12 Werte und Einstellungen - Auszug aus dem Datenreport 2021
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
12 Werte und Einstellungen Auszug aus dem Datenreport 2021 Die Inhalte des Datenreports werden unter der Creative Commons Lizenz »CC BY-NC-ND 4.0 – Namensnennung – Nicht-kommerziell – Keine Bearbeitung 4.0« veröffentlicht.
Werte und Einstellungen 12.1 Am 3. Oktober 2020 jährte sich zum 30. Mal das Inkrafttreten des Einigungs- öffentlichen Debatten enorm zugenom- men hat, unterscheidet drei verschiedene Subjektives vertrags. Mit dem Tag der Deutschen Dimensionen subjektiven Wohlbefindens: Wohlbefinden Einheit 1990 wurde die 40-jährige Tei- lung Deutschlands nach dem Zweiten zum einen das »kognitive« Wohlbefinden, bei dem »Glücklich-Sein« als dauerhaftes und Sorgen Weltkrieg beendet. Seitdem zählt die Empfinden und als Grad der Zufrieden- Herstellung gleichwertiger Lebensver- heit mit dem eigenen Leben und der Er- hältnisse in Ost- und Westdeutschland füllung eigener Erwartungen bewertet Theresa Iglauer, Jürgen Schupp zu den anspruchsvollsten Zielen politi- wird. Dieses Konzept des subjektiven Deutsches Institut für Wirtschafts scher Regierungsverantwortung. Bei der Glücks ist in der Wissenschaft am stärks- forschung (DIW Berlin) Verwirklichung dieses Ziels gilt es nicht ten etabliert. Zum anderen gibt es das Maximilian Priem allein, die objektiven Lebensbedingungen vielfach auch als »emotionales« Wohlbe- DIW Econ – Das Consulting- in verschiedenen Lebensbereichen anzu- finden bezeichnete »Glücklich-Sein«, das Unternehmen des DIW Berlin gleichen, sondern auch das subjektive den aktuellen Moment, den Tagesdurch- Wohlbefinden der Menschen im Blick zu schnitt oder, wie im Sozio-oekonomi- WZB / SOEP behalten. Schließlich prägen erst beide schen Panel (SOEP) erhoben, den Durch- Dimensionen zusammengenommen die schnitt der vergangenen vier Wochen er- Lebensqualität einer Gesellschaft. fasst. Schließlich existiert noch ein dritter Das subjektive Wohlbefinden der in Aspekt von Wohlbefinden, der weniger Deutschland lebenden Menschen umfasst auf spezifische Aspekte des Lebens abzielt sowohl den Grad der empfundenen allge- als vielmehr auf den Grad des »Erfüllt- meinen Lebenszufriedenheit als auch das Seins« verweist. Damit verbunden ist die Maß an Zufriedenheit in bestimmten Frage, ob das, was man mit seinem Leben L ebensbereichen, zum Beispiel mit der macht, auch wertvoll und nützlich ist. Wohnsituation, der Freizeit, der Arbeit, Lebensqualität umfasst daneben auch der Gesundheit sowie Sorgen angesichts negative Gesichtspunkte wie Sorgen um der Entwicklung von Kriminalität und persönliche Perspektiven, zum Beispiel um den Frieden. In solchen Indikatoren die eigene wirtschaftliche Situation, Ge- des subjektiven Wohlbefindens spiegeln sundheit und Sicherheit des Arbeitsplatzes. sich die Diskrepanzen zwischen eigenem Umgekehrt charakterisiert das Fehlen von Anspruch und Wirklichkeit sowie eine Sorgen ebenfalls ein Element von positi- Bewertung des bislang Erreichten wider. vem Wohlbefinden. In der Regel werden Die Glücksforschung, deren Bedeu- Sorgen nicht als Globalmaß konzeptuali- tung in den vergangenen Jahren sowohl siert, sondern auf einzelne Lebensberei- innerhalb der Wissenschaften als auch in che oder spezifische Themen- und Hand- 409
12 / Werte und Einstellungen 12.1 / Subjektives Wohlbefinden und Sorgen lungsfelder bezogen. Dabei spielen auch zwischen Ost und West: Während in im Westen wie im Osten zeitgleich auf unterschiedliche Aspekte einer Gesell- Westdeutschland eine leichte Zunahme und die durchschnittlichen Niveaus der schaft, wie die allgemeine wirtschaftliche der mittleren Lebenszufriedenheit in den Lebenszufriedenheit näherten sich weiter Entwicklung, die Erhaltung des Friedens, ersten Jahren nach der deutschen Vereini- an. Im Jahr 2010 lag die mittlere Lebens- der Schutz der Umwelt oder die Folgen gung zu verzeichnen war, brach sie in zufriedenheit in Ostdeutschland auf ei- des Klimawandels, bei der Bewertung des Ostdeutschland im Jahr 1991 infolge der nem N iveau, das sechs Jahre zuvor in subjektiven Wohlbefindens eine Rolle. abrupten Veränderungen der Lebensbe- Westdeutschland festzustellen war. In dingungen und der damit verbundenen den folgenden Jahren erfolgte bis 2019 12.1.1 Allgemeine Lebens Herausforderungen, vor allem am Ar- sowohl in West- als auch in Ostdeutsch- zufriedenheit und Zufriedenheit beitsmarkt, deutlich ein. Die Kluft der land ein n ahezu ungebrochener Anstieg mit Lebensbereichen durchschnittlichen Lebenszufriedenheit der allgemeinen Lebenszufriedenheit. Im Jahr 2019 bilanzierten die Menschen in Ostdeutschland war gemäß den Analy- Offenbar wurden trotz angestiegener in West- und Ostdeutschland die Zufrie- sen des Sozio-oekonomischen Panels S orgen in wenigen Bereichen, wie an denheit mit ihrem Leben insgesamt im (SOEP) im Jahr 1991 am größten. u Abb 1 gesichts der Zuwanderung oder der Fol- Durchschnitt so hoch wie zu keinem an- Anschließend erfolgte eine Annähe- gen des Klimawandels, das Wohlbefin- deren Zeitpunkt nach dem Fall der Mauer. rung der Lebenszufriedenheit in Ost- den der Menschen hierzulande nicht Menschen in Ostdeutschland waren aber und Westdeutschland. Während der nachhaltig getrübt. Trotzdem bleibt auch – fast 30 Jahre nach der deutschen Jahre 2004 und 2005 vergrößerte sich der festzuhalten, dass der Unterschied im Vereinigung – weniger zufrieden mit ih- Abstand dann erneut, wenn auch nicht so durchschnittl ichen Niveau der Lebenszu- rem Leben als Menschen in Westdeutsch- stark wie unmittelbar nach der Vereini- friedenheit zwischen der Bevölkerung in land. Bereits im Juni 1990 lag das Niveau gung Deutschlands. Seitdem entwickelte West- und Ostdeutschland noch immer der Lebenszufriedenheit in Ostdeutsch- sich die mittlere Lebenszufriedenheit signifikant ist. Dies bestätigen auch – land deutlich unter dem des Westens. Im in beiden Landesteilen nahezu gleich in diesem B eitrag nicht dokumentierte – Folgejahr vergrößerte sich die Differenz förmig. Hoch- und Tiefpunkte tauchten vertiefende, multivariate Analysen, die u Abb 1 Mittlere Lebenszufriedenheit in West- und Ostdeutschland 1990 – 2019 7,8 7,6 7,4 7,2 7,0 6,8 6,6 6,4 6,2 6,0 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 Westdeutschland 95prozentiges Konfidenzintervall West Ostdeutschland 95prozentiges Konfidenzintervall Ost Gemessen auf einer Skala von 0 »vollkommen unzufrieden« bis 10 »vollkommen zufrieden«, um Wiederholungsbefragungseffekte korrigierte Schätzung. Datenbasis: SOEP – v35 und Vorabdaten v36; ohne M3 – M5 – Stichproben; gewichtete Werte 410
Subjektives Wohlbefinden und Sorgen / 12.1 Werte und Einstellungen / 12 für weitere soziodemografische Unter- u Abb 2 Verlauf der mittleren Bereichszufriedenheiten schiede zwischen West- und Ostdeut- in West- und Ostdeutschland 1990 – 2019 schen kontrollieren. Differenziert nach zehn verschiede- Zufriedenheit mit der eigenen Arbeit nen Lebensbereichen, war im Jahr 2019 8 das durchschnittliche Zufriedenheits 7 niveau in Ostdeutschland nur noch in wenigen Bereichen niedriger als in West- 6 deutschland. Besonders stark ausgeprägt 5 waren die Unterschiede lediglich noch 4 bei der Zufriedenheit in Bezug auf das 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 Haushaltseinkommen sowie das persön- liche Einkommen. In Feldern wie der Zu- Zufriedenheit mit der eigenen Wohung friedenheit mit dem eigenen Familienle- 8 ben wie auch der Gesundheit und dem 7 Schlaf war dieser Unterschied deutlich geringer. In den Bereichen der Arbeitszu- 6 friedenheit und der Zufriedenheit mit der 5 Freizeit haben sich die früher teilweise sehr deutlich unterschiedlichen Werte 4 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 weitgehend angeglichen. Auch bei der Zufriedenheit mit der Wohnung, bei der Zufriedenheit mit dem persönlichen Einkommen es zu Beginn der 1990er-Jahre starke Un- 8 terschiede gab, hatten sich die Werte be- 7 reits im Jahr 2008 vollständig angenähert; bei der Zufriedenheit mit der eigenen 6 Haushaltstätigkeit sind frühere geringere 5 Differenzen seit einigen Jahren nicht länger signifikant. u Abb 2 4 Die Zufriedenheit mit den Möglich- 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 keiten der Kinderbetreuung ist der einzige Zufriedenheit mit der eigenen Freizeit Bereich, in dem die Lebenszufriedenheit 8 der Menschen in Ostdeutschland höher ist als in Westdeutschland. Nur in weni- 7 gen der 22 erfassten Jahre lag die Zu 6 friedenheit mit der Kinderbetreuung in Westdeutschland über dem Niveau in 5 Ostdeutschland. Von 2004 bis 2019 wies 4 Ostdeutschland konstant ein höheres Zu- 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 friedenheitsniveau in dieser Kategorie auf. Zufriedenheit mit der eigenen Tätigkeit im Haushalt 8 12.1.2 Sorgen in persönlichen Bereichen 7 Blickt man auf negative Komponenten des 6 subjektiven Wohlbefindens, so lassen sich Sorgen in persönlichen und öffentlichen 5 Bereichen unterscheiden. Bei den persön 4 lichen Belangen wie der eigenen wirt- 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 schaftlichen Situation, der Sicherheit des Westdeutschland Ostdeutschland eigenen Arbeitsplatzes, der eigenen Ge- sundheit sowie der eigenen Altersvorsorge Gemessen auf einer Skala von 0 »vollkommen unzufrieden« bis 10 »vollkommen zufrieden«. Frage zur Zufriedenheit mit der eigenen Freizeit wurde 1995 nicht gestellt. zeigt sich, dass der Anteil derer, die große Datenbasis: SOEP – v35 und Vorabdaten v36; ohne M3 – M5 – Stichproben, gewichtete Werte 411
12 / Werte und Einstellungen 12.1 / Subjektives Wohlbefinden und Sorgen u Abb 2 (Fortsetzung) Verlauf der mittleren Bereichszufriedenheiten Sorgen haben, in Ostdeutschland durch- in West- und Ostdeutschland 1990 – 2019 gängig etwas höher lag als in Westdeutsch- land, aber die Differenz in den letzten Zufriedenheit mit den vorhandenen Möglichkeiten der Kinderbetreuung Jahren erkennbar abgenommen hat. u Abb 3 8 Der Anteil derer mit großen Sorgen 7 um den Arbeitsplatz und um die eigene wirtschaftliche Situation hat seit 2004 6 und 2005 in West- wie Ostdeutschland 5 kontinuierlich abgenommen. So gab 2004 in Westdeutschland fast ein Fünftel 4 (19 %) der Erwerbstätigen an, sich große 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 Sorgen um die Sicherheit des eigenen Zufriedenheit mit der eigenen Gesundheit A rbeitsplatzes zu machen. In Ostdeutsch- 8 land lag der Anteil bei rund einem Drittel (32 %). Seitdem sank in beiden Landes 7 teilen der Anteil der Erwerbstätigen mit 6 großen Sorgen nahezu jährlich, in Ost- deutschland stärker als in Westdeutsch- 5 land. Im Jahr 2019 lagen die Anteile 4 lediglich noch bei knapp 6 % für Er- 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 werbstätige in Westdeutschland und bei 7 % für die in Ostdeutschland, was auch – Zufriedenheit mit dem eigenen Schlaf 8 trotz des zeitweiligen kurzen Anstiegs der Sorgen aufgrund der Finanzmarkt- und 7 Wirtschaftskrise der Jahre 2008 /2009 – 6 die gute gesamtwirtschaftliche Situation sowie die Lage am Arbeitsmarkt mit 5 niedriger Arbeitslosigkeit sowie Fach- 4 kräftemangel in West- und Ostdeutsch- 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 land widerspiegelt. Ein sehr ähnliches Bild zeigt sich bei der Entwicklung der Zufriedenheit mit dem Haushaltseinkommen Sorgen um die eigene wirtschaftliche 8 Situation. Lediglich 11 % der Bevölke- 7 rung in Ost- wie Westdeutschland berei- tete im Jahr 2019 die eigene wirtschaft 6 liche Situation noch Sorgen. 5 Einen anderen Verlauf haben hinge- 4 gen die Sorgen um die eigene Gesundheit 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 genommen, die im Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) seit 1999 jährlich erfragt Zufriedenheit mit dem eigenen Familienleben werden. Hier hatte in Westdeutschland 8 im Jahr 2011 rund jede / jeder Fünfte (21 %) 7 große Sorgen. Dieser Anteil sank in den folgenden Jahren bis 2018 auf 15 % ab 6 und erhöhte sich dann im Jahr 2019 auf 5 18 %. In Ostdeutschland berichtete im 4 Jahr 2011 hingegen jede / jeder Vierte (26 %) 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 von großen Sorgen um die eigene Ge- sundheit. Nach einigen Schwankungen Westdeutschland Ostdeutschland sank der Anteil derer mit großen Sorgen bis zum Jahr 2018 auf 19 % und erhöhte Gemessen auf einer Skala von 0 »vollkommen unzufrieden« bis 10 »vollkommen zufrieden«. Datenbasis: SOEP – v35 und Vorabdaten v36; ohne M3 – M5 – Stichproben, gewichtete Werte sich dann aber auch in Ostdeutschland 412
Subjektives Wohlbefinden und Sorgen / 12.1 Werte und Einstellungen / 12 im Jahr 2019 wieder auf ein Viertel (25 %). u Abb 3 Verlauf der Sorgen in privaten Bereichen in West- und Ost Die Auswirkungen der Coronapandemie deutschland 1990–2019 — Anteil großer Sorgen in Prozent ab Anfang 2020 werden durch die hier präsentierten Daten noch nicht darge- Sorgen um die eigene wirtschaftliche Situation stellt. Erste SOEP-Studien im Zuge der 50 Pandemie (SOEPpapers on Multidisci 40 plinary Panel Data Research No. 1087) deuten jedoch darauf hin, dass zukünfti- 30 ge SOEP-Erhebungswellen für das Jahr 20 2020 eher geringere Sorgen um die eigene Gesundheit aufzeigen werden. 10 Seit 2015 wird im SOEP als weiterer 0 Indikator die Ausprägung persönlicher 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 Sorgen hinsichtlich der eigenen Altersver- sorgung erfragt. Während im Jahr 2015 Sorgen um die Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes in Westdeutschland gut 23 % diesbezüg- 50 lich große Sorgen hatten, betrug der ent- sprechende Anteil in Ostdeutschland 40 28 %. Mit der Einführung der Rente mit 30 63 sowie der Mütterrente sank in beiden Teilen Deutschlands seitdem der Anteil 20 der Personen, die sich große Sorgen um 10 die eigene Altersversorgung machten, auf zuletzt 18 % im Jahr 2018 in Westdeutsch- 0 land und 23 % in Ostdeutschland. Im Jahr 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 2019, als die Reformpläne um eine geplan- te Grundrente auch kontroverse Debatten Sorgen um eigene Altersversorgung innerhalb der großen Koalition auslösten, 50 erhöhte sich der Anteil großer Sorgen um 40 die eigene Altersversorgung in Ost- wie Westdeutschland signifikant. Er betrug in 30 Westdeutschland rund ein Fünftel (21 %) und in Ostdeutschland mehr als ein Vier- 20 tel (27 %) der Bevölkerung. 10 12.1.3 Sorgen im öffentlichen 0 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 Bereich Der zeitliche Verlauf des Anteils großer Sorgen um die allgemeine wirtschaftliche Sorgen um die eigene Gesundheit Situation ist ähnlich wie bei den Sorgen 50 um die eigene wirtschaftliche Situation, 40 jedoch auf einem deutlich höheren Niveau. Im Jahr 2005, als die Zahl der arbeitslos 30 Gemeldeten bei rund 5 Millionen lag, 20 machte sich etwas mehr als die Hälfte (53 %) der Bevölkerung in Westdeutsch- 10 land große Sorgen um die allgemeine 0 wirtschaftliche Entwicklung. In Ost- 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 deutschland betrug der Anteil mit großen Westdeutschland Ostdeutschland Sorgen 60 %. Seitdem ist – mit Ausnahme von 2009, dem Jahr der Auswirkungen Antwortmöglichkeiten: keine Sorgen, einige Sorgen, große Sorgen. der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise – Datenbasis: SOEP – v35 und Vorabdaten v36; ohne M3 – M5 – Stichproben, gewichtete Werte 413
12 / Werte und Einstellungen 12.1 / Subjektives Wohlbefinden und Sorgen u Abb 4 Verlauf der Sorgen in öffentlichen Bereichen in West- und Ost der Anteil derer, die sich große Sorgen deutschland 1990 – 2019 — Anteil großer Sorgen in Prozent machen, jährlich deutlich gesunken, bis der Anteil im Jahr 2019 in Westdeutsch- Sorgen um die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung land dann bei 13 % und in Ostdeutsch- 80 land bei 16 % lag – und damit nur etwas 70 über dem niedrigsten Niveau seit der Ver- 60 einigung Deutschlands aus dem Jahr 50 2018. u Abb 4 40 Bei den Sorgen um den Schutz der 30 Umwelt zeigt sich in den letzten zehn Jah- 20 ren (2009 bis 2018) kein klarer Trend. Der 10 Anteil derer mit großen Sorgen bewegte 0 sich in diesem Zeitraum sowohl in West- 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 wie auch in Ostdeutschland überwiegend zwischen einem Viertel (24 %) und einem Sorgen um den Schutz der Umwelt Drittel (33 %). Im Vergleich zu den frühen 80 1990er-Jahren ist allerdings ein starker 70 Rückgang beim Anteil der Menschen mit 60 großen Sorgen um den Schutz der Um- 50 welt zu verzeichnen. Im Jahr 2019 ist der 40 Anteil in beiden Teilen Deutschlands hin- 30 20 gegen signifikant angestiegen und lag in 10 Westdeutschland bei 45 % und in Ost- 0 deutschland bei über 40 %. 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 Dass sich die Menschen in West- deutschland in Bezug auf die Umwelt Sorgen bezüglich der Folgen des Klimawandels häufiger große Sorgen machen als Men- schen in Ostdeutschland, zeigt sich auch 80 70 im Bereich der Sorgen hinsichtlich der 60 Folgen des Klimawandels. Dieser Indika- 50 tor wird seit nunmehr zehn Jahren im 40 Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) jähr- 30 lich erfragt. In Westdeutschland machten 20 sich 2019 annähernd die Hälfte der Be- 10 fragten (49 %) große Sorgen wegen des 0 Klimawandels, aber auch in Ostdeutsch- 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 land stieg der Anteil mit großen Sorgen auf nunmehr 41 %. Der jährliche Anstieg Sorgen bezüglich der Entwicklung der Kriminalität in Deutschland betrug in Ost- wie Westdeutschland mehr 80 als 10 Prozentpunkte und stellt damit in 70 beiden Landesteilen die markanteste Er- 60 höhung aller 2019 im SOEP erfragten 50 Sorgen-Items innerhalb eines Jahres dar. 40 Die vor allem 2019 gewachsenen Sorgen 30 um den Schutz der Umwelt wie auch hin- 20 sichtlich der Folgen des Klimawandels 10 dürften vor allem den von der Fridays- 0 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 for-Future-Bewegung organisierten Schulstreiks und Protesten geschuldet Westdeutschland Ostdeutschland sein, die im Frühjahr 2019 begonnen haben (siehe Kapitel 11.4.6, Seite 406, und Kapi- Antwortmöglichkeiten: keine Sorgen, einige Sorgen, große Sorgen. Datenbasis: SOEP – v35 und Vorabdaten v36; ohne M3 – M5 – Stichproben, gewichtete Werte tel 13.5.2, Seite 457). 414
Subjektives Wohlbefinden und Sorgen / 12.1 Werte und Einstellungen / 12 Große Sorgen bezüglich der Krimina- u Abb 4 (Fortsetzung) Verlauf der Sorgen in öffentlichen Bereichen in West- und Ost litätsentwicklung äußerten im ersten Er- deutschland 1990 – 2019 — Anteil großer Sorgen in Prozent hebungsjahr 1994 in Ostdeutschland noch drei Viertel (75 %) der Befragten, Sorgen um den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft während der Anteil in Westdeutschland 70 damals bei lediglich rund der Hälfte 60 (53 %) lag. Seitdem sank in beiden Landes- 50 teilen der Anteil mit großen Sorgen nahe- 40 30 zu kontinuierlich bis zum Jahr 2014 und 20 lag in Westdeutschland bei 30 % und in 10 Ostdeutschland bei 39 %. Der Anteil der 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 Menschen, die sich große Sorgen bezüg- lich der Kriminalitätsentwicklung mach- Sorgen um den Erhalt des Friedens ten, stieg dann in den Jahren 2016 und 70 2017 sowohl in West- wie Ostdeutschland 60 signifikant um mehr als zehn Prozent- 50 punkte an. Seitdem sind die Sorgen in 40 beiden Landesteilen wieder signifikant 30 gesunken und lagen 2019 in Westdeutsch- 20 land bei rund einem Drittel (34 %) und in 10 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 Ostdeutschland bei 44 %. Die Unterschie- de zwischen Ost- und Westdeutschland Sorgen bezüglich der Zuwanderung nach Deutschland bleiben damit auch im Vergleich zu den 70 Vorjahren deutlich ausgeprägt. 60 Seit 2015 werden im Sozio-oekonomi- 50 schen Panel (SOEP) auch Sorgen um den 40 sozialen Zusammenhalt in der Gesell- 30 schaft erfragt. Zu diesem Thema machten 20 sich 2015 in Westdeutschland rund ein 10 Viertel (26 %) der Befragten und in Ost- 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 deutschland sogar knapp ein Drittel Sorgen bezüglich Ausländerfeindlichkeit und Fremdenhass in Deutschland (31 %) große Sorgen. Der Anteil derer mit 70 großen Sorgen um den sozialen Zusam- 60 menhalt der Gesellschaft stieg im Jahr 50 2016 in beiden Landesteilen um rund 40 10 Prozentpunkte an und sank anschlie- 30 ßend, sodass er 2019 in Westdeutschland 20 nunmehr bei 31 % und in Ostdeutschland 10 bei 37 % lag. 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 Neben Klima- und Umweltschutz gibt es drei weitere öffentlichen Bereiche, um Sorgen um die Stabilität der Finanzmärkte 70 die sich die Menschen in Ost- und West- 60 deutschland auch im Jahr 2019 besonders 50 große Sorgen machten. Hier sind der Er- 40 halt des Friedens, die Zuwanderung nach 30 Deutschland sowie Ausländerfeindlich- 20 keit und Fremdenhass in Deutschland 10 zu nennen. Um den Erhalt des Friedens 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 machten sich 2019 in Westdeutschland Westdeutschland Ostdeutschland 50 % und in Ostdeutschland 52 % der Be- fragten große Sorgen. Im Vergleich zu Antwortmöglichkeiten: keine Sorgen, einige Sorgen, große Sorgen. Frage zu Sorgen bezüglich Ausländerfeindlichkeit und Fremdenhass wurde in Westdeutschland ab 1992, in Ostdeutschland ab 1996 gestellt. 2016 und 2017 ist der Anteil der Bevölke- Datenbasis: SOEP – v35 und Vorabdaten v36; ohne M3 – M5 – Stichproben, gewichtete Werte 415
12 / Werte und Einstellungen 12.1 / Subjektives Wohlbefinden und Sorgen rung, der sich große Sorgen um den Er- 12.1.4 Emotionales Glück Ein weiterer Indikator zielt weniger auf halt des Friedens machte, um rund 6 Pro- und »Erfüllt-Sein« spezifische Aspekte oder Bereiche des Le- zentpunkte in Ost- wie Westdeutschland Seit 2007 werden im Sozio-oekonomi- bens, sondern auf den Grad des »Erfüllt- gesunken. Der Krieg in der Ostukraine, schen Panel (SOEP) auch emotionale Ele- Seins«. Dabei geht es um die Einschätzung, die seit 2014 wahrgenommene Bedrohung mente des subjektiven Wohlbefindens ob das, was ich mit dem Leben mache, auch durch den sogenannten I slamischen Staat erfragt. Der Indikator, der das emotional wertvoll und nützlich ist. Die Skala reicht sowie der nicht enden wollende Krieg in erlebte Glück der vergangenen vier hier von »überhaupt nicht wertvoll und Syrien dürften damals in den gewachse- Wochen erhebt, differenziert auf einer nützlich« (0) bis »vollkommen wertvoll und nen Sorgen um den Erhalt des Friedens fünfstufigen Skala zwischen »sehr selten« nützlich« (10). In Westdeutschland hatte ihren Niederschlag gefunden haben. (1) und »sehr oft« (5). Sowohl in Ost- als von 2015 bis 2019 nahezu konstant ein In Bezug auf Zuwanderung nach auch in Westdeutschland werden seit Zehntel (10 %) der Menschen das Gefühl, Deutschland machten sich 2019 noch Jahren ausgesprochen konstante Werte dass das, was sie mit ihrem Leben machen, 27 % der Befragten in Westdeutschland berichtet. Demnach gaben in West- vollkommen wertvoll und nützlich ist. In und 40 % der Befragten in Ostdeutsch- deutschland jeweils zwischen 50 und Ostdeutschland lag der entsprechende land große Sorgen. Im Vergleich zum 60 % der Befragten an, sich in den ver Wert zunächst bei 9 % und betrug im Jahr Jahr 2016, als knapp eine Million Ge- gangenen vier Wochen oft oder sehr oft 2019 8 %. Blickt man auf die Veränderung flüchtete in Deutschland Anträge auf An- glück lich gefühlt zu haben; in Ost- des durchschnittlichen Grads des »Erfüllt- erkennung als Asylberechtigte stellten, ist deutschland lag dieser Anteil stets etwa Seins« der entsprechenden 11er-Skala, so der Anteil mit großen Sorgen bezüglich 5 Prozentpunkte niedriger. Im Jahr 2019 liegt der mittlere Grad 2019 in West- der Zuwanderung in West- wie Ost- lag der mittlere Wert der 5er-Skala in deutschland bei 7,3 und in Ostdeutsch- deutschland um rund 15 Prozentpunkte Westdeutschland bei 3,6 und in Ost- land geringfügig niedriger bei 7,2. u Tab 1 gesunken. Interessant ist, dass sich gleich- deutschland signifikant niedriger bei Insgesamt haben die subjektiven Un- zeitig vor allem in Westdeutschland mit 3,5, was deutlich macht, dass auch 2019 terschiede des Wohlbefindens zwischen 37 %, aber auch in Ostdeutschland mit Menschen in Westdeutschland im Durch- West- und Ostdeutschland in den vergan- 33 % die Menschen große Sorgen hin- schnitt geringfügig glücklicher waren als genen Jahren also offenbar eher abge- sichtlich Ausländerfeindlichkeit und in Ostdeutschland. u Abb 5 nommen. Fremdenhass machten. Jedoch lässt sich aus diesem Befund nicht ableiten, dass eine Polarisierung der Bevölkerung dahingehend erfolgt, dass u Abb 5 Glücklich gefühlt in den letzten vier Wochen 2007 – 2019 ein großer Teil der Bevölkerung sich gro- ße Sorgen bezüglich der Zuwanderung 4,0 machte und der andere Anteil große Sor- gen aufgrund von Ausländerfeindlichkeit und Fremdenhass. 2019 hatten 15 % in Westdeutschland und 17 % in Ostdeutsch- 3,75 land sowohl große Sorgen bezüglich der Zuwanderung nach Deutschland als auch große Sorgen bezüglich Ausländerfeind- lichkeit und Fremdenhass. Weitere 24 % 3,5 in Westdeutschland und 28 % in Ost- deutschland gaben an, sich in jeweils ei- nem der Bereiche große und im anderen 3,25 Bereich einige Sorgen zu machen. Dies legt die Vermutung nahe, dass nicht al- lein die Zuwanderung, sondern vor allem auch der Umgang mit der Zuwanderung 3,0 2008 2010 2012 2014 2016 2018 Auslöser von Sorgen war und ist. So Westdeutschland Ostdeutschland könnte zum Beispiel eine als misslungen wahrgenommene Eingliederung von frü- Mittelwerte, gemessen auf einer Skala von 1 »sehr selten« bis 5 »sehr oft«. heren Zugewanderten Sorgen um weitere Datenbasis: SOEP – v35 und Vorabdaten v36; ohne M3 – M5 – Stichproben, gewichtete Werte Zuwanderung auslösen. 416
Subjektives Wohlbefinden und Sorgen / 12.1 Werte und Einstellungen / 12 12.1.5 Subjektive Bilanz des (35 %) der Befragten, die 1989 in West- denheit 30 Jahre später als Verbesserung. Rückblicks von 30 Jahren deutschland lebten, der Auffassung war, Der Anteil der Personen, die eher eine Die bislang präsentierten Verläufe basie- dass sich ihre Lebenszufriedenheit seit Verschlechterung in ihrer Lebenszufrie- ren auf Fragen zum subjektiven Wohl 1989 erhöht hat, und nahezu die Hälfte denheit sahen, war bei Männern wie Frau- befinden, die seit 1990 einmal jährlich in (48 %) angab, dass die Lebenszufrieden- en, die 1989 in der DDR lebten, mit jeweils Ost- und Westdeutschland ermittelt wur- heit eher gleich geblieben ist, fiel die etwa einem Fünftel (19 %) gleich hoch. den. Sie spiegeln jeweils die Befindlich- Bilanz der Menschen in Ostdeutschland Innerhalb der vergangenen 30 Jahre keiten der Bevölkerung zu unterschied deutlich positiver aus. Demnach bewerte- haben viele Menschen aus der ehemali- lichen Erhebungszeitpunkten wider. te rund die Hälfte (49 %) der Befragten, gen DDR ihren Lebensmittelpunkt in den In der Befragungswelle 2019 des So- die 1989 in der DDR lebten, ihre Lebens- alten Bundesländern gewählt, wie auch zio-oekonomischen Panels (SOEP) wurde zufriedenheit im Vergleich zu der Zeit umgekehrt eine kleinere Zahl an Men- der Versuch unternommen, von den Er- vor der deutschen Vereinigung als höher. schen aus Westdeutschland mittlerweile wachsenen in West- und Ostdeutschland Lediglich ein Fünftel (19 %) gab an, dass in Ostdeutschland lebt. Anhand des Ver- eine rückblickende subjektive Bewertung sich die Zufriedenheit im Vergleich zu gleichs der beiden Gruppen lässt sich un- ihrer Lebenszufriedenheit zu ermitteln. 1989 verringert hat (in Westdeutschland tersuchen, wie sich der Umzug in den je- An alle Personen, die vor 1990 geboren 15 %) und knapp ein Drittel (32 %) bewer- weils anderen Landesteil rückblickend auf sind, wurde die Frage gestellt: »Wenn Sie tete die eigene Lebenszufriedenheit als die Lebenszufriedenheit ausgewirkt hat. einmal 30 Jahre zurückblicken – also auf etwa gleich geblieben. u Tab 2 Bei beiden Gruppen fiel die Bewertung 1989, das Jahr vor der Wiedervereinigung Männer bewerteten im Vergleich zu der Lebenszufriedenheit seit der deut- Deutschlands – was würden Sie sagen: Frauen demnach in Westdeutschland die schen Vereinigung deutlich positiver aus, Hat sich seit dieser Zeit ihre Lebens Entwicklung ihrer Lebenszufriedenheit als bei den Personen, die nicht umgezo- zufriedenheit alles in allem eher erhöht nur etwas positiver, während der Unter- gen sind. Bei ehemaligen Westdeutschen, oder eher verringert?« schied zwischen den Geschlechtern in Ost- die 2019 in den neuen Bundesländern leb- Die Ergebnisse zeigen ein sehr unter- deutschland prägnanter ausfiel. 51 % der ten, betrug der Anteil derjenigen, die eine schiedliches Bild dieser subjektiven Le- Männer und 47 % der Frauen, die in der Verbesserung ihrer Lebenszufriedenheit bensbilanz. Während nur ein Drittel DDR lebten, empfanden ihre Lebenszufrie- sahen, 48 % und lag damit deutlich über uTab 1 Grad des »Erfüllt-Seins« im Leben: »Haben Sie das Gefühl, dass das, was Sie in Ihrem Leben machen, wertvoll und nützlich ist?« 2015 – 2019 Westdeutschland Ostdeutschland 2015 2016 2017 2018 2019 2015 2016 2017 2018 2019 Durchschnittswert 7,1 7,2 7,2 7,2 7,3 6,9 7,1 7,1 7,1 7,2 der Skala in % [0] »überhaupt nicht 1 0 1 1 0 1 1 1 1 1 wertvoll und nützlich« [1] 1 0 0 0 1 1 1 0 1 1 [2] 1 1 1 1 1 2 2 1 1 1 [3] 3 3 3 3 2 3 2 2 2 2 [4] 3 3 3 3 3 4 3 3 3 2 [5] 12 11 11 10 10 13 13 13 12 12 [6] 11 10 10 11 10 10 10 10 10 11 [7] 21 20 21 22 22 20 20 21 22 19 [8) 27 28 28 29 28 28 28 28 27 30 [9] 11 13 12 11 13 10 11 13 12 13 [10] »vollkommen wertvoll 10 11 10 10 10 9 9 8 8 8 und nützlich« Datenbasis: SOEP v35 + Vorabdaten v36 ohne M3 – M5, gewichtete Werte 417
12 / Werte und Einstellungen 12.1 / Subjektives Wohlbefinden und Sorgen dem Durchschnitt aller Westdeutschen Bei ehemaligen DDR-Bürgerinnen Gleichwohl besteht in Ostdeutschland (35 %). Umgekehrt gaben auch die ehema- und -Bürgern fallen die Altersdifferenzen auch nunmehr 30 Jahre nach der Vereini- ligen DDR-Bürgerinnen und -Bürger, die weniger markant aus. Während eine gung in der allgemeinen Lebenszufrie- im Jahr 2019 in den alten Bundesländern deutliche Mehrheit (58 %) der (2019) 40- denheit sowie in mehreren Lebensberei- lebten, mit 54 % häufiger an, dass sich bis 49-Jährigen ehemaligen DDR-Bürge- chen ein signifikant niedrigeres Niveau ihre Zufriedenheit seit der deutschen Ver- rinnen und -Bürger eine Verbesserung des subjektiven Wohlbefindens. Davon einigung verbessert hat, als die gesamte der Lebenszufriedenheit bilanzierte, lag abweichend liegt die Zufriedenheit mit Gruppe der Ostdeutschen (49 %). der Anteil bei den 70- bis 79-Jährigen, den Möglichkeiten der Kinderbetreuung Der retrospektive Blick auf die Ent- die also in den vergangenen 30 Jahren in in Ostdeutschland seit 1997 nahezu wicklung der subjektiven Lebenszufrie- Altersrente gewechselt sind, mit 46 % durchgängig höher als in Westdeutsch- denheit zeigt zudem eine interessante Dif- deutlich niedriger. Der Anteil derjenigen, land. Völlig angeglichen hat sich die Zu- ferenzierung nach Altersgruppen. Unter die eine Verringerung der Lebenszufrie- friedenheit mit der Wohnung. Aber auch den Personen, die 1989 in Westdeutsch- denheit berichteten, betrug 16 % und war hinsichtlich der Arbeit sowie der Freizeit land lebten, bewertete in der Altersgrup- somit wenige Prozentpunkte höher als waren die früheren Unterschiede im Jahr pe der (2019) 40- bis 49-Jähigen fast jede / bei der Gruppe der 40- bis 49-Jährigen 2019 weitgehend nivelliert. Bezüglich der jeder Zweite (48 %) die Entwicklung der aus der ehemaligen DDR. negativen Komponenten des Wohlbe Lebenszufriedenheit seit der deutschen findens gingen in Ostdeutschland die Vereinigung positiv. Bei der Gruppe der 12.1.6 Fazit Sorgen in verschiedenen privaten Le- 70- bis 79-Jährigen halbiert sich dieser Die allgemeine Lebenszufriedenheit bensbereichen deutlich zurück, sind aber Anteil auf rund ein Viertel (26 %). Die brach in Ostdeutschland unmittelbar nach wie vor in einigen Feldern stärker überwiegende Mehrheit in dieser Alters- nach der deutschen Vereinigung zu- ausgeprägt als in Westdeutschland. Im gruppe (59 %) sah ihre Lebenszufrieden- nächst ein, was vor allem auf die abrup- öffentlichen Bereich nahmen in den ver- heit im Vergleich zu vor 30 Jahren in etwa ten Veränderungen der Lebensbedingun- gangenen Jahren vor allem die Sorgen auf dem gleichen Niveau. Der Anteil der- gen zurückzuführen ist. Es folgte Mitte um den Schutz der Umwelt und in beson- jenigen, die eher eine Verringerung der der 1990er-Jahre eine schrittweise Er derer Weise im Jahr 2019 auch die Sorgen Lebenszufriedenheit seit der deutschen höhung des subjektiven Wohlbefindens, angesichts der Folgen des Klimawandels Vereinigung bilanzierten, betrug in bei- die in den letzten zehn Jahren eine noch- sehr deutlich zu. Ebenso bewegen sich den Altersgruppen jeweils lediglich 14 %. malige Beschleunigung erfahren hat. die Sorgen um Frieden, bezüglich Zu- u Tab 2 Subjektive Bewertung der Änderung der Lebenszufriedenheit seit der deutschen Einheit 2019 — in Prozent Befragte, die 1989 in Westdeutschland (BRD) lebten 2019 im Alter von darunter: insgesamt 2019 in Männer Frauen unter 40 – 49 50 – 59 60 – 69 70 – 79 80 Jahren Ostdeutschland 40 Jahren Jahren Jahren Jahren Jahren und älter Erhöht 35 48 35 34 56 48 39 36 26 19 Verringert 15 15 16 14 16 14 18 13 14 14 Gleich geblieben 50 38 49 52 28 38 43 50 59 66 Befragte, die 1989 Ostdeutschland (DDR) lebten 2019 im Alter von darunter: insgesamt 2019 in Männer Frauen unter 40 – 49 50 – 59 60 – 69 70 – 79 80 Jahren Westdeutschland 40 Jahren Jahren Jahren Jahren Jahren und älter Erhöht 49 54 51 47 48 58 52 45 46 42 Verringert 19 20 19 19 30 13 20 22 16 17 Gleich geblieben 32 26 30 35 22 29 28 33 38 41 Frage: »Wenn Sie einmal 30 Jahre zurückblicken – also auf 1989, das Jahr vor der Wiedervereinigung Deutschlands – was würden Sie sagen: Hat sich seit dieser Zeit ihre Lebenszufriedenheit alles in allem eher erhöht oder eher verringert?« Datenbasis: SOEP Vorabdaten v36; ohne M3 – M5 – Stichproben, gewichtete Werte 418
Subjektives Wohlbefinden und Sorgen / 12.1 Werte und Einstellungen / 12 wanderung sowie aufgrund von Auslän- positivere Bilanz. Demnach bewertete derfeindlichkeit und Fremdenfeindlich- rund die Hälfte (49 %) der Befragten, die keit auf hohem Niveau. 1989 in der DDR lebten, ihre Lebens Die subjektive Bilanz beim Vergleich zufriedenheit höher als zu der Zeit der 2019 berichteten Lebenszufriedenheit vor der deutschen Vereinigung. Insbe- mit der im Jahr 1989, also der Zeit vor sondere trifft dies für die heute über der Vereinigung Deutschlands, fällt sehr 69-jährigen e hemaligen DDR-Bürgerin- unterschiedlich aus. Während etwas nen und -Bürger zu, unter denen der An- mehr als ein Drittel der Menschen (35 %), teil an Menschen, die ihre Zufriedenheit die vor 30 Jahren in Westdeutschland im Vergleich zu 1989 als Verbesserung lebten, eine Erhöhung ihrer Lebenszu- bewerteten, mehr als 20 Prozentpunkte friedenheit empfand, zogen die Men- über dem Niveau der westdeutschen Ver- schen in Ostdeutschland eine deutlich gleichsgruppe lag. 419
12 / Werte und Einstellungen 12.2 / Einstellungen zu Elternschaft, Familie und Lebensformen 12.2 Die Familie gilt als »Grundeinheit der Gesellschaft«, wie es die Vereinten Natio- (Fach-)Abitur häufiger, auch ohne Fami- lie glücklich sein zu können. Zudem fan- Einstellungen nen in der UN-Kinderrechtskonvention den sich auch fast 30 Jahre nach der zu Elternschaft, formuliert haben. In Familien finden die Sozialisation und Erziehung von Kindern deutschen Vereinigung noch Einstel- lungsunterschiede zwischen Menschen Familie und statt, schwächere und ältere Mitglieder aus den alten und den neuen Bundes Lebensformen werden unterstützt und umsorgt. Dem wird häufig fehlende gesellschaftliche ländern. Während Familie für 63 % der Westdeutschen einen wichtigen Glücks- Anerkennung der familiären Leistungen faktor ausmachte, waren es in Ost- Kerstin Ruckdeschel gegenübergestellt, die sich etwa in zu ge- deutschland 74 %. Obwohl also kulturelle ringer finanzieller Unterstützung oder Unterschiede seit der deutschen Vereini- nicht ausreichender Bereitstellung von gung zurückgegangen sind, ist Familie Bundesinstitut für Strukturen zur Bewältigung des familiä- in den neuen Bundesländern weiterhin Bevölkerungsforschung (BiB) ren Alltags zeigen. Gleichzeitig erleben wichtiger als in den alten. Gemeinsam ist wir eine Vielfalt an Lebensformen, die beiden Landesteilen, dass seit den sich durch eine sinkende Heiratsneigung, 1990er-Jahren ein Bedeutungsrückgang steigende Scheidungszahlen und zuneh- zu beobachten ist. u Abb 1, Abb 2 mende Anerkennung anderer Lebensfor- Über die verschiedenen Altersgrup- men, zum Beispiel nicht ehelicher oder pen variierte die Bedeutung von Familie gleichgeschlechtlicher Lebensgemein- 2018 wenig und war gerade in der jünge- schaften, ergibt. Im Folgenden soll des- ren Generation der 18- bis 29-Jährigen halb der Frage nachgegangen werden, wie relativ hoch. Vergleichsweise niedrig war wichtig Familie für das persönliche sie im Gegensatz dazu bei den 45- bis Wohlergehen eingeschätzt wird, welche 59-Jährigen, die sich häufig in einer Fami- Rolle Kinder und Elternschaft dabei spie- lienphase mit eher älteren Kindern befin- len und wie stark Lebensformen neben den, die oft noch im Haus wohnen oder dem Standardfamilienmodell in der Ge- selbst noch keine eigene Familie haben. sellschaft anerkannt werden. Unterscheidet man allerdings zusätzlich nach Elternschaft, dann zeigt sich, dass 12.2.1 Einstellungen zu Familie die niedrigere Zustimmung in dieser und Elternschaft A ltersphase nicht durch Eltern zustande Zunehmende Möglichkeiten der Lebens- kam, sondern dass Kinderlose in diesem gestaltung für Frauen und Männer las- Alter eher zufrieden mit ihrer Situation sen die Frage aufkommen, ob Familie ne- waren. Damit bestätigen sich Befunde, ben Karriere, Sport, Reisen und anderen dass vor allem eine feste Partnerschaft, Dingen noch Bestand hat. Braucht man die das Bedürfnis nach emotionaler Nähe eine Familie, um wirklich glücklich zu und Vertrauen erfüllt, für die Lebenszu- sein? Fast zwei Drittel der Bevölkerung friedenheit in dieser Altersphase ent- (65 %) bejahten 2018 diese Frage, wäh- scheidend ist, während der Zuwachs an rend ein gutes Viertel (26 %) der Mei- L ebenszufriedenheit, den jüngere Kinder nung war, dass man ohne Familie genau- bewirken, mit deren Älterwerden schwin- so glücklich leben könne. Dass man det. Im Normalfall haben sich 45- bis ohne Familie glücklicher sei, glaubte da- 59-Jährige im Beruf etabliert und können gegen so gut wie niemand (1 %). Geht im Vergleich zu Familien, zum Beispiel man davon aus, dass eine höhere formale bezüglich Reisen und Freizeitgestaltung, Bildung auch mehr Lebensoptionen bie- mehr Freiheiten genießen, da sie einer- tet, gerade in Hinblick auf Beruf und seits relativ gesehen mehr Geld zur Verfü- Karriere, dann besteht die Vermutung, gung haben und andererseits an weniger dass Familie in diesem Fall in Konkur- Verpflichtungen, zum Beispiel Ferienzei- renz zu anderen Lebenszielen treten ten, gebunden sind. Sowohl bei Jüngeren kann. Tatsächlich glaubten Personen mit als auch bei Älteren waren Kinderlose, 420
Einstellungen zu Elternschaft, Familie und Lebensformen / 12.2 Werte und Einstellungen / 12 denen Familie wichtig ist, wieder stärker u Abb 1 Braucht man eine Familie, um wirklich glücklich zu sein? vertreten. Bei Eltern war die Wertschät- Zustimmung nach Bildung 2018 — in Prozent zung von Familie generell höher als bei Kinderlosen. In beiden Fällen spiegelt sich die eigene Erfahrung in der Bewertung niedrigere 69 Bildung¹ 23 von Familie insofern wider, als das Lebens- modell, das man gewählt hat, auf Dauer höhere 59 Bildung¹ 31 auch befürwortet wird. u Tab 1 Eigene Kinder haben einen erheblichen Einfluss darauf, wie wichtig Familie für Man braucht eine Familie, Ohne Familie kann man um wirklich glücklich zu sein. genauso glücklich leben. das eigene Glück eingeschätzt wird. Inso- fern ist es interessant zu fragen, ob Kinder Frage: »Glauben Sie, dass man eine Familie braucht, um wirklich glücklich zu sein, oder glauben Sie, man kann alleine genauso glücklich leben?«; fehlende Prozent auf 100 %: Zustimmung zu »alleine glücklicher« und »unentschieden«. noch ein fester Bestandteil der eigenen 1 Niedrigere Bildung: ohne Abschluss bis Mittlere Reife; höhere Bildung: (Fach-)Hochschulreife. Datenbasis: ALLBUS 2018 Lebensplanung sind. Die Ergebnisse einer im Jahr 2016 vom Bundesinstitut für Be- völkerungsforschung in Auftrag gegebe- nen Studie zu Familienleitbildern zeigen, uAbb 2 Braucht man eine Familie, um wirklich glücklich zu sein? dass Elternschaft in Deutschland eine Zustimmung nach Region 1991– 2018 — in Prozent große Selbstverständlichkeit darstellt, die keiner weiteren Begründung bedarf. Auf 100 die Frage, warum man sich für Kinder entscheidet, antworteten 2016 92 % der jungen Menschen zwischen 24 und 80 44 Jahren, »weil Kinder einfach zum Leben dazugehören«. Es stellt sich den meisten weniger die Frage, ob man Kinder haben 60 möchte, als die Frage wann, wobei mit steigendem Alter auch die Wahrschein- lichkeit einer lebenslangen Kinderlosig- 0 keit zunimmt. Der Anteil derjenigen, die 1991 1996 2000 2002 2006 2010 2014 2018 lebenslang kinderlos bleiben, liegt in alte Bundesländer neue Bundesländer Frage: »Glauben Sie, dass man eine Familie braucht, um wirklich glücklich zu sein, oder glauben Sie, man kann alleine genauso glücklich leben?«, Antworten »Man braucht eine Familie, um wirklich glücklich zu sein.« Datenbasis: ALLBUS 1980 – 2018 u Tab 1 Braucht man eine Familie, um wirklich glücklich zu sein? Zustimmung nach Altersgruppen und Elternschaft 2018 — in Prozent 18 – 29 Jahre 30 – 44 Jahre 45 – 59 Jahre 60 – 74 Jahre 75 Jahre und älter Man braucht eine Familie, 67 64 61 66 73 um wirklich glücklich zu sein. Ohne Familie kann man 25 26 28 25 22 genauso glücklich leben. Eltern Kinderlose Eltern Kinderlose Eltern Kinderlose Eltern Kinderlose Eltern Kinderlose Man braucht eine Familie, 75 66 69 53 67 39 69 49 74 67 um wirklich glücklich zu sein. Ohne Familie kann man 13 27 23 33 24 43 23 40 21 28 genauso glücklich leben. Frage: »Glauben Sie, dass man eine Familie braucht, um wirklich glücklich zu sein, oder glauben Sie, man kann alleine genauso glücklich leben?«; fehlende Prozent auf 100 %: Zustimmung zu »alleine glücklicher« und »unentschieden«. Datenbasis: ALLBUS 2018 421
12 / Werte und Einstellungen 12.2 / Einstellungen zu Elternschaft, Familie und Lebensformen Deutschland im internationalen Vergleich uAbb 3 Gehören Kinder zum Leben dazu? relativ hoch, weshalb auch die Akzeptanz Zustimmung nach Elternschaft 2016 — in Prozent von Kinderlosigkeit näher betrachtet wer- den soll. Im Jahr 2016 bejahten 56 % der Menschen zwischen 24 und 44 Jahren die Frage, ob es heutzutage etwas ganz Nor- Kinder gehören 92 einfach zum 96 males sei, keine Kinder zu haben. Auch Leben dazu. 87 hier fanden sich Unterschiede je nachdem, Heutzutage ist es 56 ob man selbst Kinder hat oder nicht, und etwas ganz Normales, 51 zwar insofern, als wieder die eigene Le- keine Kinder zu haben. 62 benssituation die Beurteilung mit beein- f lusst: Ungefähr die Hälfte der Eltern gesamt Eltern Kinderlose (51 %), aber über 60 % der Kinderlosen hiel- ten Kinderlosigkeit für eine gesellschaft Datenbasis: Familienleitbildsurvey 2016; Befragte im Alter von 24 bis 44 Jahren; N = 1 858 liche Normalität. Der Selbstverständlich- keit, Kinder zu haben, steht in Deutsch- land somit eine hohe soziale Akzeptanz von Kinderlosigkeit gegenüber. u Abb 3 uAbb 4 Sollte man heiraten, wenn man mit einem Partner auf Dauer zusammenlebt? Zustimmung nach Altersgruppen 1980 – 2018 — in Prozent 12.2.2 Einstellungen zu Lebensformen 90 Die aktuelle gesellschaftliche Debatte um Familie dreht sich auch um die Vielfalt 80 von Lebensformen. Damit sind Lebens- 70 formen neben der Ehe von Mann und 60 Frau mit eigenen Kindern gemeint. Diese 50 Lebensmodelle werden zunehmend in der 40 Öffentlichkeit sichtbar und gewinnen auch zahlenmäßig an Bedeutung, was 30 wiederum zur Frage führt, ob das mit 20 einem Bedeutungsverlust von Ehe gleich- 10 gesetzt werden muss. Die Ansicht, dass 0 man heiraten sollte, wenn man dauerhaft 1980 1984 1988 1991 1992 1996 2000 2002 2006 2010 2014 2018 zusammenlebt, vertreten tatsächlich ste- 18 – 29 Jahre 30 – 44 Jahre 45 – 59 Jahre ab 60 Jahren tig weniger Menschen. Während im Jahr 1980 noch mehr als zwei Drittel (68 %) der Datenbasis: ALLBUS 1980 – 2018 erwachsenen Bevölkerung in Deutsch- land die Ehe befürworteten, waren es im Jahr 2018 noch 41 %. Es lohnt sich aber, den Zeitverlauf etwas differenzierter zu betrachten. Dabei zeigt sich, dass Men- schen unter 30 Jahren über alle Dekaden die beiden jüngeren Altersgruppen, die Mit der Familiengründung beginnt hinweg der Ehe am distanziertesten ge- eine distanziertere Haltung gegenüber der für eine Partnerschaft eine neue Phase, in genüberstanden: Zu jedem Zeitpunkt ak- Ehe aufwiesen, und die beiden höheren der nicht mehr nur das Paar im Mittel- zeptierte mehr als die Hälfte partner- Altersgruppen mit einer stärkeren Akzep- punkt steht, sondern auch für Dritte Ver- schaftliches Zusammenleben auch ohne tanz. Ab Mitte der 1990er-Jahre glichen antwortung übernommen werden muss. Ehe. Über die Zeit hinweg folgten die an- sich langsam auch die 45- bis 59-Jährigen Die Ehe bietet mit ihren gesetzlich gere- deren Altersgruppen dieser Einschät- der jüngeren Gruppe an, während die gelten Ansprüchen und Verpflichtungen zung. Die 30- bis 44-Jährigen näherten Ä ltesten sich erst in den vergangenen Jah- dafür einen Rahmen, der zusätzlich ein sich diesem Meinungsbild bis Mitte der ren stark annäherten und so in der ge- Gefühl von Sicherheit vermitteln kann. 1990er-Jahre an, sodass ab dann zwei samten Bevölkerung allmählich eine Insofern können Kinder einen wichtigen Gruppen unterschieden werden konnten: ähnliche Meinung vorherrscht. u Abb 4 Grund für eine Ehe darstellen. Es zeigt 422
Einstellungen zu Elternschaft, Familie und Lebensformen / 12.2 Werte und Einstellungen / 12 u Abb 5 Heiraten, »wenn man mit einem Partner auf Dauer zusammenlebt« nach eigener Lebenssituation mit gering- oder »wenn ein Kind da ist«, Zustimmung 2000 – 2018 — in Prozent fügigen Unterschieden. Kinder zu haben ist eine gesellschaftliche Selbstverständ- lichkeit, der gleichzeitig eine hohe Tole- 58 54 54 ranz gegenüber Kinderlosen gegenüber- 46 steht, die ebenfalls von vielen als gesell- 44 42 41 39 schaftliche Normalität empfunden werden. 31 Für die Institution der Ehe zeigt sich seit 26 den 1980er-Jahren ein deutlicher Rück- gang ihrer Bedeutung und eine Ablösung ihrer normativen Verbindung zu Eltern- schaft. Gleichzeitig haben Lebensformen 2000 2002 2010 2014 2018 neben der Ehe eine zunehmende Akzep- Man sollte heiraten, wenn Man sollte heiraten, tanz erfahren. man mit einem Partner wenn ein Kind da ist. auf Dauer zusammenlebt. Datenbasis: ALLBUS 1980 – 2018 sich aber, dass in den Augen der Bevölke- zeptiert werden. Während das Zusammen- rung Kinder sogar seltener ein Heirats- leben als Paar weitgehend als Privatangele- grund sind als das Zusammenleben eines genheit betrachtet wird, wird das Thema Paares. Seit dem Jahr 2000 hat der Anteil Elternschaft in alternativen Lebensformen derjenigen, die Kinder als einen Grund kontrovers diskutiert, da Familie auch als für eine Eheschließung ansehen, von 44 Sozialisationsort der nachkommenden Ge- auf 26 % abgenommen. In der gesamten neration Bedeutung hat. Insofern lässt sich Zeit lagen die Zustimmungswerte unter gerade an der Einstellung zur Elternschaft denen des dauerhaften Zusammenlebens in Lebensformen neben der Ehe deren als Heiratsgrund. Eine Erklärung dafür A kzeptanz besonders gut messen. Zum könnten unter anderem die rechtlichen Beispiel waren 66 % der Bevölkerung 2017 Regelungen sein, die eine Eheschließung der Meinung, dass Partner in gleich automatisch mit sich bringt, zum Beispiel geschlechtlichen Lebensgemeinschaften zum ehelichen Unterhalt oder zum Renten- ebenso gute Eltern seien wie heterosexuelle ausgleich, und die nicht vollständig auf Paare. Auch hier spielen die Jüngeren wie- nicht eheliche Lebensgemeinschaften der eine herausragende Rolle: 81 % der 15- übertragen wurden, sowie auch steuerlich bis 29-Jährigen stimmten der Aussage zu, bedingte ökonomische Vorteile. Bei nicht während dies in der mittleren Altersgruppe ehelichen Kindern wurde vieles schon (30 – 49 Jahre) 67 % und bei den über früher geregelt, zum Beispiel die Aner- 50-Jährigen 61 % taten. kennung von Erbschaftsansprüchen, so- dass hier die Vorteile einer Eheschlie- 12.2.3 Zusammenfassung ßung der Eltern nicht mehr in diesem und Ausblick Maße vorhanden sind. u Abb 5 Auch angesichts vieler Optionen der Die Ehe ist zunehmend zu einer Opti- L ebensgestaltung haben Familie und Kin- on neben anderen Lebensformen gewor- der als wichtige Elemente für das persön- den und hat an subjektiver Bedeutung liche Wohlbefinden weiterhin Bestand in eingebüßt. Das muss jedoch nicht auto- unserer Gesellschaft. Ihre Bedeutung für matisch zum Umkehrschluss führen, dass die Gesellschaft und den Einzelnen wird neue Lebensformen im gleichen Maße ak- anerkannt und geschätzt, wenn auch je 423
12 / Werte und Einstellungen 12.3 / Einstellungen zur Rollenverteilung zwischen Frau und Mann 12.3 Die Gleichberechtigung von Frau und Mann ist in Deutschland im Artikel 3 des es, Geld zu verdienen, die der Ehefrau, sich um Haushalt und Familie zu küm- Einstellungen zur Grundgesetzes seit 1958 festgeschrieben. mern« im Zeitverlauf dargestellt. Dazu Rollenverteilung Dennoch existieren bis heute Rollenvor- stellungen und damit einhergehende werden auch Vergleiche hinsichtlich so zialstruktureller Aspekte wie Geschlecht, zwischen A rbeitsteilungen, die eine Gleichstellung Bildung, Wohnort oder Altersgruppe ge- Frau und Mann beide Geschlechter erschweren. Die Über- windung von Rollenstereotypen in Politik, zogen. In einem weiteren Schritt werden aus dem Familienleitbildsurvey des Bun- Wirtschaft und Gesellschaft steht im Mit- desinstituts für Bevölkerungsforschung Sabine Diabaté telpunkt der heutigen Gleichstellungspo- von 2016 Einstellungen zur Rollenvertei- litik. Die systematische Erforschung der lung innerhalb der Familie zwischen Geschlechterverhältnisse in der Soziolo- Müttern und Vätern dargestellt. Bundesinstitut für gie ist deshalb wichtig, um die gesell- Bevölkerungsforschung (BiB) schaftliche Entwicklung hinsichtlich der 12.3.1 Geschlechtliche Aufgaben Gleichstellung besser bewerten zu kön- teilung im Zeitverlauf nen. Zentrale Indikatoren zur Einstellung Mit der Zustimmung zur Aussage »Die bezüglich Gleichstellung und Rollenver- Aufgabe des Ehemannes ist es, Geld zu teilung von Frau und Mann werden in der verdienen, die der Ehefrau, sich um Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Haushalt und Familie zu kümmern« wird Sozialwissenschaften (ALLBUS) immer die geschlechtliche Arbeitsteilung gemes- wieder erhoben. Die langen Zeitreihen er- sen, also wie die Familien- und Erwerbs- lauben einen Vergleich zwischen den Be- arbeit zwischen Frau und Mann aus Sicht fragungswellen und ermöglichen es, die der Befragten verteilt werden soll. An- Entwicklung der Gleichstellung zwischen hand der Zustimmung zu dieser Aussage Frau und Mann in Deutschland einzu- lässt sich über die vergangenen Jahrzehn- schätzen. u Info 1 te nachzeichnen, wie sich in Deutschland Im Folgenden wird näher untersucht, schrittweise auf Gleichstellung zielende wie sich die Rollenvorstellungen zu Frau- Denkweisen ausgebreitet haben. Im Fol- en und Männern innerhalb der Familie genden werden die Zustimmung und Ab- seit den 1990er-Jahren verändert haben. lehnung hinsichtlich eines klassischen, Die Darstellung dieser Einstellungen ist tradierten Rollenverständnisses darge- deshalb wichtig, weil sie das gesellschaft- stellt. Egalitäre Einstellung bedeutet, dass liche Klima und die Geschlechterkultur nicht nach den Geschlechtern differen- Deutschlands repräsentieren. In einem ziert wird, sondern eine gleichberechtigte ersten Schritt wird die Zustimmung zur Aufgabenteilung angestrebt wird. Ein tra- Aussage »Die Aufgabe des Ehemannes ist ditionelles Rollenverständnis hingegen u Info 1 Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) Die Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) ist eine repräsentative Quer- schnittserhebung, die vom Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften (GESIS) in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt wird. Die erste Umfrage fand 1980 statt und wird seitdem in einem Abstand von zwei Jahren wiederholt. Befragt werden pro Welle um die 2 400 in Deutschland lebende wahl berechtigte Personen. Neben einem festen Fragenkatalog, der unter anderem demografische Angaben zu den Befragten und ihren Haushaltsmitgliedern erfasst, gibt es mit jeder Erhebungswelle bestimmte Themenschwerpunkte, beispielsweise die politische Einstellung, Partnerschaft und Familie oder die E ins tellung zu sozialer Ungleichheit. Zusammen mit dieser Umfrage werden oftmals auch Daten für das International Social Survey Programme (ISSP) erhoben. Das in diesem Kapitel verwendete Item »Die Aufgabe des Ehemannes ist es, Geld zu verdienen, die der Ehefrau, sich um Haushalt und Familie zu kümmern« ist Bestandteil dieser ISSP-Daten. Weitere Informationen zu den ALLBUS-Daten unter: www.gesis.org/allbus/allbus 424
Sie können auch lesen