Zusammenhang von Tonaudiogramm und Sprachaudiogramm bei Schallempfindungsschwerhörigkeiten
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Zusammenhang von Tonaudiogramm und Sprachaudiogramm bei Schallempfindungsschwerhörigkeiten Hals-Nasen-Ohren-Klinik – Kopf- und Halschirurgie CICERO – Cochlear-Implant-Centrum Der Medizinischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zur Erlangung des Doktorgrades Dr. med. dent. vorgelegt von Yannik Riesmeier
Als Dissertation genehmigt von der Medizinischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Vorsitzender des Promotionsorgans: Prof. Dr. Markus F. Neurath Gutachter: Prof. Dr. Dr. Ulrich Hoppe Gutachter: Prof. Dr. Michael Döllinger Tag der mündlichen Prüfung: 27. Juli 2021
Inhaltsverzeichnis 1 Abstract 1 1.1 Background 1 1.2 Methods 1 1.3 Results 1 1.4 Conclusions 2 2 Zusammenfassung 3 2.1 Hintergrund und Ziele 3 2.2 Methoden 3 2.3 Ergebnisse und Beobachtungen 3 2.4 Schlussfolgerungen und Diskussion 4 3 Einleitung 6 3.1 Hintergrund der Arbeit 6 3.1.1 Bedeutung der Schwerhörigkeit 6 3.1.2 Die Historie der Audiometrie 8 3.2 Technischer Hintergrund 9 3.2.1 Die Tonaudiometrie 10 3.2.2 Die Sprachaudiometrie 12 3.3 Medizinischer Hintergrund 14 3.3.1 Anatomie des Innenohrs und der Hörbahn 15 3.3.2 Physiologie des Innenohres und der Hörbahn 18 3.3.3 Das Hörfeld 20 3.3.4 Das Sprachverständnis 21 3.4 Schallempfindungsschwerhörigkeit 23 3.4.1 WHO Richtlinie zur Schwerhörigkeit 24 3.4.2 Arten der Schallempfindungsschwerhörigkeit 25 3.4.3 Diagnostik 27
3.5 Ziele der Arbeit 29 3.5.1 Untersuchung der Korrelation zwischen dem Hörverlust der Tonaudiometrie und dem Hörverlust für Zahlen der Sprachaudiometrie 29 3.5.1.1 Fragestellung 1 29 3.5.1.2 Fragestellung 2 31 4 Patienten und Methodik 34 4.1 Grundsätze der Datenerhebung 34 4.2 Zusammensetzung des Patientenkollektives 34 4.3 Geräte des Testverfahrens 37 4.4 Datenauswertung 37 5 Ergebnisse 40 5.1 Allgemeines zum Datensatz 40 5.1.1 Übersicht der Rohdaten 40 5.1.2 Deskriptive Statistik Luftleitung 42 5.1.3 Deskriptive Statistik Knochenleitung 44 5.1.4 Deskriptive Statistik des 4FPTA Wertes 46 5.1.5 Deskriptive Statistik des Hörverlustes für Zahlen 48 5.2 Studie: Korrelationsanalyse 49 5.2.1 Studie: Zusammenhang zwischen Gruppe 1 und dem Hörverlust für Zahlen 52 5.2.2 Studie: Lineares Regressionsgeraden Modell – Anwendung von Regressionsgeraden im bestehenden Zusammenhang 54 5.3 Studie: Untersuchung der Abweichungen zwischen den Hörverlusten der unterschiedlichen audiometrischen Diagnostiken 60 6 Diskussion 63 7 Fazit 71
1 Abstract 1.1 Background Tone and speech audiometry are the main hearing tests used for the diagnosis of hearing loss. Both tests have proven their value over the last centuries and are incremental tools in today’s medicine. The Freiburger speech test celebrated its 67 th birthday and has maintained its relevance from 1953 until today (Feldmann, 2004). Based on their popularity and frequent application, the independency of the two testing systems has been questioned many times. This study aims to assess the claim of mutual dependency and add to the discussion. 1.2 Methods Between 1st January 2001 and 7th August 2018, 7131 patients participated in this study. All patients were above 18 years of age, have undergone a full tone and speech audiometry for his or hers left and right ear and suffer from sensorineural hearing loss. All assessments took place at the Ear-Nose-Throat Clinic at the University Hospital of Erlangen, Germany and were recorded with an audiometer in accordance with ISO standards and saved in the clinics data base. The produced data has been anonymized and provides the basis for the descriptive statistics. 1.3 Results The highest correlation of R² = 0.92 becomes visible between the tone audiometry at median hearing loss (measured in dB) of the frequencies 250, 500 and 1000 Hz (group 1) and at hearing loss for numbers (measured in dB) of the speech audiometry. This relationship can be described with y = 0.98x+3.14 for the left ear and y = 0.98x+2.43 for the right ear and approximately with the norm regression line y = x. The deviation for all measured values from the line lies between 0.9 dB and 4.2 dB. 1
Comparing both measurements (mHL vs. HLN) more closely, a plausible deviation of both variables of ±5 appears reasonable for hearing losses from 0 dB to 20 dB, while a deviation of ±10 dB appears reasonable for hearing losses from 21 dB to 80 dB. Hearing losses of above 81 dB show a deviation of >±10 dB. The pure observation of the data shows an positive correlation between average hearing loss and frequency for air and bone conduction. 1.4 Conclusions The correlation between tone and speech audiometry shows statistical significance in a large population of patience, as described by previous studies. Thus, its application continues to be justified. In order to apply the correlation, the median hearing loss (mHL) of frequencies 250, 500 and 1000 Hz needs to be set equal to the hearing loss for numbers (HLN). The comparison of diverging frequency domains illustrates the correlation inaccurately and should therefore no be applied. Recognizing the function y = x which describes the linear relation is relevant for means of simplification. When applying this linear relation, it is critical to view the plausibility of test results in relation to the extent of hearing loss in dB. For hearing losses from 0 to 20 dB, an interval of ±5 should be applied. For hearing losses from 21 to 80 dB, an interval of ±10 dB. should be applied. At higher degrees of hearing loss, the linear relation loses relevance. Test results outside of the provided intervals ±5 dB and ±10 dB, respectively, should be checked for validity. 2
2 Zusammenfassung 2.1 Hintergrund und Ziele Die Ton- und Sprachaudiometrie sind die am häufigsten verwendeten Untersuchungsmethoden, um Hörverluste zu diagnostizieren. Die Tests haben sich seit vielen Jahren im täglichen praktischen Gebrauch bewährt. Der Freiburger Sprachtest, der zur Sprachaudiometrie zählt, feierte seinen 67. Geburtstag und wird somit seit 1953 bis heute verwendet (Feldmann, 2004). Aufgrund der Bekanntheit und häufigen Anwendung der Ton- und Sprachaudiometrie stellt sich seit geraumer Zeit die Frage der Abhängigkeit oder Unabhängigkeit beider Testsysteme. In der Studie werden bisherige Erkenntnisse diesbezüglich untersucht und ergänzt. 2.2 Methoden An dieser Studie haben sich im Zeitraum vom 1. Januar 2001 bis zum 7. August 2018 7131 Patienten beteiligt. Alle Patienten waren zum Zeitpunkt der Untersuchung über 18 Jahre alt, haben sich einer vollständigen Ton- und Sprachaudiometrie für das linke und das rechte Ohr unterzogen und litten an einer Schallempfindungsschwerhörigkeit. Die audiometrischen Untersuchungen fanden in der Hals-Nasen-Ohren-Klinik der Universität Erlangen statt und wurden nach entsprechenden ISO Normen mit dem Audiometer aufgezeichnet und in der Datenbank des Klinikums gespeichert. Es erfolgte eine Anonymisierung und ein anschließender Export aller Daten, die Grundlage für die retrospektive Studie waren. Mittels dieser Daten erfolgte die deskriptive Statistik. 2.3 Ergebnisse und Beobachtungen Es zeigt sich die höchste Korrelation von R² = 0,92 zwischen der Tonaudiometrie bei mittlerem Hörverlust (gemessen in dB) der Frequenzen 250, 500 und 1000 Hz 3
(Gruppe 1) und dem Hörverlust für Zahlen (gemessen in dB) der Sprachaudiometrie. Dieser Zusammenhang kann genau mit der Gleichung y = 0,98x+3,14 für das linke Ohr und y = 0,98x+2,43 für das rechte Ohr beschrieben werden. Annähernd wird der Zusammenhang mit der Normregressionsgeraden y = x beschrieben. Die Abwei- chungen der Messwerte von dieser Geraden liegen zwischen 0,9 dB und 4,2 dB. Bei genauer Gegenüberstellung der einzelnen Messwerte (mHV vs. HVZ) erscheint bei Hörverlusten von 0 bis 20 dB ein plausibles Abweichungsfenster zwischen beiden Variablen von ±5 dB und bei Hörverlusten von 21 bis 80 dB ein Fenster von ±10 dB sinnvoll. Bei Hörverlusten von über 81 dB ergibt sich ein Abweichungsfenster >±10 dB. Die reine Betrachtung der Rohdaten zeigt einen positiven Zusammenhang zwischen dem durchschnittlichen Hörverlust und Frequenz für Luft- und Knochenleitung. 2.4 Schlussfolgerungen und Diskussion Die Korrelation der Ton- und Sprachaudiometrie ist, wie bereits von anderen Autoren beschrieben, auf ein großes Patientenkollektiv übertragbar. Somit ist ihre Anwendung weiterhin gerechtfertigt. Um die Variablen miteinander in Korrelation zu setzten, muss der mittlere Hörverlust (mHV) aus den Frequenzen 250, 500 und 1000 Hz zuerst gebildet und dann mit dem Hörverlust für Zahlen (HVZ) gleichgesetzt werden. Andere Frequenzzusammenschlüsse beschreiben die Korrelation zu ungenau und dürfen keine Anwendung finden. Um eine einfache Handhabung zu gewährleisten, ist es sinnvoll, die Funktion y = x als Beschreibung des linearen Zusammenhanges zu berücksichtigen. Wichtig ist dabei, dass bei Anwendung dieser Geraden die Plausibilität der Messergebnisse abhängig von dem Ausmaß des Hörverlustes in dB korrekt begutachtet wird. Bei einem Hörverlust zwischen 0 und 20 dB sollte ein Intervall von ±5 dB gewählt werden. Liegt der Hörverlust zwischen 21 und 80 dB, ein ±10 dB Intervall. Bei höheren Hörverlusten sollte von der Funktion Abstand genommen werden, da es zu großen Abweichungen von der Funktion kommt. 4
Messergebnisse, die sich nicht im vorgegebenen Intervall von ±5 dB beziehungsweise von ±10 dB befinden, sollten erneut auf ihre Richtigkeit geprüft werden, um Messfehler zu erkennen und zu untersuchen. 5
3 Einleitung 3.1 Hintergrund der Arbeit In dieser Studie werden Patienten mit Schallempfindungsschwerhörigkeiten untersucht. Diese Erkrankung benötigt eine umfassende Diagnostik und hieran anknüpfende medizinische Versorgung (dazu 3.1.1). Die diagnostischen Verfahren existieren schon seit dem 19. Jahrhundert und finden teilweise noch heute Anwendung. Das zeigt, dass die Erkrankungen des Gehörs die Menschheit schon lange beschäftigen (dazu 3.1.2). Von zentraler Bedeutung für den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit ist eine Analyse der angewendeten Diagnostiken. Diese werden miteinander verglichen, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten. 3.1.1 Bedeutung der Schwerhörigkeit Der Begriff Schwerhörigkeit (Hypakusis) beschreibt eine Einschränkung der Hörfähigkeit, die sich von kaum bemerkbaren Beeinträchtigungen bis hin zu komplettem Hörverlust erstrecken kann (Zahnert, 2011). Laut der Weltgesundheitsorganisation sind etwa 466 Millionen Menschen weltweit (etwa 5 Prozent der Weltbevölkerung) von Schwerhörigkeit betroffen, die Tendenz ist steigend. Man geht davon aus, dass im Jahr 2050 etwa 900 Millionen Menschen eine Einschränkung der Hörfähigkeit aufweisen werden (WHO.int., 2020). Auch in Deutschland hat die Schwerhörigkeit einen hohen Patientenanteil. Epidemiologisch weist die Erkrankung in einer Studie von Sohn (2001) eine Prävalenz von 19 Prozent auf. In der Studie wurden Kinder nicht berücksichtigt. Eine neuere Studie zeigt eine Prävalenz der Schwerhörigkeit in Deutschland von 16 Prozent (Gablenz und Holube, 2015). Beide Untersuchungen basieren auf populations- typischen Stichproben, die anschließend ausgewertet worden sind. In beiden Untersuchungen fällt auf, dass der Hörverlust mit steigendem Alter zunimmt. Ab einem Alter von 65 Jahren weisen 40 Prozent der Patienten eine sensorineurale Schwerhörigkeit auf (Sohn, 2001). In der Studie von Gablenz und Holube (2015) 6
werden bei 50 Prozent der Probanden ab einem Alter von 70 Jahren Schwerhörigkeiten festgestellt. Diese Befunde sind geschlechtsunabhängig. Es zeigt sich allerdings eine Abhängigkeit von dem Bildungstand der Probanden. Je höher der Bildungsgrad, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit der Erkrankung (Gablenz und Holube, 2015; Robert Koch-Institut, 2014; Sohn, 2001). Die deutlich steigende Tendenz der Erkrankung im Alter schließt jedoch andere Generationen von der Krankheit der Schallempfindungsschwerhörigkeit nicht aus (Gablenz und Holube, 2015; Robert Koch-Institut, 2014). Die S2k-Leitlinie „Periphere Hörstörungen im Kindesalter“ beschreibt eine Prävalenz von 100 bis 300 Kinder pro 100000 Geburten mit beeinträchtigenden Hörstörungen. Auch diese gibt eine im Laufe der Zeit steigende Tendenz der erkrankten Patienten an (Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie, 2013). Der Deutsche Schwerhörigen Verbund e.V. berichtet in seinem Ratgeber darüber, dass jeder fünfte Deutsche in unterschiedlicher Weise schlecht hört. Acht Millionen Deutsche seien so stark beeinträchtig, dass eine medizinische Versorgung unumgänglich sei (Kampf et al., 2017). Das Robert Koch-Institut, das den Gesundheitsstatus der deutschen Bevölkerung zwischen Februar 2012 und März 2013 genauer untersucht hat, stellte anschließend im Jahr 2014 fest, dass ein Fünftel der 19294 befragten Personen an Hörbeeinträchtigungen leide. Auch hier zeigte sich, dass mit zunehmendem Alter die Anzahl der Erkrankungen ansteigt. Spezifische Verteilungsmuster lassen sich für unterschiedliche Regionen Deutschlands nicht genau feststellen. Auffälligkeiten zwischen Männer und Frauen sind nicht verifizierbar. Das RKI gibt an, dass die Ergebnisse repräsentativ für die erwachsene deutschsprachige Bevölkerung sind (Robert Koch-Institut, 2014). Die „Global Burden of Disease“ – Studie der World Health Organization (WHO) stuft Hörstörungen in den Industrieländern zu den sechs häufigsten Erkrankungen ein, welche die Lebensqualität am meisten beeinflussen (WHO.int., 2020). Begründet wird dies damit, dass das Hören zu den grundlegendsten Fähigkeiten des Alltags zähle. Diese Sinnesfunktion ist Grundlage für die Kommunikation. Fehlt die Fähigkeit von Geburt an, folgen Probleme in der Sprachentwicklung. Dies kann später zu Nachteilen in der Schule und im Beruf führen (Bischoff, 2019). Bei Störungen, die sich im Laufe des Lebens entwickeln, kann es nachweislich zur Rückbildung der Sprache kommen (Zahnert, 2010). 7
Häufiges Erstsymptom der Schwerhörigkeit ist ein eingeschränktes Sprach- verständnis. Die Einschränkung kann schnell zu Missverständnissen führen und beeinflusst die Kommunikation (Bischoff, 2019). Fehlende beziehungsweise beeinträchtigte Kommunikation stellt das Hauptproblem der verminderten Hörfähigkeit dar. Aus der mangelhaften Kommunikation resultieren Stresssituationen und Unsicherheiten. Stresssituationen sind insbesondere darauf zurückzuführen, dass das Gegenüber schlecht verstanden wird. Die Verständigungsprobleme können dazu führen, dass sich Aggressionen zwischen den Gesprächspartnern entwickeln. Unsicherheiten entstehen durch die mangelnde Fähigkeit, Gesprächen zu folgen. Das bekannte Umfeld wird misstrauisch und soziale Interaktionen schwächen ab (Hesse et al., 2014). Folge dieser psychosozialen Beeinträchtigung ist die soziale Isolation, die zu Depressionen, Einsamkeit und Angstzuständen führen kann. Im Ergebnis führen die vorgenannten Umstände zu einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität (Bischoff, 2019; Hesse et al., 2014; Robert Koch-Institut, 2014; Zahnert, 2010). Eine Behandlung bei diagnostizierter Erkrankung sollte in jedem Fall erfolgen und ist sehr wichtig, um vor allem die soziale Isolation und die weiteren vorgenannten Folgen zu verhindern. Hat eine Behandlung Erfolg, kann die Lebensqualität wieder deutlich gesteigert werden (Hesse et al., 2014). Von größter Bedeutung ist insoweit die Kommunikation. „Gelingt die Kommunikation ist dies die größte Quelle für positive Lebenserfahrung.“ (Eisenwort et al., 2010; S. 461). 3.1.2 Die Historie der Audiometrie Bereits seit dem 17. Jahrhundert ist bekannt, dass Töne über zwei Wege, die Luft- und Knochenleitung, hörbar sind. Anfängliche einfache Untersuchungen mittels Stimmgabeltests nach Rinne und Weber fanden aber erst über 100 Jahre später ihre Bedeutung in der Medizin. 1845 wurde der Test erstmals in der Otologie eingeführt (Feldmann, 1997). In der Folgezeit wurden die Testsysteme immer weiterentwickelt und verbessert (Reiß, 2003). Einfache Untersuchungen, die auf die Umgangssprache zurückgreifen, wurden den Tests hinzugefügt, um das Ausmaß des Verlustes festzustellen. Im 19. 8
Jahrhundert wurden erste Tests mittels elektrischer Reizung eingeführt. Man versuchte mit Gleichstrom das Gehör zu untersuchen. Diese Tests zeigten erste Erkenntnisse. Schnell stellte sich heraus, dass es unterschiedliche Grade des Hörverlustes gibt (Feldmann, 2004). Durch die neu entstandenen Möglichkeiten gab es einen großen Aufschwung, verminderte Hörfähigkeiten zu behandeln. Wirth schrieb der Audiometrie bereits im Jahre 1937 eine sehr große Bedeutung zu. Besonders positiv bewertet wurde die schnelle und zuverlässige Diagnostik (Wirth, 1937). Um die Grade der Schwerhörigkeit zu diagnostizieren, gewann die Sprache immer mehr an Bedeutung. Ein Durchbruch gelang Hahlbrock im Jahr 1953 mit der Arbeit „Über Sprachaudiometrie und neue Wörterteste“ (Hahlbrock, 1953). In dieser erörtert er die noch heute angewandte Methode des Freiburger Sprachtests (dazu 3.2.2). Trotz Kritik und zahlreicher Alternativen wird der Test bis heute im klinischen Alltag eingesetzt (Hoth, 2016). 3.2 Technischer Hintergrund Von entscheidender Bedeutung ist das Verständnis des technischen Hintergrundes, um die klinisch durchgeführten Testverfahren zu verstehen. Die Audiometrie ist ein Verfahren, mit dem die Eigenschaften und entsprechende Parameter des Gehörs vermessen und aufgezeichnet werden. Ziel der Audiometrie ist es, eine Hörstörung zu diagnostizieren, ihre entsprechenden Parameter zu beschreiben, die Ursache und den Ort der Erkrankung zu lokalisieren, die Stärke der Beeinträchtigung festzustellen und eine Therapiemöglichkeit anzudeuten (Hoth und Steffens, 2017). Die in dieser Studie erhobenen Daten basieren auf der Untersuchung mittels der Audiometer AT 300, AT 900 und AT 1000 der Auritec GmbH aus Hamburg (siehe 4.3). Es werden die Tonschwellenaudiometrie (dazu 3.2.1) und Sprachaudiometrie (dazu 3.2.2) durchgeführt und aufgezeichnet. Mit der Kombination dieser Testverfahren lässt sich das Ausmaß einer eventuellen pathologischen Veränderung diagnostizieren. Vorgehen und Prinzip werden nachfolgend erläutert. Weitere diagnostische Verfahren der Audiometrie werden, mangels Relevanz für diese Studie, nachfolgend nicht weiterführend erläutert. 9
3.2.1 Die Tonaudiometrie Die Hauptaufgabe der Tonaudiometrie besteht darin, die Hörschwelle (dazu 3.3.3) in Abhängigkeit unterschiedlicher Frequenzen individuell zu ermitteln. Die individuell gemessene Hörschwelle wird in Relation zur Normhörschwelle gesetzt. Ein eventueller Hörverlust für entsprechende Frequenzen kann in Dezibel angegeben werden (Hoth, 2016). Die Tonaudiometrie ist die am häufigsten durchgeführte audiologische Untersuchung. Die Darstellung dieser Untersuchung wird als Tonschwellenaudiogramm oder Frequenzpegeldiagramm bezeichnet. In dem Audiogramm liegt die normale Hörschwelle bei 0 dB und dient als Referenzebene. Ermittelt wird die Hörschwelle des Patienten in einem Frequenzbereich zwischen 125 Hz und 10 kHz und kann mittels Luftleitungshörer für die Luftleitung sowie mittels Knochenleitungshörer für die Knochenleitung bestimmt werden (Boenninghaus und Lenarz, 2007). Das Audiometer erzeugt einen möglichst reinen Sinuston in unterschiedlichen Intensitäten und Frequenzen und kann somit das ganze Spektrum des menschlichen Hörvermögens abdecken (Reiß, 2009). Die ermittelte Patientenhörschwelle wird zusätzlich zu der Normhörschwelle in das Audiogramm eingetragen und es kommt zur Visualisierung der Messergebnisse. Wurde die Hörschwelle für die Luftleitung wie auch die Knochenleitung gemessen, werden beide Hörschwellen in das Audiogramm übertragen. Der Ablauf der Untersuchung am Patienten ist durch die DIN EN ISO 8253 Norm „Akustik – Audiometrische Prüfverfahren“ geregelt (Lehnhardt et al., 2009). Zusätzlich bestimmt diese Norm die Ausstattung des Raumes, in dem die Untersuchung durchgeführt wird (Reiß, 2009). Begonnen wird der Test mit dem durch Angaben des Patienten subjektiv besseren Ohr. Das andere Ohr kann während der Testung durch vorrübergehende akustische Ausschaltung (Vertäubung) von der Testung ausgeschlossen werden. Im Klinikum Erlangen findet eine Vertäubung bei der Bestimmung der Luftleitungschwelle bei Messungen >50 dB statt. Bei der Knochenleitungsbestimmung wird das nicht untersuchte Ohr immer vertäubt. Die Luftleitungsschwelle wird als Erstes überprüft (Reiß, 2009). Der Patient legt, falls vorhanden, Brille, Ohrschmuck und Hörgerät ab und setzt den Kopfhörer auf. Die Position des Kopfhörers sollte durch den Behandler geprüft werden. 10
Die erste abgespielte Frequenz liegt bei 1 kHz, diese wird aus dem unhörbaren Bereich immer weiter in ihrer Lautstärke gesteigert. Diese Pegel- beziehungsweise Lautstärkensteigerung (±5 dB - ±10 dB) erfolgt individuell je nach Patient. Sobald der Patient den Ton wahrnimmt, vermittelt er dies zum Beispiel durch das Betätigen einer Taste. Der Ton wird nachfolgend in seiner Lautstärke heruntergeregelt (Lehnhardt et al., 2009). Dieser Ablauf wird zur Verifizierung mehrfach für eine Frequenz wiederholt, bis der Pegel, bei dem der Ton gerade wahrgenommen wird, gefunden ist. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass der Wert aussagekräftig ist, wenn dieser dreimal annähernd identisch ist. Danach werden die tieferen Frequenzen aufsteigend (1000, 1500, 2000, 3000, 4000, 5000, 6000, 8000 und 10000 Hz) und anschließend die höheren Frequenzen (750, 500, 250 und 125 Hz) absteigend auf die gleiche Weise bestimmt (Plinkert und Klingmann, 2010). Nachfolgend sind die Messwerte in das Audiogramm zu übertragen. Alle anderen Werte werden im gleichen Verfahren ermittelt. Anschließend werden die eingetragenen Punkte zu Linien verbunden und es entsteht der erste Teil des Tonschwellenaudiogramms (Schema der Eintragungen im Diagramm: o---o LL rechts, x---x LL links). Die Knochenleitung wird mit dem gleichen Verfahren aufgezeichnet. Hierzu ist der Knochenleitungshörer auf dem Mastoid zu platzieren. Dabei ist darauf zu achten, dass der Hörer die Ohrmuschel nicht berührt (Lehnhardt et al., 2009). Diese Messwerte werden ebenfalls in das Tonschwellenaudiogramm eingetragen und dieses erhält seine Vollständigkeit (Schema der Eintragungen im Diagramm: >---> KL rechts,
dass Ergebnis mithilfe weiterer diagnostischer Maßnahmen zu verifizieren (Mrowinski et al., 2017). 3.2.2 Die Sprachaudiometrie Im Anschluss an das Erstellen des Tonaudiogrammes, besteht die Möglichkeit, ein Sprachaudiogramm anzufertigen. Diese Messung hat im Hinblick auf die Beurteilung der Behinderung durch die Schwerhörigkeit im Alltag eine deutlich größere Bedeutung. Die Sprachaudiometrie trägt deswegen nur nachgelagert zur Diagnostik bei, da sie die Krankheit nicht ermitteln kann. Im Fokus steht vielmehr die mit der Erkrankung einhergehende Beeinträchtigung (Hoth, 2016). Die Sprachaudiometrie dient als Grundlage für medizinische Gutachten und Anpassungen von Hörhilfen (Dörfler et al., 2008; Feldmann, 1997; Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V., 2020; Vasseur et al., 2004). Wichtig ist sie auch für die Konkretisierung der Differentialdiagnostik, die sich aus dem vorherigen Tonaudiogramm ergeben hat (Mrowinski et al., 2017). Das Sprachaudiogramm sollte direkt im Anschluss an das Tonaudiogramm erstellt werden (von Wedel, 2001). Diese Hörprüfung ist das einzige diagnostische Verfahren, dass das Sprachverständnis überprüft (Dörfler et al., 2008). Der Ablauf sieht vor, dass dem Patienten Sprachsignale über Kopfhörer oder Lautsprecher in einstellbaren Lautstärken wiedergegeben werden. Die Lautstärke wird über das Audiometer reguliert. Es besteht sowohl die Möglichkeit der seitengetrennten Diagnostik, als auch der realistischen Raumakustik Diagnostik (Reiß, 2009). Die in dieser Studie untersuchten Patienten haben sich der seitengetrennten Methode unterzogen. Als Sprachverständlichkeitstest wurde der von Hahlbrock 1953 entwickelte Freiburger Sprachverständlichkeitstest angewandt. Der Test besteht aus zehn Gruppen mit jeweils zehn zweistelligen Zahlen (Mehrsilber), mit denen der Hörverlust in dB gemessen wird. Außerdem enthalten weitere 20 Gruppen 20 einsilbige Prüfwörter (Einsilber), die die Verständlichkeit in Prozent messen (Hahlbrock, 1953; Lehnhardt et al., 2009). Diese Gruppen sind nach DIN 45621 festgelegt (Deutsches Institut für Normung, 1995). Durch die Gruppen gliedert sich der Test in zwei Abschnitte: erstens in den Zahlentest und zweitens in den Einsilbertest. Der Einsilbertest untersucht die Sprach- 12
unterscheidung und ist damit der eigentliche Sprachtest. Der Zahlentest untersucht das Schwellengehör und somit den Hörverlust. Um einen Vergleich zum Normalhörenden darbieten zu können, gibt es für beide Verfahren Referenzlinien. Für das 50 prozentige Zahlenverständnis liegt dieser Normwert bei 18,4 dB. Für das 100 prozentige Zahlenverständnis liegt er bei 30 dB. Der anfängliche Sprachschallpegel, mit dem der Test durchgeführt wird, wird anhand des vorher bestimmten Tonschwellenaudiogramms angepasst. Konnte die getestete Person bei dem eingestellten Pegel weniger als 30 Prozent der Zahlen verstehen, wird der Test mit einem, um 5 dB erhöhten Pegel erneut durchgeführt (Mrowinski et al., 2017). Die zwei Werte werden in das Sprachaudiogramm übertragen. Ermittelt wird der Hörverlust für Zahlen (HVZ) anschließend durch Aufsuchen des Schnittpunktes der entstanden Kurve oder Gerade, nach Verbindung der aufgezeichneten Werte, mit der Normgerade der 50 prozentigen Zahlenverständlichkeit (Lehnhardt et al., 2009). Befindet sich der zuerst gemessene Wert zwischen 30 und 70 Prozent Verständlichkeit, kann dieser direkt eingetragen werden. Eine Parallele entlang der Normhörkurve ermittelt in diesem Fall den Schnittpunkt und dementsprechend die 50 prozentige Verständlichkeit (Reiß, 2009). Ein Zusammenhang zwischen diesem Wert und der Tonaudiometrie wurde bereits mehrfach beschrieben (Mrowinski et al., 2017). Dieser Zusammenhang wird in der folgenden Studie genauer untersucht (dazu 3.5.1). Anschließend wird der Einsilbertest durchgeführt. Er startet mit einem Sprachpegel von 65 dB. Dies entspricht der normalen Umgangssprachenlautstärke, die in diesem Fall die Norm darstellt. Normalhörende würden bei 65 dB ein Testergebnis von 100 Prozent erreichen (Lehnhardt et al., 2009). Auch hier wird anhand des Tonaudiogramms der Anfangspegel bestimmt und je nach prozentualer Verständlichkeit gesteigert. Meist wird ein Steigerungsintervall von +15 dB gewählt. Ziel ist es, immer die maximale Verständlichkeit zu erreichen. Bei Patienten mit starker Behinderung des Hörvermögens besteht jedoch die Möglichkeit, dass die Unbehaglichkeitsschwelle vorher erreicht wird. Diese stellt das Ende der Untersuchung dar (Mrowinski et al., 2017). Der Test wird im klinischen Alltag zur Einstufung der Hörbeeinträchtigung des Patienten genutzt (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V., 2020; Feldmann, 2004). Er dient differentialdiagnostisch zur Unterscheidung von Tief- und Hochtonhörverlusten, sowie zur Identifikation von konduktiven, sensorischen, 13
neuralen und zentralen Schwerhörigkeiten (Mrowinski et al., 2017). Zusätzlich kann mit seiner Hilfe eine Abschätzung durchgeführt werden, wie erfolgreich eine Hörsystemversorgung bei erkrankten Patienten ist (Reiß, 2009). Abbildung 1: Ton- (obere Abbildungen) und Sprachaudiogramme (untere Abbildungen) für das rechte Ohr (rot) und das linke Ohr (blau) eines Patienten mit Schallempfindungsschwerhörigkeiten. Die X-Achse des Tonaudiogramms beschreibt die Frequenz in Hz von 125 bis 10000 Hz, die Y-Achse den Hörpegel in dB von -10 bis 130 dB; die X-Achse des Sprachaudiogramms beschreibt die Verständlichkeit in Prozent von 0 bis 100 %, die Y-Achse den Sprachpegel in dB von 0 bis 120 dB; * = Hörverständnis für Zahlen; ° = Einsilber im Sprachaudiogramm. 3.3 Medizinischer Hintergrund Der medizinische Hintergrund umfasst die Anatomie (dazu 3.3.1) und Physiologie (dazu 3.3.2) der Hörbahn. Die folgenden grundlegenden Darstellungen sind notwendig, um den Aufbau des menschlichen Hörorgans zu verstehen. Es wird ausführlich auf den Aufbau und Funktion des Innenohrs und der anschließenden 14
Hörbahn eingegangen. Da in dieser Arbeit auf die Schallempfindungsschwer- hörigkeiten eingegangen werden, bei denen sich die Pathologien auf den Bereich des Innenohrs und der nachgeschalteten Hörbahn beschränken, können die weiteren anatomischen Strukturen dahinstehen. Zudem werden weitere zentrale Begriffe, wie die Hörschwelle (dazu 3.3.3) im Kontext der Hörbarkeit und das Sprachverstehen (3.3.4) im Kontext der Verständlichkeit, erläutert. 3.3.1 Anatomie des Innenohrs und der Hörbahn Die außen liegende Ohrmuschel (Auricula) mit ihrer typischen Form und der daraus folgenden Aufgabe des Richtungshörens bildet den Anfang des gesamten Hörorgans (Mrowinski et al., 2017). An sie schließt sich der äußere Gehörgang (Meatus acusticus externus) an, der mit dem Trommelfell (Membrana tympanica) endet. Dieser dient insbesondere der Schallleitung (Waschke et al., 2015). Die Paukenhöhle (Cavitas tympani), mit den in ihr gelegenen Gehörknöchelchen Hammer, Amboss und Steigbügel, übernimmt die Aufgabe eines Impedanzwandlers. Die Schwingungen von dem etwa 60 mm² großen Trommelfell werden auf das 3 mm² große ovale Fenster, das die Verbindung zum Innenohr darstellt, übertragen (Hoth et al., 2015). Das Innenohr befindet sich in der Pars petrosa ossis temporalis und ist in kompaktes Knochengewebe eingebettet. Das Gleichgewichtsorgan und das Hörorgan befinden sich im Innenohr. Bestandteile sind das knöcherne Labyrinth, bestehend aus Vestibulum, Canales semicirculares ossei und Cochlea und das membranöse Labyrinth, bestehend aus Utriculus, Sacculus, Ductus semicircularis und Ductus cochlearis (Reiß, 2009). Von besonderer Bedeutung ist die Cochlea. Sie hat die Form eines Schneckenhauses, windet sich 2,5 mal um den Modiolus cochlea und weist eine Länge von etwa 32 mm auf (Lehnhardt et al., 2009). Die Basis des Modiolus liegt in Richtung des Meatus acusticus externus, in dem der Nervus cochlearis verläuft. Von ihm ausgehend erstrecken sich seine Nervenfasern entlang des Canalis spirales und longitudinales in Richtung des Cortiorgans. Kurz vor dem Organ liegen Perikarya des Nervens im Ganglion cochleare. Anschließend an das Ganglion verlaufen die Nervenfasern zum Cortiorgan des Ductus cochlearis, der sich um den Modiolus windet (Waschke et al., 2015). 15
Im Querschnitt zeigt die Cochlea drei unterschiedliche mit Flüssigkeit gefüllte Räume. Der Ductus cochlearis, die Scala vestibuli und die Scala tympani. Die Scala vestibuli liegt oberhalb des Ductus cochlearis und die Scala tympani unterhalb des Ductus chochlearis. Diese beiden Räume sind mit der Perilymphe, die Na+ reich und K+ arm ist, gefüllt. An der Schneckenspitze stehen beide Gänge über das Helicotrema in Verbindung. Ein Ende findet die Scala tympani am runden Fenster. Hingegen endet die Scala vestibuli im Vestibulum am ovalen Fenster. Der Ductus cochlearis wird nach oben hin von der Reissner-Membran abgetrennt. Die untere Grenze stellt die Lamina basilaris dar. Die laterale Wand bildet das Ligamentum spirale, das für die Produktion der Endolymphe (Na+ arm, K+ reich) verantwortlich ist und den Ductus cochlearis ausfüllt. Nach medial schließen sich das Cortiorgan und die bereits erläuterten Strukturen des Modiolus an (Trepel, 2015). Das Cortiorgan besteht aus innerer Haarzelle, innerer Phalangenzelle, innerer Pfeilerzelle, innerem Corti-Tunnel, Tektorialmembran, Nuel-Raum, äußeren Haarzellen, äußeren Phalangenzellen, äußeren Pfeilerzellen, äußerem Corti-Tunnel, Stützzellen, Stria vascularis, Sulcus spiralis internus und der unten liegenden Lamina basilaris (Trepel, 2015). An die inneren etwa 3500 Haarzellen inserieren etwa 95 Prozent der afferenten Nervenfasern. An die äußeren etwa 15000 Haarzellen inseriert der Großteil der efferenten Nervenfasern (Mrowinski et al., 2017). Beide Zelltypen tragen in Richtung der Tectorialmembran Stereozilien. Diese können durch Flüssigkeitsbewegungen abknicken und ermöglichen die Entstehung von Aktionspotentialen, die für die Reizübertragung auf den Nerv verantwortlich sind (Reiß, 2009; Schmidt et al., 2017). Die afferenten Fasern der bipolaren Hörnervenzellen werden zuerst im Ganglion spirale umgeschaltet (1. Neuron der Hörbahn). Anschließend verlaufen die Fasern als N. cochlearis durch den Meatus acusticus externus, in dem sich dieser der N. vestibularis anlagert. Zusammen als N. vestibulochochlearis münden sie in den Kleinhirnbrückenwinkel (Waschke et al., 2015). An dieser Stelle separiert sich der Nerv und die Fasern ziehen zu den entsprechenden Hirnnervenkernen. Die Fasern des Cortiorgans ziehen zu den Ncll. cochlearis ventralis und dorsalis der Medulla oblongata. Mittels unterschiedlicher Verschaltung über Ncll. olivares superior, Ncll. corporis trapezoidei, Ncll. lemnisci lateralis, colliculus inferior und dem Corpus geniculatum mediale, gelangen die Informationen zur primären Hörrinde im Hirn. Die unterschiedlichen Kerne sind untereinander durch Kollateralen verbunden. Das Endziel stellt die sekundäre Hörrinde 16
dar, die aus den entsprechenden Lauten oder Lautmustern nun Wörter, Melodien oder Geräusche zu Bewusstsein bringt (Trepel, 2015). (Hoth et al., 2015, Abb. 2.1, S. 7) Abbildung 2: Übersicht über das periphere Hörorgan mit Außen-, Mittel- und Innenohr. (Reiß, 2009, Abb. 3.2, S. 151) Abbildung 3: Schematische Darstellung der Hörbahn. 17
3.3.2 Physiologie des Innenohres und der Hörbahn Das bereits beschriebene Cortiorgan ist verantwortlich für die Wahrnehmung unterschiedlichster Frequenzen, die im Gehirn zu Tönen, Melodien und Geräuschen umgewandelt werden. Um die Haarzellen zu stimulieren, muss der Schall, der bereits das Außen- und Mittelohr durchquert hat, in ein anderes Medium, die Flüssigkeit, übertreten. Diese Aufgabe übernimmt der Stapes, indem er die Schallenergie über das ovale Fenster auf die Perilymphe überträgt. In der Flüssigkeit zeigt sich eine Wanderwelle, die am Punkt ihres Maximums entsprechend der Frequenz eine maximale Auslenkung der Basilarmembran hervorruft. Die Wanderung der Welle ist hiermit beendet, da der Gegenspieler, die Tectorialmembran, diese abdämpft (Trepel, 2015). Die Stereozilien der äußeren Haarzellen berühren teilweise die Tectorialmembran. Wenn diese nun das Maximum der Wanderwelle abbremst, überträgt sie ebenfalls eine Bewegung auf die Stereozilien und knickt sie ab. Durch den entstehenden Sog wird auch die innere Haarzelle stimuliert (Hydrodynamische Kopplung). Das gesamte System ist von der kaliumreichen Endolymphe umgeben (140 mmol/l), diese ist stark positiv geladen (+85 mV) und stellt das endocochleare Potential dar (Schmidt et al., 2017). Die Haarzelle mit einem Rezeptorpotential von -70 mV ist hingegen negativ geladen. Kommt es zum Abknicken der Stereozilien, öffnen sich K+ Kanäle und es kommt zum Einstrom, der zuerst zu einer Depolarisierung und anschließend zu einer Glutamatfreisetzung und somit zu einer Erregung der afferenten Fasern führt. Kaliumspezifische Kanäle der laterobasalen Zellwand ermöglichen anschließend eine Repolarisation und der Vorgang kann erneut beginnen (Schmidt et al., 2017). Da nur die inneren Haarzellen den Schall so umwandeln können, dass er zur Nervenerregung führt, sind etwa 95 Prozent der afferenten Fasern an den inneren Haarzellen lokalisiert (Boenninghaus und Lenarz, 2007; Mrowinski et al., 2017). Von großer Bedeutung ist deshalb die Erregung der inneren Haarzellen. Die äußeren Haarzellen verfügen über das Motorprotein Prestin und können nach Erregung durch efferente Nervenfasern eine eigene Kontraktion durchführen, die zu einer bis zu 1000-fachen Verstärkung der Auslenkung der Basilarmembran und Schwingung im Endolymphraum führt. Diese Auslenkungen stimulieren zusätzlich die inneren Haarzellen (Strenzke et al., 2008; Trepel, 2015). 18
Nach dem Prinzip der Tonotopie werden unterschiedliche Frequenzen an unterschiedlichen Orten der Cochlea wahrgenommen. So veranlassen hohe Frequenzen die Basilarmembran zur maximalen Auslenkung im basalen Bereich und tiefe Frequenzen eher im apikalen Bereich (Trepel, 2015). Diese Aussage basiert auf der Erkenntnis der Bestfrequenz. Diese beschreibt die Auslenkung der Basilarmembran an einer festgelegten Stelle, die durch eine bestimmte Frequenz ausgelöst wird (Reiß, 2009). Nach Auslösung und dem bereits beschriebenen Mechanismus wird mittels des Neurotransmitters Glutamat, der in den synaptischen Spalt diffundiert, ein postsynaptisches Potential ausgelöst, das zum Nervenaktionspotential führt. Über die bereits beschriebenen Hirnnervenkerne und kollateralen Verschaltungen werden die Signale in der Hörrinde wahrgenommen. Durch die Kollateralen erreicht die Information immer beide Hörrinden. Dies ermöglicht unter anderem einen Vergleich beider Seiten und hat Einfluss auf das Richtungshören (Schmidt et al., 2017). In den unterschiedlichen Schichten des Kortex werden die gesammelten Informationen gebündelt und ausgewertet. Erstellt wird ein Eigenschaftsmuster, das dem auditorischen Kortex zugesandt wird. Zusammen mit anderen Arealen des Kortex findet zum Schluss die bewusste Wahrnehmung und Zuordnung statt (Mrowinski et al., 2017). (Hoth et al., 2015, Abb. 2.4, S. 10) Abbildung 4: Detaillierte Darstellung des Innenohrs a) Querschnitt durch die Cochlea; b) mit Abschnitt aus der Scala media; und c) Detailansicht des Corti´schen Organs (modifiziert nach Boenninghaus und Lenarz 2012). 19
3.3.3 Das Hörfeld Entscheidend für die Untersuchung auf pathologische Veränderung des Hörorgans ist die Festlegung, in welchem Bereich das menschliche Gehör über die Fähigkeit verfügt, Töne wahrzunehmen. Dieser Bereich wird durch den Hörbereich festgelegt (Huppelsberg und Walter, 2013). Schematisch zeigt sich das Hörfeld in Abbildung 5. Auf der Y-Achse wird der Schalldruckpegel in dB dargestellt auf einer Skala von -10 dB bis 140 dB. Die X-Achse zeigt die Frequenz in Hz von 16 Hz bis 16 kHz. Das menschliche Gehör hat die Fähigkeit, Schwingungen und Wellen im Frequenzbereich zwischen 16 Hz und 20 kHz wahrzunehmen (Hoth und Steffens, 2017). Frequenzen, die kleiner sind, werden als Infraschall und höhere als Ultraschall bezeichnet (Mrowinski et al., 2017). Ein weiterer wichtiger Parameter ist der Schallpegel. Die Einheit des Schallpegels heißt Schalldruckpegel und wird in Dezibel festgelegt (Schalldruckpegel in dB; SPL). Die Schmerzgrenze liegt unabhängig von der Frequenz bei etwa 130 dB (Boenninghaus und Lenarz, 2007). Im Gegensatz zu dieser Grenze ist die Hörschwelle frequenzabhängig. Die Normhörschwelle ist durch die DIN EN ISO 389 standardisiert und beschreibt einen Kurvenverlauf abhängig von den unterschiedlichen Frequenzen zwischen 16 Hz und 20 kHz (Mörser, 2018). In der Tonschwellenaudiometrie wird diese Hörschwelle als Referenz genommen und mit der am Patienten ermittelten Hörschwelle gleichgesetzt. Aus den Differenzen beider Linien kann dann der Hörverlust in dB abhängig von der jeweiligen Frequenz bestimmt werden. Das Feld, das zwischen der Linie der Normhörschwelle (Wahrnehmungsschwelle) und der Linie der Unbehaglichkeitsschwelle entsteht, wird als Hörfläche beziehungsweise als Hörfeld bezeichnet. Bei Patienten ohne Einschränkungen im Bereich des Gehörs sieht dieses Feld immer gleich aus, sobald eine Pathologie hinzukommt, verkleinert sich jenes Feld und ist individuell für jeden Patienten. Hörprüfungen finden innerhalb dieses Feldes statt, beschränken sich aber bei der Tonschwellenaudiometrie und der Sprachaudiometrie auf einen Bereich zwischen 125 Hz und 10 kHz (Mrowinski et al., 2017). 20
(Hoth und Steffens, 2017, Abb. 7, S. 219) Abbildung 5: Hörfeld des Menschen (Hörschwelle bis Unbehaglichkeitsschwelle); X-Achse Frequenz in Hz, Y-Achse Schallpegel in dB SPL; Kurven gleicher Lautstärke des normalhörenden Ohrs definieren die Hörschwelle und den Lautstärkepegel LN für Sinustöne. 3.3.4 Das Sprachverständnis In der Physiologie beschreibt das Sprachverstehen beziehungsweise das Sprachverständnis die Fähigkeit des Erfassens von Sinn und Bedeutung von Wörtern und Sätzen. Dieser Prozess geschieht im sensorischen Sprachzentrum, dem sogenannten Wernicke Areal (Huppelsberg und Walter, 2013). In den Sprachwissenschaften bezieht sich die Sprachverständlichkeit auf phonetische und phonologische Strukturen von einzelnen Wörtern oder Sätzen. Der Begriff wird dementsprechend sehr weit verstanden (Hoth, 2016). In der Audiometrie wird das Sprachverständnis überprüft, indem Sprache dem Patienten in definierten Lautstärken vorgespielt wird und er die genannten Worte oder Sätze erkennen muss. Die Sprache ist in der Audiometrie eine komplexe Messgröße. 21
Sie ist nicht ausschließlich abhängig von reinen Reizen zur Ermittlung des Hörvermögens. Vielmehr besteht eine zusätzliche Abhängigkeit von der Aufmerksamkeit, dem Arbeitsgedächtnis, das insbesondere für die Sprachaudiometrie von Bedeutung ist, sowie der Muttersprache und dem dazugehörigen Wortschatz (Hoth und Steffens, 2017). Sprache bildet in dem bereits beschriebenen Hörfeld einen Hauptsprachbereich. Dieser Bereich beschreibt die Frequenzen und Lautstärken, in denen die normale Umgangssprache ihren Zugang findet. Das Feld kann grob in unterschiedliche Bereiche geteilt werden: Grundtöne, hohe Konsonanten, Konsonanten und die Formanten (Obertöne) der Phoneme (Vokale). Damit lassen sich auch unterschiedliche Bilder der Schwerhörigkeit der Sprache nachvollziehen. So ist z. B. bei einem Hochtonhörverlust das Erkennen der Konsonanten beeinträchtigt. Die sogenannten „Zischlaute“ sind für jene Patienten schlecht oder kaum zu hören (Hoth und Steffens, 2017). Beschrieben wird ein Feld, das sich bei einer Lautstärke von etwa 30 dB bis 70 dB zwischen 250 Hz bis 8000 Hz erstreckt und somit nur einen kleinen Teil des gesamten Hörfeldes einnimmt. Diese Werte können aber je nach Dialekt und Herkunft abweichen und sind nicht genau definiert (Huppelsberg und Walter, 2013). Von Bedeutung ist das Sprachverständnis in der HNO vor allem bei der Diagnostik von Schweregraden bestimmter Erkrankungen und um Erfolge nach einer Therapie zu verifizieren (Reiß, 2009). (Hoth und Steffens, 2017, Abb. 11, S. 228) Abbildung 6: Projektion des für Umgangssprache relevanten Frequenz- und Pegel- bereiches („Sprachfeld“ nach Fant) ins Tonaudiogramm. 22
3.4 Schallempfindungsschwerhörigkeit Die Schwerhörigkeit erstreckt sich von kaum erkennbaren Höreinbußen bis hin zum kompletten Hörverlust. Es gibt unterschiedliche Ursachen, die dieser pathologischen Veränderung zuzuschreiben sind. Sie können das Außenohr an sich, die Schallleitung zum Innenohrkomplex (Gehörgang), die Schallempfindung der Sinneszellen oder aber auch die Schallverarbeitung entlang des Hörnervs, der Hörbahn oder der Hörzentren betreffen. Daraus unterscheiden sich zwei zentrale, unterschiedliche Erkrankungen: die Schallleitungs- und die Schallempfindungsschwerhörigkeit (Zahnert, 2011). Diese Erkrankungen zählen zu den häufigsten Sinnesbehinderungen. 70 Prozent der Schwerhörigkeiten sind auf sensorineurale Defekte zurückzuführen (Strenzke et al., 2008). Um diesen weit gefächerten Begriff einzugrenzen und die in dieser Studie untersuchten Schallempfindungsschwerhörigkeiten einordnen zu können, wird nachfolgend auf entsprechende Einteilungen und Ursachen dieser Störung eingegangen. Auf Schallleitungserkrankungen wird nachfolgend nicht vertieft eingegangen, da sie nicht zum Untersuchungsgegenstand dieser Studie gehören. Eine übersichtliche und genaue Einteilung der Hörstörungen ist Tabelle 1 zu entnehmen. Mittelohr Innenohr Hörnerv Gehirn Schallleitung Schallempfindung Wahrnehmung endocochleär retrocochleär konduktiv sensorisch neutral sensorineural zentral peripher (Hoth und Steffens, 2017, S. 215) Tabelle 1: Einteilung der Hörstörungen nach dem Ort der Schädigung. 23
3.4.1 WHO Richtlinie zur Schwerhörigkeit Die WHO hat als internationale Koordinationsbehörde des öffentlichen Gesundheits- wesens die Schwerhörigkeit in unterschiedliche Schweregrade aufgeteilt. Sie orientiert sich an der Luftleitungsschwelle im Reintonaudiogramm. Der mittlere Hörverlust der Frequenzen 500, 1000, 2000 und 4000 Hz, getrennt für linkes und rechtes Ohr, wird gebildet. Anhand dieser Werte kann eine Einteilung nach Schweregraden erfolgen. Tabelle 2 zeigt diese Einteilung (WHO.int., 2020; Zahnert, 2010). Grad der Mittlerer Hörverlust Befund Empfehlung Schwerhörigkeit im Reintonaudio- gramm 0 normalhörig 25 dB oder besser Keine oder nur Keine leichte Probleme, kann Flüster- sprache hören 1 geringgradig 26 – 40 dB Umgangssprache Beratung, Hörgerät ggf. wird 1 Meter vor empfehlenswert dem Ohr verstanden 2 mittelgradig 41 – 60 dB Lautes Sprechen Hörgerät ist zu wird 1 Meter vor empfehlen dem Ohr verstanden 3 hochgradig 61 – 80 dB Einige Worte Hörgerät nötig; falls kein werden bei sehr Hörgerät möglich, lautem Sprechen Lippenlesen und auf dem besseren Zeichensprache Ohr verstanden unterstützend 4 Hörreste oder 81 dB oder mehr Keinerlei Hörgerätetrageversuch Taubheit Sprachverständnis oder andere bei maximaler Rehabilitation; Lautstärke Lippenlesen und Zeichensprache zur Verständigung nötig (WHO.int., 2020) Tabelle 2: Grad der Schwerhörigkeiten, eine Einteilung der WHO. 24
3.4.2 Arten der Schallempfindungsschwerhörigkeit Die Schallempfindungsschwerhörigkeit hat ihren Ursprung im Innenohr und/oder der nachgeschalteten Hörbahn. Es kommt durch unterschiedlichste Gründe zur Störung des Cortiorgans oder zur Beeinträchtigung der Reizweiterleitung (Schmidt et al., 2017). Es lassen sich nach anatomischen und funktionellen Punkten die sensorische Innenohrschwerhörigkeit mit ihren Untergruppen Motorinnenohrschwerhörigkeit (Typ I), Transduktionsinnenohrschwerhörigkeit (Typ II) und Transformationsinnenohr- schwerhörigkeit (Typ III) von den extrasensorischen Innenohrschwerhörigkeiten (Typ IV) abgrenzen. Kombinationsmöglichkeiten der unterschiedlichen Gruppen sind möglich (Reiß, 2009). Eine weitere Unterteilung zeigt Hesse (2015), indem er die Innenohrschwerhörigkeit nach ihrer Ursache einteilt (Tabelle 3). Hauptform Untergruppen Akute Innenohrschwerhörigkeit • Idiopathischer Hörsturz • Infektiös bedingte Schwerhörigkeit • Retrocochleäre Hörminderung • Akute hydropische Schwerhörigkeit Schwerhörigkeit im Alter Immunologisch bedingte • Autoimmunschwerhörigkeit Innenohrschwerhörigkeit • Behçet Syndrom • Cogan-Syndrom Traumatische • Akute Lärmschäden (z. B.: Innenohrschwerhörigkeit Knalltraumata) • Erworbene Lärmschwerhörigkeit (z. B.: beruflich bedingt) • Schädeltrauma und Felsenbeinfrakturen • Fensterrupturen des ovalen und runden Fensters 25
Ototoxische Schwerhörigkeit • Aminoglykosid-Antibiotika • Zytostatika • Schleifendiuretika • Salizylate Mittelohrbedingte • Innenohrbeteiligung nach Innenohrschwerhörigkeit Mittelohrentzündung • Otosklerose • Osteogenesis imperfecta und Morbus Paget • Mittelohrtumoren mit Innenohrbeteiligung Genetisch bedingte • Monosymptomatische hereditäre Innenohrschwerhörigkeit Schwerhörigkeit • Syndromische hereditäre Innenohrschwerhörigkeit Schwerhörigkeit im Kindesalter • Embryonal erworbene, infektiös bedingte Schwerhörigkeit • Perinatale Asphyxie • Postnatale Schwerhörigkeit Chronische Innenohrschwerhörigkeit • Nierenfunktionsstörung durch Gefäß-, Stoffwechsel- oder • Leberfunktionsstörung Tumorerkrankungen • Schilddrüsenfunktionsstörung • Speicherkrankheiten • Fettstoffwechselstörungen • Diabetes mellitus • Tumorerkrankungen • Vaskuläre Störungen Psychogene Schwerhörigkeit (Hesse, 2015) Tabelle 3: Arten der Schwerhörigkeit. Diese unterschiedlichen Einteilungen zeigen die Komplexität der Schallempfindungs- schwerhörigkeit. Es existiert keine genaue Norm, nach der sich die Krankheiten in einem exakten Schema einordnen lassen. 26
Für die nachfolgende Untersuchung ist die exakte Ursache der Schallempfindungs- schwerhörigkeit nicht relevant. Auch ist sie aus dem Datensatz nicht erkennbar, da der genaue Grund der Durchführung der Audiometrie nicht bekannt ist. Alle Patienten mit Schallempfindungsschwerhörigkeiten werden in die Studie mit einbezogen unabhängig von der Ursache der Erkrankung (dazu 4.2). 3.4.3 Diagnostik Weder das Innenohr noch die Hörbahn sind der direkten Begutachtung zugänglich. Durch Anamnese, Otoskopie, Ätiologie, klinische Zeichen und audiologische Untersuchungen lassen sich Rückschlüsse auf das bestehende Krankheitsbild ziehen (Mrowinski et al., 2017). Die Diagnostik mittels audiometrischer Untersuchung ist bei Verdacht auf eine solche Erkrankung unabdingbar. Die Tonschwellenaudiometrie steht dabei weiterhin im Vordergrund und ermöglicht einen direkten Seitenvergleich und den Vergleich zwischen Luft- und Knochenleitung (Zahnert, 2010). Charakteristisch für eine Schallempfindungsschwerhörigkeit ist ein im Testergebnis gleichermaßen schlechtes Ergebnis für Luft- sowie Knochenleitung (Huppelsberg und Walter, 2013). Je nach Verlauf im Tonschwellenaudiogramm können weitere Rückschlüsse auf die Erkrankung gezogen werden. Darstellen können sich im Tonschwellenaudiogramm z. B. vereinzelte Hochtonsenken, ein Hochtonabfall, die Tieftonschwerhörigkeit oder eine kombinierte Variante. Diese typischen Kurvenverläufe können dann spezifischen Krankheitsbildern zugeordnet werden und erfordern weitere diagnostische Verfahren (Mrowinski et al., 2017). Weiterführende Maßnahmen können z. B. die Erweiterung der Tonschwellenaudiometrie mittels Höchsttonaudiometrie, Unbehaglichkeitsschwellen und Tinnitusbestimmung oder auch überschwellige Tests sein. Sprachgebundene Tests und Sprachaudiogramme, besonders der Freiburger Sprachtest, sollten in Betracht gezogen werden. Objektive audiologische Diagnostik wie z. B. Otoakustische Emission (OAE) oder auch Elektrocochleographie (ECochG) können zum Einsatz kommen (Hesse, 2015). Die bildgebende Diagnostik hat ebenfalls einen hohen Stellenwert. Durch sie besteht die Möglichkeit knöcherne Strukturen, Bindegewebe und retrocochleare Strukturen 27
darzustellen. Ausgehend vom konventionellen Röntgen bis hin zum MRT weist dieses Verfahren ein großes Spektrum auf (Hesse, 2015). Die für diese Studie relevanten Diagnostiken konzentrieren sich auf die Tonschwellenaudiometrie und die Sprachaudiometrie. 28
3.5 Ziele der Arbeit Wichtige diagnostische Maßnahmen, um Hörverluste zu untersuchen und sie in entsprechende Grade aufteilen zu können, stellen die Tonschwellenaudiometrie und die Sprachaudiometrie dar. Die Tonschwellenaudiometrie, die als Mittel der Wahl der Primärdiagnostik gesehen wird, wird häufig durch die Sprachaudiometrie ergänzt (Mrowinski et al., 2017). Aus diesem Grund stellt sich die Frage, ob es mögliche Zusammenhänge zwischen diesen Testverfahren gibt. Bisherige Untersuchungen unterschiedlicher Autoren bestätigen einen Zusammenhang, jedoch mit unterschiedlichen Thesen. Ziel ist es diese Thesen zu prüfen und zu ergänzen. Konkret werden in der Studie zuerst alle bedeutenden Daten mittels retrospektiver Statistik dargestellt und mögliche Auffälligkeiten oder Unauffälligkeiten dokumentiert (dazu 5.1). Anschließend erfolgt eine Untersuchung der herausgearbeiteten Ergebnisse (dazu 5.2 und 5.3). 3.5.1 Untersuchung der Korrelation zwischen dem Hörverlust der Tonaudiometrie und dem Hörverlust für Zahlen der Sprachaudiometrie 3.5.1.1 Fragestellung 1 Zunächst wird die Korrelation zwischen Ton- und Sprachaudiometrie im Hinblick auf den Vergleich zwischen Hörverlust im Tonaudiogramm und dem Hörverlust für Zahlen im Sprachaudiogramm untersucht (dazu 5.2). Die aufgeführten Autoren beschreiben eine Korrelation der Testsysteme in Bezug auf den Vergleich des mittleren Hörverlustes bestimmter Frequenzen im Tonaudiogramm und dem Hörverlust für Zahlen im Sprachaudiogramm. In der nachfolgenden Tabelle 4 werden entsprechende Zitate der jeweiligen Autoren und die dazugehörigen Untersuchungsergebnisse beziehungsweise Thesen zusammengeführt. 29
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