Stadt Arnsberg Demografiebericht 2019 - Stadt ...

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Stadt Arnsberg Demografiebericht 2019 - Stadt ...
Stadt Arnsberg
Demografiebericht 2019

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Stadt Arnsberg Demografiebericht 2019 - Stadt ...
Lena Dettmer

Michael John

FB 3

Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung

Stadt Arnsberg

Rathausplatz 1, 59759 Arnsberg

Tel.: 02932 201-1538

Fax: 02932 201-771538

E-Mail: l.dettmer@arnsberg.de

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Stadt Arnsberg Demografiebericht 2019 - Stadt ...
Inhalt
1      Einleitung ...................................................................................................................4
2      Demografische Entwicklung in Deutschland .........................................................5
    2.1        aktuelle Demografiefragen .................................................................................................5
    2.2        Determinanten demografischer Entwicklung und demografischer Prognosen .......5
       2.2.1           Parameter für die demografische Analyse und Prognose....................................5
       2.2.2           Prognosen und Bevölkerungsvorausberechnungen ............................................10
    2.3        Veränderte Bedingungen des Aufwachsens .................................................................11
       2.3.1           Zusammensetzung von Familien und Haushalten.................................................11
       2.3.2           Aufwachsen in neuer Verantwortung .....................................................................12
    2.4        Die demografische Entwicklung ländlicher Räume .....................................................12
       2.4.1           was sind ländliche Regionen ....................................................................................12
       2.4.2           Entwicklungsunterschiede von Gebietstypen .......................................................13
    2.5        Bildungsbedingte Binnenmigration ..................................................................................17
    2.6        Schwarmstädte als Ziel der jungen Generation ............................................................19
    2.7   Auswirkungen der demografischen Entwicklung auf die Jugend in ländlichen
    Regionen ............................................................................................................................................20
    2.8        Resümee ................................................................................................................................22
3      Demografische Analyse für die Stadt Arnsberg...................................................23
    3.1        Untersuchungsgebiet ..........................................................................................................23
    3.2        Bevölkerungsbestand .........................................................................................................24
    3.3        Ausländer- und Migrationsanteil .......................................................................................26
    3.4        Altersstruktur ..........................................................................................................................28
    3.5        Indikatoren ............................................................................................................................29
       3.5.1           Jugendquotient ...........................................................................................................29
       3.5.2           Altenquotient ...............................................................................................................31
    3.6        Geburten ...............................................................................................................................31
    3.7        Bevölkerungsentwicklung...................................................................................................33
    3.8        Langfristige Bevölkerungsentwicklung .............................................................................34
    3.9        Natürliche Bevölkerungsentwicklung...............................................................................34
    3.10       Wanderungsbewegungen ................................................................................................35
    3.11       Natürliche Bevölkerungsentwicklung und Wanderungsbewegungen .....................36
    3.12 Natürliche Bevölkerungsentwicklung und Wanderungsbewegungen nach
    Ortsteilen ............................................................................................................................................37
    3.13       Bevölkerungsprognose .......................................................................................................37
4      Zusammenfassung und Ausblick ..........................................................................56
5      Abbildungsverzeichnis ...........................................................................................58
6      Tabellenverzeichnis................................................................................................59
Literaturverzeichnis ........................................................................................................60

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Stadt Arnsberg Demografiebericht 2019 - Stadt ...
1 Einleitung
Die demografische Entwicklung wird nun seit fast zwanzig Jahren bei vielen
gesellschaftlichen Entwicklungen als treibende Kraft und Herausforderung
beschrieben. Dabei belässt man es häufig bei der Zusammenfassung „älter,
bunter, weniger“. Auch wenn dies sicherlich die Trends prägnant zusammenfasst,
stellt sich doch die Frage, wie sich die demografische Entwicklung auf die zu
planende Infrastrukturanforderungen auswirkt. Wie viele Kindergartenplätze
werden wir in Arnsberg künftig wann benötigen. Wird die Anzahl der SchülerInnen
in den Grundschulen kontinuierlich abnehmen oder zeitweise sogar zunehmen?
Die Beantwortung dieser Fragen ist für viele städtische Planungen von großer
Bedeutung. Bisher waren Prognosen vielfach nur auf die Gesamtstadt bezogen.
Damit konnte nicht berücksichtigt werden, dass die Entwicklung in den einzelnen
Stadtteilen sehr unterschiedlich ausfällt. Mit diesem Bericht und den zugrunde
liegenden Analysen wurde der Auftakt zu einer kontinuierlichen demografischen
Betrachtung und kleinräumigen Prognose gelegt. Mit dem Demografieprogramm
demosim können kleinräumige Prognosen kontinuierlich abgerufen und verfeinert
werden. Die Planungssicherheit kann damit deutlich gesteigert werden.

Manche Veränderungen der Demografie erschließen sich nicht unmittelbar. Es
gibt auch gegenläufige Trends wenn man die Bevölkerungsentwicklung in
verschiedenen Raumtypen in Deutschland betrachtet. Daher macht es Sinn den
Blick zunächst auf grundlegende Parameter der Bevölkerungsentwicklung in
Deutschland zu richten, um erst dann die Entwicklungen in Arnsberg zu
beschreiben und zu prognostizieren.

Somit wird in diesem Bericht zunächst in einem grundlegenden Kapitel die
demografische Entwicklung in Deutschland beschrieben. Dabei wird auch
besonders auf die Entwicklung ländlich geprägter Gebiete eingegangen, da die
Stadt Arnsberg nicht großstädtisch geprägt ist und vor allen in den Außenorten
eine deutliche ländliche Prägung aufweist.

Es schließt sich dann eine Darstellung der Bevölkerungsentwicklung sowie eine
Prognose für die Stadt Arnsberg an, die erwarteten Entwicklungen auch für
Ortsteile und einzelne Altersgruppen darstellt.

Zunächst wurden demografische Daten zur gesamten Stadt Arnsberg sowie zu
deren Ortsteilen untersucht. Inhaltlich geht es um das gewählte
Untersuchungsgebiet, den Bevölkerungsbestand, den Ausländeranteil, die
Altersstruktur (damit verknüpft unterschiedliche Indikatoren u.a. der Jugend- und
Altenquotient), die Bevölkerungsentwicklung und Bevölkerungsprognosen.

Hierfür wurde auf verschiedene Datenquellen zurückgegriffen. Dazu zählen die
Einwohnermeldedaten der Stadt Arnsberg, die Immobilienbewertung und der
Geodatenservice der Stadt Arnsberg und die verwendeten Daten des
demografischen Analyseprogramms demosim.

Durch diese Analyse konnten der Bestand, die Entwicklung der Bevölkerung
inklusive Bevölkerungsprognosen aufgezeigt werden. Die Datenquellen basieren
hierfür auf den Einwohnermeldedaten der Stadt Arnsberg mit dem Stichtag

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31.12.2017, den Statistischen Ämtern des Bundes und der Länder und dem
Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung.

Für den vorliegenden Bericht wurde Bezug auf die vorhandenen Ortsteile der
Stadt Arnsberg genommen.

2 Demografische Entwicklung in Deutschland
2.1 aktuelle Demografiefragen
Warum Frauen in Deutschland wieder mehr Kinder bekommen. (Michler 2016, S. 1)
ist ein Artikel der Welt im Jahr 2016 überschrieben. Im Artikel wird ausgeführt: „Der
Rückgang der Geburtenrate ist gestoppt“, „Man kann sogar von einer
Trendwende sprechen.“ (Michler 2016, S. 1) Lösen sich die in letzten Jahrzehnten
beschriebenen düsteren Demografieszenarien plötzlich in Wohlgefallen auf? Ist es
nicht so, dass es in fast allen Städten und Landkreisen nötig geworden ist, mehr
Kindertagesstätten zu bauen, weil die Altersjahrgänger stärker als die
vorhergehenden waren?

Und welche Auswirkungen hat die demografische Entwicklung auf ländliche
Regionen? Diese Fragen sollen im Folgenden auf der Grundlage einer
Beschreibung und Analyse der demografischen Entwicklung nachgegangen
werden.

Dazu wird zunächst die allgemeine demografische Entwicklung in Deutschland
beschrieben. Dann wird auf verschiedene demografische Parameter und deren
Entwicklung eingegangen. Anschließend wird erläutert welche Auswirkungen die
demografische Entwicklung allgemein hat und wie sich diese in ländlichen
Regionen insbesondere auf junge Menschen auswirkt.

2.2 Determinanten demografischer Entwicklung und demografischer
    Prognosen
Dass sich die demografische Zusammensetzung unserer Gesellschaft massiv
geändert hat und sich immer noch ändert, wird jedem klar, der die
Familienverhältnisse der aktuellen Kinder- und Jugendgeneration, mit der Zeit 30
bis 40 Jahre vorher vergleicht. Verwandtschaften sind kleiner geworden und
Kinder und Jugendliche wachsen mit immer weniger Kindern und Jugendlichen in
ihrer Umgebung auf.

2.2.1 Parameter für die demografische Analyse und Prognose
Ausgangspunkt für demografische Betrachtungen und Bevölkerungsprognosen ist
der Bevölkerungsbestand zum Ausgangszeitpunkt. Außerdem sind die Fertilität, die
Sterblichkeit und die Wanderungen zentrale Parameter der Beschreibung und
Prognose demografischer Entwicklung.

Bevölkerungsbestand:

Während der Bevölkerungsbaum Anfang des letzten Jahrhunderts noch einem
"Weihnachtsbaum" ähnelte, der an der Basis die größte Breite hat und sich nach

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oben kontinuierlich verschlankt, ist der aktuelle Bevölkerungsbaum von anderer
Statur: Die untersten vierzig Jahrgänge sind von einem Höchstwert von 1,36
Millionen auf ein Niveau von ca. 700 Tausend bis 900 Tausend je Altersjahrgang
geschrumpft.

Betrachtet man einen aktuellen Bevölkerungsbaum, fällt auf, dass sowohl der
zweite aber auch der erste Weltkrieg und die Weltwirtschaftskrise um 1932
"Einschnürungen" hinterlassen haben. Signifikant ist neben der inzwischen
schwachen Basis des Bevölkerungsbaumes, dass dieser durch die bessere
Gesundheitsversorgung und günstigere Lebensumstände wesentlich steiler als vor
hundert Jahren ansteigt und auch die hohen Altersjahrgänge umfangreicher
bestückt sind.

Geburten:

Von zentraler Bedeutung für die demografische Entwicklung ist, dass seit über 45
Jahren wesentlich weniger Kinder geboren, als für die Erhaltung der
Bevölkerungszahl nötig wären.

Um Geburtenzahlen besser vergleichen zu können, wird meist die
zusammengefasste Geburtenkennziffer (total fertility rate, TFR) verwandt.
Vereinfacht gesagt, gibt diese Zahl die durchschnittliche Anzahl der Kinder je Frau
an.

         zusammengefasste Geburtenkennziffer
   2
 1,8
 1,6
 1,4
 1,2
   1
 0,8
 0,6
 0,4
 0,2
   0
       1972
       1974
       1976
       1978
       1980
       1982
       1984
       1986
       1988
       1990
       1992
       1994
       1996
       1998
       2000
       2002
       2004
       2006
       2008
       2010
       2012
       2014
       2016

Für Deutschland liegt diese Kennziffer seit 40 Jahren zwischen 1,2 und 1,6. (1,59 im
Jahr 2016) Um ohne Berücksichtigung von Zuwanderungseffekten die
Bevölkerungszahl erhalten zu können, würden durchschnittlich jedoch ca. 2,07
Kinder je Frau benötigt. Das heißt, dass jede Elterngeneration seit Jahrzehnten nur
zu ca. zwei Drittel bis drei Viertel durch die Kindergeneration ersetzt wird.
Maßgeblich trägt zur niedrigen Geburtenkennziffer der drastisch gewachsene
Anteil von Frauen ohne Kinder und der über die Jahrzehnte gesunkene Anteil von
Frauen mit drei und mehr Kindern bei. Die Kinderlosenquote nahm zwischen den
Jahrgängen [der Mütter der Jahre] 1937 und 1967 kontinuierlich zu und hat sich
von 11 Prozent auf 21 Prozent fast verdoppelt. Dieser Anstieg setzte sich allerdings
bei den zwischen 1967 und 1974 geborenen Frauenjahrgängen nicht weiter fort.

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Bei den Kohorten 1968 bis 1974 scheint sich die Kinderlosenquote zwischen 20 und
21 Prozent stabilisiert zu haben. (Pötzsch 2018, S. 83)

Damit gibt es inzwischen eine Besetzung der Altersjahrgänge, die im Jahr 2017 nur
noch 57 Prozent des Altersjahrgangs des Jahres 1964 ausmacht. Und diese
Altersjahrgänge werden wohl im Schnitt ebenfalls wiederum nur ca. zwei Drittel
der Kinder in die Welt setzen, die nötig wären, um die Bevölkerungszahl durch die
Reproduktionsleistung der Generation zu erhalten.

Gebildet wird die sogenannte zusammengesetzte Geburtenkennziffer durch die
Berechnung des Anteils der Frauen eines jeden Altersjahrgangs, die Kinder
bekommen haben. Dieser Anteil wird mit der gesamten Altersbesetzung dieses
Jahrgangs in Bezug gesetzt. Anschließend werden alle einzelnen Werte, die für die
Altersjahrgänge 15 bis 50 Jahre gewonnen wurden, addiert. Inhaltlich ist dieser
Wert dann als Anzahl der Kinder je Frau interpretierbar. Wie viele Kinder eine Frau
bekommt, ließe sich natürlich abschließend feststellen, wenn der Zeitraum
abgelaufen ist, in denen die Frauen Kinder bekommen können. So lange will man
aber nicht warten, um Aussagen über die Geburtensituation zu treffen, weshalb
sich die zusammengesetzte Geburtenkennziffer als gängige Maßzahl etabliert hat.

Da in den letzten Jahrzehnten das Alter der Frauen bei der ersten Geburt eines
Kindes und auch bei weiteren Geburten kontinuierlich gestiegen ist, maß die
zusammengesetzte Geburtenkennziffer längere Zeit etwas weniger als der
Jahrgang der Frauen tatsächlich langfristig an Geburten beitrug. Die Geburten
sind zum Zeitpunkt der Messung durch die Geburtenkennziffer nicht erfolgt,
werden      aber     später    nachgeholt.     Dieser    Effekt   wird  in   den
Demografiewissenschaften als Tempoeffekt bezeichnet. (Bongaarts und Feeney
Griffith 2006) Inzwischen steigt das Alter der Mütter bei den Geburten aber nur
noch geringfügig an, so dass dieser Effekt durch eine Verschiebung der Geburten
in ein höheres Alter in Bezug auf die Unterschätzung der Geburten durch die
Geburtenkennziffer inzwischen kaum mehr neue Wirkung entfaltet. Unterm Strich
ist somit der Anstieg der Geburtenkennziffer um ca. 0,3 in den letzten 20 Jahren
mindestens zur Hälfte - wenn nicht sogar zu zwei Drittel - durch den Tempoeffekt -
also sozusagen durch einen „Messfehler“ - zu erklären.

Ein Anstieg um 0,15 ist zwar dennoch erfreulich, aber eben eher gering.
Tatsächlich hat sich in den letzten Jahren die Anzahl der Geburten in Deutschland
erhöht, wie auch der Anstieg der Geburtenkennziffer vermuten lässt.

Die Anzahl der Geburten nahm in Deutschland seit 2012 jedes Jahr zu. Mit rund
792 000 Neugeborenen kamen im Jahr 2016 zwar immer noch etwa 100 000 Babys
weniger zur Welt als 1990, jedoch ist die Wende zu mehr Geburten bemerkenswert
und Anlass, ihre Faktoren und ihr Zukunftspotenzial zu untersuchen. (Pötzsch 2018,
S. 72) Als Gründe für den Geburtenanstieg können zum einen die Geburten
ausländischer Frauen angeführt werden. Diese sind auch auf den veränderten
Charakter der Zuwanderung zurückzuführen. Frauen holen Geburtenwünsche
nach, wenn sie sich in Sicherheit befinden. Dadurch dass die Zuwanderung von
Flüchtlingen inzwischen wieder stark zurückgegangen ist, ist dieser Faktor aber
temporär. Bei den deutschen Frauen hat die gestiegene Geburtenhäufigkeit
mehrere Ursachen. Zum einen ist das veränderte Geburtentiming der jetzigen
Frauengeneration ein Grund für diesen Anstieg. Innerhalb einer engen
Altersspanne zwischen 30 und 40 Jahren werden hauptsächlich deren Kinder

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geboren. Zudem ist die Kinderlosenquote nicht weiter angestiegen und die Anzahl
der Kinder je Mutter hat sich bei 2,0 Kindern verfestigt. Dass viele Frauen erst
jenseits von 30 Jahren Kinder bekommen, vollzog sich in einer guten
wirtschaftlichen Lage mit niedriger Arbeitslosigkeit. Auch die Wirkung
familienpolitischer Maßnahmen, wie der Ausbau der Kinderbetreuung und des
Elterngeldes können hier als begünstigende Faktoren angeführt werden. (Pötzsch
2018, S. 87) Diese Stabilisierungstendenzen reichen jedoch noch nicht aus für einen
weiteren kontinuierlichen Anstieg der Kohortenfertilität (endgültige Kinderzahl je
Frau) über 1,6 Kinder je Frau hinaus. Dafür wäre es erforderlich, dass die
Kinderlosenquote deutlich unter 20 Prozent sinkt, beziehungsweise die
durchschnittliche Kinderzahl je Mutter deutlich über 2,0 steigen würde. Aus den
bisher relativ kontinuierlichen Verläufen in der Fertilität der deutschen Frauen
lassen sich keine Hinweise auf derartige Veränderungen ableiten. (Pötzsch 2018, S.
87)

Sterblichkeit:
Zur Beschreibung der Sterblichkeit (Mortalität) wird vielfach auf die
durchschnittliche Lebenserwartung zurückgegriffen. Die Lebenserwartung ist
insbesondere seit Mitte des letzten Jahrhunderts deutlich gestiegen. Die
gestiegene Lebenserwartung gibt der Gesellschaft und jedem Einzelnen völlig
neue Perspektiven. Das Erreichen eines Alters jenseits der 70 ist innerhalb eines
Jahrhunderts vom Ausnahmephänomen zur Regel geworden. Dass der Anstieg
der Lebenserwartung auch in den nächsten Jahrzehnten im gleichen Tempo
voranschreitet, wie in den vergangenen Jahrzehnten ist kaum wahrscheinlich, da
sich die Säuglings- und Kindersterblichkeit inzwischen auf sehr niedrigem Niveau
befindet und eine weitere Erhöhung nahezu allein von einer längeren
Lebenserwartung der über 65-Jährigen abhängt. Von einer weiteren Steigerung
um einige wenige Jahre ist allerdings auszugehen, wobei sich der Unterschied der
Lebenserwartung zwischen Frauen und Männern weiter angleichen wird. (Slupina
2018, 22-13)

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Migration:
Eine sehr sprunghafte Entwicklung ist bei der Zuwanderung nach Deutschland in
den letzten 50 Jahren festzuhalten.

Abbildung 1: Bilanz der Zu- und Fortzüge (Grünheid und Sulak 2016, S. 7)

Während in den 1990er-Jahren im Saldo durchschnittlich fast 400.000 Personen pro
Jahr nach Deutschland zuwanderten, waren es ein Jahrzehnt später nicht einmal
mehr 100.000 pro Jahr. In den Jahren 2008 und 2009 verzeichnete Deutschland in
der Folge der Finanzkrise unterm Strich sogar eine leichte Abwanderung (Vgl. Abb.
11). Seitdem sind die Zuwanderungszahlen jedoch schnell gestiegen. (Destatis
2017, S. 1) Im Unterschied zu den beiden anderen Einflussfaktoren lässt sich vom
aktuellen Wanderungsgeschehen kaum auf die künftige Entwicklung schließen.
Denn Ausschläge nach unten wie nach oben waren in der Vergangenheit stets
von kurzer Dauer. Aktuelle Entwicklungen sind damit als Blaupause für die Zukunft
ungeeignet. (Destatis, S. 24) Beim Blick auf den Nettozuwanderungssaldo darf
nicht vergessen werden, dass letztlich je Jahr zumeist wesentlich mehr Personen
zuwandern, als der Nettozuwanderungssaldo suggeriert. Im Schnitt waren dies in
den letzten Jahrzehnten ca. 600 Tausend pro Jahr. 400 Tausend wanderten im
Schnitt pro Jahr ab. Der Integrationsbedarf bezieht sich folglich auf die 600
Tausend Zugewanderten.1 Die Aufgabe Integration wurde lange nur sehr
unzureichend gelöst. Erst in den vergangenen zwei Jahrzehnten hat auch im
Rahmen der Entstehung des neuen Zuwanderungsgesetzes eine intensive
Diskussion bzgl. einer optimierten Integrationsleistung unserer Gesellschaft Fahrt

1   Natürlich sind unter den im Schnitt 600 Tausend Zugewanderten auch deutschstämmige oder
    Ausländer mit geringerem Integrationsbedarf.

                                                                           9
aufgenommen. Überlagert wurde die Integrationsdebatte durch eine
Abweisungsdiskussion, die durch den starken Flüchtlingszustrom der Jahre 2015 bis
2017 ausgelöst wurde. Seit 2014 ziehen im Saldo mehr Menschen von außerhalb
der EU nach Deutschland als aus anderen EU-Mitgliedsstaaten. Besonders deutlich
ist die Zahl der syrischen Zuwanderer gestiegen. Waren im Jahr 2012 im Saldo
gerade einmal rund 8.000 Personen aus dem Bürgerkriegsland nach Deutschland
gekommen, stieg dieser Wert bis 2015 auf über 325.000 Zuzügler. Ebenfalls stark ist
zuletzt auch die Zahl der Zuzügler aus Afghanistan und dem Irak angewachsen –
von rund 18.000 Personen im Jahr 2014 auf über 170.000 Personen im Jahr 2015.39
Insgesamt kletterte der Wanderungssaldo mit sogenannten Drittstaaten im Jahr
2015 auf über 800.000 Personen und machte damit über 70 Prozent des deutschen
Gesamtwanderungssaldos aus. (Destatis 2017, S. 25) Seit 2014 ziehen im Saldo
mehr Menschen von außerhalb der EU nach Deutschland als aus anderen EU-
Mitgliedsstaaten (Vgl. Abb. 12). (Destatis 2017, S. 25)

2.2.2 Prognosen und Bevölkerungsvorausberechnungen
Nachdem         nun      alle    grundlegenden       Parameter      für     eine
Bevölkerungsvorausberechnung skizziert sind, sollen zentrale Ergebnisse der 13.
koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes aus
dem Jahre 2015 dargestellt werden (Destatis, 2015). Sinn von Bevölkerungs-
vorausberechnungen kann nicht die exakte Vorhersage von tatsächlich
eintretenden     Bevölkerungszahlen   sein.   Durch    die    Gegenüberstellung
verschiedener Varianten soll vielmehr verdeutlicht werden, in welchem Korridor
die zukünftige Entwicklung wahrscheinlich verlaufen wird. In der Demografie wird
bei Aussagen, die sich auf die nächsten 20 Jahre beziehen, von Prognosen und
bei längeren Zeiträumen von Vorausberechnungen gesprochen. Damit wird
darauf hingewiesen, dass bei sehr langfristigen Vorhersagen selbst sehr kleine
Änderungen an den Prognoseparametern eine große Wirkung entfalten können.
Somit sinkt der Genauigkeitsgrad von Vorhersagen mit der Zeitspanne über die
Aussagen getroffen werden sollen deutlich.

Die     13.   koordinierte  Bevölkerungsvorausberechnung     des    Statistischen
Bundesamtes aus dem Jahr 2015 geht in der Variante 8 von einer Geburtenrate
von 1,6 Kindern je Frau, einer Lebenserwartung für Jungen von 86,7 und bei
Mädchen von 90,4 Jahren sowie einem langfristigen Wanderungssaldo von 200
Tausend Menschen je Jahr aus. Auf der Grundlage dieser Parameter kommt die
Vorausberechnung zum Ergebnis, dass die Bevölkerungsanzahl bis zum Jahr 2060
nur leicht zurückgeht. Über 82,51 Mio. im Jahr 2020 und 81,45 Mio. im Jahr 2040,
sollen demnach im Jahr 2060 78,61 Mio. Menschen in Deutschland leben.
Während dieser Vorausberechnung nach die Anzahl der Menschen unter 20
Jahren nun von 14,63 Mio. im Jahr 2020 auf 14,12 Mio. im Jahr 2060 zurückgehen
wird, ist der Rückgang bei den 20 bis 60 Jährigen von 43,36 Mio. auf 34,92 Mio.
ebenso deutlich wie der Zuwachs bei den über 60-Jährigen von 24,27 Mio. auf
29,56 Mio.

Zu anderen Ergebnissen kam im Jahr 2003 die 10. Koordinierte
Bevölkerungsvorausberechnung: Bei einer mittleren Wanderungsannahme (mind.
200 Tausend Nettozuwanderer pro Jahr) und einer mittleren Annahme der
Lebenserwartung (2050: 81 bzw. 87 Jahre) würde die Bevölkerung Deutschlands
bis zum Jahr 2050 um ca. 7 Millionen schrumpfen. Variiert man die Parameter auf

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ca. 100 Tausend Nettozuwanderer und eine niedrigere Lebenserwartung (2050: 79
bzw. 86 Jahre) hat dies bereits gravierende Auswirkungen. Demnach würde dann
der Bevölkerungsrückgang 15 Millionen Personen betragen. Beiden Varianten liegt
eine Geburtenkennziffer (TFR) auf dem aktuellen Niveau (1,4) zu Grunde. (Destatis
2003)

Die Vorausberechnungen aus den Jahren 2003 und 2015 kommen somit zu
deutlich verschiedenen Aussagen. Ist also die Erstellung von Vorausberechnungen
Kaffeesatzleserei? Nein! Sicher sind die durchgeführten Berechnungen korrekt.
Unterschiede ergeben sich aber dadurch, dass - wie ausgeführt - die
Geburtenkennziffer längere Zeit unterschätzt wurde und heute ein Wert von 1,6 in
eine Vorausberechnung eingebracht werden kann. Auch die angenommene
Lebenserwartung ist gestiegen. Außerdem ist die Bevölkerung durch die
Zuwanderung der letzten Jahrzehnte jünger geblieben, als sich das durch eine
reine Binnenentwicklung der Demografie ergeben hätte. Klar wird dadurch, dass
im ersten Moment als eher klein erscheinende Veränderungen der
Prognoseparameter bzw. der Zusammensetzung der Ausgangsbevölkerung
langfristig umfassende Auswirkungen haben können. Auch wenn das Szenario der
Variante 8 der 13. Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung nur geringfügige
Veränderungen der Gesamtanzahl der Menschen in Deutschland vorhersagt, wird
sich die Alterszusammensetzung der Gesellschaft sehr deutlich ändern.

Dabei ist zu bedenken, dass die Bruttogröße der Zuwanderung in den letzten
Jahrzehnten lange Zeit die Nettozahl um ein Mehrfaches überstieg! Der starke
flüchtlingsbedingte Zuzug nach Deutschland ist eher als Sondersituation
einzuordnen und hat keine Fortsetzung gefunden.

Einige Gedankenspiele machen deutlich, dass weder der kommende
demografisch bedingte Arbeitskräftemangel noch der ansteigende Altersquotient
(Verhältnis von Bevölkerung im Rentenalter zur Bevölkerung im erwerbsfähigen
Alter) durch Einwanderung ausgeglichen werden kann. Für die Erhaltung des
aktuellen Arbeitskräftepotentials müssten bis zum Jahr 2050 320 Tausend Personen
(Nettosaldo) je Jahr einwandern. Um den Altersquotienten auf dem heutigen
Stand zu halten, müssten jährlich 3,4 Millionen Menschen bis zum Jahr 2050
zuwandern. Dies zeigt, dass die Alterung unserer Gesellschaft nicht aufzuhalten,
sondern allenfalls abzumildern ist.

2.3 Veränderte Bedingungen des Aufwachsens
Durch die demografische Entwicklung, aber auch durch gesamtgesellschaftliche
Tendenzen (Wahl anderer Familienformen, höhere Akzeptanz von Scheidungen
etc.) setzen sich Haushalte, aber auch Familien inzwischen anders zusammen als
in vorhergehenden Jahrzehnten.

2.3.1 Zusammensetzung von Familien und Haushalten
Während um 1900 noch fast 45 Prozent aller Haushalte von fünf und mehr
Personen bewohnt wurden, waren es 50 Jahre später nur noch 16 Prozent und
heute ist es mit 3,4 Prozent nicht einmal mehr jeder 30. Haushalt. Dieser Trend
scheint sich weiter fortzusetzen. Entgegengesetzt dazu verläuft die nahezu
kontinuierliche Zunahme der kleinen Haushalte mit ein oder zwei Personen.
(Grünheid und Sulak 2016, S. 67)

                                                                  11
Dadurch sind die Unterstützungsmöglichkeiten im unmittelbaren häuslichen
Umfeld drastisch geschrumpft. Dies hat Auswirkungen auf die Familiensituationen:
Unterstützung der Pflege sowohl von Kindern als auch bei Hilfsbedürftigkeit von
älteren Menschen lässt sich inzwischen oft nur noch im geringerem Maße (wenn
überhaupt) aus dem unmittelbaren Umfeld des Haushalts heraus gewinnen, wenn
die eigentlichen Pflegepersonen (Eltern bei Kindern, Kinder bei älteren
Erwachsenen) ausfallen.

Wird heute die erwachsene Bevölkerung nach ihrer Lebensform betrachtet, so
wohnen 29 Prozent von ihnen als Ehepaar ohne Kind zusammen, die zweitgrößte
Gruppe stellen die Alleinstehenden mit 27 Prozent und erst an dritter Stelle
kommen mit 23 Prozent die Ehepaare mit Kindern (minderjährige oder
erwachsene Kinder) im Haushalt. Das ist das Ergebnis des seit Jahrzehnten
niedrigen Geburtenniveaus, der steigenden Lebenserwartung und des geringeren
Verheiratungsgrades jüngerer Menschen. Noch 1996 bildeten Ehepaare mit
Kindern die am weitesten verbreitete Lebensform erwachsener Personen.
(Grünheid und Sulak 2016, S. 71)

Somit ist inzwischen die Situation eingetreten, dass Haushalte mit Kindern mit unter
einem Viertel aller Haushalte eine Minderheit bilden.

2.3.2 Aufwachsen in neuer Verantwortung
Die Frage welche Auswirkungen die Veränderung der Gesellschaft auf die
Lebensbedingungen von Familien und dem Aufwachsen von Kindern und
Jugendlichen hat, beschäftigt die Jugendhilfe in Deutschland schon lange.

Gerade in vielen ländlichen Räumen wurden die öffentlichen Angebote an
Kindertagesbetreuung nur sehr zögerlich ausgebaut. Für eine Anpassung an die
Erfordernisse einer modernen Gesellschaft, inklusive der Vereinbarkeit von Familie
und Beruf sind solche Angebote unverzichtbar.

Soll das Geburtenniveau angehoben werden, ist die Wahlfreiheit der
Lebensführung bestmöglich zu gewährleisten. Beeinträchtigungen dieser
Wahlfreiheit finden sich derzeit weniger für das Modell der traditionellen
Hausfrauen- oder Hinzuverdienerehe, sondern dort, wo beide Partner
Erwerbstätigkeit und Elternschaft in für sie befriedigender Weise vereinbaren
wollen. (Dorbritz und Schneider 2011, S. 5)

2.4 Die demografische Entwicklung ländlicher Räume

2.4.1 was sind ländliche Regionen
In der Raumordnung wurden als ländliche Raume häufig all die Gebiete
bezeichnet, die nicht städtisch sind bzw. außerhalb von Verdichtungsgebieten
liegen. Ländliche Räume sind die Räume außerhalb der Stadtregionen mit einer
geringeren Siedlungs- und Bevölkerungsdichte als in den Agglomerationen,
kleineren Städten und Orten, mehr Natur und (schöner) Landschaft sowie einem
höheren Anteil land- und forstwirtschaftlicher Flächennutzung. (Henckel 2010, S.
284) Zunehmend wurde in der wissenschaftlichen Debatte darauf hingewiesen,
dass dieses Bild der ausdifferenzierten Entwicklung den unterschiedlichen
Regionen außerhalb der großen Stadtregionen nicht mehr gerecht wird. (Henckel
2010) Es reicht nicht aus, ländliche Räume negativ von städtischen Räumen

                                                                    12
abzugrenzen. Ein anderer Definitionsversuch wäre, über die Siedlungsdichte oder
Funktion von Räumen eine Einordnung herzustellen.

Nach der OECD ist eine Region überwiegend ländlich, wenn über 50 Prozent der
Einwohner in ländlichen, dünn besiedelten Gemeinden mit weniger als 150
Einwohnern je qkm leben. (Henckel 2010)

Für eine differenzierte Betrachtung scheinen aber sowohl der negative
Definitionsversuch, als auch der Versuch nur Stadt und Land anhand der
Einwohnerzahl zu unterscheiden, zu wenig aussagekräftiges Material zu liefern.
Daher werden mehr Kategorien bei der Betrachtung städtischer und ländlicher
Räume benötigt.

Dazu werden die Kreistypen des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und
Raumforschung (BBSR) verwendet, für die laufende Raumbeobachtung sind dies
folgende vier Kreistypen:

• Kreisfreie Großstädte: Kreisfreie Städte mit mind. 100.000 Einwohnern

• Städtische Kreise: Kreise mit einem Bevölkerungsanteil in Groß- und Mittelstädten
   von mind. 50 Prozent und einer Einwohnerdichte von mind. 150
   Einwohnern/km²; sowie Kreise mit einer Einwohnerdichte ohne Groß- und
   Mittelstädte von mind. 150 Einwohnern/km² (Arnsberg fällt mit 381 Einwohnern je
   Quadratkilometer in diese Kategorie)

• Ländliche Kreise mit Verdichtungsansätzen: Kreise mit einem Bevölkerungsanteil
   in Groß- und Mittelstädten von mind. 50 Prozent, aber einer Einwohnerdichte
   von unter 150 Einwohnern/km², sowie Kreise mit einem Bevölkerungsanteil in
   Groß- und Mittelstädten von unter 50 Prozent mit einer Einwohnerdichte ohne
   Groß- und Mittelstädte von mind. 100 Einwohnern/km²

• Dünn besiedelte ländliche Kreise: Kreise mit einem Bevölkerungsanteil in Groß-
  und Mittelstädten von unter 50 Prozent und Einwohnerdichte ohne Groß- und
  Mittelstädte von unter 100 Einwohnern/km². (Grünheid 2015, S. 9)

2.4.2 Entwicklungsunterschiede von Gebietstypen
Unterscheidet man Gebiete nach diesen Kategorien ergeben sich folgende
Unterschiede bzgl. der Geburtenkennziffer:

Abbildung 2: Grünheid 2015 - Regionale (2).jpg (Grünheid 2015, S. 26)

                                                                        13
Bzgl. der Geburtenkennziffer fallen lediglich die kreisfreien Großstädte etwas
zurück. Wie lässt sich aber erklären, dass gerade die Städte einen deutlichen
Geburtenzuwachs zu verzeichnen haben, obwohl dort die Geburtenkennziffer
niedriger liegt? Die Erklärung dafür ist, dass sich in den letzten Jahren verstärkt
Bildungswanderungen in die Städte ergeben haben. Dies wird mittel- und
langfristig die Geburtenkennziffer auch in den Städten nach oben bringen. Da die
Geburtenkennziffer aber sehr träge auf Veränderungen reagiert, wird diese
Veränderung erst nach und nach sichtbar werden.

Die unterschiedliche Entwicklung der Geburtenzahlen hat aber nichts mit einer
tatsächlichen Veränderung des regenerativen Verhaltens zu tun. Es ist also nicht
so, dass Frauen in Ballungsräumen mehr Kinder gebären als in ländlichen
Regionen. Ganz im Gegenteil: Auf dem Land bekommen Mütter im Schnitt mehr
Nachwuchs als in der Stadt. Der springende Punkt ist die Altersstruktur. Die Anzahl
von Frauen im reproduktiven Alter ist in den Städten um ein Vielfaches höher als in
den Landkreisen. Das wiederum hat hauptsächlich mit der Zuwanderung zu tun.
(Zerche 2017, S. 3)

Die Raumtypen des ländlichen Raumes realisieren durchgängig ein leicht
überdurchschnittliches Geburtenniveau. Besonders hoch ist es in den
strukturschwächeren Raumtypen. Da in allen Raumtypen des ländlichen Raumes
der Ersatz der Elterngeneration nicht mehr gesichert ist, resultiert aus dieser
Entwicklung für alle Regionen im ländlichen Raum Bevölkerungsrückgang und
Alterung, die nur über Wanderungsgewinne kompensiert werden können.
(Maretzke, S. 177)

Die Anzahl der Kinder ist in zehn Jahren in Mittel- und Großstädten um fast 13
Prozent gestiegen. In Landkreisen hingegen sank die Quote um sechs Prozent.
[von 2005 bis 2015] (Zerche 2017, S. 1)

In städtischen Ballungsräumen wachsen immer mehr Kinder auf. Hauptursache
dafür ist aber nicht eine höhere Geburtenrate, sondern eine Bildungswanderung
... Diese Erkenntnis überrascht nicht. Die wirkliche Neuigkeit ist, dass diejenigen, die
für ihre Ausbildung in einen Ballungsraum umziehen, diesen im Anschluss oftmals
nicht mehr verlassen. Die Bildungswanderer gründen Familien und führen somit zu
einer steigenden Anzahl von Geburten in kreisfreien Städten. (Zerche 2017, S. 1)

Im Westen Deutschlands liegen die kreisfreien Großstädte in der Ausbaustufe der
Kindertagesbetreuung für unter Dreijährige über dem Ausbaugrad im ländlichen
Raum. Dort wird aufgrund traditioneller Rollenmuster der Ausbau nur zögerlich
vorangebracht. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf kann so tlw. nicht realisiert
werden. Im Osten Deutschlands weisen die ländlichen Gebiete eine doppelt so
hohe Versorgungsquote auf wie im Westen.

                                                                        14
Abbildung 3: Grünheid 2015 - Regionale (4).jpg (Grünheid 2015, S. 44)

Für die demografische Entwicklung sehr bedeutsam ist der Anteil ausländischer
Personen, da diese im Schnitt über eine für die Reproduktion günstigere
Altersstruktur verfügen. In kreisfreien Großstädten liegt der Anteil über dreimal so
hoch wie in dünn besiedelten ländlichen Räumen. Im Osten Deutschlands ist der
Unterschied zwischen Großstadt und ländlichem Raum sogar fünfmal so hoch.
Diese Kennwerte sind Indikatoren dafür, dass der ländliche Raum kaum
Außenzuwanderungen aufnimmt, weshalb ein Bevölkerungsschwund auch nicht
durch Außenzuwanderungen gemindert oder ausgeglichen werden kann.

Ähnliche Werte ergeben                 sich    auch      bezüglich      der   Menschen   mit
Migrationshintergrund.

Abbildung 4: Grünheid 2015 - Regionale (6).jpg (Grünheid 2015, S. 47)

Alle Gebietstypen haben zwischen 1995 und 2013 Bewohner durch
Außenwanderungen gewonnen. Am wenigsten war dies aber in dünn besiedelten
ländlichen Kreisen der Fall. In Ostdeutschland lag der Zuwachs durch
Außenwanderungen generell auf niedrigerem Niveau als im Westen
Deutschlands.

Das Gesamtwanderungssaldo ist vor allem in den kreisfreien Großstädten positiv,
wobei dieses im Osten sogar höher als im Westen ausfällt. Ländliche Kreise im
Westen liegen nur auf einem Drittel bei dünn besiedelten ländlichen Kreisen oder
knapp unter der Hälfte des Wanderungssaldos westdeutscher Großstädte.

Im Osten sind hingegen städtische Kreise und ländliche Kreise im Saldo von
Abwanderung geprägt.

                                                                               15
Abbildung 5: Grünheid 2015 - Regionale (8).jpg (Grünheid 2015, S. 53)

Auf der Grundlage des Raumordnungsberichts wird bis zum Jahr 2035 im Westen
allen Raumtypen mit Ausnahme der städtischen Kreise ein im Durchschnitt
negatives Wanderungssaldo vorhergesagt. Im Osten Deutschlands wird nach
dieser Prognose das negative Wanderungssaldo auf hohem Niveau fortbestehen.

Der ländliche Raum profitierte in den Jahren 2012 und 2013 deutlich weniger von
den Wanderungsbewegungen als der städtische Raum. Das gilt vor allem in Bezug
auf die Binnenwanderungen. Per Saldo musste der ländliche Raum sogar leichte
Verluste hinnehmen. Hinsichtlich der Außenwanderungen lagen die Gewinne
(Saldo aus Zu- und Fortzügen) deutlich niedriger als im städtischen Raum.
(Maretzke, S. 180)

Auch für die künftige Entwicklung bis 2035 wird vor allem den dünn besiedelten
ländlichen Räumen ein deutlich negativ ausgeprägtes Wanderungssaldo
vorhergesagt.

Für die regionalen Unterschiede der demografischen Entwicklung sind eben
weniger der Stadt-Land- bzw. Ost-West-Gegensatz, als vielmehr die
Strukturschwäche oder -stärke einer Region entscheidend. Korreliert man
beispielsweise typische Indikatoren zur Messung der Wirtschaftsstruktur,
Wirtschaftskraft bzw. sozialer Disparitäten mit wesentlichen Indikatoren der
Siedlungsstruktur             (Einwohnerdichte,              Bevölkerungspotenzial,
Erreichbarkeitsindikatoren), dann zeigt sich, dass diese oft nicht einmal signifikant
korrelieren. Und wenn doch, dann auf einem oft eher niedrigen Niveau.
(Maretzke, S. 169)

Zwar sind alle Kreise und Regionen durch den demografischen Wandel betroffen,
allerdings    in   sehr   unterschiedlicher   Intensität  und   Differenziertheit.
Geburtenentwicklung, Sterblichkeitsverhältnisse, Zu- und Abwanderungen und die
vorhandene Altersstruktur stehen in einem wechselseitigen Zusammenhang mit
sozioökonomischen Strukturen, mit vorhandenen Lebens- und Arbeitsbedingungen
und mit regionalen und kulturellen Gegebenheiten.

Aber nicht nur die Alterung stellt die Kreise und Kommunen vor neue
Entscheidungen, auch der Rückgang der Bevölkerungszahlen erfordert neue
Überlegungen, wie die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse und eine
erforderliche Mindestversorgung bezüglich der Infrastruktur gesichert werden
können. Hier stellen sich neben den schon genannten Bildungs- und
Gesundheitseinrichtungen auch Probleme wie die Sicherung der Nachrichten-,

                                                                        16
Energie-, Wasser- und Abwasserversorgung, des öffentlichen Verkehrs und anderer
öffentlicher Einrichtungen. (Grünheid 2015, S. 7)

Die strukturschwachen ländlichen Räume in peripherer Lage drohen zunehmend
abgehängt zu werden, was sich auch in ihren demografischen Strukturen und
Trends niederschlägt. Ihre strukturellen Defizite, ihre fehlende Standortattraktivität
werden sie kurz- und mittelfristig allein kaum überwinden können, sodass sie auch
in den nächsten Jahren ein Schwerpunkt selektiver Abwanderungen bleiben
werden. Diese Abwanderungen verstärken die Bevölkerungsverluste aus den
latenten, ohnehin schon überdurchschnittlichen Sterbeüberschüssen noch weiter.
(Maretzke, S. 184)

Für die aktuell besonders stark vom demografischen Wandel betroffenen
ländlichen Regionen wird die künftige demografische Entwicklung also keine
Entlastung bringen. Überdurchschnittliche Bevölkerungsverluste und die höchste
Intensität demografischer Alterung werden den infrastrukturellen Anpassungsdruck
weiter verschärfen, der sich aufgrund fehlender Auslastung von Infrastrukturen ja
schon heute gerade auf diese Regionen konzentriert. (Maretzke, S. 185)

Danach setzt das neoklassische Wachstumsmodell vor allem auf den exogenen
Faktor „technischer Fortschritt“. Neuere Ansätze regionaler Wachstumstheorien
stellen demgegenüber die endogenen Potenziale der Regionen immer stärker
auch als wesentliche Determinanten regionaler Wachstumsprozesse heraus.
(Maretzke, S. 170)

2.5 Bildungsbedingte Binnenmigration
Ein wesentlicher Treiber der Binnenmigration in Deutschland ist die Wanderung aus
Bildungsgründen. Dies hat mehrere Gründe:

Strukturschwache Räume stehen vor der Herausforderung, auch zukünftig ein auf
die Bedürfnisse der Bevölkerung angepasstes Bildungsangebot zu gewährleisten:
In ländlichen Gebieten zeigt sich seit 2006 eine Abnahme der durchschnittlichen
Zahl der Schülerinnen und Schüler je Bildungseinrichtung, die vermutlich mit den
Bemühungen zusammenhängen, eine wohnortnahe Schulversorgung zu
gewährleisten Im gleichen Zeitraum wurden dennoch in strukturschwachen
Landkreisen viele Grundschulen (–11 Prozent) und berufliche Schulen (–26 Prozent)
geschlossen Zudem sind die Bildungsbeteiligung und der Bildungsstand in
städtischen und strukturstarken Räumen höher als in eher ländlichen und
strukturschwachen Landesteilen. (Autorengruppe Bildungsberichterstattung (Hg.)
2018, S. 5)

Zweitens erleben zurückfallende ländliche Regionen massive bildungsbedingte
Abwanderungen, wenn der kontinuierlich gestiegene Anteil von Abiturienten zum
Studium in die Städte zieht. Da aber heute – nach der massiven
Bildungsausweitung und einem Anstieg der Studienanfängerquote von 29 Prozent
eines Jahrgangs Ende der 1990er-Jahre auf 53 Prozent im Jahre 2013 – fast alle
kreisfreien Städte über eine mehr oder weniger große Hochschule verfügen,
profitieren sie auch fast alle von der Ausbildungswanderung (Ausnahmen Suhl,
Remscheid, Bottrop, Dessau-Roßlau). Die Untersuchung der Friedrich Ebert Stiftung
„Stadtkinder“ unterteilt Regionen in die Kategorien „stabile Regionen“,
„zurückfallende Regionen“ und „gefährdete Regionen“. Betrachtet man in dieser

                                                                      17
Unterscheidung verschiedene Altersklassen, fällt auf, dass vor allem die
Altersgruppe 18-25 Jahre die größten Abwanderungsverluste zu verzeichnen hat.
Während stabile Regionen hier kaum Abwanderungen hinnehmen müssen, sind
für zurückfallende Regionen deutliche und für gefährdete Regionen sehr deutliche
Wanderungsverluste. (Friedrich Ebert Stiftung (Hrsg.) 2017, S. 23)

Das zentrale Ergebnis der Analyse der Friedrich Ebert Stiftung liegt darin, dass die
steigende Anzahl von Kindern und Familien in den Städten auf
Familiengründungen zuvor zugezogener Bildungswanderer_innen zurückzuführen
ist – und nicht etwa auf einen Zuzug von Familien selbst.

Gleichzeitig gibt es immer noch gegenläufige Tendenzen: Aus den Städten sind
weiterhin eine Abwanderung von Familien und eine Suburbanisierung zu
beobachten. Allerdings fallen diese Abwanderungen quantitativ geringer aus als
die Zunahme der Familiengründungen in den Städten. (Friedrich Ebert Stiftung
(Hrsg.) 2017, S. 3) Die Generation der Bildungswander_innen – also der
Alterskohorte, die für eine Ausbildung oder einem Studium aus dem Heimatort
wegzieht – lebt zunehmend in den Städten. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen:

- Hier gründen viele der vormaligen Bildungswander_innen Familien.
- Die vielerorts gute Arbeitsmarktsituation hält Familien in den Städten.
- Zunehmend sind beide Elternteile berufstätig und damit auf eine ausgebaute
  Betreuungsinfrastruktur und möglichst kurze Wege zwischen Wohnung,
  Arbeitsstelle und öffentlicher Infrastruktur – wie sie typischerweise in Städten
  vorhanden ist – angewiesen. Für Alleinerziehende ist dieses dichte
  Infrastrukturnetzwerk noch einmal verschärft Voraussetzung für Berufstätigkeit
  überhaupt. (Friedrich Ebert Stiftung (Hrsg.) 2017, S. 3)

Die Studie „Stadtkinder“ der Friedrich Ebert Stiftung zeigt:

- Kinder wachsen zunehmend in städtischen Ballungszentren auf.
- Im Zeitraum 2005 bis 2015 ist es zu einer deutlichen Verschiebung der
  Kinderzahlen vom westdeutschen ländlichen Raum hin zu den städtischen
  Zentren in West- und Ostdeutschland gekommen.
- Der ostdeutsche Raum, der 2005 noch besonders kinderarm war, hat sich im
  Hinblick auf die Kinderzahlen stabilisiert. Aber auch hier stechen die Städte
  besonders hervor, wo teilweise Steigerungsraten von fast 50 Prozent (z. B.
  Leipzig) zu verzeichnen sind.
- Dieser Trend wird sich fortsetzen, da die Elterngeneration der Kinder von
  morgen bereits in den Städten angekommen ist. (Friedrich Ebert Stiftung (Hrsg.)
  2017, S. 3)

[Es verlieren] ... insgesamt 174 von 402 Kreisen bei der Berufsanfängerwanderung,
davon 136 sogar ein zweites Mal, da sie nach der Ausbildungswanderung auch
die Berufsanfängerwanderung auszehrt. Dieses Muster kann zum einen
dahingehend interpretiert werden, dass nach Abschluss der Ausbildung oder des
Studiums bzw. den ersten beruflichen Erfahrungen statt einer Rückwanderung aus
den Studienorten in die Heimat vor allem ein Weiterwandern in die
„Schwarmstädte“ (siehe 2.6) stattfindet. (Simons und Weiden, S. 266) In einem Teil
der ländlichen Regionen gibt es bereits jetzt nicht mehr ausreichend wohnortnahe
(öffentliche) Bildungsangebote. Das betrifft insbesondere das Schulwesen Auch
zwischen Ausbildungsangebot und -nachfrage gibt es Passungsprobleme, die

                                                                    18
dazu führen können, dass sich ungünstige wirtschaftliche und infrastrukturelle
Rahmenbedingungen einzelner Regionen weiter verschlechtern Damit sinken die
Chancen junger Menschen, sich persönlich und beruflich zu entfalten. Die
unterschiedlichen Entwicklungsperspektiven bieten letztlich Standortvorteile oder
-nachteile. Sie haben Folgeeffekte für die Attraktivität der Regionen als Wohn- und
Arbeitsort und können zu einer weiteren Zu- oder Abwanderung führen. Dies gilt
vor allem auch für Hochschulen, die neben ihren primären wissenschaftlichen
Leistungen wesentliche arbeitsmarktpolitische und kulturelle Funktionen für ihre
Region haben und nicht zuletzt erhebliche Kaufkraft erzeugen (Friedrich Ebert
Stiftung (Hrsg.) 2017, S. 15)

2.6 Schwarmstädte als Ziel der jungen Generation
Die Binnenwanderungen haben sich nicht allein entlang rationaler Überlegungen
vollzogen. Es scheint Regionstypen oder Stadtgebiete zu geben, deren Image
eine hohe Anziehungskraft ausübt. Diesbezüglich wurde der Begriff der
„Schwarmstadt“ in die demografische Debatte eingebracht. Der Begriff des
Schwarmverhaltens und der Schwarmstädte soll bildhaft verdeutlichen, dass die
Reurbanisierung tatsächlich einer Konzentration auf einige ausgesuchte Städte
entspricht. (Simons und Weiden, S. 263)

Die wirklich spannende Lebensphase, die letztlich zum deutlichen
Bevölkerungsanstieg in den Schwarmstädten und zum Ausbluten der anderen
Regionen führt, beginnt danach, also in der Phase des Berufseinstiegs und der
beruflichen Festigung. Diesen Schwarmstädten gelingt es, die Gewinne aus der
Bildungswanderung nicht nur zu halten, sondern weiter und zum Teil deutlich
auszubauen. Junge Schwarmstädte definieren wir als Städte, in denen die
Kohortenwachstumsrate2 für 15- bis 34-Jährige bei über 200 liegt, sich im Saldo also
jeder Geburtsjahrgang verdoppelt. (Simons und Weiden, S. 264–265)

[Es verlieren] ... insgesamt 174 von 402 Kreisen bei der Berufsanfängerwanderung,
davon 136 sogar ein zweites Mal, da sie nach der Ausbildungswanderung auch
die dahingehend interpretiert werden, dass nach Abschluss der Ausbildung oder
des Studiums bzw. den ersten beruflichen Erfahrungen statt einer Rückwanderung
aus den Studienorten in die Heimat vor allem ein Weiterwandern in die
Schwarmstädte stattfindet. (Simons und Weiden, S. 266)

Das zum Teil starke Wachstum ausgewählter Städte lässt sich wahrscheinlich nicht
auf eine allgemeine Präferenzänderung zugunsten des städtischen Lebens
zurückführen. Vielmehr rührt das Wachstum fast aller Schwarmstädte einzig und
allein von Wanderungsgewinnen jüngerer Menschen zwischen 25 und 34 Jahren
her, während die Mittelalten (35 bis 44, abgeschwächt 45 bis 59) weiterhin
suburbanisieren und die Älteren die Städte in Richtung attraktiver ländlicher
Räume verlassen. Die Wanderungsgewinne bei den 35- bis 44-Jährigen sind dabei
nicht auf veränderte Präferenzen, sondern auf veränderte Rahmenbedingungen
zurückzuführen. Der Pillenknick hat dafür gesorgt, dass die heute schwärmenden
jungen Menschen eine Minderheit geworden sind, die sich in ausgesuchten
Schwarmstädten zusammenrottet. (Simons und Weiden, S. 274)

2 [Die Kohortenwachstumsrate] lässt sich wie folgt interpretieren: „Wenn sich die heute jeweils

nachrückenden Kohorten so verhalten wie ihre Vorgänger (also z. B. 20 % abwandern), dann werden bis
zum Alter von x Jahren y % abgewandert sein.“ Eine KWR von 100 bedeutet keine Veränderung, eine KWR
von über 100 einen Gewinn und von unter 100 einen Verlust an Einwohnern. (Simons und Weiden, S. 264)

                                                                                 19
Schwarmstädte sind dieser Erklärung nach die Folge einer langanhaltenden
demografischen Entwicklung mit wenigen Kindern, die vor allem in ländlichen
Räumen dazu geführt hat, dass Infrastruktur kontinuierlich abgebaut wurde und
sich junge Menschen in städtischen Räumen zusammenfinden, in denen
Infrastrukturangebote für verschiedene Lebensalter auf hohem Niveau gehalten
werden konnten.

Selbstverständlich treiben weiterhin die Wohnkosten oder genauer gesagt das
Wohnkostengefälle zwischen Stadt und Umland die Suburbanisierung (Wanderung
aus den Städten in die umliegenden Räume) an. Sind die Wohnkosten in der Stadt
niedrig, kommt die Suburbanisierung zum Erliegen. Es gilt          nicht alle
Aufmerksamkeit auf die Schwarmstädte zu konzentrieren, sondern auf attraktive
kleine und mittlere Städte, die dann eine hinreichende Dichte von jungen
Menschen und vielfältigem Angebot aufweisen würden. (Simons und Weiden, S.
273)

2.7 Auswirkungen der demografischen Entwicklung auf die Jugend
    in ländlichen Regionen
Eine Schrumpfung und Überalterung der Bevölkerung, die Abwanderung junger
Menschen in städtische Regionen, die Migration sowie die Veränderungen von
Lebensweisen sind wesentliche Merkmale des demografischen Wandels in vielen
Regionen.

Gerade in ländlichen Gebieten sind die Auswirkungen der demografischen
Entwicklung für junge Menschen besonders deutlich spürbar, weil eher negative
Folgen der demografischen Entwicklung dort kumulieren.

Denn       der    demografische     Wandel       beeinflusst     nicht    nur    die
Bevölkerungszusammensetzung, sondern auch das Lebensumfeld in den Räumen.
Meist in ländlichen Gebieten sehen sich die Jugendlichen mit Veränderungen der
Angebotsstruktur konfrontiert. (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend 2018) (Beierle et al. 2016)

Insbesondere die Jugend stellt eine wichtige Lebensphase dar, in der sowohl die
Entwicklung als auch der Erwerb von Fähigkeiten, das Herausbilden einer Identität
und das Teilnehmen am sozialen und kulturellen Leben im Fokus stehen.
(Hurrelmann und Quenzel 2016) Dazu ist die Phase Jugend zum einen auf Bildung
und das Vorbereiten auf das Erwachsenenleben ausgelegt, und zum anderen
darauf, die lebensphasenspezifischen Optionen zu nutzen und Bedürfnissen
nachzukommen. (Sander und Witte 2011)

Gerade in schrumpfenden ländlichen Gebieten wird die Infrastruktur immer weiter
reduziert    oder     vernachlässigt   (Kindertageseinrichtungen,     Schulen,
Freizeitangebote). Auch die Vereine, die für ländliche Regionen typisch sind,
haben immer weniger jungen Nachwuchs. Dadurch kann sich eine
Abwärtsdynamik für Regionen entwickeln. (Schlemmer et al. 2017) Hinzu kommt,
dass – wie beschrieben – gerade in ländlichen Regionen Infrastruktur zur
Kindertagesbetreuung und zur Ganztagsschule zögerlicher ausgebaut wurde, als
in städtischen Räumen. Wachsenden Ansprüchen an die Vereinbarkeit von
Familie und Beruf kommt man dadurch nur eingeschränkt nach. Die beschriebene
Reduzierung der Haushalts- und Familiengrößen ist auch im ländlichen Raum

                                                                    20
wirksam und macht Angebote der außerfamiliären Kinderbetreuung zunehmend
nötig.

Verschiedene Studien benennen sogenannte „Push-Faktoren“, die zu
Abwanderungen junger Menschen aus ländlichen Regionen führen. Hierzu zählen
die eingeschränkten Bildungs- und Berufsperspektiven, die begrenzten
Freizeitmöglichkeiten, der oftmals erschwerte Zugang zu Einrichtungen und
Angeboten aufgrund der weiten Entfernungen und schlechten öffentlichen
Verkehrsanbindungen. Insbesondere der Mangel an sozialer und kultureller
Infrastruktur der ländlichen Räume stellt sich als wesentlicher Faktor heraus.

Städtische Regionen bieten nicht nur vielfältige Bildungseinrichtungen, sondern
auch ein attraktives Arbeitsplatzangebot und eine hohe kulturelle Vielfalt, was als
Pull-Faktor zu einer Abwanderung aus den ländlichen Regionen führt. (Wochnik
2015)(Beierle et al. 2016)

Damit die junge Bevölkerung sich für ländliche Gebiete entscheidet, müssen
folglich ausreichend Möglichkeiten zur Verwirklichung der eigenen Lebensziele
junger Menschen gegeben sein. Die Kernbereiche, die das BMFSFJ (2018) hierfür
nennt, sind:

-   Berufsperspektiven
-   Bildungsangebote
-   Mobilitätsangebote
-   Familienfreundlichkeit.

Das BFSFJ bezeichnet die junge Bevölkerung mit folgender Begründung auch als
Schlüsselgruppe der nachhaltigen Demokratiepolitik:

- „Das Wanderungsverhalten junger Menschen ist ein zentraler Indikator für
  die aktuelle Lebensqualität vor Ort.
- Ausreichend junge Menschen sind ein entscheidender Faktor für die
  zukünftige Entwicklung der Standortattraktivität.“

(Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2018)

Zudem sollten junge Menschen an Maßnahmen teilhaben und ihre Bedürfnisse
und Bedarfe äußern. So gibt es auch rechtliche Vorgaben zur Beteiligung dieser
Altersgruppe. Unter anderem zählt hierzu der Paragraph 8 SGB XIII, der vorsieht,
die junge Bevölkerung an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen
Jugendhilfe zu beteiligen. Genauso gibt es Vorgaben für die Jugendhilfeplanung
nach Paragraf 80 Absatz 1 Nr. 2 SGB VIII, in dem festgeschrieben ist, dass der
Bedarf unter Berücksichtigung von Bedürfnissen, Interessen und Wünschen der
jungen Menschen ermittelt wird. Dies bezieht sich u.a. auch auf das Gestalten des
demografischen Wandels.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Jugend besonders in vielen
ländlichen Regionen den demografischen Wandel deutlich zu spüren bekommt.
Die Jugend stellt aber auch eine wesentliche Gruppe für die Entwicklung der
Region dar. Diese sollte den demografischen Wandel aktiv mitgestalten Daher ist
die Partizipation junger Menschen für die weitere ländliche Entwicklung von großer
Bedeutung.

                                                                    21
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