Zehn Jahre Leipzig-Charta - Die Bedeutung integrierter Stadtentwicklung in Europa - Bund.de
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Impressum Herausgeber Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR), Bonn Deichmanns Aue 31–37 53179 Bonn Wissenschaftliche Begleitung Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) Referat I 2 – Stadtentwicklung Dr. Marion Klemme marion.klemme@bbr.bund.de Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) Referat SW I 1 – Grundsatzfragen der Stadtentwicklungspolitik, BBSR Tilman Buchholz Auftragnehmer European Urban Knowledge Network (EUKN), Den Haag Projektleitung: Mart Grisel, Dr. Sjoerdje van Heerden Bearbeitung: Dr. Sjoerdje van Heerden, Lea Scheurer Übersetzung Christiane Koschinski Stand Mai 2017 Satz und Layout Sander Pinkse Boekproductie, Amsterdam Produktion Warden Press/Wardy Poelstra, Amsterdam Druck Printforce, Alphen a/d Rijn Bezugsquelle silvia.wicharz@bbr.bund.de Stichwort: Zehn Jahre Leipzig-Charta Bildnachweis Titelbild: Mart Grisel Bundesregierung/Sandra Steins: S. 3; mapchart.net: S. 22, 30, 63; Stuart Acker Holt: S. 23, 63; Gijs Wilbers: S. 31; Mario Roberto Durán Ortiz: S. 72; Pexels/@little boy: S. 74; commons.wikimedia.org/ Palava City: S. 76; commons.wikimedia.org/Andres de Wet: S. 77; Mart Grisel: S. 79, 86 Nachdruck und Vervielfältigung Alle Rechte vorbehalten Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet. Bitte senden Sie uns zwei Belegexemplare zu. Die vom Auftragnehmer vertretene Auffassung ist nicht unbedingt mit der des Herausgebers identisch. ISBN 978-3-87994-200-8 Bonn 2017
Grußwort Vor zehn Jahren haben die EU-Mitgliedstaaten mit der Leipzig-Charta ein grundlegendes Doku- ment zur integrierten Stadtentwicklung beschlos- sen. Seitdem sind die Herausforderungen für un- sere Städte und Gesellschaften weiter gewachsen. Überall in Europa stehen wir Herausforderungen gegenüber, wie dem Klimawandel, der Digitalisie- rung, der Globalisierung, der Integration zugewan- derter Menschen und der Stärkung des sozialen Zusammenhalts. Um diese Aufgaben bewältigen zu können, braucht es nicht nur konsistente und aufeinander abge- stimmte Lösungen über alle staatlichen Ebenen hinweg. Es braucht auch die Partizipation und Be- teiligung aller Gruppen in der Stadt. Mit dieser For- derung nahm die Leipzig-Charta bereits im Jahr 2007 sozial und wirtschaftlich benachteiligte Stadt- teile in den Fokus. Der vorliegende Bericht „Zehn Jahre Leipzig-Char- ta“ geht der Frage nach, inwiefern Stadtpolitik in Bild: Bundesregierung/Sandra Steins verschiedenen europäischen und außereuropäi- schen Ländern integrativ und ganzheitlich gestal- tet wurde. Mit Blick auf die deutsche EU-Ratspräsi- Die Studie soll den Leserinnen und Lesern berei- dentschaft im Jahr 2020 dient die Studie auch dazu, chernde Einsichten eröffnen und dazu beitragen, über die Zukunft der integrierten Stadtentwicklung die Städte Europas als gedeihende, integrative und in Europa nachzudenken. lebenswerte Orte zu pflegen. Die Ergebnisse dieses Berichts zeigen, dass eine integrierte und partizipative Stadtentwicklungspo- litik im Sinne der Leipzig-Charta inzwischen überall in Europa und insbesondere auf lokaler und regio- naler Ebene weit verbreitet ist. Der Bericht verleiht der im Mai 2016 mit dem Pakt von Amsterdam be- Dr. Barbara Hendricks gründeten Debatte um die Städteagenda für die EU Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau neue Impulse. Für die europäische Strukturpolitik und Reaktorsicherheit nach 2020 wird es von großer Bedeutung sein, auf dem Erbe der Leipzig-Charta aufzubauen.
Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1 Die Leipzig-Charta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2 Ein ganzheitlicher Ansatz für eine nachhaltige urbane Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 3 Zehn Jahre nach der Leipzig-Charta – politische Entwicklungen auf europäischer Ebene . . . . . . . . . . 13 4 Aktuelle städtische Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 5 Methodischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 6 Integrierte Stadtentwicklung in der nationalen Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 7 Integrierte Stadtentwicklung in Brasilien, China, Indien, Südafrika und den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 8 Diskussion und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
8 Zehn Jahre Leipzig-Charta Einleitung Im Jahr 2007 lenkte die Leipzig-Charta zur nachhal- tionsmechanismen und Finanzierungsinstrumente tigen europäischen Stadt große Aufmerksamkeit im Hinblick auf aktuelle stadtpolitische Herausfor- auf integrierte Stadtentwicklungsansätze. Im Jahr derungen und die jüngsten politischen Entwicklun- 2012 kam die Studie „5 Jahre LEIPZIG-CHARTA – gen in Europa erneut zu sichten. Das Hauptinstru- Integrierte Stadtentwicklung als Erfolgsbedingung ment der Datenerfassung war eine für die Studie einer nachhaltigen Stadt“ zu dem Schluss, dass entworfene Expertenumfrage. Diese Umfrage rich- integrierte, gebietsbezogene Strategien der Stadt- tete sich an öffentliche Bedienstete, die in den für entwicklung in Westeuropa weiterhin eine große Stadtpolitik zuständigen nationalen Ministerien Rolle spielen und in Mittel- und Osteuropa an Be- und Abteilungen tätig sind. Zusätzliche Analysen deutung gewinnen. Im Jahr 2017 und zum zehnten wurden auf der Grundlage von Sekundärforschung Jahrestag der Leipzig-Charta ist es an der Zeit, den durchgeführt. Zustand der integrierten Stadtentwicklung in Euro- pa neu zu analysieren und zu beurteilen. Der Inhalt des Berichts gliedert sich wie folgt: Das erste Kapitel behandelt die nach wie vor bedeut- Die vorliegende Studie, die vom European Urban samen Schlüsselaspekte der Leipzig-Charta. In Ka- Knowledge Network (EUKN) durchgeführt und vom pitel 2 wird der integrierte Ansatz näher erläutert, Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung der das Kernthema der Leipzig-Charta ist. Das dritte (BBSR) in Auftrag gegeben wurde, untersucht, in- Kapitel führt die Ergebnisse der EU-Ratspräsident- wieweit die Prinzipien der Leipzig-Charta im Zeit- schaften bezüglich integrierter und nachhaltiger raum 2012 bis 2016 Anwendung gefunden haben. Stadtentwicklung, die zuletzt in der Städteagenda Zu diesem Zweck wurden 35 europäische Länder für die EU aus dem Jahr 2016 mündeten, auf. Einer untersucht. Darüber hinaus binden Analysen der Diskussion über dringliche stadtpolitische Proble- nationalen Stadtpolitik von fünf Ländern außerhalb me in Kapitel 4 folgt in Kapitel 5 die Beschreibung Europas – Brasilien, China, Indien, Südafrika und des methodischen Ansatzes der Studie. Anschlie- den Vereinigten Staaten von Amerika – die Ide- ßend analysiert das Kapitel 6 den Zustand der in- en der Leipzig-Charta in einen breiteren geografi- tegrierten Stadtentwicklung in europäischen Län- schen Kontext ein. Zuletzt wurden drei Fallstudien dern, veranschaulicht durch drei Fallstudien. Dem durchgeführt, die die praktische Umsetzung eines folgt in Kapitel 7 eine Kontextualisierung der euro- integrierten Ansatzes für Stadtentwicklung in den päischen Ansätze durch eine Darstellung stadtpo- Städten Brünn (Tschechische Republik), Brüssel litischer Herausforderungen und Vorgehensweisen (Belgien) und Vantaa (Finnland) veranschaulichen. in Brasilien, China, Indien, Südafrika und den Verei- nigten Staaten von Amerika. Schließlich fasst das Das übergeordnete Ziel der Studie ist es, die Be- Schlusskapitel 8 die wichtigsten Erkenntnisse des deutung integrierter Stadtentwicklungspolitik und Berichts im Überblick zusammen. die begleitenden Governance-Ansätze, Koordina-
Die Leipzig-Charta 9 1 Die Leipzig-Charta „Das Leben in Städten wird immer beliebter. Dies ist eine positive Entwicklung, die wir fördern müssen. Familien kehren vom Stadtrand und dem ländlichen Hinterland in die Innenstädte zurück. Urbanität ist ein Qualitätsmerkmal geworden. ... Europas Städte erleben derzeit eine Renaissance, die die Politiker zu gestalten haben. Dies ist der Auftakt zu einer neuen Phase der Stadtentwicklung.“ Wolfgang Tiefensee, deutscher EU-Ratspräsident, 2007 Am 24. und 25. Mai 2007 versammelten sich die für gaben von Städten zu gewährleisten, müssen die Stadtentwicklung zuständigen Minister der EU-Mit- Mitgliedstaaten auch die Möglichkeit haben, Mit- gliedstaaten in Leipzig zum Informellen Minister- tel aus den Europäischen Struktur- und Investiti- treffen zur Stadtentwicklung und zum territorialen onsfonds (ESI-Fonds) für die Implementierung von Zusammenhalt. Das Ergebnis dieses Treffens war bedeutenden nationalen, regionalen bzw. loka- die Unterzeichnung der Leipzig-Charta zur nachhal- len Programmen zu verwenden.* Darüber hinaus tigen europäischen Stadt. Dieses politische Doku- sollte integrierte Stadtentwicklung auf ein breites ment verpflichtet alle Mitgliedstaaten dazu, einen Spektrum an Fachwissen zurückgreifen können. integrierten Ansatz in der Stadtentwicklung zu ver- Ein systematischer und strukturierter Erfahrungs- folgen und voranzubringen, was eine neue Ära in austausch über geografische und fachliche Gren- der EU-Stadtpolitik kennzeichnet. Die Charta stellt zen hinweg kann zur Entwicklung des notwendigen zwei Schlüsselprinzipien für politische Entschei- Know-Hows zur Umsetzung integrierter Stadtent- dungsträger vor, um nachhaltige Stadtentwicklung wicklungsstrategien auf allen Ebenen und beson- zu fördern: 1) die vermehrte Anwendung von An- ders auf lokaler Ebene beitragen (ebd.). sätzen einer integrierten Stadtentwicklungspolitik und 2) eine besondere Aufmerksamkeit für benach- Die Leipzig-Charta betont ausdrücklich, dass ein teiligte Stadtteile im gesamtstädtischen Kontext. integrierter Ansatz in der Lage ist, die unterschied- lichen Interessen der beteiligten Parteien auszu- Eine ganzheitliche Stadtentwicklungspolitik meint, gleichen. Die Schaffung eines Konsenses zwischen dass die räumlichen, sektoralen und zeitlichen As- Verwaltungsebenen, Bürgern und Unternehmen ist pekte der Schlüsselbereiche der Stadtpolitik auf- ein weiterer Schritt in Richtung einer erfolgreichen einander abgestimmt werden. Die Leipzig-Charta Politik. Diese Koordination sollte auch bezüglich erkennt die besondere Verantwortung aller Regie- der Finanzierungmöglichkeiten genutzt werden. rungsebenen für die Zukunft unserer Städte und In einer Zeit der Haushaltszwänge und Sparmaß- Regionen an. Für den effektiven Umgang mit solch nahmen in Europa wird die Möglichkeit öffentlich- parallelen Verantwortlichkeiten sollte die Koordi- privater Partnerschaften noch wichtiger, obschon nation zwischen den verschiedenen Politikberei- diese Partnerschaften mit besonderen Herausfor- chen im Bewusstsein der zeitlichen und räumlichen derungen einhergehen. Darüber hinaus ermögli- * Die wichtigsten Finanzierungs möglichkeiten im Rahmen der Aspekte von Stadtentwicklungspolitik verbessert chen innovative öffentliche Beteiligungsprozesse ESI-Fonds sind in dieser Hinsicht werden. In Anerkennung der Tatsache, dass es kei- es den Bürgern, an einzelnen Stadtentwicklungs- der Europäische Fonds für regio- ne isolierten Strategien zur Förderung nachhaltiger prozessen teilzunehmen, diese zu beeinflussen und nale Entwicklung (EFRE), dessen europäischer Städte mit wettbewerbsfähigen Un- eine aktive Rolle in der Gestaltung ihres unmittelba- gültige Verordnung in Artikel 7 ei- ternehmen und hoher Lebensqualität für die Men- ren Lebensumfeldes zu übernehmen (ebd.). nen Mindestanteil von fünf Pro- zent für Stadtentwicklung vor- schen geben kann, erhält die Koordinierung der sieht, der Europäische Sozialfonds einzelnen Politiken und Strategien auf verschie- Die besondere Aufmerksamkeit für benachteiligte (ESF) und der Kohäsionsfonds. In- denen Regierungsebenen wesentliche Bedeutung Stadtteile kann aus zwei unterschiedlichen Per strumente, die eigens Investitio- (BBSR 2012; BMVBS/BBR 2007; Eltges 2009). spektiven angegangen werden. Sowohl ethische nen in städtische Gebiete ermög- als auch praktische Gründe sprechen dafür, Be- lichen, sind das EFRE-finanzierte Joint European Support for Sus- Weiterhin stellt die Leipzig-Charta fest, dass Stad- mühungen auf stark benachteiligte Gebiete zu kon- tainable Investment in City Areas tentwicklungspolitik und die Suche nach innova- zentrieren. Die Annahme der europäischen Stadt (JESSICA)-Instrument zum Aufbau tiven Lösungen bessere Erfolgschancen haben, als ein von Werten geleitetes Modell des Zusam- revolvierender Fonds aus dem Pro- wenn sie die Unterstützung der höchsten staat- menlebens ist ein Ausgangspunkt des Wunsches, grammierungszeitraum 2007-2013 lichen Institutionen genießen. Eine Beteiligung europäische Städte in faire und gleichberechtigte sowie die in der Programmperiode 2014-2020 eingeführte so genann- hoher Regierungsebenen an der Entwicklung der Lebensräume zu verwandeln. Alle Bewohner müs- ten Integrierten Territorialen Inves- Stadtpolitik kann Städte in der Umsetzung natio- sen demnach Zugang zu den gleichen Dienstleis- titionen (ITI). ITI ermöglichen eine naler, regionaler und lokaler Zielsetzungen stär- tungen und Möglichkeiten haben, z. B. eine sichere Kombination von Strukturfonds ken. Um eine solide finanzielle Basis für die Auf- und gesunde Umwelt oder gute Bildungsmöglich- mitteln in definierten Gebieten.
10 Zehn Jahre Leipzig-Charta keiten. Gleichzeitig wird die Fokussierung auf die- entfalten kann. Des Weiteren erwähnt die Charta jenigen Stadtteile mit den größten Problemen als Bildung als Schlüssel für Chancengleichheit, wo- der effektivste Weg gesehen, um die Lebensqua- bei Bildungsangebote auf die Bedürfnisse von Kin- lität Aller in der Stadt zu verbessern. Gravieren- dern und jungen Erwachsenen zugeschnitten sein de Unterschiede in Bezug auf wirtschaftliche und sollten (ebd.). soziale Chancen, das Niveau der wirtschaftlichen Entwicklung und den sozialen Status der Bewoh- Insgesamt fordert die Leipzig-Charta eine ganzheit- ner in den einzelnen Stadtgebieten kann das sozi- liche und integrierte Politik zur Entwicklung und ale Gefüge der Stadt destabilisieren. Eine Politik Förderung nachhaltiger Gemeinschaften, in denen der sozialen Integration, die zur Verringerung von – laut Definition des Bristol Accord – „Menschen Ungleichheiten beiträgt und soziale Ausgrenzung leben und arbeiten wollen, [die] sicher und inklusiv verhindert, kann dazu beitragen, die Sicherheit und sind, gut geplant, gebaut und regiert werden und den Zusammenhalt in Städten zu erhalten. Die Leip- Chancengleichheit und gute Dienstleistungen für zig-Charta betont, dass nur eine Stadt, die als Gan- alle bieten“ (UK Presidency 2005: 6; Übers. d. A.). zes sozial stabil ist, ihr volles Wachstumspotenzial
Ein ganzheitlicher Ansatz für eine nachhaltige urbane Zukunft 11 2 Ein ganzheitlicher Ansatz für eine nachhaltige urbane Zukunft Die Leipzig-Charta wurde von allen EU-Mitglied- sich vor allem in Städten konzentriert, während es staaten, europäischen Institutionen, Beitrittskandi- in weniger entwickelten EU-Ländern zu mehr Be- daten und weiteren wichtigen Partnern unterzeich- nachteiligung kommt, die sich vor allem auf länd- net. Die politische Einigung auf die Kerninhalte der liche Gebiete, kleinere Städte und Vorstädte er- Charta und deren umfassende Anerkennung for- streckt (EUKN 2014; URBACT 2015). Somit kann men eine wichtige Ausgangsbasis für weitere Akti- eine detaillierte geografische Aufgliederung der vitäten der nachhaltigen und integrierten Stadtent- vorherrschenden Situation und ihrer wichtigsten wicklung in Europa. Dabei geht die Leipzig-Charta Faktoren zu Strategien gegen Benachteiligung bei- über rein politische Verpflichtungen hinaus. Sie tragen. Gebietsbezogene Maßnahmen konzentrie- empfiehlt auch konkrete Schritte und Instrumen- ren sich nicht auf Einzelpersonen, sondern auf eine te für die Verwirklichung ihrer Ziele. Um nachhal- bestimmte geografische Einheit. Üblicherweise tige Gemeinschaften und ein nachhaltiges euro- verbinden sie so genannte harte Maßnahmen wie päisches Städtenetzwerk aufzubauen, schlägt die Abriss und Erneuerung von Wohnraum mit weichen Charta einen ganzheitlichen Ansatz für die Stadt- Maßnahmen wie Aufbau von Sozialkapital und Ar- und Regionalpolitik, basierend auf umsetzungsori- beitsmarktintegration (ebd.). Ein gebietsbezogener entierten Planungsinstrumenten, vor (Eltges 2009). Ansatz ist besonders dazu geeignet, die Transfor- Im folgenden Abschnitt werden drei Schlüsselin- mation von Stadtteilen mit Regenerationspotential strumente der Leipzig-Charta vorgestellt. Zur bes- anzugehen, anstatt sich ausschließlich auf den Bau seren Veranschaulichung der Herausforderungen und die Entwicklung neuer Stadtteile festzulegen wird zu jedem Schlüsselinstrument eine aktuelle (Rio Fernandes 2011). Da städtische Armut in der städtische Herausforderung skizziert. Regel auf bestimmte Stadtteile und Regionen kon- zentriert ist, kann diese nur durch einen gebietsbe- zogenen Ansatz effizient bekämpft werden. Eine räumliche Perspektive und gebietsbezogene Maßnahmen Mehrebenen-Governance Ein gebietsbezogener Ansatz oder eine räumliche Perspektive wird dazu verwendet, städtische Während Fragen zur nachhaltigen Entwicklung Probleme unter Erfassung all ihrer Eigenschaf- mit globalen Interessen verknüpft sind, liegt die ten räumlich darzustellen. Ausgehend von einer Stadtplanung traditionsgemäß bei nachgeordne- räumlichen Perspektive sollten wirtschaftliche, ten staatlichen Ebenen. Daher sollte die Verfolgung ökologische und soziale Aspekte als Ganzes und umsetzbarer nachhaltiger Entwicklungsprogram- nicht getrennt voneinander analysiert werden, da me mittels Dialog, multidisziplinären Kooperatio- die komplexen wechselseitigen Beziehungen zu nen und Partnerschaften zwischen den zahlreichen beachten sind. Um ein geografisches Gebiet nach- Akteuren aus verschiedenen Bereichen und Re- haltig zu verbessern, sollte also sein gesamtes gelsetzungsebenen (EU, national, regional, lokal) Ursache-Wirkungs-Netz berücksichtigt werden erreicht werden. Das Ziel eines solchen ganzheit- (EUROCITIES 2004: 8). Darüber hinaus kann eine lichen Ansatzes ist es, den gemeinsamen Interes- räumliche Perspektive bzw. ein gebietsbezogener sen aller Beteiligten bestmöglich nachzukommen. Ansatz die Überwindung sektoraler Politiken er- Durch die Verlagerung der Befugnisse nach oben, möglichen. nach unten und zur Seite besteht die Möglichkeit, Ressourcen optimal zu bündeln – sowohl finanzi- Städtische Armut, soziale Ausgrenzung, hohe Ar- ell als auch im Hinblick auf interdisziplinäre Exper- beitslosigkeit, gesundheitliche Ungleichheiten, tise (EUROCITIES 2004). Zum Beispiel können die sich intensivierende Migrationsbewegungen und lokalen Budgets mit nationalen oder EU-Förder- die damit verbundenen Folgen sind einige der wich- programmen kombiniert werden oder mit zusätzli- tigsten Schwerpunkte der Stadtentwicklungspoli- chen Mitteln von Nichtregierungsakteuren wie Stif- tik. In Anbetracht ihrer räumlichen Konzentration tungen oder privaten Unternehmen. Die Stärkung spielt die räumliche bzw. gebietsbezogene Per der Zusammenarbeit und die Streuung von Befug- spektive offenkundig eine entscheidende Rolle bei nissen unter allen relevanten Partnern kann eine der Bewältigung dieser Probleme. Mehrere Stu- bedeutende Rolle für den Erfolg einer bestimmten dien zeigen, dass Benachteiligung in besser ent- Politik spielen. Üblicherweise sorgt Mehrebenen- wickelten Mitgliedstaaten seltener vorkommt und Governance für breitere Unterstützung und mehr
12 Zehn Jahre Leipzig-Charta Legitimität. Darüber hinaus ist eine koordinierte len Akteure vor Ort vorbeizuplanen (Dias/Curwell/ Beteiligung verschiedener Regierungspartner an- Bichard 2014). Ein gut konzipierter Bottom-up-An- gesichts der aktuellen Dezentralisierungsprozesse satz unter der effektiven Beteiligung der betroffe- in vielen europäischen Ländern unentbehrlich ge- nen Akteure und der lokalen Bevölkerung ermög- worden, während der Ruf nach einer städtischen licht den Entscheidungsträgern ein umfassenderes Dimension in europäischen und nationalen Strate- Verständnis eines bestimmten Gebiets. Die aktive gien lauter wird (EUKN 2011b). Beteiligung lokaler Gemeinschaften an der Planung von Stadtvierteln kann Gebiete nicht nur physisch Die Bedrohung durch den Klimawandel ist eines verbessern. Beteiligungsprozesse können zudem der größten Probleme unserer Zeit und hilft, die als Ermächtigungsinstrument vor allem in benach- Notwendigkeit von Mehrebenen-Governance zu teiligten Gebieten verwendet werden, in denen die veranschaulichen. Der Kampf dagegen schließt am stärksten gefährdeten Gruppen der Stadtbe- eine enorme Bandbreite von Partnern auf mehre- völkerung (wie Familien mit niedrigem Einkommen ren staatlichen Ebenen, von der lokalen bis zur glo- und Einwohner mit Migrationshintergrund) leben. balen Ebene, ein. Wegen der globalen Natur des Ein partizipativer Prozess ermöglicht es ihnen, Problems liegt die Aufmerksamkeit vor allem auf Stadtentwicklungsprozesse mitzugestalten, da sie den internationalen Verhandlungen in Kopenhagen, eine Chance zur Konzeption und Umsetzung von Cancún oder Paris. Die wesentlichen Entscheidun- Politik erhalten (El-Asmar/Ebohon/Taki 2012). Die gen hinsichtlich der Emission von Kohlendioxid und Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements er- der Förderung nachhaltiger Entwicklung werden je- fordert die strukturelle Einbindung verschiedener doch täglich von lokalen, regionalen und nationalen Partner auf politischer, administrativer und auch Behörden sowie von Industrie und weiteren insti- auf kommunaler Ebene, eingeschlossen Verbände, tutionellen Akteuren getroffen (McEwen/Swenden/ Interessengruppen, lokale Initiativen und vor allem Bolleyer 2010). Es ist eindeutig, dass die nationa- Selbsthilfeorganisationen von Armen und anderen len Regierungen nicht in der Lage sein werden, ih- Minderheiten (EUKN 2014). ren internationalen Verpflichtungen zur Bewälti- gung des Klimawandels nachzukommen, solange In letzter Zeit haben die Verteilung von Migran- eine ausdrücklichere Einbeziehung subnationaler ten und Geflüchteten über die Länder Europas so- Partner fehlt. So liegen Flächennutzungsplanung wie nationale Politikstrategien und nachgeordnete und Abfallwirtschaft in der Regel in den Händen Programme zur Integrationsförderung besondere der lokalen Regierungen bzw. der Kommunalver- Aufmerksamkeit erhalten. Ungeachtet dieser Fo- waltungen und spielen eine entscheidende Rolle in kussierung auf (zwischen-)staatliche Maßnahmen Fragen zu Energieverbrauch und Transport (Betsill/ kann man das Argument anbringen, dass die aktu- Bulkeley 2006). Daher ist es entscheidend, alle Re- ellen Migrationsbewegungen und ihre Effekte ein gierungsebenen einzubeziehen und ein Netzwerk bedeutsames lokales Ausmaß erreicht haben, vor zwischen Verwaltung und Stadtvierteln aufzubau- allem in Bezug auf den sozialen Zusammenhalt. en, um die Klimaprobleme effizient zu bewältigen Der soziale Zusammenhalt umfasst verschiedene und dabei eng mit der EU und den Partnern auf in- Dimensionen, darunter staatsbürgerliche Kultur, ternationaler Ebene in Fragen der technischen Un- gemeinsame Werte, Solidarität, die Verringerung terstützung und Verwaltung zusammenzuarbeiten. zwischen Reich und Arm, Sozialkapital und sozi- ale Netzwerke (Kearns/Forrest 2000). Bottom-up- Prozesse, die ein erhebliches Maß an Bürgerbe- Bottom-up-Ansatz und Ermächtigung teiligung und Dialog zwischen den verschiedenen Interessenvertretern beinhalten, können den sozi- Viele städtische Planungsansätze sind in erster Li- alen Zusammenhalt fördern. Diese Prozesse schaf- nie top-down angelegt, wobei Planer und Behörden fen Vertrauen und Anerkennung unter den lokalen je nach Kontext und Aufgabenstellung die lokalen Einwohnern, darunter Neuankömmlinge wie Mig- Gemeinschaften in der Umsetzungsphase einbezie- ranten und Geflüchteten. Sie können auf diese Wei- hen. Allerdings stößt dieser Ansatz oftmals auf Kri- se zur Verringerung städtischer Armut und sozialer tik, da er die Gefahr birgt, an den Belangen der loka- Ungleichheiten beitragen.
Zehn Jahre nach der Leipzig-Charta – politische Entwicklungen auf europäischer Ebene 13 3 Zehn Jahre nach der Leipzig-Charta – politische Entwicklungen auf europäischer Ebene Seit 2007 wurde die Leipzig-Charta durch Dokumen- Im Oktober 2011 hat die Generaldirektion der Euro- te von EU-Ratspräsidentschaften und verschiede- päischen Kommission für Regionalpolitik und Stadt- ne Umsetzungsinstrumente weiter entwickelt. Die entwicklung (GD REGIO) den Bericht „Städte von Studie „5 Jahre LEIPZIG-CHARTA – Integrierte morgen“ veröffentlicht, einen Entwurf über eine ge- Stadtentwicklung als Erfolgsbedingung einer nach- meinsame Vision der europäischen Stadt von mor- haltigen Stadt“ (BBSR 2012) bietet einen Überblick gen (EC 2011). Der Bericht unterstreicht die Bedeu- über diese Entwicklung bis zur Erklärung von To- tung von ganzheitlichen Ansätzen für die Schaffung ledo während der spanischen EU-Ratspräsident- einer nachhaltigen Stadtentwicklung. Er betont fer- schaft im ersten Halbjahr 2010. Die Erklärung von ner die Notwendigkeit eines Governance-Systems, Toledo betont erneut die Bedeutung ganzheitlicher in dem Regierungsstrukturen angemessen ausge- Konzepte für Stadtentwicklung sowie die wichtigs- stattet sind, um den Herausforderungen in einem ten Elemente der Leipzig-Charta: integrierte Ansät- mehrstufigen Governance-System zu begegnen. ze, horizontale Vernetzung innerhalb und vertika- Der Bericht „Städte von morgen“ diente sowohl le Vernetzung zwischen allen beteiligten Ebenen, der Europäischen Kommission als auch den Mit- strategische Planung auf gesamtstädtischer Ebene gliedstaaten als Ausgangspunkt, um auf eine Städ- mittels eines integrierten Stadtentwicklungskon- teagenda für die EU hin zu arbeiten (EUKN 2015). zepts, Verknüpfung des integrierten Ansatzes mit einer gebietsbezogenen bzw. räumlichen Perspek- Im Juli 2014 hat die Europäische Kommission in tive und Verknüpfung des integrierten Ansatzes mit Zusammenarbeit mit der bevorstehenden nieder- dem Ziel der Inklusion (ebd.). ländischen Präsidentschaft ein öffentliches Kon- sultationsverfahren über die Städteagenda für die Unter Hinweis auf diese Elemente zeigt die Erklä- EU ins Leben gerufen. Die Ergebnisse haben ge- rung von Toledo (2010), wie gut sich die Leipzig- zeigt, dass die EU ihre Städte bei der Bewältigung Charta in die drei Prioritäten der Strategie Europa städtischer Herausforderungen unterstützen sollte, 2020 einfügt. Diese wurde im Jahr 2010 ins Leben während wiederum die Städte dazu beitragen kön- gerufen und steht für intelligentes, nachhaltiges nen, die Prioritäten der EU zu erfüllen. Auch wur- und integratives Wachstum (ebd.). Um dieses drei- de festgestellt, dass die Städteagenda für die EU fache Ziel zu erreichen, hat sich die Strategie Euro- kein Rechtsdokument sein soll, sondern eher „ein pa 2020 fünf Kernziele in den Bereichen Beschäfti- Rahmendokument für die Verbesserung und Koor- gung, Innovation, Bildung, Armutsbekämpfung und dinierung bestehender Initiativen, zur Zusammen- Klima/Energie gesetzt (EK 2010). tragung und Überwachung von Daten bezüglich der Auswirkungen und zur Bewältigung von Eng- Die von 2010 bis zum ersten Halbjahr 2011 aktive pässen“ (EUKN 2015: 12; Übers. d. A.). Präsidentschaftstroika Spanien, Belgien und Un- garn hat die Europa-2020-Strategie mit einer überar- Am 10. Juni 2015 fand das Informelle Treffen der Mi- beiteten Version der ursprünglich unter deutscher nister für territorialen Zusammenhalt und Stadtent- EU-Ratspräsidentschaft beschlossenen Territorialen wicklung in Riga statt. In dieser unter dem Vorsitz Agenda (TA 2020) aufgegriffen. Am 19. Mai 2011 na- der lettischen EU-Ratspräsidentschaft vorbereite- hmen die für Raumplanung und Raumentwicklung ten Sitzung einigten sich alle Teilnehmer auf die zuständigen Minister die TA 2020 in Gödöllő, Ungarn, „Erklärung von Riga – Auf dem Weg zu einer Städ- an. Ziel der Territorialen Agenda ist der Aufbau eines teagenda für die EU“. Es war das erste Mal, dass integrativen, intelligenten und nachhaltigen Europas die zuständigen Minister der EU-Mitgliedstaaten der vielfältigen Regionen. Sie fördert eine gebietsbe- sich zur gemeinsam mit Städten, der Europäischen zogene Politik, die integriertes Arbeiten und den Dia- Kommission und anderen Interessengruppen um- log auf allen Ebenen berücksichtigt anstelle von Ein- zusetzenden Entwicklung einer Städteagenda für zelsektor- und Top-down-Ansätzen. Die TA 2020 führt die EU verpflichteten (Latvian Presidency 2015). an, dass nur unter Anerkennung der territorialen Dimension die Europa-2020-Ziele erreicht werden Im Oktober 2015 wurden unter dem Vorsitz von Lu- können. Sie betont, dass die in der Leipzig-Charta xemburg zwölf Kernthemen der Städteagenda für und den Erklärungen von Marseille (2008) und Toledo die EU offiziell vorgestellt. Diese Themen ergaben genannten Ziele und Bedenken hinsichtlich territo- sich aus Umfragen und Workshops, die gemein- rialer Politikgestaltung auf allen Ebenen berücksich- sam mit Städten, Nichtregierungsorganisationen, tigt werden sollten. Mitgliedstaaten, insbesondere der bevorstehenden
14 Zehn Jahre Leipzig-Charta niederländischen Präsidentschaft und der Euro- –– Stadterneuerung, einschließlich sozialer, wirt- päischen Kommission stattfanden. Die Schwer- schaftlicher, ökologischer, räumlicher und kul- punktthemen sind: Arbeitsplätze und Qualifikatio tureller Aspekte, auch in Verbindung mit der nen in der lokalen Wirtschaft, Städtische Armut, Neuerschließung brachliegender Flächen zur Wohnungswesen, Integration von Migranten und Einschränkung des Flächenverbrauchs; Geflüchteten, Nachhaltige Flächennutzung und –– Anpassung an den demografischen Wandel naturbasierte Lösungen, Kreislaufwirtschaft, An- und Zu- und Abwanderung; passung an den Klimawandel, Energiewende, –– Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen, Städtische Mobilität, Luftqualität, Digitaler Wan- die dem allgemeinen Interesse entsprechen del sowie Innovatives und sozialverantwortliches (im Sinne des Artikels 14 des Vertrages über die öffentliches Beschaffungswesen (eine ausführli- Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) chere Beschreibung erfolgt im nächsten Kapitel). in Verbindung mit Protokoll Nummer 26); –– Ein abschließendes übergreifendes Thema legt Am 30. Mai 2016 wurde mit dem Pakt von Amster- den Schwerpunkt auf die internationale Dimen- dam, der während des Informellen Treffens der sion einer Städteagenda für die EU und die Be- Minister für Stadtentwicklung auf Einladung des ziehung zur New Urban Agenda (Habitat III), niederländischen Vorsitzes vereinbart wurde, ein den Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sus- wichtiger Meilenstein erreicht. Der Pakt von Ams- tainable Development Goals/SDGs, Agenda terdam enthält den operativen Rahmen der Städ- 2030 für nachhaltige Entwicklung) der Verein- teagenda für die EU und arbeitet deren Ziele wei- ten Nationen und dem Klimaschutz-Überein- ter aus. Die oben genannten Schwerpunktthemen kommen von Paris vom Dezember 2015. In die- werden anhand der Felder bessere Rechtsetzung, sem Zusammenhang kann die Städteagenda bessere Finanzierung und besserem Wissensaus- für die EU als wichtiger Baustein der New Ur- tausch bearbeitet. ban Agenda gesehen werden. Das entspricht der Zielsetzung der EU, ein stärkerer globaler Neben den zwölf vorläufigen Schwerpunktthemen Partner zu sein und der Notwendigkeit, die Ko- nennt der Pakt elf Querschnittsthemen. Diese sind: härenz zwischen ihrer Innen- und Außenpoli- –– Effektives Stadtmanagement, einschließlich tik zu erhöhen. Bürgerbeteiligung und neuer Stadtmanage- mentmodelle; Der Pakt von Amsterdam bezieht sich ausdrücklich –– Stadtmanagement über administrative Grenzen auf die Leipzig-Charta, indem er betont: „Ein ausge- hinweg und interkommunale Zusammenarbeit; wogener, nachhaltiger und integrierter Ansatz für –– Solide und strategische Stadtplanung (Verbin- städtische Herausforderungen sollte sich, im Ein- dung zur Regionalplanung, einschließlich For- klang mit der Leipzig-Charta zur nachhaltigen eu- schungs- und Innovationsstrategien für intelli- ropäischen Stadt, auf alle wichtigen Aspekte der gente Spezialisierung (RIS3) und ausgewogene Stadtentwicklung […] konzentrieren, um eine soli- territoriale Entwicklung) mit einem ortsbezoge- de Stadtverwaltung und -politik zu gewährleisten“ nen und zielgruppenorientierten Ansatz; (The Netherlands Presidency 2016: 4; Übers. d. A.). –– Integrativer und partizipativer Ansatz; In ähnlicher Weise führte die Stellungnahme des –– Innovative Ansätze, einschließlich Smart Ci- Europäischen Ausschusses der Regionen „Konkre- ties; te Schritte zur Umsetzung der EU-Städteagenda“ –– Auswirkungen auf gesellschaftliche Verände- (2016) an, dass die Leipzig-Charta bereits 2007 die rungen, einschließlich Verhaltensänderungen, Bedeutung von ganzheitlichen Ansätzen für Städ- Förderung unter anderem von gleichberech- te betont und eine Mehrebenebenen-Governance tigtem Zugang zu Informationen und der Ge- als Lösung für komplexe Probleme genannt hat. schlechtergleichstellung sowie Stärkung von In dieser Hinsicht beweist die Leipzig-Charta ihre Frauen; fortdauernde Relevanz, indem sie den Grundstein –– Herausforderungen und Chancen kleiner und für die Entwicklung einer Städteagenda für die EU mittlerer Städte und polyzentrische Entwick- gelegt und die Zusammenarbeit und den Austausch lung; zwischen den städtischen Behörden auf lokaler, re- gionaler, nationaler, supranationaler und sogar glo- baler Ebene intensiviert und gefördert hat.
Aktuelle städtische Herausforderungen 15 4 Aktuelle städtische Herausforderungen Politische Entscheidungsträger haben die Bedeu- der Aufnahme von Geflüchteten und für die Bereit- tung der Städte weltweit anerkannt – entsprechend stellung von Dienstleistungen für Neuankömmlinge dem Trend zur Urbanisierung. In der EU leben 72 sind. Die Auseinandersetzung mit dieser aktuellen Prozent der Bevölkerung in städtischen Gebieten. Situation – neue Geflüchtetengruppen, neue Ziel- Die meisten Stadtbewohner leben in mittelgroßen orte, höhere Zahlen – erfordert Koordination und Städten (250.000 bis 500.000 Einwohner). Im Ver- ein auf EU-Ebene abgestimmtes Vorgehen. Außer- gleich zu anderen Kontinenten weist Europa ei- dem besteht ein Bedarf an Wissensaustausch zwi- nen geringen Anteil sowohl an Klein- als auch an schen allen städtischen Akteuren in der EU in Be- Großstädten auf. Derzeit wächst die Bevölkerung zug auf Aufnahme, Unterbringung und Integration in europäischen Städten noch, was in vielen an- von Geflüchteten sowie auf die (flexible) Verwen- deren Gebieten zu Bevölkerungsverlusten führt. dung von EU-Mitteln. Ziel ist die gelingende Inte- Hauptstädte verzeichnen auf Grund von Zuwan- gration der einreisenden Migranten und Geflüch- derung das schnellste Wachstum. In einigen Städ- teten und die Schaffung von Rahmenbedingungen ten wurde mehr als 20 Prozent der Bevölkerung für ihre Inklusion. im Ausland geboren. Darüber hinaus zeigen eine alternde Bevölkerung und niedrige Geburtenzah- 2. Luftqualität len Auswirkungen auf den gesamten europäischen Luftverschmutzung ist seit den späten 1970-Jahren Kontinent. In ganz Europa sind städtische Gebiete in vielen Städten zu einem drängenden Problem die wichtigsten Produzenten von Wissen und In- geworden. Städte leiden unter den negativen Aus- novation. Städte stellen unbestreitbar Motoren für wirkungen der städtischen Mobilität und des Ver- wirtschaftliches Wachstum dar, wobei der Dienst- kehrs auf Umwelt und menschliche Gesundheit. leistungssektor die wichtigste Quelle für Beschäf- Eine stärkere Beteiligung lokaler Partner beim Auf- tigung ist. Allerdings kennen die meisten Städte ein spüren möglicher Engpässe in bestehendem (eu- Beschäftigungsparadox, das darin besteht, dass ropäischem) Recht ist daher vonnöten. Ziel ist es, Städte einerseits eine hohe Konzentration von Ar- Systeme und Strategien zu schaffen, die eine für beitsplätzen aufweisen, während andererseits die die menschliche Gesundheit vorteilhafte Luftqua- Beschäftigungsquote der Stadtbevölkerung nied- lität gewährleisten. Dies erfordert die Verknüpfung riger ist als der Landesdurchschnitt (EC/UN-Ha- von gesetzlichen und technischen Aspekten mit bitat 2016). einer Reihe an Emittenten wie dem motorisierten Verkehr, Industrie und Landwirtschaft. Offenkundig birgt die aktuelle Situation europäi- scher Städte viele Herausforderungen. Momen- 3. Städtische Armut tan werden diese durch die zwölf Schwerpunktthe- Vielschichtigkeit und räumliche Konzentration ma- men der Städteagenda für die EU erfasst, die der im chen den Kampf gegen städtische Armut zu einer Mai 2016 veröffentlichte Pakt von Amsterdam (The komplexen Aufgabe, die einen sektorenübergrei- Netherlands Presidency 2016) vorstellt und näher fenden Ansatz, Koordination zwischen mehreren beschreibt. Im Folgenden wird jedes Schwerpunkt- Ebenen und eine gebietsbezogene Perspektive thema einzeln vorgestellt und gezeigt, warum inte- erfordert. Die Stärkung der Koordination auf EU- grierte Maßnahmen auf EU-Ebene und die Meh- Ebene in Bezug auf Instrumente der Europäischen rebenenzusammenarbeit erforderlich sind, um die Struktur- und Investitionsfonds, des gegenseiti- zentralen Ziele zu erreichen. Während sich diese gen Lernens und des Wissensaustausches kann Themen besonders auf die großen europäischen es städtischen Entscheidungsträgern ermöglichen, städtischen Probleme beziehen, überschneiden sie maßgeschneiderte Ansätze zu entwickeln und zu sich wesentlich mit globalen urbanen Herausfor- implementieren. Städtische Armut bezieht sich auf derungen. Die Liste und die (willkürliche) Abfolge Fragen im Zusammenhang mit einer strukturellen der Schwerpunktthemen sind dem Pakt von Ams- Konzentration von Armut in benachteiligten Stadt- terdam entnommen. teilen. Lösungen, die mittels eines ganzheitlichen Ansatzes entwickelt und umgesetzt werden, sind 1. Integration von Migranten und Geflüchteten gebietsbezogene Lösungen (Erneuerung benach- Migration ist derzeit eine sehr große Herausfor- teiligter Stadtteile) und zielgruppenbezogene Lö- derung für die EU. Die wachsende Zahl von Mig- sungen (sozioökonomische Integration von Men- ranten und Geflüchteten haben die Notwendigkeit schen in benachteiligten Stadtteilen). einer gemeinsamen Strategie verschärft. Städte sollten bei der Entwicklung von Strategien stärker einbezogen werden, da sie wichtige Partner bei
16 Zehn Jahre Leipzig-Charta 4. Wohnungswesen erreicht werden, wenn Städte und andere wich- Viele städtische Herausforderungen wie der Kampf tige Interessenvertreter in vollem Umfang mit ein- gegen städtische Armut und die Förderung von bezogen werden. EU-Verordnungen haben einen Energieeffizienz stehen im Zusammenhang mit wichtigen Einfluss auf lokale Strategien und eine dem Wohnungswesen. Bezahlbarer Wohnraum bessere Koordinierung ist für die Gewährleistung und bauliche Erneuerung in benachteiligten Ge- maßgeschneiderter Lösungen notwendig. Klima- bieten sind von wesentlicher Bedeutung für die anpassung erfordert wirksame Partnerschaften EU-Ziele bezüglich sozialer Inklusion. Das überge- zur Verringerung von Vulnerabilitäten und zum ordnete Ziel ist die Schaffung von qualitativ gutem, größtmöglichen Nutzen für städtische Gemein- bezahlbarem Wohnraum, insbesondere für die Be- den. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit und dürftigsten. der Austausch von Wissen und Erfahrungen sind erforderlich, um innovative Ansätze zugunsten der 5. Kreislaufwirtschaft städtischen Klimaresilienz zu steigern. Ziel ist es, Der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft erfordert die negativen Auswirkungen des Klimawandels vo- einen systemischen Ansatz auf mehreren Ebenen, rauszusehen und entsprechende Maßnahmen zur der die Vielzahl von Verflechtungen innerhalb und Vermeidung oder Verringerung von Schäden zu er- zwischen Sektoren, entlang von Wertschöpfungs- greifen, die Städte bedrohen können. ketten und zwischen den Akteuren berücksichtigt. Lokale Initiativen können von einer angemesse- 8. Energiewende nen Unterstützung durch übergeordnete, sowohl Eine rechtzeitige Umsetzung der Initiativen zur nationale als auch europäische, Regierungsebe- Energiewende erfordert mehrere parallele Ansät- nen profitieren. Ein Rahmen für diese Unterstützung ze und die Einbindung von verschiedenen Regie- wird durch das von der Europäischen Kommission rungsebenen. Ein verbesserter und strukturierter vorgelegte Paket zur Kreislaufwirtschaft (2015) zur Erfahrungsaustausch kann in diesen Bereichen Verfügung gestellt, das Legislativvorschläge und zu neuen Ansätzen führen, zum Beispiel im Hin- einen neuen Aktionsplan umfasst. Der Erfolg die- blick auf integrierte Strategien auf Stadtteilebene ses Aktionsplans wird von der Zusammenarbeit für Energieeffizienz und Gebäudesanierung. Eine zwischen allen Regierungsebenen abhängig sein. Darstellung möglicher Synergien und Wissensaus- Sein Ziel ist es, Mehrfachnutzung, Reparatur, Sa- tausch zwischen bestehenden EU-Programmen nierung und Recycling von bestehenden Materi- sind ebenso notwendig wie die Entwicklung von alien und Produkten zu erhöhen sowie nachhalti- sektorenübergreifenden Finanzierungsinstrumen- ge Beschäftigungsmöglichkeiten zu fördern. Dabei ten und konkreten Maßnahmen. Ziel ist es, durch liegt der Schwerpunkt auf Abfallwirtschaft, Sharing die Umstellung auf erneuerbare Energien und mehr Economy und Rohstoffeffizienz. Energieeffizienz einen langfristigen Strukturwandel der Energiesysteme zu erreichen. 6. Arbeitsplätze und Qualifikationen in der lokalen Wirtschaft 9. Nachhaltige Landnutzung und naturbasierte Die Stärkung von Europas Wettbewerbsfähig- Lösungen keit und die Förderung von Investitionen für die Eine stärkere Integration von Projekten und Metho- Schaffung von Arbeitsplätzen ist eine der höchs- den zur Förderung städtischer grüner Infrastruktur ten Prioritäten der Mitgliedstaaten und der Jun- in ganz Europa kann dazu beitragen, europäische cker-Kommission. Zur Förderung des Beschäfti- Städte nachhaltiger, lebenswerter, gesünder und gungswachstums in Städten und zur Erreichung attraktiver zu gestalten. Die nachhaltige Landnut- der Europa-2020-Ziele in Bezug auf Beschäftigung zung betrifft Themen wie Zersiedelung, Stadter- und Bildung besteht ein Bedarf an verbesserter neuerung, Entwicklung von Brachflächen und die Mehrebenenzusammenarbeit. Ein vereinfachter Anpassung an den demografischen Wandel. Es Zugang zu EU-Mitteln und der Austausch von Wis- bestehen bereits einige EU-finanzierte Program- sen und Erfahrung können helfen, Diskrepanzen auf me, doch die Politik kann noch effektiver agieren, dem Arbeitsmarkt zu verringern. Insbesondere liegt wenn Synergien und potentielle Bereiche der Zu- der Schwerpunkt auf der Ansiedlung und dem Hal- sammenarbeit gefunden und für konkrete Maßnah- ten von Unternehmen, der Gründung neuer Unter- men genutzt werden. Es ist sicherzustellen, dass nehmen, lokaler Produktion und lokalem Konsum, Wachstums- und Schrumpfungsprozesse in den der Unterstützung neuer Arbeitsmethoden und der Städten die Belange der Umwelt berücksichtigen. Sicherstellung einer Abstimmung von Fähigkeiten auf Bedarfe. 10. Städtische Mobilität Die Entwicklung und erfolgreiche Umsetzung von 7. Anpassung an den Klimawandel Strategien zur Förderung von nachhaltigen (und Klimaanpassung ist eines der wichtigsten Ziele sanften) Mobilitäts- und intelligenten Stadtlogis- der Europa-2020-Strategie. Dieses Ziel kann nur tiksystemen ist derzeit eine wichtige Aufgabe für
Aktuelle städtische Herausforderungen 17 Städte und Stadtregionen. Die Verbesserung der Dimension in der EU-Politik zu stärken, wobei die Vernetzung innerhalb der Städte (z. B. zur Anbin- Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßig- dung benachteiligter Gebiete) und regional (Au- keit berücksichtigt werden. Im Prinzip sind die Part- ßenbezirke) ist wichtig für den Zugang zu Dienst- nerschaften auf drei Jahre angelegt. Jedes Thema leistungen und die Stimulierung wirtschaftlicher soll durch einen Aktionsplan umgesetzt werden, mit Entwicklung. Es gibt bereits viele EU-Initiativen und konkreten Maßnahmen auf EU-, nationaler und lo- Fördermöglichkeiten in diesem Bereich. Jedoch kaler Ebene. Dieser Aktionsplan soll ein Dokument könnte eine stärkere Koordinierung dazu beitragen, sein, das jederzeit aktualisiert werden kann. die Ergebnisse dieser Initiativen zu optimieren und gegenseitiges Lernen zu verbessern. Das Ziel ist die Hier muss der Hinweis angebracht werden, dass Schaffung nachhaltiger und effizienter städtischer die vorrangig thematische und sektorale Anlage Mobilität, die sich auf den öffentlichen Verkehr, die der Partnerschaften das Risiko einer unzureichen- Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs den Berücksichtigung von Wechselwirkungen zwi- und die Förderung so genannter sanfter Mobilität schen den einzelnen Themen und eines integrier- (Gehen, Radfahren), auf Zugänglichkeit (Gestal- ten Ansatzes im Sinne der Leipzig-Charta birgt. Die tung des öffentlichen Raumes für Behinderte, äl- oben beschriebenen komplexen aktuellen städti- tere Menschen, Kleinkinder etc.) und auf einen ef- schen Herausforderungen erfordern einen integ- fizienten Verkehr mit guten internen (lokalen) und rierten Ansatz, der auf Zielkonflikte zwischen ein- externen (regionalen) Anbindungen konzentriert. zelnen Herausforderungen reagiert und versucht, diese miteinander in Einklang zu bringen. Derartige 11. Digitaler Wandel Konflikte können bei mehreren Themen auftreten, Die digitale Binnenmarktpriorität der Europäischen wie im Spannungsfeld zwischen wirtschaftlichem Kommission und die damit verbundene digitale Wachstum und Ressourceneffizienz oder zwischen Agenda überschreiten viele sektorale Strategien Wohnraumbedarf und dem Kampf gegen Zersiede- und wirken sich auf Stadtentwicklung aus. Es gibt lung oder der Erhaltung von Grünflächen. eine Reihe von verschiedenen Strängen an EU-Ak- tivitäten, Finanzierungsmöglichkeiten und Richtli- nien für so genannte Smart Cities. Diese könnten besser miteinander koordiniert werden, um ihre Effizienz zu steigern, Prozesse zu vereinfachen, Dopplungen zu vermeiden, Lücken und Mängel bestehender Initiativen aufzudecken, die gemein- same Datennutzung zu fördern und die Einbindung von Städten zu verstärken. Letztlich wird das die Qualität der öffentlichen Dienstleistungen und pri- vatwirtschaftlichen Aktivitäten erheblich verbes- sern. Ferner besteht die Notwendigkeit, offen zu- gängliche Innovationen und Daten zu unterstützen. 12. Innovatives und sozialverantwortliches öffentliches Beschaffungswesen Die strategische Nutzung der öffentlichen Auftrags- vergabe kann Städten helfen, soziale und ökologi- sche Ziele zu verfolgen. Deshalb benötigen Städ- te Kenntnisse über innovative Ansätze, Richtlinien und technische Unterstützung. Für kleine und mit- telgroße Städte ist das zusätzlich problematisch, denn für sie kann die öffentliche Auftragsvergabe zu komplex sein, weswegen sie Unterstützung und Hinweise zur Standardisierung benötigen. Das Besondere an der Städteagenda für die EU ist die Entwicklung einer Reihe europäischer Part- nerschaften. Jede Partnerschaft konzentriert sich auf eines der zwölf Kernthemen. Innerhalb dieser Partnerschaften arbeiten Mitgliedstaaten, die Eu- ropäische Kommission und andere europäische Institutionen, Städte, Nichtregierungsorganisati- onen und Verbände zusammen, um die städtische
18 Zehn Jahre Leipzig-Charta 5 Methodischer Ansatz Bevor die Länderanalysen vorgestellt werden, einigen Fällen zusätzliche Informationen in Ergän- folgt ein kurzer Einblick in den methodischen An- zung zu den Umfragedaten im Rahmen von Sekun- satz der Studie. Als zentrale Forschungsfrage steht därforschungen eingeholt. In diesem Zusammen- im Mittelpunkt dieser Studie: Inwieweit wurden die hang ist darauf hinzuweisen, dass alle Analysen, Grundsätze der Leipzig-Charta in allen EU-Mitglied- die zusätzliche Referenzen enthalten, nicht aus- staaten, den EU-Beitrittskandidaten und Norwe- schließlich die Umfrageantworten der nationalen gen und der Schweiz in den vergangenen fünf Jah- Experten wiedergeben, sondern sich zusätzlich aus ren (2012–2016) angewandt? Um Datenmaterial zu anderen Quellen speisen. Darüber hinaus haben generieren, wurde ein Expertenfragebogen ent- die Experten, wenn möglich, einen Vorentwurf der worfen, wobei die Leipzig-Charta selbst sowie die jeweiligen Länderanalyse zur sachlichen Prüfung Fünf-Jahres-Evaluierungsstudie der Leipzig-Charta erhalten. Auch die auf Sekundärforschung basie- (BBSR 2012) als Inspiration für die Fragen dienten. renden Analysen wurden zur Überprüfung an Spe- Die Umfrage enthielt mehrere zumeist offene Fra- zialisten gesendet. Generell ist der Hinweis wichtig, gen, die sich in vier theoretische Hauptabschnitte dass die Länderanalysen aufgrund der institutio- untergliederten. nellen Zugehörigkeit der befragten Experten eine behördliche, staatliche Sichtweise repräsentieren. Im ersten Abschnitt wurde ermittelt, inwieweit die Stadtpolitik eines Landes in den vergangenen fünf Die Fragebogenerstellung und jegliche mit der Um- Jahren auf integrierte Weise geplant und durchge- frage in Verbindung stehende Kommunikation wur- führt wurde. Diese Frage konzentrierte sich speziell den in englischer Sprache durchgeführt; ebenso auf die aktuelle Governance-Struktur, die zuständi- wurden alle Fragebogenantworten in englischer gen Behörden, die hierarchische Struktur und die Sprache gegeben. Auch die Länderanalysen wur- Beteiligung anderer wichtiger städtischer Akteu- den auf Englisch geschrieben und für die Endver- re. Im zweiten Teil wurde gefragt, wie integrierte sion des Berichts auf Deutsch und Französisch Stadtentwicklung in den vergangenen fünf Jahren übersetzt. koordiniert wurde. Der Fokus lag hier auf der Ent- wicklung und Umsetzung städtischer und territo- Basierend auf der Struktur des Fragebogens deckt rialer Strategien und auf der entsprechenden Ko- jede Länderanalyse die wichtigsten Erkenntnisse operation der verschiedenen Regierungsebenen. aus jedem Abschnitt ab. Im Allgemeinen werden In dieser Hinsicht wurden auch die Rollen geson- die thematischen Abschnitte in einer einheitlichen derter koordinierender Gremien oder Institutionen Reihenfolge behandelt: Die Analysen enthalten sowie die Koordination mit EU-Programmen oder eine Beschreibung der Stadtpolitik des Landes, der EU-Netzwerken und anderen wichtigen Akteuren politischen Koordination, der Finanzierung/Förde- auf lokaler Ebene, der Zivilgesellschaft und Nicht- rung und der Politiken für benachteiligte Stadtteile. regierungsorganisationen berücksichtigt. Der drit- Themen wurden kombiniert, wenn dies zur Klarheit te Abschnitt untersuchte den finanziellen Aspekt beitrug. Auch zusätzliche Informationen wie der von Stadtentwicklungspolitik und stellte die Fra- geografische Kontext wurde den Analysen hinzu- ge, wie die Kompetenz über EU-Mittelzuweisun- gefügt, wenn diese als relevant eingeschätzt und gen und -ausgaben zwischen den Verwaltungs- explizit in der Umfrageantwort thematisiert wurden. ebenen aufgeteilt bzw. delegiert wurde. Im letzten Abschnitt wurde eruiert, inwieweit ein integrierter Um Ergebnisse für die Fallstudienauswahl zusam- Ansatz für benachteiligte Stadtteile besteht und menzutragen, konnten die Befragten bis zu drei wie dieser umgesetzt wird. praktische Beispiele eines integrierten Stadtent- wicklungsprojekts in der Umfrage auflisten. We- Anfang 2016 wurde in einer Testphase die Umfra- niger als die Hälfte der Länder reagierten auf die- ge auf Klarheit und Qualität geprüft. Ab Mai 2016 se Anfrage. Ausgehend von diesen Informationen wurde die endgültige Umfrage unter öffentlichen wurden die Fallstudien anhand mehrerer Kriterien Bediensteten der nationalen Ministerien und Abtei- ausgewählt. In erster Linie hatten die Fallstudien lungen der Stadtentwicklungspolitik in den jewei- aktuell zu sein, bestenfalls sollten sie im Untersu- ligen Ländern verteilt. Die meisten Befragten füll- chungszeitraum für diesen Bericht liegen. Durch ten die Umfrage aus und lieferten somit wertvolle dieses Ausschlusskriterium wurden die Beispie- Beiträge für die Länderanalysen. In den seltenen le drastisch reduziert. Zweitens wurde auf Basis Fällen von nicht beantworteten Umfragen mussten der begrenzten Anzahl an Beispielen die geogra- die Analysen auf Sekundärrecherche statt auf Ex- fische Verbreitung der Fallstudien innerhalb Euro- pertenwissen basieren. Darüber hinaus wurden in pas ebenso berücksichtigt wie Veränderungen in
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