Zukunft Soziale Marktwirtschaft - Bertelsmann Stiftung

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Zukunft Soziale Marktwirtschaft - Bertelsmann Stiftung
Zukunft Soziale Marktwirtschaft

                                      Policy Brief #2020/06

                    Justus Haucap, Thieß Petersen, Torben Stühmeier

          Resilienz internationaler Lieferketten

 Die Corona-Pandemie hat internationale Lieferketten schwer getroffen. Wie können
 Wertschöpfungsketten krisenfester gemacht werden? Braucht Deutschland eine ver-
              stärkt heimische Produktion von bestimmten Gütern?

Ausgehend von den ersten Produktionsausfällen       Das hat eine generelle Debatte über die Krisen-
in China zu Beginn des Jahres, ist die Produktion   festigkeit von globalen Lieferketten ausgelöst.
auch hierzulande vielerorts zum Erliegen gekom-     Braucht Deutschland für bestimmte Güter wieder
men. In zahlreichen Branchen fehlten wichtige       eine verstärkt heimische Produktion, um in Kri-
Bauteile und Vorprodukte aus dem für die EU         senzeiten besser gewappnet zu sein?
und Deutschland wichtigsten Lieferland. Doch
auch die Grenzschließungen innerhalb Europas        Die bisherige internationale Arbeitsteilung basiert
haben den Waren- und Wirtschaftsverkehr er-         stark darauf, Produktionsorte dort anzusiedeln,
heblich gebremst.                                   wo die Kosten am niedrigsten sind (siehe Abb.
                                                    1). Insbesondere die Produktion von arbeitsin-
Aufgrund der immer schwierigeren Versorgungs-       tensiven und standardisierten Gütern wurde in
lage mussten nahezu alle Unternehmen der Au-        Niedriglohnländer verlagert oder ganz an Firmen
tomobilindustrie ihre europäischen Werke zeit-      in Fernost ausgelagert (Globales Outsourcing).
weise schließen. Doch wohl am dramatischsten        Durch die Beschränkung auf wenige Zulieferbe-
zeigten sich die Versorgungslücken im Medizin-      triebe (Single Sourcing) konnten Unternehmen
sektor. Zu Beginn der ersten Welle fehlte es an     hierzulande von Skalenerträgen der dortigen
vielem, um das medizinische und pflegerische        Produktion profitieren. Weiterhin wurden Lager-
Personal vor Ansteckung mit dem Virus zu            haltungskosten häufig durch eine Just-in-time-
schützen. Atemschutzmasken waren ebenso             Produktion eingespart.
Mangelware wie Schutzmäntel und Desinfekti-
onsmittel.

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Zukunft Soziale Marktwirtschaft Policy Brief #2020/06

Im Jahr 2019 war China mit einem Importanteil
von zehn Prozent das für Deutschland wichtigste       Doch genau diese Spezialisierung führt auch zu
Lieferland (siehe Abb. 2). In vielen Branchen ist     Abhängigkeiten, die in Krisenzeiten die gesamte
die Abhängigkeit von chinesischen Importen be-        Lieferkette zum Erliegen bringen und zu Versor-
sonders hoch, so zum Beispiel in der Elektro-         gungsengpässen führen können. Die Vorteile der
und Telekommunikationsindustrie. Dort stammt          Spezialisierung werden gegenwärtig gegen die
rund ein Drittel aller Bauteile aus der Volksrepub-   offenbar gewordenen Abhängigkeiten neu aufge-
lik (vgl. Eurostat, 2018). Noch größer war die Ab-    wogen. Diese Abwägung wirft eine Reihe von
hängigkeit – zumindest bei Beginn der Pandemie        Fragen auf, die wir in diesem Policy Brief erör-
– bei den dringend benötigten Atemschutzmas-          tern.
ken. Fast 60 Prozent der weltweit produzierten
Masken werden in China hergestellt, so das Pe-
terson Institute for International Economics
(2020).                                               Welche Güter sind als relevant zu
                                                      klassifizieren?
Grundsätzlich bringt die internationale Arbeitstei-   Wenn diskutiert wird, ob Deutschland für be-
lung eine Reihe von Vorteilen für die beteiligten
                                                      stimmte Güter wieder eine verstärkt heimische
Volkswirtschaften mit sich (vgl. Petersen, 2020,
                                                      Produktion benötigt, ist zunächst zu klären, wel-
und Bertelsmann Stiftung, 2020). Die Spezialisie-
                                                      che Güter das sein sollen. Aufgrund der hohen
rung auf Güter, bei deren Produktion ein Land
                                                      Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von Im-
Kostenvorteile hat – wie etwa China bei den Ar-
                                                      porten betreffen die Produktionsausfälle zahlrei-
beitskosten –, fördert das Wirtschaftswachstum
                                                      che Branchen. Atemschutzmasken fehlten
und steigert die Einkommen der Bürger:innen.
Die grenzüberschreitende Mobilität von Produkti-      ebenso wie elektronische Bauteile für die Auto-
onsfaktoren sorgt für eine optimale Faktoralloka-     mobil- und für die Elektro- und Telekommunikati-
tion und bewirkt somit Produktivitäts- und            onsindustrie.
Wachstumssteigerungen. Der internationale
Wettbewerb fördert Innovationen und Produktivi-       In der jetzigen Krise scheinen vor allem medizini-
tät. Schließlich erlaubt die Produktion für einen     sche Schutzausrüstungen Teil eines möglichen
größeren Markt die Ausnutzung von Größenvor-          Kataloges systemrelevanter Güter zu sein. Wel-
teilen mit entsprechenden Reduzierungen der           che Güter in zukünftigen Krisen dazugehören, ist
Stückkosten und damit auch der Marktpreise.

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Zukunft Soziale Marktwirtschaft Policy Brief #2020/06

jedoch nur schwer vorherzusehen. Es muss poli-        Teil bedarf es flankierender staatlicher Maßnah-
tisch diskutiert und entschieden werden, welche       men.
Güter für die Daseinsfürsorge so wichtig sind,
dass eine (Mindest-)Bereitstellung in Deutsch-        Marktwirtschaftliche Instrumente
land organisiert und finanziert wird.                 Grundsätzlich versuchen Unternehmen in einer
                                                      Marktwirtschaft schon immer und allein aus be-
Hierfür bedarf es eines klaren und transparenten      triebswirtschaftlichem Kalkül, die Abhängigkeiten
Kriterienkataloges, um der Gefahr der politischen     nicht zu groß werden zu lassen. So können sie
oder sonstigen interessengetriebenen Einfluss-        Engpässe bei bestimmten zuliefernden Unter-
nahme entgegenzuwirken. Wichtige Hilfestellung        nehmen durch andere Beschaffungsquellen
können Expert:innen liefern. So hat das Robert        kompensieren und in Preisverhandlungen ihre
Koch-Institut bereits im Jahr 2012 in einer Risiko-   Verhandlungsmacht gegenüber einzelnen Zulie-
analyse eine Pandemie mit SARS-CoV model-             ferfirmen erhöhen, wenn alternative Bezugsquel-
liert und auf Engpässe bei Arzneimitteln, Medi-       len bestehen.
zinprodukten, persönlichen Schutzausrüstungen
und Desinfektionsmitteln hingewiesen und somit        Angebotssubstitution
die derzeitige schwierige Versorgungslage vor-        In Teilen hat der Markt zudem selbst bereits Ant-
hergesehen (vgl. Bundestag, 2013).                    worten auf die Lieferengpässe geliefert. Unter-
                                                      nehmen der Textilbranche haben ihre Produktion
                                                      recht rasch auf Atemschutzmasken und Schutz-
Wie kann eine Versorgung mit sys-                     ausrüstungen umgestellt, Chemie- und Geträn-
                                                      keunternehmen verwenden hochprozentigen Al-
temrelevanten Gütern organisiert
                                                      kohol zur Herstellung von Desinfektionsmitteln.
werden?
Die derzeitige Krise zeigt, dass eine zu starke       Allerdings ist eine solch rasche Anpassung der
Konzentration in der Produktion auf wenige An-        Produktion nur in wenigen Fällen zu erwarten.
bieterfirmen zu Versorgungsengpässen führen           Der Schritt von den Spirituosen zum Desinfekti-
kann, die die gesamte Wertschöpfungskette zum         onsmittel scheint kurz. In vielen anderen Berei-
Erliegen bringen können. Einen Teil der Lösung        chen ist die Umstellung deutlich zeitintensiver.
wird der Markt liefern können, für einen anderen      Und Zeit ist in einer Krise der limitierende Faktor.

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Zukunft Soziale Marktwirtschaft Policy Brief #2020/06

Know-how über Produktionsabläufe muss er-            Als sogenanntes additives Produktionsverfahren
langt, Arbeitnehmer:innen müssen für neue Tä-        setzt der 3D-Druck Materialien schichtweise zu-
tigkeiten geschult, neue Maschinen und Werk-         sammen. Es wird also nur der Materialinput ein-
zeuge müssen beschafft werden.                       gesetzt, der am Ende auch in das hergestellte
                                                     Produkt einfließt, sodass sich der Ressourcen-
Direktinvestitionen                                  einsatz – und damit wiederum die Abhängigkeit
Denkbar wäre auch, dass deutsche Unterneh-           von importierten Rohstoffen – erheblich reduzie-
men in Zukunft mehr Direktinvestitionen in den       ren lässt (vgl. Petersen, 2019).
Ländern tätigen, in denen diese Produkte gegen-
wärtig hergestellt werden. Dabei könnte versucht     Bei der Anwendung in der Industrie werden die
werden, Anteile der betreffenden Unternehmen         deutschen Unternehmen aber derzeit von der
zu erwerben, um so einen besseren – sprich si-       Konkurrenz überholt. Gerade in China wird die
chereren – Zugriff auf deren Produktion zu erhal-    3D-Fertigung als eine der klaren Prioritäten in
ten.                                                 der wirtschaftspolitischen Strategie festgelegt. „In
                                                     Deutschland wird noch viel getestet – in die An-
Ist dies nicht möglich, könnte der Aufbau von        wendung für Endprodukte sind die hiesigen Un-
Produktionskapazitäten in den Ländern, die jetzt     ternehmen noch nicht so stark eingestiegen wie
Preis- und Wettbewerbsvorteile bei der Herstel-      beispielsweise die asiatischen. Das liegt teil-
lung besitzen, in Erwägung gezogen werden. In        weise auch an einer generellen Skepsis und Zu-
diesem Fall würde ein Mittelweg zwischen Effizi-     rückhaltung in Deutschland, was neue Technolo-
enz und Risikoreduzierung gewählt: Der Preis-        gien angeht.“ (EY, 2019). Die Krise könnte nun
vorteil in der Produktion bliebe erhalten (abgese-   die Gelegenheit bieten, diese Zurückhaltung auf-
hen von Skalenerträgen, die bei einer verringer-     zugeben und verstärkt in digitale Prozesse zu in-
ten Produktion für den eigenen Bedarf geringer       vestieren.
ausfallen), und durch das Eigentum an den Pro-
duktionsanlagen ist der Zugriff auf die dort her-    Politische Instrumente
gestellten Produkte gesichert.                       Angesichts der Unsicherheiten hinsichtlich der
                                                     Länge einer Krise und der Entwicklung der Nach-
Das Risiko von Produktionsschließungen in Kri-       frage werden Unternehmen unter Umständen
senzeiten bliebe jedoch bestehen. Darüber hin-       den Aufwand scheuen, eine eigene Produktion
aus verbliebe auch die Abhängigkeit von funktio-     systemrelevanter Güter zu organisieren, wenn
nierenden Transportwegen zwischen Herstel-           Kosten und Nutzen der Produktionsumstellung
lungsland und den in Deutschland angesiedelten       nur schwer abzuschätzen sind. Daher wird es
Unternehmen. Das betrifft sowohl die Funktions-      der Markt allein an vielen Stellen nicht richten
fähigkeit der dafür erforderlichen Infrastruktur     können. Von politischer Seite ist aus unserer
(also geöffnete Häfen und Flughäfen, intakte         Sicht ein Portfolio an unterschiedlichen Maßnah-
Schienen- und Straßenverbindungen) als auch          men nötig.
die rechtlich-politische Rahmensetzung im Land
der getätigten Investitionen (also den Verzicht      Vorratshaltung
auf Exportverbote, Ausfuhrzölle etc. auch in Kri-    Bei nicht verderblichen Gütern könnten größere
senzeiten).                                          Vorräte vorgehalten werden, auf die in Krisenzei-
                                                     ten sehr kurzfristig zugegriffen werden kann. In
Digitalisierung                                      der Praxis findet das zum Teil bereits statt. In
Auch die Digitalisierung kann helfen, einen Teil     Deutschland muss die Ölbranche per Gesetz
der Abhängigkeit von den internationalen Liefer-     eine strategische Reserve für etwa 90 Tage vor-
ketten zu reduzieren und etwa die Fertigungs-        halten, um Engpässe bei der Versorgung zu
tiefe zu erhöhen. So können Unternehmen ein-         überbrücken. Gespeichert werden diese Vorräte
zelne Bauteile bereits heute per 3D-Druck selbst     in unterschiedlichen Lagern über das Land ver-
herstellen.                                          teilt. Das Bundeswirtschaftsministerium entschei-
                                                     det, wann wie viel dieser Reserve freigegeben
                                                     wird. Zuletzt geschah dieses 2018, als die Fluss-

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Zukunft Soziale Marktwirtschaft Policy Brief #2020/06

pegel von Rhein und Mosel so stark gefallen wa-      variablen Kosten etwa für den Brennstoff oder
ren, dass der Nachschub über die Wasserwege          die Emissionsrechte zu decken. Den Zuschlag
stockte. Ansonsten wird diese Reserve nur bei        für die Kapazitätsreserve sollte erhalten, wer die
Naturkatastrophen oder internationalen Konflik-      günstigste Kombination aus Arbeits- und Leis-
ten, wie dem Golfkrieg, angezapft.                   tungspreis anbietet (vgl. etwa Monopolkommis-
                                                     sion, 2019).
Die Vorratshaltung kann unserer Ansicht nach je-
doch nur ein Baustein sein. Zum einen ist der        Die Kosten der Kapazitätsreserve werden auf die
Bedarf nicht präzise vorherzusehen, sodass un-       Netzentgelte und somit letztlich auf die Endver-
klar ist, wie groß die Vorräte sein sollten. Zum     braucher:innen umgelegt. Der Anstieg der Netz-
anderen haben viele Güter – anders als Öl – nur      entgelte wird auf etwa 0,01 bis 0,02 ct/kWh bzw.
eine begrenzte Haltbarkeit. Sie altern oder sind     etwa 0,35 bis 0,70 € bezogen auf einen durch-
irgendwann technisch nicht mehr auf dem Stand        schnittlichen jährlichen Stromverbrauch von
der Zeit.                                            3.500 kWh geschätzt (vgl. BMWi, 2018).

Kapazitätsreserve                                    Vorstellbar ist, das Modell der Kapazitätsreserve
Ein weiteres probates Mittel zur Vermeidung von      auch auf andere systemrelevante Sektoren zu
Engpässen kann sein, in Produktionskapazitäten       übertragen. So könnten etwa Unternehmen der
speziell für Krisenzeiten zu investieren, damit      Textilbranche einen gewissen Anteil ihrer Pro-
diese dann schnell hochgefahren werden kön-          duktionskapazitäten vorhalten, um in Krisenzei-
nen. Vorbild hierfür könnte die Elektrizitätswirt-   ten sehr kurzfristig Atemschutzmasken herstellen
schaft sein.                                         zu können.

Aus Sorge um etwaige Blackouts hat die Politik       Die Bundesregierung könnte diese Kapazitäten
Übertragungsnetzbetreiber verpflichtet, eine so-     ähnlich dem Energiemarkt in einem wettbewerb-
genannte Kapazitätsreserve außerhalb des             lichen Verfahren ausschreiben. Sie müsste ga-
Strommarktes vorzuhalten. In Extremsituationen,      rantieren, die laufenden Kosten der Kapazitäten
in denen das am Markt zur Verfügung stehende         zu decken, die ja nicht für die Produktion am nor-
Angebot an Strom den Bedarf nicht deckt, soll        malen Markt eingesetzt werden können. Zusätz-
sie als Notfallreserve einspringen. Am normalen      lich müsste ein Aufschlag gewährt werden, um
Strommarkt hingegen darf die Reserve nicht ein-      die Opportunitätskosten einer anderweitigen Ver-
gesetzt werden, um den Wettbewerb dort nicht         wendung am freien Markt zu decken.
zu verzerren.
                                                     Sollte die Reserve in Krisenzeiten zum Einsatz
Die Kapazitätsreserve ist technologieneutral. Bil-   kommen, erhalten die Unternehmen eine Vergü-
den können sie alle Kraftwerke, Speicher und         tung in Höhe des Produktes aus dem Zuschlags-
sonstige Lasten, die ihre Kapazität innerhalb von    wert und der Gebotsmenge im Ausschreibungs-
weniger als zwölf Stunden aktivieren können.         verfahren. Eine solche Lösung könnte Wettbe-
Derzeit bilden ausschließlich Gaskraftwerke die      werbsverfahren nutzen, um günstig Kapazitäten
Reservekapazität, da diese ihre Stromerzeugung       vorzuhalten, ohne eine fortwährende staatliche
flexibel regeln und – etwa im Gegensatz zu Koh-      oder staatlich subventionierte Produktion zu
lekraftwerken – schnell hochfahren können.           schaffen, die den Wettbewerb verzerren könnte.
                                                     In jedem Fall muss die gewählte Lösung letztlich
Übertragungsnetzbetreiber schreiben die Anla-        beihilferechtskonform sein, um den Wettbewerb
gen in der Kapazitätsreserve alle zwei Jahre         mit den anderen Unternehmen nicht zu verzer-
wettbewerblich aus. Die Vergütung umfasst ei-        ren.
nen fixen Leistungspreis für den Wertverlust der
Anlagen sowie die laufenden Kosten aus In-           Grundsätzlich muss bei allen politischen Maß-
standhaltung, Eigenstromverbrauch der Anlage         nahmen die gesamte Lieferkette im Blick gehal-
und Vorhaltung der Kapazitätsreserve. Zudem          ten werden. Es hilft wenig, eine wie auch immer
wird im Falle des tatsächlichen Einsatzes der Ka-    geartete Bereitstellung des Endproduktes zu or-
pazitätsreserve ein Arbeitspreis bezahlt, um die     ganisieren, wenn wichtige Zwischenprodukte

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Zukunft Soziale Marktwirtschaft Policy Brief #2020/06

fehlen. Die Bundesregierung könnte etwa die             Zudem besteht die Gefahr einer Interventions-
Unternehmen in der Kapazitätsreserve verpflich-         und Protektionsspirale. Gerade in Krisenzeiten
ten, ihre gesamte Lieferkette offenzulegen, um          versuchen Regierungen die Wettbewerbsfähig-
die Störanfälligkeit entlang der Kette einschätzen      keit ihrer Unternehmen durch tarifäre oder nicht
und ihr eventuell entgegenwirken zu können.             tarifäre Handelsbeschränkungen zu verbessern.
                                                        Ein Beispiel für ein nicht tarifäres Handelshemm-
                                                        nis sind Subventionen für produzierende Unter-
Welche Rolle spielt die Industrie-                      nehmen im Inland im Rahmen von nationalen In-
                                                        dustriepolitiken. Führen diese zu einer Benachtei-
politik?                                                ligung der ausländischen Konkurrenz, sind oft Ge-
Die Notwendigkeit, eine Importsubstitutionsstrate-      genmaßnahmen der dortigen Regierung zu er-
gie bei bestimmten Produkten zu verfolgen, kann         warten. Eine solche Interventions- und Protekti-
wachsen, wenn ausländische Konkurrenzunter-             onsspirale droht letztlich, eine rasche Erholung
nehmen bereits staatliche Unterstützungen erhal-        von der Wirtschaftskrise zu verzögern, wenn nicht
ten. Wenn beispielsweise China im Rahmen der            gar zu ersticken.
Strategie „Made in China 2025“ Schlüsselindust-
rien wie die Elektromobilität, die Robotertechnolo-     Nach Mazzucato (2014) sind staatliche Interven-
gie, die Biomedizin und andere Bereiche mit             tionen jedoch insbesondere bei den sogenannten
staatlich bereitgestellten Milliardenbeträgen för-      Basistechnologien wichtig. Hierbei handelt es sich
dert, ist es sehr wahrscheinlich, dass deutsche         um Technologien, die sich in vielen Wirtschafts-
Unternehmen in diesen Bereichen ohne eine ähn-          sektoren ausbreiten, die im Lauf der Zeit immer
liche staatliche Unterstützung den Anschluss ver-       besser und zudem günstiger werden und die ih-
lieren. Gleiches gilt, wenn die USA durch den Ein-      rerseits die Erfindung und Herstellung neuer Pro-
satz staatlicher Agenturen und Behörden (z. B.          dukte und Verfahren erleichtern. Investitionen in
NSF – National Science Foundation und DARPA             die Entwicklung von Basistechnologien zeichnen
– Defense Advanced Research Projects Agency)            sich dadurch aus, dass die Unsicherheit bezüglich
die Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen            des wirtschaftlichen Erfolges sehr groß ist und es
Sektor, Privatunternehmen und Forschungszen-            zehn bis 20 Jahre dauern kann, bis die Marktreife
tren sowie die staatliche Nachfrage nach Techno-        erreicht wird und Gewinne erzielt werden können.
logien fördern und so die Innovationsfähigkeit der      Private Unternehmen sind zu Investitionen in sol-
amerikanischen Unternehmen verbessern.                  che Technologien nicht immer bereit (vgl. Maz-
                                                        zucato, 2014, S. 85, 112).
Bei aller berechtigten Kritik an einer vertikalen In-
dustriepolitik, die ausgesuchte Industriebranchen
oder gar einzelne Unternehmen aktiv fördert, wird
sich eine Reduzierung der Abhängigkeit von aus-
                                                        Europäische Lösung
ländischen Unternehmen in gesellschaftlich zent-        Grundsätzlich scheint es zudem wenig hilfreich,
ralen Bereichen nicht erreichen lassen, wenn öko-       sich bei systemrelevanten Gütern allein auf nati-
nomische Schwergewichte wie China und die               onale Lösungen zu verlassen. Auch Deutschland
USA in diesen Sektoren eine solche Industriepoli-       kann von Naturkatastrophen oder Epidemien ge-
tik betreiben.                                          troffen werden, sodass die Produktion auch hier-
                                                        zulande ausfallen könnte. Ist das Vertrauen in in-
Allerdings ist auch das Risiko, mit Steuermitteln       ternationale Lieferketten gegenwärtig beschä-
erhebliche Fehlinvestitionen zu tätigen, nicht von      digt, so sollte eine Produktion von systemrele-
der Hand zu weisen. Zudem ist zu bedenken,              vanten Gütern zumindest EU-weit koordiniert
dass das Erfolgsmodell der deutschen Wirtschaft         werden.
bisher auf internationaler Arbeitsteilung und Wett-
bewerb beruhte, nicht aber auf Autarkie und Ab-         Das hätte mehrere Vorteile. Zum einen kann
schottung. Hier gilt es eine Balance zu finden zwi-     eine dezentrale Produktion auf mehrere Stand-
schen dem Risiko der Abhängigkeit einerseits und        orte das Risiko von Produktionsausfällen diversi-
dem Risiko von staatlichen Fehlinvestitionen an-        fizieren. Zum anderen ist es wenig effizient,
dererseits.

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Zukunft Soziale Marktwirtschaft Policy Brief #2020/06

wenn alle 27 EU-Staaten jeweils ihre eigene nati-     forderlich sein. Da die entsprechenden Maßnah-
onale Produktion aufbauen, insbesondere dann,         men eine Absicherung gegen unvorhersehbare
wenn die Produktion mit hohen Fixkosten einher-       Risiken sind, handelt es sich um eine gesamtge-
geht, die sich kaum amortisieren lassen.              sellschaftliche Aufgabe, die aus Steuermitteln fi-
                                                      nanziert werden sollte. Die Bereitstellung sollte in
Eine Allokation der Ressourcen auf wenige euro-       einem transparenten und wettbewerblichen Ver-
päische Partnerstaaten würde Skalen- und Spe-         fahren organisiert werden, um die Steuerbelas-
zialisierungsvorteile in der Produktion besser        tung möglichst gering zu halten.
ausnutzen und somit die Produktionskosten im
Vergleich zu einer rein nationalen Produktion         Sofern die Unternehmen Subventionen erhalten,
verringern. Und letztlich lassen sich in der EU e-    ist darauf zu achten, dass diese beihilferechts-
her rechtlich bindende Verträge schließen, als        konform und mit den Regeln des internationalen
das mit Drittstaaten möglich ist.                     Handels und der WTO kompatibel sind.

Wie sollten zusätzliche Kosten fi-                    Fazit
nanziert werden?                                      Die Corona-Pandemie hat die Zerbrechlichkeit
Eine verminderte Abhängigkeit von importierten        von internationalen Lieferketten offenbart. Ge-
Vorleistungen oder Endprodukten ist unweiger-         rade bei wichtigen Medizinprodukten herrschte
lich mit höheren Preisen für die betreffenden         teils ein dramatischer Mangel. Doch auch der
Produkte verbunden. Der Kostenvorteil war ja          Nachschub vieler Vor- und Zwischenprodukte in
gerade der Grund, auf Importe statt auf eine hei-     der Industrie kam teilweise zum Erliegen.
mische Produktion zu setzen: Ökonomische Un-
                                                      Gegenwärtig wird diskutiert, wie die Resilienz ge-
abhängigkeit hat einen Preis.
                                                      gen Krisen wie die Corona-Krise erhöht werden
Damit stellt sich die Frage, wer diesen Preisun-      kann. In diesem Beitrag haben wir Optionen dis-
terschied zahlt. Bei Produkten, die von der Pri-      kutiert. Zu Teilen hat der Markt selbst eine Reak-
vatwirtschaft für private Verbraucher:innen ange-     tion gezeigt, und Unternehmen haben ihre Pro-
boten werden, erfolgt keine staatliche Interven-      duktion rasch dem veränderten Bedarf ange-
tion. Entweder sind die Kund:innen bereit, einen      passt. In anderen Fällen werden in Zukunft flan-
höheren Preis zu bezahlen, oder die Unterneh-         kierende staatliche Lösungen notwendig sein.
men müssen diese Kosten tragen und ihre Ge-
                                                      Gemein ist allen Lösungen: Eine verminderte Ab-
winnmargen reduzieren. Da die Unternehmen in
                                                      hängigkeit von Importen hat ihren Preis. Eine wie
einem weltweiten Wettbewerb stehen, ist es
                                                      auch immer geartete Produktion in Deutschland
durchaus möglich, dass nach dem Ende der
                                                      und Europa ist in aller Regel teurer als beispiels-
Corona-Pandemie kurzfristig keine oder nur ge-
                                                      weise in Asien. Es muss also diskutiert werden,
ringe Anpassungen bei den Lieferbeziehungen
                                                      für welche Produkte man in Zukunft bereit ist,
erfolgen, weil der Konkurrenzdruck gar keine hö-
                                                      mehr zu bezahlen.
heren Produktionskosten erlaubt.

Wahrscheinlicher ist, dass die Unternehmen
durch technologische Anpassungen versuchen,
ihre Abhängigkeit von Importen mittelfristig zu
verringern, indem sie die betreffenden Produkte
mithilfe von technologischen Innovationen und
entsprechenden Produktivitätssteigerungen kos-
tengünstiger herstellen.

Bei Produkten, die aus Sicht der Gesellschaft es-
senziell sind, wird eine staatliche Flankierung er-

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Literatur                                               V. i. S. d. P.
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                                                        D-33311 Gütersloh
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                                                        Telefon: +49 5241 81-81543
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                                                        Telefon: +49 5241 81-81218
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büßen Vorreiterrolle bei 3D-Druck ein.
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Eine andere Geschichte von Innovation und
Wachstum. München.

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neuer Energie. 7. Sektorgutachten Energie.
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Bonn.
                                                          Düsseldorf Institute for Competition Eco-
                                                          nomics (DICE)
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                                                          Telefon: +49 211 811 5494
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                                                          justus.haucap@dice.hhu.de
Gütersloh.
                                                          Dr. Thieß Petersen
Petersen, T. (2020): Optimale internationale Ar-          Programm Megatrends
beitsteilung. Wirtschaftsdienst, 100, 4, S. 291–          Bertelsmann Stiftung
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                                                          thieß.petersen@bertelsmann-stiftung.de
Peterson Institute for International Economics
(2020): China should export more medical gear             Dr. Torben Stühmeier
to battle COVID-19. Trade and investment policy           Programm Nachhaltig Wirtschaften
                                                          Bertelsmann Stiftung
watch. Washington.
                                                          Telefon: +49 5241 81-81432
                                                          torben.stuehmeier@bertelsmann-stiftung.de

                                                          ISSN: 2191-2459

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