25 Jahre - Wehrhahn Verlag Programm Herbst 2021
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Wehrhahn Verlag Programm Herbst 2021 Editionen · Literatur · Theater · Literaturwissenschaft · Kulturgeschichte · Buchwissenschaft 25 Jahre
Liebe Leserinnen und Leser, liebe Freundinnen und Freunde, im August feiert der Wehrhahn Verlag sein 25jähriges Jubiläum. Seither steht der Wehrhahn Verlag für Editionen von Texten des 17.ten bis 20.ten Jahrhunderts. Auch zahlreiche zeitge- nössische, literarische Bücher sind bei uns erschienen. Dazu gesellt sich eine Vielfalt von wis- senschaftlichen Büchern und Buchreihen. Das alles wäre nicht möglich ohne die unterschied- lichste Unterstützung zahlreicher Förderer und Unterstützer, Freunde und Familie. Ihnen allen gilt unser herzlicher Dank. Ganz besonders danken wir in diesem Jahr dafür, dass wir den Deutschen Verlagspreis verliehen bekommen haben. Das ist eine große Ehre und auch Bestätigung unserer Arbeit. Ursprünglich sollten im Verlag vielleicht zwei oder drei Editionen zum 18. Jahrhundert pro Jahr erscheinen und die Dissertation des Verlegers entstehen. Aus der Dissertation ist nichts geworden, dafür liegen aber bald 900 Bücher vor, von Heften bis zu schweren großformatigen Büchern. In dieser Vorschau werden 45 weitere Bücher ange- kündigt, die durchaus das Gesamtprogramm repräsentieren können. Drei Bände aus der Rei- he Die Anderen Klassiker, drei Bände der Edition Wehrhahn, drei Bände zeitgenössische Lyrik, drei Bände neue Literatur. Die wissenschaftlichen Titel haben wieder einen Schwer- punkt in der Erforschung des 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Bücher entstehen meist in Arbeitszimmern und an Schreibtischen. Dieser Tatsache hat Bodo Plachta sein Buch »Arbeits- zimmer und Schreibtische« gewidmet. Manche Bücher werden gleichsam im »Schreibrausch« geschrieben. Dazu hat Magnus Wieland seine gleichnamige Studie vorgestellt. Dem Lesen widmet sich Armin Schäfer in seinem Lektüretagebuch »Hundert Tage Prosa«. 58 Nachrufe hat Hanjo Kesting in seinem Buch »Abschiedsmusik« versammelt, die er zwischen 2000 und 2020 verfasst hat und damit einen Weg durch die Kulturgeschichte des späten 20.ten und frühen 21.ten Jahrhunderts bahnt. Mit Robert Sollichs Studie »Die Kunst des Skandals. Eine deutsche Operngeschichte seit 1945« beginnt der Abschnitt unserer wissenschaftlichen Studi- en und Tagungsbände. Zum Schluss ist nicht nur die Rückschau auf das Frühjahrsprogramm 2021 zu finden, sondern auch eine alphabetisch geordnete Liste unserer Editionen. Herzlich Matthias Wehrhahn
www.wehrhahn-verlag.de Edition 1 Alfred Lemm Mord. Erzählungen und Versuche Werke. Band 2 Herausgegeben von Nils Gelker Die Anderen Klassiker ca. 176 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86525-881-6 18,00 € erscheint im Februar L emms Erzählungen, von Kritikern gelobt und doch nur vereinzelt und verstreut in wenigen Anthologien überliefert, erschienen Leben; eine junge Frau verschenkt ihren Körper an Soldaten und wird als Prostituierte verurteilt – als Heilige stirbt sie unter Kriegsinvaliden; zuerst 1918 in zwei Bänden unter dem Titel ein Radfahrer überfährt wutentbrannt eine Mord. Expressionistische Groteske und zu- taube Passantin; den Bewunderer einer schönen weilen schwarzer Humor verbinden sich zu Schauspielerin zerreißt es buchstäblich vor einem psychologischen Tableau Europas in Lust. Mit drastischer Sprache zeichnet Lemm der Katastrophe des Ersten Weltkriegs: Ein mal einfühlsame, mal absurde Psychogramme Lynchmob zerfetzt einen Mann mitten in einer Zeit nach, die aus den Menschen Mörder Berlin; Krankenpflegerinnen malträtieren ihre macht – oder Mordopfer. Patienten; ein Bräutigam springt im Angesicht seiner zur Urmutter erhobenen Braut aus dem 2021 Herbst
22 Edition www.wehrhahn-verlag.de Amalie Berg Erzählungen und Briefe 1801–1818 Mit einer Einleitung herausgegeben von Anna Ananieva Die Anderen Klassiker ca. 180 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86525-882-3 18,00 € erscheint im Oktober I n den ersten Jahrzehnten des 19. Jahr- hunderts veröffentlichte Johanna Caroline Amalie Ludecus, geb. Kotzebue (1755–1827), für deren Initiative die Großfürstin von Russ- land und Erbherzogin von Weimar-Sachen- Eisenach Maria Pawlowna die Schirmherr- unter dem Pseudonym Amalie Berg zahlreiche schaft übernahm. Erzählungen und mehrere Romane. Weibli- che Figuren der Gegenwart standen im Mit- telpunkt der Erzählprosa der Weimarer Auto- D ie vorliegende Auswahl ihrer Erzäh- lungen wird durch eine kommentierte Erstveröffentlichung ihrer Briefe ergänzt. Ne- rin, die sich mit dem Zeitgeschehen und den ben Wilhelm Gottlieb Becker, dessen vielge- Lebenswelten ihrer Gegenwart befasste. lesenes Taschenbuch »Erholungen« regelmä- D ie Residenzstadt an der Ilm bildete den Lebensmittelpunkt der in Wolfenbüttel aufgewachsenen Schriftstellerin. Hier diente ßig Erzählungen von Amalie Berg enthielt, gehörten Carl August Böttiger und Friedrich Justin Bertuch zu den Briefpartnern der Cou- sie als Kammerfrau am Hof der Herzogin Lu- sine des Erfolgsautors August von Kotzebue. ise von Weimar-Sachen-Eisenach. In ihrem Haus an der Esplanade fanden die geselligen Anna Ananieva ist promovierte Literaturwis- Zusammenkünfte an einem der berühmtes- senschaftlerin. Sie forscht und publiziert fach- ten Weimarer Teetische statt, zu dem Johanna übergreifend zur Europäischen Kultur- und Li- Schopenhauer ihre Gäste einlud. Als eine der teraturgeschichte, kuratiert Ausstellungen und Mitbegründerinnen des »Patriotischen Insti- arbeitet als Fachberaterin für TV-Dokumenta- tuts der Frauenvereine« gehörte sie zu dem tionen. Kreis der sozial engagierten Frauen der Stadt, 2021 Herbst
www.wehrhahn-verlag.de Edition 3 Johanne Charlotte Unzer Versuch in Scherzgedichten Herausgegeben von Michael Multhammer Die Anderen Klassiker 184 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86525-877-9 18,00 € erscheint im August I ch würde wegen dieser Gedichte gar nichts zu erinnern haben, wenn ich nicht ein Frauenzimmer wäre. Eine Mannsperson hat tem Ton werden Gleim, Hagedorn, Gellert, Fontenelle und viele andere zu Unzers litera- rischen Gesprächspartnern. die Freyheit, von Liebe und Weine zu scher- zen, ohne befürchten zu dürfen, daß man es ihr übel auslegen werde. Unser Geschlecht ist I m Gegensatz zu den Genannten ist Johan- ne Charlotte Unzer in der deutschen Li- teraturgeschichte eine bisher weitestgehend hierinnen weit mehr eingeschränkt: und ich unbekannte Autorin geblieben. In den Ka- sehe es für ganz nothwendig an, mir hier eine nonisierungsbestrebungen des 19. Jahrhun- Vertheidigung im Voraus zu machen.« derts wurden diese Scherzgedichte für zu J ohanne Charlotte Unzer, geborene Zieg- ler, (1725–1782) war in der Mitte des 18. Jahrhunderts eine Autorin viel gelesener leicht befunden, um weiter im literarischen Gedächtnis tradiert zu werden. Die erstma- lige vollständige und kommentierte Edition und hoch gelobter anakreontischer Gedich- des Versuchs in Scherzgedichten in der zweiten, te. Man darf die mit dem Dichterlorbeer vermehrten Ausgabe von 1753 soll zur Neu- gekrönte Unzer zweifelsohne als veritable entdeckung dieser ansonsten nur wenigen Vertreterin der zweiten Hallischen Dichter- spezialisierten Literaturwissenschaftler*innen schule begreifen. Die originelle Schreibwei- bekannten Dichterin einladen. Ein Nach- se, die sich Bahn bricht, wenn aus weiblicher wort führt in den literaturhistorischen und Perspektive auf die anakreontische Trias von werkgeschichtlichen Kontext des Versuchs in Wein, Weib und Gesang geblickt wird, lässt Scherzgedichten ein. Gedichte von großem Witz und Pointen- reichtum entstehen. In geselligem, scherzhaf- 2021 Herbst
44 Edition www.wehrhahn-verlag.de August von Kotzebue Ich, eine Geschichte in Fragmenten Mit einem Nachwort herausgegeben von Max Graff Edition Wehrhahn 31 104 Seiten, 2 Abb., Broschur ISBN 978-3-86525-856-4 10,00 € bereits erschienen A ugust von Kotzebue (1761–1819) domi- nierte mit seinen zahlreichen erfolgrei- chen Theaterstücken die deutschen Bühnen »Dieses kleine Werk ist ein Geweb von ab- geschmakten und schmuzigen Erzählungen, wodurch die allgemeine Untreue des weibli- der Goethezeit. Seine ersten – anonymen chen Geschlechts will erwiesen werden« (Be- – Publikationen jedoch waren Erzähltexte. richt einer Visitation von Würzburger Buch- Zu diesen gehört Ich, eine Geschichte in Frag- läden, 1781). menten, zuerst erschienen im Ganymed für »Erstes u. zwar sehr liederliches Opus die Lesewelt (1781). In diesem Text, der vor Kotzebue’s« (Hugo Hayn, Bibliotheca Germa- Anspielungen und intertextuellen Verweisen norum erotica). strotzt, entfaltet ein launischer Erzähler ein Panorama vermeintlicher weiblicher Laster. Nach einer Reihe von desillusionierenden Erfahrungen steht eine bemerkenswerte Lö- sung: Seine Ehefrau findet er im Zuge einer Südseereise. 2021 Herbst
www.wehrhahn-verlag.de Edition 5 Eustache le Noble, Blaise Gaulard oder Tante Bobé’s Neffe Mit zwölf Illustrationen von Daniel Chodowiecki Mit einem Nachwort herausgegeben von Julia Bohnengel und Alexander Košenina Edition Wehrhahn 32 104 Seiten, 12 Abb., Broschur ISBN 978-3-86525-879-3 10,00 € erscheint im Juli M it 43 Sepiazeichnungen zum Blaise Gaulard schafft Daniel Chodowiecki 1752 eine der ersten Bildergeschichten der bauke, lässt darin den jungen Kaufmann Blai- se Gaulard aus dem gleichen Ort nach Paris aufbrechen, wo er die schrecklichsten Aben- Aufklärungsepoche. Hätte er ein Dutzend teuer zu bestehen hat. Diese Schelmenerzäh- davon nicht später für den Berliner Almanac lung über den provinziellen »Schafskopf von Généalogique pour l’an 1776 in Kupfer radiert Troyes« erscheint in vorliegender Ausgabe in – gefolgt von Daniel Bergers zwölf Nachsti- der Übersetzung von Wilhelm Christhelf Sig- chen für den Genealogischen Calender auf das mund Mylius aus dem Jahre 1782. Le Nobles Schaltjahr 1776 –, wäre die kleine pikareske Geschichte geht selbst auf zwei Novellen aus Geschichte des wenig bekannten französi- Boccaccios Decamerone zurück, die hier eben- schen Schriftstellers Eustache le Noble, Baron falls in historischer Übertragung beigefügt von St. Georges und Tenelière (1643–1711), sind. vielleicht untergegangen. Erst durch die Il- lustrationen erlangte sie in Deutschland Po- pularität. Le Noble, selbst ein lange wegen Amtsmissbrauchs in Troyes inhaftierter Ra- 2021 Herbst
66 Edition www.wehrhahn-verlag.de Theodor Storm Ein Doppelgänger Eine gesellschaftskritische Novelle Kommentierte Studienausgabe Herausgegeben von Walter Zimorski Edition Wehrhahn 33 184 Seiten, Broschur ISBN 978-3-86525-880-9 16,00 € erscheint im Juli I n dramatischen Novellenszenen erzählt Theodor Storm in seiner gesellschaftskri- tischen Novelle Ein Doppelgänger (1886) – leben, das jedoch ambivalente Erinnerungen an die Armut und Not ihrer Eltern und an ihr zwiespältiges Vaterbildes konfrontieren: zum ersten und einzigen Mal in seiner Novel- »Nachdem dieser John von Rechtes wegen listik – den konfliktreichen Lebenslauf eines seine Strafe abgebüßt hatte, wurde er, wie ge- vorbestraften, meist arbeitslosen Landarbei- bräuchlich, der lieben Mitwelt zur Hetzjagd ters, der – sozial deklassiert und gesellschaft- überlassen. Und sie hat ihn nun auch zu Tode lich geächtet – mit seiner Familie in Armut gehetzt; denn sie ist ohn Erbarmen« und Not gerät, schließlich ins Elend und in den Tod stürzt: »Immer feindlicher stand ihm die Welt entgegen; wo er sie ansprach, wo er N eben dem Novellentext bietet diese Edition einen durch ausgewählte histo- rische Abbildungen begleiteten Kommentar, ihrer bedurfte, immer hörte er den Vorwurf insbesondere Einblicke in die ungewöhnliche seiner jungen Schande«. Entstehungs- und Publikationsgeschichte so- A rbeitswillig und integrationsbereit, schei- tert die problematische Resozialisierung des Zuchthäuslers John Hansen alias John wie facettenreiche Quellendokumente und Interpretationsmaterialien. Die sinnbild- lichen Schauplätze Jena, Glückstadt und Hu- »Glückstadt« nicht nur an gesellschaftlichen sum werden als symbolische Stadtlandschaf- und sozialen Normen, die letztlich die dra- ten, als kontrastreiche Landschaftsregionen matisch inszenierten Konflikte seines Ehele- anschaulich dargestellt. Eine strukturierte bens verursachen. Während er seine geliebte Bibliografie ergänzt den vielfältigen literatur- Ehefrau durch einen eskalierten Gewaltaus- historischen Kommentar. bruch tödlich verletzt, erlebt seine einzige Tochter ein unverhofft glückliches Bürger- 2021 Herbst
www.wehrhahn-verlag.de Edition 7 Nesselrode zu Hugenpoet Zamor und Zoraide Ein Schauspiel in drey Aufzügen Mit einem Nachwort herausgegeben von Sigrid G. Köhler und Julia Rebholz Theatertexte 83 ca. 112 Seiten, Broschur ISSN 1863-8406 ISBN 978-3-86525-883-0 12,00 € erscheint im Oktober M it Zamor und Zoraide (1778) adaptiert Freiherr von Nesselrode zu Hugenpoet einen im 18. Jahrhundert überaus populären D ie Handlung des Theaterstücks ist zwar fiktiv, in ihr zeigt sich jedoch das zeitge- nössische Wissen um Versklavung und Skla- Stoff für die Bühne, der auf Jean-François de venaufstände, wie es durch Journale und Rei- Saint-Lamberts Ziméo-Erzählung (1769) zu- seberichte vermittelt worden ist. Die Dialoge rückgeht. Letztere gehört zeitgenössisch zu sind dabei ganz im Sinne empfindsamer Ge- den zentralen literarischen Stoffen der trans- sprächskultur verfasst. Gepaart mit der Vor- national geführten Debatte um die Abschaf- stellung weißer Überlegenheit überlagert dies fung von Sklavenhandel und Sklaverei und oft die im Stück formulierte radikale Kritik ist zigfach in europäische Sprachen übersetzt am System der Versklavung. Auflösen kann und adaptiert worden. das Stück den Widerspruch zwischen emp- N esselrodes Stück handelt vom schwar- zen Widerstandskämpfer Zamor, der auf Jamaika zum Anführer eines Sklaven- findsamer Kommunikation und Recht auf Widerstand nicht. Es endet stattdessen betont harmonisch: Während Zamor bei Germin aufstandes wird. Im Zuge seines Freiheits- seine Geliebte Zoraide wiederfindet, gelan- kampfes kommt Zamor auf die Plantage des gen die weißen Figuren zu der Einsicht, dass philanthropischen Germin. Statt zur gewalt- das Institut der Sklaverei abgeschafft werden samen Auseinandersetzung kommt es dort muss – wenn auch nicht auf dem Weg der zum Gespräch, in dem Zamor den Anwesen- Revolution, sondern durch Reformen. den die Geschichte seiner Entführung und Versklavung erzählt und seinen Widerstand in einer bemerkenswerten Rede naturrecht- lich begründet. 2021 Herbst
88 Edition www.wehrhahn-verlag.de Heinrich Keller Franzeska und Paolo Trauerspiel in fünf Aufzügen Mit einem Nachwort herausgegeben von Michele C. Ferrari Theatertexte 84 ca. 128 Seiten, Broschur ISSN 1863-8406 ISBN 978-3-86525-890-8 14,00 € erscheint im November A b der Mitte des 18. Jahrhunderts wurde Zürich zu einem Hort der Dante-Stu- dien. Den Nährboden dafür legte Johann der Alpen lieferte. Zahlreiche Gedichte und Stücke blieben ungedruckt. Während eines kurzen Aufenthaltes in Zürich veröffentlichte Jakob Bodmer mit Übersetzungen, Abhand- er aber 1805 den Ausschnitt eines Trauer- lungen und der Tragödie Der Hungerturm spiels über einen Stoff aus dem fünften Buch von Pisa (1769). Er leitete damit eine Wie- der Göttlichen Komödie, nämlich die später derentdeckung von Dante ein, die zu Beginn in der Literatur, Musik und Kunst so popu- des 19. Jahrhunderts in der Auseinander- läre Liebegeschichte von Francesca da Rimini setzung Schellings und der Brüder Schlegel und ihrem Liebhaber Paolo Malatesta, die mit der Göttlichen Komödie einen ersten, von ihrem älteren Ehemann aus Eifersucht wegweisenden Höhepunkt erreichte. Weit ermordet werden. Wenige Jahre später veröf- weniger bekannt ist das Trauerspiel Franzeska fentlichte Keller das ganze Stück und damit und Paolo von Heinrich Keller (1771–1832). eines der ersten Werke, die auf das in der Keller wurde als Bildhauer ausgebildet und Romantik voll ausgeschöpfte Potential des ließ sich 1794 in Rom nieder, wo er einige mittelalterlichen Stoffes aufmerksam mach- bescheidene Erfolge feiern konnte. Ein ten. Zum Dante-Jahr 2021 wird dieser inte- Arbeitsunfall zwang ihn, diese Karriere auf- ressante Text neu aufgelegt und mit einem zugeben, und ab 1804 versuchte er sich als Nachwort über Autor und Stück versehen. Literat, indem er vor allem Übersetzungen und Kurzberichte für Zeitschriften nördlich 2021 Herbst
www.wehrhahn-verlag.de Theater 9 Jörg W. Gronius / Bernd Rauschenbach TRILOGIE DES SCHÖNEN LEBENS I. KINDSKLIMA oder STURM IM KALENDER. Eine Polschmelze II. WAS WILL MAN MACHEN? Von den besten Jahren III. DIE ALTEN SIND UNSERE ZUKUNFT AM SÜDBAHNHOF Eine Tragödie Stücke 5, ca. 192 Seiten, Klappenbroschur ISBN 978-3-86525-888-5 18,00 € erscheint im November D ie drei großen Katastrophen des 21. Jahrhunderts sind die letzten groß- en Herausforderungen für die Katastrophen- II. WAS WILL MAN MACHEN? Von den besten Jahren In der Mitte des Lebens sind uns alle Mit- dramatiker GroniusRauschenbach: Klima – tel recht. Mittelalter, Mittelmaß, Mittelstand Demenz – Pandemie. und Midlife-Crisis: von Karl dem Großen zu S eit 50 Jahren arbeiten die Autoren als Duo, seit 1993 in enger Zusammenarbeit mit dem wiener Theater Echoraum daran, den Gotischen Kathedralen, von der Mond- landung zu Nine Eleven, von den Wander- jahren zum Eigenheim, von der Kerngesund- die Welt in ihrem Irrsinn dramatisch nicht heit zur Pandemie. nur abzubilden, sondern auch zu gestalten. Den Abschluss ihres Lebenswerkes zum Ge- III. DIE ALTEN SIND UNSERE ZU- nerationenpakt bildet die TRILOGIE DES KUNFT AM SÜDBAHNHOF. Eine Tragödie SCHÖNEN LEBENS Alte Bahnhöfe werden abgerissen, alte Stra- ßenbahnlinien stillgelegt, die alten Theater I. KINDSKLIMA oder STURM IM KA- geschlossen. Aber was ist mit den alten Men- LENDER. Eine Polschmelze schen? Die leben immer weiter und werden Weltweit schmelzen die Polkappen, die Vul- immer älter. Renten, Pensionen, Pflegekosten kane erfrieren und die Gletscher werden zu- steigen ins Unermeßliche. Wer soll das be- sehends glitschiger. Während in Afrika Kin- zahlen? Geboren werden immer weniger, und dersoldaten ihren Job machen, streiken in wenn die wenigen erwachsen sind, machen Schweden freitags die Schulkinder. Vor aller sie unbezahlte Praktika. Das sind keine Kas- Welt erhebt sich die Frage: How dare you? sandra-Rufe, denn mit der Hackler-Regelung erreichen wir den Plafond. 2021 Herbst
10 10 Lyrik www.wehrhahn-verlag.de Peter Piontek Eiskaltes Mondlicht Gedichte aus einem japanischen Taschenkalender 144 Seiten, Broschur ISBN 978-3-86525-869-4 14,80 € erscheint im Juli O b Natur oder Reiseerinnerung, Alltag oder der Wechsel der Jahreszeiten – stets bringen die gestochen scharfen und doch so Peter Piontek, geb. 1955, studierte Germanistik und Philosophie in Konstanz und Hamburg. Nach einem Zeitungsvolontariat und Jahren zärtlichen wie melancholisch-heiteren Bilder als Lokalredakteur in Dithmarschen ging er als die Gedanken zum Leuchten. Erkenntnis wird freier Journalist und Dramaturg nach Hanno- durch Sehen erfahr- und erlebbar. Wie in den ver, wo er heute noch lebt und arbeitet. Er ist traditionellen japanischen Textformen Haiku, Mitbetreiber des Kunst- und Kulturzentrums Tanka oder Haibun, die Peter Piontek über- EISFABRIK. Seit er mit dem Band »Ins auf- nimmt und variiert, so zeigen auch diese Ge- gegebene Land« (van der Wal, Bergen/Noord- dichte, welche poetische Kraft Kürze und Prä- holland 1998) als Autor an die Öffentlichkeit zision besitzen.« (Clemens Umbricht) getreten ist, hat er sechs Gedichtsammlungen veröffentlicht, zuletzt »Aus dem Fliegenglas« (Wehrhahn, Hannnover 2010) und »Graue Küste, Gegenlicht« (San Marco Handpresse, Bordenau/Venezia 2016). 2021 Herbst
www.wehrhahn-verlag.de Lyrik 11 Abram Maenner Todes Stunde Eine poetische Vision 248 Seiten, 17 Abb., Hardcover ISBN 978-3-86525-848-9 18,00 € bereits erschienen N ach zwei klassischen Lyrikbänden (im Wehrhahn-Verlag »Findelkinder« 2017 sowie »Und meine Flügel schweben ohne mich ohne Bezug auf irgendein anderes, thema- tisch, formal, mit eigenem Anfang und Ende. Im Gegensatz dazu wird hier jedes Gedicht davon« 2018) vereinigt das neue Buch »Todes überganglos in eine Reihe gesetzt mit ebenso Stunde« von Abram Maenner Gedichte der entrechteten anderen, als Funktionsteil eines letzen drei Jahre in einem fortlaufenden Text neuen, größeren Ganzen. zu einer Rückblende aus Erlebnissen, Beo- bachtungen und Ängsten, voller Bezüge zu Politik, Kultur und Religion: eine poetische D em Autor drängte sich diese Idee bei der Lektüre der eigenen Werke gerade- zu auf. Vielleicht war das eine Nachwirkung Todesvision am Ende des Lebens. seiner früheren Tätigkeit als Dramaturg und D er sterbende Lyriker und Bildhauer liegt inmitten seiner Skulpturen und wird vom eigenen »anderen Ich« durch das glä- Regisseur am Theater, sowie später als Kul- turfilmer. Er macht aus lyrischen Moment- aufnahmen fast eine szenische Handlung mit serne Dach beobachtet. Die beiden Ich-For- Ablauf und Entwicklung. Und diese Abläufe men sprechen aus verschiedener Sicht über vollführen Sprünge, folgen Assoziationen wie ihre Lage, ohne miteinander zu reden. Dabei in der Bildmontage des Filmschnitts, quer spricht der Sterbende mit seinen Gedichten durch die Zeiten, Ereignisse und Gefühle. in gebundener Sprache, der Beobachter be- nutzt alltägliche Prosa. Beide Stimmen sind im Schriftsatz voneinander abgesetzt. Abram Maenner, geb. 1941, lebte in vielen D ieser Text ist ein Versuch oder gar Expe- riment. Er mißachtet den individuellen Anspruch des einzelnen Gedichts, ein auto- Städten Deutschlands und anderer Länder, arbeitete als Regisseur, Schauspieler und Autor für Theater und Fernsehen, seit 1993 Bildhau- nomes Kunstwerk zu sein, unabhängig und er, lebenslang Lyriker. 2021 Herbst
12 12 Layrik www.wehrhahn-verlag.de Oskar Ansull Gedichte In die laufende Trommel / Entsicherte Zeit / Disparates ca. 180 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86525-861-8 18,00 € erscheint im Oktober O skar Ansull versammelt in diesem Band drei seiner Lyrikpublikation: »in die laufende trommel« und legt zugleich auch die I n den neuen Gedichten ist Ansull zur radi- kalen Kleinschreibung übergegangen, was sich ihm mit dem Lang-Gedicht »wenn alles vergriffenen, inhaltlich dazugehörenden Ge- gesagt ist« so ergeben hat. dichtbände »Disparates« (1984) und »Entsi- cherte Zeit« (1988) vor. ... G edichte, »die sich nicht leichthin einer Richtung anpassen, die nach Überein- stimmung zwischen Form und Inhalt fragen, jetzt jetzt den punkt finden Widersprüche aufdecken und sprachlich zu- zerfallen und spitzen, kompromisslos die Aufklärung in verschwinden lassen Form des Gedichts fortschreiben.« (Heinz du musst Kattner) in die laufende trommel »wenn alles gesagt ist« G edichte … die auf die Evidenz poetischer Bilder vertrauen. (Michael Braun 1984) Ansull ist Lyriker, Herausgeber und Erzähler kultureller Entwicklung, die er am Beispiel S chöne und handwerklich sehr gekonnte Gedichte, denen trotz ihrer lyrischen Dimension auch Solidarität nicht fehlt. seiner literarischen Sichtung der Region Celle in »Heimat, schöne Fremde« (2019) vorgelegt hat; er lebt in Berlin-Pankow und ist Mitglied des (Erich Fried 1986) PEN-Zentrums Deutschland. 2021 Herbst
www.wehrhahn-verlag.de Literatur 13 Peter Struck / Peter Nickl (Hrsg.) MULTIVERSUM 21 256 Seiten, Klappenbroschur ISBN 978-3-86525-860-1 18,00 € bereits erschienen 75 Jahre Deutscher Autoren-Verband e.V. waren den Herausgebern Anlass genug, dem Lesepublikum ein »Multiversum«, ein Vicki Baum bekennt, in Hannover ihre besten Bücher geschrieben zu haben. Johann Peter Eckermann knüpft hierorts Familienbande, Spektrum historisch und auktorial weit über Heinrich Marschner hat seine liebe Not mit die Mitgliedschaft im DAV ausgreifender dem Welfenhof. Grethe Jürgens wird als Auto- Blicke aus der und auf die Künstlerszene von rin entdeckt, János Nádasdy darf noch einmal Hannover vorzulegen. die Leine entrümpeln. Christof Spengemanns D as Buch kann aber auch als Grundstock von Beiträgen zu sieben »Lagen« eines Periodikum aufgefasst werden, das im Falle »Das Hemd« wird erstveröffentlicht, Hein- rich v. Kleist als emotionaler Versatzstückler enttarnt, und zur gesuchten Terminologie des Anklanges bei Leser- und Beiträgerbe- Martin Heideggers wird der satirisch passende reitschaft in Heftform weitergeführt werden Verständnisschlüssel gefunden kann. Das Bändchen wartet mir einer Reihe von Überraschungen auf: Martin Anger kommt noch einmal mit »Die zweite Tür« zu Wirt, Will Knoke mit »Einkaufen mit Pfiff«. 2021 Herbst
14 14 Literatur Erinnerung www.wehrhahn-verlag.de Leo Kreutzer Leben nach ihrem Tod SelbstGespräche mit einem Engel 68 Seiten, Broschur ISBN 978-3-86525-828-1 8,00 € bereits erschienen D er Autor erörtert in ›SelbstGesprächen mit einem Engel‹ vor allem zwei Sach- verhalte, mit denen er durch den Tod seiner D er Autor verbindet das mit Erinne- rungen an die ›Kammerdiener-Dien- ste‹, die er zeitweise Schriftstellern geleistet Frau konfrontiert wurde. In den Jahrzehnten hat. ›Kammerdiener kennen keine Helden‹, ihres Zusammenlebens hatte sie, nachdem er lautete ein Sprichwort zu Zeiten, in denen sie ablehnte, sich daran zu beteiligen, ohne sein ihren Herrschaften Stiefel auszogen und ins Wissen ein kleines Vermögen gebildet. Und Bett halfen. Bei seinen Dienstleistungen für so hatte er, seit jeher ›von der Hand in den Schriftsteller als Assistent von Hans Mayer Mund lebend‹, bei größter Hochachtung für in den 1960er Jahren und als Literaturredak- ihr Haushalten auf einmal Geld-Sorgen, die teur beim Westdeutschen Fernsehen in den Sorge darüber, wie er das für seine Begriffe 1970er Jahren verwandelten sich von Ferne viel zu viele Geld schützen könne. Aber noch verehrte ›Helden‹ der deutschen Gegenwarts- wichtiger als die Art und Weise, wie er dieses literatur in mehr oder weniger umgängliche Problem gelöst hat, ist ihm, dass er nach ih- Menschen. rem Tod herausgefunden hat, wie ihre lebens- langen Atemnöte mit dem Tod ihres Vaters in einem U-Boot der deutschen Kriegsmarine im Atlantik zusammenhingen. 2021 Herbst
www.wehrhahn-verlag.de Essays Literaturwissenschaften 15 Bodo Plachta Arbeitszimmer und Schreibtische 328 Seiten, 39 Abb., Hardcover ISBN 978-3-86525-855-7 28,00 € bereits erschienen F ür Friedrich Schiller war der Schreibtisch das »wichtigste Meubel« und Zentrum sei- nes Schreibens. Er ist aber nur einer von vielen »wichtigstes Meubel« – Friedrich Hölderlins Tisch – Jean Pauls »Repositorium« – E.T.A. Hoffmanns »Poetenstübchen« – Annette von Schreibtischen aus dem Besitz von Autorin- Droste-Hülshoffs Kanapeeleben – Eduard nen und Autoren. In Museen, Archiven und Mörikes transportable »Schreibschatulle« – Gedenkstätten werden diese Schreibmöbel – Adalbert Stifters »gemischtes Zimmer« – Ja- manchmal sogar das komplette Mobiliar von cob und Wilhelm Grimms »Zettelwirtschaft« Arbeitsräumen – verwahrt, denn sie markieren – Der »fürstliche« Arbeitsplatz. August Hein- Orte und Kontexte der Entstehung von Tex- rich Hoffmanns von Fallersleben – Theodor ten. Vielfach haben Autorinnen und Autoren Storms Schreibtisch – Theodor Fontane am ihre Arbeitsplätze bewusst gestaltet und auch Schreibtisch fotografiert – Richard Dehmels Schreibtische entworfen. Arbeitszimmer und Schreibtisch und die moderne Raumkunst Schreibtische sind Teil der Autorschaft. Sie – Sigmund Freuds studiolo-Praxis – Gerhart lassen uns die Rahmenbedingungen von Sch- Hauptmanns Schreibplatz in der Sommerfri- reiben erkennen und erlauben uns aufschluss- sche – Die zwei Schreibtische Franz Kafkas – reiche kulturgeschichtliche Einblicke in das Hermann Hesses »schlichter, roher« Schreib- Entstehen von Literatur überhaupt. tisch – Thomas Manns »episches Hausgerät« Aus dem Inhalt: Skriptorium, Schnittstel- – Die »Firma« Bertolt Brecht – Klaus Manns le mittelalterlicher Textproduktion – Mar- unbekannte Schreibtische – Anna Seghers tin Luthers Studierstube – Johann Wilhelm »Schutzpatron« – Arno Schmidts »Hölzernes Gleims Schreibsessel – Sophie von La Roche Meer von 3 Quadratmetern« – Max Frischs am »Schreibetisch« – Christoph Martin Wie- Schreibmaschinen – Heinrich Bölls Schreib- land, der »Virtuose« am Schreibtisch – Johann tisch mit den »Zwischenräumen« – Thomas Gottfried Herders »unförmliches« Schreibpult Bernhards »Denk- und Schreibkerker« – Frie- – Goethes Schreibtische – Friedrich Schillers derike Mayröckers »Zimmer-Chaos«. 2021 Herbst
16 16 Literaturwissenschaften www.wehrhahn-verlag.de Magnus Wieland Schreibrausch Figuren des poetischen Furors ca. 160 Seiten, Broschur ISBN 978-3-86525-892-2 14,80 € erscheint im März »Nur die Nächte mit Schreiben durchrasen, das will ich.« Franz Kafka D ie ideen- wie medienhistorisch orien- tierte Studie geht den zentralen Sta- tionen dieses Topos und seinen Metamor- phosen in diversen literarischen Strömungen W as unterscheidet Dichtung von ande- ren Arten des Schreibens? Die Anti- ke hatte auf diese Frage eine klare Antwort: nach, einschliesslich seiner verdeckten Kehr- seiten. Sie zeigt, wie selbst scheinbar gegen- sätzliche Phänomene der Schreibroutine und Dichtung beruht auf Inspiration, sie entsteht der Schreibblockade hintergründig vor dem in einem irrationalen, ekstatischen Ausnah- Ideal des poetischen Furors zu verstehen sind. mezustand zwischen Trance und Transzen- denz, der sich deshalb immer schon an der Grenze zur Raserei bewegt. Kein Wunder I m Zentrum steht die Frage nach der medi- alen Inszenierung inspirierter Autorschaft, wobei der Begriff ›Medium‹ unterschiedlich sprachen die Alten vom dichterischen Wahn- codiert ist: Von numinosen Vermittlungsin- sinn: vom Furor poeticus. stanzen (Musen) über Rauschmittel (Dro- M an könnte meinen, diese mytholo- gisch überhöhte Vorstellung hätte sich spätestens mit der Säkularisierung erledigt. gen) bis hin zu Schreibtechniken (Écriture automatique) und Schreibinstrumenten (Ty- pewriter). Doch in gewandelter Form bleibt weiterhin unterschwellig ein Restglaube an die dichte- rische Inspiration vorhanden, der sich ent- lang der Literaturgeschichte verschiedentlich als Denkfigur vom Schreibrausch artikuliert. 2021 Herbst
www.wehrhahn-verlag.de Essays Literaturwissenschaften 17 Armin Schäfer Hundert Tage Prosa Ein Lektüretagebuch Kleine Formate 5 168 Seiten, Broschur ISBN 978-3-86525-849-6 14,80 € bereits erschienen A rmin Schäfer hat hundert Tage lang ge- lesen. Seine Lektüren, die ins Schreiben übergehen, weil Lesen heißt, blättern, hin- und die klingelte. Er legte mir die Quittung auf den Zahlteller. »Ich glaube nicht«, hörte ich mich sagen: »Könnten Sie bitte nachsehen, ob ich herspringen, unterstreichen, ein weiteres Buch Ihnen ein falsches Geldstück gegeben habe?« aufschlagen, an den Rand der Seiten kritzeln, »Ich glaube nicht«, sagte er und streckte mir exzerpieren und weiterschreiben, sind Virgi- seine Hand entgegen, auf der eine Münze lag. nia Woolf, Ilse Aichinger und Barbara Köh- »Ich gebe Ihnen eine echte«, sagte ich, öffnete ler, Witold Gombrowicz, Hubert Fichte und mein Portemonnaie und nahm ein Geldstück W.H. Auden, Pierre Goldman und Samuel heraus, um es auf den Zahlteller zu legen. Beckett, Elisabeth Bishop und vielen anderen »Wie Sie meinen!«, sagte Herr Müller, ließ den gewidmet. Hundert kurze Prosastücke proto- Schlitten ausfahren, nahm die Münze, warf sie kollieren die Lektüren, setzen sie fort und ver- in die Kasse und lächelte: »Ich nehme sie zu suchen, etwas von den Ideen, dem Witz und meinem Schatz. Kommen Sie, ich zeige Ihnen dem Schmerz, die in den Büchern stecken, meinen Schatz.« Er ging zum Bücherschrank, festzuhalten. Das Tagebuch beginnt, wie im in dem inmitten von Geldstücken ein Trink- Traum, in einer Buchhandlung: »Waren Sie glas über ein Häufchen von Münzen gestülpt in Ägypten?«, fragte Herr Müller, stieß den war. Auf dem Boden des Glases prangte ein Münzschlitten an, der in die Kasse zurückglitt, gelber Drache. 2021 Herbst
18 18 Essays Kulturgeschichte www.wehrhahn-verlag.de Hanjo Kesting Abschiedsmusik Nachrufe aus zwanzig Jahren (2000–2020) 336 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86525-900-4 24,80 € erscheint im September N achrufe gehören zum Pflichtpensum des Journalisten, zur Forderung des Tages, so wie die Nachrichtenlage sie ihm persönlich bekannt oder freundschaftlich verbunden. Insofern war es unvermeidlich und in einer Buchveröffentlichung fast gebo- abverlangt. Sie stehen unter dem Druck der ten, persönliche Erinnerungen einfließen zu Aktualität, müssen schnell geschrieben wer- lassen. den, meist in wenigen Stunden, zuweilen in noch kürzerer Frist. Aber die Erschütterung, die von einer Todesnachricht ausgeht, kann N icht zuletzt bahnt diese Sammlung von Nachrufen einen Weg durch die Kulturgeschichte des späten 20. und frühen durch keinerlei Routine vorweggenommen 21. Jahrhunderts. werden. Man merkt es den Texten an, wenn die wichtigste Erfahrung darin fehlt: die Hanjo Kesting, geb. 1943, von 1973–2006 Konfrontation mit dem realen Tod. Leiter der Hauptredaktion Kulturelles Wort D er vorliegende Band enthält achtund- fünfzig Nachrufe aus zwanzig Jahren (2000-2020) journalistischer Arbeit von beim Norddeutschen Rundfunk. – Zuletzt: »Bis der reitende Bote des Königs erscheint. Über Oper und Literatur«, Göttingen 2017. – »Erfahren, Hanjo Kesting. Zwei Voraussetzungen mus- woher wir kommen. Große Erzählungen der sten in jedem Einzelfall zusammenkommen: Weltliteratur«, 3 Bde., Göttingen 2019. der Anlass einer Todesnachricht und eine Affinität zu den Verstorbenen. Zu ihnen ge- hören Schriftsteller, Publizisten, Schauspieler, Regisseure, Maler, Komponisten und Interpreten. Mit vielen von ihnen war Kesting 2021 Herbst
www.wehrhahn-verlag.de Musik- und Kulturgeschichte 19 Robert Sollich Die Kunst des Skandals Eine deutsche Operngeschichte seit 1945 ca. 600 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86525-899-1 38,00 € erscheint im November O pernskandale vermögen bis heute im- mer wieder gleichermaßen das Publi- kum wie das Feuilleton zu elektrisieren; als schichte und schlägt dabei einen historischen Bogen, der von den umkämpften Urauffüh- rungen der Nachkriegsmoderne und dem Gegenstand einer wissenschaftlichen Betrach- Traditionsbruch des Neu-Bayreuther Auffüh- tung sind sie hingegen bislang überraschend rungsstils über die Durchsetzung eines rea- unterbelichtet geblieben. Dabei verbirgt sich listischen Musiktheaters auf den Bühnen der hinter ihnen im interessanten Fall weit mehr 1970er Jahre bis zu den jüngeren Schlach- als ein kurzer, medienwirksamer Aufreger. ten um das sogenannte Regietheater in der Geben sich im aufgeführten Protest gegen Oper reicht. In deutsch-deutscher Perspekti- eine künstlerische Darbietung bei aller vor- ve nachgezeichnet wird dabei nicht nur, wie dergründigen Theatralik doch zugleich immer Opernskandale den ästhetischen Diskurs und überkommene ästhetische oder anderweitige darüber wiederum die Aufführungspraxis ge- gesellschaftliche Normen zu erkennen, deren prägt haben. Umgekehrt gilt die Aufmerk- Geltung offensichtlich unsicher geworden ist samkeit auch der Gestalt von Skandalen in und die im Konflikt entsprechend neu ausge- unterschiedlichen politischen Systemen und handelt zu werden verlangen. der Frage, inwieweit sich diese unter dem A usgehend von dieser Annahme betrach- tet die vorliegende Studie über Die Kunst des Skandals Opernskandale als prä- Eindruck gesellschaftlicher und medialer Umbrüche ihrerseits verändert. destinierte Drehmomente von Theaterge- 2021 Herbst
20 20 Gesellschaftsgeschichte Literaturgeschichte www.wehrhahn-verlag.de Sibylle Röth Grenzen der Gleichheit Forderungen nach Gleichheit und die Legitimation von Ungleichheit in Zeitschriften der deutschen Spätaufklärung Aufklärung und Moderne 39 704 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86525-859-5 48,00 € erscheint im August D ie Studie geht von der Annahme aus, dass sich heutige Grundwerte maß- geblich in der Epoche der Aufklärung he- bei zeigt sich ein Konzept als dominant, das hier als negative Gleichheit bezeichnet wird: Gleichheit wird als natürlicher Zustand vo- rausgebildet haben. Vor diesem Hintergrund rausgesetzt, zu dessen Verwirklichung nur der untersucht sie Konzepte von Gleichheit und Abbau künstlich errichteter Schranken not- Ungleichheit anhand eines breiten Quellen- wendig erscheint. Konzeptionen, die darüber bestands an Zeitschriftenartikeln der deut- hinaus aufgrund natürlicher Ungleichheiten schen Spätaufklärung. Die Komplexität die gesellschaftliche Herstellung von Gleich- dieses Diskurses lässt sich nicht auf ein Ge- heit fordern, liegen hingegen nicht vor. geneinander vormoderner Ungleichheit und moderner Gleichheit reduzieren: Auch in der Aufklärung werden Grenzen der Gleichheit A uf dieser Basis werden neuere Interpre- tationen zurückgewiesen, die gegenüber einer »liberalen Verengung« der aufkläre- gezogen, die zu überschreiten als unmöglich, rischen Tradition eine sozialegalitäre Umdeu- schädlich oder ungerecht gilt. tung vornehmen. Die Gleichheitskonzepte I m Zentrum der Analyse steht dabei die argumentative Rolle wirtschaftlicher Un- gleichheit: Während konservative Autoren der Aufklärung aus der spezifischen histo- rischen Diskurskonstellation heraus zu erklä- ren, erlaubt jedoch, eine distanzierte Haltung die materielle Bedingtheit der Gleichheit zu ihnen einzunehmen. betonen, um so rechtliche und politische Gleichheit zu verwerfen, weist die progres- sive Seite diesen Zusammenhang zurück. Da- 2021 Herbst
www.wehrhahn-verlag.de Literaturwissenschaft 21 Christopher Philipp Weber Die Funktion des Erhabenen in G. E. Lessings Ästhetik des »Laokoon« 488 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86525-834-2 38,00 € bereits erschienen S eufzt Laokoon, anstatt zu schreien? Und erweckt ein gedämpfter Anblick seiner Qualen eher Mitleid statt Bewunderung ›Schilderungssucht‹ konstruiert er einen er- habenen Darstellungsmodus für unermess- lich-erhabene Naturräume, mehr noch für er- über seine Schmerzunempfindlichkeit? Der- haben-schöne Körper. Und dieser literarische art spielt Lessings »Laokoon« einen mensch- Präzedenzfall statischer und sichtbarer Sujets lichen Helden gegen einen Heroen vom wird zum Probierstein, das Schrecklich-Er- Schlage ›edler Einfalt, stiller Größe‹ aus. habene auf der Theaterbühne bis zur Grenze Gegen Winckelmanns stoische Erhabenheit des abstoßend hässlichen, ja ekelerregenden Laokoons polemisiert Lessing jedoch unver- Standbildes zu integrieren. Die Wirkung hältnismäßig. So könnte der rhetorische Auf- eines dramatisierten Erhabenen schwankt wand einer frappierenden Camouflage die- zwischen Mitgefühl und Schrecken, Erstau- nen, wenn Lessing kritisiert, was gerade das nen und Abscheu. Und diese Elemente des Objekt der Begierde wäre. Demnach würde Erhabenen z. B. auch in »Emilia Galotti« er- er sich im Windschatten seiner Kritik Win- gänzen die im Lessingbild sonst dominante ckelmanns Begriff des Erhabenen aneignen. dramaturgische Wirkungsabsicht von Furcht Denn mittels dieser ästhetischen Schlüssel- und Mitleid. – Folglich bahnte Lessing mit kategorie des 18. Jahrhunderts kann Lessing seiner Ästhetik des »Laokoon« auch eine Dra- den literarischen Ausdruck um das Nicht- maturgie des Erhabenen an. Mehr-Schöne im medialen und inhaltlichen Sinn erweitern: Für das mediale Problem der 2021 Herbst
22 22 Literaturwissenschaft www.wehrhahn-verlag.de Gregor Babelotzky Jakob Michael Reinhold Lenz: »Kann er auch zeichnen?« Skizzen aus dem Nachlass 152 Seiten, 49 Abb., Hardcover ISBN 978-3-86525-876-2 20,00 € erscheint im Juli Major: »Kann Er auch zeichnen?« eine dynamische Einheit ein. Erläuterungen Läuffer: »Etwas, gnädiger Herr. – Ich kann betten die Zeichnungen biographisch ein und Ihnen einige Proben weisen.« untersuchen deren Entstehung sowie die poe- (Aus Lenz’ Drama »Der Hofmeister«) tologischen Bezüge. J akob Michael Reinhold Lenz (1751–92) ist als genialischer Stürmer und Dränger in N eben diesen Skizzen aus dem Nachlass existieren auch einige Schattenrisse, Ra- dierungen, Zeichnungen und Kupferstiche, die Literaturgeschichte eingegangen. Aus sei- die Lenz selbst zeigen. Diese Abbildungen zir- ner Feder stammen eine Reihe bedeutender kulieren vor allem in Briefen und prägen das Dramen sowie viele Gedichte und Erzäh- Bild, das den Zeitgenossen von Lenz – und uns lungen. Lenz hat aber auch in seinen Manu- heute – vor Augen steht. Diese Darstellungen skripten einige Zeichnungen hinterlassen, die werden im Rahmen von Lenz’ Begeisterung nun erstmals gesammelt vorgestellt werden. für die Physiognomie eingeführt und vorge- Die Faksimilierung der Zeichnungen schließt stellt. Diesen Skizzen und Porträts entlang sei- ihren handschriftlichen Kontext mit ein: Sie nes Lebens folgend, wird Lenz als Schriftsteller finden sich in Gedichten, Briefen, sozialre- sichtbar, der »auch zeichnen« kann. formerischen Schriften und kleinen Prosastü- cken. Schreiben und Skizzieren gehen bei Lenz 2021 Herbst
www.wehrhahn-verlag.de Literaturwissenschaft 23 Jutta Heinz (Hrsg.) Wezel-Jahrbuch Studien zur europäischen Aufklärung Band 16 / 17 — 2020 / 2021 224 Seiten, Broschur ISBN 978-3-86525-887-8 25,00 € erscheint im Oktober A us dem Inhalt: Jutta Heinz: Radikalsa- tire. Swift, Voltaire, Wezel – Lars-Thade Ulrichs: Der unzureichende Satz vom vier- tivität der Kunst, Natur und Gnade bei Bro- ckes und Herder – Holger Gutschmidt: He- gel und die Aufklärung – Jutta Heinz: Wezel fachen Grund. Formen der Determination und Goethe. Eine (Nicht-)Parallelbiographie bei Wezel – Urte Helduser: »Nichts als ei- aus Anlass des 200jährigen Todestags – von nen elenden Haufen Krüpel, Schwindsüch- Johann Karl Wezel – Martin Bojda: Johann tige, und dergleichen«? Wezels Genealogien Peter Uz und Friedrich Schiller über Freude – Cornelia Ilbrig: Zwischen Karikatur und und Freiheit Groteske: die nicht mehr schönen Künste bei Johann Karl Wezel – Roman Lach: Einstür- zende Haushalte. Johann Karl Wezels Lust- spiele der instabilen Ordnung – Wolfgang Hörner: Johann Karl Wezel als Verleger. Ein fortgesetztes Desaster – Martin Bojda: Krea- 2021 Herbst
24 24 Literaturwissenschaft www.wehrhahn-verlag.de Friederike Mayer-Lindenberg »Es liegt etwas Wunderbares in den Thieren« Facetten der Tiergestaltung im literarischen Werk Ludwig Tiecks ca. 336 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86525-891-5 29,50 € erscheint im Oktober D ie Schriftstellerin und Historikerin Ri- carda Huch hielt einmal fest: »Es konnte kaum anders sein, als daß die Romantiker, die Bewegung, die schleichende Distanzierung von der populär gewordenen Romantik und schließlich die frührealistischen Ansätze in Liebhaber des Unbewußten, ganz besonders späten Texten. Stets dienen Tiere bei Tieck der für den Zauber der Tierwelt empfänglich wa- Positionierung des Menschen im literarischen ren, wo die unbewußte Idee am auffälligsten und darüber vermittelt auch im außerliterari- in ihrer bewundernswerten und rätselhaften schen Kosmos: Die Fragen nach dem Wesen Kraft wirkt.« Das spiegelt sich in besonderem des Menschen und seiner Beziehung zur Natur Maße in den Texten des bedeutenden roman- sind die beiden entscheidenden Problemfelder. tischen Dichters Ludwig Tieck (1773–1853) Sowohl kanonische Texte wie Der gestiefelte wider, der zu Lebzeiten ähnliche Verehrung Kater und Der blonde Eckbert als auch weitge- wie Johann Wolfgang von Goethe genoss. An- hend unbekannte Werke wie etwa die Dramen hand der mannigfaltigen Erscheinungsformen Das Reh, Die Theegesellschaft und Leben und und Funktionen von Tieren in seinem Œuvre Tod des kleinen Rothkäppchens oder die späte lässt sich Tiecks komplexe schriftstellerische Novellistik finden Beachtung, einen Schwer- Entwicklung nachvollziehen: sein Weg aus punkt bildet zudem die Lyrik Tiecks. der Spätaufklärung hin zur Frühromantik, die praktische Vorreiterrolle des jungen Schrift- stellers bei der Prägung der neuen literarischen 2021 Herbst
www.wehrhahn-verlag.de Kulturgeschichte Biographie 25 Friedhelm Schwemin Von Hamburg nach Berlin Leben und Werk des Astronomen Johann Elert Bode (1747–1826) ca. 400 Seiten, 85 Abb., Hardcover ISBN 978-3-86525-886-1 25,00 € erscheint im November D ie vorliegende Arbeit bringt auf der Grundlage der Primärquellen und der zeitgenössischen Briefe und Literatur erstmals D ie Beschreibung seines Lebens entführt in die faszinierende Welt der Astrono- men vor über zweihundert Jahren mit ihren eine umfassende Darstellung des Lebens und menschlichen Schwächen und Triumphen der Werke einer zentralen Persönlichkeit der vor dem Hintergrund einschneidender poli- Himmelskunde um 1800: Johann Elert Bode tischer und gesellschaftlicher Veränderungen. (1747–1826), »Königlich Preußischer Astro- Der Band umfasst außerdem den Abdruck nom«, langjähriger Direktor der Berliner Stern- von teilweise neuaufgefundenen Originaldo- warte und Herausgeber des bekannten »Astro- kumenten aus Bodes Leben, eine vollständige nomischen Jahrbuchs«. In der Fachwelt ist er Bibliographie seiner Werke, eine Auflistung bis heute vor allem durch die Propagierung der aller bekannter Literatur sowie zahlreiche his- nach ihm benannten Titius-Bodeschen Reihe torische Abbildungen, die hier zum Teil erst- der Planetenabstände von der Sonne bekannt. mals veröffentlicht werden. So gut wie unbekannt ist jedoch seine Rolle im Kontext der Berliner Klassik, die hier erstmals in Andeutungen hervortritt. S o hat man hier zu Bode – je nach Ge- schmack – eine mehr oder weniger bun- te, mit Anekdoten gewürzte Lebensbeschrei- E r war mit seinen weitestverbreiteten Büchern, Sternkarten, Globen, Model- len, Planetarien, Presseveröffentlichungen bung, ein Nachschlagewerk, eine größere Sammlung von Einzelstudien und in Ansät- zen gar eine kleine, biographisch gefärbte und Vorträgen der erste große Popularisator Ausschnittsgeschichte der Astronomie um seiner Wissenschaft im deutschsprachigen 1800 vor sich. Raum überhaupt und bereitete in Staat und Gesellschaft maßgeblich den Boden, auf dem nachfolgende Generationen ihre Wirksam- keit entfalten konnten. 2021 Herbst
26 26 Literaturwissenschaft www.wehrhahn-verlag.de Christian Schmitt Labiles Gleichgewicht Vermittlungen der Idylle im 19. Jahrhundert ca. 380 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86525-884-7 34,00 € erscheint im September S eit der Antike erzählen Idyllen vom Aus- gleich – allerdings nicht, wie Kritiker der Gattung unterstellt haben, indem sie der Gattung erstmals mit kulturwissenschaft- lichen Lektüren kanonischer wie unbekann- terer Texte von Autor:innen wie Adalbert komplexen Realitäten eine ›heile Welt‹ ge- Stifter, Annette von Droste-Hülshoff, Hans genüberstellen, die diese verleugnet. Statt- Christian Andersen, Ida Hahn-Hahn oder dessen werfen Idyllen, wie die Studie zeigt, Luise Mühlbach. Über die Idylle ergeben sich die grundsätzliche Frage auf, wie Ausgleich so Einblicke in unterschiedlichste kulturelle möglich wäre, und bieten ihren Leser:innen Bereiche, in denen Modernisierungsprozesse Antworten an, die ethische, soziale oder poli- Spuren hinterlassen, etwa der Tourismus, die tische Implikationen haben. Für die von der Naturwissenschaften oder die Medizin. So Forschung wenig beachtete Idyllik des 19. erweist sich die Idylle im 19. Jahrhundert ins- Jahrhunderts ist diese Funktion der Gattung gesamt als literarisches Labor, in dem Mög- besonders wichtig, stellt sie doch eine Mög- lichkeiten der Vermittlung des Gegensätzli- lichkeit dar, auf Prozesse der Modernisierung chen durchgespielt werden. zu reagieren, ohne die zugrundeliegenden Spannungen zu verschweigen. Im Gegenteil: Dr. Christian Schmitt ist Privatdozent im In- Diese Spannungen geraten in der Idyllik des stitut für Germanistik der Carl von Ossietzky 19. Jahrhunderts in besonderer Weise in den Universität Oldenburg. Blick. Die Studie erschließt dieses Potenzial 2021 Herbst
www.wehrhahn-verlag.de Literaturwissenschaft Buchwissenschaft 27 David Brehm / Nicola Kaminski / Volker Mergenthaler / Nora Ramtke / Sven Schöpf Zeit/Schrift 1813-1815 oder Chronopoetik des ›Unregelmäßigen‹ Journalliteratur, Band 3 ca. 400 Seiten, mit 51 farb. Abb., 5 Karten, Hardcover ISBN 978-3-86525-863-2 34,00 € erscheint im Oktober A ls von Frühjahr 1813 an, beginnend mit Preußen, die deutschen Territorien sich sukzessive von der französischen Herrschaft der Normalität von Zensur eröffnen, relativ spontan und meist kurzlebig diskontinuier- liche Zeiterfahrung zu verschriften suchen befreien und bis zum Sommer und Herbst und dabei mit der seriellen Normalität von des Jahres allmählich sich eine politisch-mi- Journal experimentieren. Was daraus für die litärische Allianz gegen Napoleon formiert, typographische Materialität, die textuelle wird all dies vielerorts publizistisch begleitet: Kohärenz und für die Periodizität von Jour- in Berlin, in Altenburg und Leipzig, in Frei- nal resultiert, läßt sich auf den Begriff einer burg im Breisgau, in Koblenz, in Wien, ja die Chronopoetik des ›Unregelmäßigen‹ bringen. preußische Feldbuchdruckerei folgt der Ar- mee der Alliierten nach dem Rheinübergang im Dezember 1813 sogar nach Frankreich bis S olchen Inszenierungen von als unregel- mäßig erfahrener Zeit durch performative Regelverstöße im Druckmedium selbst läßt zum Einzug in Paris. Gemeinsam ist diesen sich analytisch adäquat nicht mit der Syste- neu entstehenden, zwischen Zeitung und matik einer wissenschaftlichen Abhandlung Zeitschrift changierenden deutschsprachigen begegnen, ohne daß Wesentliches auf der Blättern, daß sie in den Freiräumen, die sich Strecke bliebe. Die Konsequenz ist die Ent- zeitweilig in den machtpolitisch unübersicht- scheidung für ein experimentelles: ein zei- lichen Verhältnissen 1813–1815 gegenüber tungsförmiges Buch. 2021 Herbst
28 28 Literaturwissenschaft Buchwissenschaft www.wehrhahn-verlag.de Volker Mergenthaler, Nora Ramtke, Monika Schmitz-Emans, (Hrsg.) Lektüreabbruch – Anschlusslektüren Journale lesen Interrupted Reading – Follow-On Readings Reading Journals Journalliteratur, Band 4 ca. 448 Seiten, mit zahlr. Abb., Hardcover ISBN 978-3-86525-889-2 44,00 € erscheint im Oktober D er vorliegende Band versammelt die Ergebnisse der zweiten internationalen Konferenz der DFG-Forschergruppe 2288 T his volume proceeds from the second international conference of the DFG Research Unit 2288 »Journal Literature«. The »Journalliteratur«. Die Beiträge untersuchen contributions examine periodicals from the Journale des späteren 18. bis frühen 20. Jah- late 18th to the early 20th century, taking as rhunderts, wobei die konkrete Materialität a methodological starting point the material- der Erscheinungsform sowie deren rezep- ity of the published form and its potential to tionssteuernde Potentiale den methodischen condition reception. The specific temporality Ausgangspunkt bilden. Die spezifische Tem- and materiality of periodicals shape processes poralität und Materialität von Journalen of generation and superimposition of mean- steuert Prozesse der Bedeutungsgenerierung ing; here, both the conditions and conse- und überlagerung, deren Voraussetzungen quences of these processes are explored. The und Kontexte ebenso untersucht werden wie connection between materiality, visual and ihre Folgen. Der Zusammenhang von Jour- temporal logics of format, and reading prac- nalmaterialität, visuellen und temporalen tices is the key focus of »Reading Journals: Formatlogiken und Lektürepraktiken bildet Coherence and Interruption«. das Zentrum von »Lektüreabbruch – An- schlusslektüren: Journale lesen«. 2021 Herbst
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