Zukunft Soziale Marktwirtschaft - Bertelsmann Stiftung
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Zukunft Soziale Marktwirtschaft Policy Brief #2020/06 Justus Haucap, Thieß Petersen, Torben Stühmeier Resilienz internationaler Lieferketten Die Corona-Pandemie hat internationale Lieferketten schwer getroffen. Wie können Wertschöpfungsketten krisenfester gemacht werden? Braucht Deutschland eine ver- stärkt heimische Produktion von bestimmten Gütern? Ausgehend von den ersten Produktionsausfällen Das hat eine generelle Debatte über die Krisen- in China zu Beginn des Jahres, ist die Produktion festigkeit von globalen Lieferketten ausgelöst. auch hierzulande vielerorts zum Erliegen gekom- Braucht Deutschland für bestimmte Güter wieder men. In zahlreichen Branchen fehlten wichtige eine verstärkt heimische Produktion, um in Kri- Bauteile und Vorprodukte aus dem für die EU senzeiten besser gewappnet zu sein? und Deutschland wichtigsten Lieferland. Doch auch die Grenzschließungen innerhalb Europas Die bisherige internationale Arbeitsteilung basiert haben den Waren- und Wirtschaftsverkehr er- stark darauf, Produktionsorte dort anzusiedeln, heblich gebremst. wo die Kosten am niedrigsten sind (siehe Abb. 1). Insbesondere die Produktion von arbeitsin- Aufgrund der immer schwierigeren Versorgungs- tensiven und standardisierten Gütern wurde in lage mussten nahezu alle Unternehmen der Au- Niedriglohnländer verlagert oder ganz an Firmen tomobilindustrie ihre europäischen Werke zeit- in Fernost ausgelagert (Globales Outsourcing). weise schließen. Doch wohl am dramatischsten Durch die Beschränkung auf wenige Zulieferbe- zeigten sich die Versorgungslücken im Medizin- triebe (Single Sourcing) konnten Unternehmen sektor. Zu Beginn der ersten Welle fehlte es an hierzulande von Skalenerträgen der dortigen vielem, um das medizinische und pflegerische Produktion profitieren. Weiterhin wurden Lager- Personal vor Ansteckung mit dem Virus zu haltungskosten häufig durch eine Just-in-time- schützen. Atemschutzmasken waren ebenso Produktion eingespart. Mangelware wie Schutzmäntel und Desinfekti- onsmittel. Seite 1
Zukunft Soziale Marktwirtschaft Policy Brief #2020/06 Im Jahr 2019 war China mit einem Importanteil von zehn Prozent das für Deutschland wichtigste Doch genau diese Spezialisierung führt auch zu Lieferland (siehe Abb. 2). In vielen Branchen ist Abhängigkeiten, die in Krisenzeiten die gesamte die Abhängigkeit von chinesischen Importen be- Lieferkette zum Erliegen bringen und zu Versor- sonders hoch, so zum Beispiel in der Elektro- gungsengpässen führen können. Die Vorteile der und Telekommunikationsindustrie. Dort stammt Spezialisierung werden gegenwärtig gegen die rund ein Drittel aller Bauteile aus der Volksrepub- offenbar gewordenen Abhängigkeiten neu aufge- lik (vgl. Eurostat, 2018). Noch größer war die Ab- wogen. Diese Abwägung wirft eine Reihe von hängigkeit – zumindest bei Beginn der Pandemie Fragen auf, die wir in diesem Policy Brief erör- – bei den dringend benötigten Atemschutzmas- tern. ken. Fast 60 Prozent der weltweit produzierten Masken werden in China hergestellt, so das Pe- terson Institute for International Economics (2020). Welche Güter sind als relevant zu klassifizieren? Grundsätzlich bringt die internationale Arbeitstei- Wenn diskutiert wird, ob Deutschland für be- lung eine Reihe von Vorteilen für die beteiligten stimmte Güter wieder eine verstärkt heimische Volkswirtschaften mit sich (vgl. Petersen, 2020, Produktion benötigt, ist zunächst zu klären, wel- und Bertelsmann Stiftung, 2020). Die Spezialisie- che Güter das sein sollen. Aufgrund der hohen rung auf Güter, bei deren Produktion ein Land Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von Im- Kostenvorteile hat – wie etwa China bei den Ar- porten betreffen die Produktionsausfälle zahlrei- beitskosten –, fördert das Wirtschaftswachstum che Branchen. Atemschutzmasken fehlten und steigert die Einkommen der Bürger:innen. Die grenzüberschreitende Mobilität von Produkti- ebenso wie elektronische Bauteile für die Auto- onsfaktoren sorgt für eine optimale Faktoralloka- mobil- und für die Elektro- und Telekommunikati- tion und bewirkt somit Produktivitäts- und onsindustrie. Wachstumssteigerungen. Der internationale Wettbewerb fördert Innovationen und Produktivi- In der jetzigen Krise scheinen vor allem medizini- tät. Schließlich erlaubt die Produktion für einen sche Schutzausrüstungen Teil eines möglichen größeren Markt die Ausnutzung von Größenvor- Kataloges systemrelevanter Güter zu sein. Wel- teilen mit entsprechenden Reduzierungen der che Güter in zukünftigen Krisen dazugehören, ist Stückkosten und damit auch der Marktpreise. Seite 2
Zukunft Soziale Marktwirtschaft Policy Brief #2020/06 jedoch nur schwer vorherzusehen. Es muss poli- Teil bedarf es flankierender staatlicher Maßnah- tisch diskutiert und entschieden werden, welche men. Güter für die Daseinsfürsorge so wichtig sind, dass eine (Mindest-)Bereitstellung in Deutsch- Marktwirtschaftliche Instrumente land organisiert und finanziert wird. Grundsätzlich versuchen Unternehmen in einer Marktwirtschaft schon immer und allein aus be- Hierfür bedarf es eines klaren und transparenten triebswirtschaftlichem Kalkül, die Abhängigkeiten Kriterienkataloges, um der Gefahr der politischen nicht zu groß werden zu lassen. So können sie oder sonstigen interessengetriebenen Einfluss- Engpässe bei bestimmten zuliefernden Unter- nahme entgegenzuwirken. Wichtige Hilfestellung nehmen durch andere Beschaffungsquellen können Expert:innen liefern. So hat das Robert kompensieren und in Preisverhandlungen ihre Koch-Institut bereits im Jahr 2012 in einer Risiko- Verhandlungsmacht gegenüber einzelnen Zulie- analyse eine Pandemie mit SARS-CoV model- ferfirmen erhöhen, wenn alternative Bezugsquel- liert und auf Engpässe bei Arzneimitteln, Medi- len bestehen. zinprodukten, persönlichen Schutzausrüstungen und Desinfektionsmitteln hingewiesen und somit Angebotssubstitution die derzeitige schwierige Versorgungslage vor- In Teilen hat der Markt zudem selbst bereits Ant- hergesehen (vgl. Bundestag, 2013). worten auf die Lieferengpässe geliefert. Unter- nehmen der Textilbranche haben ihre Produktion recht rasch auf Atemschutzmasken und Schutz- Wie kann eine Versorgung mit sys- ausrüstungen umgestellt, Chemie- und Geträn- keunternehmen verwenden hochprozentigen Al- temrelevanten Gütern organisiert kohol zur Herstellung von Desinfektionsmitteln. werden? Die derzeitige Krise zeigt, dass eine zu starke Allerdings ist eine solch rasche Anpassung der Konzentration in der Produktion auf wenige An- Produktion nur in wenigen Fällen zu erwarten. bieterfirmen zu Versorgungsengpässen führen Der Schritt von den Spirituosen zum Desinfekti- kann, die die gesamte Wertschöpfungskette zum onsmittel scheint kurz. In vielen anderen Berei- Erliegen bringen können. Einen Teil der Lösung chen ist die Umstellung deutlich zeitintensiver. wird der Markt liefern können, für einen anderen Und Zeit ist in einer Krise der limitierende Faktor. Seite 3
Zukunft Soziale Marktwirtschaft Policy Brief #2020/06 Know-how über Produktionsabläufe muss er- Als sogenanntes additives Produktionsverfahren langt, Arbeitnehmer:innen müssen für neue Tä- setzt der 3D-Druck Materialien schichtweise zu- tigkeiten geschult, neue Maschinen und Werk- sammen. Es wird also nur der Materialinput ein- zeuge müssen beschafft werden. gesetzt, der am Ende auch in das hergestellte Produkt einfließt, sodass sich der Ressourcen- Direktinvestitionen einsatz – und damit wiederum die Abhängigkeit Denkbar wäre auch, dass deutsche Unterneh- von importierten Rohstoffen – erheblich reduzie- men in Zukunft mehr Direktinvestitionen in den ren lässt (vgl. Petersen, 2019). Ländern tätigen, in denen diese Produkte gegen- wärtig hergestellt werden. Dabei könnte versucht Bei der Anwendung in der Industrie werden die werden, Anteile der betreffenden Unternehmen deutschen Unternehmen aber derzeit von der zu erwerben, um so einen besseren – sprich si- Konkurrenz überholt. Gerade in China wird die chereren – Zugriff auf deren Produktion zu erhal- 3D-Fertigung als eine der klaren Prioritäten in ten. der wirtschaftspolitischen Strategie festgelegt. „In Deutschland wird noch viel getestet – in die An- Ist dies nicht möglich, könnte der Aufbau von wendung für Endprodukte sind die hiesigen Un- Produktionskapazitäten in den Ländern, die jetzt ternehmen noch nicht so stark eingestiegen wie Preis- und Wettbewerbsvorteile bei der Herstel- beispielsweise die asiatischen. Das liegt teil- lung besitzen, in Erwägung gezogen werden. In weise auch an einer generellen Skepsis und Zu- diesem Fall würde ein Mittelweg zwischen Effizi- rückhaltung in Deutschland, was neue Technolo- enz und Risikoreduzierung gewählt: Der Preis- gien angeht.“ (EY, 2019). Die Krise könnte nun vorteil in der Produktion bliebe erhalten (abgese- die Gelegenheit bieten, diese Zurückhaltung auf- hen von Skalenerträgen, die bei einer verringer- zugeben und verstärkt in digitale Prozesse zu in- ten Produktion für den eigenen Bedarf geringer vestieren. ausfallen), und durch das Eigentum an den Pro- duktionsanlagen ist der Zugriff auf die dort her- Politische Instrumente gestellten Produkte gesichert. Angesichts der Unsicherheiten hinsichtlich der Länge einer Krise und der Entwicklung der Nach- Das Risiko von Produktionsschließungen in Kri- frage werden Unternehmen unter Umständen senzeiten bliebe jedoch bestehen. Darüber hin- den Aufwand scheuen, eine eigene Produktion aus verbliebe auch die Abhängigkeit von funktio- systemrelevanter Güter zu organisieren, wenn nierenden Transportwegen zwischen Herstel- Kosten und Nutzen der Produktionsumstellung lungsland und den in Deutschland angesiedelten nur schwer abzuschätzen sind. Daher wird es Unternehmen. Das betrifft sowohl die Funktions- der Markt allein an vielen Stellen nicht richten fähigkeit der dafür erforderlichen Infrastruktur können. Von politischer Seite ist aus unserer (also geöffnete Häfen und Flughäfen, intakte Sicht ein Portfolio an unterschiedlichen Maßnah- Schienen- und Straßenverbindungen) als auch men nötig. die rechtlich-politische Rahmensetzung im Land der getätigten Investitionen (also den Verzicht Vorratshaltung auf Exportverbote, Ausfuhrzölle etc. auch in Kri- Bei nicht verderblichen Gütern könnten größere senzeiten). Vorräte vorgehalten werden, auf die in Krisenzei- ten sehr kurzfristig zugegriffen werden kann. In Digitalisierung der Praxis findet das zum Teil bereits statt. In Auch die Digitalisierung kann helfen, einen Teil Deutschland muss die Ölbranche per Gesetz der Abhängigkeit von den internationalen Liefer- eine strategische Reserve für etwa 90 Tage vor- ketten zu reduzieren und etwa die Fertigungs- halten, um Engpässe bei der Versorgung zu tiefe zu erhöhen. So können Unternehmen ein- überbrücken. Gespeichert werden diese Vorräte zelne Bauteile bereits heute per 3D-Druck selbst in unterschiedlichen Lagern über das Land ver- herstellen. teilt. Das Bundeswirtschaftsministerium entschei- det, wann wie viel dieser Reserve freigegeben wird. Zuletzt geschah dieses 2018, als die Fluss- Seite 4
Zukunft Soziale Marktwirtschaft Policy Brief #2020/06 pegel von Rhein und Mosel so stark gefallen wa- variablen Kosten etwa für den Brennstoff oder ren, dass der Nachschub über die Wasserwege die Emissionsrechte zu decken. Den Zuschlag stockte. Ansonsten wird diese Reserve nur bei für die Kapazitätsreserve sollte erhalten, wer die Naturkatastrophen oder internationalen Konflik- günstigste Kombination aus Arbeits- und Leis- ten, wie dem Golfkrieg, angezapft. tungspreis anbietet (vgl. etwa Monopolkommis- sion, 2019). Die Vorratshaltung kann unserer Ansicht nach je- doch nur ein Baustein sein. Zum einen ist der Die Kosten der Kapazitätsreserve werden auf die Bedarf nicht präzise vorherzusehen, sodass un- Netzentgelte und somit letztlich auf die Endver- klar ist, wie groß die Vorräte sein sollten. Zum braucher:innen umgelegt. Der Anstieg der Netz- anderen haben viele Güter – anders als Öl – nur entgelte wird auf etwa 0,01 bis 0,02 ct/kWh bzw. eine begrenzte Haltbarkeit. Sie altern oder sind etwa 0,35 bis 0,70 € bezogen auf einen durch- irgendwann technisch nicht mehr auf dem Stand schnittlichen jährlichen Stromverbrauch von der Zeit. 3.500 kWh geschätzt (vgl. BMWi, 2018). Kapazitätsreserve Vorstellbar ist, das Modell der Kapazitätsreserve Ein weiteres probates Mittel zur Vermeidung von auch auf andere systemrelevante Sektoren zu Engpässen kann sein, in Produktionskapazitäten übertragen. So könnten etwa Unternehmen der speziell für Krisenzeiten zu investieren, damit Textilbranche einen gewissen Anteil ihrer Pro- diese dann schnell hochgefahren werden kön- duktionskapazitäten vorhalten, um in Krisenzei- nen. Vorbild hierfür könnte die Elektrizitätswirt- ten sehr kurzfristig Atemschutzmasken herstellen schaft sein. zu können. Aus Sorge um etwaige Blackouts hat die Politik Die Bundesregierung könnte diese Kapazitäten Übertragungsnetzbetreiber verpflichtet, eine so- ähnlich dem Energiemarkt in einem wettbewerb- genannte Kapazitätsreserve außerhalb des lichen Verfahren ausschreiben. Sie müsste ga- Strommarktes vorzuhalten. In Extremsituationen, rantieren, die laufenden Kosten der Kapazitäten in denen das am Markt zur Verfügung stehende zu decken, die ja nicht für die Produktion am nor- Angebot an Strom den Bedarf nicht deckt, soll malen Markt eingesetzt werden können. Zusätz- sie als Notfallreserve einspringen. Am normalen lich müsste ein Aufschlag gewährt werden, um Strommarkt hingegen darf die Reserve nicht ein- die Opportunitätskosten einer anderweitigen Ver- gesetzt werden, um den Wettbewerb dort nicht wendung am freien Markt zu decken. zu verzerren. Sollte die Reserve in Krisenzeiten zum Einsatz Die Kapazitätsreserve ist technologieneutral. Bil- kommen, erhalten die Unternehmen eine Vergü- den können sie alle Kraftwerke, Speicher und tung in Höhe des Produktes aus dem Zuschlags- sonstige Lasten, die ihre Kapazität innerhalb von wert und der Gebotsmenge im Ausschreibungs- weniger als zwölf Stunden aktivieren können. verfahren. Eine solche Lösung könnte Wettbe- Derzeit bilden ausschließlich Gaskraftwerke die werbsverfahren nutzen, um günstig Kapazitäten Reservekapazität, da diese ihre Stromerzeugung vorzuhalten, ohne eine fortwährende staatliche flexibel regeln und – etwa im Gegensatz zu Koh- oder staatlich subventionierte Produktion zu lekraftwerken – schnell hochfahren können. schaffen, die den Wettbewerb verzerren könnte. In jedem Fall muss die gewählte Lösung letztlich Übertragungsnetzbetreiber schreiben die Anla- beihilferechtskonform sein, um den Wettbewerb gen in der Kapazitätsreserve alle zwei Jahre mit den anderen Unternehmen nicht zu verzer- wettbewerblich aus. Die Vergütung umfasst ei- ren. nen fixen Leistungspreis für den Wertverlust der Anlagen sowie die laufenden Kosten aus In- Grundsätzlich muss bei allen politischen Maß- standhaltung, Eigenstromverbrauch der Anlage nahmen die gesamte Lieferkette im Blick gehal- und Vorhaltung der Kapazitätsreserve. Zudem ten werden. Es hilft wenig, eine wie auch immer wird im Falle des tatsächlichen Einsatzes der Ka- geartete Bereitstellung des Endproduktes zu or- pazitätsreserve ein Arbeitspreis bezahlt, um die ganisieren, wenn wichtige Zwischenprodukte Seite 5
Zukunft Soziale Marktwirtschaft Policy Brief #2020/06 fehlen. Die Bundesregierung könnte etwa die Zudem besteht die Gefahr einer Interventions- Unternehmen in der Kapazitätsreserve verpflich- und Protektionsspirale. Gerade in Krisenzeiten ten, ihre gesamte Lieferkette offenzulegen, um versuchen Regierungen die Wettbewerbsfähig- die Störanfälligkeit entlang der Kette einschätzen keit ihrer Unternehmen durch tarifäre oder nicht und ihr eventuell entgegenwirken zu können. tarifäre Handelsbeschränkungen zu verbessern. Ein Beispiel für ein nicht tarifäres Handelshemm- nis sind Subventionen für produzierende Unter- Welche Rolle spielt die Industrie- nehmen im Inland im Rahmen von nationalen In- dustriepolitiken. Führen diese zu einer Benachtei- politik? ligung der ausländischen Konkurrenz, sind oft Ge- Die Notwendigkeit, eine Importsubstitutionsstrate- genmaßnahmen der dortigen Regierung zu er- gie bei bestimmten Produkten zu verfolgen, kann warten. Eine solche Interventions- und Protekti- wachsen, wenn ausländische Konkurrenzunter- onsspirale droht letztlich, eine rasche Erholung nehmen bereits staatliche Unterstützungen erhal- von der Wirtschaftskrise zu verzögern, wenn nicht ten. Wenn beispielsweise China im Rahmen der gar zu ersticken. Strategie „Made in China 2025“ Schlüsselindust- rien wie die Elektromobilität, die Robotertechnolo- Nach Mazzucato (2014) sind staatliche Interven- gie, die Biomedizin und andere Bereiche mit tionen jedoch insbesondere bei den sogenannten staatlich bereitgestellten Milliardenbeträgen för- Basistechnologien wichtig. Hierbei handelt es sich dert, ist es sehr wahrscheinlich, dass deutsche um Technologien, die sich in vielen Wirtschafts- Unternehmen in diesen Bereichen ohne eine ähn- sektoren ausbreiten, die im Lauf der Zeit immer liche staatliche Unterstützung den Anschluss ver- besser und zudem günstiger werden und die ih- lieren. Gleiches gilt, wenn die USA durch den Ein- rerseits die Erfindung und Herstellung neuer Pro- satz staatlicher Agenturen und Behörden (z. B. dukte und Verfahren erleichtern. Investitionen in NSF – National Science Foundation und DARPA die Entwicklung von Basistechnologien zeichnen – Defense Advanced Research Projects Agency) sich dadurch aus, dass die Unsicherheit bezüglich die Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen des wirtschaftlichen Erfolges sehr groß ist und es Sektor, Privatunternehmen und Forschungszen- zehn bis 20 Jahre dauern kann, bis die Marktreife tren sowie die staatliche Nachfrage nach Techno- erreicht wird und Gewinne erzielt werden können. logien fördern und so die Innovationsfähigkeit der Private Unternehmen sind zu Investitionen in sol- amerikanischen Unternehmen verbessern. che Technologien nicht immer bereit (vgl. Maz- zucato, 2014, S. 85, 112). Bei aller berechtigten Kritik an einer vertikalen In- dustriepolitik, die ausgesuchte Industriebranchen oder gar einzelne Unternehmen aktiv fördert, wird sich eine Reduzierung der Abhängigkeit von aus- Europäische Lösung ländischen Unternehmen in gesellschaftlich zent- Grundsätzlich scheint es zudem wenig hilfreich, ralen Bereichen nicht erreichen lassen, wenn öko- sich bei systemrelevanten Gütern allein auf nati- nomische Schwergewichte wie China und die onale Lösungen zu verlassen. Auch Deutschland USA in diesen Sektoren eine solche Industriepoli- kann von Naturkatastrophen oder Epidemien ge- tik betreiben. troffen werden, sodass die Produktion auch hier- zulande ausfallen könnte. Ist das Vertrauen in in- Allerdings ist auch das Risiko, mit Steuermitteln ternationale Lieferketten gegenwärtig beschä- erhebliche Fehlinvestitionen zu tätigen, nicht von digt, so sollte eine Produktion von systemrele- der Hand zu weisen. Zudem ist zu bedenken, vanten Gütern zumindest EU-weit koordiniert dass das Erfolgsmodell der deutschen Wirtschaft werden. bisher auf internationaler Arbeitsteilung und Wett- bewerb beruhte, nicht aber auf Autarkie und Ab- Das hätte mehrere Vorteile. Zum einen kann schottung. Hier gilt es eine Balance zu finden zwi- eine dezentrale Produktion auf mehrere Stand- schen dem Risiko der Abhängigkeit einerseits und orte das Risiko von Produktionsausfällen diversi- dem Risiko von staatlichen Fehlinvestitionen an- fizieren. Zum anderen ist es wenig effizient, dererseits. Seite 6
Zukunft Soziale Marktwirtschaft Policy Brief #2020/06 wenn alle 27 EU-Staaten jeweils ihre eigene nati- forderlich sein. Da die entsprechenden Maßnah- onale Produktion aufbauen, insbesondere dann, men eine Absicherung gegen unvorhersehbare wenn die Produktion mit hohen Fixkosten einher- Risiken sind, handelt es sich um eine gesamtge- geht, die sich kaum amortisieren lassen. sellschaftliche Aufgabe, die aus Steuermitteln fi- nanziert werden sollte. Die Bereitstellung sollte in Eine Allokation der Ressourcen auf wenige euro- einem transparenten und wettbewerblichen Ver- päische Partnerstaaten würde Skalen- und Spe- fahren organisiert werden, um die Steuerbelas- zialisierungsvorteile in der Produktion besser tung möglichst gering zu halten. ausnutzen und somit die Produktionskosten im Vergleich zu einer rein nationalen Produktion Sofern die Unternehmen Subventionen erhalten, verringern. Und letztlich lassen sich in der EU e- ist darauf zu achten, dass diese beihilferechts- her rechtlich bindende Verträge schließen, als konform und mit den Regeln des internationalen das mit Drittstaaten möglich ist. Handels und der WTO kompatibel sind. Wie sollten zusätzliche Kosten fi- Fazit nanziert werden? Die Corona-Pandemie hat die Zerbrechlichkeit Eine verminderte Abhängigkeit von importierten von internationalen Lieferketten offenbart. Ge- Vorleistungen oder Endprodukten ist unweiger- rade bei wichtigen Medizinprodukten herrschte lich mit höheren Preisen für die betreffenden teils ein dramatischer Mangel. Doch auch der Produkte verbunden. Der Kostenvorteil war ja Nachschub vieler Vor- und Zwischenprodukte in gerade der Grund, auf Importe statt auf eine hei- der Industrie kam teilweise zum Erliegen. mische Produktion zu setzen: Ökonomische Un- Gegenwärtig wird diskutiert, wie die Resilienz ge- abhängigkeit hat einen Preis. gen Krisen wie die Corona-Krise erhöht werden Damit stellt sich die Frage, wer diesen Preisun- kann. In diesem Beitrag haben wir Optionen dis- terschied zahlt. Bei Produkten, die von der Pri- kutiert. Zu Teilen hat der Markt selbst eine Reak- vatwirtschaft für private Verbraucher:innen ange- tion gezeigt, und Unternehmen haben ihre Pro- boten werden, erfolgt keine staatliche Interven- duktion rasch dem veränderten Bedarf ange- tion. Entweder sind die Kund:innen bereit, einen passt. In anderen Fällen werden in Zukunft flan- höheren Preis zu bezahlen, oder die Unterneh- kierende staatliche Lösungen notwendig sein. men müssen diese Kosten tragen und ihre Ge- Gemein ist allen Lösungen: Eine verminderte Ab- winnmargen reduzieren. Da die Unternehmen in hängigkeit von Importen hat ihren Preis. Eine wie einem weltweiten Wettbewerb stehen, ist es auch immer geartete Produktion in Deutschland durchaus möglich, dass nach dem Ende der und Europa ist in aller Regel teurer als beispiels- Corona-Pandemie kurzfristig keine oder nur ge- weise in Asien. Es muss also diskutiert werden, ringe Anpassungen bei den Lieferbeziehungen für welche Produkte man in Zukunft bereit ist, erfolgen, weil der Konkurrenzdruck gar keine hö- mehr zu bezahlen. heren Produktionskosten erlaubt. Wahrscheinlicher ist, dass die Unternehmen durch technologische Anpassungen versuchen, ihre Abhängigkeit von Importen mittelfristig zu verringern, indem sie die betreffenden Produkte mithilfe von technologischen Innovationen und entsprechenden Produktivitätssteigerungen kos- tengünstiger herstellen. Bei Produkten, die aus Sicht der Gesellschaft es- senziell sind, wird eine staatliche Flankierung er- Seite 7
Zukunft Soziale Marktwirtschaft Policy Brief #2020/06 Literatur V. i. S. d. P. Bertelsmann Stiftung (2020): Globalisierungsre- port 2020. Gütersloh. Bertelsmann Stiftung Carl-Bertelsmann-Straße 256 BMWi – Bundesministerium für Wirtschaft und D-33311 Gütersloh Energie (2018): Verordnung zur Regelung des Verfahrens der Beschaffung, des Einsatzes und der Abrechnung der Kapazitätsreserve. Referen- Armando Garcia Schmidt tenentwurf. Berlin. Telefon: +49 5241 81-81543 armando.garciaschmidt@bertels- Bundestag (2013): Bericht zur Risikoanalyse im mann- stiftung.de Bevölkerungsschutz 2012. Drucksache 17/12051. Berlin. Dr. Thieß Petersen Telefon: +49 5241 81-81218 Ernst & Young (2019): Deutsche Unternehmen thiess.petersen@bertelsmann-stif- büßen Vorreiterrolle bei 3D-Druck ein. tung.de Pressemitteilung, Stuttgart. Eurostat (2018): Production and international Eric Thode trade in high-tech products. https://ec.eu- Telefon: +49 5241 81-81581 ropa.eu/eurostat/statistics-explained/in- eric.thode@bertelsmann-stiftung.de dex.php?title=Production_and_internatio- nal_trade_in_high-tech_products. Mazzucato, M. (2014): Das Kapital des Staates: Titelbild: © klaushh – pixabay.com Eine andere Geschichte von Innovation und Wachstum. München. Monopolkommission (2019): Wettbewerb mit Autoren | Kontakte neuer Energie. 7. Sektorgutachten Energie. Prof. Dr. Justus Haucap Bonn. Düsseldorf Institute for Competition Eco- nomics (DICE) Petersen, T. (2019). How 3D printing technology Telefon: +49 211 811 5494 could change world trade. Bertelsmann Stiftung. justus.haucap@dice.hhu.de Gütersloh. Dr. Thieß Petersen Petersen, T. (2020): Optimale internationale Ar- Programm Megatrends beitsteilung. Wirtschaftsdienst, 100, 4, S. 291– Bertelsmann Stiftung 293. Telefon: +49 5241 81-81218 thieß.petersen@bertelsmann-stiftung.de Peterson Institute for International Economics (2020): China should export more medical gear Dr. Torben Stühmeier to battle COVID-19. Trade and investment policy Programm Nachhaltig Wirtschaften Bertelsmann Stiftung watch. Washington. Telefon: +49 5241 81-81432 torben.stuehmeier@bertelsmann-stiftung.de ISSN: 2191-2459 Seite 8
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