Zehn Jahre Leipzig-Charta - Die Bedeutung integrierter Stadtentwicklung in Europa - Bund.de

Die Seite wird erstellt Hauke Wild
 
WEITER LESEN
Zehn Jahre Leipzig-Charta - Die Bedeutung integrierter Stadtentwicklung in Europa - Bund.de
Zehn Jahre Leipzig-Charta

                            Die Bedeutung ­integrierter
                            ­Stadtentwicklung in Europa
Zehn Jahre Leipzig-Charta - Die Bedeutung integrierter Stadtentwicklung in Europa - Bund.de
Zehn Jahre Leipzig-Charta - Die Bedeutung integrierter Stadtentwicklung in Europa - Bund.de
Zehn Jahre Leipzig-Charta
Die Bedeutung integrierter Stadtentwicklung in Europa
Zehn Jahre Leipzig-Charta - Die Bedeutung integrierter Stadtentwicklung in Europa - Bund.de
Impressum

Herausgeber
Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)
im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR), Bonn
Deichmanns Aue 31–37
53179 Bonn

Wissenschaftliche Begleitung
Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)
Referat I 2 – Stadtentwicklung
Dr. Marion Klemme
marion.klemme@bbr.bund.de

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB)
Referat SW I 1 – Grundsatzfragen der Stadtentwicklungspolitik, BBSR
Tilman Buchholz

Auftragnehmer
European Urban Knowledge Network (EUKN), Den Haag
Projektleitung: Mart Grisel, Dr. Sjoerdje van Heerden
Bearbeitung: Dr. Sjoerdje van Heerden, Lea Scheurer

Übersetzung
Christiane Koschinski

Stand
Mai 2017

Satz und Layout
Sander Pinkse Boekproductie, Amsterdam

Produktion
Warden Press/Wardy Poelstra, Amsterdam

Druck
Printforce, Alphen a/d Rijn

Bezugsquelle
silvia.wicharz@bbr.bund.de
Stichwort: Zehn Jahre Leipzig-Charta

Bildnachweis
Titelbild: Mart Grisel
Bundesregierung/Sandra Steins: S. 3; mapchart.net: S. 22, 30, 63; Stuart Acker Holt: S. 23, 63; Gijs
­Wilbers: S. 31; Mario Roberto Durán Ortiz: S. 72; Pexels/@little boy: S. 74; commons.wikimedia.org/
 Palava City: S. 76; commons.wikimedia.org/Andres de Wet: S. 77; Mart Grisel: S. 79, 86

Nachdruck und Vervielfältigung
Alle Rechte vorbehalten
Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet.
Bitte senden Sie uns zwei Belegexemplare zu.

Die vom Auftragnehmer vertretene Auffassung ist nicht unbedingt mit der des Herausgebers identisch.

ISBN 978-3-87994-200-8                                                                        Bonn 2017
Zehn Jahre Leipzig-Charta - Die Bedeutung integrierter Stadtentwicklung in Europa - Bund.de
Grußwort

Vor zehn Jahren haben die EU-Mitgliedstaaten
mit der Leipzig-Charta ein grundlegendes Doku-
ment zur integrierten Stadtentwicklung beschlos-
sen. Seitdem sind die Herausforderungen für un-
sere Städte und Gesellschaften weiter gewachsen.
Überall in Europa stehen wir Herausforderungen
gegenüber, wie dem Klimawandel, der Digitalisie-
rung, der Globalisierung, der Integration zugewan-
derter Menschen und der Stärkung des sozialen
Zusammenhalts.

Um diese Aufgaben bewältigen zu können, braucht
es nicht nur konsistente und aufeinander abge-
stimmte Lösungen über alle staatlichen Ebenen
hinweg. Es braucht auch die Partizipation und Be-
teiligung aller Gruppen in der Stadt. Mit dieser For-
derung nahm die Leipzig-Charta bereits im Jahr
2007 sozial und wirtschaftlich benachteiligte Stadt-
teile in den Fokus.

Der vorliegende Bericht „Zehn Jahre Leipzig-Char-
ta“ geht der Frage nach, inwiefern Stadtpolitik in
                                                        Bild: Bundesregierung/Sandra Steins
verschiedenen europäischen und außereuropäi-
schen Ländern integrativ und ganzheitlich gestal-
tet wurde. Mit Blick auf die deutsche EU-Ratspräsi-     Die Studie soll den Leserinnen und Lesern berei-
dentschaft im Jahr 2020 dient die Studie auch dazu,     chernde Einsichten eröffnen und dazu beitragen,
über die Zukunft der integrierten Stadtentwicklung      die Städte Europas als gedeihende, integrative und
in Europa nachzudenken.                                 lebenswerte Orte zu pflegen.

Die Ergebnisse dieses Berichts zeigen, dass eine
integrierte und partizipative Stadtentwicklungspo-
litik im Sinne der Leipzig-Charta inzwischen überall
in Europa und insbesondere auf lokaler und regio-
naler Ebene weit verbreitet ist. Der Bericht verleiht
der im Mai 2016 mit dem Pakt von Amsterdam be-          Dr. Barbara Hendricks
gründeten Debatte um die Städteagenda für die EU        Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau
neue Impulse. Für die europäische Strukturpolitik       und ­Reaktorsicherheit
nach 2020 wird es von großer Bedeutung sein, auf
dem Erbe der Leipzig-Charta aufzubauen.
Zehn Jahre Leipzig-Charta - Die Bedeutung integrierter Stadtentwicklung in Europa - Bund.de
Zehn Jahre Leipzig-Charta - Die Bedeutung integrierter Stadtentwicklung in Europa - Bund.de
Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

1   Die Leipzig-Charta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
2   Ein ganzheitlicher Ansatz für eine nachhaltige urbane Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
3   Zehn Jahre nach der Leipzig-Charta – politische Entwicklungen auf europäischer Ebene  . . . . . . . . . . 13
4   Aktuelle städtische Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
5   Methodischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
6   Integrierte Stadtentwicklung in der nationalen Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
7   Integrierte Stadtentwicklung in Brasilien, China, Indien, Südafrika und den USA  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
8   Diskussion und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
Zehn Jahre Leipzig-Charta - Die Bedeutung integrierter Stadtentwicklung in Europa - Bund.de
8                                                                                  Zehn Jahre Leipzig-Charta

    Einleitung

    Im Jahr 2007 lenkte die Leipzig-Charta zur nachhal-    tionsmechanismen und Finanzierungsinstrumente
    tigen europäischen Stadt große Aufmerksamkeit          im Hinblick auf aktuelle stadtpolitische Herausfor-
    auf integrierte Stadtentwicklungsansätze. Im Jahr      derungen und die jüngsten politischen Entwicklun-
    2012 kam die Studie „5 Jahre LEIPZIG-CHARTA –          gen in Europa erneut zu sichten. Das Hauptinstru-
    Integrierte Stadtentwicklung als Erfolgsbedingung      ment der Datenerfassung war eine für die Studie
    einer nachhaltigen Stadt“ zu dem Schluss, dass         entworfene Expertenumfrage. Diese Umfrage rich-
    integrierte, gebietsbezogene Strategien der Stadt-     tete sich an öffentliche Bedienstete, die in den für
    entwicklung in Westeuropa weiterhin eine große         Stadtpolitik zuständigen nationalen Ministerien
    Rolle spielen und in Mittel- und Osteuropa an Be-      und Abteilungen tätig sind. Zusätzliche Analysen
    deutung gewinnen. Im Jahr 2017 und zum zehnten         wurden auf der Grundlage von Sekundärforschung
    Jahrestag der Leipzig-Charta ist es an der Zeit, den   durchgeführt.
    Zustand der integrierten Stadtentwicklung in Euro-
    pa neu zu analysieren und zu beurteilen.               Der Inhalt des Berichts gliedert sich wie folgt: Das
                                                           erste Kapitel behandelt die nach wie vor bedeut-
    Die vorliegende Studie, die vom European Urban         samen Schlüsselaspekte der Leipzig-Charta. In Ka-
    Knowledge Network (EUKN) durchgeführt und vom          pitel 2 wird der integrierte Ansatz näher erläutert,
    Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung      der das Kernthema der Leipzig-Charta ist. Das dritte
    (BBSR) in Auftrag gegeben wurde, untersucht, in-       Kapitel führt die Ergebnisse der EU-Ratspräsident-
    wieweit die Prinzipien der Leipzig-Charta im Zeit-     schaften bezüglich integrierter und nachhaltiger
    raum 2012 bis 2016 Anwendung gefunden haben.           Stadtentwicklung, die zuletzt in der Städteagenda
    Zu diesem Zweck wurden 35 europäische Länder           für die EU aus dem Jahr 2016 mündeten, auf. Einer
    untersucht. Darüber hinaus binden Analysen der         Diskussion über dringliche stadtpolitische Proble-
    nationalen Stadtpolitik von fünf Ländern außerhalb     me in Kapitel 4 folgt in Kapitel 5 die Beschreibung
    Europas – Brasilien, China, Indien, Südafrika und      des methodischen Ansatzes der Studie. Anschlie-
    den Vereinigten Staaten von Amerika – die Ide-         ßend analysiert das Kapitel 6 den Zustand der in-
    en der Leipzig-Charta in einen breiteren geografi-     tegrierten Stadtentwicklung in europäischen Län-
    schen Kontext ein. Zuletzt wurden drei Fallstudien     dern, veranschaulicht durch drei Fallstudien. Dem
    durchgeführt, die die praktische Umsetzung eines       folgt in Kapitel 7 eine Kontextualisierung der euro-
    integrierten Ansatzes für Stadtentwicklung in den      päischen Ansätze durch eine Darstellung stadtpo-
    Städten Brünn (Tschechische Republik), Brüssel         litischer Herausforderungen und Vorgehensweisen
    (Belgien) und Vantaa (Finnland) veranschaulichen.      in Brasilien, China, Indien, Südafrika und den Verei-
                                                           nigten Staaten von Amerika. Schließlich fasst das
    Das übergeordnete Ziel der Studie ist es, die Be-      Schlusskapitel 8 die wichtigsten Erkenntnisse des
    deutung integrierter Stadtentwicklungspolitik und      Berichts im Überblick zusammen.
    die begleitenden Governance-Ansätze, Koordina-
Zehn Jahre Leipzig-Charta - Die Bedeutung integrierter Stadtentwicklung in Europa - Bund.de
Die Leipzig-Charta                                                                                                                                9

1 Die Leipzig-Charta

„Das Leben in Städten wird immer beliebter. Dies ist eine positive Entwicklung, die wir fördern müssen.
Familien kehren vom Stadtrand und dem ländlichen Hinterland in die Innenstädte zurück. Urbanität ist
ein Qualitätsmerkmal geworden. ... Europas Städte erleben derzeit eine Renaissance, die die Politiker zu
gestalten haben. Dies ist der Auftakt zu einer neuen Phase der Stadtentwicklung.“

Wolfgang Tiefensee, deutscher EU-Ratspräsident, 2007

Am 24. und 25. Mai 2007 versammelten sich die für      gaben von Städten zu gewährleisten, müssen die
Stadtentwicklung zuständigen Minister der EU-Mit-      Mitgliedstaaten auch die Möglichkeit haben, Mit-
gliedstaaten in Leipzig zum Informellen Minister-      tel aus den Europäischen Struktur- und Investiti-
treffen zur Stadtentwicklung und zum territorialen     onsfonds (ESI-Fonds) für die Implementierung von
Zusammenhalt. Das Ergebnis dieses Treffens war         bedeutenden nationalen, regionalen bzw. loka-
die Unterzeichnung der Leipzig-Charta zur nachhal-     len Programmen zu verwenden.* Darüber hinaus
tigen europäischen Stadt. Dieses politische Doku-      sollte integrierte Stadtentwicklung auf ein breites
ment verpflichtet alle Mitgliedstaaten dazu, einen     Spektrum an Fachwissen zurückgreifen können.
integrierten Ansatz in der Stadtentwicklung zu ver-    Ein systematischer und strukturierter Erfahrungs-
folgen und voranzubringen, was eine neue Ära in        austausch über geografische und fachliche Gren-
der EU-Stadtpolitik kennzeichnet. Die Charta stellt    zen hinweg kann zur Entwicklung des notwendigen
zwei Schlüsselprinzipien für politische Entschei-      Know-Hows zur Umsetzung integrierter Stadtent-
dungsträger vor, um nachhaltige Stadtentwicklung       wicklungsstrategien auf allen Ebenen und beson-
zu fördern: 1) die vermehrte Anwendung von An-         ders auf lokaler Ebene beitragen (ebd.).
sätzen einer integrierten Stadtentwicklungspolitik
und 2) eine besondere Aufmerksamkeit für benach-       Die Leipzig-Charta betont ausdrücklich, dass ein
teiligte Stadtteile im gesamtstädtischen Kontext.      integrierter Ansatz in der Lage ist, die unterschied-
                                                       lichen Interessen der beteiligten Parteien auszu-
Eine ganzheitliche Stadtentwicklungspolitik meint,     gleichen. Die Schaffung eines Konsenses zwischen
dass die räumlichen, sektoralen und zeitlichen As-     Verwaltungsebenen, Bürgern und Unternehmen ist
pekte der Schlüsselbereiche der Stadtpolitik auf-      ein weiterer Schritt in Richtung einer erfolgreichen
einander abgestimmt werden. Die Leipzig-Charta         Politik. Diese Koordination sollte auch bezüglich
erkennt die besondere Verantwortung aller Regie-       der Finanzierungmöglichkeiten genutzt werden.
rungsebenen für die Zukunft unserer Städte und         In einer Zeit der Haushaltszwänge und Sparmaß-
Regionen an. Für den effektiven Umgang mit solch       nahmen in Europa wird die Möglichkeit öffentlich-
parallelen Verantwortlichkeiten sollte die Koordi-     privater Partnerschaften noch wichtiger, obschon
nation zwischen den verschiedenen Politikberei-        diese Partnerschaften mit besonderen Herausfor-
chen im Bewusstsein der zeitlichen und räumlichen      derungen einhergehen. Darüber hinaus ermögli-           * Die wichtigsten Finanzierungs­
                                                                                                               möglichkeiten im Rahmen der
Aspekte von Stadtentwicklungspolitik verbessert        chen innovative öffentliche Beteiligungsprozesse
                                                                                                               ESI-Fonds sind in dieser Hinsicht
werden. In Anerkennung der Tatsache, dass es kei-      es den Bürgern, an einzelnen Stadtentwicklungs-         der Europäische Fonds für regio-
ne isolierten Strategien zur Förderung nachhaltiger    prozessen teilzunehmen, diese zu beeinflussen und       nale Entwicklung (EFRE), dessen
europäischer Städte mit wettbewerbsfähigen Un-         eine aktive Rolle in der Gestaltung ihres unmittelba-   gültige Verordnung in Artikel 7 ei-
ternehmen und hoher Lebensqualität für die Men-        ren Lebensumfeldes zu übernehmen (ebd.).                nen Mindestanteil von fünf Pro-
                                                                                                               zent für Stadtentwicklung vor-
schen geben kann, erhält die Koordinierung der
                                                                                                               sieht, der Europäische Sozialfonds
einzelnen Politiken und Strategien auf verschie-       Die besondere Aufmerksamkeit für benachteiligte         (ESF) und der Kohäsionsfonds. In-
denen Regierungsebenen wesentliche Bedeutung           Stadtteile kann aus zwei unterschiedlichen Per­         strumente, die eigens Investitio-
(BBSR 2012; BMVBS/BBR 2007; Eltges 2009).              spektiven angegangen werden. Sowohl ethische            nen in städtische Gebiete ermög-
                                                       als auch praktische Gründe sprechen dafür, Be-          lichen, sind das EFRE-finanzierte
                                                                                                               Joint European Support for Sus-
Weiterhin stellt die Leipzig-Charta fest, dass Stad-   mühungen auf stark benachteiligte Gebiete zu kon-
                                                                                                               tainable Investment in City Areas
tentwicklungspolitik und die Suche nach innova-        zentrieren. Die Annahme der europäischen Stadt          (­JESSICA)-Instrument zum Aufbau
tiven Lösungen bessere Erfolgschancen haben,           als ein von Werten geleitetes Modell des Zusam-         revolvierender Fonds aus dem Pro-
wenn sie die Unterstützung der höchsten staat-         menlebens ist ein Ausgangspunkt des Wunsches,           grammierungszeitraum 2007-2013
lichen Institutionen genießen. Eine Beteiligung        euro­päische Städte in faire und gleichberechtigte      sowie die in der Programmperiode
                                                                                                               2014-2020 eingeführte so genann-
hoher Regierungsebenen an der Entwicklung der          Lebensräume zu verwandeln. Alle Bewohner müs-
                                                                                                               ten Integrierten Territorialen Inves-
Stadtpolitik kann Städte in der Umsetzung natio-       sen demnach Zugang zu den gleichen Dienstleis-          titionen (ITI). ITI ermöglichen eine
naler, regionaler und lokaler Zielsetzungen stär-      tungen und Möglichkeiten haben, z. B. eine sichere      Kombination von Strukturfonds­
ken. Um eine solide finanzielle Basis für die Auf-     und gesunde Umwelt oder gute Bildungsmöglich-           mitteln in definierten Gebieten.
Zehn Jahre Leipzig-Charta - Die Bedeutung integrierter Stadtentwicklung in Europa - Bund.de
10                                                                                  Zehn Jahre Leipzig-Charta

     keiten. Gleichzeitig wird die Fokussierung auf die-    entfalten kann. Des Weiteren erwähnt die Charta
     jenigen Stadtteile mit den größten Problemen als       Bildung als Schlüssel für Chancengleichheit, wo-
     der effektivste Weg gesehen, um die Lebensqua-         bei Bildungsangebote auf die Bedürfnisse von Kin-
     lität Aller in der Stadt zu verbessern. Gravieren-     dern und jungen Erwachsenen zugeschnitten sein
     de Unterschiede in Bezug auf wirtschaftliche und       sollten (ebd.).
     soziale Chancen, das Niveau der wirtschaftlichen
     Entwicklung und den sozialen Status der Bewoh-         Insgesamt fordert die Leipzig-Charta eine ganzheit-
     ner in den einzelnen Stadtgebieten kann das sozi-      liche und integrierte Politik zur Entwicklung und
     ale Gefüge der Stadt destabilisieren. Eine Politik     Förderung nachhaltiger Gemeinschaften, in denen
     der sozialen Integration, die zur Verringerung von     – laut Definition des Bristol Accord – „Menschen
     Ungleichheiten beiträgt und soziale Ausgrenzung        leben und arbeiten wollen, [die] sicher und inklusiv
     verhindert, kann dazu beitragen, die Sicherheit und    sind, gut geplant, gebaut und regiert werden und
     den Zusammenhalt in Städten zu erhalten. Die Leip-     Chancengleichheit und gute Dienstleistungen für
     zig-Charta betont, dass nur eine Stadt, die als Gan-   alle bieten“ (UK Presidency 2005: 6; Übers. d. A.).
     zes sozial stabil ist, ihr volles Wachstumspotenzial
Ein ganzheitlicher Ansatz für eine nachhaltige urbane Zukunft                                                  11

2 Ein ganzheitlicher Ansatz für eine nachhaltige urbane
Zukunft

Die Leipzig-Charta wurde von allen EU-Mitglied-        sich vor allem in Städten konzentriert, während es
staaten, europäischen Institutionen, Beitrittskandi-   in weniger entwickelten EU-Ländern zu mehr Be-
daten und weiteren wichtigen Partnern unterzeich-      nachteiligung kommt, die sich vor allem auf länd-
net. Die politische Einigung auf die Kerninhalte der   liche Gebiete, kleinere Städte und Vorstädte er-
Charta und deren umfassende Anerkennung for-           streckt (EUKN 2014; URBACT 2015). Somit kann
men eine wichtige Ausgangsbasis für weitere Akti-      eine detaillierte geografische Aufgliederung der
vitäten der nachhaltigen und integrierten Stadtent-    vorherrschenden Situation und ihrer wichtigsten
wicklung in Europa. Dabei geht die Leipzig-Charta      Faktoren zu Strategien gegen Benachteiligung bei-
über rein politische Verpflichtungen hinaus. Sie       tragen. Gebietsbezogene Maßnahmen konzentrie-
empfiehlt auch konkrete Schritte und Instrumen-        ren sich nicht auf Einzelpersonen, sondern auf eine
te für die Verwirklichung ihrer Ziele. Um nachhal-     bestimmte geografische Einheit. Üblicherweise
tige Gemeinschaften und ein nachhaltiges euro-         verbinden sie so genannte harte Maßnahmen wie
päisches Städtenetzwerk aufzubauen, schlägt die        Abriss und Erneuerung von Wohnraum mit weichen
Charta einen ganzheitlichen Ansatz für die Stadt-      Maßnahmen wie Aufbau von Sozialkapital und Ar-
und Regionalpolitik, basierend auf umsetzungsori-      beitsmarktintegration (ebd.). Ein gebietsbezogener
entierten Planungsinstrumenten, vor (Eltges 2009).     Ansatz ist besonders dazu geeignet, die Transfor-
Im folgenden Abschnitt werden drei Schlüsselin-        mation von Stadtteilen mit Regenerationspotential
strumente der Leipzig-Charta vorgestellt. Zur bes-     anzugehen, anstatt sich ausschließlich auf den Bau
seren Veranschaulichung der Herausforderungen          und die Entwicklung neuer Stadtteile festzulegen
wird zu jedem Schlüsselinstrument eine aktuelle        (Rio Fernandes 2011). Da städtische Armut in der
städtische Herausforderung skizziert.                  Regel auf bestimmte Stadtteile und Regionen kon-
                                                       zentriert ist, kann diese nur durch einen gebietsbe-
                                                       zogenen Ansatz effizient bekämpft werden.
Eine räumliche Perspektive und
gebietsbezogene Maßnahmen
                                                       Mehrebenen-Governance
Ein gebietsbezogener Ansatz oder eine räumliche
Perspektive wird dazu verwendet, städtische            Während Fragen zur nachhaltigen Entwicklung
Pro­bleme unter Erfassung all ihrer Eigenschaf-        mit globalen Interessen verknüpft sind, liegt die
ten räumlich darzustellen. Ausgehend von einer         Stadtplanung traditionsgemäß bei nachgeordne-
räumlichen Perspektive sollten wirtschaftliche,        ten staatlichen Ebenen. Daher sollte die Verfolgung
ökologische und soziale Aspekte als Ganzes und         umsetzbarer nachhaltiger Entwicklungsprogram-
nicht getrennt voneinander analysiert werden, da       me mittels Dialog, multidisziplinären Kooperatio-
die komplexen wechselseitigen Beziehungen zu           nen und Partnerschaften zwischen den zahlreichen
beachten sind. Um ­ein geografisches Gebiet nach-      Akteuren aus verschiedenen Bereichen und Re-
haltig zu verbessern, sollte also sein gesamtes        gelsetzungsebenen (EU, national, regional, lokal)
Ursache-Wirkungs-Netz berücksichtigt werden            erreicht werden. Das Ziel eines solchen ganzheit-
(EUROCITIES 2004: 8). Darüber hinaus kann eine         lichen Ansatzes ist es, den gemeinsamen Interes-
räumliche Perspektive bzw. ein gebietsbezogener        sen aller Beteiligten bestmöglich nachzukommen.
Ansatz die Überwindung sektoraler Politiken er-        Durch die Verlagerung der Befugnisse nach oben,
möglichen.                                             nach unten und zur Seite besteht die Möglichkeit,
                                                       Ressourcen optimal zu bündeln – sowohl finanzi-
Städtische Armut, soziale Ausgrenzung, hohe Ar-        ell als auch im Hinblick auf interdisziplinäre Exper-
beitslosigkeit, gesundheitliche Ungleichheiten,        tise (EUROCITIES 2004). Zum Beispiel können die
sich intensivierende Migrationsbewegungen und          lokalen Budgets mit nationalen oder EU-Förder-
die damit verbundenen Folgen sind einige der wich-     programmen kombiniert werden oder mit zusätzli-
tigsten Schwerpunkte der Stadtentwicklungspoli-        chen Mitteln von Nichtregierungsakteuren wie Stif-
tik. In Anbetracht ihrer räumlichen Konzentration      tungen oder privaten Unternehmen. Die Stärkung
spielt die räumliche bzw. gebietsbezogene Per­         der Zusammenarbeit und die Streuung von Befug-
spektive offenkundig eine entscheidende Rolle bei      nissen unter allen relevanten Partnern kann eine
der Bewältigung dieser Probleme. Mehrere Stu-          bedeutende Rolle für den Erfolg einer bestimmten
dien zeigen, dass Benachteiligung in besser ent-       Politik spielen. Üblicherweise sorgt Mehrebenen-
wickelten Mitgliedstaaten seltener vorkommt und        Governance für breitere Unterstützung und mehr
12                                                                                   Zehn Jahre Leipzig-Charta

     Legitimität. Darüber hinaus ist eine koordinierte        len Akteure vor Ort vorbeizuplanen (Dias/Curwell/
     Beteiligung verschiedener Regierungspartner an-          Bichard 2014). Ein gut konzipierter Bottom-up-An-
     gesichts der aktuellen Dezentralisierungsprozesse        satz unter der effektiven Beteiligung der betroffe-
     in vielen europäischen Ländern unentbehrlich ge-         nen Akteure und der lokalen Bevölkerung ermög-
     worden, während der Ruf nach einer städtischen           licht den Entscheidungsträgern ein umfassenderes
     Dimension in europäischen und nationalen Strate-         Verständnis eines bestimmten Gebiets. Die aktive
     gien lauter wird (EUKN 2011b).                           Beteiligung lokaler Gemeinschaften an der Planung
                                                              von Stadtvierteln kann Gebiete nicht nur physisch
     Die Bedrohung durch den Klimawandel ist eines            verbessern. Beteiligungsprozesse können zudem
     der größten Probleme unserer Zeit und hilft, die         als Ermächtigungsinstrument vor allem in benach-
     Notwendigkeit von Mehrebenen-Governance zu               teiligten Gebieten verwendet werden, in denen die
     veranschaulichen. Der Kampf dagegen schließt             am stärksten gefährdeten Gruppen der Stadtbe-
     eine enorme Bandbreite von Partnern auf mehre-           völkerung (wie Familien mit niedrigem Einkommen
     ren staatlichen Ebenen, von der lokalen bis zur glo-     und Einwohner mit Migrationshintergrund) leben.
     balen Ebene, ein. Wegen der globalen Natur des           Ein partizipativer Prozess ermöglicht es ihnen,
     Problems liegt die Aufmerksamkeit vor allem auf          Stadtentwicklungsprozesse mitzugestalten, da sie
     den internationalen Verhandlungen in Kopenhagen,         eine Chance zur Konzeption und Umsetzung von
     Cancún oder Paris. Die wesentlichen Entscheidun-         Politik erhalten (El-Asmar/Ebohon/Taki 2012). Die
     gen hinsichtlich der Emission von Kohlendioxid und       Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements er-
     der Förderung nachhaltiger Entwicklung werden je-        fordert die strukturelle Einbindung verschiedener
     doch täglich von lokalen, regionalen und na­tionalen     Partner auf politischer, administrativer und auch
     Behörden sowie von Industrie und weiteren insti-         auf kommunaler Ebene, eingeschlossen Verbände,
     tutionellen Akteuren getroffen (McEwen/Swenden/          Interessengruppen, lokale Initiativen und vor allem
     Bolleyer 2010). Es ist eindeutig, dass die nationa-      Selbsthilfeorganisationen von Armen und anderen
     len Regierungen nicht in der Lage sein werden, ih-       Minderheiten (EUKN 2014).
     ren internationalen Verpflichtungen zur Bewälti-
     gung des Klimawandels nachzukommen, solange              In letzter Zeit haben die Verteilung von Migran-
     eine ausdrücklichere Einbeziehung subnationaler          ten und Geflüchteten über die Länder Europas so-
     Partner fehlt. So liegen Flächennutzungsplanung          wie nationale Politikstrategien und nachgeordnete
     und Abfallwirtschaft in der Regel in den Händen          Programme zur Integrationsförderung besondere
     der lokalen Regierungen bzw. der Kommunalver-            Aufmerksamkeit erhalten. Ungeachtet dieser Fo-
     waltungen und spielen eine entscheidende Rolle in        kussierung auf (zwischen-)staatliche Maßnahmen
     Fragen zu Energieverbrauch und Transport (Betsill/       kann man das Argument anbringen, dass die aktu-
     Bulkeley 2006). Daher ist es entscheidend, alle Re-      ellen Migrationsbewegungen und ihre Effekte ein
     gierungsebenen einzubeziehen und ein Netzwerk            bedeutsames lokales Ausmaß erreicht haben, vor
     zwischen Verwaltung und Stadtvierteln aufzubau-          allem in Bezug auf den sozialen Zusammenhalt.
     en, um die Klimaprobleme effizient zu bewältigen         Der soziale Zusammenhalt umfasst verschiedene
     und dabei eng mit der EU und den Partnern auf in-        Dimensionen, darunter staatsbürgerliche Kultur,
     ternationaler Ebene in Fragen der technischen Un-        gemeinsame Werte, Solidarität, die Verringerung
     terstützung und Verwaltung zusammenzuarbeiten.           zwischen Reich und Arm, Sozialkapital und sozi-
                                                              ale Netzwerke (Kearns/Forrest 2000). Bottom-up-
                                                              Prozesse, die ein erhebliches Maß an Bürgerbe-
     Bottom-up-Ansatz und Ermächtigung                        teiligung und Dialog zwischen den verschiedenen
                                                              Interessenvertretern beinhalten, können den sozi-
     Viele städtische Planungsansätze sind in erster Li-      alen Zusammenhalt fördern. Diese Prozesse schaf-
     nie top-down angelegt, wobei Planer und Behörden         fen Vertrauen und Anerkennung unter den lokalen
     je nach Kontext und Aufgabenstellung die lokalen         Einwohnern, darunter Neuankömmlinge wie Mig-
     Gemeinschaften in der Umsetzungsphase einbezie-          ranten und Geflüchteten. Sie können auf diese Wei-
     hen. Allerdings stößt dieser Ansatz oftmals auf Kri-     se zur Verringerung städtischer Armut und sozialer
     tik, da er die Gefahr birgt, an den Belangen der loka-   Ungleichheiten beitragen.
Zehn Jahre nach der Leipzig-Charta – politische Entwicklungen auf europäischer Ebene                              13

3 Zehn Jahre nach der Leipzig-Charta – politische
Entwicklungen auf europäischer Ebene

Seit 2007 wurde die Leipzig-Charta durch Dokumen-          Im Oktober 2011 hat die Generaldirektion der Euro-
te von EU-Ratspräsidentschaften und verschiede-            päischen Kommission für Regionalpolitik und Stadt-
ne Umsetzungsinstrumente weiter entwickelt. Die            entwicklung (GD REGIO) den Bericht „Städte von
Studie „5 Jahre LEIPZIG-CHARTA – Integrierte               morgen“ veröffentlicht, einen Entwurf über eine ge-
Stadtentwicklung als Erfolgsbedingung einer nach-          meinsame Vision der europäischen Stadt von mor-
haltigen Stadt“ (BBSR 2012) bietet einen Überblick         gen (EC 2011). Der Bericht unterstreicht die Bedeu-
über diese Entwicklung bis zur Erklärung von To-           tung von ganzheitlichen Ansätzen für die Schaffung
ledo während der spanischen EU-Ratspräsident-              einer nachhaltigen Stadtentwicklung. Er betont fer-
schaft im ersten Halbjahr 2010. Die Erklärung von          ner die Notwendigkeit eines Governance-Systems,
Toledo betont erneut die Bedeutung ganzheitlicher          in dem Regierungsstrukturen angemessen ausge-
Konzepte für Stadtentwicklung sowie die wichtigs-          stattet sind, um den Herausforderungen in einem
ten Elemente der Leipzig-Charta: integrierte Ansät-        mehrstufigen Governance-System zu begegnen.
ze, horizontale Vernetzung innerhalb und vertika-          Der Bericht „Städte von morgen“ diente sowohl
le Vernetzung zwischen allen beteiligten Ebenen,           der Europäischen Kommission als auch den Mit-
strategische Planung auf gesamtstädtischer Ebene           gliedstaaten als Ausgangspunkt, um auf eine Städ-
mittels eines integrierten Stadtentwicklungskon-           teagenda für die EU hin zu arbeiten (EUKN 2015).
zepts, Verknüpfung des integrierten Ansatzes mit
einer gebietsbezogenen bzw. räumlichen Perspek-            Im Juli 2014 hat die Europäische Kommission in
tive und Verknüpfung des integrierten Ansatzes mit         Zusammenarbeit mit der bevorstehenden nieder-
dem Ziel der Inklusion (ebd.).                             ländischen Präsidentschaft ein öffentliches Kon-
                                                           sultationsverfahren über die Städteagenda für die
Unter Hinweis auf diese Elemente zeigt die Erklä-          EU ins Leben gerufen. Die Ergebnisse haben ge-
rung von Toledo (2010), wie gut sich die Leipzig-          zeigt, dass die EU ihre Städte bei der Bewältigung
Charta in die drei Prioritäten der Strategie Europa        städtischer Herausforderungen unterstützen sollte,
2020 einfügt. Diese wurde im Jahr 2010 ins Leben           während wiederum die Städte dazu beitragen kön-
gerufen und steht für intelligentes, nachhaltiges          nen, die Prioritäten der EU zu erfüllen. Auch wur-
und integratives Wachstum (ebd.). Um dieses drei-          de festgestellt, dass die Städteagenda für die EU
fache Ziel zu erreichen, hat sich die Strategie Euro-      kein Rechtsdokument sein soll, sondern eher „ein
pa 2020 fünf Kernziele in den Bereichen Beschäfti-         Rahmendokument für die Verbesserung und Koor-
gung, Innovation, Bildung, Armutsbekämpfung und            dinierung bestehender Initiativen, zur Zusammen-
Klima/Energie gesetzt (EK 2010).                           tragung und Überwachung von Daten bezüglich
                                                           der Auswirkungen und zur Bewältigung von Eng-
Die von 2010 bis zum ersten Halbjahr 2011 ­aktive          pässen“ (EUKN 2015: 12; Übers. d. A.).
­Präsidentschaftstroika Spanien, Belgien und Un-
 garn hat die Europa-2020-Strategie mit einer überar-      Am 10. Juni 2015 fand das Informelle Treffen der Mi-
 beiteten Version der ursprünglich unter deutscher         nister für territorialen Zusammenhalt und Stadtent-
 EU-Ratspräsidentschaft beschlossenen Territorialen        wicklung in Riga statt. In dieser unter dem Vorsitz
 Agenda (TA 2020) aufgegriffen. Am 19. Mai 2011 na-        der lettischen EU-Ratspräsidentschaft vorbereite-
 hmen die für Raumplanung und Raumentwicklung              ten Sitzung einigten sich alle Teilnehmer auf die
 ­zuständigen Minister die TA 2020 in Gödöllő, Ungarn,     „Erklärung von Riga – Auf dem Weg zu einer Städ-
  an. Ziel der Territorialen Agenda ist der Aufbau eines   teagenda für die EU“. Es war das erste Mal, dass
  integrativen, intelligenten und nachhaltigen Europas     die zuständigen Minister der EU-Mitgliedstaaten
  der vielfältigen Regionen. Sie fördert eine gebietsbe-   sich zur gemeinsam mit Städten, der Europäischen
  zogene Politik, die integriertes Arbeiten und den Dia-   Kommission und anderen Interessengruppen um-
  log auf allen Ebenen berücksichtigt anstelle von Ein-    zusetzenden Entwicklung einer Städteagenda für
  zelsektor- und Top-down-Ansätzen. Die TA 2020 führt      die EU verpflichteten (Latvian Presidency 2015).
  an, dass nur unter Anerkennung der territorialen
  Dimension die Europa-2020-Ziele erreicht werden          Im Oktober 2015 wurden unter dem Vorsitz von Lu-
  können. Sie betont, dass die in der Leipzig-Charta       xemburg zwölf Kernthemen der Städteagenda für
  und den Erklärungen von Marseille (2008) und Toledo      die EU offiziell vorgestellt. Diese Themen ergaben
  genannten Ziele und Bedenken hinsichtlich territo-       sich aus Umfragen und Workshops, die gemein-
  rialer Politikgestaltung auf allen Ebenen berücksich-    sam mit Städten, Nichtregierungsorganisationen,
  tigt werden sollten.                                     Mitgliedstaaten, insbesondere der bevorstehenden
14                                                                                Zehn Jahre Leipzig-Charta

     niederländischen Präsidentschaft und der Euro-       –– Stadterneuerung, einschließlich sozialer, wirt-
     päischen Kommission stattfanden. Die Schwer-            schaftlicher, ökologischer, räumlicher und kul-
     punktthemen sind: Arbeitsplätze und Qualifikatio­       tureller Aspekte, auch in Verbindung mit der
     nen in der lokalen Wirtschaft, Städtische Armut,        Neuerschließung brachliegender Flächen zur
     Wohnungswesen, Integration von Migranten und            Einschränkung des Flächenverbrauchs;
     Geflüchteten, Nachhaltige Flächennutzung und         –– Anpassung an den demografischen Wandel
     naturbasierte Lösungen, Kreislaufwirtschaft, An-        und Zu- und Abwanderung;
     passung an den Klimawandel, Energiewende,            –– Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen,
     Städtische Mobilität, Luftqualität, Digitaler Wan-      die dem allgemeinen Interesse entsprechen
     del sowie Innovatives und sozialverantwortliches        (im Sinne des Artikels 14 des Vertrages über die
     öffentliches Beschaffungswesen (eine ausführli-         Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)
     chere Beschreibung erfolgt im nächsten Kapitel).        in Verbindung mit Protokoll Nummer 26);
                                                          –– Ein abschließendes übergreifendes Thema legt
     Am 30. Mai 2016 wurde mit dem Pakt von Amster-          den Schwerpunkt auf die internationale Dimen-
     dam, der während des Informellen Treffens der           sion einer Städteagenda für die EU und die Be-
     Minister für Stadtentwicklung auf Einladung des         ziehung zur New Urban Agenda (Habitat III),
     niederländischen Vorsitzes vereinbart wurde, ein        den Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sus-
     wichtiger Meilenstein erreicht. Der Pakt von Ams-       tainable Development Goals/SDGs, Agenda
     terdam enthält den operativen Rahmen der Städ-          2030 für nachhaltige Entwicklung) der Verein-
     teagenda für die EU und arbeitet deren Ziele wei-       ten Nationen und dem Klimaschutz-Überein-
     ter aus. Die oben genannten Schwerpunktthemen           kommen von Paris vom Dezember 2015. In die-
     werden anhand der Felder bessere Rechtsetzung,          sem Zusammenhang kann die Städteagenda
     bessere Finanzierung und besserem Wissensaus-           für die EU als wichtiger Baustein der New Ur-
     tausch bearbeitet.                                      ban Agenda gesehen werden. Das entspricht
                                                             der Zielsetzung der EU, ein stärkerer globaler
     Neben den zwölf vorläufigen Schwerpunktthemen           Partner zu sein und der Notwendigkeit, die Ko-
     nennt der Pakt elf Querschnittsthemen. Diese sind:      härenz zwischen ihrer Innen- und Außenpoli-
     –– Effektives Stadtmanagement, einschließlich           tik zu erhöhen.
        Bürgerbeteiligung und neuer Stadtmanage-
        mentmodelle;                                      Der Pakt von Amsterdam bezieht sich ausdrücklich
     –– Stadtmanagement über administrative Grenzen       auf die Leipzig-Charta, indem er betont: „Ein ausge-
        hinweg und interkommunale Zusammenarbeit;         wogener, nachhaltiger und integrierter Ansatz für
     –– Solide und strategische Stadtplanung (Verbin-     städtische Herausforderungen sollte sich, im Ein-
        dung zur Regionalplanung, einschließlich For-     klang mit der Leipzig-Charta zur nachhaltigen eu-
        schungs- und Innovationsstrategien für intelli-   ropäischen Stadt, auf alle wichtigen Aspekte der
        gente Spezialisierung (RIS3) und ausgewogene      Stadtentwicklung […] konzentrieren, um eine soli-
        territoriale Entwicklung) mit einem ortsbezoge-   de Stadtverwaltung und -politik zu gewährleisten“
        nen und zielgruppenorientierten Ansatz;           (The Netherlands Presidency 2016: 4; Übers. d. A.).
     –– Integrativer und partizipativer Ansatz;           In ähnlicher Weise führte die Stellungnahme des
     –– Innovative Ansätze, einschließlich Smart Ci-      Europäischen Ausschusses der Regionen „Konkre-
        ties;                                             te Schritte zur Umsetzung der EU-Städteagenda“
     –– Auswirkungen auf gesellschaftliche Verände-       (2016) an, dass die Leipzig-Charta bereits 2007 die
        rungen, einschließlich Verhaltensänderungen,      Bedeutung von ganzheitlichen Ansätzen für Städ-
        Förderung unter anderem von gleichberech-         te betont und eine Mehrebenebenen-Governance
        tigtem Zugang zu Informationen und der Ge-        als Lösung für komplexe Probleme genannt hat.
        schlechtergleichstellung sowie Stärkung von       In dieser Hinsicht beweist die Leipzig-Charta ihre
        Frauen;                                           fortdauernde Relevanz, indem sie den Grundstein
     –– Herausforderungen und Chancen kleiner und         für die Entwicklung einer Städteagenda für die EU
        mittlerer Städte und polyzentrische Entwick-      gelegt und die Zusammenarbeit und den Austausch
        lung;                                             zwischen den städtischen Behörden auf lokaler, re-
                                                          gionaler, nationaler, supranationaler und sogar glo-
                                                          baler Ebene intensiviert und gefördert hat.
Aktuelle städtische Herausforderungen                                                                        15

4 Aktuelle städtische Herausforderungen

Politische Entscheidungsträger haben die Bedeu-        der Aufnahme von Geflüchteten und für die Bereit-
tung der Städte weltweit anerkannt – entsprechend      stellung von Dienstleistungen für Neuankömmlinge
dem Trend zur Urbanisierung. In der EU leben 72        sind. Die Auseinandersetzung mit dieser aktuellen
Prozent der Bevölkerung in städtischen Gebieten.       Situation – neue Geflüchtetengruppen, neue Ziel-
Die meisten Stadtbewohner leben in mittelgroßen        orte, höhere Zahlen – erfordert Koordination und
Städten (250.000 bis 500.000 Einwohner). Im Ver-       ein auf EU-Ebene abgestimmtes Vorgehen. Außer-
gleich zu anderen Kontinenten weist Europa ei-         dem besteht ein Bedarf an Wissensaustausch zwi-
nen geringen Anteil sowohl an Klein- als auch an       schen allen städtischen Akteuren in der EU in Be-
Großstädten auf. Derzeit wächst die Bevölkerung        zug auf Aufnahme, Unterbringung und Integration
in europäischen Städten noch, was in vielen an-        von Geflüchteten sowie auf die (flexible) Verwen-
deren Gebieten zu Bevölkerungsverlusten führt.         dung von EU-Mitteln. Ziel ist die gelingende Inte-
Hauptstädte verzeichnen auf Grund von Zuwan-           gration der einreisenden Migranten und Geflüch-
derung das schnellste Wachstum. In einigen Städ-       teten und die Schaffung von Rahmenbedingungen
ten wurde mehr als 20 Prozent der Bevölkerung          für ihre Inklusion.
im Ausland geboren. Darüber hinaus zeigen eine
alternde Bevölkerung und niedrige Geburtenzah-         2. Luftqualität
len Auswirkungen auf den gesamten europäischen         Luftverschmutzung ist seit den späten 1970-Jahren
Kontinent. In ganz Europa sind städtische Gebiete      in vielen Städten zu einem drängenden Problem
die wichtigsten Produzenten von Wissen und In-         geworden. Städte leiden unter den negativen Aus-
novation. Städte stellen unbestreitbar Motoren für     wirkungen der städtischen Mobilität und des Ver-
wirtschaftliches Wachstum dar, wobei der Dienst-       kehrs auf Umwelt und menschliche Gesundheit.
leistungssektor die wichtigste Quelle für Beschäf-     Eine stärkere Beteiligung lokaler Partner beim Auf-
tigung ist. Allerdings kennen die meisten Städte ein   spüren möglicher Engpässe in bestehendem (eu-
Beschäftigungsparadox, das darin besteht, dass         ropäischem) Recht ist daher vonnöten. Ziel ist es,
Städte einerseits eine hohe Konzentration von Ar-      Systeme und Strategien zu schaffen, die eine für
beitsplätzen aufweisen, während andererseits die       die menschliche Gesundheit vorteilhafte Luftqua-
Beschäftigungsquote der Stadtbevölkerung nied-         lität gewährleisten. Dies erfordert die Verknüpfung
riger ist als der Landesdurchschnitt (EC/UN-Ha-        von gesetzlichen und technischen Aspekten mit
bitat 2016).                                           einer Reihe an Emittenten wie dem motorisierten
                                                       Verkehr, Industrie und Landwirtschaft.
Offenkundig birgt die aktuelle Situation europäi-
scher Städte viele Herausforderungen. Momen-           3. Städtische Armut
tan werden diese durch die zwölf Schwerpunktthe-       Vielschichtigkeit und räumliche Konzentration ma-
men der Städteagenda für die EU erfasst, die der im    chen den Kampf gegen städtische Armut zu einer
Mai 2016 veröffentlichte Pakt von Amsterdam (The       komplexen Aufgabe, die einen sektorenübergrei-
Netherlands Presidency 2016) vorstellt und näher       fenden Ansatz, Koordination zwischen mehreren
beschreibt. Im Folgenden wird jedes Schwerpunkt-       Ebenen und eine gebietsbezogene Perspektive
thema einzeln vorgestellt und gezeigt, warum inte-     erfordert. Die Stärkung der Koordination auf EU-
grierte Maßnahmen auf EU-Ebene und die Meh-            Ebene in Bezug auf Instrumente der Europäischen
rebenenzusammenarbeit erforderlich sind, um die        Struktur- und Investitionsfonds, des gegenseiti-
zentralen Ziele zu erreichen. Während sich diese       gen Lernens und des Wissensaustausches kann
Themen besonders auf die großen europäischen           es städtischen Entscheidungsträgern ermöglichen,
städtischen Probleme beziehen, überschneiden sie       maßgeschneiderte Ansätze zu entwickeln und zu
sich wesentlich mit globalen urbanen Herausfor-        implementieren. Städtische Armut bezieht sich auf
derungen. Die Liste und die (willkürliche) Abfolge     Fragen im Zusammenhang mit einer strukturellen
der Schwerpunktthemen sind dem Pakt von Ams-           Konzentration von Armut in benachteiligten Stadt-
terdam entnommen.                                      teilen. Lösungen, die mittels eines ganzheitlichen
                                                       Ansatzes entwickelt und umgesetzt werden, sind
1. Integration von Migranten und Geflüchteten          gebietsbezogene Lösungen (Erneuerung benach-
Migration ist derzeit eine sehr große Herausfor-       teiligter Stadtteile) und zielgruppenbezogene Lö-
derung für die EU. Die wachsende Zahl von Mig-         sungen (sozioökonomische Integration von Men-
ranten und Geflüchteten haben die Notwendigkeit        schen in benachteiligten Stadtteilen).
einer gemeinsamen Strategie verschärft. Städte
sollten bei der Entwicklung von Strategien stärker
einbezogen werden, da sie wichtige Partner bei
16                                                                                  Zehn Jahre Leipzig-Charta

     4. Wohnungswesen                                       erreicht werden, wenn Städte und andere wich-
     Viele städtische Herausforderungen wie der Kampf       tige Interessenvertreter in vollem Umfang mit ein-
     gegen städtische Armut und die Förderung von           bezogen werden. EU-Verordnungen haben einen
     Energieeffizienz stehen im Zusammenhang mit            wichtigen Einfluss auf lokale Strategien und eine
     dem Wohnungswesen. Bezahlbarer Wohnraum                bessere Koordinierung ist für die Gewährleistung
     und bauliche Erneuerung in benachteiligten Ge-         maßgeschneiderter Lösungen notwendig. Klima-
     bieten sind von wesentlicher Bedeutung für die         anpassung erfordert wirksame Partnerschaften
     EU-Ziele bezüglich sozialer Inklusion. Das überge-     zur Verringerung von Vulnerabilitäten und zum
     ordnete Ziel ist die Schaffung von qualitativ gutem,   größtmöglichen Nutzen für städtische Gemein-
     bezahlbarem Wohnraum, insbesondere für die Be-         den. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit und
     dürftigsten.                                           der Austausch von Wissen und Erfahrungen sind
                                                            erforderlich, um innovative Ansätze zugunsten der
     5. Kreislaufwirtschaft                                 städtischen Klimaresilienz zu steigern. Ziel ist es,
     Der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft erfordert    die negativen Auswirkungen des Klimawandels vo-
     einen systemischen Ansatz auf mehreren Ebenen,         rauszusehen und entsprechende Maßnahmen zur
     der die Vielzahl von Verflechtungen innerhalb und      Vermeidung oder Verringerung von Schäden zu er-
     zwischen Sektoren, entlang von Wertschöpfungs-         greifen, die Städte bedrohen können.
     ketten und zwischen den Akteuren berücksichtigt.
     Lokale Initiativen können von einer angemesse-         8. Energiewende
     nen Unterstützung durch übergeordnete, sowohl          Eine rechtzeitige Umsetzung der Initiativen zur
     nationale als auch europäische, Regierungsebe-         Energiewende erfordert mehrere parallele Ansät-
     nen profitieren. Ein Rahmen für diese Unterstützung    ze und die Einbindung von verschiedenen Regie-
     wird durch das von der Europäischen Kommission         rungsebenen. Ein verbesserter und strukturierter
     vorgelegte Paket zur Kreislaufwirtschaft (2015) zur    Erfahrungsaustausch kann in diesen Bereichen
     Verfügung gestellt, das Legislativvorschläge und       zu neuen Ansätzen führen, zum Beispiel im Hin-
     einen neuen Aktionsplan umfasst. Der Erfolg die-       blick auf integrierte Strategien auf Stadtteilebene
     ses Aktionsplans wird von der Zusammenarbeit           für Energieeffizienz und Gebäudesanierung. Eine
     zwischen allen Regierungsebenen abhängig sein.         Darstellung möglicher Synergien und Wissensaus-
     Sein Ziel ist es, Mehrfachnutzung, Reparatur, Sa-      tausch zwischen bestehenden EU-Programmen
     nierung und Recycling von bestehenden Materi-          sind ebenso notwendig wie die Entwicklung von
     alien und Produkten zu erhöhen sowie nachhalti-        sektorenübergreifenden Finanzierungsinstrumen-
     ge Beschäftigungsmöglichkeiten zu fördern. Dabei       ten und konkreten Maßnahmen. Ziel ist es, durch
     liegt der Schwerpunkt auf Abfallwirtschaft, Sharing    die Umstellung auf erneuerbare Energien und mehr
     Economy und Rohstoffeffizienz.                         Energieeffizienz einen langfristigen Strukturwandel
                                                            der Energiesysteme zu erreichen.
     6. Arbeitsplätze und Qualifikationen in der
     lokalen Wirtschaft                                     9. Nachhaltige Landnutzung und naturbasierte
     Die Stärkung von Europas Wettbewerbsfähig-             Lösungen
     keit und die Förderung von Investitionen für die       Eine stärkere Integration von Projekten und Metho-
     Schaffung von Arbeitsplätzen ist eine der höchs-       den zur Förderung städtischer grüner Infrastruktur
     ten Prioritäten der Mitgliedstaaten und der Jun-       in ganz Europa kann dazu beitragen, europäische
     cker-Kommission. Zur Förderung des Beschäfti-          Städte nachhaltiger, lebenswerter, gesünder und
     gungswachstums in Städten und zur Erreichung           attraktiver zu gestalten. Die nachhaltige Landnut-
     der Europa-2020-Ziele in Bezug auf Beschäftigung       zung betrifft Themen wie Zersiedelung, Stadter-
     und Bildung besteht ein Bedarf an verbesserter         neuerung, Entwicklung von Brachflächen und die
     Mehr­ebenenzusammenarbeit. Ein vereinfachter           Anpassung an den demografischen Wandel. Es
     Zugang zu EU-Mitteln und der Austausch von Wis-        bestehen bereits einige EU-finanzierte Program-
     sen und Erfahrung können helfen, Diskrepanzen auf      me, doch die Politik kann noch effektiver agieren,
     dem Arbeitsmarkt zu verringern. Insbesondere liegt     wenn Synergien und potentielle Bereiche der Zu-
     der Schwerpunkt auf der Ansiedlung und dem Hal-        sammenarbeit gefunden und für konkrete Maßnah-
     ten von Unternehmen, der Gründung neuer Unter-         men genutzt werden. Es ist sicherzustellen, dass
     nehmen, lokaler Produktion und lokalem Konsum,         Wachstums- und Schrumpfungsprozesse in den
     der Unterstützung neuer Arbeitsmethoden und der        Städten die Belange der Umwelt berücksichtigen.
     ­Sicherstellung einer Abstimmung von Fähigkeiten
     auf Bedarfe.                                           10. Städtische Mobilität
                                                            Die Entwicklung und erfolgreiche Umsetzung von
     7. Anpassung an den Klimawandel                        Strategien zur Förderung von nachhaltigen (und
     Klimaanpassung ist eines der wichtigsten Ziele         sanften) Mobilitäts- und intelligenten Stadtlogis-
     der Europa-2020-Strategie. Dieses Ziel kann nur        tiksystemen ist derzeit eine wichtige Aufgabe für
Aktuelle städtische Herausforderungen                                                                           17

Städte und Stadtregionen. Die Verbesserung der          Dimension in der EU-Politik zu stärken, wobei die
Vernetzung innerhalb der Städte (z. B. zur Anbin-       Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßig-
dung benachteiligter Gebiete) und regional (Au-         keit berücksichtigt werden. Im Prinzip sind die Part-
ßenbezirke) ist wichtig für den Zugang zu Dienst-       nerschaften auf drei Jahre angelegt. Jedes Thema
leistungen und die Stimulierung wirtschaftlicher        soll durch einen Aktionsplan umgesetzt werden, mit
Entwicklung. Es gibt bereits viele EU-Initiativen und   konkreten Maßnahmen auf EU-, nationaler und lo-
Fördermöglichkeiten in diesem Bereich. Jedoch           kaler Ebene. Dieser Aktionsplan soll ein Dokument
könnte eine stärkere Koordinierung dazu beitragen,      sein, das jederzeit aktualisiert werden kann.
die Ergebnisse dieser Initiativen zu optimieren und
gegenseitiges Lernen zu verbessern. Das Ziel ist die    Hier muss der Hinweis angebracht werden, dass
Schaffung nachhaltiger und effizienter städtischer      die vorrangig thematische und sektorale Anlage
Mobilität, die sich auf den öffentlichen Verkehr, die   der Partnerschaften das Risiko einer unzureichen-
Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs        den Berücksichtigung von Wechselwirkungen zwi-
und die Förderung so genannter sanfter Mobilität        schen den einzelnen Themen und eines integrier-
(Gehen, Radfahren), auf Zugänglichkeit (Gestal-         ten Ansatzes im Sinne der Leipzig-Charta birgt. Die
tung des öffentlichen Raumes für Behinderte, äl-        oben beschriebenen komplexen aktuellen städti-
tere Menschen, Kleinkinder etc.) und auf einen ef-      schen Herausforderungen erfordern einen integ-
fizienten Verkehr mit guten internen (lokalen) und      rierten Ansatz, der auf Zielkonflikte zwischen ein-
externen (regionalen) Anbindungen konzentriert.         zelnen Herausforderungen reagiert und versucht,
                                                        diese miteinander in Einklang zu bringen. Derartige
11. Digitaler Wandel                                    Konflikte können bei mehreren Themen auftreten,
Die digitale Binnenmarktpriorität der Europäischen      wie im Spannungsfeld zwischen wirtschaftlichem
Kommission und die damit verbundene digitale            Wachstum und Ressourceneffizienz oder zwischen
Agenda überschreiten viele sektorale Strategien         Wohnraumbedarf und dem Kampf gegen Zersiede-
und wirken sich auf Stadtentwicklung aus. Es gibt       lung oder der Erhaltung von Grünflächen.
eine Reihe von verschiedenen Strängen an EU-Ak-
tivitäten, Finanzierungsmöglichkeiten und Richtli-
nien für so genannte Smart Cities. Diese könnten
besser miteinander koordiniert werden, um ihre
Effizienz zu steigern, Prozesse zu vereinfachen,
Dopplungen zu vermeiden, Lücken und Mängel
bestehender Initiativen aufzudecken, die gemein-
same Datennutzung zu fördern und die Einbindung
von Städten zu verstärken. Letztlich wird das die
Qualität der öffentlichen Dienstleistungen und pri-
vatwirtschaftlichen Aktivitäten erheblich verbes-
sern. Ferner besteht die Notwendigkeit, offen zu-
gängliche Innovationen und Daten zu unterstützen.

12. Innovatives und sozialverantwortliches
öffentliches Beschaffungswesen
Die strategische Nutzung der öffentlichen Auftrags-
vergabe kann Städten helfen, soziale und ökologi-
sche Ziele zu verfolgen. Deshalb benötigen Städ-
te Kenntnisse über innovative Ansätze, Richtlinien
und technische Unterstützung. Für kleine und mit-
telgroße Städte ist das zusätzlich problematisch,
denn für sie kann die öffentliche Auftragsvergabe
zu komplex sein, weswegen sie Unterstützung und
Hinweise zur Standardisierung benötigen.

Das Besondere an der Städteagenda für die EU
ist die Entwicklung einer Reihe europäischer Part-
nerschaften. Jede Partnerschaft konzentriert sich
auf eines der zwölf Kernthemen. Innerhalb dieser
Partnerschaften arbeiten Mitgliedstaaten, die Eu-
ropäische Kommission und andere europäische
Institutionen, Städte, Nichtregierungsorganisati-
onen und Verbände zusammen, um die städtische
18                                                                                  Zehn Jahre Leipzig-Charta

     5 Methodischer Ansatz

     Bevor die Länderanalysen vorgestellt werden,           einigen Fällen zusätzliche Informationen in Ergän-
     folgt ein kurzer Einblick in den methodischen An-      zung zu den Umfragedaten im Rahmen von Sekun-
     satz der Studie. Als zentrale Forschungsfrage steht    därforschungen eingeholt. In diesem Zusammen-
     im Mittelpunkt dieser Studie: Inwieweit wurden die     hang ist darauf hinzuweisen, dass alle Analysen,
     Grundsätze der Leipzig-Charta in allen EU-Mitglied-    die zusätzliche Referenzen enthalten, nicht aus-
     staaten, den EU-Beitrittskandidaten und Norwe-         schließlich die Umfrageantworten der nationalen
     gen und der Schweiz in den vergangenen fünf Jah-       Experten wiedergeben, sondern sich zusätzlich aus
     ren (2012–2016) angewandt? Um Datenmaterial zu         anderen Quellen speisen. Darüber hinaus haben
     generieren, wurde ein Expertenfragebogen ent-          die Experten, wenn möglich, einen Vorentwurf der
     worfen, wobei die Leipzig-Charta selbst sowie die      jeweiligen Länderanalyse zur sachlichen Prüfung
     Fünf-Jahres-Evaluierungsstudie der Leipzig-Charta      erhalten. Auch die auf Sekundärforschung basie-
     (BBSR 2012) als Inspiration für die Fragen dienten.    renden Analysen wurden zur Überprüfung an Spe-
     Die Umfrage enthielt mehrere zumeist offene Fra-       zialisten gesendet. Generell ist der Hinweis wichtig,
     gen, die sich in vier theoretische Hauptabschnitte     dass die Länderanalysen aufgrund der institutio-
     untergliederten.                                       nellen Zugehörigkeit der befragten Experten eine
                                                            behördliche, staatliche Sichtweise repräsentieren.
     Im ersten Abschnitt wurde ermittelt, inwieweit die
     Stadtpolitik eines Landes in den vergangenen fünf      Die Fragebogenerstellung und jegliche mit der Um-
     Jahren auf integrierte Weise geplant und durchge-      frage in Verbindung stehende Kommunikation wur-
     führt wurde. Diese Frage konzentrierte sich speziell   den in englischer Sprache durchgeführt; ebenso
     auf die aktuelle Governance-Struktur, die zuständi-    wurden alle Fragebogenantworten in englischer
     gen Behörden, die hierarchische Struktur und die       Sprache gegeben. Auch die Länderanalysen wur-
     Beteiligung anderer wichtiger städtischer Akteu-       den auf Englisch geschrieben und für die Endver-
     re. Im zweiten Teil wurde gefragt, wie integrierte     sion des Berichts auf Deutsch und Französisch
     Stadtentwicklung in den vergangenen fünf Jahren        übersetzt.
     koordiniert wurde. Der Fokus lag hier auf der Ent-
     wicklung und Umsetzung städtischer und territo-        Basierend auf der Struktur des Fragebogens deckt
     rialer Strategien und auf der entsprechenden Ko-       jede Länderanalyse die wichtigsten Erkenntnisse
     operation der verschiedenen Regierungsebenen.          aus jedem Abschnitt ab. Im Allgemeinen werden
     In dieser Hinsicht wurden auch die Rollen geson-       die thematischen Abschnitte in einer einheitlichen
     derter koordinierender Gremien oder Institutionen      Reihenfolge behandelt: Die Analysen enthalten
     sowie die Koordination mit EU-Programmen oder          eine Beschreibung der Stadtpolitik des Landes, der
     EU-Netzwerken und anderen wichtigen Akteuren           politischen Koordination, der Finanzierung/Förde-
     auf lokaler Ebene, der Zivilgesellschaft und Nicht-    rung und der Politiken für benachteiligte Stadtteile.
     regierungsorganisationen berücksichtigt. Der drit-     Themen wurden kombiniert, wenn dies zur Klarheit
     te Abschnitt untersuchte den finanziellen Aspekt       beitrug. Auch zusätzliche Informationen wie der
     von Stadtentwicklungspolitik und stellte die Fra-      geografische Kontext wurde den Analysen hinzu-
     ge, wie die Kompetenz über EU-Mittelzuweisun-          gefügt, wenn diese als relevant eingeschätzt und
     gen und -ausgaben zwischen den Verwaltungs-            explizit in der Umfrageantwort thematisiert wurden.
     ebenen aufgeteilt bzw. delegiert wurde. Im letzten
     Abschnitt wurde eruiert, inwieweit ein integrierter    Um Ergebnisse für die Fallstudienauswahl zusam-
     Ansatz für benachteiligte Stadtteile besteht und       menzutragen, konnten die Befragten bis zu drei
     wie dieser umgesetzt wird.                             praktische Beispiele eines integrierten Stadtent-
                                                            wicklungsprojekts in der Umfrage auflisten. We-
     Anfang 2016 wurde in einer Testphase die Umfra-        niger als die Hälfte der Länder reagierten auf die-
     ge auf Klarheit und Qualität geprüft. Ab Mai 2016      se Anfrage. Ausgehend von diesen Informationen
     wurde die endgültige Umfrage unter öffentlichen        wurden die Fallstudien anhand mehrerer Kriterien
     Bediensteten der nationalen Ministerien und Abtei-     ausgewählt. In erster Linie hatten die Fallstudien
     lungen der Stadtentwicklungspolitik in den jewei-      aktuell zu sein, bestenfalls sollten sie im Untersu-
     ligen Ländern verteilt. Die meisten Befragten füll-    chungszeitraum für diesen Bericht liegen. Durch
     ten die Umfrage aus und lieferten somit wertvolle      dieses Ausschlusskriterium wurden die Beispie-
     Beiträge für die Länderanalysen. In den seltenen       le drastisch reduziert. Zweitens wurde auf Basis
     Fällen von nicht beantworteten Umfragen mussten        der begrenzten Anzahl an Beispielen die geogra-
     die Analysen auf Sekundärrecherche statt auf Ex-       fische Verbreitung der Fallstudien innerhalb Euro-
     pertenwissen basieren. Darüber hinaus wurden in        pas ebenso berücksichtigt wie Veränderungen in
Sie können auch lesen