Jahres- und Wirkungsbericht 2017 - der Bundesvereinigung Lebenshilfe mit Leichter Sprache - Bundesvereinigung ...
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Inhalt Das ist die Lebenshilfe 1 Unsere Ziele – unsere Wirksamkeit* 2 Wichtige Ereignisse im Jahr 2017 8 So wirkt die Lebenshilfe in die Gesellschaft 10 –19 Teilhabe statt Ausgrenzung 10 Die Lebenshilfe im Wahlkampf 12 Kinder- und Jugendhilfe muss inklusiv werden 14 Netz für erwachsene Geschwister wird stetig größer 18 Lebenshilfe fördert Bewusstseinswandel 20 Aktuelle Informationen und Angebote 24 So ist die Lebenshilfe aufgebaut 26 Dank an die Unterstützer der Lebenshilfe 32 Finanz-Bericht der Bundesvereinigung Lebenshilfe** 34 Impressum – diese Menschen haben den Jahres-Bericht gemacht52 Foto auf der Titelseite: Der Berliner Schauspieler Sebastian Urbanski spricht am 27. Januar 2017 als erster Mensch mit Down-Syndrom im Deutschen Bundestag. Foto: Deutscher Bundestag/Achim Melde Auch Menschen mit geistiger Behinderung sollen den Bericht verstehen können. Deshalb wurden die Texte in Leichte Sprache übertragen. *Der Jahres- und Wirkungsbericht orientiert sich am Social Reporting Standard (SRS). ** Mehr zum Finanz-Bericht und Jahres-Abschluss 2016/2017 finden Sie auf www.lebenshilfe.de in der Rubrik Über uns. Jahres- und Wirkungsbericht 2017
Das ist die Lebenshilfe Die Lebenshilfe hat bundesweit mehr als 125.000 Mitglieder, 16 Landesverbände und 502 örtliche Vereinigungen. Der Bundesvorstand besteht aus: 2 Menschen mit Behinderung, 8 Müttern und Vätern von Kindern und Erwachsenen mit geistiger Behinderung sowie 3 Fachleuten. Die Lebenshilfe unterstützt etwa 170.000 Menschen mit geistiger Behinderung und ihre Familien. Damit profitieren über 1 Million Menschen direkt oder indirekt von unserer Hilfe. In 60 Jahren hat die Lebenshilfe vor Ort rund 4.310 Einrichtungen, Dienste und Angebote aufgebaut – darunter 1.341 Wohnstätten und ambulant betreute Wohnungen, 724 Werkstätten und Zweigwerkstätten, 412 Familienentlastende Dienste, 347 Frühförderstellen, 634 Krippen und Kindergärten, 151 Schulen und Tagesförderstätten, 339 Beratungsstellen sowie 359 Sport- und Freizeitgruppen. Mehr als 300.000 Förderer unterstützen uns mit ihrer Spende. Stand: April 2018 Jahres- und Wirkungsbericht 2017 1
Unsere Ziele – unsere Wirksamkeit Unser Traum von der Zukunft Inklusion und Teilhabe für alle! Unser Auftrag • Wir sichern Menschen-Rechte. • Wir verwirklichen Teilhabe und Selbstbestimmung. • Wir gestalten eine Gesellschaft für alle. Unsere Grundlage • Wir sind stark durch unsere Mitglieder. • Wir gehen mit gutem Beispiel voran. • Wir handeln nach unserem Grundsatzprogramm. Was wir tun • Wir begleiten und unterstützen Menschen mit Behinderung und ihre Familien in allen Lebenslagen. • Wir treten für gute Gesetze ein. • Wir fördern die Selbsthilfe und Selbstvertretung von Menschen mit Behinderung. • Wir setzen uns für Leichte Sprache ein. • Wir verbessern das Bild von Menschen mit Behinderung in der Öffentlichkeit. Was wir bewirken • Wir ermöglichen Teilhabe und Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderung und ihre Familie. • Wir setzen bessere Gesetze durch. • Wir stärken das Selbstbewusstsein von Menschen mit Behinderung. • Wir machen die Welt für alle verständlicher. • Wir schaffen eine Gesellschaft, die Menschen mit Behinderung als gleichberechtigt anerkennt. Wen wir brauchen • Menschen mit Behinderung, die als Selbstvertreterinnen und Selbstvertreter ihre Rechte eigenständig einfordern und für andere sprechen können. • Eltern und Angehörige, die im Verein Lebenshilfe mitmachen und für die Interessen behinderter Menschen eintreten. • Mitarbeitende, die gut ausgebildet sind und respektvoll Menschen mit Behinderung begleiten und fördern. • Fachleute, die neue Ideen für eine inklusive Gesellschaft entwickeln. • Politikerinnen und Politiker, die sich für die uneingeschränkte Teilhabe behinderter Menschen einsetzen und entsprechende Gesetze verabschieden. • Bürgerinnen und Bürger, die als Mitglied der Lebenshilfe, mit ehrenamtlichem Einsatz oder mit Spenden unsere Arbeit für Menschen mit Behinderung unterstützen. 2 Jahres- und Wirkungsbericht 2017
Unsere Ziele – unsere Wirksamkeit Beim Bundesteilhabegesetz müssen wir am Ball bleiben „Die Lebenshilfe ist eine starke Interessen- vertretung in Berlin. Das spiegelt sich auch im Koalitionsvertrag der neuen Bundesre- gierung wider. Er ist eine wichtige Grund- lage für eine gute Politik für Menschen mit Behinderung und ihre Familien. Be- sonders freue ich mich über das inklusive Wahlrecht für alle. Seit Jahren kämpft die Lebenshilfe dafür, dass auch Menschen, die eine Betreuung in allen Angelegen heiten haben, künftig nicht mehr von der Bundestagswahl ausgeschlossen sind. Diese Forderung will die Bundesregierung Ulla Schmidt, MdB und Bundesministerin a.D., ist seit 2012 nun endlich umsetzen. Beim Bundesteil- Bundesvorsitzende der Lebenshilfe. habegesetz müssen wir am Ball bleiben. Ich bin überzeugt davon, dass wir mit dem Bundesteilhabegesetz die Teil habe von Menschen mit Behinderung langfristig verbessern können: Dafür begleiten wir die Umsetzung, und vor allem auch die Jeder soll wählen können, Modellprojekte ganz intensiv.“ wo er leben will „Wir fordern, dass die Hilfe, die man nun mal braucht, auch bezahlt wird! Menschen mit Behinderung haben Rechte. Sie müssen nicht um Unterstützung bitten. Es darf nicht darum gehen, Kosten zu sparen. Es geht darum, jedem Menschen ein Leben in Teilhabe und Selbst- bestimmung zu ermöglichen. Und zwar dort, wo er selbst gerne leben will. Jeder soll wählen können, wo er leben will. Das gilt gerade für die, die sehr viel Unterstützung brauchen. Wenn man mit den Men- schen beginnt, die am meisten Un- terstützung brauchen, dann wird es für die Menschen mit weniger Hilfebedarf noch einfacher. Wenn man Menschen erst gar nicht aus- Bernd Frauendorf ist Vorsitzender des Rates für Menschen mit Behin- sondert, muss man sie später auch derung in der Lebenshilfe. Er arbeitet in einer Werkstatt und lebt allein nicht wieder umständlich in die Ge- mitten in Saarbrücken – ohne professionelle Unterstützung. sellschaft zurückholen.“ Jahres- und Wirkungsbericht 2017 3
Unsere Ziele – unsere Wirksamkeit Dass in Herzogenaurach nicht nur Sportkleidung mit drei Strei- fen getragen wird, beweisen die Models der Aurach-Werkstatt bei einer inklusiven Modenschau, die im Rahmen des Jubiläums „50 Jahre Lebenshilfe Erlangen- Höchstadt“ stattfindet. Aktuelle Freizeitmode, elegante Abend- kleider und bayerische Trachten sind da auf dem Laufsteg zu bewundern, professionell prä- sentiert von Männern und Frau- en mit und ohne Behinderung. Ein Jahr haben sich die Models auf diesen Auftritt vorbereitet. Ihre Fröhlichkeit überträgt sich gleich auf das Publikum, das absolut begeistert ist. So gelingt Inklusion! Das will die Lebenshilfe erreichen Die Lebenshilfe ist eine Selbsthilfe-Vereinigung. Im Grundsatz-Programm stehen die Werte und Ziele der Lebenshilfe. Sie setzt sich für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung ein. Leichte Sprache Für passende Unterstützung und mehr Teilhabe. Darum kämpft die Lebenshilfe für gute Gesetze. Auch für die Leichte Sprache setzt sie sich sehr ein. Bei der Bundesvereinigung gibt es den Rat behinderter Menschen. Auch im Vorstand sind Menschen mit Behinderung. Dort sind sie Selbst-Vertreter. Sie sprechen für sich und andere Menschen mit B ehinderung. Die Lebenshilfe ist ein Verein. Das ist wichtig! Weil Menschen mit Behinderung, ihre Eltern und Angehörigen so mit-entscheiden können. Die Lebenshilfe gibt ihren Mitgliedern wichtige Informationen. Die Bundesvereinigung macht Fach-Tagungen und Treffen. Sie macht Bücher und verschiedene Zeitschriften. Auch hat sie eine Seite im Internet und auf Facebook. Die Bundesvereinigung plant ihre Arbeit sehr genau. Sie legt fest: Das wollen wir mit unserem Geld machen. Später prüft sie die Ergebnisse: Was war gut? Was muss besser werden? 4 Jahres- und Wirkungsbericht 2017
Unsere Ziele – unsere Wirksamkeit Gegen Diskriminierung als gesellschaftliches Problem Menschen mit sogenannter geistiger Behinde- rung und ihre besonderen Herausforderungen Beteiligung Gute Ideen, werden in der allgemeinen Öffentlichkeit kaum durch Konzepte wahrgenommen. Durch mangelnde Barriere- Selbst- und freiheit werden sie an gesellschaftlicher Teilha- Vertreter Angebote Gesellschaft be gehindert. Und nicht nur das: Menschen mit für alle Behinderung und ihre Familien werden stigma- gestalten tisiert und diskriminiert. Sie stoßen auf Ableh- nung, mal hinter vorgehaltener Hand, mal ganz offen: „Musste das denn sein, habt ihr das nicht Interessenvertretung vor der Geburt untersuchen lassen?“ Nach Prä- in Öffentlichkeit und nataldiagnostik werden 9 von 10 Kindern mit Politik Down-Syndrom abgetrieben, obwohl diese Kin- der gute Zukunftschancen haben. Allein diese Zahl zeigt, wie nötig hier Aufklärungsarbeit und Verein Lebenshilfe Bewusstseinswandel sind. mit mehr als Gleichzeitig haben Kinder, Jugendliche und 125.000 Mitgliedern Erwachsene mit Behinderung wie auch ihre Familien ganz konkrete Unterstützungsbedar- in ganz Deutschland fe. Sie brauchen Beratung, umfassende und individuelle Förderung und Begleitung sowie vielfältige Angebote zur Lebensgestaltung. Das so selbstständig wie möglich leben können alles erfordert eine ständige konzeptionelle und die Unterstützung bekommen, die sie Weiterentwicklung und ist der Schlüssel zu ei- benötigen. Daneben berät die Lebenshilfe in ner gleichberechtigten und selbstbestimmten Rechts- und Fachfragen, entwickelt Konzepte Teilhabe. Auf dem Weg zur inklusiven Gesell- und arbeitet über alle Ebenen daran, dass es schaft gilt es, bei jedem Schritt Menschen mit normal ist, verschieden zu sein. Hierbei sind Behinderung zu beteiligen – getreu dem Le- die Medien bedeutende Partner. benshilfe-Motto „Mit uns, für uns!“. Leichte Sprache ist ein wichtiger Baustein der Barrierefreiheit in einer komplexen Informa- Interessenvertretung mit dem Ziel tionsgesellschaft: Die Lebenshilfe als Pionier der Inklusion im deutschsprachigen Raum setzt sich dafür ein, dass die Leichte Sprache überall selbstver- Das Ziel der Lebenshilfe ist eine inklusive Ge- ständlich wird. sellschaft, in der Menschen mit Behinderung ungehindert teilhaben können. Als Selbsthilfe vereinigung und Bürgerbewegung vertritt die Selbstvertretung stärken Lebenshilfe die Interessen von Menschen mit und Beteiligungskultur fördern geistiger Behinderung und ihren Familien, wendet sich gegen Benachteiligung und Aus- Selbstvertretung meint, Menschen mit Behin- grenzung und setzt sich ein für Akzeptanz, derung sprechen für sich selbst und beteiligen Respekt und Anerkennung. Mit Interessen- sich an allen Entscheidungen. Praktisch heißt vertretung in der Politik will die Lebenshilfe das: Menschen mit Behinderung sind Mitglie- erreichen, dass Menschen mit Behinderung der in den Lebenshilfe-Vereinen und werden Jahres- und Wirkungsbericht 2017 5
Unsere Ziele – unsere Wirksamkeit in die Vorstände gewählt. Auch werden sie Welche Mittel in diese Aufgaben fließen, wird in Beiräte, Ausschüsse und Projektgruppen hier kurz umrissen und beispielhaft erläutert. berufen. Mit dem Rat behinderter Menschen Eine grafische Darstellung aller Aufwendungen der Bundesvereinigung Lebenshilfe existiert der Bundesvereinigung finden Sie auf Seite 41. zudem ein in der Satzung verankertes Gremi- um, das die Interessenvertretung von Men- Die politische Interessenvertretung wird von schen mit Behinderung sicherstellen soll. In der Bundesvorsitzenden und weiteren Mit- der Umsetzung sind – neben etablierter As- gliedern im Bundesvorstand ehrenamtlich, sistenz und dem Einsatz von Leichter Sprache wie auch mit einem erheblichen Einsatz von – weitere geeignete Methoden wichtig, um den inhaltlich arbeitenden Referenten, von durchgängig eine wirkungsvolle Beteiligung der Abteilungsleiterin „Konzepte und Recht“ zu erreichen. und der Bundesgeschäftsführerin umgesetzt. Dafür hat die Bundesvereinigung L ebenshilfe im Berichtsjahr insgesamt 628.355,65 Euro Der Verein ist die Basis erfolgreicher ausgegeben. Beispiele dieser Arbeit finden Lebenshilfe-Arbeit Sie auf den Seiten 10 bis 15. Die Lebenshilfe baut auf einem funktionieren- Menschen mit Behinderung und ihre Familien den Vereinswesen auf. Sie wird getragen von werden häufig im Telefongespräch oder per engagierten Mitgliedern, die das Grundsatz- E-Mail beraten, gleichzeitig werden auch allge- programm – seine Werte und Ziele – mit Leben meine Hinweise als Rechtstipps zur Verfügung füllen und verbreiten. Nur durch Vorstände, in gestellt. Auf der Webseite www.lebenshilfe.de, denen Menschen mit Behinderung, Eltern und in der Lebenshilfe-Zeitung und in Publikatio- Angehörige mitentscheiden, kann die Inter- nen wie „Recht auf Teilhabe“ und dem Rechts- essenvertretung von Menschen mit geistiger dienst werden wichtige Informationen zu Behinderung und ihren Familien bundesweit Rechtsansprüchen und Unterstützungsmög- wie regional garantiert werden. lichkeiten verbreitet. Für Mitgliederinformati- onen an Menschen mit Behinderung und ihre Die Bundesvereinigung Lebenshilfe unter- Familien wurden insgesamt 643.426,28 Euro stützt ihre Mitgliedsorganisationen mit schrift- aufgewandt. lichen Empfehlungen sowie Praxishilfen für Dienste und Einrichtungen. Darüber hinaus Menschen mit Behinderung und ihre Famili- veranstaltet die Bundesvereinigung Kongres- en können sich in Arbeitsgruppen, Gremien, se, Fachtagungen und Seminare. Im eigenen bei Seminaren und Tagungen wie auch in Lebenshilfe-Verlag gibt sie Fachliteratur her- Internetforen austauschen, erhalten wichti- aus, daneben geben die Fachzeitschrift „Teil- ge Ratschläge und konkrete H ilfestellungen. habe“ und der Rechtsdienst wichtige Impulse. Für diese Facharbeit für Menschen mit Behinderung und ihre Familien, zu der außer- dem Praxisprojekte gehören, wurden im letz- Diese Mittel setzt die Lebenshilfe ein ten Jahr 2.131.337,43 Euro eingesetzt. Die Lebenshilfe leistet mit der politischen In- Wie die Bundesvereinigung mit ihren Aktivitä- teressenvertretung auf Bundesebene und der ten der Interessenvertretung, ihren Konzepten Unterstützung von Menschen mit Behinderung und weiteren Angeboten in die Gesellschaft und ihren Familien einen wesentlichen Beitrag wirkt, erfahren Sie im orangefarbenen Teil die- zur vollen Teilhabe und gegen Ausgrenzung. ses Berichts. Im grünen Teil wird ausführlich Beide Schwerpunkte spiegeln sich in vielen ver- dargelegt, wie die Lebenshilfe aufgebaut ist, schiedenen Aktivitäten wider und sind sehr per- wer die Entscheidungen trifft und wie es um sonalintensiv, siehe Organigramm auf S eite 31. die Finanzen der Bundesvereinigung steht. 6 Jahres- und Wirkungsbericht 2017
Unsere Ziele – unsere Wirksamkeit Selbstvertreter und Selbstvertreterinnen wie Ramona Günther – sie gehört dem Bundesvorstand an und dem Rat behinderter Menschen – melden sich in der Mitgliederversammlung der Bundesvereinigung Lebenshilfe selbstbewusst zu Wort. In der Mitgliederversammlung werden die Weichen für die Arbeit des Vereins gestellt; im Jahr 2011 wurde dort auch das Grundsatzprogramm der Lebenshilfe verabschiedet. Wirkungskontrolle Publikationen und Internet. Darüber hinaus fließen unter anderem Leserbriefe und Rück- Die Arbeit der Lebenshilfe wird auf vielfältige meldungen durch direktes Nachfragen in die Weise auf ihre Wirkung hin überprüft: In der Wirkungsanalyse ein. Anhand der Arbeitspla- politischen Interessenvertretung wird sie re- nung wertet der Bundesvorstand regelmäßig gelmäßig mit den Ergebnissen von Gesetz die Lebenshilfe-Arbeit aus. gebung, rechtlichen Regelun- gen und Verwaltungs praxis abgeglichen. Veröffentlichun- Wirksamkeit sicherstellen gen von Presse mitteilungen oder von Interviews werden fortwährend ausgewertet. Da- bei hat die Lebenshilfe beson- Arbeitsplanung ders die Leitmedien im Blick. Bei der fachlichen Arbeit ist Umsetzung der Umfang der Nutzung von Materialien und Konzepten • in Gremien ein wichtiger Indikator, Pro- • durch ehrenamtlich Engagierte jekte werden zudem evaluiert. Überprüfung Nach Tagungen und Semina- • durch Mitarbeitende ren geben die Teilnehmenden eine Beurteilung ab, ebenso für verbandliche Veranstaltun- • durch gezielte Evaluation • über die Ergebnisse politischer Arbeit gen wie Mitgliederversamm- • über die Reichweite der lungen. Aussagekräftig sind Veröffentlichungen auch die Nutzerzahlen von Jahres- und Wirkungsbericht 2017 7
Wichtige Ereignisse im Jahr 2017 Bundestag gedenkt der Opfer der Nazi-„Euthanasie“ Auf Vorschlag der Lebenshilfe spricht der Berliner Sebastian Urbanski als erster Mensch mit einer sogenannten geistigen Behinderung im Deutschen Bundestag. Sebastian Urbanski ist Schauspieler und hat das Down-Syndrom. Als er am 27. Januar, dem Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, ans Mikrophon geht, wird es still im Hohen Haus. Der Schau spieler trägt einen Brief vor, den Ernst Putzki seiner Mutter geschrieben hatte, bevor dieser in der Tötungsanstalt Hadamar ermordet wurde. Etwa 300.000 behinderte Nach seinem Vortrag wird Sebastian Urbanski von Bundestagspräsident Norbert und kranke Menschen wurden damals in Lammert und Bundespräsident Joachim Gauck in Empfang genommen. ganz Europa systematisch umgebracht, sie galten als „Ballastexistenzen“. Dass endlich Hilfsfonds für einmal die Opfer der Nazi-„Euthanasie“ in misshandelte Heimkinder den Mittelpunkt der Gedenkstunde des Bundestages gestellt werden, dafür hat Bisher gab es nur Hilfsfonds sich die Lebenshilfe seit Jahren eingesetzt, für Menschen, die früher in Ein allen voran ihre Bundesvorsitzende Ulla richtungen der Kinder- und Jugend Schmidt, MdB. hilfe lebten und dort Gewalt und Missbrauch erfahren haben. Seit langem fordert die Lebenshilfe, Mehr Rechte für Werkstatträte dass auch das Leid und Unrecht von Kindern aus Einrichtungen der Aus ganz Deutschland kommen mehr als 150 Behindertenhilfe anerkannt wird. Werkstatträte und andere Interessierte am 8. und 9. Mit Erfolg, im Januar nimmt die März zur Werkstatträte-Konferenz der Lebenshilfe neue „Stiftung Anerkennung und nach Marburg. Sie wollen sich über die geänderte Hilfe“ ihre Arbeit auf und unterstützt Werkstätten-Mitwirkungs-Verordnung informieren. misshandelte ehemalige Heimkinder Die neue Verordnung schafft erstmals an wichtigen mit Behinderung. Stellen echte Mitbestimmungsrechte, wo es früher nur Mitwirkungsmöglichkeiten gab. Neu ist auch die Verpflichtung, Frauenbeauftragte vorzusehen. Lebenshilfe kämpft weiter für bessere Teilhabe Die erfolgreiche Lebenshilfe-Kampagne #TeilhabeStattAusgrenzung im Jahr 2016 hat zu wesentlichen Verbesserungen des Bundesteilhabegesetzes geführt. Auch die Umsetzung beobachtet die Lebenshilfe kritisch. Vor der Bundestagswahl konfrontiert sie alle Fraktionen mit Wahlprüfsteinen zu Themen wie Inklusion, Barrierefreiheit oder Diskriminierung. Mit Erfolg fordert die Lebenshilfe, endlich die Wahlrechtsausschlüsse von Menschen mit Betreuung in allen Angelegenheiten abzuschaffen: Im Koalitionsvertrag der neuen Regierung ist nun ein Wahlrecht für alle vereinbart. Zudem richtet die Lebenshilfe eine Internet- Plattform ein, auf der sie aktuell über die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes berichtet. 8 Jahres- und Wirkungsbericht 2017
Wichtige Ereignisse im Jahr 2017 Führungskräfte treffen sich Über die umfangreichen Neuerungen des Bundes teilhabegesetzes und seine Umsetzung informiert die Lebenshilfe auf ihren Führungskräftetreffen „Arbeit“ am 13./14. Juni in Würzburg und „Wohnen“ am 12./13. Dezember in Kassel. Mehr als 400 Teilnehmende aus dem gesamten Bundesgebiet nutzen den fachlichen Austausch mit den Fachreferenten der Bundesvereinigung. Natalie Dedreux, die Bundeskanzlerin und der BOBBY „Ich will nicht abgetrieben werden, sondern auf der Welt bleiben!“ Das sagt am 11. Sep tember live im Fernsehen die 19-jährige Natalie Dedreux aus Köln zu Bundes kanzlerin Angela Merkel und löst damit deutschlandweit einen großen Medien rummel aus. Für ihren beherzten TV-Auftritt wird die junge Frau mit Down-Syndrom mit dem Lebenshilfe-Medienpreis BOBBY 2017 ausgezeichnet. „Natalie Dedreux ist zu einer starken Stimme, zu einer Botschafterin für Menschen mit Behinderung geworden“, so Natalie Dedreux mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in der ARD-Sendung Wahlarena Bundesvorsitzende Ulla Schmidt, MdB. Beschwerdestelle und Bilddatenbank Eine bundesweite unabhängige Beschwerdestelle für die Lebenshilfe – kurz Bubl – wird im Okto- ber eingerichtet. Sie soll die Qualitätssicherung und das Beschwerdemanagement vor Ort sinn- voll ergänzen. Weitere Informationen gibt es in Leichter Sprache unter www.bubl.de. Im Intra- net stellt die Bundesvereinigung zudem Material zur Gewaltprävention zur Verfügung. Daneben gehen ein Newsletter in Leichter Sprache und eine Bilddatenbank online. Die ausdrucksstarken Fotos zeigen selbstbewusste Menschen mit Behinderung, die am gesellschaftlichen Leben teilha- ben. In einer ersten Serie stehen 250 Motive zur Verfügung und können von Medien, vor allem aber von den Mitgliedsorganisationen der Bundesvereinigung kostenfrei genutzt werden – etwa für Broschüren oder die eigene Webseite. Tom-Mutters-Straße erinnert an Lebenshilfe-Gründer Am 29. November wird in Marburg die Tom-Mutters- Straße mit einem Festakt eingeweiht. Die Stadt würdigt damit den Lebenshilfe-Gründer, der am 2. Februar 2016 im Alter von 99 Jahren gestorben ist. Lebenshilfe-Magazin wird 30 Im Dezember 1987 erscheint das erste farbige Magazin als Beilage der Lebenshilfe- Zeitung. Mit Leichter Sprache und vielen Fotos und Zeichnungen richtet es sich seit nun 30 Jahren vor allem an Leserinnen und Leser mit geistiger Behinderung. Jahres- und Wirkungsbericht 2017 9
So wirkt die Lebenshilfe in die Gesellschaft „Ja. Es war ein schwieriger Weg zwischen den unterschiedlichen Erwartungen und Ansprüchen einen Ausgleich zu finden, der im Übrigen am Ende auch finanzierbar sein muss. Da ist in den Beratungen und im Verfahren des Parlaments durch manche Ergänzungen des Entwurfs ein respektables Ergebnis zustande gekommen.“ Das antwortet Bundestagspräsident Norbert Lammert auf die Frage, ob er zufrieden mit dem neuen Bundesteilhabegesetz sei. Das Interview ist erschienen in der Lebenshilfe-Zeitung 1/2017, das Gespräch hat Rachel Rosen vom integrativen Berliner Theater Thikwa geführt. Teilhabe statt Ausgrenzung Die Lebenshilfe setzt sich für ein gutes Teilhabe-Recht ein. Denn jeder soll die Unterstützung bekommen, die er braucht. Bei den Leistungen muss es egal sein, Leichte Sprache wie viel Geld diese Person oder ihre Familie hat. Denn diese Leistungen sollen Nachteile ausgleichen. Die Regierung will ein Bundes-Teilhabe-Gesetz. Doch der Entwurf hat viele schwache Stellen. Die Lebenshilfe macht eine große Aktion: Teilhabe statt Ausgrenzung. Sie hat Erfolg: Das Gesetz wird viel besser. Jetzt muss die Umsetzung gut begleitet werden. Arbeits-Gruppen überprüfen die nächsten Schritte. Die Lebenshilfe wirkt in den Arbeits-Gruppen mit. Doch es gibt noch eine schlechte Regel im 11. Sozial-Gesetz-Buch: Menschen mit Behinderung in Wohn-Einrichtungen bekommen von der Pflege-Versicherung nur 266 Euro im Monat. Egal, wie viel Pflege sie brauchen. Die Lebenshilfe will, dass auch diese Regel abgeschafft wird. 10 Jahres- und Wirkungsbericht 2017
So wirkt die Lebenshilfe in die Gesellschaft Teilhabe statt Ausgrenzung und ohne Behinderungen d emonstrieren in Berlin vor dem Brandenburger Tor. Mit Erfolg! Das gesellschaftliche Problem: Die in den 1960er-Jahren begründete Eingliederungs Das haben wir erreicht: Am Ende des hilfe für Menschen mit Behinderung ist parlamentarischen Verfahrens liegen dem von staatlichem Fürsorge denken geprägt. Bundestag 127 Änderungsanträge der Koali- Ihre Leistungen werden als Teil der Sozial tionsfraktionen vor, bei der Verabschiedung hilfe von den finanziellen Verhältnissen des im Dezember 2016 werden viele Forderungen behinderten Menschen und seiner Familie der Lebenshilfe erfüllt (siehe Jahresbericht abhängig gemacht. und Wirkungsbericht 2016). Nun gilt es, die Umsetzung der neuen Gesetze kritisch zu Auch gibt es immer wieder Streit darum, begleiten und weitere Verbesserungen zu er- welche Leistungen über die Eingliederungs reichen. Dafür richtet die Bundesvereinigung hilfe erbracht werden, was zahlt die Kranken eine Internet-Plattform ein, auf der sie über kasse, was zahlen andere Träger? Zuständig die aktuellen Entwicklungen informiert. Eine keitsstreitigkeiten und Schwierigkeiten bei wichtige Forderung der Lebenshilfe war, dass der Bewilligung von Leistungen sind Hinder- die Umsetzung der Gesetze begleitet und be- nisse auf dem Weg zur Teilhabe. Den Betrof- obachtet wird. Für viele Veränderungen gibt fenen hilft da nur der Gang zum Sozialge- es daher Modellprojekte und wissenschaftli- richt. Doch viele haben gar nicht die Kraft für che Untersuchungen. Dabei wirkt die Lebens- ein Gerichtsverfahren und verzichten auf die hilfe in verschiedenen Gremien und auf allen ihnen rechtmäßig zustehenden Leistungen. Ebenen mit. So soll sichergestellt werden, Daher setzen viele ihre Hoffnungen auf eine dass die Änderungen tatsächlich zu einer umfassende Reform der Eingliederungshilfe. besseren Teilhabe für Menschen mit Behin- derung führen, gegebenenfalls soll nachge- Das wollen wir erreichen: Die Lebenshilfe steuert werden. fordert seit langem ein modernes Teilhabe recht. Der Mensch soll umfassend die Hilfe Das konnten wir bisher nicht erreichen: Im- erhalten, die er oder sie individuell braucht, mer noch regelt das Sozialgesetzbuch XI im um uneingeschränkt am Leben in der Ge- § 43 a, dass Menschen mit Behinderung als sellschaft teilhaben zu können. Personen- Versicherte in der Pflegeversicherung je nach zentriert nennen das die Fachleute. Die ihrem Wohnort unterschiedliche Leistungen Leistungen sollen zudem unabhängig vom erhalten: Wohnen sie in einer eigenen Woh- Einkommen und Vermögen des Menschen nung oder werden ambulant betreut, erhal- sein. Denn die Unter stützung dient dazu, ten sie Leistungen der häuslichen Pflege wie Nachteile gegenüber Menschen ohne Behin- andere auch. Leben sie dagegen in einer derung ausgleichen und gleichberechtigte Wohnstätte für Menschen mit Behinderung, Teilhabe zu ermöglichen. also in einer gemeinschaftlichen Wohnform, erhalten sie nur einen pauschalen Betrag von Das haben wir getan: Erste Entwürfe für eine gerade mal 266 Euro im Monat – unabhän- Gesetzesreform weisen gravierende Mängel gig vom Grad ihrer Pflegebedürftigkeit. Das auf. Die Bundesvereinigung Lebenshilfe star- ist eine nicht hinnehmbare Ungleichbehand- tet deshalb am 15. Juli 2016 unter dem Motto lung, die zudem das Wunsch- und Wahlrecht #TeilhabeStattAusgrenzung ihre deutschland- in Frage stellt. weite Kampagne für ein besseres Bundesteil- habegesetz und Pflegestärkungsgesetz III. Un- Die Lebenshilfe ist eine starke Kraft, ihr zählige Gespräche mit Abgeordneten werden Wort hat bei Politikern großes Gewicht. Mit geführt, 151.698 Unterschriften für eine Peti- Interessenvertretung kann sie Gesetze für tion gesammelt, mehr als 7.000 Menschen mit Menschen mit Behinderung verbessern. Jahres- und Wirkungsbericht 2017 11
So wirkt die Lebenshilfe in die Gesellschaft Gunter Kuhlmann aus Augsburg hat mit anderen beim Bundesverfassungsgericht Wahlprüfungsbeschwerde eingelegt. Hier mit der Bundesvorsitzenden Ulla Schmidt, MdB, bei einer gemeinsamen Veranstaltung der Lebenshilfe und der Bundesbehindertenbeauftragten Verena Bentele für ein „Wahlrecht für alle!“ im Berliner Kleisthaus. Alle sollen wählen dürfen 80-Tausend Menschen mit Behinderung dürfen bei der Bundestags-Wahl nicht wählen. Weil sie Betreuung in allen Angelegenheiten haben. Leichte Sprache Das ist gegen das Grund-Gesetz und gegen die UN-Konvention. Denn wer nicht wählen will, muss nicht wählen. Aber wer es wirklich will, darf nicht daran gehindert werden. Dafür gibt es Unterstützung und Wahl-Infos in Leichter Sprache. Die Lebenshilfe fordert: Bundes-Wahl-Gesetz und Europa-Wahl-Gesetz müssen geändert werden. Alle sollen wählen dürfen. Diese Forderung stellt die Lebenshilfe immer wieder. Seit dem Jahr 2013 unterstützt sie Menschen mit Behinderung vor Gericht, die für ihr Wahl-Recht kämpfen. Sie schickt Fragen an die Politiker. Und sie veranstaltet einen Info-Abend: Wahl-Recht für alle! Die Lebenshilfe hat Erfolg: Die neue Regierung will endlich ein Wahl-Recht für alle schaffen. 12 Jahres- und Wirkungsbericht 2017
So wirkt die Lebenshilfe in die Gesellschaft Die Lebenshilfe im Wahlkampf Kläger, die zunächst Einspruch gegen die Bun- destagswahl erhoben und anschließend beim Das gesellschaftliche Problem: Mehr als 80.000 Bundes verfassungsgericht Beschwerde gegen Menschen mit sogenannter geistiger Behinde- ihre Wahlrechtsausschlüsse eingelegt haben. rung dürfen bei der Bundestagswahl am 24. Eine Entscheidung steht bis heute aus. September nicht wählen, weil sie eine Betreu- ung in allen Angelegenheiten haben. Das ist ver- Im Bundestagswahlkampf 2017 erneuert die fassungswidrig und ein klarer Verstoß gegen die Bundesvereinigung Lebenshilfe ihre Forderung UN-Behindertenrechtskonvention. Viele euro- nach Abschaffung der Wahlrechtsausschlüsse. päische Länder wie unsere Nachbarn Österreich Auch auf ihrem Parlamentarischen Abend am und die Niederlande zeigen schon heute, dass 21. März in der Vertretung des Landes Nord- ein Wahlrecht für alle funktioniert. Deutschland rhein-Westfalen beim Bund weist sie die Abge- hat keine Wahlpflicht. Wer sein Wahlrecht nicht ordneten des Bundestages auf diese Diskrimi- ausüben will oder kann, braucht es nicht zu tun. nierung hin. Darüber hinaus veranstaltet die Das gilt für Menschen mit einem Betreuer eben- Lebenshilfe am 25. April gemeinsam mit Verena so wie für ähnlich beeinträchtigte Menschen mit Bentele, der Beauftragten der Bundesregierung einer Vorsorgevollmacht, die heute schon das für die Belange von Menschen mit Behinderun- Wahlrecht haben. Aber wer den Willen bekun- gen, einen Informations- und Diskussionsabend det, wählen zu wollen, der darf nicht daran ge- mit dem Titel „Wahlrecht für alle!“ im Berliner hindert werden. Und wer zum Wählen Assistenz Kleisthaus. Im Sommer ist die Forderung der braucht, der muss die notwendige Unterstüt- Lebenshilfe in den Medien sehr präsent. zung erhalten. Darauf gibt es schon jetzt einen gesetzlichen Anspruch. So erklären Broschüren Das konnten wir bisher nicht erreichen: in Leichter Sprache, wie das mit dem Wählen Schon vor der Bundestagswahl 2017 gibt es geht, Parteien schreiben ihre Wahlprogramme eine breite Mehrheit im Parlament für die in Leichter Sprache, Wahlbenachrichtigungen Abschaffung der Wahlrechtsausschlüsse. Die werden in Leichter Sprache verschickt. Opposition, Die Linke und Bündnis 90/Die Grü- nen, sind ohnehin dafür. Doch kann sich die Das wollen wir erreichen: Deutschland muss Große Koalition beim Thema Wahlrecht nicht die Wahlrechtsausschlüsse von Menschen einigen, obwohl neben der SPD-Fraktion auch mit Behinderung im Bundeswahlgesetz und Abgeordnete der CDU/CSU die Position der Europa wahlgesetz ersatzlos streichen. Diese Lebenshilfe unterstützen. Meinung teilt auch der Europarat, der mit 46 von 47 Stimmen eine entsprechende Resolu- Das haben wir erreicht: Der Koalitionsvertrag tion verabschiedet hat. Das Wahlrecht für alle der neuen Bundesregierung sieht nun endlich ist ein zentrales Thema der Bundesvereinigung ein Wahlrecht für alle vor. Auf Länderebene Lebenshilfe im Bundestagswahlkampf 2017. gibt es weitere Erfolge: In Berlin hat die Lan- desregierung die Streichung im Koalitions- Das haben wir getan: Bereits in der 2013 zu Ende vertrag vorgesehen. Schleswig-Holstein und gegangenen Legislaturperiode hat die Bundes- Nordrhein-Westfalen haben die Wahlrechts- vereinigung Lebenshilfe alle politischen Hebel in ausschlüsse bereits im Sommer 2016 abge- Bewegung gesetzt, damit das Wahlrecht endlich schafft. Und auch Brandenburg will diesem geändert wird. Gesetzesanträge der Opposition Beispiel folgen. mit unseren Forderungen sind jedoch an der damaligen Regierungsmehrheit von Union und Die Lebenshilfe setzt sich durch Interessen- FDP gescheitert. Seit der Bundestagswahl 2013 vertretung bei der Gesetz gebung und vor unterstützt die Bundesvereinigung Lebenshilfe Gericht ein, damit Menschen mit Behinde- daher gemeinsam mit dem Bundesverband Ca- rung nicht diskriminiert werden und ihre ritas Behindertenhilfe und Psychiatrie mehrere (Grund)-Rechte erhalten. Jahres- und Wirkungsbericht 2017 13
So wirkt die Lebenshilfe in die Gesellschaft „Es ist beschämend und entwürdigend, als Betroffene erleben und erfahren zu müssen, mit welcher Vehemenz, Ignoranz und Respektlosigkeit die Kostenträger sich immer wieder dagegen wehren, die uns zustehende Unterstützung zu gewähren. Da fehlen uns oftmals die Worte.“ So Marco Hörmeyer aus Osnabrück im Familienfragebogen der Lebenshil- fe-Zeitung 3/2017 auf die Frage, was ihn im Alltag nervt. Seine zehnjährige Tochter Amelie kann durch einen Sauerstoffmangel während der Geburt weder sitzen noch spre- chen. Sie braucht rund um die Uhr Unterstützung. Die Familie schreibt über ihren Alltag den Blog www.amelie-wundertuete.de. Eine Kinder- und Jugend-Hilfe für alle Nicht alle Kinder und Jugendliche können an allem teilhaben. Sie haben nicht die gleichen Möglichkeiten. Das gilt vor allem für Kinder und Jugendliche mit Behinderung Leichte Sprache und ihre Familien. Sie haben es oft schwerer, die Angebote der Jugend-Hilfe zu nutzen. Die Politiker müssen endlich das Gesetz erneuern: Die Angebote der Kinder- und Jugend-Hilfe sollen für alle offen sein. Diese Forderung hat die Lebenshilfe an die Politiker gestellt. Und sie wirkt in vielen Arbeits-Gruppen mit. Sie spricht bei Fach-Veranstaltungen und mit den Ministerien. Doch die Regierung hat noch immer kein neues Gesetz gemacht. Die neue Regierung will ein besseres Kinder- und Jugend-Hilfe-Gesetz schaffen. An dem neuen Gesetz soll die Lebenshilfe mitarbeiten und beraten. Die Lebenshilfe hat das Thema Eine Kinder- und Jugend-Hilfe für alle überall bekannt gemacht. 14 Jahres- und Wirkungsbericht 2017
So wirkt die Lebenshilfe in die Gesellschaft Kinder- und Jugendhilfe muss • im Dialogforum „Zukunft der Kinder- und inklusiv werden Jugendhilfe“ von Bundesfamilienministeri- um und Deutschem Verein, wo sich die Bun- Das gesellschaftliche Problem: Die Teilhabe- desvereinigung an allen vier Arbeitsgruppen Chancen von Kindern und Jugendlichen sind und der Abschlussveranstaltung beteiligt; ungerecht verteilt: Junge Menschen mit Be- • im Dialogforum „Bund trifft kommunale hinderung und ihre Familien haben häufig ei- Praxis“ von Familienministerium und Deut- nen erschwerten oder verzögerten Zugang zu schem Institut für Urbanistik, wo sie im Bei- Leistungen und Angeboten der Kinder- und rat und an Veranstaltungen mitwirkt; Jugendhilfe. Mitunter wird er ihnen sogar gänz- • bei weiteren Fachveranstaltungen, etwa der lich verwehrt. Die Zusammenführung der Ein- Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugend gliederungshilfeleistungen unter dem Dach der hilfe (AGJ), des Paritätischen und der Fach- Kinder- und Jugendhilfe im Sozial gesetzbuch verbände der Erziehungshilfe. (SGB) VIII ist längst überfällig. Seit mehr als 20 Jahren wird die sogenannte „Große L ösung“ Das konnten wir bisher nicht erreichen: Ob- diskutiert, noch aber sind die Zuständigkeiten wohl der grundsätzliche Wille des Gesetzge- geteilt. bers zur Großen Lösung da ist, hat er die Re- form im SGB VIII noch nicht umsetzen können. Das wollen wir erreichen: Eine Reform des Auch eine Mini-Reform, die allenfalls ein erster SGB VIII muss das gesamte Recht der Kinder- kleiner Schritt in Richtung inklusive Kinder- und Jugendhilfe inklusiv ausgestalten. Alle und Jugendhilfe gewesen wäre, findet bislang Leistungen müssen auch für junge Menschen aufgrund unterschiedlicher Länderinteressen mit hohem Unterstützungsbedarf zugänglich im Bundesrat keine Zustimmung. sein. Ebenso müssen junge Menschen, die aufgrund von Herkunft, Fluchterfahrung, Ar- Das haben wir erreicht: Die neue Bundesre- mut oder anderen Faktoren besonders gefähr- gierung will bei der Reform des SGB VIII einen det sind, Aussonderung zu erfahren, künftig weiteren Anlauf nehmen, das sieht der Koa- gleichberechtigt durch die Kinder- und Jugend- litionsvertrag vor. Verbände wie die Lebens- hilfe unterstützt werden. hilfe sollen an dem Prozess beteiligt werden. Viel Resonanz erhält die Lebenshilfe auf ihr Das haben wir getan: In einem Positionspapier Positionspapier und auf das der Fach ver formuliert die Bundesvereinigung Lebenshilfe bände. Damit hat die Lebenshilfe den Dialog ihre Erwartungen an eine Reform des SGB VIII. aktiv unterstützt und vorangetrieben. Dazu hat der Bundesvorstand neben dem stän- digen Ausschuss Kindheit- und Jugend eine Pro- Inklusion hat mittlerweile einen hohen Stel- jektgruppe eingerichtet. In ihr versammeln sich lenwert in der Kinder- und Jugendhilfe: Die Fachleute aus der Praxis sowie Lebenshilfe- Fachverbände der Erziehungshilfe machen Vertreter von Bundes-, Landes- und Ortsebene. sie zum Thema eines großen Kongresses. Hier wird die wichtige Rolle der Bundesverei- Beim 16. Deutschen Kinder- und Jugendhilfe nigung als Dachverband beispielhaft deutlich: tag steht Inklusion im Mittelpunkt von vielen Sie holt Experten aus ganz Deutschland an ei- Fachveranstaltungen. Und die AGJ erweitert nen Tisch und führt das Wissen hauptamtlicher ihren Vorstand um zwei Personen aus der Kräfte sowie die Erfahrung ehrenamtlich Enga- Behindertenhilfe. gierter zusammen. Darüber hinaus bringt die Bundesvereinigung Lebenshilfe ihr Know-how Wissen und Erfahrung der Lebenshilfe an vielen anderen Stellen ein: werden von Politik, Ministerien und anderen • in der Arbeitsgruppe der Fachverbände für Verbänden hoch geschätzt. Die Lebenshilfe Menschen mit Behinderung, um eine ge- wird deshalb direkt an Gesetzgebungs ver meinsame Positionierung zu entwickeln; fahren beteiligt. Jahres- und Wirkungsbericht 2017 15
So wirkt die Lebenshilfe in die Gesellschaft Familie Kessler, von links: Kilian, Mutter Diane, Vater Christian, Luisa und Maja Wir leben unser Leben, wie es ist Familie Kessler hat 3 Kinder: Maja, Luisa und Kilian. Maja ist die Älteste. Sie hat das Rett-Syndrom. Das ist eine seltene Beeinträchtigung. Leichte Sprache Die bekommen fast nur Mädchen. Erst entwickeln sich die kleinen Mädchen ganz normal. Dann vergessen sie langsam alles, was sie schon gelernt haben. Sie sprechen dann nicht mehr. Und meistens können sie irgendwann nicht mehr laufen. Bis Majas Eltern das wussten, hat es lange gedauert. Aber dann haben sie ihre Situation angenommen. Sie haben allen von Majas Beeinträchtigung erzählt. Sie erklären gerne, was Rett-Syndrom bedeutet. Sie sind im Rett-Verein und bei der Lebenshilfe. Die Eltern haben auch schon das Haus für Maja umgebaut. Falls sie eines Tages nicht mehr die Treppen gehen kann. Oder im Rollstuhl sitzt. Die Familie hat tolle Freunde und eine gute Nachbarschaft. Sie leben ihr Leben mit ihren 3 Kindern so gut und glücklich, wie es geht. 16 Jahres- und Wirkungsbericht 2017
So wirkt die Lebenshilfe in die Gesellschaft „Maja hat uns gelehrt, „Wir sind hier gut eingebunden in unserer was wirklich wichtig ist“ Nachbarschaft. Wir feiern gemeinsame Straßen feste und jeder kennt Maja, sie ist immer dabei Ein Tag im April, es regnet in Erlangen. Hier und mittendrin, das ist toll“, erzählt der Vater. lebt in einer kleinen Wohnsiedlung die Familie Kessler. Die Kesslers, das sind Vater Christian, Beide Eltern sind auch der Lebenshilfe Erlangen Mutter Diane und ihre drei Kinder Maja, Luisa beigetreten und dort schnell aktiv geworden. und Kilian. Sie leben in einem Reihenendhaus. Er ist im Vorstand, sie im Elternbeirat. Maja Es fällt sofort durch seinen modernen Anbau besuchte zunächst den heilpädagogischen auf. In den sehr hellen Räumen befinden sich Kindergarten, jetzt geht sie in die Schule der ein barrierefreies Bad und ein Zimmer für Maja. Lebenshilfe Erlangen. Maja hat das Rett-Syndrom. Das ist eine Genmutation auf dem X-Chromosom und trifft fast nur Mädchen. Rett-Syndrom – das bedeutet schwere geistige und körperliche Behinderung. Es entwickelt sich in verschiedenen Stadien. Zwischen dem sechsten und achtzehnten Monat tritt ein Entwicklungsstillstand ein. Danach folgt der Verlust vorhandener Fähig keiten, und die Sorgen der Eltern beginnen. Diane Kessler erinnert sich: „Maja wurde erst im Maja hat Hunger. Sie setzt sich an ihren Platz. Alter von eineinhalb Jahren auffällig. Bis dahin war Dort ist ihr Talker, den sie mit den Augen steuert. sie ein normales Kind gewesen. Sie entwickelte Maja braucht oft zwischendurch etwas zu Essen. autistische Züge, sprach nur ein paar Wörter, sagte Die Mutter schneidet kleine Brotwürfel, bestreicht Mama und Papa. Doch dann ignorierte sie uns sie dick mit Butter und gibt Wurststücke dazu. Die Reportage komplett, sie reagierte nicht mehr. Zum Beispiel Das gehört neben Obst und rohem Gemüse zu auf die ganz einfache Frage: Wo ist der Ball? Wir den wenigen Dingen, die Maja essen mag. gingen mit ihr ins SPZ, ins Sozialpädiatrische Zentrum. Die schickten uns aber wieder nach Die Familie hat einen stabilen Freundeskreis, Hause mit der Auskunft, alles sei in Ordnung und durch die Lebenshilfe und den Rett-Verein sind Maja nur etwas spät dran. Ihre Motorik war bis neue Freunde dazugekommen. Sie treffen sich dahin nämlich ganz unauffällig gewesen. Aber zum Schwimmen, zum therapeutischen Reiten, wir haben uns weiter Sorgen gemacht und selbst oder sie fahren gemeinsam in den Urlaub. viel im Internet recherchiert. Bis zur Diagnose „Gemeinsam auffallen ist angenehmer als allein“, dauerte es dann noch ein ganzes Jahr.“ ist ihr Motto. Trotz mancher Einschränkung denkt Christian Kessler positiv: „Ich sehe viel auf der Zwei Tage nach der Diagnose wurden die Kesslers Habenseite. Ich habe meine Prioritäten verändert. Mitglied im Verein „Elternhilfe für Kinder mit Rett- Maja hat uns gelehrt, was wirklich wichtig ist. Auch Syndrom“. Während des Umbaus ihres Hauses bin ich nicht mehr so perfektionistisch.“ hängten sie einen Flyer mit Informationen über die Behinderung ihrer Tochter an den Ina Beyer, aus dem Lebenshilfe-Buch „Wir kochen – Gartenzaun. Jeder, der vorbeikam, sollte wissen, Familienrezepte und Reportagen“ vom März 2017 warum sie das Haus umbauten. Einige blieben stehen und lasen den Flyer, mit manch einem Die Bundesvereinigung zeigt mit solchen kamen sie auch ins Gespräch. Ein Kind mit Rett- Publikationen, wie Familien mit behinderten Syndrom entwickelt sich also zurück? Es wird Kindern leben. Als Selbsthilfeverein leistet sie vielleicht irgendwann nicht mehr laufen können? Beratung und bürgerschaftliches Engagement. Jahres- und Wirkungsbericht 2017 17
So wirkt die Lebenshilfe in die Gesellschaft Rund 400 Geschwister haben sich mittlerweile beim GeschwisterNetz der Lebenshilfe angemeldet und machen aus der Online-Plattform ein lebendiges Forum. Immer mehr erwachsene Geschwister tauschen sich aus Geschwister von Menschen mit Behinderung haben eine andere Kindheit. Sie können oft nicht so viel Aufmerksamkeit von ihren Eltern bekommen. Früh lernen sie, ihre Eltern zu unterstützen. Leichte Sprache Denn oft müssen die sich besonders um die Schwester oder den Bruder mit Behinderung kümmern. Die Kindheit wirkt sich auf das ganze spätere Leben aus. Deshalb hat sich die Lebenshilfe für erwachsene Geschwister ein Angebot überlegt. Seit Dezember 2015 gibt es das Geschwister-Netz. Das ist eine Geschwister-Gruppe im Internet. Wer sich bei Geschwister-Netz anmeldet, kann sich dort mit anderen Geschwistern austauschen. Das Projekt hat von der Firma DATEV eine große Spende bekommen. Mit dem Geld wurde die Internet-Seite verbessert. Außerdem hat es bei einem Wettbewerb mitgemacht. Und dabei einen Preis und Geld gewonnen. Mittlerweile sind über 4-Hundert Geschwister im Geschwister-Netz. Im April 2018 gab es ein großes Treffen in Berlin. 18 Jahres- und Wirkungsbericht 2017
So wirkt die Lebenshilfe in die Gesellschaft Netz für erwachsene Geschwister in Höhe von 30.000 Euro verfügt es jetzt über wird stetig größer eine übersichtliche Suchfunktion, die sich ein- fach bedienen lässt. Zudem ermöglicht die För- Das gesellschaftliche Problem: Geschwister derung, dass die Lebenshilfe für April 2018 ein von Menschen mit Behinderung wachsen un- bundesweites Geschwister-Treffen in Berlin ter besonderen Bedingungen auf. Oft haben organisieren kann. Lesen Sie dazu auch die sie in ihrer Kindheit viel mehr Verantwortung Seite 33. in der Familie übernehmen müssen als ande- re Gleichaltrige. Oder sie wurden von ihren Das haben wir erreicht: Das „Geschwister- Eltern kaum wahrgenommen, weil das Ge- Netz” wird stetig größer, rund 400 Männer schwisterkind mit Behinderung viel Aufmerk- und Frauen im Alter zwischen 18 und 60 Jah- samkeit brauchte. Lisa weiß, was es heißt, ren haben sich mittlerweile angemeldet und sich zwischen absoluter Verbundenheit und machen aus der Online-Plattform der Le- Überforderung ein eigenes Leben aufzubau- benshilfe ein lebendiges Forum. Sie kommen en: „Füttern, wickeln, anziehen, tragen. Es nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus ist fast wie bei einem Baby“, erzählt sie. Nur, Österreich und den Niederlanden. Die lokale dass ihre Schwester Helen inzwischen Anfang 20 ist. „Natürlich mache ich das alles“, sagt Lisa. Sie hat ein enges Verhältnis zu Helen. Und gerade des- halb war ihr eines klar: Beruflich woll- te sie mit dem Thema Behinderung eigentlich nichts zu tun haben. Dann machte sie nach dem Abitur doch ein Freiwilliges Soziales Jahr in Helens al- ter Schule: „Nach drei Tagen habe ich gemerkt: Das ist es, das will ich ma- chen.“ Inzwischen studiert die junge Frau Förderschullehramt in Frankfurt am Main. Das wollen wir erreichen: Die Bundesvereini- Vernetzung ist ihnen besonders wichtig: Im- gung Lebenshilfe will erwachsene Geschwister mer wieder werden Fragen gestellt wie „Gibt von Menschen mit Behinderung stärken, in- es hier auch noch andere Geschwister aus dem sie ihnen Hilfe zur Selbsthilfe gibt. meiner Region?“ Das haben wir getan: Seit Dezember 2015 Bei einem Wettbewerb der Stiftung Familien- können sich erwachsene Schwestern und Bande wird das „GeschwisterNetz” der Bun- Brüder von Menschen mit Behinderung im desvereinigung sogar ausgezeichnet: Das „GeschwisterNetz” der Lebenshilfe online aus Preisgeld von insgesamt 15.000 Euro wird tauschen. Innerhalb eines geschützten Raumes unter sieben Preisträgern aufgeteilt. Die Le- können sie auf www.geschwisternetz.de ihre benshilfe steckt ihren Gewinn in die inhaltliche Momente teilen, regionale Treffen organisie- Weiterentwicklung der Webseite und in das ren oder auch ganz einfach nach den Erfahrun- geplante bundesweite Treffen. gen anderer Geschwister fragen. Bei fachlichen Themen steht ihnen zudem die Lebenshilfe Mit vielseitigen Angeboten unterstützt die beratend zur Seite. Das Internet-Angebot hat Bundesvereinigung Lebenshilfe Menschen bereits eine erste Erweiterung erfahren: Dank mit Behinderung und ihre Angehörigen in einer Spende des Unternehmens DATEV eG der alltäglichen Lebensbewältigung. Jahres- und Wirkungsbericht 2017 19
Lebenshilfe fördert Bewusstseinswandel „Wieso darf man Babys mit Down- Syndrom bis kurz vor der Geburt noch abtreiben? Ich finde es politisch nicht gut. Dieses Thema ist mir wichtig: Ich will nicht abgetrieben werden, sondern auf der Welt bleiben!“ Das sagt live im Fernsehen die 19-jährige Natalie Dedreux zu Bundeskanzlerin Angela Merkel. Für ihren beherzten TV-Auftritt in der ARD-Sendung Wahlarena am 11. September erhält die junge Frau mit Down-Syndrom den Lebenshilfe- Medienpreis BOBBY 2017. Anderer Blick auf Menschen mit Behinderung Die Vorsitzende der Lebenshilfe ist Ulla Schmidt. Sie und Fachleute von der Lebenshilfe geben Journalisten Interviews. Die Themen sind zum Beispiel: Leichte Sprache Inklusion, der Blut-Test auf Down-Syndrom und das Wahl-Recht. Menschen mit Behinderung sprechen für sich und die anderen. Dann sagt man: Sie sind Selbst-Verteter. Die Lebenshilfe stärkt die Selbst-Vertreter. Zum Beispiel sprechen sie beim Parlamentarischen Abend. Seit fast 20 Jahren verleiht die Lebenshilfe den Medien-Preis BOBBY. Den bekommen Menschen, die sich öffentlich für Menschen mit Behinderung einsetzen. Der Lebenshilfe ist die Leichte Sprache sehr wichtig. Sie übersetzt wichtige Texte und ihre Forderungen an die Politik. Auch bringt sie Bücher, das Magazin der Lebenshilfe-Zeitung und einen neuen Nachrichten-Brief in Leichter Sprache heraus. Außerdem arbeitet die Lebenshilfe mit Firmen zusammen. Zum Beispiel mit der Telekom und den toom-Baumärkten macht sie tolle Projekte: Da begegnen sich Menschen mit und ohne Behinderung. 20 Jahres- und Wirkungsbericht 2017
Lebenshilfe fördert Bewusstseinswandel Das haben wir getan Diese Wirkung erwarten wir Presse- und Öffentlichkeitsarbeit: Die Bundesvereini- Um die Inklusion in Deutschland voran- gung vermittelt regelmäßig die Vorsitzende Ulla Schmidt, zubringen, muss die breite Öffentlichkeit MdB, und Fachleute der Geschäftsstelle als Interviewpart- über die aktuelle Lebenssituation be- ner an Journalisten. Inklusion, der Bluttest auf Down-Syn- hinderter Menschen und ihrer Familien drom und das Wahlrecht sind aktuell bevorzugte Themen. gut informiert sein. Es gilt, die Vielfalt, Zudem meldet sich die Bundesvereinigung mit 18 Medien die Fähigkeiten und Chancen, aber auch mitteilungen zu Wort. In einer neuen Bilddatenbank stellt die Sorgen und Nöte objektiv darzustel- sie 250 ausdrucksstarke Fotos behinderter Menschen len. Mediale Aufklärung macht darüber zur Verfügung. Die Motive können von den Medien und hinaus auf Missstände aufmerksam und vor allem auch von den Mitgliedsorganisationen der trägt dazu bei, Stigmatisierung wie Diskri- Bundesvereinigung kostenfrei genutzt werden. minierung zu verhindern. Selbstvertreterinnen und Selbstvertreter: M enschen Menschen mit Behinderung und ihre Fä- mit Behinderung nehmen aktive Rollen bei Veranstaltun- higkeiten werden sichtbar für die Politik gen der Bundesvereinigung ein. Als Selbstvertreter halten und Öffentlichkeit. Das Selbstbewusst- sie Reden beim Parlamentarischen Abend in Berlin, bei sein der Selbstvertreter wird gestärkt, der Weihnachtsbaum-Übergabe im Bundestag, bei der sie werden zum Vorbild für andere. Werkstatträte-Konferenz in Marburg oder beim Kongress Auf diese Weise werden Menschen mit von Inclusion Europe in Prag. Auch als Musiker, Schauspie- Beeinträchtigung immer mehr selbst zu ler oder bildende Künstler treten sie vielfach in Aktion. einem starken Motor für Inklusion. Medienpreis BOBBY: Die Bundesvereinigung zeichnet Durch die Auszeichnung vorbildlichen Natalie Dedreux, eine junge Frau mit Down-Syndrom, mit Engagements und die Berichte darüber dem BOBBY aus (siehe Foto auf Seite 20). Mit dem BOBBY in den Medien wird das Bild von Men- würdigt die Lebenshilfe seit 1999 vorbildliches Engage- schen mit Behinderung in der Öffent- ment, das aufklärt und Vorurteile gegenüber Menschen lichkeit verbessert. Die Preisträger selbst mit Behinderung abbaut. Der Medienpreis wird gefördert werden als Botschafter für Menschen mit von der Bruderhilfe-Pax-Familienfürsorge, den Versiche- Beeinträchtigung und Inklusion wahrge- rern im Raum der Kirchen. nommen. Leichte Sprache: Die Bundesvereinigung baut ihr Ange- Wichtige Informationen werden Men- bot in leicht verständlicher Sprache stetig aus: Sie bringt schen mit geistiger Beeinträchtigung zu- einen neuen Online-Newsletter und weitere Bücher in gänglich gemacht. Davon profitieren alle, Leichter Sprache heraus. Sie übersetzt ihre politischen wenn es etwa um schwer verständliche Forderungen für den Parlamentarischen Abend, ebenso Behördenformulare oder Gebrauchs- wichtige Stellungnahmen sowie den Jahres- und Wirkungs- anweisungen geht. Leichte Sprache ist bericht. Zudem veröffentlicht sie Texte in Leichter Sprache eine entscheidende Voraussetzung für im Magazin der Lebenshilfe-Zeitung und im Internet. gelingende Inklusion. Kooperationen mit der Wirtschaft: Die Bundesvereini- Die Lebenshilfe will die Wirtschaft als gung entwickelt mit großen Unternehmen innovative Pro- Partner für Inklusion gewinnen. Durch jekte. So schult die Telekom Menschen mit Behinderung kreative Kooperationen erfahren Un- im Umgang mit einem Handy, toom-Baumärkte bieten ternehmen einen Perspektiv-Wechsel. Praktikums- und ausgelagerte Werkstattplätze an (siehe Begegnungen auf Augenhöhe machen Seiten 22 und 23). Daneben werden die Mitarbeitenden Führungskräften wie Mitarbeitenden der Partner-Firmen über die Arbeit der Lebenshilfe infor- deutlich, dass Menschen mit Behinderung miert, über gemeinsame Aktionen entstehen Kontakte zu ganz eigene Talente besitzen und ein Menschen mit Behinderung. wertvoller Teil der Gesellschaft sind. Jahres- und Wirkungsbericht 2017 21
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