Zustand der Vogelwelt in der Schweiz Bericht 2021 - Schweizerische Vogelwarte Sempach
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Im Fokus Viele Brutvögel profitierten 2020 von einem milden Winter und optimalen Brutbedingungen. Die Corona-Pandemie führte aber durch den intensiven Freizeit- betrieb zu mehr Störungen, was sich auf den Bruterfolg negativ ausgewirkt haben dürfte. Seite 6 Viele Bergvögel haben in Europa seit den 1980er-Jahren deutliche Arealver- luste erlitten, vor allem in Gebirgen, die niedriger sind als die Alpen. Die Schweiz als zentrales Alpenland er- hält dadurch eine noch höhere Ver- antwortung. Seite 8 Die Schafstelze brütet bei uns in weit- läufigen Ebenen mit Ackerbau. Eine schweizweite Bestandserhebung ergab gegen 500 Paare. Als Transsaharazieher, Insektenfresser und Bodenbrüter vereinigt sie aber einige Risiko- faktoren. Seite 10 Der Sichler steht stellvertretend für eine Reihe von Feuchtgebietsarten, die sich in Europa seit den 1980er-Jahren ausbreiten konnten. Auch in der Schweiz tritt er immer regelmässiger und in grösserer Zahl auf. Seite 22 2
Im Januar 2021 wurden in der Schweiz 460 000 Wasservögel erfasst, so wenige wie letztmals in den 1970er-Jahren. Die Winterbestände von Tafelente, Reiher- ente, Stockente, Blässhuhn und Lach- möwe sind wegen der Klimaerwärmung rückläufig. Seite 24 In Europa sind grossräumige Arealver- schiebungen nach Norden im Gang. So haben etliche Singvogelarten ihr Brut- gebiet seit den 1980er-Jahren deutlich nordwärts ausgedehnt. Im Süden gibt es indes Verluste. Seite 30 Der zweite Europäische Brutvogelatlas (EBBA2) illustriert auch, dass ein ver- besserter Schutz mittels Schutzgebieten und Jagdverboten Wirkung zeigt. Der Seeadler gehört zu den Arten mit den grössten Arealgewinnen. Seite 32 Inhaltsverzeichnis Editorial ......................................................................................... 4 Brutvögel ....................................................................................... 6 Methodisches .............................................................................. 18 Durchzügler ................................................................................. 20 Wintergäste ................................................................................. 24 Weitere Informationen Weitere Informationen inklusive Bestands- Internationales ............................................................................ 30 entwicklung der Brutvogelarten und zusätz- Dank ............................................................................................. 34 lichen Analysen finden Sie online: www.vogelwarte.ch/zustand Impressum.....................................................................................35 3
EDITORIAL Ein europäischer Meilenstein 2020 war in den meisten Teilen der Etwa 120 000 Personen haben Mit EBBA2 erhalten wir nicht nur ein Welt ein schwieriges Jahr und eines, in Meldungen beigesteuert. Es wurden neues Standardwerk zur Entwicklung dem die Beziehungen und Zusammen- Daten aus 5110 50 × 50 km- der Vogelwelt. Die in einem gross- arbeit zwischen Menschen und Quadraten gesammelt, um die Ver- artigen Buch zusammengestellten Er- Ländern infolge der Beschränkungen breitung von 596 Vogelarten zu gebnisse werden noch jahrzehnte- wegen Covid-19 erschwert waren. In kartieren. Anstatt eines Top-Down-An- lang als wichtige Informationsquelle einem Jahr voller Probleme und Trauer satzes wurde dies durch 48 nationale für Naturschutz und Forschung dienen. konnten wir einen Lichtblick feiern, Partnerorganisationen ermöglicht, die Die Karten liefern bessere Kenntnisse eine grossartige Errungenschaft jeweils für die Datenerfassung nach über die europäischen Brutgebiete als internationaler Zusammenarbeit einem gemeinsamen Standard ver- je zuvor, insbesondere im Osten des auf dem europäischen Kontinent: antwortlich waren. In Ländern wie Kontinents, wo die Abdeckung im Ver- die Veröffentlichung des zweiten der Schweiz und meinem Heimat- gleich zum ersten Atlas in den 1980er- Europäischen Brutvogelatlas durch land (Grossbritannien) wurde dies Jahren deutlich verbessert wurde. Dies den European Bird Census Council durch eine lange Tradition ornitho- – und die Arealveränderungen seit (EBCC). logischer Studien und somit durch dem ersten Atlas – führen zu einem Dieses Ereignis tauchte natürlich eine bestehende Zusammenarbeit mit besseren Verständnis des Zustands der nicht einfach so im Jahr 2020 auf. ehrenamtlichen Ornithologinnen und Vögel in Europa und werden für ge- Es war das Ergebnis von zehn Jahren Ornithologen ermöglicht, während zielte Schutzbemühungen genutzt. Zu- Arbeit, zu einem grossen Teil unter dies in vielen osteuropäischen Ländern künftige Forschungen mit den EBBA2- der Leitung von Mitarbeitenden der nicht der Fall war. Beratung, Aus- Daten werden uns helfen, die Rolle Schweizerischen Vogelwarte, allen bildung und wichtiger finanzieller der verschiedenen die Verbreitung voran Verena Keller, die das Projekt zu- Support – ein Grossteil davon gross- von Vögeln bestimmenden Faktoren, sammen mit Kolleginnen und Kollegen zügigerweise von der MAVA-Stiftung z.B. Landnutzung und Klimawandel, des Katalanischen Ornithologischen – unterstützten die begeisterten zu verstehen. Schliesslich gibt uns die Instituts und der Tschechischen Ge- Vogelbeobachterinnen und Vogel- Kenntnis der Verbreitung von Arten sellschaft für Ornithologie von Anfang beobachter in Osteuropa. Dadurch in ganz Europa wertvolle Einblicke in an vorantrieb. Die Zahlen, die hinter wurde eine Abdeckung erreicht, die die Populationen auf nationaler Ebene, dem Buch stehen, sind beeindruckend: die Erwartungen weit übertraf. wie sie dieser Bericht für die Schweiz untersucht. EBBA2 wurde von einem beispiel- haften europäischen Netzwerk er- möglicht, in dessen Mittelpunkt die Schweiz steht. Es ist ein inspirierendes Beispiel für internationale Zusammen- arbeit und, wie ich hoffe, ein Aus- gangspunkt für noch grössere zu- künftige Erfolge. Dr. Mark A. Eaton Vorsitzender des European Bird Census Council (EBCC) 4
Es gibt 91 Vogelarten, die in Europa endemisch oder fast endemisch sind. Der Gartenbaumläufer gehört zu den fast endemischen Arten. Er hat sein Brutgebiet seit den 1980er-Jahren leicht ausgedehnt, vor allem am nörd- lichen und östlichen Arealrand, wie der zweite europäische Brutvogelatlas (EBBA2) zeigt.
Am 9. August 2020 wurden von einem Standort am Sempachersee aus 109 Stand-up-Paddles, Gummiboote und ähnliche Wasservehikel ge- zählt. Mehr Störungen im Coronajahr durch den Freizeitbetrieb haben sich wohl auf den Bruterfolg negativ ausgewirkt. Corona beeinflusst Menschen und Vogeldaten Der Rückblick auf das Jahr 2020 wird #stayhomeandwatchout lanciert, mit (Amsel, Kohlmeise, Haussperling), kön- auch aus ornithologischer Perspektive welcher das Beobachten im eigenen nen gewisse Gartenlisten mit Arten wie durch die Corona-Pandemie geprägt. Garten oder vom Balkon aus propagiert Nachtreiher, Stein- und Sperlingskauz, Während des Lockdowns im Früh- wurde. Über 300 Teilnehmende mel- Gänsegeier und Blaumerle auftrumpfen. jahr war die Bevölkerung angehalten, deten knapp 31 000 Beobachtungen. Gewisse Vogelbeobachterinnen und möglichst zuhause zu bleiben. Des- Während die drei am meisten ge- -beobachter wohnen wohl an beneidens- halb wurde ab dem 19. März die Aktion meldeten Arten kaum überraschen werten Orten und/oder hatten grosses Beobachterglück! 30 000 Rekordhohe Anzahl Meldungen Anzahl vollständige Beobachtungslisten Aufgrund der generellen Reise- 25 000 einschränkungen besuchten viele Melderinnen und Melder vermehrt 20 000 heimische Gefilde, besonders auch die Alpen. Der warme Sommer unterstützte 15 000 diesen Trend zusätzlich. So wurden auf ornitho.ch aus Höhen über 1500 m fast 10 000 ein Drittel mehr Meldungen registriert als im Vorjahr. Die Gesamtzahl an 5 000 Meldungen kletterte auf 2,5 Mio., womit das vorangegangene Spitzenjahr noch- 0 mals um 13 % übertroffen wurde. 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Wir werden das Jahr 2020 als ein sehr einschneidendes Jahr in Erinnerung be- Anfang 2020 lancierte die Vogelwarte eine Revision der Meldeinstruktionen für den Informationsdienst. Diese wurde sehr gut umgesetzt. So nahm 2020 z.B. die Anzahl der halten. Aus Vogelperspektive sind vollständigen Beobachtungslisten deutlich zu. Dieser Beobachtungstyp ermöglicht bessere wohl vor allem zwei Aspekte herauszu- Auswertemöglichkeiten, weil er auch Hinweise zu nicht festgestellten Arten enthält. streichen: (1) ein extrem milder Winter 6
BRUTVÖGEL 150 und (2) (coronabedingt) ein markant ver- stärktes Ausschwärmen der Bevölkerung 125 in die Natur, insbesondere an Seen und Flüsse im Mittelland. Index 100 Milder Winter und optimale 75 Brutbedingungen Die Schweiz verzeichnete den mildesten 50 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 Winter seit Messbeginn 1864. Die Als Kurzstreckenzieher profitierte das Rotkehlchen vom milden Winter 2019/20. Das Wintertemperatur 2019/20 lag 3 °C über Monitoring Häufige Brutvögel (MHB) registrierte für diese Art einen Sprung von 15 % im der Norm 1981–2010. Dies war wohl der Vergleich zum Vorjahr. Grund dafür, dass viele Standvögel und Kurzstreckenzieher 2020 sehr hohe Brut- bestände erreichten. Nach einem rekordwarmen Winter folgte der drittwärmste Frühling mit 150 einer anhaltenden Trockenperiode. Der Sommer war sehr warm, aber ohne 125 ausgesprochene Hitzewellen wie in den Vorjahren. Vielen Arten schienen Index 100 diese Bedingungen zu passen. Die Langstreckenzieher verzeichneten einen 75 durchschnittlichen Anstieg der Brut- bestandsindizes um einen Rekordwert 50 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 von +15 %. Somit kletterte auch der Auch der Steinschmätzer, ein Langstreckenzieher, erlebte 2020 ein Bestandshoch. Die Gesamtindex des Swiss Bird Index SBI® Gründe für den rasanten Anstieg sind ungeklärt. auf einen neuen Höchststand. 140 Alle Arten Auswirkungen von Corona auf Feuchtgebiete Kurzstreckenzieher 120 Viele andere Freizeitvergnügen waren durch die Pandemie verunmög- Langstreckenzieher licht, sodass die Schweizer Bevölkerung im schönen Frühling und Sommer in die Natur strömte. Waren Schweizer Seen und Flüsse schon in der Ver- 100 gangenheit gut besucht, erlebten sie während des Lockdowns 2020 einen regelrechten Boom, der auch vor Schutzgebieten nicht Halt machte. Die Index Ranger auf der St. Petersinsel am Bielersee erfassten im Sommerhalbjahr 80 rund 55 Besucherinnen und Besucher pro Stunde, was ungefähr 150 % des Vorjahrs entspricht. Leider kam es als Folge dieses Besucherauf- kommens auch zu mehr Verstössen gegen die Schutzregeln. Am Südufer 60 des Neuenburgersees wurden mindestens doppelt so viele Verstösse wie im Vorjahr registriert. Dort haben drei Purpurreiherpaare ihre Bruten wahr- scheinlich wegen Störungen aufgegeben. 40 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 Für Kurzstreckenzieher wie auch Langstreckenzieher waren die Witterungsbedingungen sehr gut, sodass auch der Swiss Bird Index SBI® für alle Arten in diesem Jahr einen neuen Höchststand erreichte. Weitere Informationen Die Berechnungsweise des SBI wurde leicht angepasst (Ausführungen www.vogelwarte.ch/zustand/brut dazu auf Seite 12–13). 7
BRUTVÖGEL Die Alpenbraunelle ist aus vielen tiefer gelegenen Regionen Europas verschwunden. Damit steigt die Bedeutung hochalpiner Gebiete wie jenen in der Schweiz für das Überleben der Art. Die Schweiz mit einer besonderen Verantwortung Der zweite europäische Brutvogelatlas die fortschreitende Intensivierung der Schweiz einen besonders hohen Anteil (EBBA2) war nur dank dem immensen Landwirtschaft weiter zurückgedrängt. am europäischen Bestand beherbergt. Einsatz von rund 120 000 Personen Andererseits geht es den Waldvögeln möglich, die in 48 Ländern Vögel ge- vergleichsweise gut. Ihre Bestände ent- Bergvögel unter Druck zählt haben, teilweise fernab jeglicher wickeln sich in der Schweiz ebenfalls Für EBBA2 wurden die Brutvogelarten Zivilisation. Die Daten- und Erkenntnis- mehrheitlich positiv. einem Hauptlebensraum zugeteilt. fülle erlaubt auch Schlussfolgerungen 14 Arten wurden den Gebirgs-Lebens- für die Schweiz. Wie bei uns sind die Schweiz als Bergland par räumen zugeordnet. Die grösste Viel- Kulturlandvögel europaweit in Bedräng- excellence falt an Arten dieser Gruppe beherbergt nis. Viele Vogelarten wurden durch Die Schweiz ist im europäischen Ver- der Kaukasus, wo einige spezielle Vogel- gleich zwar klein, aber sie hat einen arten wie Kaspikönigshuhn, Kaukasus- hohen Gebirgsanteil. Die Alpen birkhuhn, Riesenrotschwanz und Berg- European Breeding Bird Atlas 2: nehmen rund zwei Drittel der Landes- gimpel vorkommen. Auch in den Alpen distribution, abundance and change fläche ein. Auch der Jura ist höher und Pyrenäen ist die Artenvielfalt hoch. Mit dem neuen europäischen Brutvogel- als manch höchster Berg in anderen Über alle 14 Arten betrachtet erlitten atlas stehen erstmals Verbreitungskarten Ländern. Deshalb weist unser Land vor sie seit EBBA1 stärkere Rückgänge in für ganz Europa zur Verfügung. Es werden auch die Veränderungen über allem bei den Bergvögeln proportional den Karpaten, im Apennin und in den den Zeitraum von 30 Jahren dargestellt. hohe Bestände auf, speziell bei Ring- Pyrenäen, aber ebenso in tieferen Lagen Der 967-seitige Werk kann zum Preis von drossel, Schneesperling, Alpendohle der Alpen. Die auch bei uns brütenden 90 Euro bezogen werden: und Bergpieper mit über 10 % und Arten dieser Gruppe zeigen bis auf www.lynxeds.com/product/european- breedingbird-atlas-2-distribution- bei der Alpenbraunelle mit über 30 % eine Ausnahme allesamt Arealverluste abundance-and-change. des europäischen Bestands. Insgesamt in Europa: Mehr oder weniger aus- sind es knapp 40 Arten, bei denen die geprägt ist dies der Fall bei Alpendohle, 8
BRUTVÖGEL Motacillidae 721 805 Veränderung Veränderung few populations along Change –3.7 sites distribution was limited by habitat structure (Melendez & Laiolo Change –7.2 ce EBBA1, and there is EBBA1 2014). EBBA1 EBBA1 EBBA1 nto Sweden but, overall, EBBA1 EBBA1 & & EBBA2 The distribution of the nominate subspecies has changed little since EBBA1 EBBA1 & & EBBA2 EBBA2 EBBA2 EBBA1, although some erosion at the edges of mountain massifs is EBBA2 EBBA2 lations appear to have EBBA2 visible. At a smaller scale the Water Pipit has disappeared from are- EBBA2 information in particu- helleLight Farben: colours: unge- as at the lower altitudinal range limit in S Germany, NE France and helleLight Farben: colours: unge- insufficiently insufficiently PECBMS, ERL]. There nügend covered bearbeitet Switzerland [AtDE, AtFR, AtCH]. The apparent disappearance from nügend coveredbearbeitet the range in the British the Sierra Nevada in S Spain is probably not real because breeding was nd the Ring Ouzel has never confirmed there (de Juana & Garcia 2015). Similarly, the EBBA1 ndance between 1993– records from NE Germany referred to isolated breeding observations ve 2000 m asl [AtCH]. over just a short period [AtDE]. ge (von dem Bussche et The breeding population in the Alps did not show any trend in from the lower-altitude the period 2002–14, in contrast to the negative trend in the Pyrenees, which could be an effect of the species’ sensitivity to rising temperature e been linked to climate and declining precipitation (Lehikoinen et al. 2019b). the wintering grounds The Water Pipit breeds in open grassland areas, preferably on slopes iper flowering, as juni- with scattered rocks or bushes. These habitats occur naturally at high 2006); this might also altitude but also where the treeline has been lowered to create pastures. rope. In the Carpathian The altitudinal distribution is therefore likely to be affected by forest small meadows was re- encroachment as well as climatic factors. The changes observed in the owiec 2012). Changing Swiss Alps between the two atlas periods 1993–96 and 2013–16, show- the treeline, could have ing a decrease in abundance below 2000 m asl and an increase between in some areas. 2000 m and 2500 m, point in that© EBCC [AtCH]. direction © EBCC Illustration: Diana Höhlig Die Ringdrossel kommt Verena Keller in Europa zwar auch in tieferen ©eBCC Illustration: Jacques Laesser Lagen vor, Der Bergpieper weist in Europa besonders in mittleren ©eBCC Lagen und an aber speziell dort ist das Areal seit den 1980er-Jahren geschrumpft. den Arealrändern Verluste auf. In der Schweiz stieg die mittlere In der Schweiz zeigt diese Art unterhalb von 2000 m ü.M. deutliche Höhenverbreitung zwischen 1993–1996 und 2013–2016 um rund Verluste und darüber leichte Zunahmen. Probability of occurrence 40 Meter an. 1 Mauerläufer, Alpenbraunelle, Schnee- der Waldgrenze brüten, da ihr Lebens- eidgenössischen Jagdbanngebieten, die sperling und Bergpieper.0 Diese Verluste raum Richtung Bergspitze immer kleiner vor allem in den Alpen liegen. Sie haben stehen unter anderem im Zusammen- wird. Mit dem Verschwinden der Berg- das Ziel, seltenen und bedrohten Wild- hang mit der Klimaerwärmung, denn vögel aus vielen anderen Gebirgszügen tieren störungsarme Rückzugsgebiete zu sie betreffen vor allem Gebirge, die erhalten die Alpen eine zunehmend bieten. Wenn es gelingt, auch eine an- niedriger sind als die Alpen. stärkere Bedeutung für den Erhalt gepasste landwirtschaftliche Nutzung dieser spezialisierten Avifauna. Die ohne Intensivierung zu etablieren, Der Klimawandel und die Rolle Daten aus Europa zeigen: Die Schweiz könnten die Jagdbanngebiete eine der Schweiz als zentrales Alpenland muss ihre inter- wichtige Funktion beim Schutz der Berg- Die Klimaerwärmung wirkt sich auch nationale Verantwortung wahrnehmen vögel und der Biodiversität übernehmen. in der Schweiz aus und drängt – zu- und den Schutz der alpinen Biodiversi- Andernorts gilt es vor allem, den Ausbau sammen mit Veränderungen der Land- tät verbessern. touristischer Infrastruktur kritisch zu be- nutzung – viele Brutvögel nach oben, gleiten. Zentral ist, dass in den Bergen wie der Schweizer Brutvogelatlas Besseren Schutz sicherstellen die jetzt noch vorhandene gute öko- 2013–2016 gezeigt hat: Die Höhenver- Eine Möglichkeit wäre hierzu die logische Infrastruktur erhalten bleibt. breitung von 71 häufigen Brutvögel hat Verbesserung des Schutzes in den sich zwischen 1993–1996 und 2013– 2016 im Durchschnitt um 24 Meter 120 nach oben verschoben – also um rund ©eBCC ©eBCC einen Meter pro Jahr. Besorgniserregend ist vor allem, dass 100 viele Bergvogelarten, die in Europa Index aus einem Teil des Brutgebiets ver- 80 schwunden sind, auch in der Schweiz 201101_EBBA_espècies_colors ok.indd 805 02/11/20 18:25 02/11/20 20:23 Veränderungen in der Höhenverbreitung aufweisen: Ihre Bestände nehmen in 60 tieferen Lagen meist stärker ab als sie 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 in höheren Lage zunehmen, was ins- Der Bestandsindex des Schneesperlings ist trotz Schwankungen negativ. Weil auch das Ver- gesamt auf Rückgänge hinausläuft. breitungsgebiet klein und fragmentiert ist und sich der Rückgang mit der Klimaerwärmung noch Die Höhenverschiebung ist vor allem verstärken dürfte, wird die Art in der neuen «Roten Liste der Brutvögel», die in diesem Jahr vom für Arten problematisch, die oberhalb Bundesamt für Umwelt BAFU publiziert wird, neu als «potenziell gefährdet» (NT) eingestuft. 9
BRUTVÖGEL Volkszählung bei der Schafstelze Die Schafstelze ist eine Brutvogel- art, die durch die Maschen unseres Überwachungsnetzes zu fallen droht. 1 Sie brütet nur in wenigen Regionen, 2–20 74 21–100 mitten in von Ornithologinnen und >100 Ornithologen z.T. wenig besuchten Ackerbaugebieten. Um künftig ver- lässliche Angaben zur Berechnung des Brutbestandsindex dieser Art zu 99 haben, starteten wir im Frühjahr 2020 eine landesweite Bestandsaufnahme. 240 Sie sollte zeigen, wo aktuell welche Bestände vorhanden sind, und wie diese möglichst effizient und zuver- 42 14 lässig erhoben werden können. 3 Bestandserfassungen sind eine Herausforderung Schafstelzen zu kartieren ist nicht einfach. Zwar sind ihre Lebensräume Die Verbreitung der Schafstelze in der Schweiz ist auf einige wenige Ackerbaugebiete offen, aber weitläufig, und sobald beschränkt. die Vegetation dichter wird, sind die Vögel oft schwierig zu entdecken. Ihre Brutzeit ist nur kurz und die zahl- Zudem treten die Vögel häufig ge- zwischen Anfang Mai und Mitte Juni reichen Durchzügler, die bis weit in klumpt auf und streifen bei der systematisch abgesucht, mit einem den Mai hinein in diesen Gebieten Nahrungssuche weit umher, was fünfminutigen Stopp am Feldrand alle rasten, erschweren den Überblick. die Abgrenzung ihrer Reviere er- 150–200 Meter. Raschwüchsige Kulturen und Ernte- schwert. Beim nun gewählten Ver- In der Schweiz sind es nur einige arbeiten machen Erhebungen schon fahren wurden die potenziellen wenige Ackerbaugebiete, in denen ab Anfang Juni zur Herausforderung. Lebensräume auf drei Rundgängen traditionellerweise Schafstelzen brüten: im Chablais VD/VS, in der Orbeebene VD, im Grosses Moos BE/ FR, in der Magadinoebene TI und bei Agno TI. Dazu kommt noch die Nordostschweiz mit dem Grenz- gebiet der Kantone Schaffhausen, Thurgau und Zürich. Es handelt sich somit grösstenteils um Gebiete, die einst grossflächige Feuchtgebiete oder Schwemmebenen von Flüssen dar- stellten. Je nach Region bevorzugt die Schafstelze unterschiedliche Kulturen, in denen sie ihr Nest anlegt. Pilotjahr mit überraschenden Ergebnissen Die Zählungen waren sehr erfolg- reich, aber aufwändig. In der Nordost- schweiz wurden 74 Reviere ermittelt, im Tessin 17 und im Grossen Moos 99. Schafstelzen kämpfen mit schwierigen Bedingungen, etwa grossflächig mit Vlies be- deckten Kulturen. Das Bild aus der Magadinoebene zeigt ein Männchen der Unterart Die Orbeebene konnte erstmals über- M. f. feldegg. Diese in Südosteuropa beheimatete Unterart brütet nur ausnahmsweise haupt flächendeckend kartiert werden. in der Schweiz. Sie übertraf mit rund 240 Revieren alle 10
BRUTVÖGEL Schafstelzen brüten dort, wo unsere Kopfsalate wachsen, wie hier in der Orbeebene. Jungvögel in schnellwüchsigen Kulturen erfolgreich aufzu- ziehen, ist damit ein Rennen gegen die Zeit. Erwartungen. Im Chablais wurde auf erheblicher Bestandsrückgang in der gibt es gute Gründe, die Schafstelze die Ergebnisse des Vorjahres zurück- Magadinoebene deuten an, dass die auch künftig im Auge zu behalten. gegriffen, die 42 Reviere ergeben Populationen fragil sind. Zudem zeigt hatten. Insgesamt liessen sich also die Schafstelze insbesondere im be- rund 470 Reviere finden – das ist nachbarten Ausland seit den 1980er- ein Drittel mehr, als noch für den Jahren einige Arealverluste, ins- Schweizer Brutvogelatlas 2013–2016 besondere in Norditalien. Jedenfalls ermittelt wurde. Der Bestand in der Orbeebene war während des Atlas unterschätzt worden. Zusammen mit einer Handvoll Kleinstpopulationen in anderen Gebieten dürfte sich der Schweizer Bestand damit aktuell auf gegen 500 Paare belaufen. Art mit schwierigen Voraussetzungen Die Schafstelze ist in der Schweiz eine seltene Brutvogelart, die eine Reihe von Risikofaktoren auf sich vereint: Transsaharazieher, Insektenfresser, Bodenbrüter, Bewohner intensiv ge- nutzter Landwirtschaftsgebiete, in der wechselndes Nahrungsangebot, sich saisonal rasch verdichtende Vegetation, häufige maschinelle Bodenbearbeitung und häufiger Pestizideinsatz eine erfolgreiche Kaum eine Schafstelze nistet bei uns in der Nähe von Schafen. Die Vögel besiedeln weit- Jungenaufzucht erschweren. Deut- läufige Ebenen, in denen z.B. Kartoffeln und anderes Gemüse, Zuckerrüben, Getreide oder liche Bestandsschwankungen und ein Raps angebaut werden. 11
BRUTVÖGEL Neuerungen bei Brutbestandsindizes und SBI® berechnet werden muss. Bei eher seltenen Arten mit Bestandszunahme muss kontrolliert werden, ob der Index neu basierend auf den MHB-Daten er- mittelt werden kann. Ersteres trifft nun beim Braunkehlchen zu, während letzteres neu bei Sperber, Hohltaube und Felsenschwalbe der Fall ist. Die ornitho-Daten fallen vor allem tagsüber an, was die Bestandsüber- wachung von nachtaktiven Arten besonders anspruchsvoll macht. So basierte der Bestandsindex des Wald- kauzes bisher auf der Besetzungs- rate von Nistkästen. In schlechten Mäusejahren brüten viele Paare nicht. In den Feuchtgebieten sind seit 1990 einige Arten neu als regelmässig brütende Arten Die resultierenden Schwankungen in hinzugekommen. Zu diesen gehört auch das Kleine Sumpfhuhn, dessen Bestandstrend nun der Nistkasten-Besetzungsrate ent- ebenfalls in den SBI® Feuchtgebiete und Gewässer einfliesst. sprechen aber nicht der Bestands- entwicklung, denn die Paare sind oft dennoch anwesend. Da der Wald- Brutbestandsindizes und Swiss Bird Index Anpassungen bei den kauz regelmässig in der Morgen- SBI® sind wichtige Indikatoren bei der Be- Brutbestandsindizes dämmerung ruft, wird der Index neu urteilung der Entwicklung von Vogelwelt Bestandstrends für verbreitete Arten basierend auf den MHB-Daten be- und Umwelt in der Schweiz. Im Grundsatz können dank des Monitorings Häufige rechnet. Balzende Waldschnepfen gilt, dass sich die Berechnung eines In- Brutvögel (MHB) relativ einfach ermittelt werden seit 2017 mit einem schweiz- dikators möglichst wenig verändern sollte. werden. Bei selteneren Arten ist dies um weiten Netz von Aufnahmestand- Die Datengrundlagen von einzelnen Arten einiges komplexer, denn die Grundlage orten überwacht. Von 1989 bis 2007 können sich jedoch verändern. Auch bei bilden Gelegenheitsbeobachtungen wurde im Kanton Waadt ein ähnliches der Berechnungsweise gibt es in grösseren (d.h. ornitho-Daten). Regelmässig über- Monitoring unter der Koordination von Abständen relevante methodische und prüfen wir, ob die Datenlage aus dem François Estoppey durchgeführt. Neue statistische Weiterentwicklungen. Beides MHB bei Arten mit Bestandsrückgängen Analysemethoden erlauben es nun, führt zu periodischen Anpassungen, was noch genügend ist oder ob der Brut- diese beiden Datensätze für die Index- nun der Fall ist. bestandsindex neu mit ornitho-Daten berechnung mitzuberücksichtigen. Bei 180 bisher 160 neu 140 120 100 Index 80 60 40 20 0 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 Der Waldkauz ist nachtaktiv. Dennoch fallen beim 1999 gestarteten Monitoring Häufige Brutvögel (MHB) in der Morgendämmerung genügend Nachweise zum Abschätzen der Bestandsentwicklung an. Auffallend ist, dass der neue Trend viel weniger schwankt. Der bisherige Trend zeigte die Besetzungsrate von Nistkästen, die eine viel grössere Variation als der Bestand selbst aufweist. 12
BRUTVÖGEL 160 160 bisher bisher neu neu 120 120 Index Index 80 80 – – 40 ~ 40 + ~ + grau = neuer regelmässiger Brutvogel schwarz = Brutbestand 0 in 2020 0 0 1990 1994 1998 2002 2006 2010 2014 2018 1990 1994 1998 2002 2006 2010 2014 2018 Besonders beim SBI® Feuchtgebiete und Gewässer zeigen sich die Auswirkungen der Anpassungen der Berechnungsweise. Dieser Index umfasst auch drei Arten mit einem Brutbestand von 0 im Jahr 2020 (Schwarzhalstaucher, Grosser Brachvogel, Bekassine) und drei neue regelmässige Brutvögel (Eiderente, Purpurreiher, Kormoran). Solche Arten hatten bei der bisherigen Berechnungsweise einen deutlichen, aber arbiträren Ein- fluss auf den Index. Dies führt mit der neuen Methode (rot) zu einem anderen Verlauf als bei der bisherigen Methode (blau). Dagegen ist der SBI® Wald (rechts) ohne neu regelmässige Arten oder Arten mit Bestand 0 im Jahr 2020 Arten praktisch unverändert. den Felsbewohnern Uhu und Wander- zeitweise regelmässig brüteten. Den auch wenn weitere Arten als Brutvögel falke haben wir basierend auf allen SBI ermittelten wir bisher als das geo- verschwinden oder neu auftreten. Neu Meldungen (auch rückwirkend) Reviere metrische Mittel aus den Brutbestands- wird beim Index stets die Anzahl der ausgeschieden. Diese haben die An- indizes der einzelnen Arten, wie es Arten mit Bestand 0 und der neuen zahl besetzter Kilometerquadrate als dem Standard zur Berechnung von regelmässigen Brutvögel als zusätzliche räumliche Einheit abgelöst. Die daraus kombinierten Indizes entspricht. Ent- Information mitgeliefert. resultierenden Trendschätzungen sind hält das Artenset verschwundene oder näher an der Realität. neu aufgetretene Arten, wird diese Be- rechnungsweise praktisch verunmög- Methodischer Meilenstein beim SBI licht. Eine an der Vogelwarte neu ent- Für die Berechnung des SBI werden wickelte Methode erlaubt jetzt eine Weitere Informationen in der Schweiz fast alle Arten be- kohärente Berechnung, damit der SBI www.vogelwarte.ch/zustand/brut rücksichtigt, die seit 1990 zumindest längerfristig besser vergleichbar bleibt, 160 bisher 140 neu 120 Index 100 80 60 40 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 Durch den steten Bestandsrückgang des Braunkehlchens kommt die Art inzwischen nur noch auf wenigen MHB-Flächen vor. Für die Trend- berechnung müssen die MHB-Daten mit den Brutzeitbeobachtungen aus ornitho.ch kombiniert werden. Der neue Brutbestandsindex verläuft praktisch identisch wie der bisherige MHB-Trend. 13
BRUTVÖGEL Rote Liste: neben Schattenseiten auch Lichtblicke Die Rote Liste beurteilt das Risiko, dass 3,4 % 4,4 % eine Art als Brutvogel aus der Schweiz verschwinden wird. Sie wird alle 10 Jahre 39,5 % 12,2 % RE in der Schweiz ausgestorben aktualisiert. Die neue Version wird CR vom Aussterben bedroht voraussichtlich im Herbst vom Bundes- EN stark gefährdet amt für Umwelt (BAFU) publiziert. Von den 205 in der Schweiz VU verletzlich brütenden Vogelarten (ohne Ausnahme- NT potenziell gefährdet erscheinungen und Neozoen) mussten 20,5 % LC nicht gefährdet 83 (40 %) auf die Rote Liste gesetzt werden. Der Anteil der gefährdeten Arten im Kulturland und in den Feucht- gebieten ist deutlich höher als im Wald 20,0 % oder in alpinen Lebensräumen. Dies ist ein klarer Hinweis darauf, dass die Anteil der Brutvogelarten pro Gefährdungskategorie. Die Rote Liste (Kategorien RE – in der Probleme für die Vögel der Landwirt- Schweiz ausgestorben, CR – vom Aussterben bedroht, EN – stark gefährdet und VU – verletz- lich) enthält 83 Arten (40 % der evaluierten Arten). schafts- und der Feuchtgebiete nach wie vor besonders akut sind. Etliche prominente Verlierer die Situation unter anderen für Gänse- Artenförderung wirkt Der Anteil der Arten auf der Roten Liste säger, Waldohreule, Uhu, Steinadler und Ein paar Lichtblicke gibt es dennoch: ist von 2001 über 2010 und bis 2021 Wacholderdrossel beurteilt. Beispielsweise konnten sich Weiss- mit 40 % gleich geblieben. Bei 42 der storch, Kiebitz und Dohle, welche mit 205 beurteilten Vogelarten, also über Deutlicher Anstieg der potenziell Förderungsprojekten unterstützt werden, einem Fünftel, änderte sich die Ein- gefährdeten Arten etwas erholen und in eine tiefere Kate- stufung 2021 gegenüber 2010. 25 Zwischen 2001 und 2021 markant ge- gorie eingeteilt werden. Dies zeigt, wie wurden in eine höhere Gefährdungs- stiegen ist der Anteil der potenziell ge- wichtig die Artenförderung ist. kategorie eingestuft, 17 in eine tiefere. fährdeten Arten, nämlich von 12 auf Trotzdem sind verstärkte Massnahmen Insgesamt hat sich somit die Ge- 20 %. Zu den Arten auf dieser «Vorwarn- für den Artenschutz und Lebensraumauf- fährdungssituation der Brutvögel weiter liste», die nicht zur eigentlichen Roten wertungen unabdingbar. Insbesondere verschlechtert. Zu den Arten, bei denen Liste gehört, zählen verbreitete Arten wie die Landwirtschaftspolitik ist gefordert, sich eine Verschärfung ergab, zählen Haubentaucher, Raufusskauz, Neuntöter, die Bewirtschaftungsintensität zu ver- Steinhuhn, Turteltaube, Grauspecht, Rauchschwalbe und Schneesperling, die ringern, Biodiversitätsförderflächen zu Wanderfalke, Feldlerche und Garten- über die letzten Jahre Bestandseinbussen optimieren und naturnahe Strukturen zu grasmücke. Günstiger als 2010 wurde zu verzeichnen hatten. fördern. Gross ist der Handlungsbedarf auch in den Feuchtgebieten, um ein Netz ausreichend grosser, störungsarmer und nasser Feuchtbiotope zu schaffen und zu fördern. Nach der Revision der Roten Liste wird nun unter Einbezug weiterer Faktoren wie der internationalen Bedeutung der Schweizer Bestände die Liste der national prioritären Arten überarbeitet werden. Aus diesen wird dann mit dem spezi- fischen Handlungsbedarf die Liste der Prioritätsarten Artenförderung bestimmt. Literaturhinweis Knaus, P., S. Antoniazza, V. Keller, T. Sattler, H. Schmid & N. Strebel (im Druck): Rote Lis- Die eigentlich recht anspruchslose Grauammer verzeichnet einen dramatischen Rückgang. Seit te Brutvögel. Gefährdete Arten der Schweiz, Mitte der 1990er-Jahre ist sie aus etlichen Gebieten verschwunden. Deshalb wird die Art neu Stand 2020. Bundesamt für Umwelt, Bern, als «vom Aussterben bedroht» (CR) und damit zwei Kategorien höher als 2010 eingestuft. und Schweizerische Vogelwarte, Sempach. 14
Der Bestand des Zwergtauchers ist klein und zeigt neben Schwankungen einen langfristigen Rückgang, nimmt aber in jüngster Zeit wieder zu. Er profitierte von neu geschaffenen Kleingewässern (z.B. Golfplatzweiher) und der Revitalisierung von Feuchtgebieten. In ersteren sind die Bestände allerdings stark von Pflege- massnahmen abhängig. Die Art wurde nur noch als «potenziell gefährdet» (NT) statt «verletzlich» (VU) eingestuft.
BRUTVÖGEL Brutvögel der Schweiz Bestandsentwicklung der 176 berücksichtigten Brutvögel1 der Schweiz im vollständigen Untersuchungszeitraum (normaler- weise 1990–2020) und in den letzten zehn Jahren (2011–2020). Ein Trend +++ bzw. – – – bedeutet eine Veränderung um mehr als Faktor 5, ein Trend ++ bzw. – – eine Veränderung zwischen Faktor 2 und 5 und ein Trend + bzw. – eine Veränderung um weniger als Faktor 2. Das Zeichen • zeigt, dass keine statistisch signifikante Veränderung festgestellt wurde, was bei effektiv stabilen Populationen oder bei stark schwankenden Beständen der Fall ist. Die Farben in den letzten beiden Spalten zeigen den Status auf der Roten Liste (RL) der Schweiz: rot = CR – vom Aussterben bedroht (Critically Endangered), hell- rot = EN – stark gefährdet (Endangered), gelb = VU – verletzlich (Vulnerable), hellgrün = NT – potenziell gefährdet (Near Threatened), grün = LC – nicht gefährdet (Least Concern); die neue «Rote Liste der Brutvögel» wird dieses Jahr vom Bundes- amt für Umwelt BAFU herausgegeben. Art Trend Trend RL RL Art Trend Trend RL RL 1990–2020 2011–2020 2010 2021 1990–2020 2011–2020 2010 2021 Wachtel • • LC VU Mittelmeermöwe +++ • LC LC Steinhuhn • ++ NT VU Flussseeschwalbe ++ • NT NT Rebhuhn ––– ––– CR CR Schleiereule – + NT NT Haselhuhn • • NT NT Sperlingskauz • • LC LC Alpenschneehuhn4 – • NT NT Steinkauz ++ + EN EN Auerhuhn – • EN EN Raufusskauz – – LC NT Birkhuhn • • NT NT Zwergohreule ++ ++ EN EN Eiderente • • VU EN Waldohreule³ + • NT LC Gänsesäger ++ + VU NT Waldkauz² + LC LC Kolbenente +++ • NT NT Uhu • • EN VU Tafelente • • EN EN Wespenbussard + • NT NT Reiherente + • VU VU Bartgeier +++ ++ CR CR Schnatterente ++ • EN VU Steinadler + + VU NT Stockente + • LC LC Sperber • • LC LC Zwergtaucher • + VU NT Habicht + • LC NT Haubentaucher – • LC NT Rotmilan +++ + LC LC Schwarzhalstaucher • • VU VU Schwarzmilan² • LC LC Hohltaube ++ ++ LC LC Mäusebussard + • LC LC Ringeltaube ++ + LC LC Wiedehopf + • VU VU Turteltaube –– – NT EN Bienenfresser +++ +++ EN VU Türkentaube + + LC LC Eisvogel + • VU VU Ziegenmelker – – EN EN Wendehals • + NT NT Alpensegler ++ + NT NT Grauspecht –– – VU EN Fahlsegler ++ • VU VU Grünspecht³ + • LC LC Mauersegler² • NT NT Schwarzspecht ++ + LC LC Kuckuck + • NT NT Dreizehenspecht • + LC LC Wasserralle • + LC LC Mittelspecht ++ + NT NT Wachtelkönig ++ • CR CR Kleinspecht + + LC LC Tüpfelsumpfhuhn + • VU VU Buntspecht ++ • LC LC Kleines Sumpfhuhn +++ • VU VU Turmfalke ++ + NT NT Teichhuhn + + LC LC Baumfalke + + NT NT Blässhuhn + + LC LC Wanderfalke + – NT VU Weissstorch ++ ++ VU NT Pirol + • LC LC Zwergdommel + • EN EN Neuntöter – • LC NT Graureiher + + LC LC Rotkopfwürger ––– • CR CR Purpurreiher +++ • CR CR Alpenkrähe ++ + EN EN Kormoran +++ ++ LC LC Alpendohle² • LC LC Flussregenpfeifer • • EN EN Eichelhäher + • LC LC Kiebitz – + CR EN Elster ++ + LC LC Grosser Brachvogel ––– • CR CR Tannenhäher • • LC LC Waldschnepfe – – VU VU Dohle + + VU NT Bekassine ––– • CR CR Saatkrähe +++ ++ LC LC Flussuferläufer • • EN EN Kolkrabe + • LC LC Lachmöwe –– – EN EN Rabenkrähe ++ • LC LC Schwarzkopfmöwe • • VU VU Tannenmeise² • LC LC Sturmmöwe • • EN VU Haubenmeise + • LC LC 16
BRUTVÖGEL Art Trend Trend RL RL Art Trend Trend RL RL 1990–2020 2011–2020 2010 2021 1990–2020 2011–2020 2010 2021 Sumpfmeise + • LC LC Blaukehlchen ++ • VU VU Mönchsmeise² • LC LC Nachtigall + + NT LC Blaumeise ++ • LC LC Trauerschnäpper² • LC LC Kohlmeise + • LC LC Hausrotschwanz + • LC LC Heidelerche • + VU VU Gartenrotschwanz • • NT NT Feldlerche – • NT VU Steinrötel – • LC LC Bartmeise + + VU VU Blaumerle • • EN EN Orpheusspötter + + NT NT Braunkehlchen – • VU VU Gelbspötter ––– • VU EN Schwarzkehlchen ++ + NT NT Sumpfrohrsänger • • LC LC Steinschmätzer + • LC LC Teichrohrsänger • + LC LC Wintergoldhähnchen + • LC LC Drosselrohrsänger ++ + NT NT Sommergoldhähnchen • + LC LC Rohrschwirl + + NT NT Alpenbraunelle – • LC LC Feldschwirl + • NT NT Heckenbraunelle + • LC LC Mehlschwalbe – • NT NT Haussperling + + LC LC Rauchschwalbe • + LC NT Feldsperling + • LC LC Felsenschwalbe ++ ++ LC LC Schneesperling – • LC NT Uferschwalbe – + VU EN Baumpieper – • LC NT Berglaubsänger ++ + LC LC Wiesenpieper –– • VU VU Waldlaubsänger –– –– VU VU Bergpieper • + LC LC Fitis –– – VU VU Brachpieper • +++ EN EN Zilpzalp + + LC LC Schafstelze + • NT VU Schwanzmeise + • LC LC Gebirgsstelze • • LC LC Mönchsgrasmücke + + LC LC Bachstelze – • LC LC Gartengrasmücke – – NT VU Buchfink + • LC LC Sperbergrasmücke ––– • VU VU Kernbeisser + • LC LC Klappergrasmücke + + LC LC Karmingimpel + • VU EN Dorngrasmücke + + NT NT Gimpel – • LC LC Gartenbaumläufer + + LC LC Grünfink – – LC NT Waldbaumläufer ++ • LC LC Bluthänfling + + NT LC Kleiber – – LC LC Birkenzeisig • –– LC LC Mauerläufer • • LC LC Fichtenkreuzschnabel² • LC LC Zaunkönig + • LC LC Stieglitz – + LC LC Wasseramsel + • LC LC Zitronenzeisig – • LC NT Star • + LC LC Girlitz • • LC LC Misteldrossel + • LC LC Erlenzeisig² • LC LC Singdrossel + • LC LC Grauammer –– –– VU CR Amsel + • LC LC Zippammer + + LC LC Wacholderdrossel –– – VU LC Ortolan ––– ––– CR CR Ringdrossel – • VU NT Zaunammer + + NT NT Grauschnäpper – • LC NT Goldammer • – LC LC Rotkehlchen + + LC LC Rohrammer – + VU NT 1 Eingeschlossen sind jene Arten, welche seit 1990 mindestens einmal zu den regelmässigen Brutvögeln gezählt haben (d.h. sie haben in 9 von 10 aufeinanderfolgenden Jahren gebrütet), und für welche wir Weitere Informationen die nötigen Datengrundlagen haben. Ohne eingeführte Arten (z.B. Höckerschwan, Rostgans, Jagdfasan) www.vogelwarte.ch/zustand/brut sind dies 179 Arten. Für Weissrückenspecht, Halsbandschnäpper und Italiensperling kann wegen fehlen- der Daten keine Einschätzung vorgenommen werden. 2 Untersuchungszeitraum 1999–2020 3 Untersuchungszeitraum 1996–2020 4 Untersuchungszeitraum 1995–2020 Unregelmässig und ausnahmsweise brütende Arten Literaturhinweis Seit 2000 haben weitere 26 Arten unregelmässig oder nur ausnahmsweise in Müller, C. (2021): Seltene und bemerkens- der Schweiz gebrütet. Deren Brutvorkommen werden möglichst lückenlos do- werte Brutvögel 2020 in der Schweiz. Orni kumentiert (Tabelle im Internet unter «Weiterführende Analysen» verfügbar). thol. Beob. 118 (im Druck). 17
METHODISCHES Die Statistik der Vogelbeobachtung Im Oktober 2020 ist der zweite Band Auch bei den Lebensraum- des englischsprachigen Lehrbuchs ansprüchen einer Art, einem weiteren über ökologische Statistik erschienen, wichtigen Thema im Buch, kon- welches die Krönung einer langjährigen vergieren wissenschaftliche Ana- Zusammenarbeit des Populationsöko- lytik und ornithologische Erfahrung. logen Marc Kéry (Vogelwarte) und des Um die Verbreitung von Arten zu amerikanischen Statistikers J. Andy modellieren und den Einfluss von Royle darstellt. Naturgemäss ist das Umweltveränderungen vorherzu- Lehrbuch sehr technisch. Allerdings sagen, werden häufig Verbreitungs- ist es bei genauerer Betrachtung modelle verwendet, so auch im Brut- faszinierend zu erkennen, dass ein vogelatlas 2013–2016. Die Kenntnis Grossteil der konzeptionellen Grund- der Habitatansprüche sind aber auch lagen dieser Methoden für Vogel- zentral für uns Vogelbeobachterinnen beobachterinnen und -beobachter und -beobachter, denn dadurch finden durchaus auch intuitiv Sinn ergeben wir eine gesuchte Art einfacher: In ge- werden. Denn in gewisser Weise be- wisser Weise entwickeln wir in lang- Der Umschlag des neuen Lehrbuchs über schreibt dieses Lehrbuch die wahr- jähriger Erfahrung sozusagen unsere ökologische Statistik, das Marc Kéry mit scheinlichkeitstheoretischen Grund- eigenen Artverbreitungsmodelle einem Kollegen aus den USA verfasst hat. lagen der Vogelbeobachtung. «im Bauch». Solche intuitiven Ver- So ist die Antreffwahrscheinlichkeit breitungsmodelle helfen selbst bei eine zentrale Grösse, welche z.B. die der Artbestimmung, denn zahlreiche Chance bezeichnet, mit der eine vor- Arten treten in gewissen Habitaten entfernt sind. Dieses Konzept wird kommende Art tatsächlich auch be- kaum auf. in Artverbreitungsmodellen oft obachtet wird. Die meisten Methoden Das ebenfalls im Buch beschriebene verwendet, um bessere Vorher- im neuen Lehrbuch beschreiben Thema der räumlichen Autokorrelation sagen zu machen. Auch wir Natur- Modelle, mittels derer unsere Ana- bezeichnet das fast universelle Muster, beobachterinnen und -beobachter lysen von Verbreitung und Bestand dass in der Natur Dinge, die nahe wissen intuitiv, dass eine Art oft viel für die Antreffwahrscheinlichkeit beieinanderliegen, ähnlicher sind eher in einem Gebiet vorkommt, das korrigiert werden können. als solche, die weiter voneinander in der Nähe eines bekannten Vor- kommens liegt. Diese Beispiele mögen dazu bei- 1,0 tragen, Vogelbeobachterinnen und -beobachter mit den statistischen Modellen etwas zu versöhnen, die 0,8 manchmal sehr mathematisch- abstrakt erscheinen, jedoch aus den Antreffwahrscheinlichkeit heutigen Datenanalysen in Wissen- 0,6 schaft, Naturschutz und Biodiversitäts- monitoring nicht mehr wegzudenken sind. Bei genauer Betrachtung wird man in den meisten dieser Modelle 0,4 intuitiv sehr viel Sinn erkennen. 0,2 0,0 20.4. 10.5. 30.5. 19.6. 9.7. 29.7. Die Antreffwahrscheinlichkeit ist die Wahrscheinlichkeit, eine anwesende Art auch tatsäch- lich festzustellen. Bei den meisten Arten gibt es deutliche saisonale Schwankungen, wie diese Beispiele zeigen: schwarz = Haselhuhn, blau = Gartenrotschwanz, rot = Stockente, braun = Sumpfmeise, gelb = Steinschmätzer, grün = Buchfink. 18
Die Antreffwahrscheinlichkeit variiert von Art zu Art. Dies ist allen Be- obachterinnen und Beobachtern klar, und kaum jemand erwartet, ein Hasel- huhn schon bei der ersten Suche zu finden. Bei einem Buchfinken hingegen wäre man sehr erstaunt, ihn nicht bereits beim ersten Rundgang nachzuweisen.
Aufgrund seines Bestandsrückgangs ist der Rotfussfalke auf der europäischen Roten Liste in der Kategorie «potenziell gefährdet» (NT) aufgeführt. Wechselhafter Frühjahrszug Der Durchzug der Weissbartsee- nicht erreicht. Die nächsten Brut- einen neuen Höchstwert. Diese lag schwalbe war im Frühling 2020 so plätze liegen in den Dombes F, die zwischen 2015 und 2019 bei durch- stark wie seit 20 Jahren nicht mehr. Kerngebiete aber in Osteuropa. Dort schnittlich 157, 2020 aber bei 261. Die Die eleganten Vögel erscheinen auf nehmen die Bestände der Weissbart- Summe der beobachteten Vögel blieb dem Heimzug selten, aber regelmässig seeschwalbe zu und sie breitet sich allerdings bescheiden, und der grösste und in von Jahr zu Jahr schwankender nach Norden aus. Trupp bestand nur aus 12 Vögeln. Das Zahl über den Schweizer Seen und ist weit entfernt von den 2008 ge- Feuchtgebieten. 2020 erreichte der Der Falke aus dem Osten meldeten 60er-Trupps oder den rund Durchzug in der zweiten Maihälfte Auch der Rotfussfalke ist für seine 100 Individuen, die 1990 zusammen den Höhepunkt. Mit einer maximalen markanten Schwankungen beim beobachtet worden sind. Die mittlere Truppgrösse von 29 Individuen wurden Frühjahrszug bekannt. 2020 er- Truppgrösse ist bei uns in den letzten die Rekordwerte von 1999 jedoch reichte die Zahl der Beobachtungsorte 30 Jahren denn auch von 3,5 in den 500 250 450 400 200 350 Auftretensindex Auftretensindex 300 150 250 200 100 150 100 50 50 0 0 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 Die Intensität des Frühjahrszugs schwankt beim Rotfussfalken von Jahr Der Frühjahrszug der Weissbartseeschwalbe in der Schweiz fällt jahr- zu Jahr massiv. Die stärksten Invasionen der letzten dreissig Jahre weise sehr unterschiedlich aus; 2020 war er so intensiv wie seit 2000 erfolgten 1990 und 2008. nicht mehr. 20
DURCHZÜGLER März April Mai Juni Juli 250 2020 ø 2010–2019 200 Auftretensindex 150 100 50 0 11 16 21 26 31 36 41 Pentaden 2020 begann der Frühjahrszug des Schwarzkehlchens etwas früher Neuere Arealgewinne des Schwarzkehlchens in Nordeuropa dürften auf und war deutlich stärker als im Durchschnitt. mildere Winter zurückgehen. Dagegen nehmen die Bestände im Süden ab, vermutlich als Folge der intensiveren landwirtschaftlichen Nutzung. 1990er-Jahren auf 1,9 in den 2010er- Durchzügler. Die ersten Bruten sind in der Schweiz. Der Brutbestand in Jahren gesunken. Obwohl sich in 2012 im Wallis und 2016 im Tessin ent- Westeuropa ist stabil oder nimmt leicht Italien vor kurzer Zeit ein kleiner Brut- deckt worden; beides sind Kerngebiete zu. An der nördlichen Arealgrenze in bestand von 50–70 Paaren gebildet für die Art in unserem Land. Ab 2005 Frankreich und Portugal ist sogar eine hat, nehmen die Zahlen in Osteuropa hat sich die Beobachtungszahl verviel- leichte Ausbreitung im Gang. stark ab. Dort führt die Intensivierung facht. Wurde der elegante Schlangen- der Landwirtschaft zu Lebensraumver- jäger zwischen 2010 und 2019 all- Schwarzkehlchen im Hoch lusten und einem markanten Rück- jährlich aus 9–11 Kantonen gemeldet, Nach dem Rekordwinter 2019/20, in gang bei den als Nahrung wichtigen erfolgten 2020 sogar Nachweise dem der Auftretensindex dem drei- Grossinsekten. in 16 Kantonen. Dazu zeichnet sich einhalbfachen Durchschnittswert der eine Tendenz zu immer früheren Erst- letzten 10 Winter entsprach, zeigte Schlangenadler auf beobachtungen ab: Diese lagen in den sich das Schwarzkehlchen auch im Eroberungstour 2000er-Jahren noch um den 14. April, übrigen Verlauf des Jahres 2020 häufig. War der Schlangenadler im 20. Jahr- in den 2010er-Jahren aber schon um Waren Überwinterer in den 1990er- hundert bei uns noch ein seltener den 27. März. Der 2020er-Erstnach- Jahren noch auf die Kantone Tessin, Gast, ist er seit 2005 im ganzen Land weis vom 13. März bei Satigny GE ist Wallis, Waadt, Genf sowie auf das St. ein spärlicher, aber regelmässiger aktuell sogar die früheste Beobachtung Galler Rheintal beschränkt, dehnten sich diese Gebiete in den letzten Jahren auch auf weitere Kantone der Alpen- 40 nordseite wie Solothurn, Luzern oder 35 Aargau aus. Der Frühjahrszug 2020 schlug alle Rekorde; sein Höhepunkt 30 lag mit Anfang März zudem recht Auftretensindex 25 früh. Der Wegzug, der Mitte Oktober gipfelte, war ebenfalls markant: 20 Grössere Ansammlungen von 17 bzw. 15 21 Vögeln wurden am 14. Oktober von Gwatt BE bzw. Alpnach OW und am 10 18. Oktober mit 22 Individuen aus dem 5 Wauwilermoos LU gemeldet. 0 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 Nach einer starken Zunahme seit 2015 hat die Präsenz des Schlangen- Weitere Informationen adlers im Jahr 2020 einen neuen Höchstwert erreicht. www.vogelwarte.ch/zustand/zug 21
DURCHZÜGLER Der Aufschwung des Sichlers Gegen Ende des 20. Jahrhunderts galt allein in der Doñana über 10 000 Paare! der Sichler in der Schweiz als unregel- Bei dieser Bestandsexplosion spielte die Schweizerische Avifaunistische mässiger Gast; zwischen 1980 und Ausbreitung des Reisanbaus vermut- Kommission 2010 gelangen höchstens vier Nach- lich eine entscheidende Rolle. 2005 Die Schweizerische Avifaunistische weise pro Jahr. Seit 2010 wird der erfolgte der erste Brutnachweis in Kommission (SAK) ist eine unabhängige Expertinnen- und Expertengruppe. Ihre Sichler aber alljährlich beobachtet. Der Portugal und 2006, mit 14 Paaren, in Hauptaufgabe ist es zu prüfen, ob die erste grössere Einflug mit 44 Vögeln der Camargue F. Bereits 2017 hatte Meldungen ungewöhnlicher Vogel- erfolgte 2013. 2018 waren es dann der Bestand an verschiedenen Orten in beobachtungen aus der Schweiz aus- 15, 2019 38 und 2020 37 Individuen. Südfrankreich auf über 2000 Paare zu- reichend dokumentiert sind, um in die wissenschaftliche Literatur aufgenommen Die Meldungen verteilen sich auf alle genommen. Seit 2011 brütet der Sichler zu werden. Dies gilt für Nachweise von Monate, wobei Winternachweise in wenigen Paaren an der französischen generell selten in der Schweiz auf- erst ab 2013 vorliegen, wenn man Atlantikküste und unternimmt auch tretenden Arten wie dem Sichler bis 2019. jenen Sichler ausser Acht lässt, der vereinzelte Brutversuche in noch nörd- Es betrifft aber auch Nachweise von häufigeren Arten, die räumlich oder zeit- sich 1960/61 mehr als ein Jahr lang in licheren Gebieten, insbesondere in lich aus dem Rahmen fallen, oder von den Grangettes VD aufhielt. Längere Grossbritannien. Der Sichler hat sein Arten, die erstmals in der Schweiz brüten. Winteraufenthalte aus jüngerer Zeit Brutgebiet auch in Italien und in Ost- Die SAK publiziert jedes Jahr einen sind vom 7.–24. Dezember 2018 aus europa erweitert. Die meisten Vögel deutschsprachigen Bericht im «Ornitho- logischen Beobachter» und einen Yverdon VD sowie aus dem Winter überwintern zwar im tropischen Afrika, französischen Bericht in «Nos Oiseaux». 2020/21 bekannt. aber in Südwesteuropa sind einige auch Standvögel. Zwischen 2014 und Grossräumige Arealgewinne 2018 harrten jeweils rund 6600 Vögel Die Zunahme der Beobachtungen in im Ebrodelta E aus und 2016 etwa der Schweiz erfolgt im Rahmen einer 20 000 Individuen in der Doñana E. grossräumigen Arealerweiterung in westlicher und nördlicher Richtung. Südwestliche Herkunft Nach einem massiven Bestandsrück- Zwei als Nestlinge in der Camargue be- gang im Verlauf des 20. Jahrhunderts ringte Vögel wurden 2012 bzw. 2014 in den wichtigsten Brutgebieten in Süd- in der Schweiz gesichtet. Einige der osteuropa setzte die Erholung erst in bei uns auftretenden Sichler könnten den 1990er-Jahren ein. In Spanien kam auch aus Spanien stammen, denn dort es ab 1993 zur Wiederansiedlung der markierte Vögel sind später aus Nord- Weitere Informationen ersten Brutpaare, deren Zahl sich dann und Osteuropa, Nordafrika und sogar www.vogelwarte.ch/sak rasch vervielfachte. So brüteten 2017 der Karibik gemeldet worden. Höchstzahl von Individuen pro km2 60 1–2 3–5 50 6–10 >10 Anzahl Individuen 40 30 20 10 0 J F M A M J J A S O N D Monate Praktisch alle Nachweise des Sichlers in der Schweiz von 1900 bis Jahreszeitliche Verteilung der Nachweise des Sichlers in der Schweiz 2020 stammen aus Tieflagen nördlich der Alpen. Ausnahmen bilden zwischen 1900 und 2020 pro Dekade. Die Meldungen konzentrieren lediglich ein alter Nachweis vom Col de Bretolet VS und zwei neuere sich auf die Zugzeiten zwischen Mitte April und Mitte Mai bzw. Meldungen aus dem Tessin. zwischen Mitte September und Ende Oktober. 22
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