Barrierefrei Mobil monat - Die Zeitschrift - Österreichischer Behindertenrat

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Barrierefrei Mobil monat - Die Zeitschrift - Österreichischer Behindertenrat
Die Zeitschrift
monat
  Ausgabe 3/2020

Barrierefrei Mobil

      behindertenrat • www.behindertenrat.at • Aboservice Tel.: (01) 513 1 533 • Abo: 24,00 Euro/Ausland + Porto
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editorial
                                                    Foto: Privat

            Liebe Leser*innen!

            I
               ch hoffe, Sie konnten sich über den Sommer etwas erholen. Die
               COVID-19 Pandemie bestimmt noch immer vieles in unserem Leben.
               Wir als Interessenvertretung sind gewappnet für einen intensiven
            Herbst und werden uns auch wieder mit voller Kraft für Menschen mit
            Behinderungen einsetzen.

            Als Österreichischer Behindertenrat ist barrierefreie Mobilität eines
            unserer Kernthemen und daher auch Fokus dieser Ausgabe der Zeit-
            schrift „monat“. Besonders intensiv arbeiten wir mit den ÖBB und den
            Wiener Linien zusammen, um den öffentlichen Verkehr immer barriere-
            freier zu gestalten. In dieser Ausgabe geben wir Einblick in die Arbeit
            des Behindertenrates zum Thema Mobilität auf den Seiten 10 bis 16.
            Wie Menschen mit Lernschwierigkeiten den öffentlichen Verkehr nutzen
            können, zeigt ein Projekt von Jugend am Werk auf den Seiten 22-23.

            Vor uns liegt die graue Aussicht auf einen Herbst und Winter im kons-
            tanten Pandemiedruck. Neben Abstand halten, Handhygiene und dem
            Nutzen eines Mund-Nasen-Schutzes, vergessen Sie nicht, auch auf Ihre
            psychische Gesundheit zu achten. 

                                                                     Herzliche Grüße
                                                                      Herbert Pichler

                                                                   www.behindertenrat.at   3
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4   www.behindertenrat.at
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Aus dem Inhalt                                                                                                       Ausgabe 3/2020

Editorial			                          3

Die Krux mit der Einstufung           8

Mobilität in der Zukunft             10

Inklusive Planung mit den ÖBB        14

Must Have: Barrierefreie
Toiletten			                         18

Projekt zu automatisierter
Mobilität 			                        21

Mut machen zum Selbstfahren          22

Mobilität für Alle! 		               24

Was muss die Zukunft bringen?        30

Buchrezensionen                      32

                                                                      Foto: Lukas Ilgner                                  Foto: Pixabay

                                          I                                                E
 Liebe Leser*innen!                           m Bereich Verkehr und Mobilität                   iner der wichtigsten Mobilitäts-
 Wir wünschen viel Spaß beim Lesen            sind Planungen auf Jahre und                      dienstleister für Menschen mit
 des neuen Heftes und freuen uns              Jahrzehnte ausgelegt. Barriere-                   Behinderungen in Österreich sind
 über Rückmeldungen an:                   freiheit kann nur gewährleistet                  die ÖBB. Wie der Behindertenrat mit
 presse@behindertenrat.at                 werden, wenn Menschen mit Behin-                 den ÖBB zusammenarbeitet, lesen Sie

 monat
                                          derungen frühzeitig eingebunden                  auf diesen Seiten.
                                          werden.

     Gefördert aus den Mitteln des                             Seiten 10 bis 13                                 Seite 14 bis 16
     Sozialministeriums

IMPRESSUM: Medieninhaber: Österreichischer Behindertenrat · Herausgeber: Herbert Pichler · Redaktion:
Gabriele Sprengseis (gs) - Heidemarie Egger (he) · Adresse: 1100 Wien, Favoritenstraße 111/11, Tel.: 01 513
1533, Mail: presse@behindertenrat.at · Website: www.behindertenrat.at · Offenlegung nach dem Mediengesetz:
www.behindertenrat.at/impressum · Gestaltung, Anzeigenverkauf, Layout und Druck: Die Medienmacher GmbH · 8151
Hitzendorf · Filiale: 4800 Attnang-Puchhheim, 07674 62 900, www.diemedienmacher.co.at · Cover: ÖBB/Katharina Stögmül-
ler · Nachdruck nur nach ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung der Redaktion gestattet. · Nicht alle Artikel entsprechen
unbedingt der Meinung der Redaktion. Wir haben das Ziel, eine möglichst breite Diskussionsbasis für behindertenpolitische
Themen und Standpunkte zu schaffen und die Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderungen zu erhöhen. · Bankverbindung:
easybank, IBAN: AT85 1420 0200 1093 0600, BIC: EASYATW1 DVR 08 67594 · ZVR-Zahl: 413797266 · Erscheinungsort Wien.

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Ausgabe 3/2020

                 DAS FEHLT               Danke!
                  Von                    Zur Pensionierung von
                  Gabriele Sprengseis
                                         Hofrat Dr. Günther SCHUSTER                            Von Heidemarie Egger

E      s fehlt ein starker Zusam-
       menhalt innerhalb der behin-
    dertenpolitischen Szene. Dem
    Österreichischen Behindertenrat
    wird die Rolle als Interessen-
    vertretung regelmäßig nicht
    zugestanden. Unsere Mitglie-
    derstruktur wird kritisiert und
    als zu „Dienstleister-orientiert“
    abgelehnt. Mitglieder bei uns
    sind große und kleine Vereine,
    gemeinnützige Dienstleistungs-
    organisationen, aber auch
    Betroffenenorganisationen der
    Selbsthilfe. Vor kurzem erst
    wurde unser Status als Inter-
    essenvertretung vom European
    Disability Forum überprüft und       Delegiertentag des Behindertenrates 2017				                           Foto: Janousek
    bestätigt. Dort können Orga-

                                         J
    nisationen nur dann Mitglied              ahrzehntelang setzte sich          Pichler, Präsident des Behinderten-
    sein, wenn sie überwiegend von            Dr. Günther Schuster erfolgreich   rates, bedankt sich vielmals bei ihm:
    Menschen mit Behinderungen                und mit viel Herzblut für die      „Die Zusammenarbeit mit Herrn Dr.
    getragen werden.                     Belange von Menschen mit Behin-         Schuster habe ich immer sehr ge-
    Wir fordern nun auch die öster-      derungen ein. Im Sommer 2020 trat       schätzt. Als Unterstützer an unserer
    reichische behindertenpolitische     er nun wohlverdient die Pension an      Seite fehlt er uns jetzt schon jeden
    Szene auf, uns an unserer Arbeit     und ist nicht mehr Amtsleiter des       Tag. Und auch mir persönlich ganz
    und unserer aktuellen Struktur       Sozialministeriumservices. Herbert      besonders als Mensch.“ 
    zu messen und die reflexartige
    Kritik zu überdenken. Als Be-
    hindertenrat gehen wir den Weg
    der Zusammenarbeit und geben
    Diskursraum für alle Stakehol-
    der. Gerade jetzt, angesichts
    der COVID-19 Herausforderung
    und auch der anstehenden
    Pflegereform, muss die margi-
    nalisierte Gruppe der Menschen
    mit Behinderungen gemeinsam
    agieren. Nur mit einem starken
    Zusammenhalt lassen sich die
    Forderungen an die Politik auch
    durchsetzen und die Behinder-
    tenpolitik voranbringen. 
    *   g.sprengseis@behindertenrat.at
                                         Konferenz "Arbeit für Alle" 2018				                        Foto: dabei/Harald Lachner

6           www.behindertenrat.at
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Pflege                                                                                                    Ausgabe 3/2020

Aktionstag pflegender Angehöriger
Sonntag der 13.09.2020			                                    Von Birgit Meinhard-Schiebel / IG pflegende Angehörige

F
    ast eine Million Menschen in         mir besser geht damit. Und wenn        auf die Situation der pflegenden An-
    Österreich sind pflegende Ange-      ich einmal für ein oder zwei Tage      gehörigen aufmerksam zu machen.
    hörige. Sie machen es möglich,       zu meinen Verwandten fahre, dann       In der Covid-19-Krisenzeit hat sich
dass pflegebedürftige Menschen           begleiten mich immer die Gedanken,     ganz deutlich herauskristallisiert,
daheimbleiben können. Viel zu we-        ob daheim alles gut geht“. Wie es      dass sie jetzt von zusätzlichen Pro-
nige nehmen dabei weitere Hilfen in      über die Jahre weitergeht? Sie weiß    blemen belastet sind. Viele wichtige
Anspruch, viel zu wenige von ihnen       es nicht und macht weiter. Eine Mut-   und notwendige Einschränkungen,
wissen, welche Unterstützungsan-         ter, deren mittlerweile erwachsenes    um das Virus in Schach zu halten,
gebote es gibt. Es ist „die Pflege im    Kind schwer chronisch krank ist, hat   betreffen den Pflegealltag ganz
Verborgenen“.                            in den vielen Jahren immer wieder      besonders.
                                         Hoffnung geschöpft, dass ihr Kind
Der 2. Nationale Aktionstag für pfle-    alles bekommt, was es braucht. Ihr     Umso wichtiger war die breite
gende Angehörige am Sonntag, dem         jahrelanger Kampf um Unterstüt-        Aufmerksamkeit für den 2. Natio-
13.9.2020, machte in den schwieri-       zungsleistungen bestimmt ihren         nalen Aktionstag am 13.09.2020.
gen Zeiten der Covid-19-Krise deut-      Alltag und an manchen Tagen fehlt      Aufgrund der Covid-19-Krise fand er
lich, dass gerade sie auch keinen        die Luft, um durchzuatmen.             virtuell statt.
freien Sonntag kennen. „So habe
ich mir das nicht vorgestellt, das       Diese persönlichen Erfahrungen         Weil wir wissen, dass pflegende
mit der Pflege“ sagt Frau F., die seit   sind exemplarisch und beschreiben,     Angehörige keinen freien Sonntag
Jahren für ihre pflegebedürftigen        wie das Leben sich verändert, wenn     haben, weil wir wissen, dass sie jetzt
Eltern sorgt. Ihr eigenes Leben hat      Menschen zu pflegenden Angehöri-       und immer Unterstützung brauchen.
sie darauf eingerichtet, nicht nur für   gen werden. Sie sind es, für die die   Weil wir wissen, dass vielen von
ihre Eltern da zu sein, sondern auch     Interessengemeinschaft pflegender      ihnen die Unterstützungsangebote,
in ihrer Familie und in dem kleinen      Angehöriger seit 2010 ehrenamtlich     die es gibt, nicht genug bekannt
Betrieb, den ihr Mann führt, zu          arbeitet. Als Internetplattform mit    sind. Wir setzen uns mit unserer
helfen. „Ich kann nicht nachdenken,      vielen Links zu Serviceangeboten,      ganzen Kraft für sie ein, egal an
was ich alles tun könnte, damit es       mit Forderungen an die Politik, um     welchem Wochentag. 

                                                                                       www.behindertenrat.at         7
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Pflege

Die Krux mit der Einstufung
Aktuelles zum Pflegegeldrecht                                               Von Sebastian Müller / Behindertenanwaltschaft

                                                                    kommt etwa bei hochgradig sehbehinderten Menschen,
                                                                    blinden Menschen und taubblinden Menschen zur
                                                                    Anwendung und wird auch „diagnosebezogene Einstu-
                                                                    fung“ genannt. Hierbei wird nämlich nicht im Einzelnen
                                                                    erhoben, welche Tätigkeiten der Antragsteller/die
                                                                    Antragstellerin noch selbst vornehmen kann und welche
                                                                    nicht. Stattdessen wird nur darauf geschaut, welche
                                                                    körperliche Behinderung in welchem Ausmaß vorliegt.
                                                                    Je nach dem wird „automatisch“ Pflegestufe 3, 4 oder 5
                                                                    festgesetzt. Liegt der individuelle Bedarf höher, so ist
                                                                    aber dieser ausschlaggebend.

                                                                    Nicht für alle
                                                                    Neben den bereits genannten Arten von Behinderun-
                                                                    gen gibt es noch eine weitere Gruppe von Menschen
                                                                    mit Behinderungen, bei denen eine Mindesteinstufung
                                                                    vorzunehmen ist: nämlich Rollstuhlfahrerinnen und
                                                                    Rollstuhlfahrer. Allerdings sind hier die Voraussetzungen
                                      Foto: Pixabay/KlausHausmann   etwas komplizierter. Zum einen muss der Rollstuhl die
                                                                    weitgehend selbstständige Lebensführung ermöglichen.

S
     eit über 25 Jahren gibt es in Österreich mit dem               Damit können zum Beispiel viele, die nach einem Schlag-
     Bundespflegegeldgeldgesetz eine zentrale und                   anfall einen Rollstuhl benutzen und gleichzeitig die
     einheitliche Rechtsgrundlage, um Personen, welche              Hilfe anderer für ihre Lebensführung benötigen, keine
ihren Alltag nicht (mehr) ohne pflegerische Hilfe bewäl-            Mindesteinstufung beantragen. Ihnen bleibt aber natür-
tigen können, finanziell zu unterstützen. Dazu wird der             lich die oben beschriebene Erhebung des individuellen
Stundenbedarf an Pflegeleistungen erhoben. Die Einstu-              Pflege- und Betreuungsbedarfs.
fungsverordnung schreibt vor, wie viel Zeit für einzelne,
typische Pflegeleistungen zu veranschlagen ist. Eine                Außerdem braucht man eine von wenigen ausdrücklich
Über- oder Unterschreitung je nach individueller Situati-           aufgezählten Diagnosen, die Grund für die Benutzung
on natürlich möglich ist.                                           des Rollstuhls sind, nämlich Querschnittlähmung, beid-
                                                                    seitige Beinamputation, genetische Muskeldystrophie,
Einstufung                                                          Encephalitis disseminata oder infantile Cerebralparese (§
Beurteilen müssen die ärztlichen Sachverständigen                   4a Abs. 1).
– meistens sind es Ärztinnen und Ärzte der Pensions-
versicherungsanstalt, da diese für die meisten Pflege-              Doch was ist mit anderen Rollstuhlfahrer*innen? Warum
geldanträge zuständig ist - also den gesundheitlichen               bekommen sie nicht einfach eine Mindesteinstufung? Noch
Zustand des Antragstellers/der Antragstellerin und                  dazu, wo unsere Verfassung die Gleichbehandlung von
welche Verrichtungen des Alltags (An- und Auskleiden,               Menschen, die sich in vergleichbaren Lebenssituationen
Nahrungszubereitung, Körperpflege, usw) wegen des                   befinden, verlangt (Art. 7 Bundes-Verfassungsgesetz).
gesundheitlichen Zustandes nicht mehr selbst vorge-                 Das Landesgericht Salzburg hat kürzlich ein Pflegegeld-
nommen werden können. Man spricht bei diesem System                 verfahren zum Anlass genommen, den Verfassungsge-
von der „funktionsbezogenen Einstufung“.                            richtshof genau mit dieser Frage zu konfrontieren
                                                                    (G 280/2019 ua). Konkret möchte es erreichen, dass der
Daneben gibt es im Bundespflegegeldgesetz, konkret                  Verfassungsgerichtshof die bei Rollstuhlfahrer*innen
in § 4a, auch das System der Mindesteinstufung. Dieses              zusätzlich erforderlichen Diagnosen streicht, sodass alle,

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Ausgabe 3/2020

die einen Rollstuhl aktiv verwenden, eine Mindesteinstu-              Mindesthöhe bekommen, sondern stattdessen ein
fung erhalten. Doch kann dadurch wirklich mehr Gleich-                manchmal mühevolles Einstufungsverfahren mitsamt
behandlung herbeigeführt werden?                                      Beibringung von Unterlagen und Untersuchungen bei
                                                                      der Behörde durchlaufen sollen. Diese Frage ist natürlich
Gleichbehandlung                                                      nachvollziehbar und wird vom Aufhebungsantrag des
Der Gesetzgeber ist an die Verfassung gebunden und                    Landesgericht Salzburg auch angesprochen. Beantwor-
damit auch an den Gleichheitssatz. Er muss also gleiches              ten kann diese Frage in Wahrheit nur die Politik. Mit der
gleich und ungleiches ungleich behandeln. Dabei darf er               Aufhebung von Wortfolgen des Gesetzes kann man hier
aber eine Durchschnittsbetrachtung anstellen. Alles ande-             leider nur wenig erreichen. Am allerwenigsten gedient
re wäre wohl oft eine Überforderung des Gesetzgebers und              wäre Menschen mit Behinderungen, wenn der § 4a BPGG
der Vollziehung. Die Mindesteinstufung soll nämlich auch              zur Gänze gestrichen würde. Dann hätten nicht einmal
eine Verwaltungserleichterung sein. Man geht davon aus,               die dort genannten Gruppen einen erleichterten Zugang
dass mit den dort genannten Behinderungen typischer-                  zu Pflegegeldleistungen.
weise gleichartige Pflege- und Betreuungsbedarfe einher-
gehen, diese Personen bekommen also immer das gleiche                 Reformbedarf
Geld. Damit sollen vor allem Nachteile ihrer Mobilität                Erst eine umfassende Reform des Pflegegeldwesen,
ausgeglichen werden, die schwer in Zeit messbar sind.                 insbesondere auch eine bedarfsgerechte Erhöhung der
                                                                      Auszahlungssummen, würde zu mehr Gerechtigkeit
Die Mühen des Verfahrens                                              führen. 
Menschen mit anderen Behinderungen fragen sich viel-
leicht, warum sie nicht Pflegegeld in einer bestimmten
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Barrierefrei Mobil monat - Die Zeitschrift - Österreichischer Behindertenrat
Mobilität

Mobilität in der Zukunft
Baustellen der Barrierefreiheit						                                                                 Von Emil Benesch

                                                                                   besonders wichtig. Echtzeitinfor-
                                                                                   mationen sind gefragt, um sich
                                                                                   auf Änderungen rasch einstellen
                                                                                   zu können. Wann und auf welchem
                                                                                   Bahnsteig fährt mein Zug oder
                                                                                   wie ist der Schienenersatzverkehr
                                                                                   geregelt? Neue Monitore der ÖBB
                                                                                   liefern nun Echtzeitinformationen
                                                                                   nach dem Mehr-Sinne-Prinzip. Sie
                                                                                   bieten damit auch Fahrgästen mit
                                                                                   Behinderungen einen Zugang zu ak-
                                                                                   tuellen Zuginformationen. Dieselben
                                                                                   Informationen, die am Bildschirm
                                                                                   visuell angezeigt werden, können
                                                                                   per Knopfdruck auch akustisch
                                                                                   abgerufen werden. Für Personen mit
                                                                                   Sehbehinderungen und blinde Men-
                                                                                   schen ist das ein großer Fortschritt.
Nur über Barrieren zur Elektromobilität 				                       Foto: Benesch   Sie hören jetzt die Informationen,
                                                                                   die sie nicht sehen können.

O
      b für Menschen mit Behinde-       mit dem Rollstuhl erreichbar ist.
      rungen in der Zukunft Mobi-       Überall sind E-Ladestation anzutref-       An der Entwicklung des neuen
      lität barrierefrei möglich sein   fen, die so gestaltet sind, dass sie       Monitors haben sich Expert*innen
wird, wird in Planungsprozessen         eine Verwendung durch Personen im          mit Behinderungen beteiligt. Am
Jahre vorher festgelegt. Immer          Rollstuhl nicht erlauben.                  ÖBB Bürostandort Praterstern in
mehr gelingt es dem Behindertenrat      Auch bei BM Gewessler wurde dieses         Wien wurde der Monitor getestet.
und den Expert*innen mit Behinde-       Thema bereits angesprochen. Es             Geprüft wurde, wie blinde und
rungen inklusive Planungsprozesse       fehlt an Barrierefreiheit, wie etwa        sehbehinderte Menschen die akus-
einzufordern, zum Nutzen aller.         bei der E-Ladestation direkt vor           tische Sprachausgabe nützen und
                                        dem Sozialministerium. Menschen            diese Informationen aufnehmen. Die
Klimaschutz                             mit Behinderungen dürfen nicht             Rückmeldungen führten schließlich
Der Elektromobilität gehört die         von der Nutzung klimafreundlicher          zu Änderungen beim Design, der
Zukunft. Zur Versorgung von E-Autos     Zukunftstechnologien ausgeschlos-          Sprachausgabe, dem Tastenmecha-
mit Strom entstehen derzeit E-Lade-     sen werden. Für die Entschärfung           nismus und bei der Bedienung des
stationen in ganz Österreich in         der Klimakrise benötigt es die             Monitors.
großer Zahl. In der Euphorie wurde      Bemühungen und Beiträge aller
konsequent darauf vergessen, dass       Menschen. Gemäß der Devise: Mit            Kleine Bahnhöfe
auch Menschen mit Behinderungen         Inklusion für mehr Klimaschutz! Mit        Mit der Entwicklung des innovati-
E-Ladestationen nutzen wollen.          Klimaschutz zu mehr Inklusion!             ven Monitors setzen die ÖBB eine
Lenker*innen, die einen Rollstuhl                                                  Initiative für mehr barrierefreie
verwenden, wollen auch die Mög-         Zwei-Sinne-Prinzip                         Informationen an kleinen Bahnhö-
lichkeit haben ein E-Auto zu fahren.    Informationen sind eine Vorausset-         fen in ländlichen Gebieten. In einem
Eine Voraussetzung dafür ist, dieses    zung, um gut mobil sein zu können.         Pilotbetrieb auf der Salzkammergut-
auch aufladen zu können. Dazu ist       Am Bahnhof sind umfassende und             bahn zwischen Attnang-Puchheim
es notwendig, dass die Ladestation      aktuelle Zuginformationen                  und Stainach-Irdning wurden bereits

10       www.behindertenrat.at
Ausgabe 3/2020

zehn neu entwickelte Monitore,          zu verwenden. Alle Bewohner*in-
teilweise in Wandmontage oder auf       nen? Nein, manche müssen draußen
Stelen errichtet. Sie bieten Fahr-      bleiben. Personen mit Rollstuhl sind
gästen mit Behinderungen einen          von den Busfahrten ausgeschlos-
barrierefreien Zugang zu aktuellen      sen. Der Behindertenrat und seine
Zuginformationen.                       Mitglieder setzen sich dafür ein,
                                        dass bereits Prototypen barrierefrei
Digitale Assistenzsysteme               gestaltet werden.
Ende Juni erfolgte mit einer In-
formationsveranstaltung bei den         Taktile Leitsysteme
Wiener Stadtwerken der Auftakt für      Ärzte empfehlen, Stolperfallen zu
eine spannende Testphase. Teil-         Hause wie lose Kabel, rutschende
nehmer*innen mit Behinderungen          Teppiche und Türschwellen zu be-
können einen persönlichen digitalen     seitigen, um Unfällen vorzubeugen.
Assistenten für mehrere Monate tes-     Gehen wir aus dem Haus, wünschen
ten. Das Testgerät erlaubt Interakti-   wir uns den öffentlichen Raum mit
onen durch Sprache, Bild, Video und     Wegen und Plätzen frei von Stolper-
Berührung und verfügt über eine         fallen. Wer bewegt sich nicht gerne         Gehen am taktilen Leitsystem
Vielzahl eingebauter Funktionen,        auf breiten Gehsteigen, die eben                                          Foto: Lukas Ilgner

welche auch einfach erweitert wer-      und frei von Hindernissen sind?             Bevorzugt werden zum Gehen na-
den können. Genau um Weiterent-                                                     türliche, schon bestehende, lineare
wicklung geht es. Die Testpersonen      Blinde Menschen benötigen darüber           Strukturen, wie Hausmauern, Brüs-
mit Behinderungen sind eingeladen       hinaus die Möglichkeit, sich zu ori-        tungen, Geländer und Rasenkanten.
die Barrierefreiheit zu testen und      entieren. Einige wenige haben einen
mit ihrer Erfahrung und Kreativität     Assistenzhund, der hilft Wege zu fin-       Wo natürliche Strukturen zur takti-
neue Ideen für neue Anwendungen         den und Gefahren auszuweichen. Die          len Orientierung mit dem Langstock
zu sammeln.                             meisten blinden Personen jedoch             fehlen, sind taktile Leitsysteme
                                        greifen auf den Langstock zurück, um        gefragt. Sie bilden einen Grundstein
Mobilitätsbereich                       sich tastend zu orientieren.                für die selbstständige Mobilität.
Hier haben die Wiener Stadtwerke
bereits zwei Anwendungen ent-
wickelt und öffentlich verfügbar
gemacht, welche die Abfrage der
Abfahrtszeiten der Öffis der Wiener
Linien und der Wiener Lokalbahnen
in einzelnen Stationen durch Spra-
che ermöglichen.

Fahrerlose Busse
Die technologische Entwicklung
erlaubt es, Fahrzeuge ohne Lenke-
rinnen oder Lenker fahren zu lassen.
Ein Testbetrieb eines fahrerlosen
Autobusses läuft in der Wiener
Seestadt Aspern. Die Wiener Linien
beabsichtigen mit diesem Prototy-
pen Erkenntnisse für eine spätere
Verwendung im Regelbetrieb zu
gewinnen. Die Bewohner*innen des
Stadtteils sind eingeladen, den Bus     Selbstfahrender Bus in Wien - Einstieg nur ohne Rollstuhl      Foto: Christopher Schlembach

                                                                                            www.behindertenrat.at             11
Mobilität

                                                                                       Nicht nur teilweise, oder manch-
                                                                                       mal, sondern immer und überall. So
                                                                                       wie auf Fahrspuren von Autobah-
                                                                                       nen nicht plötzlich ein Mistkübel
                                                                                       aufgestellt wird, wollen blinde
                                                                                       Menschen darauf zählen können,
                                                                                       dass auf ihren Wegen keine künst-
                                                                                       lichen Hindernisse - Mistkübel und
                                                                                       scharfkantige mobile Straßenver-
                                                                                       kehrszeichen - und damit Unfallge-
                                                                                       fahren aufgebaut werden. Taktile
                                                                                       Leitsysteme sind von Einbauten und
                                                                                       Gegenständen frei zu halten. Für
                                                                                       die gute, sichere Nutzbarkeit ist
                                                                                       auch ein mindestens 40 cm breiter
                                                                                       Streifen links und rechts frei von
                                                                                       Hindernissen zu halten. Blutige
                                                                                       Verletzungen sind die Folge, wenn
                                                                                       scharfkantige Verkehrsschilder auf
                                                                                       Wegen blinder Menschen zu stehen
                                                                                       kommen. Unfälle passieren, wenn
                                                                                       achtlos abgestellte E-Scooter oder
                                                                                       kurzfristig eingerichtete Baustellen
                                                                                       die Wege blinder Menschen behin-
                                                                                       dern oder die Tastleiste für den Blin-
                                                                                       den-Langstock bei Gerüsten fehlt.

                                                                                       Sicherheitsabstände
                                                                                       Sie dienen dazu blinde Menschen
                                                                                       möglichst fern von Gefahrenquellen
                                                                                       zu halten. Daher wird ein Abstand
                                                                                       von 80 cm oder mehr zwischen
Pflanzentröge können die Orientierung behindern.			               Foto: Lukas Ilgner   taktilen Leitstreifen und Rand-
                                                                                       steinkanten von Busfahrbahnen
Ertastbare Orientierungsmög-            menhängend, also lückenlos ertast-             oder Gleiskörpern von Straßenbahn-
lichkeiten sind unverzichtbar, um       bar sein. Übergänge von natürli-               zügen eingesetzt. Die Wiener Linien
selbstständig unterwegs zu sein. Sie    chen Strukturen wie Hausmauern zu              und die ÖBB gehen hier mit gutem
bedürfen dabei bestimmter Qualitä-      eingebauten taktilen Leitsystemen              Beispiel voran. Für U-Bahn und ÖBB
ten, um ihre Funktion zu erfüllen.      sind bei der Planung zu bedenken               Bahnsteige gelten noch größere
                                        und entsprechend zu gestalten. Da              Sicherheitsabstände.
Taktile Bodeninformationen              blinde Menschen sich Wege ein-
Ein taktiles Leitsystem muss an jeder   prägen und merken müssen, ist es               Wartung
Stelle taktil ertastbar sein. Gute      wichtig, Leitsysteme nach einer                Selbst gut geplante Leitsysteme
Ertastbarkeit wird erzielt, wenn die    Logik und gewissen Regeln, wieder-             können in die Jahre kommen und
Profilhöhe zwischen den Stegen und      kehrenden Gesetzmäßigkeiten zu                 unbrauchbar werden. Damit Leit-
Rillen 4,5 mm beträgt und an den        gestalten.                                     systeme nicht zur Dekoration im
taktilen Leitstreifen beidseitig eine                                                  öffentlichen Raum verkommen und
15 cm glatte, visuell gut unter-        Ist ein Blindenleitsystem eingerich-           nur Sehenden auffallen, wenn sie
scheidbare Fläche angrenzt.             tet, gilt es, dieses frei von Hinder-          lineare Formen am Boden wahr-
Taktile Leitsysteme müssen zusam-       nissen zu halten.                              nehmen oder mit dem Rollkoffer

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Ausgabe 3/2020

drüber rattern, sondern tatsächlich      Blindenwohlfahrt, wenn es gilt ein     Plan. Die Einbindung der Expert*in-
blinden Menschen Mobilität ermög-        taktiles Leitsystem in einer U-Bahn-   nen mit Behinderungen ist überaus
lichen, ist kontinuierliche Wartung      station neu oder umzuplanen.           effizient, bringt Planungssicherheit
erforderlich. Wird diese von den         Anhand der meterlangen Pläne der       und Nutzungsqualität für viele Jah-
Bauämtern und Stadtverwaltungen          Wiener Linien werden dann Meter        re. Die taktilen Leitsysteme in den
eingeplant, kann der Entstehung          für Meter die taktilen Bodeninforma-   Wiener U-Bahnstationen sind keine
von Lücken, Abnützungserscheinun-        tionen durchbesprochen. Wie erfolgt    Dekoration. Sie sind wertvolle, gut
gen oder mangelhafter Ertastbarkeit      die Anbindung an den Aufzug? Wie       durchdachte Orientierungssysteme,
entgegengewirkt werden. Während          bei der Rolltreppe? Wo sind potenti-   die blinden Menschen und Menschen
die regelmäßige Wartung etwa von         elle Gefahrenstellen zu entschärfen?   mit Sehbehinderungen selbstständi-
Aufzügen in Normen genau geregelt        Das Ergebnis ist ein zur Zufrieden-    ge Mobilität ermöglichen. 
ist, schuf das ASI (Austrian Standard    heit aller abgestimmter, optimierter
Institute) im Jahr 2018 die ÖNORM
V2102 zu taktilen Bodeninformati-
onssystemen, ohne Anforderungen
an die Instandhaltung vorzusehen.
Ein Mangel in der ÖNORM, der zu
beheben sein wird.

Die Entscheidung über Wartungs-
intensität und Langlebigkeit des
taktilen Leitsystems wird bereits in
der Phase der Planung getroffen.
Fliesen, Natur- und Betonsteine sind
teurer in der Anschaffung, dafür
einwandfrei ertastbar, langlebig
und wartungsarm. Der Auftrag einer
weißen Bodenmarkierungsfarbe ist
vergleichsweise billiger und kurzfris-
tig zu organisieren. Dieses System
unterliegt einer starken Abnutzung
und wird, ohne kontinuierlicher
Kontrolle, Wartung und Ausbesse-
rung, in wenigen Jahren für blinde
Menschen unbrauchbar. Neben der
Materialwahl kommt der Planung
und Verortung taktiler Leitsysteme
eine große Bedeutung zu.

Wiener U-Bahnstationen
Seit 1,5 Jahren treffen sich Luke
Meysner, zuständig für Netzent-
wicklung und Infrastrukturplanung
bei den Wiener Linien und Vertre-
ter*innen der 4 Blindenorganisa-
tionen Blickkontakt, Blinden- und
Sehbehindertenverband Wien, NÖ
und Burgenland, Hilfsgemeinschaft
der Blinden und Sehschwachen
Österreichs und die Österreichische      Neuer Fahrkartenautomat im Test					                              Foto: Janousek

                                                                                       www.behindertenrat.at        13
Mobilität

Test des Eingangsbereiches der Fernverkehrszüge von Nutzer*innen diverser Rollstuhltypen			                     Foto: Benesch

Inklusive Planung mit den ÖBB
                                                                                                        Von Emil Benesch

D
      ie ÖBB planen ab 2022 mit neuen Zügen nach                  Planungen des barrierefreien Niederflurwagons die
      Venedig, Rom und Mailand zu fahren. Dazu werden             Diskussion. Siemens hatte für die Nutzer*innen von
      neue Fernverkehrszüge für den Nacht- und Tag-               Rollstühlen einen eigenen Bereich geplant. Mit barrie-
betrieb gebaut.                                                   refreiem Einstieg, barrierefreiem WC und Service gleich
                                                                  nebenan. Die Anwesenden Nutzer*innen von Rollstühlen
Holpriger Start                                                   jedoch empfanden die Planungen als weitere Einzemen-
Alles begann mit einem Deja-vu Erlebnis. Die Techni-              tierung einer gesellschaftlichen Absonderung. Das Wort
ker von Siemens hatten es gut gemeint. Sie hatten in              Ghetto-Abteil machte die Runde. Dem Behindertenrat
ihrer Vorstellung an alles gedacht und waren sich der             kam die Rolle zu, die Diskussion zu moderieren und
Zustimmung der Behindertenorganisationen sicher. Und              mitzuhelfen, trotz Unzufriedenheit und Unverständnis
so nahmen an der Auftakt-Sitzung neben dem Siemens                doch noch einen Weg hin zu einer Zusammenarbeit zu
Projektleiter einige weitere Mitarbeiter teil. In der             finden. Die Gefahr stand im Raum, dass die Zusammen-
Tasche Pläne für die neuen Fernverkehrszüge der ÖBB.              arbeit zur Zugsentwicklung beendet wäre, bevor sie
Für die Produktion von acht neunteiligen Zügen für den            noch begonnen hat. Auf Verlangen der Expert*innen mit
Tagverkehr und 13 siebenteiligen Zügen für den Nacht-             Behinderungen erfolgte eine Sitzungsunterbrechung,
verkehr. Da sich auch seitens der ÖBB die Projektleitung          um das weitere Vorgehen zu beratschlagen. Der Wunsch
und weitere Techniker*innen sowie Vertreter*innen von             war, das Meeting abzubrechen, die kritisierten Entwürfe
Behindertenorganisationen den Termin nicht entgehen               „zu kübeln“ und die Zugplanungen gemeinsam neu zu
lassen wollten, war der Besprechungsraum übervoll.                beginnen.
Wenige Minuten nach Beginn des Treffens mündete die
Sitzung in einen Eklat. Was war passiert?                         ÖBB und Barrierefreiheit
                                                                  Im Zuge des Abbruchs der Sitzung wurde seitens der ÖBB
Barrierefreiheit versus Inklusion                                 und Siemens auf den Zeitverlust und die zusätzlichen
Bei der Vorstellung der geplanten Raumaufteilungen                Kosten verwiesen, die ein „zurück an den Start“ und
in den Wagons entzündete sich insbesondere an den                 Neuplanungen verursachen würden.

14        www.behindertenrat.at
Ausgabe 3/2020

Für die anwesenden Vertreter*innen von Behindertenor-         bei Planung und Umsetzung, weil es an Wissen und Ver-
ganisationen wiederum war ein Akzeptieren der präsen-         ständnis für Nutzer*innen mit Behinderungen mangelt.
tierten Pläne undenkbar. Nach 14 Tagen der Nachdenk-
pause erfolgte der Neubeginn. Die Bereitschaft dazu
wird den ÖBB von den Behindertenverbänden sehr hoch
angerechnet. Sie bewiesen damit Weitblick und unter-
strichen ihre besondere Position in Österreich. Durch die
Bereitschaft zur Neuplanung und die Wahl des zunächst
scheinbar beschwerlicheren und kostspieligeren Weges
haben die ÖBB den Beweis angetreten, dass sie es mit
Barrierefreiheit und Inklusion ernst meinen.

Inklusive Planungsgruppe
Die Behindertenverbände wiederum haben das Entge-
genkommen der ÖBB mit der Investition von viel Zeit
und dem Einbringen ihres Fachwissens honoriert. Die
erste Herausforderung war, den PRM (PRM = Persons             Test von Türtastern und -signaltönen   Foto: ÖBB/Katharina Stögmüller
with Reduced Mobility - Menschen mit Moblitätsein-
schränkungen) Bereich im Fernverkehrszug nicht nur            Kriterien für Barrierefreiheit
barrierefrei, sondern inklusiv zu gestalten. Die Plätze für   Die ÖBB wollen das Potential für Weiterentwicklun-
Nutzer*innen von Rollstühlen sollten so gestaltet wer-        gen nutzen und haben Interessenvertreter*innen der
den, dass diese ebenso mit Menschen ohne Behinderun-          Menschen mit Behinderungen eingeladen, gemeinsam
gen, beispielsweise ihrer eigenen Familie, zusammensit-       unbedingt zu beachtende Kriterien für barrierefreie
zen und reisen können. Eine gleichwertige Ausstattung         Eisenbahnfahrzeuge festzuschreiben. Mit einem solchen
der Sitzplätze für Menschen mit Behinderungen mit             Kriterienkatalog kann Zulieferern und Designern künftig
denselben Elementen und in gleich hoher Qualität, wie         frühzeitig kommuniziert werden, was die ÖBB hinsicht-
sie Plätze für Menschen ohne Behinderungen vorfinden,         lich Barrierefreiheit und Inklusion erwarten. Je früher
ist ein weiteres wichtiges Anliegen bei der Planung           diese Aspekte Berücksichtigung finden, desto besser das
öffentlicher Verkehrsmittel.                                  Endergebnis und desto schneller und kosteneffizienter
                                                              der Entwicklungsprozess. Während sich viele andere
Test unter realen Bedingungen                                 Betriebe immer noch mit der Beachtung selbst der
Neben Planungssitzungen erfolgte die Besprechung von          Ö-NORMEN für Barrierefreiheit - wie der B 1600 - über-
spezifischen Themenstellungen unter möglichst realen          fordert fühlen, begnügen sich die ÖBB nicht mit Min-
Bedingungen. Zur Diskussion und zum Test der Reservie-        deststandards und Mittelmaß. Sie sind, wie das Beispiel
rungsplatzanzeige, der Türsignaltöne und Taster wurde         zeigt, offen für Optimierungen.
eigens eine Garnitur eines Railjet für zwei Stunden zur
Verfügung gestellt. Expert*innen mit Behinderungen            Test eines Abteils
und Techniker*innen gingen am Wiener Hauptbahnhof             Wie ist das Raumgefühl im PRM Abteil? Wo ist Platz zum
gemeinsam an Bord. Zu testen war: Wie verhält es sich         Wenden mit dem Rollstuhl? Bei der Planung eines neuen
mit der Sichtbarkeit der Reservierungsanzeige im Zug          Abteils für Personen mit Mobilitätseinschränkungen gibt
unter realen Lichtverhältnissen? Wie sind die Türsignaltö-    es viel zu bedenken. Um die Besprechung und Adaptie-
ne vor dem Hintergrund der Geräuschkulisse eines Haupt-       rung der Innenraumgestaltung des PRM Abteils für den
bahnhofes zu wählen? Wie sollten die Türtaster gestaltet      Nachtzug möglichst unter realistischen Bedingungen
sein? Die Besprechung brachte wichtige Erkenntnisse.          durchzuführen, hat Siemens ein 1:1 Model aus Holz
                                                              angefertigt und in die Werkstätte in Simmering geladen.
„Die Form folgt der Funktion“ lautet ein zentraler De-        Zum Test kamen Personen mit mechanischen und E-Roll-
signleitsatz aus dem Produktdesign und der Architektur.       stühlen. Zwei Stunden später waren viele Varianten be-
Würden Planer*innen ohne Behinderungen den Grund-             sprochen und durchprobiert - und die Positionierungen
satz beherzigen und umsetzen, ließen sich Barrieren           der Einrichtungselemente definiert.
weitreichend vermeiden. In der Realität hapert es jedoch

                                                                                           www.behindertenrat.at             15
Mobilität                                                                                                  Ausgabe 3/2020

Nachbesprechung der Tests am Railjet mit ÖBB Projektleiter							                                             Foto: Benesch

14 Arbeitstreffen                                            War vor zwei Jahren noch vom Bau von 21 Fernver-
Bei einer anderen Gelegenheit stand der Test von Be-         kehrszügen für Fahrten nach Italien die Rede, haben sich
dienpanels mit taktilen Symbolen durch Menschen mit          die Pläne und das Auftragsvolumen seither vervielfacht.
Sehbehinderungen am Programm. Prototypen wurden              Mit dem neuen inklusiven Fernverkehrszug zielen die
herumgereicht, ertastet und besprochen. Bei einem            ÖBB nun mit der Marke Nightjet auf die führende Rolle
weiteren Termin standen taktile Piktogramme für berüh-       in Europa im Nachtreiseverkehr ab. Zuletzt wurde ange-
rungslose Bedienelemente in den künftigen Nasszellen         kündigt, 20 zusätzliche Nachtzugsgarnituren und Loko-
der Fernverkehrszüge im Focus. Rückmeldungen mün-            motiven im Wert von 500 Mio. Euro im Siemens Werk in
den, sofern technisch umsetzbar, in Adaptierungen, die       Wien produzieren zu lassen. Ab 2024 stehen auch diese
im fertigen Zug Anwendung finden. Insgesamt haben            inklusiven Züge auf Schiene. Sie bringen Menschen mit
über einen Zeitraum von zwei Jahren bereits 14 Ar-           Behinderungen ein Mehr an Mobilität, in einem ganz
beitstreffen zwischen der inklusiven Arbeitsgruppe beim      neuen Ausmaß. Den ÖBB bringen Barrierefreiheit und
Behindertenrat, den ÖBB und Siemens zu den unter-            Inklusion Top Positionen in Europa und wirtschaftlichen
schiedlichsten Themen stattgefunden. Kontinuität in          Erfolg. Die Expert*innen mit Behinderungen haben zu
der Zusammenarbeit ist ein wichtiger Baustein für gute       diesem Erfolg entscheidend beigetragen. 
Ergebnisse.

                      ÖAMTC Themenseite Behinderung und Mobilität
                      Tipps und Infos zu vielen Themen rund um die Mobilität mit Behinderungen und begleitende
                      Begünstigungen stellt der ÖAMTC auf der Themenseite Behinderung & Mobilität zur Verfügung.
                      Für individuelle Beratung ist die ÖAMTC Beratung für Mitglieder mit Behinderung gerne für Sie
                                                                                                                              Anzeige

                      erreichbar. Kontakt und Infos: www.oeamtc.at/thema/behinderung-mobilitaet/

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Mobilität                                                                                                                       Ausgabe 3/2020

Verkehr: Planung bis 2030
Nationaler Aktionsplan Behinderungen                                                               			                   Von Emil Benesch

                                                                                  städtischen und ländlichen Gebieten offenstehen oder
                                                                                  für sie bereitgestellt werden, zu gewährleisten.“ Des-
                                                                                  weiteren wird die persönliche Mobilität direkt angespro-
                                                                                  chen: Österreich trifft „wirksame Maßnahmen, um für
                                                                                  Menschen mit Behinderungen persönliche Mobilität mit
                                                                                  größtmöglicher Selbstbestimmung sicherzustellen." Wer
                                                                                  die Konvention liest und die Wirklichkeit kennt, weiß, da
                                                                                  liegt noch einiges vor uns.

                                                                                  Ein weiter Weg
                                                                                  Ein Blick in den Gesamtverkehrsplan Österreich zeigt:
                                                                                  Derzeit ist unter dem Schlagwort „mehr Barrierefreiheit
                                                                                  durchsetzen“ als einziger Teilaspekt angesprochen:
                                                                                  die „Rollstuhltauglichkeit der Stationen und der im
                                                                                  heimischen Nahverkehr eingesetzten Schienenfahrzeu-
                                                                                  ge schaffen“. Das darf noch nicht alles gewesen sein.
                                                                                  Umsetzungsmaßnahmen müssen bei der notwendigen
                                                                                  Erweiterung des Gesamtverkehrsplanes in Zukunft nichts
                                                                                  weniger als „Mobilität für alle entlang einer lückenlos
Ein Barrierefreiheitsfaktor: Aufzug   Foto: Gesellschaftsbilder.de Andi Weiland   durchgängigen, inklusiven Mobilitätskette“ liefern. Dazu
                                                                                  ist noch einiges zu tun. Im neuen NAP wird deshalb fest-

M
       anchmal sehen wir vor lauter Bäumen den Wald                               geschrieben, was wir für Inklusion im Verkehrsbereich
       nicht mehr. Die Erstellung eines neuen Aktions-                            brauchen.
       plans Behinderung für die Periode von 2022 bis
2030 ist da eine gute Gelegenheit, den Blick für das                              Ziele, Maßnahmen und Indikatoren
Ganze und das Wesentliche zu schärfen. Österreich                                 Um inklusive Mobilität für alle zu erreichen, werden
schafft mit dem NAP eine langfristige Strategie für die                           Ziele formuliert und zu jedem Ziel mehrere Maßnahmen,
Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und                                  die notwendig sind, um das jeweilige Ziel zu erreichen.
der darin garantierten Menschenrechte für Menschen                                Indikatoren werden festgelegt, damit künftig zu jedem
mit Behinderungen. Bei der gemeinsamen Erstellung des                             Zeitpunkt zweifelsfrei überprüft werden kann, wie weit
NAP Verkehr engagieren sich Menschen mit unterschied-                             die Umsetzung ist.
lichen Behinderungen, die in der Stadt wie im ländlichen
Raum zu Hause sind, sowie Expert*innen von Organisati-                            Das Ziel ist: Bis 2030 sind in Österreich für alle Men-
onen im Bereich Behinderung.                                                      schen mit Behinderungen durchgängige, inklusive Mobi-
                                                                                  litätsketten - bei denen alle einzelnen Elemente der Ket-
§ 20 UN-Behindertenrechtskonvention                                               te und alle Schnittstellen inklusiv sind - geschaffen und
„Um Menschen mit Behinderungen ein selbstbestimmtes                               in Verwendung. Oder mit anderen Worten: Jeder Mensch
Leben und die volle Teilhabe in allen Lebensbereichen                             mit Behinderungen kann dann so wie alle anderen auch
zu ermöglichen, treffen die Vertragsstaaten geeignete                             von A nach B gelangen, ohne auf Barrieren zu stoßen.
Maßnahmen mit dem Ziel, für Menschen mit Behinderun-                              Zwei konkrete Beispiele für Forderungen: Mobilitäts-
gen gleichberechtigt mit anderen Zugang zur physischen                            dienstleister und Infrastrukturbetreiber müssen Umset-
Umwelt, zu Transportmitteln, Information und Kommu-                               zungspläne für die Schaffung inklusiver Mobilitätsketten
nikation, einschließlich Informations- und Kommuni-                               vorlegen. Und: Verstärkte Einbindung der Interessenver-
kationstechnologien und -systemen, sowie zu anderen                               tretungen von und für Menschen mit Behinderungen in
Einrichtungen und Diensten, die der Öffentlichkeit in                             Planungs- und Entwicklungsprozesse. 

                                                                                                             www.behindertenrat.at       17
Mobilität

Must Have: Barrierefreie Toiletten
												                                                                                       Von Emil Benesch

E
     ine Reise kann zu Ende sein,        berührungsfreie Benutzbarkeit -        Einbindung von Expert*innen mit
     bevor sie noch begonnen hat.        etwa bei Wasser und Handtrocknung      Behinderungen so wichtig. Ist der
     Wenn kein WC da ist, hilft uns      - geachtet. Präsenzmelder und Not-     Handdesinfektionsspender in der
kein Niederflur Einstieg und keine       rufeinrichtungen sind vorhanden.       Ecke für alle erreichbar positio-
Sprachausgabe beim Ticket-               Zur Unterstützung am WC dienen         niert? Sind die Piktogramme visuell
automaten. Wenn das Fehlen einer         Stützklappgriffe und Rückenstütze.     eindeutig, für Personen mit Sehbe-
benutzbaren Toilette selbst zur          Für Platz - zum Rangieren oder zum     hinderungen ausreichend klar und
unüberwindlichen Barriere wird,          Abstellen von Gepäck - sorgt die       kontrastreich und für blinde Men-
helfen alle anderen Investitionen in     Vorgabe eines Wendekreises mit         schen ertastbar? Der Abstimmungs-
Barrierefreiheit nicht weiter. Oftmals   mindestens 150 cm zwischen WC und      prozess zwischen den Expert*innen
werden hohe Kosten und Vandalis-         unterfahrbarem Waschbecken.            mit Behinderungen und den ÖBB
mus ins Treffen geführt, wenn es                                                läuft. Die Ergebnisse werden in die
darum geht, zu erklären, warum der       Changing Place                         Gestaltung der künftigen barriere-
Einbau von WC Anlagen unterlassen        Die größte Innovation und Beson-       freien WC Anlagen an Bahnhöfen der
wird. Aber Aufzüge sind ebenfalls        derheit in den barrierefreien WCs an   ÖBB in ganz Österreich einfließen.
sehr kostspielig und von Verwüs-         ÖBB Bahnhöfen wird die Ausstat-
tungen betroffen. Niemand würde          tung mit einer elektrisch höhenver-    Toilette am Zug
auf die Idee kommen, sie deshalb         stellbaren Pflegeliege. Sie soll so    In den letzten Jahrzehnten hat sich
einzusparen. Umso erfreulicher ist       dimensioniert werden, dass sie von     bei der Barrierefreiheit von Toiletten
es, dass neue barrierefreie Toiletten    erwachsenen Personen verwendet         viel zum Besseren gewandelt. Vor 20
in Vorbereitung sind. Die beim Be-       werden kann. Für viele Menschen        Jahren waren die WC Türen in Talent
hindertenrat angesiedelte inklusive      mit schweren und mehrfachen Be-        Zügen der ÖBB so eng bemessen,
Planungsgruppe von Expert*innen          hinderungen werden so wichtige Er-     dass mit Rollstühlen kein Durchkom-
mit Behinderungen konnte in den          ledigungen unterwegs erst möglich.     men war. Heute versuchen die ÖBB
letzten Monaten die Entwicklung          Es profitieren Menschen mit Quer-      alles technisch mögliche, um Platz
von drei verschiedenen WC Modellen       schnittlähmung, Schädel-Hirn-Trau-     in den barrierefreien WCs im Zug zu
unterstützen.                            ma, angeborener schwerer Behin-        gewinnen. Begrenzende Faktoren
                                         derung oder Multipler Sklerose und     bleiben die Außenwand des Wagons
Am Bahnhof                               auch ältere Menschen, die pflege-      auf der einen Seite und der Gang auf
Die ÖBB INFRA arbeiten daran, bar-       bedürftig oder dement sind. Zum        der anderen. So sind die barriere-
rierefreie WC Anlagen zum Einbau         Wechseln einer Inkontinenzeinlage      freien WCs, die in den Zügen heute
in Bahnhöfen neu zu entwickeln.          (Windel für Erwachsene) müssen die     eingebaut werden, mit den unter-
Erste Beispiele sind am Innsbrucker      Betroffenen von ihren Begleitern       schiedlichsten Rollstuhlmodellen
Hauptbahnhof und in der Station          dann nicht mehr auf den Boden          nutzbar.
Wien Meidling in Betrieb. Je Kun-        einer öffentlichen Toilette gelegt
densanitäranlage wird ein barriere-      werden. Auch ein Stomawechsel          Wichtige Details
freies WC errichtet. Die barrierefrei-   wird zu menschenwürdigen und           Für die Klärung von Detailfragen
en Toiletten werden an Bahnhöfen         hygienischen Bedingungen möglich.      finden eigene Planungssitzungen
entlang eines barrierefreien Haupt-      Für Menschen mit Behinderungen,        statt. Ein Beispiel dafür ist die
verkehrsweges liegen und sind für        ihre Familie und Freunde erweitert     Besprechung der Piktogramme
Personen mit Sehbehinderungen            sich dadurch der Bewegungsradius.      zum barrierefreien WC der neuen
per taktilem Bodeninformations-                                                 Fernverkehrszüge. Beim Treffen
system auffindbar. Die Türe ist per      Expert*innen einbeziehen               in der ÖBB Unternehmenszentrale
„Eurokey“ und einer mechanischen         Ob Angebote barrierefrei nutzbar       waren seitens ÖBB Personen AG der
Öffnungsunterstützung zu öffnen.         sind, oder nicht entscheidet sich in   Projektleiter der neuen Fernver-
Im WC wird auf möglichst                 den Details. Deshalb ist die           kehrszüge und der Verantwortliche

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Ausgabe 3/2020

                                                                                 ersuchte um Feedback zu Plänen
                                                                                 eines WC Moduls. Trotz der sehr
                                                                                 späten, nur punktuellen Einbindung,
                                                                                 konnten durch Expert*innen mit Be-
                                                                                 hinderungen in letzter Minute noch
                                                                                 wichtige Adaptierungen erreicht
                                                                                 werden. Eine Rollstuhlnutzerin
                                                                                 ersuchte um den Einbau einer ge-
                                                                                 schlossenen WC Brille. Die ursprüng-
                                                                                 lich geplante, vorne offene WC
                                                                                 Brille, hätte die Gefahr des Einzwi-
                                                                                 ckens beim Übersteigen gebracht.
                                                                                 Für Menschen mit Sehbehinderungen
                                                                                 konnte erreicht werden, dass im
                                                                                 gänzlich grau geplanten WC Modul
                                                                                 aus Edelstahl einzelne Teile bewusst
                                                                                 in schwarz ausgeführt werden. Ein
                                                                                 besserer Kontrast, zur besseren
                                                                                 Orientierung. Alle Bedienelemente
                                                                                 werden mit Piktogrammen und Brail-
                                                                                 leschrift versehen.

                                                                                 Griff in die Klomuschel
                                                                                 verhindern
                                                                                 Für blinde Menschen ist Vorherseh-
                                                                                 barkeit extrem wichtig. Sie rechnen
                                                                                 traditionell mit dem Taster für die
                                                                                 Spülung an der Wand hinter dem
                                                                                 WC. Dementsprechend lautet die
                                                                                 Forderung, einen Taster für die
Aufkleberbestellung: eurokey@behindertenrat.at                                   Spülung - in Ergänzung zum seitlich
                                                                                 positionierten Taster - einzubauen.
für Barrierefreiheit anwesend. Eine      Danach erfolgte die Rückmeldung an      Grundsätzlich gilt bei allen Planun-
für den Innenausbau zuständige           die ÖBB und die Freigabe - Voraus-      gen zu bedenken: Es muss ertastet
Kollegin wurde aus Berlin zugeschal-     setzung für den Start der Produktion    werden, was nicht vorhergesehen
tet. Blinde Menschen und Personen        des gesamten WC Moduls.                 werden kann.
mit Sehbehinderungen haben beim
Meeting entscheidend unterstützt,        Wiener Linien                           Weil sehende Planer auf vieles
die Piktogramme zu optimieren.           Neben der Qualität der Ausführung       vergessen, sind inklusive Planungs-
Thema waren: Blendwirkungen              von WC Modulen ist auch deren           prozesse so unersetzlich. Die Ein-
durch die Beleuchtung vermeiden,         Einbau in Stationen wesentlich. Es      bindung bei Planungsprozessen der
die Annäherbarkeit an die Pikto-         fehlen auf ganzen U-Bahn Strecken       Wiener Stadtwerke und damit auch
gramme sicherstellen, Kontraste          WCs. Beim Bau der U1 zwischen           der Wiener Linien hat sich seit der
verbessern, Größen verändern. Die        Reumannplatz und Oberlaa wurde in       Schaffung der Stelle für Barrierefrei-
abgeänderten Piktogramme wur-            5 neuen U-Bahnstationen keine bar-      heit auf Ebene der Konzernleitung
den in den Tagen danach bei der          rierefreie Toilette eingebaut. Jetzt    sehr verbessert. 
Hilfsgemeinschaft der Blinden und        erfolgt in einer der fünf Stationen
Sehschwachen dreidimensional aus-        eine Nachrüstung. Der Verantwort-
gedruckt und durch Menschen mit          liche für Barrierefreiheit der Wiener
Sehbehinderungen taktil getestet.        Stadtwerke, Hans Jürgen Gross

                                                                                        www.behindertenrat.at       19
Mobilität                                                                                                           Ausgabe 3/2020

Neue Neubaugasse
Barrierefreie Mobilität durch Begegnungszonen			                                                           Von Emil Benesch

Öffentlicher Raum neu - inklusiv und mit Adaptierungen an den Klimawandel		              Copyright: APA/DND LANDSCHAFTSPLANUNG ZT KG

S
     eit 2013 haben alle Städte und Gemeinden in Öster-         Mehr Barrierefreiheit
     reich die Möglichkeit, Begegnungszonen einzurich-          Die gesamte Straßenfläche in der Begegnungszone
     ten. Das sind verkehrsberuhigte Zonen, in denen            Neubaugasse wird barrierefrei ohne Niveau-Unterschied
Fußgänger*innen, Radfahrer*innen und Autofahrer*in-             gepflastert. Für Personen mit Mobilitätseinschränkungen
nen gleichberechtigt sind und eine Höchstgeschwin-              ist das eine große Verbesserung. Durch eine intelligente
digkeit von 20 km/h gilt. „Die Teilnahme am Straßen-            Neueinteilung des Raumes gelingt es auch für andere
verkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige            Nutzer*innen Barrieren abzubauen. In einem sogenann-
Rücksichtnahme“ wird in der STVO für Begegnungszonen            ten Multifunktionsstreifen, niveaugleich zu Gehsteig und
ausgeführt. Das Konzept kann zu mehr Gleichberechti-            Fahrbahn, werden Lade- und Haltezonen angeordnet,
gung unter den verschiedenen Verkehrsteilnehmer*in-             sowie Bäume, 100 neue Sitzgelegenheiten, Wasserspiele
nen beitragen und aufgrund der entschleunigenden                und auch die Schanigärten angesiedelt. Dadurch können
Wirkung auch zu weniger Unfällen.                               im Gegenzug die Gehbereiche freigehalten und entlang
                                                                der Hausfassaden geführt werden. Blinde und sehbehin-
Neue Herausforderungen                                          derte Personen nutzen die Fassade als natürliche Leitli-
Die niveaugleiche Ausgestaltung von Gehbereichen und            nie. Nur wo natürliche Leitlinien fehlen, kommen taktile
Fahrbahnen in Begegnungszonen erleichtert die Mobi-             Taststreifen als zweitbeste Lösung zur Anwendung. Alle
lität von Personen mit Mobilitätseinschränkungen sehr.          Menschen in den Gehbereichen können sich durch den
Es gibt jedoch Personengruppen, für die ein Randstein           Multifunktionsstreifen vom Verkehr auf der Fahrbahn ge-
Orientierung und Sicherheit bedeutet. Blinde Personen           schützt fühlen. Durch unterschiedliche Materialien und
nutzen Randsteinkanten zur taktilen Orientierung. Fehlt         optische Gestaltung wird zudem die taktile und visuelle
die Kante, entstehen Unsicherheiten: Stehe ich auf der          Orientierung erleichtert. Gehsteige und die befestigten
Fahrbahn, oder am Gehsteig? Wo ist der Übergang?                Bereiche des Multifunktionsstreifens werden mit Be-
Ältere Personen wiederum fühlen sich nicht selten durch         tonsteinen gepflastert, die Fahrbahn mit Granitplatten,
eine Randsteinkante geschützt, etwa vor Fahrzeugen. Sie         wobei der Übergang zur Fahrbahn mit einem dunklen
schätzen die klare Aufteilung des Straßenraumes und fixe        Pflaster besonders hervorgehoben wird.
Regeln. In der Begegnungszone jedoch ist Augenkontakt
für die nonverbale Verständigung mit anderen Verkehr-           Begegnungszone mit Mehr-Wert
steilnehmenden angesagt. Augenkontakt zu suchen, um             Begegnungszonen verbessern als inklusive Orte die ge-
sich mit anderen Verkehrsteilnehmern auszumachen wer            sellschaftliche Teilhabe. Expert*innen mit Behinderun-
im konkreten Moment nun Vorrang hat, bereitet manchen           gen, angesprochen über den Österreichischen Behinder-
Stress. All diese Faktoren können und müssen schon bei          tenrat, gestalteten bei der Planung und Umsetzung der
der Planung Berücksichtigung finden. Damit in Begeg-            Neubaugasse erfolgreich mit. 
nungszonen alle Orientierung und Sicherheit finden.

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Mobilität                                                                                                  Ausgabe 3/2020

Projekt zu automatisierter Mobilität
Ihre Meinung ist gefragt!			                                       Von Bente Knoll / Büro für nachhaltige Kometenz

M
       obilität und Verkehr wird sich in der Zukunft sehr   Fahrer unterwegs sind? Nicht nur Mobilitätssysteme wer-
       stark verändern. Es wird immer mehr Digitalisie-     den sich ändern, auch die Gesellschaft muss vorbereitet
       rung und digitale Technik auch im Verkehrs- und      werden. Das ist wichtig, damit in Zukunft möglichst viele
Mobilitätsbereich geben. Bereits heute arbeiten Firmen      Menschen von den Vorteilen und Chancen der automati-
daran, automatisierte Fahrzeuge für die Zukunft vorzu-      sierten Mobilität profitieren können.
bereiten. Es gibt bereits Verkehrsmittel, die teilweise
automatisiert unterwegs sind – so etwa die fahrer-                Das Projekt „AM inklusive!“ arbeitet eng mit
lose U-Bahn in Paris oder auch der fahr-                                    Menschen mit Behinderungen zusammen.
erlose Bus der Wiener Linien, der in                                              In Gesprächsrunden werden die Vor-
der Seestadt Aspern in Wien im                                                        und Nachteile besprochen. Um
Testbetrieb unterwegs ist.                                                               die Meinung und Gedanken
                                                                                           von möglichst vielen Men-
Es gibt verschiedene                                                                          schen im Projekt einbe-
Vorstellungen davon,                                                                            ziehen zu können, hat
wie automatisierte                                                                               das Projektteam eine
Mobilität in Zukunft                                                                              Online-Befragung
aussehen kann.                                                                                     vorbereitet. In der
Einige Menschen                                                                                    Befragung geht es im
stellen sich vor, dass                                                                             ersten Teil um Ihre
alle Verkehrsmit-                                                                                  Person, im zweiten
tel selbstfahrend,                                                                                 Teil darum, wie Sie
also komplett ohne                                                                                 derzeit unterwegs
Lenkerin oder Lenker                                                                              sind, und im dritten
unterwegs sein wer-                                                                             Teil um Ihre Einschät-
den, weshalb niemand                                                                           zung zur automatisierten
mehr einen Führerschein                                                                     Mobilität.
braucht. Andere Menschen                                                                  Diese Befragung ist eine
denken, dass es eine Mischung                                                          wichtige Grundlage, um die
aus selbstfahrenden Fahrzeugen                                                      Rahmenbedingungen im Zusam-
und Fahrzeugen, wie wir sie heute ken-                                        menwirken von automatisierter Mobi-
nen, geben wird. Sicher ist jedenfalls, dass die                      lität, Barrierefreiheit, Inklusion und gesell-
digitale Vernetzung zwischen Fahrzeugen und Personen        schaftliche Teilhabe zu verbessern.
bzw. deren Smartphones immer mehr zunimmt. Echtzeit-
verkehrsinformation ist dabei erst der Anfang.
                                                                          Bitte um Ihre Teilnahme!
Wichtig ist es, bei der Entwicklung dieser zukünftigen                 surveymonkey.com/r/BY3QDPW
Technologien bereits rechtzeitig an die unterschied-                      Umfrageende: Oktober 2020
lichen und vielfältigen Bedürfnisse der Menschen zu
denken, die am Straßenverkehr teilnehmen. Nicht jede        Beauftragt wird das Projekt „AM inklusive!“ vom Bundes-
Veränderung bringt dabei für alle Personen nur Vorteile.    ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität,
                                                            Innovation und Technologie (BMK). Im Projekt arbeiten
Daher möchte das Team vom Projekt „AM inklusive!“           folgende fünf Organisationen zusammen: das Büro für
wissen, was Menschen mit Behinderungen von automa-          nachhaltige Kompetenz (Projektleitung), die Technische
tisierter Mobilität erwarten. Was ist zu bedenken, bevor    Universität Wien, die Universität Wien, das Büro ZIS+P
eines Tages z.B. Taxis oder Busse ohne Fahrerin oder        und der Österreichische Behindertenrat. 

                                                                                        www.behindertenrat.at       21
Mobilität

Hilfreiche Apps                         Erinnerungshilfen fotografieren         Das Fahrtenheft entsteht
                                                                                               Fotos: Kollektiv Fischka/fischka.com

Mut machen zum Selbstfahren.
Jugend am Werk: Vorzeigeprojekt Mobilitätsbegleitung                                          Von Wolfgang Bamberg

„W
             ow, so einen Job gibt      über Fahrtkostenersatz für öffentli-    Das Projekt Mobilitätstraining
             es? Das habe ich mir       che Verkehrsmittel, einen Fahrten-      startete im März 2019 mit der
             damals gedacht, als ich    dienst vom Wohnort zur Einrichtung      Anstellung von zwei Mobilitätsbe-
zum ersten Mal von dieser Mobili-       oder über ein Fahrtentraining.          gleiter*innen, die bereits in den
tätsbegleitung erfahren habe!“, erin-                                           ersten sechs Monaten insgesamt
nert sich Ivonne Rehberger, die seit    Beim Fahrtentraining erlernen           zehn Personen erfolgreich trainiert
Oktober 2019 mit 15 Wochenstunden       Menschen mit Behinderungen, un-         haben. „Das Wichtigste ist, auf die
als Mobilitätsbegleiterin bei der       terstützt von Begleitpersonen, den      Person einzugehen, sie zu motivie-
Organisation Jugend am Werk Sozi-       Weg vom Wohnort zur Einrichtung         ren“, weiß Reinhard Proschek, der
al:Raum GmbH arbeitet. „Denn seit       mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu     seit Beginn an Mobilitätstrainer ist.
ich denken kann, fahre ich gerne mit    fahren. Ziel ist, dass am Ende des      „Viele Menschen trauen sich Dinge
den Öffis. Außerdem ist es eine echt    Trainings der Weg alleine bewältigt     nicht zu, die sie dann plötzlich ganz
geile Arbeit und wir helfen Menschen    werden kann. „Das Fahrtentraining       alleine schaffen. Das ist unsere
dabei, selbstständig zu werden.“        als Möglichkeit ist schon seit län-     Aufgabe. Mut machen, Unterstützen
                                        gerer Zeit bekannt“, erklärt Lenka      und Motivieren.“
Gemeinsam mit ihrem Kollegen            Kvietkova, die bei Jugend am Werk
Reinhard Proschek und ihrer Kolle-      eine Tagesstruktur und das Mobili-      Bevor die Mobilitätstrainer*innen
gin Milada Pisárová wird nach dem       tätstraining leitet. „Dabei geht es     ihre tatsächliche Arbeit starten
vom Fördergeber Fonds Soziales          um die Förderung der Mobilität von      können, werden im Rahmen eines
Wien anerkannten Mobilitätskonzept      Menschen und die Bewegung im öf-        Praktikums grundlegende Kompe-
von Jugend am Werk gearbeitet. In       fentlichen Raum. Aber eine zentrale     tenzen wie Orientierungsfähigkeit
Wien stehen Menschen mit Lern-          Aufgabe unserer Organisation ist        und Verlässlichkeit überprüft. „Dann
schwierigkeiten und Behinderungen       es auch, Menschen mit Lernschwie-       folgt die Einschulung“, erinnert
nach dem Chancengleichheitsgesetz       rigkeiten Arbeitsmöglichkeiten          sich Ivonne Rehberger. „Da geht es
Wien (CGW) nämlich verschiedene         anzubieten. Und so ist die Idee         natürlich um die Sicherheit. Also
Möglichkeiten zu, wie sie in eine       entstanden, Menschen mit Lern-          welche Regeln gibt es bei der Benut-
Tagesstruktur, eine Berufsquali-        schwierigkeiten als Mobilitätsbeglei-   zung von Straßenbahn und Bus, wie
fizierung beziehungsweise in den        ter*innen für das Mobilitätstraining    bediene ich einen Notschalter und
Kindergarten/die Schule und wieder      anzustellen. Das ist einzigartig und    auch wie man in einer Konfliktsitua-
nach Hause gelangen können. Etwa        österreichweit ein Pionierprojekt.“     tion reagieren soll.“ Darüber hinaus

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