100 Jahre Steinabbau im Val Calanca - Alfredo Polti SA

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100 Jahre Steinabbau im Val Calanca - Alfredo Polti SA
Blick auf das Steinwerk der Alfredo Polti
SA und das am Hang liegende Dorf Arvigo
im Val Calanca Foto: Robert Stadler

100 Jahre Steinabbau
im Val Calanca
Der Gneis-Produzent Alfredo Polti SA im südschweizerischen Val Calanca hätte
2020 gleich zwei Jubiläen feiern wollen: 100 Jahre Steinbruch und 70 Jahre seit der
Firmengründung. Doch machte Covid-19 dem jubilierenden Unternehmen einen
Strich durch die Rechnung.

S
         elbst manche Schweizer wissen      und sich schließlich nach knapp 30 km      Gebirgsflanken anstehenden, leicht spalt-
         nicht, wo genau das Val Calanca    auf über 3.200 m ü. M. im Bündner          baren Gneis verarbeitete er handwerklich
         liegt. Nicht wenige verorten es    Gebirge verliert.                          u.a. zu Mauersteinen, Spaltplatten für
fälschlicherweise im Tessin – allein                                                   Bodenbeläge und Dächer. Er belieferte
schon des italienischen Namens wegen.       Steinbruch seit 1920                       hauptsächlich den regionalen Markt
Tatsächlich aber gehört das Calancatal      Von Grono aus fährt man etwa 10 km         sowie über Zwischenhändler auch
zu Graubünden, dem einzigen dreispra-       über eine gut ausgebaute, aber kurven-     Abnehmer in der übrigen Schweiz. Sei-
chigen und zugleich flächenmäßig größ-      reiche Straße entlang des Wildwasser-      nem Sohn Alfredo Polti (1922–2000)
ten der 26 Schweizer Kantone. Es ist ein    flusses Calancasca hinauf nach Arvigo.     genügte das nicht mehr. Nach einer vier-
wildes Tal, das als Seitenast des Valle     Hier, etwas unterhalb des kleinen          jährigen Lehre als Steinhauer in einem
Mesolcina (deutsch: Misox) unterhalb        Gebirgsdorfs, eröffnete Giovanni Polti     Betrieb im Kanton Tessin eröffnete dieser
des Dorfes Grono (332 m ü. M.) beginnt,     (1892–1957) im Jahr 1920 als erster im     vor 70 Jahren beim heute nicht mehr
von dort in nördlicher Richtung verläuft    Tal einen Steinbruch. Den an den steilen   bestehenden Bahnhof in Grono einen

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100 Jahre Steinabbau im Val Calanca - Alfredo Polti SA
GESTEINE

eigenen Verarbeitungsbetrieb. Seine                           KU R Z I N FO
Witwe Anna Polti-Delcò erinnert sich:                   Anna Polti erinnert sich
»Mein Mann war ein tüchtiger und fort-
                                                        »Meine persönlichen Erlebnisse reichen
schrittlich denkender Unternehmer.                      zwar »nur« 65 Jahre zurück, bezüglich
Er stattete seinen Betrieb mit modernen                 Abbau-, Verarbeitungs- und Transport-
Maschinen aus und begann, den Handel                    technik hat sich in dieser Zeit aber
mit CALANCA-GNEIS eigenständig abzu-                    unglaublich viel verändert. Ich erinnere
                                                        mich, wie Mitte der 1950er Jahre die
wickeln, also auf Wiederverkäufer zu
                                                        Steinlieferungen ab unserem Werk Grono
verzichten. Auch drängte es ihn verstärkt
                                                        noch mit Pferden zum Bahnhof gebracht
auf den Deutschschweizer und den Aus-                   wurden. Die Calanca-Straße durfte
landsmarkt. Das Rohmaterial bezog er                    damals nur von Lastwagen mit einem
dabei vom Steinbruchbetrieb seines                      Gewicht bis maximal 16 t befahren wer-
Vaters.«                                                den. Unsere regionalen Kunden aus dem      Anna Polti-Delcò mit ihrem verstor-
                                                        Misox und dem Tessin holten ihre Bestel-   benen Mann und Firmengründer Alfredo
Gleich nach ihrer Heirat im Jahr 1955
                                                        lungen damals meist selbst direkt ab       Polti Archivbild: Robert Stadler
trat Anna Polti ins Unternehmen ihres
                                                        Steinbruch. Dank des 1967 eröffneten
Mannes ein und übernahm dort die                        San Bernardino-Straßentunnels konnten      stelle. Im Büro arbeitete ich zunächst auf
administrativen Aufgaben. Der Betrieb in                wir Lieferungen in den nördlichen Teil     einer mechanischen Schreibmaschine
Grono beschäftigte damals bereits 16                    Graubündens mit eigenen Lkw liefern.       und mit einer der ersten Olivetti-Rechen-
Arbeiter. Der Kundenkreis erweiterte                    Dagegen erfolgten die meisten Lieferun-    maschinen. Dann kamen die ersten elek-
                                                        gen in andere Schweizer Gebiete und        trischen Schreibmaschinen, das Telex-
sich in der Folge schnell. Auch außer-
                                                        nach Deutschland bis zur Eröffnung des     und das Fax-Gerät und schließlich der
halb der Schweiz wurde CALANCA-
                                                        19,7 km langen Gotthard-Straßentunnels     Computer. Ich habe mich immer bemüht,
GNEIS in der Fachwelt immer mehr zu                     im Jahr 1980 noch mit der Bahn. Später     mit der Technik mitzuhalten. Mit 72 Jah-
einem Begriff. Bald fanden sich Kunden                  wurde die Calanca-Straße für Lkw mit       ren besuchte ich noch einen Computer-
auch in Deutschland und manch anderen                   Gewichten bis zu 28 t und schließlich –    kurs, was ich geradezu als Abenteuer
Ländern. 1960, drei Jahre nach dem Tod                  nach langen politischen Diskussionen –     empfand.
                                                        auch für 40 t-Sattelschlepper zugelas-     Auch die Art der Werbung hat sich stark
seines Vaters, konnte Alfredo Polti einen
                                                        sen. Heute erfolgt der Transport unserer   verändert. Früher beschränkten wir uns
von inzwischen zwei Steinbrüchen der                    Steine ausschließlich auf der Straße.      auf Inserate in Fachzeitschriften sowie
Familie Polti übernehmen; der andere                    Aber nicht nur im Steinwerk und beim       auf den Versand von Prospekten, Rund-
ging an seinen jüngeren Bruder Lino                     Transport hat sich viel verändert, son-    schreiben und Steinmustern an Architek-
Polti, der später unter Lino Polti & Figli              dern auch im Büroalltag. Noch bis Ende     ten und Bauherren. Heute spielen Fach-
                                                        der 1960er-Jahre habe ich meine Arbeit     messen und vor allem unser Internet-
SA firmierte. Sechs Jahre später kaufte
                                                        größtenteils am Telefon und mit der        Auftritt eine wichtige Rolle. Eines ist
Alfredo Polti einen angrenzenden Stein-
                                                        Briefpost erledigt. Viele Aufträge wur-    jedoch gleich geblieben: Trotz aller neu-
bruch der Firma Mazzola+Co. Arvigo                      den auch während persönlichen Begeg-       en Möglichkeiten sind zufriedene Kunden
war damit zu einem »Polti-Steindorf«                    nungen mit den Kunden abgewickelt,         auch heute noch die beste Werbung!«
geworden.        Fortsetzung nächste Seite              nicht selten unmittelbar auf der Bau-                   Aufgezeichnet von R. Stadler

Historische Aufnahme aus den 1940er Jahren mit Steinbruch-              Ein weiteres Bild aus der gleichen Zeit mit Arbeitern vor einer
Pionier Giovanni Polti (r.), Großvater der heutigen Betriebsinhaber     sog. Caura, einem einfachen hölzernen Hebegerät. Fotos: Firma

                                                                                                                           Naturstein 12 | 20   61
100 Jahre Steinabbau im Val Calanca - Alfredo Polti SA
Werk und Steinbruch der
Alfredo Polti SA in einer
aktuellen Drohnenaufnahme,
Blickrichtung Süden

                             Im Steinbruch Arvigo werden jedes Jahr etwa
                             20.000 m3 CALANCA-GNEIS abgebaut.

                                   KU R Z I N FO

                             CALANCA-GNEIS
                             Im Steinbruch der Alfredo Polti SA in Arvigo werden
                             mittels Diamantseil-, Spreng- und Abbohrtechnik
                             jährlich etwa 20.000 m3 CALANCA-GNEIS abgebaut.
                             Das frostsichere, gut spaltbare dunkelgraue Material
                             mit Blaustich und deutlichen Striemungen wird größ-
                             tenteils im eigenen Werk verarbeitet. Hauptsäch-
                             lichste Produkte sind Boden- und Fassadenplatten,
                             Mauer- und Randsteine, Treppen, Gartenbaumobiliar,
                             Brunnen und Grabmalplatten. Etwa ein Zehntel der
                             Produktion wird exportiert, vor allem nach Deutsch-
                             land, Italien, Österreich und Frankreich. Selbst in
                             Japan sind schon einige Objekte in diesem Material
                             ausgeführt worden. Die Bedeutung des einst wichti-
                             gen Exports ist in den letzten Jahren allerdings
                             stark zurückgegangen.
                             Daran ist hauptsächlich der starke Schweizer Fran-
                             ken schuld. In den 1980er Jahren hatte der Export-
                             anteil noch bis zu 70% betragen. Das Unternehmen
                             beschäftigt heute 35 Mitarbeiter und ist damit der
                             größte Arbeitgeber im Calancatal. (sta)

                             Auf der CNC-Fräse gefertigte Steinliege aus
                             CALANCA-GNEIS Fotos: Firma
100 Jahre Steinabbau im Val Calanca - Alfredo Polti SA
GESTEINE

Steinfräse mit einem Blattdurchmesser       Giovanni Polti und seine Schwester Vania
von 300 cm Foto: R. Stadler                 Polti AmbrosIni führen das 70-jährige
                                            Unternehmen gemeinsam. Foto: Firma

Zeitweise über 100 Mitarbeitende                              CALANCA-GNEIS eignet
                                                               sich ganz offensichtlich
In den 1960er und frühen 1970er Jahren
                                                           auch fürs Boulder-Klettern.
beschäftigte die Alfredo Polti SA zeit-                                Foto: R. Stadler
weise zwischen 100 und 120 Mitarbei-
tende. Im Tal selbst, wo zu jener Zeit      Seit dem Tod von Alfredo Polti im Jahr        Und so kommt es, dass 2020 nur eines
etwa 1.100 Personen lebten (heute sind      2000 steht das Unternehmen zu je              der beiden Polti-Unternehmen das 100-
es noch etwa 800), gab es dafür nicht       50% im Besitz von Tochter Vania Polti         Jahr-Jubiläum des ersten Steinbruchs
genügend Arbeitskräfte. Die meisten         Ambrosini und Sohn Giovanni Polti, die        im Calancatal begehen kann. Vorgesehen
Beschäftigten stammten aus Italien und      sich auch die Geschäftsführung teilen.        war ein großes Fest mit der ganzen
kamen aus allen Regionen, vom Veltlin       Beide waren nach ihrer Ausbildung             Belegschaft, mit Kunden und mit den
bis Sizilien, manche auch von den Inseln    bereits im Betrieb tätig gewesen:             Dorfbewohnern. Gleichzeitig hätte auch
Sardinien, Elba und Giglio. Der Arbeits-    Vania ab 1979 und Giovanni ab 1990.           das Jubiläum des 70-jährigen Firmen-
kräftemangel und neue Kundenbedürf-                                                       bestehens der Alfredo Polti SA gefeiert
nisse bewogen Alfredo Polti Anfang der      Ein Bergsturz, der viel veränderte            werden sollen. Daraus wird infolge der
1970er Jahre, unterhalb des Steinbruchs     Ein besonders einschneidendes Ereignis        Covid-19-Pandemie nun aber vorläufig
Arvigo eine große Werkhalle zu erstellen    in der Firmengeschichte war der große         nichts. Provisorisch ist der Anlass in
und die Produktion durchgehend zu           Bergsturz vom 29. Mai 2007. Frühmor-          reduziertem Maß auf 2021 verschoben
rationalisieren. Das Werk in Grono          gens um sechs Uhr lösten sich oberhalb        worden.                      Robert Stadler
wurde geschlossen, die dort tätige          des Steinbruchs Lino Polti 150.000   m3
Belegschaft nach Arvigo versetzt.           Felsmasse und donnerte mit lautem
                                            Getöse zu Tal. Drei Tage später folgte ein
Mit der Modernisierung stieg auch die       zweiter Abbruch. Zusammen mit einer
Produktion. Die Kundschaft wurde            wiederum riesigen Steinmasse wälzte
immer internationaler. So konnte das        sich diesmal auch ein etwa 350 Tonnen           Robert Stadler
Unternehmen Ende der 1970er Jahre z. B.     schwerer Gneis-Koloss vom Berg hinun-           Journalist, Redakteur und Fotograf für
12.000 m2 CALANCA-Fassadenplatten für       ter und zerstörte – bevor er auf der Tal-       Fachzeitschriften in den Bereichen Bau,
einen Neubau der Deutschen Bank in          straße zu stehen kam – Teile der Büro-          Architektur und Naturstein. Von 2010
                                                                                            bis 2017 betreute er die Redaktion von
Düsseldorf liefern. Wie leistungsfähig es   anlage der Lino Polti & Figli SA nahezu
                                                                                            »Kunst und Stein«, der Fachzeitschrift
inzwischen geworden war, belegt die         vollständig. Von diesem harten Schlag
                                                                                            des Verbands Schweizer Bildhauer- und
Tatsache, dass dieser Großauftrag inner-    sollte sich das Unternehmen nicht mehr          Steinmetzmeister VSBS. Seit 1990 ist er
halb eines einzigen Jahres abgewickelt      erholen. 2013 erwarb die Alfredo Polti SA       regelmäßiger freier Mitarbeiter von
werden konnte – dies zeitparallel zu        den Steinbruch und die noch vorhan-             »Naturstein«.
zahlreichen anderen Aufträgen.              denen Anlagen.

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