2020 Ein hartes Jahr - monat Die Zeitschrift - Österreichischer Behindertenrat

Die Seite wird erstellt Hortensia-Pia Scheffler
 
WEITER LESEN
2020 Ein hartes Jahr - monat Die Zeitschrift - Österreichischer Behindertenrat
Die Zeitschrift
monat
  Ausgabe 4/2020

2020 - Ein hartes Jahr

      behindertenrat • www.behindertenrat.at • Aboservice Tel.: (01) 513 1 533 • Abo: 24,00 Euro/Ausland + Porto
2020 Ein hartes Jahr - monat Die Zeitschrift - Österreichischer Behindertenrat
Anzeige
2020 Ein hartes Jahr - monat Die Zeitschrift - Österreichischer Behindertenrat
editorial
                                                     Foto: Privat

            Liebe Leser*innen!

            D
                er zweite Lockdown liegt nun schon hinter uns, doch anders als
                im Frühsommer stehen nicht sorglosere Monate mit immer mehr
                Lockerungen vor uns. Wir alle müssen uns darauf einstellen, das
            noch einige Zeit wenig Sozialkontakte, Abstandhalten, Händewaschen
            und Mund-Nasenschutz-Tragen unser Leben bestimmen wird.

            Daher hat auch die COVID-19 Pandemie wieder seinen inhaltlichen Platz
            in unserer Zeitschrift „monat“. Wie es Menschen mit Behinderungen in
            der COVID-19 Pandemie ergeht, lesen Sie auf den Seiten 16-17, Fokus
            auf psychische Belastungen wird auf den Seiten 14-15 gelegt.

            Gemeinsam können wir am besten für die Rechte von Menschen mit
            Behinderungen kämpfen. Es freut mich daher besonders, drei wichtige
            Organisationen zum Thema Behinderung als neue Partner begrüßen
            zu dürfen.
            • Ninlil Empowerment & Beratung für Frauen mit Behinderung (S. 7)
            • BIZEPS Zentrum für Selbstbestimmtes Leben (S. 8)
            • WAG Assistenzgenossenschaft gemeinnützige e.Gen (S. 9)
            Behindertenpolitik ist dann erfolgreich, wenn es ein breites Bündnis
            gibt. Ich freue mich auf die nun noch intensivere Zusammenarbeit.

            Ich bin sehr zuversichtlich, dass 2021 ein besseres Jahr für uns alle
            wird und das jene Menschen mit Behinderungen, die zur COVID-19
            Risikogruppe gehören, frühzeitig die Möglichkeit bekommen, durch
            eine Impfung geschützt zu werden (wenn sie das möchten).

                                                                      Herzliche Grüße
                                                                       Herbert Pichler

                                                                    www.behindertenrat.at   3
2020 Ein hartes Jahr - monat Die Zeitschrift - Österreichischer Behindertenrat
Anzeigen                                                                                  Ausgabe 4/2020

             HARNWEGSINFEKTIONEN: EINE HÄUFIGE
             UND LÄSTIGE BEGLEITERSCHEINUNG
              Preiselbeeren gegen wiederkehrende Infektionen

                                                                    Neu:
                                                                    Preisel-Caps D-Mannose
                                                                    Aktivstoffe aus der Preisel/
                                                                    Cranberry mit D-Mannose
                                                                    wirken synergistisch sowohl
                                                                    im Akutfall, als auch in Fäl-
                                                                    len, wo der Cranberry-Ext-
                                                                    rakt allein keine ausreichen-
                                                                    de Schutzwirkung in der
                                                                    langfristigen Anwendung

    S
        eit etwa 25 Jahren           Neben den bewährten PREI-      erreichte.
        werden PREISELSAN            SELSAN Tabletten gibt es die
        Lutschtabletten von vie-     geschmacksneutralen Prei-      Wichtig ist die regelmäßige
    len Querschnittgelähmten         sel-Caps, eine Kombination     Einnahme von 2-3 Tages-
    erfolgreich gegen HWI ein-       eines besonders angerei-       dosen über den gesamten
    gesetzt. In der Zwischenzeit     cherten Cranberry-Extrak-      Zeitraum des HWI-Risikos
    wurden von Caesaro Med           tes mit dem bewährten          – auch jahrelanger Einsatz
    bewährte Formen weiterent-       Acerola-Vitamin C und          führt zu keinen Resistenzen
    wickelt und neue eingeführt      Magnesium.                     oder anderen nachteiligen
    um den Bedürfnissen der                                         Effekten.
    Betroffenen noch besser zu       Preisel-Caps Döderlein
    entsprechen:                     ist eine Kombination des be-   Die beschriebenen Prei-
                                     währten Cranberry-Extraktes    selbeerpräparate sind in
    Wer ein herbes, durst-           mit Bakterien zur Unterstüt-   Apotheken oder per direkter
    löschendes Getränk               zung einer gesunden Darm-      Zusendung erhältlich.
    bevorzugt, dem sei der           und Vaginalflora: Wenn man     Gratis Kostproben,
    Preiselbeersaft Caesaro          mal um das Antibiotikum        Informationen oder
    Med empfohlen: Dies ist ein      nicht herumkommt und           Beratung: 0732 677164
    reiner 100% Fruchtsaft ohne      sowohl der Wiederkehr          E-Mail info@caesaro-med.at
    Zucker, der für die Einnah-      des Infektes als auch der      www.caesaro-med.at
    me mit Wasser gemischt           Zerstörung der Darmflora
    wird. Erhältlich als 100% Saft   entgegenwirken möchte.
    (in der 1/2 l Glas lasche)       Besonders bewährt bei
    oder als 6-fach Saft-Konzent-    Frauen, deren Vaginalflora
    rat (0,25 l).                    bei Dysbiosen üblicherweise
                                     von Candida-Pilzen heimge-
                                                                                                           Anzeige

                                     sucht wird.

4        www.behindertenrat.at
2020 Ein hartes Jahr - monat Die Zeitschrift - Österreichischer Behindertenrat
Aus dem Inhalt                                                                                                   Ausgabe 4/2020

Editorial			                          3

DAS BAND: Wohnprojekt TBW24          10

Wie gelingt (politische) Teilhabe? 12

Der Stress unserer Zeit              14

2020: Ein hartes Jahr		              16

Auf dem Weg zur Pflegereform         18

LEGO für alle!                       22

Inspiration für mehr Inklusion:
UNIKATE			                           24

Frauen mit Behinderungen
am Land                              26

Buchrezensionen                      32

                                                                       Foto: Pixabay                                  Foto: Pixabay

                                          D                                            E
     Gefördert aus den Mitteln des              ie psychischen Auswirkungen                 in hartes Jahr liegt hinter
     Sozialministeriums                         der COVID-19 Pandemie werden                Menschen mit Behinderungen.
                                                immer augenscheinlicher.                    Umso wichtiger ist der Einsatz
                                          Wie ist die Situation und was kann           für Selbstbestimmung und Partizi-
                                          man tun?                                     pation.

                                                             Seiten 14 bis 15                               Seite 16 bis 17

IMPRESSUM: Medieninhaber: Österreichischer Behindertenrat · Herausgeber: Herbert Pichler · Redaktion:
Gabriele Sprengseis (gs) - Heidemarie Egger (he) · Adresse: 1100 Wien, Favoritenstraße 111/11, Tel.: 01 513
1533, Mail: presse@behindertenrat.at · Website: www.behindertenrat.at · Offenlegung nach dem Mediengesetz:
www.behindertenrat.at/impressum · Gestaltung, Anzeigenverkauf, Layout und Druck: Die Medienmacher GmbH · 8151
Hitzendorf · Filiale: 4800 Attnang-Puchhheim, 07674 62 900, www.diemedienmacher.co.at · Cover: Peter Lechner/HBF ·
Nachdruck nur nach ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung der Redaktion gestattet. · Nicht alle Artikel entsprechen
unbedingt der Meinung der Redaktion. Wir haben das Ziel, eine möglichst breite Diskussionsbasis für behindertenpolitische
Themen und Standpunkte zu schaffen und die Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderungen zu erhöhen. · Bankverbindung:
easybank, IBAN: AT85 1420 0200 1093 0600, BIC: EASYATW1 DVR 08 67594 · ZVR-Zahl: 413797266 · Erscheinungsort Wien.

                                                                                              www.behindertenrat.at             5
2020 Ein hartes Jahr - monat Die Zeitschrift - Österreichischer Behindertenrat
Ausgabe 4/2020

                DAS FEHLT               Hofrat Harald Gruber
                 Von                    Neuer Leiter des Sozialministeriumservice
                 Gabriele Sprengseis                                                        sozialministeriumservice.at

I      n unserer Nachbarschaft hat

                                        A
       sich ein Familienvater er-              m 30.9.2020 übernahm Harald
    hängt, in meiner Familie gab               Gruber die Amtsleitung des
    es vor kurzem einen Suizidver-             Sozialministeriumservice. Die
    such. Die Corona-Pandemie ist       Amtsleitung koordiniert und sichert
    längst auch eine psychosoziale      ein einheitliches Vorgehen der Lan-
    Pandemie. Doch darüber wird in      desstellen. Durch geeignete organisa-
    der Öffentlichkeit kaum gespro-     torische und personelle Maßnahmen
    chen. Dabei haben Aggression        unterstützt die Amtsleitung die Lan-
    und Gewalt, Angststörungen          desstellen, damit die Aufgaben des
    und Depressionen, Alkohol- und      Sozialministeriumservice optimal er-
    Nikotinkonsum und das Gefühl        füllt werden können. Die Amtsleitung
    von Überforderung stark zuge-       ist auch zuständig für die Qualitätssi-
    nommen. Dies und die massiven       cherung und die Öffentlichkeitsarbeit
    Einschränkungen der persönli-       des Sozialministeriumservice.
    chen Freiheit hinterlassen tiefe                                                                            Foto: privat

    Spuren. Bei etwa einem Viertel      Harald Gruber ist seit 1982 in der
    der Bevölkerung hat sich die        nachgeordneten Dienststelle des           Soziales und Behindertenwesen
    psychische Gesundheit stark         Sozialministeriums tätig und war ab       (Sozialministeriumservice) ist es mir
    verschlechtert.                     1987 mit unterschiedlichen Leitungs-      wichtig, durch Schaffung geeigneter
    Ein weiteres Viertel der Men-       funktionen betraut. In seiner Funkti-     Rahmenbedingungen wie z.B. die
    schen in Österreich muss mit        on als Supportleiter und Stellvertre-     erforderliche technische Ausstattung
    weniger Geld auskommen und          ter des Amtsleiters hat er bereits seit   und die entsprechenden Organisati-
    ist wirtschaftlich belastet bis     Jahren wesentliche Entscheidungen         onsabläufe, die operative Aufgaben-
    bedroht. Rund ein Sechstel der      für das Sozialministeriumservice (mit)    wahrnehmung der Landesstellen zu
    Menschen in Österreich leidet       getroffen. Die nunmehrige Bestellung      unterstützen und damit die best-
    Corona-Pandemie-bedingt unter       zum Leiter ist ein Zeichen für Konti-     mögliche Leistungserbringung für
    körperlichen Belastungen.           nuität und eine Bestätigung für den       unsere Kunden und Kundinnen zu
    Diese Belastungen werden von        bisherigen Kurs der Organisation.         ermöglichen." 
    der öffentlichen Krisenkommuni-     "Ich freue mich, dass ich gemeinsam
    kation noch verstärkt. Eine gute    mit den Mitarbeiterinnen und Mitar-
    Krisenkommunikation muss die        beitern sowie allen Partnerinnen und       Infobox
    Resilienz bzw. die Widerstands-     Partnern des Sozialministeriumservice
    fähigkeit der Menschen stärken.     den bisherigen erfolgreichen Weg der       Sozialministeriumservice -
    Mittel dazu sind, die Dinge, die    Behörde weiter fortsetzen kann," so        Zentrale
    gelingen, in den Fokus zu stellen   Harald Gruber zu seiner neuen Rolle.       Babenbergerstraße 5
    und die Menschen zu selbstver-                                                 1010 Wien
    antwortlichem Handeln im Sinne      Des Weiteren beschreibt Harald             www.sozialministeriumservice.at
                                                                                   Tel: 01/588 31
    der Pandemie-Begrenzung zu          Gruber das Verständnis seiner Rolle:
    befähigen. Wünschenswert ist        „Als Leiter des Bundesamtes für
    auch ein Blick auf das Schöne in
    dieser Welt. 
    Gelassene Feiertage wünscht
    Gabriele Sprengseis

6          www.behindertenrat.at
2020 Ein hartes Jahr - monat Die Zeitschrift - Österreichischer Behindertenrat
Neue Partnerorganisation                                                                                                          Ausgabe 4/2020

Ninlil – Empowerment und Beratung
für Frauen*1 mit Behinderung* 			                                                                 Von Isabell Naronnig / Elisabeth Udl

D
      er Verein Ninlil wurde 1996                erleben nämlich, dass ihnen oft                   die Gewalt vor kurzem passiert ist
      gegründet und besteht seit                 nicht gut oder gar nicht zugehört                 oder ob die Erfahrung schon lange
      mittlerweile fast 25 Jahren.               wird. Oder dass das, was sie sagen,               her ist. Die Frauen*, die in die
Eine gute Zusammenarbeit mit dem                 nicht ernst genommen wird. Die                    Beratung kommen, können über
Österreichischen Behindertenrat                  Beratungsgespräche verlaufen nicht                ihre Erfahrungen mit Gewalt und
gibt es bereits seit mehreren Jahren             immer gleich. Das hängt davon                     über ihre Probleme im Alltag reden.
durch die gemeinsame Arbeit im                   ab, was die Frauen* an dem Tag                    Außerdem gibt es bei Kraftwerk
Kompetenzteam Frauen mit Behin-                  brauchen, wie es ihnen geht und                   verschiedene Gruppen-Angebote:
derungen. Das ist einer der Gründe,              worüber sie sprechen wollen. Viele                Es gibt eine Empowerment-Gruppe
wieso wir uns heuer dazu entschlos-              der Frauen*, die zu uns kommen,                   für Frauen*, die sich regelmäßig
sen haben, offiziell Partnerorganisa-            sind auf Unterstützung in ihrem                   austauschen wollen. Es gibt auch
tion zu werden.                                  Alltag angewiesen. Fast immer ist                 eine therapeutische Gruppe für Frau-
                                                 diese Unterstützung viel zu wenig                 en*, die Gewalt erlebt haben. Und
Ninlil besteht seit 2012 aus zwei Ar-            und reicht für ein selbstbestimmtes               es gibt an den Wochenenden Empo-
beitsbereichen: Zeitlupe – Peer-Be-              Leben nicht aus – sowohl im Modell                werment-Seminare. Die Empower-
ratung für Frauen* mit Behinderung               der Persönlichen Assistenz als auch               ment-Seminare sind für Frauen* mit
und Kraftwerk gegen sexuelle Gewalt              innerhalb betreuter Strukturen. Der               Lernschwierigkeiten*, die gemeinsam
an Frauen* mit Lernschwierigkeiten*.             wichtigste Grundsatz in der Beratung              spüren und lernen wollen, wie sie im
                                                 und Begleitung durch Zeitlupe ist,                Alltag stärker werden können.
Zeitlupe: Peer Beratung                          dass die Kundinnen* Expertinnen*                  Wichtig ist uns bei allen Angeboten
Die Zeitlupe, das sind zwei Peer-                für ihr eigenes Leben sind! Darüber               von Kraftwerk: Die Bedürfnisse der
Beraterinnen*, die Frauen* mit                   sprechen wir auch in Vorträgen,                   Frauen* selbst stehen im Mittel-
Behinderung* zu vielen verschie-                 auf Tagungen oder im Austausch                    punkt.
denen Themen beraten. Beide                      mit anderen Beratungsstellen und
Beraterinnen* haben selber eine                  Vernetzungspartner*innen.                         Unsere Arbeit wird von verschie-
Behinderung*. Frauen*, die zu uns                                                                  denen Fördergeberinnen finanziert
in die Beratung kommen (wir nen-                 Kraftwerk: Gegen Gewalt                           (FSW, Frauenservice der Stadt Wien,
nen sie Kundinnen*), sprechen mit                Kraftwerk ist der zweite Arbeits-                 Frauenministerin). Deshalb können
uns über Persönliche Assistenz, ihre             bereich von Ninlil. Anders als bei                alle Angebote von Zeitlupe und Kraft-
Wohnsituation, ihre Partnerschaften              Zeitlupe steht bei Kraftwerk ein                  werk kostenlos genutzt werden. 
(oder den Wunsch danach), Sexu-                  bestimmtes Thema im Mittelpunkt:
alität, Mutterschaft / Elternschaft,             Wir arbeiten auf verschiedene Arten
Behörden, Betreuer*innen, Eltern,                gegen sexuelle Gewalt an Frauen*                    Infobox
Wünsche, Erlebnisse und noch vieles              mit Lernschwierigkeiten*2. Bei                      www.ninlil.at / office@ninlil.at
mehr. Den Frauen* ist es wichtig,                Kraftwerk gibt es zum Beispiel Ein-                 Kraftwerk: +43 1 714 39 39
dass wir ihnen gut zuhören – und                 zelberatung für Frauen*, die Gewalt                 Zeitlupe: +43 1 236 17 79
das machen wir! Fast alle von ihnen              erlebt haben. Dabei ist es egal, ob
1
  Mit dem Sternchen weisen wir darauf hin, dass die üblichen Zuschreibungen und Kategorisierungen des damit gekennzeichneten Begriffs in Frage
gestellt, erweitert und neu überdacht werden sollten.
2
  In Anlehnung an die Begriffswahl der People-First-Bewegung verwenden wir den Begriff Lernschwierigkeiten* als Empowerment-Begriff gegenüber
dem Begriff der sogenannten geistigen Behinderung*.

                                                                                                            www.behindertenrat.at                7
2020 Ein hartes Jahr - monat Die Zeitschrift - Österreichischer Behindertenrat
Neue Partnerorganisationen

BIZEPS - Zentrum für
                                                                    		                                       Foto: BIZEPS

Selbstbestimmtes Leben
Werden kritische Haltung und Wissen einbringen                                                Von Martin Ladstätter

B
      IZEPS - Zentrum für Selbstbestimmtes Leben wurde      dem European Network on Independent Living, dem
      vor ungefähr 30 Jahren von engagierten Menschen       Klagsverband, der Österreichischen Liga für Menschen-
      aus der Behindertenbewegung gegründet und             rechte sowie Selbstbestimmt Leben Österreich.
betreibt seit 1992 eine Beratungsstelle für Menschen
mit Behinderungen und deren Angehörige. BIZEPS war          BIZEPS hat schon jahrzehntelang mit dem Österreichi-
das erste Zentrum für Selbstbestimmtes Leben in Öster-      schen Behindertenrat zusammengearbeitet. Dabei zeigte
reich. Menschen mit Behinderungen werden beraten und        sich, dass sich der Österreichische Behindertenrat vor
unterstützt auf ihrem individuellen Weg in ein selbstbe-    allem während der letzten Jahre immer stärker für die
stimmtes Leben.                                             Themen Selbstbestimmtes Leben, Inklusion, Persönliche
                                                            Assistenz und Diskriminierungsschutz eingesetzt hat.
Die qualifizierten Beraterinnen und Berater arbeiten        Gerade diese Zeit hat gezeigt, wie wichtig eine gute und
nach der Methode des Peer Counseling, das heißt Be-         fruchtbare Zusammenarbeit ist. BIZEPS ist hoch erfreut,
troffene beraten Betroffene. Dabei werden die eigenen       die Zusammenarbeit mit dem Behindertenrat durch diese
Erfahrungen an andere Menschen mit Behinderungen in         Partnerschaft noch verfestigen zu können.
einer ähnlichen Situation weitergegeben. Ein wichtiges
Ziel der Organisation ist es, Rahmenbedingungen zu schaf-   Die Stimme der Selbstbestimmt Leben Bewegung soll
fen, damit Menschen mit Behinderungen ein selbstbe-         durch die Partnerschaft mit dem Behindertenrat weiter
stimmtes Leben mit Persönlicher Assistenz führen können.    gestärkt werden. Als Organisation behält BIZEPS weiter-
Dabei unterstützt BIZEPS Menschen mit Behinderungen         hin eine kritische Haltung bei und bringt sein Wissen aus
bei der Organisation von Persönlicher Assistenz. Gleich-    jahrzehntelanger Arbeit in den Behindertenrat mit ein.
zeitig beteiligt sich BIZEPS aktiv am politischen Leben,    Erfolgreiches Eintreten für die Rechte von Menschen mit
um sich für eine umfassende Gesetzgebung zur Gleich-        Behinderungen geht nur gemeinsam. 
stellung von Menschen mit Behinderungen einzusetzen,
auf deren Bedürfnisse und Rechte hinzuweisen und
gegen Benachteiligung und Diskriminierung aufzutreten.
Wir betreiben seit 25 Jahren den größten Nachrichten-
dienst für die Behindertenbewegung in Österreich auf
www.bizeps.or.at.                                            Infobox
                                                             BIZEPS - Zentrum für Selbstbestimmtes Leben
Zusammenarbeit von zentraler Bedeutung                       Schönngasse 15-17/4, 1020 Wien
Vernetzung ist ein wichtiger Teil der Arbeit von BIZEPS.     office@bizeps.or.at / www.bizeps.or.at
BIZEPS ist Teil von vielen weiteren Organisationen wie

8        www.behindertenrat.at
2020 Ein hartes Jahr - monat Die Zeitschrift - Österreichischer Behindertenrat
Ausgabe 4/2020

WAG Assistenzgenossenschaft
Gemeinsam für ein selbstbestimmtes Leben 		                                                                   Von Michaela Mallinger

D
     ie WAG Assistenzgenossenschaft                                                               Schachinger. In den Geschäftsstellen
     ist seit November Partner-                                                                   Wien und Niederösterreich arbeiten
     organisation des Österreichi-                                                                knapp 40 Mitarbeiter*innen und rund
schen Behindertenrat. „Für uns war                                                                550 Persönliche Assistent*innen für
das ein logischer Schritt.“, erklärt                                                              ca. 350 Kund*innen.
Roswitha Schachinger, geschäftsführ-
ende Vorständin der WAG Assistenz-                                                                Dienstleistung der WAG
genossenschaft. „Herbert Pichlers                                                                 Das Erfolgsgeheimnis der WAG ist
großes Ziel ist es, die Rechte von                                                                die Peerberatung. Menschen in
Menschen mit Behinderungen und                                                                    gleichen Lebenssituationen beraten
somit die Idee eines selbstbestimm-                                                               Gleichgesinnte. Die WAG unterstützt
ten Lebens in der politischen Arbeit                                                              Kund*innen je nach Bedarf z.B. bei
des Behindertenrat umzusetzen. So                                                                 der Antragstellung oder bei der As-
bekommt dieser Ansatz endlich eine                                                                sistent*innensuche. Die Persönlichen
größere Öffentlichkeit. Das möchten                                                               Assistent*innen der Kund*innen sind
wir unterstützen.“                                                                                bei der WAG Assistenzgenossenschaft
                                             Foto: WAG Assistenzgenossenschaft/Martin Datzinger   angestellt. Diese übernimmt somit
Selbstbestimmt Leben                                                                              auch die Gehaltsverrechnung.
Persönliche Assistenz (PA) erlaubt Menschen mit Be-
hinderungen ein selbstbestimmtes Leben. Persönliche                  Gebündelte Kräfte
Assistent*innen leisten individuelle Unterstützung                   Die aktuelle Corona-Situation zeigt, dass das Leben mit
wann, wo und wie sie benötigt wird. „Schlafen gehen -                Persönlicher Assistenz in Zeiten einer Pandemie mehr
wann ich will“, „auf die Toilette gehen - wann ich muss.“            Sicherheit bietet als das Leben in Einrichtungen. „Deshalb
oder „Die Freizeit gestalten – wie ich mag.“ eine Familie            fordern wir auch jetzt, eine bundesweit einheitliche Re-
gründen, einer Arbeit nachgehen oder studieren. Eigene               gelung für bedarfsgerechte Persönliche Assistenz“, meint
Wünsche leben und Ziele erreichen wird so möglich.                   die Vorständin. „Es ist wichtig, dass behinderte Menschen
                                                                     selbst entscheiden können, wie sie leben. Hier ist der
Ursprungsidee aktueller denn je                                      Behindertenrat ein wichtiger Partner, der diese Forder-
Die WAG Assistenzgenossenschaft war der erste Anbieter               ung voll mitträgt. Kräfte zu bündeln und gemeinsam mit
von Persönlicher Assistenz im Osten Österreichs. Sie wurde           dem Österreichischen Behindertenrat dieses Anliegen in
2002 als gemeinnützige Genossenschaft von und für                    die Politik zu tragen, wird eine wichtige Aufgabe dieser
Menschen mit Behinderungen gegründet.                                Kooperation sein“, ist Roswitha Schachinger überzeugt.
Die Hauptaufgabe besteht darin, behinderte Menschen
dabei zu unterstützen, ihre Persönliche Assistenz zu orga-           Das politische Ziel der WAG als Interessenvertretung ist
nisieren und somit ein selbstbestimmtes Leben führen zu              es, bedarfsgerechte, bundesweit einheitliche Persönliche
können. Die WAG arbeitet nach den selbstbestimmt-                    Assistenz mit Rechtsanspruch zu erreichen – unabhängig
Leben-Prinzipien. In der Beratung, im Vorstand und in                von Art der Behinderung, Alter, Einkommen oder Vermö-
der Genossenschaft sind ausschließlich Menschen mit                  gen sowie die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskon-
Behinderungen tätig. 2004 brachte die WAG Assistenz-                 vention in Österreich. 
genossenschaft wesentliche Erfahrungen in die Gestal-
tung der Richtlinie „zur Förderung der Persönlichen                     Infobox
Assistenz am Arbeitsplatz“ (PAA) ein. Diese regelt seither              WAG Assistenzgenossenschaft gemeinnützige e.Gen
PAA für das Berufsleben, die Arbeitssuche sowie im Stu-                 www.wag.or.at
dium in ganz Österreich. Derzeit besteht der Vorstand aus               Tel: +43 1 798 53 55 – 101 / office@wag.or.at
Mag. Christoph Dirnbacher, Jasna Puskaric und Roswitha

                                                                                                         www.behindertenrat.at         9
2020 Ein hartes Jahr - monat Die Zeitschrift - Österreichischer Behindertenrat
Wohnen

Neues inklusives Wohnprojekt
TBW24 von DAS BAND								                                                                                   Von Esther Scheer

Gemeinschaftsraum am Betreuungsstützpunkt   Alle Fotos: DAS BAND   Spatenstich Fontanastr.: Erkinger, Schmid, Leibetseder, Gehbauer

S
      elbstbestimmtes Wohnen ist       zu ermöglichen. Das neue Projekt                  Genossenschaftswohnung angemie-
      auch im Jahr 2020 für tau-       Teilbetreutes Wohnen 24 (TBW24)                   tet. Im Zentrum des Wohnkomplexes
      sende Menschen in Österreich     ist ein Baustein auf dem Weg hin zur              steht ein rund um die Uhr betreuter
keine Selbstverständlichkeit. Für      Erfüllung der UN-Behindertenrechts-               Stützpunkt von DAS BAND, der diesen
Menschen mit Behinderungen oder        konvention für Personen, die nicht                12 Bewohner*innen je nach individu-
psychischen Erkrankungen gibt es       allein wohnen können, aber nicht                  ellem Betreuungsbedarf zur Verfü-
oft nur fremdbestimmtes Wohnen -       in einer Wohngemeinschaft wohnen                  gung steht.
aus dem einfachen Grund, weil die      wollen“, meint der Geschäftsführer
Voraussetzungen und das Verständ-      von 'DAS BAND – gemeinsam vielfäl-                TBW24 Stützpunkt
nis für ihre Bedürfnisse fehlen. DAS   tig' Dr. Tom Schmid.                              Zentrales Herzstück und sozialer
BAND schafft gemeinsam mit der                                                           Mittelpunkt ist der Stützpunkt (Cen-
Wohnbauvereinigung für Angestellte     Zielgruppenorientiertes                           ter). Dort befindet sich nicht nur der
mit einem innovativen Wohnprojekt      Herzensprojekt                                    Arbeitsplatz der Betreuer*innen,
eine Alternative.                      In Wien leben derzeit etwa 2.000                  sondern auch ein geräumiger Kom-
                                       Menschen in betreuten WGs und                     munikations- und Essbereich sowie
In Artikel 19 der UN-Behinderten-      weitere rund 2.000 in teilbetreuter               ein gemütlicher Multifunktions-
rechtskonvention von 2008 „Selbst-     Form in eigenen Wohnungen. Für                    raum. Um kurzfristig auftretende
bestimmt Leben und Inklusion in        viele Menschen mit Behinderungen                  Krisen abfangen zu können, wurde
die Gemeinschaft“ heißt es, dass       und psychischen Erkrankungen ist                  ein betreutes Krisenzimmer einge-
Menschen mit Behinderungen das         eine Wohngemeinschaft nicht der                   richtet. Ein buntes Freizeitprogramm
gleiche Recht auf die gleichen Wahl-   Wohnort ihrer Wahl. Sie brauchen                  ergänzt das Betreuungsangebot und
möglichkeiten des Lebens haben         aber mehr Unterstützung als im                    schafft größtmögliche Normalität.
müssen wie alle anderen Menschen.      üblichen teilbetreuten Wohnen, das                „Es gibt von unserer Seite eine
Sie dürfen nicht verpflichtet wer-     die Betreuung nur werktags von                    Vielzahl an Programmangeboten,
den, in besonderen Wohnformen          8.00 bis 18.00 zur Verfügung stellen              die gerne in Anspruch genommen
zu leben. „Das Ziel unseres Vereins    kann. Genau für diese Zielgruppe ist              werden. Viele entstehen auch durch
ist es seit Jahrzehnten, unseren       TBW24 gedacht. 12 Bewohner*innen                  die Bewohner*innen selbst“, so der
Nutzer*innen eine gleichgestellte      haben in einem neuen Wohnprojekt                  Projektleiter Christoph Wilhelmer.
Teilhabe in allen Lebensbereichen      in Wien Oberlaa ihre eigene kleine                „Sie leben selbstbestimmt, aber

10       www.behindertenrat.at
Ausgabe 4/2020

auch als Gemeinschaft. Oft wird ge-       psychisch kranken Personen Wohn-        So sind Betreuungseinrichtungen
meinsam gekocht. Da kann es schon         freiheit mit einem fußnahen Stütz-      wie DAS BAND in der Lage, auch in
mal vorkommen, dass 12 Bewoh-             punkt, der rund um die Uhr besetzt      dieser Krise neue innovative Projek-
ner*innen entscheiden, was heute          ist. Es ist immer jemand da, wenn       te wie dieses durchzuführen.
auf den Tisch kommen soll.“               Hilfe gebraucht wird und die Freiheit
                                          der eigenen vier Wände gegeben,         Senkung des
Der lange Weg                             wenn keine Hilfe benötigt wird.“ Die    Betreuungsbedarfs
Es war ein langer, teils beschwerli-      traumhafte Lage von TBW24 im neu-       Das erklärte Hauptziel von DAS
cher Weg von der engagierten Idee         en Stadtentwicklungsgebiet Oberlaa      BAND war von Anfang an die Selbst-
bis zur ersten Schlüsselübergabe.         verspricht eine Vielzahl an Freizeit-   ständigkeit der Nutzer*innen in die
Doch im Sommer 2020 war es                möglichkeiten. Dies wird jedoch erst    Tat umzusetzen. Im Fokus steht die
soweit. Die ersten Bewohner*innen         nach Ende der Coronakrise voll zur      Ermöglichung von gleichgestelltem
konnten ihre eigenen Wohnungen            Geltung kommen, aber bereits unter      Wohnen und zeitgleich die langfris-
beziehen. Dem vorangegangen               Bedingungen des beschränkten Aus-       tige Senkung des Betreuungsbe-
sind Jahre des intensiven Planens,        ganges genießen die Bewohner*in-        darfs. In diesem Projekt bleiben die
Grübelns, Kalkulierens und Verhan-        nen und ihre Betreuer*innen die         Bewohner*innen auch dann Mie-
delns bis zum Rande des Verzwei-          Lage am grünen Stadtrand Wiens.         ter*innen in der eigenen Wohnung,
felns. Aber Aufgeben kam für die                                                  wenn sie keinen Betreuungsbedarf
Verantwortlichen nie in Frage. Von        COVID-19 Situation                      mehr haben. Sie sind dort zu Hause,
Beginn an wurde das Projekt vom           Natürlich hat COVID-19 auch TBW24       wo sie betreut werden, solange sie
Fonds Soziales Wien, der Wohnbau-         seinen Stempel aufgedrückt. Gemein-     dies benötigen.
vereinigung für Privatangestellten        sames ist nur unter Wahrung nötiger
und den beiden anderen beteiligten        Hygienemaßnahmen möglich. Aber          Mit der WBV-GPA als gemeinnüt-
Genossenschaften (Gesiba, GWG)            die notwendige – und in der Corona-     zigem Bauträger, der mit maßge-
unterstützt. Schmid betont: „TBW24        krise umso stärker nachgefragte –       schneiderten Bauprojekten dazu
ist ein persönliches Herzensprojekt.      Betreuung ist ungebrochen rund          beitragen konnte, jene baulichen
Unser Ziel ist es, gerade für psy-        um die Uhr aufrecht. Die enormen        Voraussetzungen zu schaffen, damit
chisch kranke Menschen das teil-          Herausforderungen, vor denen DAS        selbstbestimmtes Wohnen funk-
betreute Angebot langfristig weiter       BAND während der Pandemie-Zeit          tionieren kann, wurde ein idealer
auszubauen. Man darf die Gefahren         steht, sind beachtlich. Das Aufrecht-   Kooperationspartner gefunden. So
der Überversorgung nicht unter-           erhalten von Betreuungs-                auch mit den beiden anderen Genos-
schätzen. Rund um die Uhr betreut,        angeboten mit zeitgleicher Einhal-      senschaften (Gesiba, GWG). Geför-
lassen Menschen sich teilweise in         tung aller Schutzmaßnahmen ist ein      dert wird TBW24 vom Fonds Soziales
Abhängigkeit fallen, obwohl dies gar      ständiger Kraftakt, dessen Bewäl-       Wien (FSW). 
nicht nötig ist. Unser neues Projekt      tigung den Ehrgeiz aller Mitarbei-
in der Fontanastraße bietet 12            ter*innen fordert.
                                                                                   Infobox
                                                                                   DAS BAND ist eine Einrichtung
                                                                                   für Menschen mit Behinde-
                                                                                   rungen und/oder psychischen
                                                                                   Erkrankungen in Wien. Gefördert
                                                                                   vom FSW betreut DAS BAND der-
                                                                                   zeit rund 317 Personen. Das An-
                                                                                   gebot umfasst Werkstätten und
                                                                                   Tagesstrukturen, Vollbetreutes
                                                                                   und Teilbetreutes Wohnen, sowie
                                                                                   das Arbeitsintegrationsprojekt
                                                                                   HAUS AKTIV.
S. Heinen (FSW), T. Schmid (DAS BAND), H. Motsch (FSW), C. Wilhelmer (DAS          www.band.at
BAND), D. Steiner (DAS BAND), M. Gehbauer (WBV-GPA)

                                                                                         www.behindertenrat.at       11
Monitoringausschuss

Wie gelingt (politische) Teilhabe?
Öffentliche Sitzung des Unabhängigen Monitorungausschuss
                                                                    Von Hannah Wahl / Unabhängiger Monitoringausschuss

Die Vortragenden: Christine Steger, Stefan Prochazka, Lukas Huber, Petra Derler, Erich Girlek      Foto: Mitzi Gugg / Monitoringausschss

M
       it dieser Frage beschäftigte sich der Unabhängige          Zuerst Salzburg, Selbstvertreter und Monitoringaus-
       Monitoringausschuss im Zuge seiner Öffentlichen            schuss-Mitglied, über politische Teilhabe von Menschen
       Sitzung, die dieses Jahr erstmals online abgehal-          mit Lernschwierigkeiten. Er betonte das Recht auf
ten wurde. Zahlreiche Interessierte und Expert*innen              Teilhabe und erläuterte, dass politisch Teilhaben sehr
nahmen am Montag, dem 19. Oktober 2020 an der virtu-              schwierig sein könne. Schwere Sprache oder zu wenig
ellen Veranstaltung teil.                                         Unterstützung würden Barrieren darstellen, mit denen
                                                                  Menschen mit Lernschwierigkeiten zu kämpfen hätten.
Den Beginn der Veranstaltung gestaltete Christine                 Erich Girlek verwies auf oft vorhandene alibihafte Parti-
Steger, Vorsitzende des Monitoringausschusses. Sie                zipation, die keinesfalls mit echter Teilhabe verwechselt
verwies auf die menschenrechtlichen Verpflichtungen               werden dürfe, da sie nur für die Öffentlichkeit Inklusion
Österreichs, die mit der Ratifizierung der UN-Konvention          signalisieren solle, die jedoch nicht praktiziert würde.
über die Rechte von Menschen mit Behinderungen einher-            Trotzdem sei es wichtig, sich dafür einzusetzen, teilha-
gehen. Nur der Abbau von Barrieren ermögliche Inklu-              ben zu können und sich zu engagieren. Nur so werde
sion und führe dazu, dass Menschen mit Behinderungen              Selbstbestimmung überhaupt möglich.
gleichberechtigt in allen Lebensbereichen teilhaben
können. Teilhabe bedeute, dass mitgeredet, mitgemacht             Stigmatisierung
aber auch mitentschieden werde. Damit das Realität                Es folgte der Beitrag zur Teilhabe von Menschen mit
werde, erfordere es einiger dringender Maßnahmen: Um-             psychosozialen Behinderungen von Petra Derler, Erfah-
fassende Barrierefreiheit, auch in Bereichen wie Leichter         rungsexpertin, Obfrau und Gründungsmitglied von IdEE
Sprache, bedarfsgerechte Persönliche Assistenz für alle           Wien und Monitoringausschuss-Mitglied sowie Stefan
Menschen, die sie benötigen, finanzielle Unabhängigkeit           Prochazka, Erfahrungsexperte und Obfrau-Stellvertreter.
oder auch geschultes Personal auf Ämtern.                         IdEE Wien ist eine Interessenvertretung für Menschen,
                                                                  die psychische Erkrankung erleben oder erlebt haben.
Teilhabe ermöglicht Selbstbestimmung                              Sie sprachen u.a. über Peerarbeit, die Menschen helfe,
Im Anschluss sprach Erich Girlek, Gründer von Mensch              ihren eigenen Umgang mit ihrer psychischen

12        www.behindertenrat.at
Ausgabe 4/2020

Herausforderung zu finden. Die Peer-Ausbildung wirke        ein Kontaktformular geschaffen, das zusätzlich zur
ermutigend, weil sich viele Menschen mit psychosozialen     E-Mail-Adresse und Social-Media-Kanälen betreut wurde.
Behinderungen in den meisten Umfeldern nicht mittei-        Hinter den Kulissen wurden alle Eingänge bearbeitet und
len könnten oder wollten. Damit Menschen mit psycho-        so konnte ein Teil der Beiträge von Teilnehmer*innen live
sozialer Behinderung an politischen Prozessen teilhaben     in die Diskussion eingebracht werden.
können, brauche es einige Veränderungen. Das sind z.B.
Strukturen, in denen ihre Mitarbeit selbstverständlich
sei, atmosphärisch ermöglicht werde und Entscheidun-
gen nicht ohne sie getroffen würden.

Keine Inklusion ohne Gebärdensprache
Lukas Huber vom Österreichischen Gehörlosenbund
(ÖGLB) sprach über die Poltische Teilhabe von gehör-
losen Personen und wie diese möglich wird. Bislang sei
das Recht auf Österreichische Gebärdensprache (ÖGS)
unzureichend gefördert. Das hänge auch damit zusam-
men, dass lange Zeit angenommen wurde, die Gebärden-
sprache würde den Erwerb der Lautsprache bremsen und
somit auch die Inklusion. Mittlerweile wisse man, dass      Setting der Online-Veranstaltung   Foto: Mitzi Gugg / Monitoringausschss
die Anerkennung der Gebärdensprache für die gleich-
berechtige Kommunikation zentral sei und die Teilhabe       Online-Format wird weiterentwickelt
von gehörlosen und schwerhörenden Personen auf allen        „Keinesfalls wollten wir uns die Thematisierung der Teil-
Ebenen fördere. Außerdem fehle es an Informationen          habe von Menschen mit Behinderungen nehmen lassen“,
in ÖGS um sich über Themen der Politik, wie z.B. einen      erläutert Christine Steger, Vorsitzende. „Es war aber
Wahlkampf oder über seine Rechte und Pflichten zu           klar, dass die Sicherheitsvorkehrungen rund um Covid-19
informieren. Dieser Informationsmangel und das damit        ein neues Format erfordern.“ Infolgedessen begannen
einhergehende fehlende Selbstbewusstsein führe dazu,        die Vorbereitungen einer virtuellen Veranstaltung.
dass sich sehr wenige gehörlose Personen politisch in       Der Monitoringausschuss stellte sich der Herausfor-
Verbänden oder Parteien engagieren würden. Lukas Huber      derung einer barrierefreien Umsetzung. Nach dieser
verwies auch auf die diskriminierende Gesetzeslage, die     gelungenen Premiere will man das Format weiter ver-
Menschen mit Behinderungen das Bürgeramt eines Ge-          bessern: „Trotz kleiner technischer Schwierigkeiten
schworenen oder Schöffen verweigere. Insgesamt benö-        haben wir sehr viel positives und anregendes Feedback
tige es dringend mehr Verbindlichkeit für die Umsetzung     erhalten. Kritische Rückmeldungen sind für uns zentral,
von Barrierefreiheit anstelle von Empfehlungen.             um zukünftig virtuelle Veranstaltungen zu optimieren“,
                                                            so Steger. „Die diesjährige Öffentliche Sitzung erleich-
Barrierefreien Zugang ermöglichen                           terte Menschen mit weiterer geographischer Entfernung
Barrierefreiheit, eine Grundvoraussetzung für politische    ohne umständliche Anreise die Teilnahme. Das ist für
Teilhabe, aber auch für die Teilnahme an Veranstaltun-      Menschen mit Behinderungen oft eine Herausforderung,
gen, war bei der virtuellen Öffentlichen Sitzung zentral.   weil viele die notwendige Persönliche Assistenz nicht
Daher entschied man sich für ein gevierteltes Format,       erhalten, die ihnen unabhängige Mobilität ermöglicht.
das die Kameraübertragung der Veranstaltung selbst,         Da jedoch technische Voraussetzungen auch Barrieren
die unterstützende Präsentation, Schriftdolmetschung        darstellen können, wollen wir zukünftig Veranstaltungen
sowie Dolmetschung in Gebärdensprache ermöglichten.         in Präsenz und virtuell abhalten, wenn es die allgemeine
Zusätzlich gab es eine bildnerische Zusammenfassung in      Lage wieder zulässt.“ 
Leichter Sprache, die Petra Plicka beitrug.

Teilhabe in Theorie und Praxis                                Infobox
Das Konzept der Öffentlichen Sitzung entstand durch           Video der Veranstaltung:
den Wunsch, Expert*innen in ganz Österreich zu Wort           www.monitoringausschuss.onlineveranstaltung.at
kommen zu lassen. Für die virtuelle Sitzung wurde daher

                                                                                         www.behindertenrat.at                 13
Psychische Gesundheit

Der Stress unserer Zeit
Sichtbar gemacht durch eine Pandemie!				                                                           Von Günter Klug

                                                                                                             Foto: Pixabay

S
      eien wir ehrlich, all die Dinge,   direktem Gespräch verbringen, sinkt.    Erste Studien gibt es zwar erst über
      die wir jetzt unter Covid bekla-   Dafür verbringen wir mehr Zeit vor      den ersten Lock Down, aber hier
      gen, gab es auch schon vorher.     Bildschirmen und beschäftigen uns       zeigt sich bereits, dass sich der
Vielleicht waren sie noch nicht so       mit geschönten Stories, mit denen       Stress in allen Bevölkerungsgruppen
schlimm und wir sind gerade noch         unser eigenes Leben im Normalfall       gesteigert hat. Ältere Menschen
damit zurechtgekommen. Auf alle          nicht mithalten kann. Die Folgen        wurden zu ihrem eigenen Schutz
Fälle waren sie uns aber nicht so        sind Überlastung, finanzielle Nöte      ausgegrenzt, verloren Kontakte
bewusst. Wir leben in einer Zeit und     und Einsamkeit.                         und vereinsamten. Ca. ein Drittel
Gesellschaft der raschen Verände-                                                der Jugendlichen, aber auch deren
rungen, mit denen wir zurechtkom-        Stress ist gestiegen                    Eltern zeigten einen deutlichen An-
men müssen. Die Familiengrößen           Studien zeigen, dass davon auch         stieg von Stress. Bei Jugendlichen
werden kleiner, ca. 50 % der Men-        vor der COVID-19 Pandemie bereits       stand er in direktem Zusammenhang
schen in Städten leben in Einzelhaus-    Jugendliche und ältere Menschen         damit, wie viel sie zu Hause waren,
halten oder sind Allein-Erzieher*in-     am Schwersten belastet waren.           ob sie in finanziellen Problemen
nen. Sie müssen jede Entscheidung        Schon vor Covid gab es in England       waren und ob sie in der Lage waren,
selbst tragen, müssen nach der           ein Ministerium für Einsamkeit, eine    die hochkommenden Gefühle für
Arbeit noch einmal raus, um mit          steigende Zahl von Menschen mit fi-     sich selbst zu regulieren. Bei den
jemandem zu reden und sind für das       nanziellen Nöten, die vielleicht noch   Eltern traf es mehr die Frauen, in
Einkommen alleine verantwortlich.        einen Job hatten, aber davon nicht      Städten, mit finanziellen Problemen,
                                         leben konnten, viele Menschen,          mit gestressten Kindern und mit der
Und das in einer Zeit in der sich        die die Hoffnung in die Zukunft         Unfähigkeit, massiv ausgedrückte
der Arbeitsmarkt völlig verändert.       verloren hatten. Wenn in eine so        Gefühle richtig und nicht persönlich
Neue und andere Berufsgruppen            belastete Zeit noch eine Pandemie       interpretieren zu können.
sind gefragt und viele werden nicht      mit den entsprechenden Folgen           Es zeigt sich also, dass viele Men-
mehr gebraucht. Die Zeit, die wir in     kommt, passiert natürlich Einiges.      schen, auch ohne eine psychische

14       www.behindertenrat.at
Ausgabe 4/2020

Problematik mit der Situation nicht    Marathon zurück in die Stabilität des        betroffenen Menschen, wie ihre
gut zurechtgekommen sind. Was          normalen Lebens erst.                        Kinder oder ältere Personen.
bedeutet das aber für Menschen,                                                 •   Egal, ob sie eher alleine sind,
die schon vorher unter einer psychi-   Aktiv werden                                 oder sie sich in einer, für die
schen Problemstellung litten? Ihre     Die gute Nachricht in all diesen Pro-        Daueranwesenheit aller, zu klei-
geschwächte psychische Abwehrkraft     blemen ist, wir können etwas für uns         nen Wohnung befinden.
ist natürlich noch leichter überfor-   tun. Das hilft nicht nur durch die           Das Wichtigste ist, nehmen Sie
dert. Es kommt zuallererst zu einer    Aktivität selbst. Es gibt uns auch das       sich Zeit für sich.
Verstärkung der ohnehin schon          Gefühl, nicht nur von außen durch die
bestehenden Themen. In Folge kom-      Pandemie und die notwendigen Be-         Diese wenigen Regeln bieten eine
men dann noch Ängste, Unruhe und       schränkungen fremdgesteuert zu sein,     gute Chance, bestmöglich durch
alle stressbedingten psychischen       sondern das Heft auch wieder selbst      diese Zeit zu kommen. Wenn es aber
Probleme bis hin zur Suizidalität      in die Hand nehmen zu können.            doch nicht reichen sollte, sollte sich
dazu. Gleichzeitig sind die Kranken-   Einige gute Hinweise gibt da die         niemand davor scheuen, professio-
häuser Pandemie bedingt schwerer       Organisation Mental Health Europe,       nelle Unterstützung in Anspruch zu
zu erreichen und der ambulante         wie zum Beispiel:                        nehmen. Das ist kein Zeichen von
Sektor, die niedergelassenen Berufs-   • Beschaffen sie sich vertrauens-        Schwäche. Damit wird man für viele
gruppen und psychosozialen Dienste         würdige Informationen, nicht         die es brauchen, sich aber nicht
sind durch die Vorsichtsmaßnahmen          solche, die von irgendjemandem       trauen, ein echtes Vorbild. 
behindert und daher überfordert.           gepostet werden.
Je länger der Zustand besteht,         • Begrenzen sie selbst die Zeit, die
desto schwieriger wird es, stabil zu       sie mit Covid Neuigkeiten ver-
bleiben. Es ist bekannt, dass Folgen       bringen – einmal am Tag reicht.
einer solchen Belastung nicht rasch    • Passen sie gut auf sich auf.
zum Vorschein kommen, sondern oft          Egal in welcher Lebenslage sie
Wochen und Monate brauchen, bis            sind, versuchen sie gesund und
sie sichtbar werden.                       nicht zu üppig zu essen und trin-
                                           ken, schlafen sie ausreichend.
Jetzt haben wir bereits 9 Monate           Machen sie Dinge, die sie gerne
Pandemie hinter uns, wir sind alle         tun, so oft es geht.
gezeichnet. Die Hoffnung auf ein       • Achten sie nicht zu sehr auf An-
rasches Ende hat sich nicht be-            dere, sondern hören sie auf sich.
wahrheitet, der zweite Lock Down           Sie spüren, was ihnen guttut.
fällt uns wegen Erschöpfung und        • Lassen sie sich von dem Begriff
Enttäuschung bereits viel schwerer         „Social Distancing“ nicht ver-
und die Widerstandskraft sinkt.            leiten. Körperlichen Abstand zu
Wie sollen wir es bis zur rettenden        halten, heißt nicht, dass man
Impfung schaffen? Noch dazu, wenn          nicht in Kontakt bleiben kann.
bereits jetzt Firmen beginnen, von         Reden sie über sich und ihre         PD. Dr. Günter Klug        Foto: Carina Ott
Kurzarbeit ins Entlastungsmanage-          Probleme und Ängste mit Ande-
ment überzugehen. Die Folgen der           ren und hören sie gut zu. Daraus       Zum Autor
Verunsicherung und im schlimmsten          entsteht ein Gefühl der Nähe,
Fall der finanziellen Krise treffen        des Umsorgens und umsorgt              PD. Dr. Günter Klug ist Präsi-
bereits pandemiegezeichnete Men-           seins, dass sie für viele Unbilden     dent der „pro mente Austria“,
schen naturgemäß noch schwerer.            entschädigt. Es erleichtert ihnen      Obmann der“ Psychosozialen
Faktum ist, dass alle Menschen noch        auch, bei all dem noch Positives       Dienste Steiermark“ sowie Med.
                                                                                  Geschäftsführer der „Gesellschaft
Monate, wenn nicht Jahre brau-             zu sehen und hoffnungsvoll für
                                                                                  zur Förderung seelischer Gesund-
chen werden, um die Folgen dieser          die Zukunft zu bleiben.
                                                                                  heit GmbH“
Zeit aufzuarbeiten. Für psychisch      • Nehmen sie sich Zeit und
betroffene Menschen beginnt der            sprechen sie viel mit besonders

                                                                                       www.behindertenrat.at           15
COVID-19

2020: Ein hartes Jahr
Partizipation und Selbstbestimmung sind überlebenswichtig
                                                                                            Von Heidemarie Egger

                                                                                                          Foto: Pixabay

A
      uch wenn Menschen mit Behinderungen sehr gut         Zwischen Schutz und Selbstbestimmung
      wissen, wie sie mit Barrieren und Einschränkungen    Die Corona-Pandemie hat auch alle Organisationen
      umgehen, ist es dennoch besonders für sie ein        und Vereine von und für Menschen mit Behinderungen
hartes Jahr. Viele Menschen mit Behinderungen gehören      besonders gefordert. Im Balanceakt zwischen Schutz und
zur Risikogruppe und müssen sich Sorgen machen, was        Selbstbestimmung, mit Kreativität und Umsicht beglei-
eine Überlastung des Gesundheitssystems für sie bedeu-     ten und unterstützen sie Menschen mit Behinderungen
ten kann.                                                  in dieser fordernden Zeit. Auch Unterstützer*innen,
                                                           Familien, Persönliche Assistent*innen und Interessen-
Auf Menschen mit Behinderungen vergessen                   vertretungen haben einen großen Beitrag geleistet,
Zu Beginn der COVID-19 Pandemie wurden Verordnungen        damit auch Menschen mit Behinderungen gut durch
erlassen, die nicht auf die Lebensrealitäten von Men-      die COVID-19 Pandemie kommen. Tagtäglich gibt es
schen mit Behinderungen eingegangen sind. Nach einem       Medienberichte, wie sich unser aller Leben und Alltag
längeren Ping-Pong Spiel – Verordnungsentwurf kommt,       verändert hat. Es fehlen die Berichte über Menschen mit
muss nach Begutachtungen wieder verändert werden,          Behinderungen, über ihre Unterstützer*innen und ihre
und so weiter – wurde zumindest vom Sozialministerium      Angehörigen. Gerade sie erbringen Höchstleistungen im
erkannt, dass eine frühzeitige Einbindung der Interes-     Umgang mit der COVID-19 Pandemie. Besonders für viele
senvertretung von Menschen mit Behinderungen wichtig       Menschen mit psychischen Erkrankungen sind die belas-
ist. Partizipation und Interessenvertretung für Menschen   tende Gesamtsituation und die erzwungene Veränderung
mit Behinderungen ist unter den aktuellen Umständen        ihres Alltags schwer.
sehr fordernd. Die COVID-19 Pandemie zeigt auf, dass
viele Menschen mit Behinderungen noch immer nicht          Frauen mit Behinderungen
gleichberechtigter Teil der Gesellschaft sind und kein     Das Leben von Frauen mit Behinderungen ist von Mehr-
selbstbestimmtes Leben führen können. Die vehementen       fachdiskriminierungen geprägt, was durch die COVID-19
Forderungen nach österreichweiter Deinstitutionalisie-     Pandemie noch einmal verschärft wurde. Auf Druck des
rung und umfassender Persönlicher Assistenz, dessen        Kompetenzteams Frauen mit Behinderungen und mit Un-
Dringlichkeit die Pandemie verdeutlicht hat, müssen        terstützung der Behindertensprecherinnen bekam dieses
jetzt umgesetzt werden.                                    Thema 2020 mehr Sichtbarkeit. Neue vielversprechende

16       www.behindertenrat.at
Ausgabe 4/2020

Projekte befinden sich in Umsetzung: Informationen          Triage: Spezielle Ressourcenzuteilung
zur gynäkologischen Vorsorge werden zukünftig auch          Die Österreichische Gesellschaft für Anästhesiologie,
in Leichter Sprache und Österreichischer Gebärdenspra-      Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) veröffentlich-
che angeboten, Persönlichen Assistenz wird ausgebaut,       te im Frühjahr 2020 “Klinisch-ethische Empfehlungen für
ein Gewaltschutzprojekt für Frauen mit Behinderungen        Beginn, Durchführung und Beendigung von Intensivthe-
nimmt Gestalt an. „Es muss noch viel mehr für die Sicht-    rapie bei COVID-19-PatientInnen“. Darin festgeschrie-
barkeit von Frauen mit Behinderungen getan werden. In       ben ist eine „Pflicht zur Gesundheitsversorgung ohne
allen Belangen der Behindertenpolitik muss selbstver-       Differenzierung nach nicht-medizinischen Kriterien“,
ständlich auch die Geschlechterperspektive eingenom-        wie es beispielsweise die Zuschreibung von Qualität
men werden“, bekräftigt Gabriele Sprengseis, Geschäfts-     eines Lebens mit Behinderungen wäre. Auf Basis der
führerin des Österreichischen Behindertenrates.             Verfassung und der Grundrechte findet sich auch dieser
                                                            Gleichstellungsaspekt: „Manche Personen benötigen eine
Was 2020 uns gelehrt hat                                    spezielle Unterstützung, um ihr formales Grundrecht auf
In der Zusammenarbeit mit dem Sozialministerium und         Leben und die damit verbundene medizinisch indizierte
auch den Behindertensprecherinnen aller Parteien konn-      Behandlung effektiv wahrnehmen zu können, z. B. wenn
te der Österreichische Behindertenrat die Interessen        sie eine physische oder psychische bzw. kognitive Ein-
der Menschen mit Behinderungen vertreten und zeigen,        schränkung haben. In solchen Fällen ist nicht nur eine
dass Partizipation für alle Seiten wichtig ist. Wie weit    gleiche, sondern eine spezielle und damit unter Umstän-
wir jedoch von einer vollen gesellschaftlichen Teilhabe     den auch höhere Ressourcenzuteilung nötig, damit diese
entfernt sind, zeigt zum Beispiel das Thema digitale        Personen dieselbe Chance haben wie Menschen ohne
Barrierefreiheit überdeutlich. Die Stopp-Corona-App         Einschränkung.“ Dies bekräftigt auch das Konsensuspa-
ist jetzt auch nach über einem halben Jahr noch nicht       pier der österreichischen intensivmedizinischen Fachge-
barrierefrei.                                               sellschaften (FASIM) vom 11.11.2020.
                                                            Der Österreichische Behindertenrat appelliert an die
„Für uns Menschen mit Behinderungen ist es überlebens-      Intensivmediziner*innen, sich auch an diese Empfehlun-
wichtig, hartnäckig dafür zu kämpfen, gesehen, gehört       gen zu halten, insbesondere was die Ressourcen-
und einbezogen zu werden. Die COVID-19 Pandemie hat         zuteilung und das Diskriminierungsverbot anbelangt.
vielfach und schmerzhaft aufgezeigt, welche Barrieren
auf dem Weg zur vollen gesellschaftlichen Teilhabe noch     Versorgungsverschlechterung
vor uns liegen“ so Herbert Pichler, Präsident des Öster-    Eine weitere Gefahr für Menschen mit Behinderungen
reichischen Behindertenrates.                               und chronischen Erkrankungen ist die Verschlechterung
                                                            der gesundheitlichen Versorgung. Untersuchungen und
Jetzt und in den nächsten Monaten                           Behandlungen müssen verschoben werden oder fallen
Die Situation in vielen österreichischen Krankenhäusern     aus. Das beeinflusst die Lebensqualität und den langfris-
ist sehr ernst. Die Warnungen vieler Expert*innen zei-      tigen Gesundheitszustand negativ.
gen, wir stehen kurz davor, dass Ärzt*innen entscheiden
müssen, wer noch intensivmedizinisch behandelt werden       „Wir sind alle müde und erschöpft und haben keine Lust
kann und wer nicht (Triage).                                mehr, mit der COVID-19 Pandemie umzugehen, so geht
                                                            es auch Menschen mit Behinderungen. Aber genau jetzt
Viele Menschen in Österreich sind in einer privilegierten   brauchen wir eine neue Solidarität und ein Bewusstsein
Situation. Aufgrund ihres Alters und Gesundheitsstatus-     der eigenen Verantwortungsmacht, um die besonders
ses können sie darauf vertrauen, auch in einer Triage-Si-   gefährdeten Gruppen, zu denen auch viele Menschen mit
tuation optimal versorgt zu werden. Für viele Menschen      Behinderungen gehören, zu schützen. Danke an alle, die
mit Behinderungen und Erkrankungen ist jedoch die           das bereits mit ihrem Handeln tun! Danke an die Medizi-
drohende Überlastung in den Krankenhäusern eine wei-        ner*innen und das Pflegepersonal, die ihr Bestes geben!
tere zusätzliche Gefährdung. Zum erhöhten Risiko eines      Mit Zusammenhalt und einer neuen Solidarität schaffen
schweren Verlaufes von COVID-19 kommt nun auch die          wir das!“ appelliert Herbert Pichler, Präsident des Öster-
berechtigte Angst hinzu, aufgrund einer Behinderung         reichischen Behindertenrates. 
oder Vorerkrankung schlechtere Chancen auf die best-
mögliche medizinische Versorgung zu haben.

                                                                                        www.behindertenrat.at       17
Pflege

Auf dem Weg zur Pflegereform
Wo stehen wir?								                                                                    Von Christina Meierschitz

                                                                                                            Foto: Pixabay

„D
            ie Lage spitzt sich immer       derzeit Anspruch auf Pflegegeld.    konnten in einer großangelegten
            mehr zu“, „lange wird es    • 153.500 Menschen beziehen             Online-Veranstaltung sowohl die
            nicht mehr funktionie-          mobile Dienste und                  Task-Force als auch die Ergebnisse
ren - es ist schon die längste Zeit 5   • mehr als 175.000 Menschen wer-        der Umfrage einem breiten Publikum
vor 12“. Diese Sätze finden zur Zeit        den in Österreich ausschließlich    vorgestellt werden. Bis Ende 2020
für viele Bereiche in unserem Land          und ohne professionelle Unter-      sollen die Arbeiten am Reformpapier
Anwendung, zum Thema der Pflege             stützung von ihren Angehörigen      beendet sein und im Jahr 2021 soll
sind sie schon seit Jahren in Verwen-       gepflegt.                           die Pflegereform in Etappen umge-
dung. Verstärkt durch die Covid-Krise   • Von den 950.000 Pflegenden in         setzt werden.
haben sich viele Schwachstellen             Österreich sind 75% Frauen.
unseres Pflegesystems noch um ein       • Circa 25.000 Menschen in Öster-       Herausforderungen
Vielfaches verschärft. Sowohl in der        reich benötigen eine 24-Stunden-    Das durch die demografische Ent-
professionellen Pflege, aber auch in        Betreuung.                          wicklung und auch durch eine Pensi-
der Angehörigenpflege leisten die       Im Juni wurde die Arbeit mit einer      onierungswelle im Fachkräftebereich
Menschen Unglaubliches und wir          Online-Befragung wieder aufge-          der Pflege ein großer Handlungs-
wissen alle, die Pflege in Österreich   nommen. Bei dieser konnten sich         bedarf bereits besteht und dieser
und wahrscheinlich auch anderswo,       interessierte Menschen, Betroffene,     sich noch vergrößern wird, ist schon
ist weiblich.                           Beschäftigte im Pflegebereich sowie     seit einigen Regierungsperioden
                                        Interessenvertretungen beteiligen       bekannt. Die Pflegefinanzierung
Was bisher geschah                      und Stellung beziehen. Von dieser       wird über kurz oder lang nicht mehr
Im Jänner 2020 wurde von unserem        Möglichkeit machten über 3000           bewältigbar sein. Studien sagen
Sozialminister Rudolf Anschober         Personen Gebrauch. Die Ergebnisse       aus, dass bis zum Jahr 2030 ein
eine Pflegereform mit einer großen      werden als Grundlage für die wei-       Fachkräftemangel von mindestens
Kick-off-Veranstaltung angekündigt,     teren Arbeiten zur Pflegereform         100.000 Personen entstehen wird.
die dann recht schnell durch die        dienen. Das Sozialministerium hat       Demgegenüber steht die Tatsache,
Ereignisse um die Covid-19 Pande-       dazu eine Task-Force eingerichtet,      dass sich der Anteil der über 85-jäh-
mie zum Stillstand verurteilt wurde.    die bis zum Jahresende die inhaltli-    rigen bis zum Jahr 2050 verdrei- bis
Aber dennoch sind folgende Fakten       chen Eckpfeiler einer umfassenden       vervierfachen wird.
aus dieser Kick-off-Veranstaltung       Pflegereform erarbeiten soll. Der ge-
hängen geblieben:                       samte Prozess wird durch eine Steu-     Ein großes Problem ist - wie auch
• Rund 486.000 Menschen haben           erungsgruppe begleitet. Im Oktober      in einigen anderen Bereichen - der

18       www.behindertenrat.at
Ausgabe 4/2020

Föderalismus. Er führt zu einer         Engagement gestärkt werden. Es           gestellt. Hier bedarf es schneller
Zersplitterung der Leistungsange-       könnten vermehrte Angebote sozi-         und individueller Unterstützung.
bote. Ein noch hinzukommender           aler Kontakte, wie z.B. ein Ausbau
Wettbewerbsdruck unter den Leis-        von Besuchsdienst, Abhilfe schaffen.     Menschen mit Behinderungen
tungsanbietern wirkt sich besonders     Selbsthilfegruppen sollen gestärkt       Die Pflegereform ist vorwiegend
stark auf die Dienstnehmer*innen        und unterstützt werden. Auch der         an den Bedürfnissen von älteren
aus, wodurch der Beruf im Bereich       Ausbau von Digitalisierung kann          Menschen ausgerichtet. Es wird
der Pflege und Betreuung recht          dazu beitragen, die Vereinsamung         hauptsächlich auf freiwillige Ange-
unattraktiv wird. Covid-19 verschärft   der Menschen zu verhindern. Ein          hörigenpflege, stationäre Angebote
zusätzlich die Situation. Die enorm     weiterer positiver Effekt vom Aus-       oder 24-Stunden Betreuung gesetzt.
wachsenden Anforderungen und            bau der Digitalisierung wäre, dass       Es ist jedoch notwendig, die Betreu-
die damit einhergehenden Überbe-        die Kommunikation zwischen den           ung, Versorgung und Unterstützung
lastungen der Pflegekräfte höhlen       Pflegediensten und Angehörigen we-       für Menschen mit Behinderungen
diese immer mehr aus, machen sie        sentlich verbessert werden könnte.       bedarfsgerecht anzudenken. Hier
krank und führen damit auch zu                                                   ist vor allem der menschenrechtli-
belastenden Ausfällen.                  Man kann jetzt schon sagen, dass         che Ansatz, der durch die UN-BRK
                                        durch die COVID-19 Pandemie - so         verpflichtend einzuhalten ist, anzu-
Ziel: Würdevolles Altern                dramatisch die Umstände auch sind        wenden. Das bedeutet Selbstbestim-
Als Hauptziel der Pflegereform wird     - die Möglichkeiten und Lösungen         mung, Inklusion und Teilhabe an
genannt, ein würdevolles Altern zu      im digitalen Gesundheits- und Sozi-      allen gesellschaftlichen Bereichen
ermöglichen. Die Herausforderungen      albereich schneller vorangetrieben       von allen Menschen mit Behinde-
für die Reform werden sein, in der      wurden. So können neue Angebote          rungen. Damit eng verbunden sind
Pflege Verlässlichkeit zu gewährleis-   entwickelt werden und bestehende         Begriffe wie De-Institutionalisie-
ten, Einsamkeit zu mindern, Pflege-     Dienstleistungen bedarfsgerechter        rung und Barrierefreiheit. Niemand
kräfte wertzuschätzen - auch durch      erbracht werden. Ein kleiner positi-     darf gegen seinen Willen genötigt
finanzielle Anreize - sowie pflegen-    ver Effekt in dieser so schwierigen      werden, in Institutionen zu leben.
de Angehörige zu entlasten. Das         Zeit. Ein wichtiges Ziel der Pflegere-   Die Menschen haben das Recht auf
Pflegesystem muss vorausschauend        form ist die Entlastung pflegender       Angebote, die für alle Menschen
geplant und gestaltet werden. Für       Angehöriger. Eine gute Unter-            mit Behinderungen mit Pflege und
ein gutes Gelingen sind österreich-     stützung könnte mit einer aktiven        Betreuungsbedarf ein selbstbe-
weit geltende einheitliche Standards    Begleitung der Familien und einem        stimmtes Leben ermöglichen. Dafür
in der Pflege festzulegen. Da die Fi-   Case Management mit aufsuchender         sind ausreichend finanzielle Mittel
nanzströme und Finanzierungsstruk-      Beratung gewährt werden. Es bedarf       zur Verfügung zu stellen, um selbst-
turen sehr unübersichtlich sind,        psychologischer Unterstützungs-          bestimmt die Unterstützungsleistun-
sollte laut Experten am besten eine     angebote. Die Möglichkeiten zur          gen wählen zu können, die benötigt
Finanzierung aus einer Hand erfol-      Vereinbarkeit von Beruf und Pflege       werden. Dazu zählt auch bedarfsge-
gen. Dem Sozialministerium ist klar,    muss dringend ausgebaut werden.          rechte Persönliche Assistenz.
dass es mehr Mittel geben muss, um      Berufstätige Angehörige müssen
die Herausforderungen der Pflege-       einen erweiterten Anspruch auf Pfle-     Der gesellschaftliche Auftrag der
reform schaffen zu können. Wie viel     geurlaub und Pflegeteilzeit haben.       Pflege ist, dem einzelnen Menschen
mehr Budget es dafür geben wird,        Mit einer niederschwelligen und          sowie deren Familien dabei zu hel-
wurde aber noch nicht beziffert.        gut verfügbaren Entlastung wäre          fen, ihr physisches, psychisches und
                                        den Familien jedenfalls für Notfälle     soziales Potential zu bestimmen und
Ergebnisse                              dringend geholfen.                       zu verwirklichen. 
Ein sehr großes Problem sowohl für
die pflegebedürftigen Menschen als      Auch die Demenzstrategie muss
auch für deren Angehörigen ist die      so schnell wie möglich umgesetzt
Einsamkeit. Wie kann diese gemindert    werden. Menschen, die ihre Ange-
werden? Dafür gibt es einige Über-      hörigen mit Demenz pflegen, sind
legungen. So soll das ehrenamtliche     vor sehr große Herausforderungen

                                                                                        www.behindertenrat.at         19
Sie können auch lesen