Haben es vor allem mit vielfältigen Umsetzungsproblemen zu tun
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Merkels Innovations- und Digitalisierungspolitik – 3. September 2021 „Haben es vor allem mit vielfältigen Umsetzungsproblemen zu tun“ Ökonomische Bilanz der Ära Merkel: Seit 2005 erlebte die Bundesrepublik tiefe Krisen, aber auch beispiellosen Wohlstand. Es wäre die beste Zeit gewesen, um Deutschland fit zu machen für die Zukunft. Doch Angela Merkel verlor früh ihren Reformeifer. von Prof. Monika Schnitzer Als im November 2005 Angela Merkel als erste Naturwissenschaftlerin ins Kanzleramt einzog, durfte man hoffen, dass die Themen Forschung und Innovation künftig besonders im Fokus stehen würden. Ein besonderes Zeichen dafür war die Einrichtung einer wissenschaftlichen "Expertenkommission Forschung und Innovation" (EFI) im Sommer 2006, die regelmäßig das deutsche Forschungs- und Innovationssystem begutachten und Handlungsempfehlungen erarbeiten sollte. Den Berichten der EFI nach ist in Merkels Regierungszeit viel erreicht worden, aber es bleibt auch noch jede Menge zu tun. Welch hohen Stellenwert diese Themen unter Merkel hatten, lässt sich gut am Mittelaufwuchs für die Bereiche Wissenschaft, Forschung und Entwicklung ablesen. Die Ausgaben des Bundes für diese Bereiche stiegen von 11,1 Milliarden Euro im Jahr 2005 auf 24,2 Milliarden Euro im Jahr 2019. Für 2021 sind 28,9 Milliarden Euro geplant. Damit stiegen die Mittel von 4,3 Prozent des Gesamthaushalts im Jahr 2005 auf 6,8 Prozent im Jahr 2019. Dies hat dazu beigetragen, das im Jahr 2000 in der Lissabon-Strategie der EU vereinbarte Ziel zu erreichen, innerhalb von zehn Jahren die Ausgaben für Forschung und Entwicklung auf drei Prozent des Bruttoinlandprodukts zu steigern - wenn auch mit fünf Jahren Verspätung. In der Hightech- Strategie 2025 strebt die Bundesregierung die weitere Steigerung dieser Quote auf 3,5 Prozent an. Trotz aller Fortschritte gibt es aber nach wie vor Defizite im Transfer von Forschung in neue Technologien und Produkte und eine zu starke Konzentration der Forschung und Entwicklung auf einige wenige Branchen, allen voran die Automobilbranche. Bei der Beschaffung setzt der Staat weiterhin vor allem auf die großen Unternehmen. Ganz generell gibt es zudem Defizite in der agilen und raschen Umsetzung von beschlossenen Maßnahmen: Defizite, die nicht allein mit Geld zu beheben sind, sondern Verwaltungsreformen und gesetzgeberische Maßnahmen erfordern.
Bildung und Wissenschaft sind grundsätzlich Ländersache. Durch zwei Grundgesetzänderungen 2006 und 2015 wurde die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in diesen Bereichen neu geregelt, um die finanzielle Unterstützung durch den Bund zu vereinfachen. Verschiedene Hochschulpakte sollten den Hochschulen ermöglichen, die ansteigende Zahl von Studierenden zu bewältigen. Durch verschiedene Pakte für Forschung und Innovation wurden die Mittel für die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die außeruniversitären Forschungseinrichtungen verbessert. Die Exzellenzinitiative sollte die deutsche Hochschullandschaft international wettbewerbsfähiger machen. Insbesondere bei der Hochschulförderung zeigt sich aber, wie problematisch es ist, dass der Bund immer nur zeitlich befristet und auf konkrete Projekte bezogen Mittel bereitstellen kann. So wurden die Mittel der Exzellenzinitiative unter anderem dafür verwendet, deutlich mehr akademischen Nachwuchs auszubilden, ohne die Zahl unbefristeter Professuren zu erhöhen und damit langfristige akademische Beschäftigungsmöglichkeiten für diesen Nachwuchs zu schaffen. Die Pandemie hat die Defizite im Bildungsbereich, der Ländersache ist, besonders deutlich gemacht. Die Pisa-Studien stellen Deutschland regelmäßig ein mittelmäßiges Zeugnis aus. Auch ist der Bildungserfolg in Deutschland stärker als in anderen Ländern vom sozialen Hintergrund abhängig, ein Befund, der sich in der Pandemie durch den fehlenden Präsenzunterricht weiter verstärkt hat. Bildung ist aber die Grundvoraussetzung für die Innovationskraft eines Landes. Insofern muss gefragt werden, wie der Bund auf eine Verbesserung hinwirken kann. Rund zwei Drittel der Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE) in Deutschland werden von privaten Unternehmen aufgebracht. Problematisch ist allerdings die starke Branchenkonzentration der FuE-Aktivitäten. Ein Drittel der FuE-Ausgaben entfällt auf die Automobilbranche, weniger als zehn Prozent auf die IKT-Branche. Auch dominieren zunehmend die großen Unternehmen, während die Innovationsintensität deutscher kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) geringer ist als in vielen anderen europäischen Staaten. Die 2020 eingeführte steuerliche Forschungszulage, die von der Expertenkommission Forschung und Innovation seit Jahren empfohlen wurde, könnte die Innovationsanreize der KMU stärken. Allerdings dürfte die in der Pandemie erfolgte Erhöhung der Bemessungsgrundlage vor allem größeren Unternehmen zugutekommen. Große Hoffnungen wurden in die Einrichtung der Agentur für Sprunginnovationen (SprinD) gesetzt. Damit sollen, orientiert am Vorbild der US-amerikanischen DARPA, disruptive Innovationen gefördert werden. Die Umsetzung dieses Ziels ist aber mehr als schwierig und scheint an rigiden Verwaltungsstrukturen und Vorgaben des Bundesrechnungshofs zu scheitern. 2
Unverständlich bleibt auch, warum, anders als in den USA, zwei getrennte Agenturen eingerichtet wurden, eine für zivile und eine für militärische Projekte. Für die Förderung von Start-ups wurde in den letzten Jahren einiges erreicht, insbesondere wurde die staatliche Unterstützung der Finanzierung ausgebaut und Hemmnisse zum Beispiel bei Mitarbeiterbeteiligungen reduziert. Ausgründungen aus den Hochschulen bleiben trotz der Erfolge in der Wissenschaft und der Exist-Gründerstipendien aber unter ihrem Potenzial. Als Angela Merkel ihr Amt als Bundeskanzlerin antrat, spielten Smartphones noch keine Rolle im Leben der Menschen. Erst zwei Jahre später begann mit Einführung des iPhones der Hype um bedienungsfreundliche Smartphones und Apps, die inzwischen aus dem Leben der Menschen nicht mehr wegzudenken sind. So rasch die technologische Entwicklung digitaler Produkte vonstattenging, so langsam erfolgte der Aufbau der notwendigen digitalen Infrastruktur, die für eine flächendeckende Internetnutzung und viele digitale Anwendungen notwendig ist. Die Pandemie hat deutlich gemacht, dass die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung, des Gesundheitssystems und des Bildungswesens große Defizite aufweist. Die Mittel des 2019 beschlossenen Digitalpakts Schule, der die Digitalisierung in den Schulen unterstützen sollte, fließen nur zögerlich ab, weil vor Ort das notwendige Fachpersonal und die Mittel für die Umsetzung fehlen. Auch Unternehmen liegen im Einsatz digitaler Schlüsseltechnologien eher im europäischen Mittelfeld, vor allem KMU sind zögerlich. Das 2020 beschlossene Konjunkturpaket der Bundesregierung und der Next Generation Fund der EU sollen den weiteren Ausbau der Digitalisierung unterstützen. Viel zu wenig Beachtung finden bisher die Themen digitale Bildung und digitale Schlüsselkompetenzen im Kontext des gravierenden Fachkräftemangels. Eine wesentliche Voraussetzung für die Ausbildung der notwendigen IT-Fachkräfte wäre der verstärkte Ausbau digitaler Bildung schon in der Schule. Während gerade im Bereich Digitalisierung anfangs ein Erkenntnisproblem bestand, haben wir es jetzt vor allem mit vielfältigen Umsetzungsproblemen zu tun. In einer Welt mit so raschem technologischem Wandel und immer stärkerer internationaler Konkurrenz braucht es unbedingt agilere Politik- und Verwaltungsstrukturen. Eine Aufgabe, der sich die kommende Regierung nach der Ära Merkel so rasch wie möglich stellen muss. 3
Innovation: Viel Förderung, aber wenig Erfolge Als Wissenschaftlerin lag Angela Merkel die Forschung am Herzen. Während ihrer Kanzlerschaft stiegen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung deutlich an. Allerdings zahlten sich die Mittel auf dem Papier kaum aus. Die Zahl der Patentanmeldungen ging deutlich zurück. Das gleiche Bild ergibt sich bei der Start-up-Förderung. Auch hier brachte die Bundesregierung unzählige Förderprogramme auf den Weg, die Zahl der Gründer aber sank. Erst ganz am Ende ihrer Kanzlerschaft schaffte es der Impfmittelhersteller Biontech zu weltweitem Ruhm, das Unternehmen hatte zuvor auch staatliche Fördermittel erhalten. 4
Familie und Beruf: Mehr Frauen in Jobs Zu Beginn ihrer Amtszeit brachte Angela Merkel gemeinsam mit ihrer damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) einige Projekte auf den Weg, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern sollten: den Kita-Ausbau, die Versorgung mit Ganztagsplätzen oder das Elterngeld. Die Anstrengungen zahlten sich aus. Die Frauenerwerbstätigkeit stieg spürbar an. Sie gilt als einer von mehreren Schlüsseln, um den Sozialstaat solide zu finanzieren. Und auch um der Alterung der Gesellschaft entgegenzuwirken, wenn Arbeitskräfte rar werden, weil die Babyboomer in Rente gehen. Ganz nebenbei veränderten die Programme auch das Rollenbild und die Rollenaufteilung in vielen Familien. Jetzt blieb in deutlich mehr Familien auch der Mann zu Hause und nahm sich Elternzeit, um die Kinder zu hüten - wenn auch häufig nur die obligatorischen zwei Monate. 5
Digitale Verwaltung: Entwicklungsland Deutschland 2017 konstatierte Angela Merkel (CDU) in einer Rede, "beim E-Governance sind wir doch eher Entwicklungsland". Allerdings folgten aus dieser Erkenntnis keine Taten. In internationalen Rankings hat Deutschland bei der digitalen Verwaltung gegenüber vor vier Jahren sogar noch an Boden verloren. Während etwa Großbritannien die Government Digital Service (GDS) mit 11.000 Mitarbeitern schuf, um das Thema voranzubringen, geschah hierzulande in den Merkel-Jahren fast gar nichts. Dabei sagte schon Gerhard Schröder 2001: "In ein paar Jahren wird kaum noch jemand Verständnis dafür haben, wenn man Personalausweis oder Führerschein nicht per Internet beantragen kann." 6
Führungspositionen: Nachahmer dringend gesucht Angela Merkel war sowohl die erste Frau als auch die erste Ostdeutsche im Amt der Bundeskanzlerin. Doch sie selbst hat sich nie darum bemüht, als große Frauenförderin oder als starke Stimme für Ostdeutschland in Erscheinung zu treten. Auch als Vorbild für andere hat sie offenbar nicht gedient. Der Anteil der Frauen im Bundestag etwa liegt derzeit wieder auf dem Stand von 2005. Der Anteil weiblicher Führungskräfte in der Privatwirtschaft und in öffentlichen Verwaltungen ist seit Merkels Amtsübernahme sogar leicht zurückgegangen. Oft verfehlt sogar der Bund selbst das in einem Gesetz gesteckte Ziel, Bundesgremien paritätisch zu besetzen. 2020 führte die Bundesregierung allerdings eine Frauenquote ein. Diese soll nun für mehr Frauen in Führungspositionen zumindest in der Privatwirtschaft sorgen. 7
Noch stärker unterrepräsentiert sind allerdings Ostdeutsche in Führungspositionen. Bis heute geben in Unternehmen, aber auch in ostdeutschen Ministerien Westdeutsche den Ton an, die Führungspositionen in ostdeutschen Landesministerien etwa sind überwiegend mit Westdeutschen besetzt. Auch wenn mit Merkel eine Ostdeutsche das wichtigste Regierungsamt innehat, viele Nachahmer aus dem Osten hat sie nicht gefunden. 8
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