Auf der einen Seite wurde der Wunsch ge- ich sagen.“ (Nr. 9) äußert, allen Nutzer*innen einen geschützten Raum anzubieten und daher strenger zu moderieren; andere Ein anderer Befragter berichtete, dass sich auch die Befragte betonen dagegen das Ideal der eigenständigen Meinungsstärke eines Angebots in der Moderations- Meinungsbildung und eine dementsprechend weniger praxis widerspiegele, da etwa meinungsstarke Kom- strenge Löschpraxis: mentare gefördert würden. Auffällig ist zudem, dass Bilder, GIFs und humorvolle Antworten im Rahmen „Damit lassen wir den Leuten die Wahl, mit wem sie der Moderation vor allem von Redaktionen eingesetzt mitgehen. Sie können den Ausgangspost sehen, sie werden, deren Angebote sich an ein jüngeres Publikum können unsere Antwort sehen und jeder Leser darf sich richten. Offensichtlich ist demnach auch die Zielgrup- selbst ein Bild machen und entscheiden, wie er damit pe ein relevanter Erklärungsfaktor für Moderations- umgeht. Ich glaube, die meisten Leser sind intelligent entscheidungen. genug, die Entscheidung selbst zu treffen.“ (Nr. 13) Mit dem Strafrecht wurde schließlich auch ein Faktor Daran anschließend steht die Norm der Ausgewogen- der gesellschaftlichen Makroebene in den Interviews heit, die manche Moderator*innen als Gefühl beschrei- benannt. Alle Befragten geben an, strafrechtlich rele- ben, dass alle Meinungen ihre Berechtigung haben. vante Kommentare zu löschen und ggf. an verantwort- Schließlich ordnen wir auf der Ebene der Routinen liche Stellen weiterzugeben. Zu guter Letzt wird eine auch die Moderationssoftware und Wortfilter als eine Art ‚Common Sense‘ der Gesprächskultur erwähnt, Form von automatisierter Tätigkeitsroutine ein. der in Form einer Netiquette festgehalten wird, aber an gesellschaftliche Vorstellungen davon anknüpfe, „wie Auf Ebene der Organisation sind die Finanzierung ei- man sich unterhalten möchte“ (Nr. 3). nes Angebots und die damit verbundene gesellschaft- liche Rolle relevante Moderationsfaktoren. Die Befrag- Die Befragung zeigt damit insgesamt, dass Communi- ten aus den Redaktionen öffentlich-rechtlicher Ange- ty Manager*innen auf eine Reihe relevanter Erklär- bote legten zum Beispiel offen, Kommentare und Nut- ungsfaktoren verweisen, wenn sie nach ihren Selek- zer*innen nur zögerlich zu löschen bzw. zu sperren tions- und Moderationsentscheidungen gefragt werden und die Gründe zu dokumentieren. So antwortete eine und dass sich diese Faktoren den in der Journalis- Befragte aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk: musforschung etablierten Analyseebenen (1) Individu- © Sünje Paasch-Colberg, Christian Strippel, Laura Laugwitz, Martin Emmer & Joachim Trebbe (2020). Moderationsfaktoren: Ein Ansatz zur Analyse von Selektionsentscheidungen im Community Management. In: Gehrau, V., Waldherr, A. & Scholl, A. (Hrsg.) Integration durch Kommunikation. Jahrbuch der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft 2019, Münster, S.109-119. DOI: https://doi.org/10.21241/ssoar.67858.
Moderationsfaktoren: Ein Ansatz zur Analyse von Selektionsentscheidungen im Community Management 117 um, (2) Profession und Routinen, (3) Organisation und lich geäußert werden können. Darüber hinaus zeigt (4) Gesellschaft zuordnen lassen. Entsprechend ergibt sich das Bewusstsein für potentiell (des-)integrierende sich ein Modell von Moderationsfaktoren (siehe Abbil- Prozesse in Nutzerdiskussionen darin, dass die Mo- dung 1), das an den theoretischen Forschungsstand an- derator*innen teilweise strenger moderieren, wenn es knüpft und in das sich neben den Ergebnissen dieser um sensible Themen geht oder gesellschaftlich margi- Studie auch die bisherigen Befunde zur Kommentar- nalisierte Gruppen in Kommentaren angegriffen wer- moderation (siehe oben) einordnen lassen. den. Zu guter Letzt öffnet die in den Interviews ausge- drückte Wertschätzung von Diversität innerhalb des Fazit Moderationsteams selbst Möglichkeiten für eine Dis- kussion darüber, wie Inklusion in den eigenen Reihen Ziel dieser Studie war es, die Moderationsstrategien gelebt wird. deutschsprachiger Redaktionen im Umgang mit diskri- minierenden und hasserfüllten Nutzerkommentaren in Literatur Kommentarspalten, Diskussionsforen und Social Me- dia aufzuzeigen und Faktoren zu benennen, die Un- Bakker, P. (2014). Mr. Gates returns. Curation, com- terschiede in der jeweiligen Moderationspraxis erklär- munity management and other new roles for journa- en können. Denn einerseits nimmt die neue Berufsrolle lists. Journalism Studies, 15(5), 596–606. doi:10.1080/ der Community Manager*innen eine gesellschaftlich 1461670X.2014.901783 relevante Gatekeeping-Funktion ein, wenn sie darüber entscheiden, ob ein Kommentar gelesen werden kann Barzilai-Nahon, K. (2008). Toward a theory of net- oder gelöscht wird. Andererseits steckt insbesondere work gatekeeping: A framework for exploring infor- die Forschung zu den Erklärungsfaktoren von Modera- mation control. Journal of the American Society for In- tionsentscheidungen noch in den Kinderschuhen und formation Science and Technology, 59(9), 1493–1512. entsprechende Befunde stehen bislang noch recht un- doi:10.1002/asi.20857 verbunden nebeneinander. Binns, A. (2012). Don’t feed the trolls! Managing Zur Schließung dieser Forschungslücke leistet diese troublemakers in magazines’ online communities. Studie einen ersten Beitrag, in dem auf der Basis von Journalism Practice, 6(4), 547–562. doi:10.1080/1751 Interviews mit Expert*innen ein Modell von Modera- 2786.2011.648988 tionsfaktoren entwickelt wird, das Erklärungsfaktoren auf der individuellen, professionellen, institutionellen Boberg, S., Schatto-Eckrodt, T., Frischlich, L., & und gesellschaftlichen Ebene umfasst. Dieses Modell Quandt, T. (2018). The Moral Gatekeeper? Modera- kann dabei nur ein erster Vorschlag sein und bedarf tion and Deletion of User-Generated Content in a Lead- weiterer empirischer Überprüfung und Ausarbeitung, ing News Forum. Media and Communication, 6(4). auch um die methodischen Limitationen der Studie doi:10.17645/mac.v6i4.1493 auszugleichen. Diese liegen – wie bei Befragungen üb- lich – in einer möglichen sozialen Erwünschtheit der Braun, J., & Gillespie, T. (2011). Hosting the public Antworten sowie in dem Umstand, dass die Befragten discourse, hosting the public. When online news and nur solche Faktoren beschreiben können, derer sie sich social media converge. Journalism Practice, 5(4), bewusst sind. Nichtsdestotrotz kann das Modell als 383–398. doi:10.1080/17512786.2011.557560 Ausgangspunkt dienen, um zukünftige Studien zur Kommentarmoderation systematischer als bisher zu Bro, P., & Wallberg, F. (2015). Gatekeeping in a Digi- verorten und theoretisch zu fundieren. tal Era: Principles, practices and technological plat- forms. Journalism Practice, 9(1), 92–105. doi:10.10 Darüber hinaus zeigen die Befunde, dass die Fragen 80/17512786.2014.928468 nach angemessener Teilhabe und Repräsentation ver- schiedener gesellschaftlicher Gruppen, die sich im Um- Bruns, A. (2009). Vom Gatekeeping zum Gatewatch- gang mit Hasskommentaren stellen, in den Redak- ing. In C. Neuberger, C. Nuernbergk, & M. Rischke tionen durchaus thematisiert werden. So besteht ein (Hrsg.), Journalismus im Internet: Profession – Partizi- Spannungsverhältnis zwischen dem Ideal eines ‚safe pation – Technisierung (S. 107–128). Wiesbaden: VS. space‘, in dem einer potentiellen Verdrängung margi- nalisierter Gruppen aktiv entgegengewirkt wird und Chen, G. M., & Pain, P. (2017). Normalizing Online dem Ideal eines Forums, in dem alle Ansichten öffent- Comments. Journalism Practice, 11(7), 876–892. doi: © Sünje Paasch-Colberg, Christian Strippel, Laura Laugwitz, Martin Emmer & Joachim Trebbe (2020). Moderationsfaktoren: Ein Ansatz zur Analyse von Selektionsentscheidungen im Community Management. In: Gehrau, V., Waldherr, A. & Scholl, A. (Hrsg.) Integration durch Kommunikation. Jahrbuch der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft 2019, Münster, S.109-119. DOI: https://doi.org/10.21241/ssoar.67858.
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