Sensibles Ökosystem Berg - Universität Innsbruck

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Sensibles Ökosystem Berg - Universität Innsbruck
Ausgabe Juni 2021

                                                             Magazin der
                                  Leopold-Franzens-Universität Innsbruck

Sensibles
Ökosystem Berg
Seite 4

Alzheimer: Neue Einblicke     Seite 8   ◼   Infos zum Studienstart   Seite 12   ◼

Katzen-Forschung   Seite 16   ◼   Studierende forschen mit         Seite 18     ◼

Beilage zur Tiroler Tageszeitung                         www.uibk.ac.at
Sensibles Ökosystem Berg - Universität Innsbruck
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                                                                                                                               tliche
                                                                                                                          Küns
                                                                                                                                 igenz
                                                                                                                          Intell

                                                                                                       Bienen-
                                                                                                       Roboter

                                                                                                                              Auf den
                                                                                                                                        der
                                                                                                                             S uren

            Kinder-Sommer-Uni 2021
                                                                                                                              p
                                                                                                                                  b ä r e n
                                                                                                                              Eis

            Die Universität Innsbruck öffnet ihre Türen                                                      Sternwarte

            für alle interessierten Kinder und schlauen Füchse!
                                                                                                                              Wir sin
                                                                                                                           Klima-     d
            Am Montag, 12. Juli 2021 beginnt die 19. Kinder-Sommer-Uni mit über                                                   Helden

                                                                  20
            100 tollen Programmpunkten für Kinder ab 6 Jahren.

            Auch heuer sind wir wieder an den Standorten Innsbruck, Stams und Osttirol vertreten und ermöglichen
            euch einen Einblick in die faszinierente Welt der Wissenschaft! Und erstmalig bieten wir diesen Sommer
            auch Webinare an, sodass ihr Wissenschaft direkt zu Hause erleben könnt!

     NEU

            Ferienbetreuung mit                              Durch die Initiative und Finanzierung des Bildungsministeriums können
                                                             wir heuer das neue Programm „Ferienbetreuung mit wissenschaftlichem
            wissenschaftlichem                               Anspruch“ für Kinder und Jugendliche mit ForscherInnengeist anbieten.

            Anspruch
                                                             Zur Auswahl stehen vier tolle Erlebniswochen:

                                                             Montag, 12. - Freitag, 16. Juli 2021
                                                             Architekturwerkstatt - bilding weiter bauen 2.0

                                                             Montag, 19. Juli - Freitag, 6. August 2021
                                                             Naturforschungswoche in Mühlau - natopia
                                                                                                                                                     © BfÖ 2021

            Die Anmeldung ist ab Montag, 28. Juni 2021 auf unserer Homepage möglich. Die aktuellen
            COVID-19 Bestimmungen für Kinder werden frühzeitig auf unserer Homepage und via Mail nach der
            Kursanmeldung bekannt gegeben. Weitere Infos unter

                                                                                www.uibk.ac.at/jungeuni

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Sensibles Ökosystem Berg - Universität Innsbruck
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Inhalt                                  Ausgabe Juni 2021
                                                                                                   Editorial

00
6
                                        4     Hochsensibles Berg-Ökosystem
                                              Forscher*innen untersuchen auf Versuchsflä-
                                              chen im Ötztal die Folgen von früherer Schnee-
                                              schmelze und zunehmender Verstrauchung.

                                        6     Himmlische Höhen
                                              Die Mächtigkeit der Berge übt seit jeher eine
                                              große Faszination auf die Menschen aus.

                                                                                                                                         Foto: Gerhard Berger
                                        8     Neue Einblicke in Alzheimer
                                              Der Molekularbiologe Jerome Mertens und sein
                                              Team benutzen neue Methoden, um die Entste-
                                              hung von Alzheimer besser zu verstehen.

                                        10    Trend zur Offenheit
                                              In der Wissenschaft spielen Transparenz und Of-

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                                              fenheit eine immer größere Rolle.                    Liebe Leserin, lieber Leser!

                                        12    Alle Infos zum Studienstart                          Wir haben die vergangenen drei Se-
                                              Im Wintersemester 2021/2022 stehen Studienin-        mester trotz aller Widrigkeiten den
                                              teressierten in Innsbruck wieder alle Möglich-       Umständen entsprechend sehr gut ge-
                                              keiten offen.                                        meistert: Mehr Studienanfänger, ei-
                                                                                                   ne deutlich höhere Prüfungsaktivität,
                                        14    Auf dem Weg an die Spitze                            mehr Abschlüsse und eine gestiegene
                                              Einmal an der Tour de France teilzunehmen: Da-       Zahl von Forschungsanträgen sowie
                                              von träumen auch die jungen Nachwuchs-Renn-          wissenschaftlichen Veröffentlichungen
                                              radfahrer des Tirol KTM Cycling Teams.               sprechen hier eine deutliche Sprache.
                                                                                                   Dafür danke ich allen, die jeweils ihren
                                        16    Katzen machen Wissenschaft                           Anteil daran haben, unseren Studieren-
                                              Der Masterstudent Elias Hekh und der Professor       den und allen Mitarbeitenden.
                                              für Zoologie, Thorsten Schwerte, machen Katzen       Nun bereiten wir uns schon auf das neue
                                              nun auch zum Mittelpunkt eines Forschungspro-        Studienjahr im Herbst vor. Es ist un-

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                                              jektes – wer eine Katze als Haustier hat, ist ein-   ser Ziel, so viel präsente Lehre wie nur
                                              geladen, daran teilzunehmen.                         möglich anzubieten, und wir werden
                                                                                                   intensiv daran arbeiten, einen mög-
                                        18    Studierende forschen mit                             lichst normalen Unibetrieb zu gewähr-
                                              Studierende an der Uni Innsbruck lernen schon        leisten. Hier wäre es nun außerordent-
                                              während des Studiums, ihr Erlerntes Wissen in        lich wichtig, dass in den kommenden
                                              der Praxis umzusetzen.                               Wochen auch alle in der Altersgruppe
                                                                                                   zwischen 18 und 40, also auch unse-
                                        21    Förderkreis 1669                                     re Studierenden und viele unserer jün-
                                              Gemeinsam stark für die Universität Innsbruck.       geren Mitarbeitenden ein Impfangebot
                                              Neue Mitglieder des Förderkreises „1669 – Wis-       erhalten. Viel ist in den vergangenen
                                              senschafft Gesellschaft“ investieren in die Ta-      Monaten über die Schulen diskutiert
                                              lente der Zukunft.                                   worden, die Hochschulen standen eher
                                                                                                   nicht besonders im Fokus. Aber auch
                                                                                                   hier gelten die gleichen Argumente wie
                                                                                                   für die Schulen und diese Impfungen
                                                                                                   sind eine wichtige Voraussetzung für
                                                                                                   einen sicheren und erfolgreichen Uni-
IMPRESSUM                                                                                          betrieb im Herbst. In diesem Sinne
                                                                                                   wünsche ich Ihnen einen erholsamen
wissenswert ­– Magazin der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck – 22. Juni 2021                  Sommer und freue mich auf alle, die im
Herausgeber und Medieninhaber: Universität Innsbruck; Hersteller: Intergraphik GmbH.
Sonderpublikationen, Leitung: Frank Tschoner;
                                                                                                   Herbst neu an unsere Uni kommen wol-
Redaktionelle Koordination: Susanne E. Röck, Christa Hofer.                                        len, und jene, die nach vielen Monaten
Redaktion: Melanie Bartos, Daniela Feichtner, Christa Hofer, Stefan Hohenwarter, Lisa Marchl,      aus der coronabedingten Distanz zu-
Susanne E. Röck, Uwe Steger.                                                                       rückkommen werden.
Covergestaltung: Catharina Walli.
Foto Titelseite: Ötztal Tourismus/Fabian Künzel.
Fotos Seite 3: Monika Fink, LightFieldStudios; Tirol KTM Cycling Team.                                         Univ.-Prof. Dr. Tilmann Märk
Anschrift für alle: 6020 Innsbruck, Brunecker Straße 3, Postfach 578, Tel. 0512 53 54-1000.                 Rektor der Universität Innsbruck
Sensibles Ökosystem Berg - Universität Innsbruck
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    Freiluftlabor auf mehr
    als 2500 Metern Höhe:
    Die Versuchsflächen auf
    der Hohen Mut im
    Ötztaler Obergurgl.
    Foto: Helen Snell

Hochsensibles
Berg-Ökosystem
Wie wirkt sich der Klimawandel auf alpine Ökosysteme aus? Michael Bahn
untersucht gemeinsam mit Forscher*innen der Universität Manchester auf
Versuchsflächen im hinteren Ötztal die Folgen von früherer Schneeschmelze und
zunehmender Verstrauchung hoch oben am Berg.

E
       in nicht unwesentlicher Teil unserer    steme. Aus jetziger Sicht wird die Schnee-      läufe und sind gleichzeitig sehr sensibel
       Arbeit bestand aus Schneeschaufeln“,    schmelze aufgrund des Klimawandels bis          für sich verändernde Umweltbedingungen.
       erzählt Univ.-Prof. Michael Bahn vom    zum Ende des Jahrhunderts je nach Höhen-        Sie sind wichtig für die Verfügbarkeit von
Institut für Ökologie der Uni Innsbruck. Das   lage um 50 bis 130 Tage früher einsetzen. Das   Pflanzennährstoffen, die Speicherung von
Experiment auf mehr als 2500 Metern Höhe       könnte schwerwiegende ökologische Folgen        Kohlenstoff und zahlreiche andere essen-
auf dem Grünland der Hohen Mut bei Ober-       haben“, verdeutlicht Bahn. Bei einigen Ver-     zielle Ökosystemfunktionen“, sagt Michael
gurgl umfasste 15 fünf mal fünf Meter große    suchsflächen wurde der Schnee entfernt, bei     Bahn.
Versuchsflächen. Die kleinen Parzellen lie-    einigen aufgeschüttet – und einige blieben
ferten Daten für eine umfassende interna-      als „Kontrollgruppe“ unberührt. Anschlie-       Saisonale Unterschiede
tionale Studie zur Entwicklung des Bodens      ßend entnahm das Forscher*innen-Team
in hochalpinem Gelände. Dabei interessierte    Proben aus dem Boden in regelmäßigen Ab-           Die Zusammensetzung der Mikroben in
sich der Ökologe, der seit vielen Jahren die   ständen. Im Labor in Innsbruck wurden sie       Form von Bakterien und Pilzen und auch
Auswirkungen des globalen Wandels auf Ge-      auf die mikrobielle Zusammensetzung und         die Stoffkreisläufe im Boden variieren je
birgsökosysteme erforscht, gemeinsam mit       biogeochemische Eigenschaften untersucht.       nach Jahreszeit. „Es gibt eine mikrobielle
den Kolleg*innen der Universität Manche-       Gerade für den Alpenraum ist ein besseres       Winter-Gemeinschaft und eine Sommer-
ster in einem ersten Schritt für die Schnee-   Verständnis dieser hochkomplexen Vorgän-        Gemeinschaft. Der Schnee spielt als iso-
bedeckung. „Der Schnee spielt eine große       ge besonders wichtig. „Mikrobielle Gemein-      lierende Decke eine wichtige Rolle, um das
Rolle für das Funktionieren alpiner Ökosy-     schaften im Boden regulieren Stoffkreis-        empfindliche ökologische Gleichgewicht im
Sensibles Ökosystem Berg - Universität Innsbruck
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hochalpinen Raum aufrechtzuerhalten“, er-
klärt Richard Bardgett, der im Winter 2020
zwei Monate als Gastprofessor an der Uni-
versität Innsbruck verbrachte. Die Vorgänge
unterliegen zeitlichen Zyklen, die durch eine
immer dünnere Schneedecke und damit im-
mer kürzerer Schneedecken-Dauer stark be-
einflusst werden. Auswirkungen zeigen sich
dabei bereits ab einer zeitlichen Verschie-
bung von nur 10 Tagen, wie das Team an
den Versuchsflächen im Ötztal in einer neu-
lich publizierten Studie zeigen konnte. „Ei-
ne frühere Schneeschmelze führt zu einem
abrupten saisonalen Übergang der mikro-
biellen Gemeinschaften. Die Funktion des
Winter-Ökosystems wird dadurch verkürzt
und seine Wirkweise eingeschränkt. Das hat
Auswirkungen auf den Stoffhaushalt und die
                                                    Die Welt der Mikroben im Boden variiert
Pflanzenproduktivität und bringt die Balan-
                                                    je nach Jahreszeit. Verschieben sich
ce des Ökosystems in Gefahr“, so Studien-
                                                    zeitliche Abläufe, kann das massive
autor Arthur Broadbent. „In alpinen Regi-
                                                    Auswirkungen auf das
onen schreitet der Klimawandel doppelt so
                                                    hochalpine Ökosystem haben.
                                                    Foto: Richard Bardgett
schnell voran wie im globalen Durchschnitt,
die Folgen dieser Entwicklung für alpine
Ökosysteme zu verstehen, ist daher zentral.“

Zwergsträucher im Vormarsch
                                                vorhanden war. Pflanzen wie beispielsweise        Richard Bargdett mit ihrem Team in Zu-
   In einem weiteren Projekt untersucht der     die Besenheide bilden große Vorkommen in          kunft weiter im Detail untersuchen. „Hier
Boden-Ökologe nun in enger Zusammenar-          immer höheren Lagen“, sagt Bahn. Für die          gilt ein besonderer Dank den Akteuren vor
beit mit Markus Pirpamer und der Agrarge-       Almen und Nutzung des alpinen Geländes            Ort, Bauern wie Liftbetreibern, ohne deren
meinschaft Vent wiederum an ausgewählten        als Weidefläche für Tiere ist das keine posi-     Unterstützung und Expertise diese For-
Experimentierflächen in Vent im Ötztal die      tive Entwicklung und bereitet den Akteuren        schungsarbeit nicht möglich wäre. Dank der
zunehmende Verstrauchung alpiner Flächen        vor Ort Kopfzerbrechen – und das nicht            Infrastruktur und der Nähe des Universi-
– ein weiterer, besonders für viele Almwirt-    nur im Ötztal. Die Zwergsträucher machen          tätszentrums Obergurgl zum alpinen Le-
schaften heute schon deutlich spürbarer         viele Flächen für Weidetiere teilweise „un-       bensraum können wir zudem immer wieder
Effekt des globalen Wandels: „Wir sehen         genießbar“. Welche Folgen die Ansiedelung         international hoch angesehene Forschende
in den letzten Jahren eine teilweise rasante    von Sträuchern in immer höheren Lagen in          für eine Zusammenarbeit begeistern“, freut
Zunahme von Zwergsträuchern an Orten,           Kombination mit kürzerer Schneedecken-            sich Michael Bahn.
wo bis vor kurzer Zeit nur alpiner Rasen        Dauer hat, das möchten Michael Bahn und                            melanie.bartos@uibk.ac.at ◼

                                                                    Zuerst schaufeln:               Forschungsgruppe
                                                        Die Experimentierflächen in
                                                     Vent waren teilweise meterhoch                 „Funktionelle Ökologie“
                                                                mit Schnee bedeckt.
                                                                                                       Michael Bahn leitet die Forschungs-
                                                                             Foto: Michael Bahn
                                                                                                    gruppe „Funktionelle Ökologie“ am
                                                                                                    Institut für Ökologie der Universi-
                                                                                                    tät Innsbruck. Das Team untersucht
                                                                                                    Pflanzen-, Boden- und Ökosystem-
                                                                                                    prozesse und die Einflüsse des globa-
                                                                                                    len Wandels. Die Forschungsthemen
                                                                                                    umfassen biogeochemische Kreisläufe
                                                                                                    wie den Kreislauf von Kohlenstoff und
                                                                                                    Stickstoff,   Treibhausgasemissionen
                                                                                                    und die Rolle von Pflanzen und ihren
                                                                                                    Eigenschaften in Ökosystemprozessen.
                                                                                                    Dazu arbeiten die Forscher*innen häu-
                                                                                                    fig mit Freilandexperimenten an un-
                                                                                                    terschiedlichsten Standorten, um „vor
                                                                                                    Ort“ jene Mechanismen zu entschlüs-
                                                                                                    seln, die den Reaktionen der Ökosys­
                                                                                                    teme auf Umweltveränderungen zu-
                                                                                                    grunde liegen.
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                                                                                         Auf den spitzen Felsnadeln thronen die
                                                                                Klöster von Meteora. Im Bild das Kloster Barlaam
                                                                                                aus dem 14. bis 17. Jahrhundert.
                                                                         Foto: Thomas Steppan; Cover: Thomas Steppan/Verlagsgruppe Schnell & Steiner

Himmlische Höhen
Kailash, Fujiyama, Olymp, Sinai, Athos oder Mont-Saint-Michel sind nur einige
jener Berge, die in den verschiedenen Religionen und Kulturen als heilig begriffen
werden. Die Mächtigkeit der Berge übt seit jeher eine große Faszination auf die
Menschen aus.

D
       er Sitz des Göttlichen auf ausge-     lichkeit und Unwirtlichkeit, ihrer gewalt-         gen, an denen Heiligtümer alles andere als
       wählten Bergen ist auch Gegenstand    mächtigen Natur und nicht zuletzt wegen            zufällig ihren Sitz nehmen, führt uns nicht
       der Forschung in unterschiedlichen    ihrer Monumentalität seit jeher als bedeu-         nur durch die europäische Kulturgeschichte,
wissenschaftlichen Disziplinen. Thomas       tungsvoll wahrgenommen. In der Mysti-              sondern in weite transkulturelle Bereiche,
Steppan, Leiter des Instituts für Kunstge-   fizierung und Mythenbildung haben Men-             die von der internationalen Wissenschaft-
schichte, und Monika Fink, Professorin am    schen versucht, sie in den verschiedenen           lergruppe von ur- und frühgeschichtlichen
Institut für Musikwissenschaft, haben sich   Kulturen zu begreifen“, erläutert Steppan.         Epochen bis in die Gegenwart reichend aus
im Forschungsschwerpunkt „Kulturelle Be-     Von der griechischen Antike über das Ju-           den Beobachtungen diverser Disziplinen der
gegnungen – Kulturelle Konflikte“ mit Kol-   dentum, das Christentum und den Islam bis          Geisteswissenschaften, der Theologie und
leginnen und Kollegen interdisziplinär mit   zum Buddhismus, um nur einige zu nen-              Religionswissenschaften und der Naturwis-
den „Heiligen Bergen“ beschäftigt. „Berge    nen, wird mit Bergen Göttliches verbunden.         senschaften beleuchtet werden“, so Steppan.
werden aufgrund ihrer markanten morpho-      „Das Spannungsfeld zwischen Bergen, die            So wird die Vorstellung der Heiligkeit von
logischen Beschaffenheit, ihrer Unzugäng-    selbst als heilig verehrt werden, und Ber-         Bergen in religiösen Texten und Ritualen
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sowie in Werken der bildenden Kunst, Musik
oder Literatur verarbeitet.
                                                                                                                Der in Westtibet gelegene
                                                                                                               Kailash wurde erst ab den
Klöster in Meteora                                                                                      80er-Jahren des 20. Jahrhunderts
                                                                                                                  musikalisch reflektiert.
   Bizarre Felsnadeln ragen im nordgrie-                                                                                     Foto: iStock/Adventclub
chischen Thessalien in den Himmel. Auf ih-
ren Spitzen thronen die berühmten Klöster
von Meteora, die den Experten für Kunst-
geschichte besonders faszinieren. Dass die
imposanten Bauwerke in dieser exponierten
Lage überhaupt errichtet werden konnten,
ist bis heute ein Rätsel. „Bereits im 10. Jahr-
hundert haben sich Einsiedler in diese Ein-
samkeit zurückgezogen, um in der Welt-
entsagung das Göttliche zu finden“, erläu-
tert der Wissenschaftler. „Der Topos ‚Mete-
ora‘, der Berge zwischen Himmel und Erde,
die über Jahrhunderte nur über Steigleitern
oder Aufzugnetze erreichbar waren, dient
als Metapher, dass die Klöster gleichsam
im Transzendenten schweben“, so Steppan.
Die Errichtung der Klöster geht zurück auf
byzantinische Vorläufer, wie sie am „Hei-         Fink, Professorin am Institut für Musik-           auch umrundet, also die sogenannte Kora
ligen Berg“ Athos im orthodoxen Mönchs-           wissenschaft. Sie hat die Werke „Higher            durchgeführt hat, ist auf der Grundlage ti-
tum gestaltet wurden. Im Laufe des 12. und        Ground“ des deutschen Komponisten An-              betischer Mönchsgesänge aufgebaut. Das
13. Jahrhunderts hat sich in den ausgesetz-       dreas Fischer aus dem Jahr 2019, „Kailash“         Kailash-Stück von Ramesh Shotham führt
ten Einsiedeleien eine Mönchsgemeinschaft         des indischen Musikers Ramesh Shotham              in die indische Musikkultur und somit auch
etabliert. Ab dem 14. Jahrhundert entstanden      aus dem Jahr 2004 sowie das 2014 entstan-          zur Bedeutung und Rezeption des Kailash im
auf und in den Felsen mächtige Klöster. Heu-      dene Werk „Circling Kailash“ des amerika-          Hinduismus. Um diese Inspiration klang-
te kennt man vor allem das große Metamor-         nischen Komponisten Terry Riley wissen-            lich umzusetzen, verwendet Shotham die in
phosis-Kloster, das der Verklärung Christi        schaftlich untersucht. Letztlich stellen sich      der südindischen Tradition gebräuchliche
am Berg Tabor geweiht ist. „Diese spielt im       bei den musikalischen Reflexionen eines            Rhythmussprache Konnakol. Auch das drit-
ostchristlichen Mönchstum eine zentra-            Berges dieselben Fragen wie bei einem Kom-         te Beispiel einer Kailash-Komposition weist
le Rolle. Die Lehre des Hesychasmus besagt,       ponieren nach Bildern, eines der Hauptfor-         Bezüge zur indischen Musikkultur auf. „In
dass mit einer bestimmten Gebetspraxis            schungsgebiete von Fink, nur dass das Bild         ‚Circling Kailash‘ für Orgel und Orchester
den Begnadeten die ekstatische Schau des          in diesem Fall ein reales ist, und im ande-        von Terry Riley erwachsen durch Überlage-
Göttlichen Lichtes der Verklärung vom Berg        ren Fall ein artifizielles, gemaltes. „Der reale   rungen und Verschiebungen der Phrasen po-
Tabor zuteilwird“, erläutert Steppan. Dieses      Berg, in diesem Fall der Kailash, kann eben-       lyphone und polyrhythmische Strukturen,
Streben nach Höherem wird von der außer-          so wie ein Bild nur auf einer metaphorischen       wie sie aus der hinduistischen Musiktra-
gewöhnlichen Lage der Klöster auf den Spit-       Ebene oder als Inspirationsquelle für ei-          dition bekannt sind“, verdeutlicht die Wis-
zen der Felsnadeln noch unterstrichen.            nen Komponisten von Belang sein oder als           senschaftlerin. Die kreisenden Wellenbewe-
                                                  ästhetisch essenziell zu betrachten sein“,         gungen und klanglichen Muster ergeben ein
Wie ein Berg erklingt                             verdeutlicht Fink. Die Kailash-Komposition         auditives Äquivalent zu einem Bild des um-
                                                  „Higher Ground“ von Andreas Fischer, der           rundenden Wanderns oder Pilgerns.
   Die Mystifizierung von Bergen spielt auch      auf seiner Reise nach Westtibet den Kailash                         daniela.feichtner@uibk.ac.at ◼
in der Musikgeschichte eine bedeutende
Rolle. Insbesondere im 19. Jahrhundert ha-
ben Berge als verbreitete Motive der Ro-

                                                    Buch: Heilige Berge – Berge und das Heilige
mantik zahlreiche Komponisten zu Vokal-
und Instrumentalwerken inspiriert. In der
Musik des 20. und 21. Jahrhunderts finden
sich Kompositionen, die auf konkrete hei-                                Im      Forschungs-         aus einer internationalen Tagung anläss-
lige Berge Bezug nehmen. Der wohl „hei-                               schwerpunkt „Kultu-            lich des 350-Jahr-Jubiläums der Universi-
ligste“ aller Berge, der in Westtibet gelegene                        relle Begegnungen –            tät Innsbruck im Jahr 2019 entstanden und
Kailash, wurde erst ab den 80er-Jahren des                            Kulturelle   Konflikte“        enthält Beiträge von Raymond Ammann,
20. Jahrhunderts musikalisch reflektiert. Der                         der Universität Inns-          Monika Fink, Ita Heinze-Greenberg, Lutz
Kailash bildet einen spirituell grundierten                           bruck sind die „Heili-         Maurer, Paul Naredi-Rainer, Markus Neu-
Bezugspunkt für Komponisten aus unter-                                gen Berge“ seit langem         wirth, Christian Quendler, Lutz Richter-
schiedlichen geografischen wie stilistischen                          ein     fächerübergrei-        Bernburg, Kurt Scharr,
Kontexten und unterschiedlichen ästhe-                                fendes Projekt. Moni-          August Schmidhofer,
tischen Grundausrichtungen. „In meinen                                ka Fink und Thomas             Roman A. Siebenrock,
Forschungen habe ich mich auf die Musik             Steppan sind die Herausgeber des neuen           Jayandra Soni, Luitgard
der unmittelbaren Gegenwart sowie auf die           Buches „Heilige Berge – Berge und das            Soni, Helmut Stampfer,
Zeit des beginnenden 21. Jahrhunderts kon-          Heilige“, das im Verlag Schnell & Steiner,       Thomas Steppan, Da-
zentriert und drei Werke untersucht, in wel-        Regensburg, erschienen ist. Der Band ist         niel Winkler.
chen die Komponisten ihre Ideen aus diesem
heiligen Berg bezogen haben“, so Monika
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Neue Einblicke in
Alzheimer
Der Innsbrucker Molekularbiologe Jerome Mertens                                                erhalten mit dieser Methode zwar Nerven-
                                                                                               zellen des jeweiligen Patienten, diese befin-
und sein Team benutzen neue Methoden, um die                                                   den sich allerdings im Baby-Stadium“, er-
                                                                                               klärt Jerome Mertens. „Wenn wir aber ver-
Entstehung von Alzheimer besser zu verstehen und                                               stehen wollen, was beim Altern überhaupt

mögliche Therapieansätze zu entwickeln.
                                                                                               passiert und wie eine Interaktion zwischen
                                                                                               Altern und altersbedingten Erkrankungen
                                                                                               aussehen könnte, brauchen wir diese Infor-
                                                                                               mationen.“

B
      ei der Alzheimer-Krankheit, bei der       tut für Molekularbiologie. Ein Grund dafür
      Gehirnzellen nach und nach abster-        ist, dass diese sporadische Form der Krank-    Neue Methode
      ben, gibt es mittlerweile zwei bekann-    heit aufgrund fehlender „Krankheits-Gene“
te Formen: die genetisch bedingte, vererb-      schwer im Labor zu untersuchen ist. „Es gibt      Gemeinsam mit seinem Team entwi-
bare Form und die sporadisch auftretende        aufgrund der fehlenden genetischen Mar-        ckelte der Molekularbiologe bereits vor eini-
Krankheit, für die es keine genetischen In-     ker keine genetischen Tiermodelle und auch     gen Jahren eine Methode, mit der im Labor
dikatoren gibt. „Die genetisch bedingte, ver-   die seit Anfang der 2000er-Jahre zur Verfü-    menschliche Hautzellen zu Nervenzellen
erbbare Form der Alzheimer-Krankheit ist        gung stehende iPS-Methode (siehe Box), mit     umprogrammiert werden können, die das
gut erforscht. Aufgrund des ähnlichen kli-      der es möglich ist, aus menschlichen Haut-     epigenetische Alter der Spender erhalten. Bei
nischen Bildes bei Erkrankten, die nicht über   zellen Nervenzellen herzustellen, erlaubte     diesem Modell der induzierten Nervenzellen
die entsprechenden Genmutationen verfü-         keine Hinweise auf Unterschiede“, so der       (iN) transferieren die Wissenschaftler*innen
gen, ging man lange davon aus, dass auch die    Molekularbiologe. Die iPS-Zellen waren ein     Gene mittels Vektoren oder messenger-RNA
ausschließlich im höheren Alter auftretende,    Durchbruch für die Stammzell-Forschung.        in die in einer Petrischale kultivierten Haut-
sporadische Form von Alzheimer gleichen         Bei dieser Methode gehen allerdings al-        zellen. „So bleiben anders als bei der iPS-
Prinzipien folgt“, erklärt Jerome Mertens,      le epigenetisch in den Zellen gespeicherten    Methode das Alter sowie alle anderen epi-
Arbeitsgruppenleiter am Innsbrucker Insti-      Informationen über das Alter verloren. „Wir    genetischen Informationen des Spenders

                                                                                               Ein Team um den Molekularbiologen
                                                                                                      Jerome Mertens will mithilfe
                                                                                                            neuer Methoden noch
                                                                                                    unbekannte Mechanismen von
                                                                                                            Alzheimer erforschen.
                                                                                                         Foto: LightFieldStudios/iStockphoto.com
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erhalten, was uns ganz neue Möglichkeiten
für unsere Forschungsfragen eröffnet“, er-
klärt der Molekularbiologe.

Ähnlichkeiten zu Krebs
   So fanden die Wissenschaftler*innen auf
Basis ihrer bioinformatischen Analysen bei-
spielsweise heraus, dass bei der Entstehung
von Alzheimer ähnliche Mechanismen am
Werk sind, wie sie auch bei der Entstehung
von Krebszellen in anderen Geweben auf-
treten. „Wir glauben, dass Effekte, die zur
                                                                                       Die Abbildung zeigt induzierte Neuronen von
Entstehung von Krebs führen, auch mit der
                                                                                                 Alzheimer-Patient*innen aus einer
Entstehung von Alzheimer zusammenhän-
                                                                                                 Immunfluoreszenz-Aufnahme. Die
gen“, so Mertens. Schädigungen an Zellen,
                                                                                        DNA-Schädigungen in diesen Nervenzellen
die zu Krebs führen können, passieren im
                                                                                                  sind durch grüne Punkte sichtbar.
menschlichen Körper täglich. Die Zellen sind
                                                                                                 Fotos: Jerome Mertens; Axel Springer/Target Group
allerdings so aufgebaut, dass sie sich – sehr
vereinfacht gesagt – in diesem Fall selbst
reparieren, erneuern oder vom Immunsy-
stem ausgeschalten werden. Nur wenn in
diesem Prozess etwas schiefgeht oder die        jüngten Spenderzellen der Alzheimer-Er-        nehmens CLENE mit, bei dem die Wirkung
Schädigungen überhandnehmen, entste-            krankten zeigten nahezu keine Hinweise auf     eines vielversprechenden Wirkstoffs – eine
hen Krebszellen. „Nervenzellen können sich      eine spätere Erkrankung. Wir sahen in den      bestimmte Form von Nano-Goldpartikeln –
aufgrund ihrer komplexen Verschaltungen         iPS-Nervenzellen keine Unterschiede zwi-       auch bei Alzheimer untersucht werden soll.
nicht regenerieren oder abschalten – wür-       schen den Zellen der Erkrankten und de-        „CLENE befindet sich mit diesem Wirkstoff
den sie das tun, würden wir uns an vieles       nen der Kontrollgruppe“, beschreibt Mer-       schon in der Phase 2 der klinischen Studien
nicht mehr erinnern“, verdeutlicht Mertens.     tens. „Welche altersbedingten Mechanismen      für den Einsatz bei der neurodegenerativen
„Deshalb ist diese Art der Zellen unglaub-      die Anzeichen von sporadischem Alzhei-         Erkrankung ALS. Als wissenschaftliche
lich gut dagegen gewappnet, zugrunde zu         mer auslösen, gilt es nun herauszufinden.“     Partner sollen wir nun in den von uns entwi-
gehen. Das heißt aber nicht, dass sie gegen     Die Analysen der Wissenschaftler*innen         ckelten Modellen überprüfen, ob der Wirk-
altersbedingte Schäden gewappnet sind,          zeigten in den kranken Nervenzellen auch       stoff auch bei anderen neurodegenerativen
sie gehen nur anders damit um.“ Da die Si-      eine deutliche Herunterregulierung von         Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson
gnalwege, die bei altersbedingten Schäden       reifen neuronalen Eigenschaften und eine       helfen könnte“, erklärt Mertens. Auch wenn
in Nervenzellen aktiviert werden, denen,        Hochregulierung von unreifen Signalwegen.      die Entwicklung eines wirksamen Medi-
die bei der Entstehung von Krebs in soma-       „Vor allem in der Gruppe der Signalwege, die   kaments gegen Alzheimer noch einige Zeit
tischen Zellen beteiligt sind, ähneln, gehen    bei den Erkrankten im Vergleich zur Kon-       dauern wird, ist der Molekularbiologe davon
die Wissenschaftler*innen davon aus, dass       trollgruppe hochreguliert waren, gab es eine   überzeugt, dass die neuen Methoden mit
hier Zusammenhänge bestehen.                    verblüffende Ähnlichkeit zu aus der Krebs-     dem Einsatz von iPS-Zellen und induzierten
   Diese Vermutung wurde auch in ei-            forschung bekannten Daten“, erklärt Jerome     Neuronen (iN) die Forschungsarbeit in diese
ner kürzlich veröffentlichten Studie der        Mertens. Aufbauend auf diesen Ergebnissen      Richtung stark vorantreiben werden.
Molekularbiolog*innen bestätigt. Dabei          wollen Mertens und sein Team nun versu-           susanne.e.roeck@uibk.ac.at ◼
untersuchten die Wissenschaftler*innen          chen, Erkenntnisse aus der Krebsforschung
Hautzellen von Alzheimer-Erkrankten und         zu nutzen und mit ihrer Hilfe neue und zum
verglichen diese mit einer Kontrollgruppe       Teil unerwartete Methoden zur Bekämpfung

                                                                                                 Induzierte pluripotente
gesunder Menschen ähnlichen Alters. Der         der Krankheit Alzheimer aufzeigen.
Vergleich der „alten Nervenzellen“ mit den         Inzwischen ist auch die Pharmaindus­
epigenetisch gelöschten, die mittels iPS-
Methode hergestellt wurden, zeigte zum
                                                trie auf die Expertise des Innsbrucker Mo-
                                                lekularbiologen aufmerksam geworden:
                                                                                                 Stammzellen
einen klar, dass diese Form von Alzheimer       Mertens und sein Team arbeiten bei einer            Diese Methode war ein Durchbruch
mit dem Alter zu tun haben muss. „Die ver-      Studie des amerikanischen Pharmaunter-           für die Stammzellenforschung. 2006
                                                                                                 gelang es dem Japaner Shin’ya Yama-
                                                                                                 naka durch künstliche Reprogrammie-
  ZUR PERSON                                                                                     rung aus somatischen Zellen, also Haut
                                                                                                 oder Blutzellen, jeder Person, pluripo-
                     Jerome Mertens (*1983 in Niedersachsen) ist seit 2017 Assistenz-            tente Stammzellen herzustellen. Die-
                     professor und leitet das Neural-Aging-Labor in der Abteilung für            se Zellen, die den Zellen am Anfang
                     Genomik, Stammzellbiologie und Regenerative Medizin am Insti-               der Entstehung eines Menschen in der
                     tut für Molekularbiologie der Universität Innsbruck. Er ist zudem           Blastozyste ähneln, sind pluripotent,
                     Adjunct Assistant Professor am Salk Institute for Biological Stu-           das heißt, sie können zu jedem Zell-
                     dies in San Diego, Kalifornien. 2012 promovierte er summa cum               typ im Körper umgewandelt werden.
                     laude mit der Arbeit „Human iPSC-derived neurons for modeling               Shin’ya Yamanaka wurde für die Ent-
                     Alzheimer’s Disease and Drug Validation“ in Molekularer Biomedi-            wicklung dieser Methode 2012 mit dem
  zin an der Universität Bonn, danach war er als Post-Doc am Salk Institute tätig. Seine         Nobelpreis für Physiologie oder Medi-
  Forschungsarbeit wurde unter anderem 2019 mit dem Starting Grant des Europä-                   zin ausgezeichnet.
  ischen Forschungsrats (ERC) ausgezeichnet.
Sensibles Ökosystem Berg - Universität Innsbruck
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                                                                                                       Offenheit bei Forschungsdaten
                                                                                                                 macht Wissenschaft
                                                                                                            transparenter und erlaubt
                                                                                                              neue Forschungsfragen.
                                                                                                                        Foto: iStock/Orbon Alija

Ein Trend zur Offenheit
In der Wissenschaft spielen Transparenz und Offenheit eine immer größere
Rolle. Um die Sozialwissenschaften dabei zu unterstützen, gibt es nun eine neue
Plattform zur Veröffentlichung von Forschungsdaten, der sich die Uni Innsbruck
kürzlich angeschlossen hat.

M
          it dem „Austrian Social Science          Plattformen. Wie ist es zu diesem Trend ge-   bahnbrechenden Erkenntnissen nicht so
          Data Archive“ (AUSSDA) gibt es           kommen?                                       einfach wiederholen, also replizieren las-
          erstmals eine österreichweite An-      Franz Eder: Das hat unterschiedliche Ursa-      sen, was auch zu einem Glaubwürdigkeits-
laufstelle für offene Forschungsdaten aus        chen. Einerseits werden Datenmengen im-         problem der Forschung führt – dazu kann
den Sozial- und Wirtschaftswissenschaf-          mer größer und komplexer, man kann sie          Felix Holzmeister mehr sagen, er forscht
ten. Die Universität Innsbruck hat sich der      einfach nicht mehr allein bearbeiten. Die       konkret dazu. Und ein weiterer Punkt ist,
Initiative kürzlich angeschlossen, im Inter-     Digitalisierung hat das verstärkt, wir spre-    dass öffentlich finanzierte Forschung auch
view sprechen Politikwissenschaftler Franz       chen von einer „Crisis of Largeness“. Immer     öffentlich zugänglich sein sollte und viele
Eder und Volkswirt Felix Holzmeister unter       mehr an Forschung erfolgt durch Zusam-          Fördergeber das inzwischen ausdrücklich
anderem über die Bedeutung offen zugäng-         menarbeit, man muss die Daten, die man er-      vorgeben. Es braucht also auch von der Seite
licher Daten aus der Wissenschaft.               hebt, auch allein deshalb teilen und braucht    Plattformen dafür.
   wissenswert: Datenbanken wie AUSSDA ma-       Plattformen dazu. Ein weiteres Problem ist        Franz Eder hat die Reproduktionskrise ange-
   chen Forschungsdaten öffentlich zugänglich,   das der Replikationskrisen: Es hat sich he-       sprochen, wie wirkt sich das konkret aus?
   inzwischen gibt es immer mehr derartiger      rausgestellt, dass sich eine ganze Reihe von    Felix Holzmeister: Die Reproduzierbarkeit
11

von wissenschaftlichen Ergebnissen ist für          Abrüstung seit den 1960er-Jahren vor. Die-        mit übrigens eine Lücke bei AUSSDA. Unse-
die Verlässlichkeit und Vertrauenswürdig-           se Dokumente liegen teilweise in Archiven,        re Expertise sind Experimentaldaten und
keit von Forschung zentral. In meiner For-          teilweise schlecht digitalisiert auf irgend-      Textdaten, damit hat sich im AUSSDA-Netz-
schungsgruppe beschäftigen wir uns unter            welchen Websites, aber bisher nirgends ge-        werk noch niemand auseinandergesetzt.
anderem mit der Reproduzierbarkeit von Er-          bündelt. Der fertige Textkorpus erlaubt dann         Zuletzt wurde im medizinischen Bereich der
gebnissen aus verhaltensökonomischen Ex-            weitere Analysen und steht als Datensatz             vermeintliche Widerspruch zwischen offenen
perimenten. Dabei werden Experimente von            völlig frei zur Verfügung, das ist ein weiterer      Daten und Datenschutz breiter diskutiert, vor
null weg neu aufgerollt und in der gleichen         zentraler Punkt – andere Forscher*innen              allem in Zusammenhang mit Pandemiedaten.
Form noch einmal durchgeführt. Was sich             können damit weiterarbeiten und Fragen er-           Ist das in den Sozialwissenschaften Thema?
zeigt, ist, dass viele wissenschaftliche Er-        forschen, an die wir noch gar nicht denken.       Franz Eder: Datenschutz ist absolut ein
gebnisse nicht oder nur bedingt replizierbar        Felix Holzmeister: Mittelfristig wollen wir       Thema. Es gibt die klassischen drei Ausnah-
sind, und uns interessiert dann natürlich,          AUSSDA auch um verhaltensökonomische              men, unter denen Daten nicht veröffentlicht
warum das so ist. Die Gründe sind vielfäl-          Experiment-Daten, die über einen län-             werden dürfen: Geschäftsinteressen, Inte-
tig: Das reicht von grundlegenden statisti-         geren Zeitraum erhoben werden, erweitern.         ressen nationaler Sicherheit etwa im Be-
schen Eigenschaften und unklaren, syste-            Längsschnittsstudien zu ökonomischem              reich der Sicherheitsforschung, und natür-
matisch verzerrten Methoden über einfache           Verhalten sind sehr aufwändig und über-           lich private Daten von Befragten. Da kommt
menschliche Fehler – jemand vertauscht              steigen schnell die Kapazitäten für ein ein-      aber auch ein großer Vorteil von AUSSDA ins
in der Analyse eine Variable, es steckt aber        zelnes Forschungspapier. Derartige Studien        Spiel, den vergleichbare Plattformen nicht
keine Absicht dahinter – bis hin zu Extrem-         können aber auf größerer Ebene funktionie-        bieten: AUSSDA überprüft die Einhaltung
fällen, wo „Forscher“ selbst massenhaft             ren und wichtige Erkenntnisse liefern. Die        unter anderem dieser Richtlinien, aber auch
Daten am Computer fabriziert, ausgewertet           Datensätze können auf AUSSDA kontinuier-          zum Beispiel die Einhaltung von Copyright-
und publiziert haben. Wenn Daten und Aus-           lich erweitert werden.                            Regeln.
wertungsskripts offen zugänglich und ver-           Franz Eder: Die Uni Innsbruck schließt da-                        stefan.hohenwarter@uibk.ac.at ◼
fügbar sind, ist es natürlich leichter, derar-
tige Ursachen von nicht replizierbaren oder
nicht reliablen Ergebnissen aufzudecken
und nachzuvollziehen. Deshalb ist die Open-
                                                        Offenheit ist auch in der
Science-Bewegung ein zentraler Bestand-
                                                        Wissenschaft auf dem Vormarsch.
teil, um die Glaubwürdigkeit von und das
                                                        Foto: iStock/anyaberkut
Vertrauen in wissenschaftliche Forschung
zu stärken.
  Das Bild der Wissenschaft in der Öffentlichkeit
  war auch lange vom Klischee des genialen
  Einzelkämpfers geprägt, der alle paar Jahre
  mit einer Entdeckung aus seinem Kämmer-
  chen kommt.
Franz Eder: Das stimmt, und auch das hat
sich in den vergangenen zehn, fünfzehn Jah-
ren enorm geändert. Meine ersten Publikati-
onen vor fünfzehn Jahren haben noch so aus-
gesehen, dass ich, salopp gesagt, ein paar Bü-
cher gelesen und Primärquellen angesehen,
mir Gedanken dazu gemacht und am Ende
selbst ein Buch oder einen Aufsatz zum The-
ma geschrieben habe. Mittlerweile bearbei-
ten wir große Textdatensätze mit dem Com-
puter, und das gemeinsam in Teams, weil
jede*r eigene Fähigkeiten mit- und einbringt.

                                                      Das „Austrian Social Science
Der Trend geht eindeutig mehr in Richtung
Open Science und Zusammenarbeit.
  Welche Daten auf AUSSDA kommen von der              Data Archive“ (AUSSDA)
  Uni Innsbruck?
Franz Eder: Momentan stehen wir mit un-                  AUSSDA ist eine Dateninfrastruktur für
serer Beteiligung noch am Anfang. AUSSDA              die sozialwissenschaftliche Community in
ist auch lange nicht der einzige Kanal für            Österreich und bietet eine Vielzahl an for-
die Datenablage, wir werden es aber in Zu-            schungsunterstützenden Services an, ins-
kunft viel mehr bespielen. Eine Kollegin ar-          besondere Datenarchivierung und Hilfe bei
beitet gerade an einem Projekt mit, wo sie            Datennachnutzung. AUSSDA macht sozi-
sich ansieht, inwiefern sich die europäische          alwissenschaftliche Daten zugänglich und            Foto: Andreas Friedle     Foto: Tobias Haller
Rechtsprechung auf nationale Rechtspre-               für Wissenschaft und Gesellschaft nutz-
chungen auswirkt. Sie sammelt dabei große             bar und ist mit vergleichbaren Einrich-         im Leitungsgremium von AUSSDA vertre-
Datensätze von Verfassungsgerichtshöfen               tungen in Europa vernetzt. In Wien, Linz,       ten. Im Herbst ist eine öffentliche Veran-
der EU-Mitgliedsländer und gleicht diese              Graz und Innsbruck gibt es persönliche          staltung geplant, um AUSSDA vor allem
Textquellen mittels quantitativer Textana-            Ansprechpartner*innen, von Seiten der           auch unter Wissenschaftler*innen be-
lyse mit der europäischen Rechtsprechung              Universität Innsbruck sind Franz Eder (Bild     kannter zu machen. Informationen unter:
ab. Ein weiteres Projekt, das aber noch in            links) und Felix Holzmeister (Bild rechts)      www.aussda.at
Planung ist, sieht die Digitalisierung der ge-
samten Vertragsgeschichte der nuklearen
12

Alle Informationen
zum Studienstart
Rund 28.000 Studierende besuchen derzeit                                                  renden, jene der Absolvent*innen und der
                                                                                          Studienanfänger*innen konnten gesteigert
Lehrveranstaltungen aus dem breiten                                                       werden. „Auch wenn die Lage schwierig war,
                                                                                          ist es uns relativ gut gelungen, durch diese
Angebot der 16 Fakultäten der Universität                                                 Pandemie zu kommen. Seit Mitte April gibt

Innsbruck. Im Wintersemester 2021/2022 stehen
                                                                                          es für Lehrende und Studierende wieder die
                                                                                          Möglichkeit, zusätzliche Lehrveranstal-

Studieninteressierten in Innsbruck wieder alle                                            tungen hybrid – also sowohl vor Ort als auch
                                                                                          online – abzuhalten und zu besuchen. Ein

Möglichkeiten offen.                                                                      umfassendes Sicherheitskonzept sowie auch
                                                                                          die Möglichkeit für kostenlose Corona-Tests
                                                                                          an den Uni-Standorten haben das möglich

I
    m Corona-Jahr 2020 konnte die Univer-     zeit studieren über 28.000 Menschen eines   gemacht. Derzeit bereiten wir uns auf das
    sität Innsbruck entgegen allen Trends     der über 180 angebotenen Fächer. Auch       Wintersemester ab Oktober vor, in dem wir
    ihre Studierendenzahlen steigern – der-   die Zahlen der prüfungsaktiven Studie-      je nach Entwicklung der Lage wieder ver-
13

stärkt auf Präsenzlehre setzen wollen“, er-          sowie für das Diplomstudium Internationale        das neue Erweiterungsstudium Entrepre-
klärt Rektor Tilmann Märk.                           Wirtschaftswissenschaften weiterhin aus-          neurship an der Fakultät für Betriebswirt-
                                                     gesetzt. Für das Bachelor- und Masterstudi-       schaft. Dieses liefert Absolvent*innen nicht
Über 180 Möglichkeiten                               um Psychologie können sich Studieninteres-        nur Wissen für das Gründen eines eigenen
                                                     sierte noch bis zum 15. Juli 2021 registrieren    Start-ups, es ermöglicht ihnen auch, die di-
   Ob online oder in Präsenz, auch im kom-           und im Anschluss ein schriftliches Aufnah-        gitale Transformation etablierter Unterneh-
menden Studienjahr gilt an der Uni Inns-             meverfahren durchlaufen. Für das Lehr-            men oder die Entwicklung und Einführung
bruck: Wer studieren will, soll auch einen           amtsstudium (in allen Unterrichtsfächern)         von innovativen Produktneuentwicklungen
Platz bekommen; bis auf die gesetzlich vor-          mussten sich Studieninteressierte aufgrund        in Unternehmen zu begleiten.
geschriebenen Ausnahmen gibt es keine Zu-            der gesetzlichen Bestimmungen ebenfalls
gangsbeschränkungen. „Wir sahen uns be-              vorzeitig registrieren und einen schrift-         Software für die Zukunft
reits im Studienjahr 2019/2020 im Zuge der           liche Aufnahmetest absolvieren – ab 1. Juli
Einführung der Studienplatzfinanzierung              ist die Anmeldung zu einem Nebentermin               Aufbauend auf die bereits bisher sehr er-
vor die Frage gestellt: Wie bekommen wir die         noch möglich. Für alle anderen Studien gilt       folgreichen Angebote im Bereich der Infor-
‚richtigen‘ Studierenden in die für sie ‚rich-       für künftige Studierende lediglich die ver-       matik startet an der Fakultät für Mathe-
tigen‘ Studien und wie begeistern wir sie            pflichtende Online-Bewerbung, die grund-          matik, Informatik und Physik ab Herbst das
und sie sich für ihr Studium? Unser Ansatz           sätzlich während des ganzen Jahres möglich        neue Masterstudium „Software Enginee-
war: Wir wollen allen Menschen eine Chan-            ist. Dabei werden neben den persönlichen          ring“ für Absolvent*innen fachverwandter
ce bieten. Deshalb stellen wir ihnen keine           Daten auch alle benötigten Dokumente (Rei-        Bachelorstudien. Software Engineering ist
unnötigen Hürden in den Weg“, betont der             feprüfungszeugnis oder Bachelorabschluss-         die Disziplin, die sich dem Aufbau zuver-
Vizerektor für Lehre und Studierende, Bern-          dokumente, Reisedokument, gegebenenfalls          lässiger Software-Systeme im industriel-
hard Fügenschuh. Dieser Weg soll nun auch            auch ein Deutschnachweis) und ein Passfoto        len Maßstab widmet. Studierende können
im kommenden Studienjahr 2021/2022 fort-             über LFU:online (https://lfuonline.uibk.ac.at/)   in diesem Studium ihre Kenntnisse und Fä-
geführt werden und so bleiben die Aufnah-            hochgeladen. Die eigentliche Zulassung, bei       higkeiten in der Analyse, Implementierung
meverfahren vor Zulassung für die Bache-             der man dann die Student Card, Studieren-         und dem Betrieb von Softwaresystemen und
lorstudien Architektur, Biologie, Informatik,        dene-Mailadresse und Zugangsdaten erhält,         -infrastrukturen der nächsten Generation
Pharmazie und Wirtschaftswissenschaften              ist für das Wintersemester 2021/2022 bis          erweitern.
                                                     einschließlich 5. September 2021 möglich.
                                                                                                       Marketing, Management, Innovation
                                                     Sportwissenschaftliche Studien
                                                                                                          Die Fakultät für Betriebswirtschaft führt
                                                        Studieninteressierte, die ein sportwis-        im Herbst gleich zwei neue Masterstudien
                                                     senschaftliches Studium wie das Bache-            ein. Das neue englischsprachige Master-
                                                     lorstudium Sportwissenschaft, das Ba-             studium „Marketing and Branding“ bietet
                                                     chelorstudium Sportmanagement oder das            eine wissenschaftlich fundierte Ausbildung
                                                     Lehramtsstudium Bewegung und Sport in             im Bereich Marketing, Markenführung und
                                                     Erwägung ziehen, müssen wie bisher am In-         Data Analytics, das zum Ziel hat, zusätz-
                                                     stitut für Sportwissenschaften eine Ergän-        lich Kompetenzen im Bereich Digitalisie-
                                                     zungsprüfung über ihre motorisch-körper-          rung, Nachhaltigkeit und Zukunftsorientie-
                                                     liche Eignung absolvieren. Die Anmeldung          rung zu entwickeln. Im zweiten, ebenfalls
                                                     zu dieser Ergänzungsprüfung ist vom 1. bis        englischsprachigen neuen Masterstudium
                                                     zum 31. Juli möglich. Weitere Informationen       „Strategic Management and Innovation“
                                                     dazu finden Sie hier: www.uibk.ac.at/isw          werden Studierende auf die Herausforde-
                                                                                                       rungen erfolgreicher Unternehmensführung
                                                     Wachsendes Angebot                                in Zeiten des kontinuierlichen Wandels vor-
                                                                                                       bereitet. Mit den Schwerpunkten Strategie,
                                                        Insgesamt über 180 Aus- und Weiterbil-         Innovation und Entrepreneurship vermittelt
                                                     dungsangebote stehen Studieninteressier-          das Programm Wissen und Fähigkeiten zur
                                                     ten an der Uni Innsbruck zur Verfügung.           Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, zur
                                                     Dieses Angebot wird laufend erweitert, um         erfolgreichen Gründung von Unternehmen
                                                     auch auf aktuelle Anforderungen der Gesell-       und zum Management der digitalen Trans-
                                                     schaft zu reagieren. Im Herbst 2021 starten       formation.
                                                     mit Software Engineering, Marketing und
                                                     Branding sowie Strategisches Management           Ethik unterrichten
                                                     und Innovation gleich drei neue Masterstu-
                                                     dien. Zudem erhält das Masterstudium Erd-            Schüler*innen in der AHS-Oberstufe und
                                                     wissenschaften ein neues Curriculum, das          in BMHS, die keinen Religionsunterricht
                                                     zu großen Teilen individualisierbar ist. Das      besuchen, bekommen ab dem kommen-
                                                     breite Fächerangebot im Lehramtsstudium,          den Schuljahr Ethikunterricht. Nicht zuletzt
                                                     das gemeinsam mit dem Verbund LehrerIn-           aufgrund dieser Änderung in den Lehrplä-
                                                     nenbildung – WEST angebotenen wird, wird          nen können Lehramtsstudierende im kom-
                                                     um das Unterrichtsfach Ethik erweitert. Seit      menden Wintersemester
        Im Wintersemester 2021/2022
                                                     kurzem bietet die Universität Innsbruck           neu das Unterrichtsfach
        stehen Studieninteressierten
                                                     auch zweisemestrige Erweiterungsstudien           Ethik belegen.
            in Innsbruck wieder alle
                                                     an, die Absolvent*innen von und Studieren-           Alle Infos finden Sie un-
                 Möglichkeiten offen.
                                                     den in Masterstudiengängen offenstehen.           ter www.uibk.ac.at/studium.
                Foto: Birgit Pichler/Uni Innsbruck
                                                     Das Angebot wird stetig ausgebaut, nach der                   susanne.e.roeck
                                                     Erweiterung Informatik beginnt im Herbst                         @uibk.ac.at ◼
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                                                                                  Wie wird man Top-Profiradfahrer? Diese Frage ist
                                                                                             Teil eines einzigartigen Projektes im
                                                                                            Rennrad-Nachwuchsbereich, bei dem
                                                                                 junge Rennradfahrer des Tirol KTM Cycling Teams
                                                                                           von Wissenschaftlern begleitet werden.
                                                                                                                 Fotos: Tirol KTM Cycling Team

Auf dem Weg
an die Spitze
Kommenden Samstag startet bereits zum 108. Mal das bekannteste Radrennen
der Welt – die Tour de France. Einmal daran teilzunehmen, davon träumen auch
die jungen Nachwuchs-Rennradfahrer des Tirol KTM Cycling Teams. Um sie ihrem
Traum ein Stück näher zu bringen, werden sie seit einigen Monaten von einem
Team an Wissenschaftlern begleitet, das vom Innsbrucker Sportwissenschaftler
Justin Lawley geleitet wird.

W
          as unterscheidet einen jungen          Thomas Pupp wissenschaftlich begleitet.       tungsdiagnostiker des jungen Tirol KTM Cy-
          Rennradfahrer von einem Top-           Dafür hat sich Lawley zahlreiche Exper-       cling Teams, Peter Leo. Letzterer hat erst im
          Profiradfahrer wie jenen, die am       ten in sein Team geholt: den japanischen      Frühjahr dieses Jahres einen Artikel im In-
kommenden Samstag bei der Tour de France         Kardiologen Kyohei Matume, Teamarzt Dr.       ternational Journal of Sports Physiology and
an den Start gehen? Diese Frage ist Teil eines   Werner Tiefenthaler sowie die drei jungen     Performance veröffentlicht, in dem er einen
einzigartigen Projektes im Rennrad-Nach-         Sportwissenschaftler Matthias Hovorka von     entscheidenden Erfolgsfaktor von Rennrad-
wuchsbereich, bei dem Justin Lawley, Pro-        der Uni Wien, Dean Perkins, der bereits mit   profis identifizieren konnte: die Toleranz
fessor am Institut für Sportwissenschaft, in     dem britischen Tour-de-France- und Tour-      gegenüber Ermüdung. „Sowohl die Profis
den kommenden drei Jahren Rennradfahrer          of-the-Alps-Sieger Geraint Thomas gear-       als auch die U23-Athleten sind extrem lei-
aus dem U23 Tirol KTM Cycling Team von           beitet hat, und den PhD-Studenten und Leis-   stungsstark. Der größte Unterschied ist also
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nicht die reine Leistungsfähigkeit, sondern     systeme und -abläufe, die die Aufnahme,         det. Sobald dieses Plateau erreicht ist, dauert
die Toleranz gegenüber Ermüdungserschei-        den Transport und die Verteilung von Sau-       es nicht mehr lange bis zur totalen Erschöp-
nungen. Profis sind in der Lage, ihre Lei-      erstoff im Körper beeinflussen. Denn nicht      fung und der Test wird beendet. „Unsere
stung im Rennen auch nach sehr langer Zeit      alles vom eingeatmeten Sauerstoff landet        Athleten, männlich und zwischen 18 und
noch zu steigern, beispielsweise dann, wenn     letztendlich in den Mitochondrien, die für      22 Jahre alt, erreichen im Schnitt einen
es um den Sieg geht“, erklärt Peter Leo. Das    die Energiebereitstellung in der Muskulatur     VO2max-Wert von etwa 5,3 l/min oder 75,7
Ziel der jungen Athleten ist es also, diese     maßgeblich verantwortlich sind“, erklärt        ml/kg/min. Zur Orientierung: Bei gleich-
letzten Prozent ebenfalls abrufen zu kön-       Sportwissenschaftler Lawley. Den Weg des        altrigen, durchschnittlich trainierten liegt
nen, wenn es darauf ankommt. Dabei soll sie     Sauerstoffs von der Einatmung über das Blut     der Wert etwa bei 50-60 ml/kg/min. Studi-
das Projekt um das Team von Justin Lawley       bis hin zur Muskulatur beschreibt die Sau-      en zeigen, dass die maximale Sauerstoffauf-
unterstützen.                                   erstoffkinetik: Nach dem Einatmen werden        nahme mit der Lebenserwartung korreliert.
                                                die Sauerstoffmoleküle in der Lunge an das      Der Wert ist also nicht nur für Leistungs-
Leistung                                        Blut, genauer genommen an das Hämoglo-          sportler interessant, sondern insgesamt ein
                                                bin, gebunden, bevor sie durch das Pum-         Prädikator für die Lebenserwartung“, sagt
   Als Indikator für die körperliche Verfas-    pen des Herzens über das Arteriensystem         Justin Lawley. Neben der Sauerstoffversor-
sung von Leistungssportlern dient das so-       zu den Muskeln gelangen. Doch gerade bei        gung im Blut untersuchen die Wissenschaft-
genannte „power profile“. Dieses Leistungs-     Top-Athleten kann es bei diesem Prozess         ler auch das Herz der Nachwuchs-Radsport-
profil zeigt, wie lange ein Sportler eine       in Phasen höchster Belastung zu Problemen       ler. Über einen Herzultraschall können sie
gewisse Leistung über eine bestimmte Zeit-      kommen, weiß Lawley: „Viele Leistungs-          feststellen, ob sich der Muskel über die ver-
dauer, im Falle der Radsportler gemessen in     sportler haben ein größeres Herz als nor-       schiedenen Phasen beispielsweise in Größe
Watt, erbringen kann. „Da wir die Athleten      mal trainierte oder untrainierte Menschen.      oder Funktion verändert.
in unserem Projekt über mehrere Monate          Bei sehr hohen Belastungen kann es des-
hinweg begleiten, interessiert uns vor allem,   halb dazu kommen, dass die Diffusionszeit       Auch andere Faktoren entscheidend
wie sich das Leistungsprofil im Laufe einer     in der Lunge von Sauerstoffmolekülen an
Saison verändert und ob und wie sich der        die Hämoglobinmoleküle absinkt und somit           Am Ende jeder der drei Testreihen set-
Körper an die verschiedenen Trainingspha-       die Sauerstoffversorgung in die Muskulatur      zen die Wissenschaftler die Werte in Bezie-
sen anpasst“, erklärt Justin Lawley. Das Jahr   leicht einbricht. Das Herz pumpt dann näm-      hung zum Leistungsprofil der Athleten, um
der jungen Radsportler setzt sich, wie auch     lich so schnell, dass für die Sauerstoffmole-   zu sehen, ob eine Veränderung auch Aus-
bei den Profis, aus drei Phasen zusammen:       küle in der Lunge keine Zeit mehr bleibt, ins   wirkungen auf die Leistungsfähigkeit der
Nach intensivem Training über die Winter-       Blut überzugehen.“ Wie viel Sauerstoff der      jungen Sportler hat. „Auch wenn das sehr
monate folgen ab März die Rennen, bevor die     Körper bei höchster Belastung maximal pro       schwer vorherzusagen ist, wollen wir die
Athleten in der Nebensaison im Hochsom-         Minute verwerten kann, das untersuchen          Parameter herausfinden, die zu einer ver-
mer für eine gewisse Zeit weniger intensiv      die Wissenschaftler mit der sogenannten         besserten Leistungsfähigkeit führen. Uns
trainieren. Insgesamt dreimal werden die        VO2max-Messung. Dabei sitzen die Nach-          ist dabei sehr wohl bewusst, dass wir in un-
Sportler während des gesamten Jahres den        wuchssportler auf einem Ergometer und           serem Projekt lediglich körperliche Merk-
Leistungstests unterzogen. Der Fokus liegt      tragen eine Maske, die misst, wie viel Liter    male untersuchen und sich auch weitere
dabei neben der Leistungsentwicklung auch       Sauerstoff in einer Minute aus der Umge-        Faktoren, wie beispielsweise die Renntaktik,
auf der Herzgesundheit, die eine entschei-      bungsluft aufgenommen werden kann und           Stress oder andere psychische Faktoren auf
dende Rolle beim Sauerstofftransport in die     für die Energiebereitstellung in der Mus-       die Leistungsfähigkeit auswirken können“,
Muskeln spielt.                                 kulatur genutzt wird. Dabei wird die Bela-      sagt Lawley. Projektstart war coronabedingt
                                                stungsintensität ständig erhöht, der Körper     mit einigen Monaten Verzögerung im März
Herzgesundheit                                  braucht mehr und mehr Sauerstoff – bis zu       dieses Jahres, das Projekt läuft insgesamt
                                                einem Punkt, an dem die Sauerstoffaufnah-       drei Jahre.
  „Im Körper gibt es verschiedene Organ-        me nicht weiter ansteigt und ein Plateau bil-                        lisa.marchl@uibk.ac.at ◼

    Insgesamt dreimal werden die jungen Rennradfahrer
    im Laufe des Jahres Leistungstests unterzogen. Der
    Fokus liegt dabei auf der Leistungsentwicklung und
    der Herzgesundheit.
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                                                                                                   Um die Wirkung von Katzenminze
                                                                                                    auf Katzen zu untersuchen, muss
                                                                                               zunächst die Frage geklärt werden, ob
                                                                                                die Tiere mit der Zeit resistent gegen
                                                                                                 den Effekt der Pflanze werden. Dabei
                                                                                                        können Katzenbesitzer*innen
                                                                                                               nun im Rahmen eines
                                                                                                 Citizen-Science-Projekts mitwirken.
                                                                                                                        Foto: iStock/Ewa Saks

Katzen machen
Wissenschaft
Rund 16 Prozent der österreichischen Haushalte besitzen eine Katze. Damit zählen
die Vierbeiner zu den beliebtesten Haustieren Österreichs. Der Masterstudent Elias
Hekh und der Professor für Zoologie, Thorsten Schwerte, machen Katzen nun auch
zum Mittelpunkt eines Forschungsprojektes – wer eine Katze als Haustier hat, ist
eingeladen, daran teilzunehmen.

S
      ogenannter Cat Content, übersetzt so      gelrechten Rauschzustand verfallen und          talacton, der das lustig anzusehende Ver-
      viel wie Inhalte über Katzen, ist schon   diesen offensichtlich genießen. Obwohl man      halten bei den Katzen auslöst. Dieser Effekt
      seit langem ein beliebtes Internetphä-    bei der Suche nach Erklärungen für dieses       ist bereits seit Jahrzehnten bekannt. For-
nomen. Gerade auf diversen Social-Media-        seltsame Verhalten häufig liest, dass durch     schende weltweit versuchen nun, auch die
Plattformen findet man unzählige Bilder         die Katzenminze Sexualhormone imitiert          dahinter liegenden Mechanismen zu ent-
und Videos der Vierbeiner. Wer sich beim        werden und die Katzen dadurch ein Balz-         schlüsseln – so auch wir“, erklärt Thorsten
Ansehen dieses Cat Contents schon ein-          verhalten zeigen, konnte diese These bis-       Schwerte. Er und sein Masterstudent Eli-
mal in einem Rabbit Hole beispielsweise auf     lang nicht bestätigt werden. Aktuell gehen      as Hekh haben folgende Vermutung, die sie
YouTube verloren hat, also ein Katzenvideo      Forschende davon aus, dass der Effekt der       nun mit ihrem Forschungsprojekt bestätigen
nach dem anderen angesehen hat, der ist         Katzenminze als Belohnung für den Selbst-       wollen: Beim Kontakt mit der Katzenminze
früher oder später vermutlich auch auf die      schutz der Katzen gegen Insekten wie bei-       laufen verschiedene Reaktionen im Gehirn
Katzenminze und das lustige Verhalten, das      spielsweise Moskitos wirkt. Denn es hat sich    der Katze ab, die aber nicht direkt von dem
die Pflanze bei den Tieren auslöst, gestoßen.   bereits bestätigt, dass Katzenminze wie ein     pflanzlichen Stoff der Katzenminze aus-
Dabei ist häufig zu sehen, dass Katzen durch    Insektenabwehrmittel funktioniert. „Es ist      gelöst werden, sondern indirekt über den
den Kontakt mit Katzenminze in einen re-        der pflanzliche Duftstoff Terpenoid Nepe-       Riech­eindruck. Dieser stimuliert die Opioid­
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