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52 Akademie Aktuell 02-2018
ISL AM I N BAYER N TH E MA
Interview
„Es werden Haltungen propagiert,
die Menschen muslimischen Glaubens
ganz bewusst schaden wollen“
Proteste gegen Moscheebauten und rechts-
populistische Hetze: Der Islam sorgt
(nicht nur) in Bayern für Kontroversen. Wie
fühlen sich Muslime bei uns? Nimmt
die Islamfeindlichkeit zu, wie reagieren die
muslimischen Gemeinschaften und Organi-
sationen? Ein Gespräch mit dem Politik-
wissenschaftler Hüseyin I. Çiçek über fest-
gefahrene Vorurteile und mögliche
Lösungen.
Michael Kasperowitsch: Herr Çiçek, wenn Meiner Beobachtung nach hat sich diese
gegenwärtig Pläne für einen Moscheebau Diskussion in den vergangenen drei, vier Jah-
in Bayern bekannt werden, wie kürzlich ren verschärft, und zwar in Richtung Islam-
in Regensburg oder Kaufbeuren, gibt es gegnerschaft oder sogar Islamfeindschaft.
Proteste. Kritische Stimmen werden laut, Das hängt sicher mit den globalen Entwick-
manch politisch Verantwortlicher erhebt im lungen zusammen. Nachdem sich die beiden
Stadtrat Bedenken. Es gibt eine bisweilen großen weltpolitischen Blöcke West und Ost
scharfe Debatte darüber, ob so ein Bau mit aufgelöst hatten, war schnell erkennbar, dass
Minarett angemessen ist. Warum ist die der Islam zu einer neuen Herausforderung
Erregung derart groß? wird. Deshalb muss man Jahrzehnte zurück-
Hüseyin I. Çiçek: Dafür gibt es verschiedene gehen. Dann kamen der Jugoslawienkrieg, in
Erklärungen. Schon seit den 1980er Jahren ist dem Europa die Verbrechen an Muslimen wie
muslimisches Leben öffentlich immer sicht- in Srebrenica nicht verhindern konnte, und die
barer geworden. Moscheen gehören dazu. Konflikte im Nahen Osten hinzu. Der Islam war
Diese Entwicklung sorgt für verschiedenste auf verschiedenen Ebenen ein Thema. Das galt
Kontroversen. Dazu zählt auch die Diskussion nicht nur für Deutschland selbst wegen der
darüber, ob der Islam und Muslime zu Deutsch- Einwanderer, sondern auch international gese-
land und damit zu Bayern gehören. hen wegen der Ereignisse in anderen Regionen
der Welt. Massiv verschärft hat sich die Debat-
te dann natürlich mit 9/11, den Terroranschlä-
gen in den USA im Jahr 2001. Das alles hat zu
verschiedensten Mechanismen der Ablehnung
ABB.: V. METTE / LAIF
von Muslimen geführt.
Türkische Mädchen lesen im Koran.
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TH EMA ISL AM I N BAYER N
Vor allem in den großen Städten Bayerns Warum wird zu wenig differenziert?
gehört sichtbares muslimisches Leben seit Die Mehrheit der Deutschen differenziert
vielen Jahren zum Alltag. Sie sehen es nicht schon. Die zeigt nicht abfällig auf Muslime: So
so, dass sich die Stimmung jüngst ver- seid ihr. Bei dem Anschlag Ende 2016 in Berlin
schlechtert hat? war die Reaktion von deutscher Seite sehr be-
Doch, vor allem mit Blick auf türkische Mus- sonnen. Die Stimmung ist noch nicht gekippt.
lime, die auch in Bayern die größte Gruppe Es sind Minderheiten, die verallgemeinern.
stellen. Die erhöhten Spannungen hängen
sicher mit der Verschlechterung des deutsch- Was kann die Gesellschaft präventiv tun,
türkischen Verhältnisses nach dem Putsch- damit Islamfeindschaft nicht zunimmt?
versuch in der Türkei 2016 zusammen. Die Es wird schon viel getan, etwa dadurch, dass
Türken in Deutschland wurden in der Regel der interreligiöse Dialog intensiviert wird. Da
als Erdoğan-Anhänger eingeordnet. Und man distanzieren sich Muslime ganz entschieden
konnte feststellen, dass die Türkei aktive Innen- von der Gewalt, oder sie machen deutlich, dass
politik in Deutschland betreibt. Das steigerte der Übertritt zum christlichen Glauben für sie
die Ressentiments. Hinzu kommt der Umstand, gar kein Problem darstellt, dass sie radikale
dass es in Deutschland Gruppen gibt, die schon Lehren ablehnen. Viele türkische oder arabische
von Anfang an starke Vorbehalte gegen Musli- religiöse Gruppen sind an diesem Austausch
me hatten. beteiligt. Etliche Vertreter der Mehrheitsgesell-
schaft sind dafür allerdings blind. Wenn sich
Kann es sein, dass diese Konfrontation in bestimmte Vorurteile festgesetzt haben, ist es
jüngerer Zeit massiver wird, weil Muslime schwer, davon loszukommen.
zum Beispiel als Zeichen fortschreitender
Integration mit größeren, auffälligeren Got- Es gibt eine Studie, die spricht davon, dass
teshäusern in Erscheinung treten? die Hälfte der Bevölkerung Bayerns eine
Das denke ich schon, weil dann die Mehr- gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit
heitsgesellschaft mit etwas konfrontiert wird, gegenüber Muslimen pflegt.
was ihr noch als fremd gilt, was noch nicht Ich kenne diese Studie nicht im Detail. Leider
selbstverständlicher Bestandteil des Lebens fehlen uns die finanziellen Mittel, um qua-
hier ist. Das gilt auch für das Kopftuch. Da gibt litativ zu untersuchen, welche persönlichen
es sozusagen eine wahrgenommene gefühlte negativen Erfahrungen Menschen, die eine
Differenz, die viele Menschen nicht einordnen solche Haltung vertreten, gemacht haben. Man
können. Hinzu kommt, dass die Einwanderer darf nicht den Fehler machen, Konflikte um
mittlerweile integriert sind und wissen, welche Jobs oder um Wohnungen sofort unter dem
Rechte und politischen Möglichkeiten sie hier Aspekt kultureller oder religiöser Unterschiede
in der freiheitlichen Gesellschaft haben. Und zu sehen. Hinzu kommt, dass wir in Europa in
die nehmen sie in Anspruch. Die Reaktion der jüngster Zeit eben verschiedene islamistisch
Mehrheitsgesellschaft ist dann häufig: Ja, dür- motivierte Anschläge erlebt haben. Es gibt
fen die das überhaupt? eine Bedrohung. Die ist allerdings geringer als
die, die von der rechtsextremistischen Sze-
Der Islam als Religion wird sehr schnell ne ausgeht. Aber wenn für Menschen durch
gleichgesetzt mit Gewalttaten, die im illusionäre Konstruktionen der Realität Musli-
Namen eines falsch verstandenen Islam me plötzlich ein größeres Problem werden als
verübt werden. Wie kommt es zu diesem Rechtsextremisten, ist man ziemlich machtlos.
Kurzschluss? Errungenschaften, die man gemeinsam erzielt
Das ist eine komplexe Frage. Den einen Islam hat, werden dann schnell zunichtegemacht.
gibt es ja nicht. Die Gruppen sind ganz unter-
schiedlich. Auch in Bayern sind radikale Salafis- Das sind ziemlich pessimistische Aussichten.
ten mit Konvertiten sehr provokativ und laut Man ist dem keineswegs hilflos ausgesetzt.
aufgetreten. Hinzu kommen dschihadistische Man muss sich einen nüchternen Blick ange-
Gruppen, beispielsweise der IS. Ich glaube, es wöhnen, nichts schönreden, aber auch nichts
gibt niemanden, der dessen Werbe- und Ge- verallgemeinern. Viele Moscheen in Bayern
waltvideos nicht kennt. Es gibt viele Fraktionen, gehen offen auf die Mehrheitsgesellschaft zu.
die von sich behaupten, dass sie den richtigen Sie laden ein, machen Tage der offenen Tür. Es
Islam vertreten. Für einen Außenstehenden ist gibt viele Möglichkeiten, sich kennen zu lernen,
sehr schwer zu erkennen, welche Interessen
diese Gruppen jeweils vertreten. In der Verunsi-
cherung wird leicht verallgemeinert: So ist der
Islam.
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In der Münchner Fußgängerzone.
sich näherzukommen. Aber im Bundestag sitzt Islam-Kritik und eine intellektuelle Auseinan-
nun mal die AfD, die zum Beispiel Deutsche mit dersetzung mit Inhalten dieser Religion auf
türkischem Migrationshintergrund generell hohem Niveau. Es werden jedoch auch Haltun-
und gezielt diffamiert. gen propagiert, die Menschen muslimischen
Glaubens ganz bewusst schaden wollen. Was
Um politische Erfolge bei der Bevölkerung die AfD macht, geht in diese Richtung. Die will
zu erzielen, setzen AfD und andere rechts- mehr und mehr spalten. Innerhalb des vorge-
populistische Gruppen ganz gezielt auf gebenen Rahmens der demokratischen Ge-
das Muster: Der Islam gehört nicht hierher, sellschaft müssen wir dagegen vorgehen. Wir
Muslime stammen aus einer anderen Kultur. brauchen keine AfD, die uns sagt: Wenn einer
Wie begegnet man einer solchen Politik? nicht deutsch aussieht, dann ist er auch kein
Die AfD weiß sehr genau, wie sie agieren muss, Deutscher. Damit leugnet man die bestehen-
welche Emotionen sie bedienen muss, damit de Heterogenität der deutschen Gesellschaft.
sie Zulauf bekommt. Das hat sie mit Salafisten Glücklicherweise verfängt das nicht bei der
ABB.: N. HILGER / LAIF
gemeinsam. Die Strategie ist ganz ähnlich: großen Mehrheit des politischen Spektrums.
Sich öffentlich als Opfer präsentieren, einen
Sündenbock anbieten, Vorurteile pflegen. Man
muss aber unterscheiden: Es gibt eine legitime
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Vielleicht noch vor zehn Jahren hätte eine Mitschüler sie in einem Ton der Geringschät-
Partei wie die AfD nicht diesen Erfolg bei zung oder sogar der Aggressivität als Muslim
gut zehn Prozent der Wähler gehabt. Ist das bezeichnet hätten. Das sind zwar prägende
für Sie besorgniserregend? individuelle Erlebnisse, aber es sind einzelne
Das ist besorgniserregend, weil solche radi- Momentaufnahmen. Dann gibt es in den
kalen Positionen nun doch bei einem ganz Moscheen Integrationsbeauftragte, die seit
stattlichen Teil der Bevölkerung ankommen. Jahrzehnten am Dialog beteiligt sind. Und die
Aber Deutschland gehört zu den stärksten De- wissen um die vielen positiven Erfahrungen
mokratien der Welt. Man muss nun vermeiden, des Zusammenlebens. Als sie selbst noch
sich in der Argumentation auf das Niveau etwa keine eigenen Gebetsräume hatten, haben
der AfD zu begeben. Dann wären wir verloren. ihnen Pfarrer Räume in ihren Gemeinden
angeboten. Das hat ein stabiles Fundament
Wie wirkt sich die gegenwärtig spürbare der Kooperation gelegt, wird aber gegenwärtig
Islamfeindschaft auf die muslimischen von islamfeindlichen Positionen schon ange-
Communities aus? Zieht man sich zurück, ist griffen. Es wird verbreitet, Muslime seien per
man verunsichert, setzt man sich zur Wehr, se gewalttätig, ihr Frauenbild sei nicht mit
geht man noch mehr an die Öffentlichkeit, der Mehrheitsgesellschaft kompatibel, ja, in
um etwas dagegenzusetzen? jedem Muslim stecke ein aggressives Tier, das
Die Stimmung ist unterschiedlich. Gelegent- nur auf eine Gelegenheit warte auszubrechen.
lich kommt es vor, dass Kinder muslimischer Das ist schon eine gehörige Belastung. In den
Abschlussveranstaltung für Eltern sich gemobbt fühlen. Die kommen von Moscheen ist man dabei, aufzuklären, wie man
die Studierenden der Universität der Schule nach Hause und berichten, dass mit dieser Islamphobie umgeht. Es gibt viele
Bonn, 2009.
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An einem Berliner Döner-Imbiss.
Bemühungen in diese Richtung. Es findet eine Wie kann sich ein Außenstehender da
Sensibilisierung statt, die meines Erachtens in orientieren?
den kommenden Jahren Früchte tragen wird, Das Erlanger Zentrum für Islam und Recht in
bei den Menschen mit Migrationshintergrund Europa, die Bundeszentrale für politische Bil-
und bei der Mehrheitsgesellschaft. dung und andere Einrichtungen sind mit ihrer
Arbeit sehr hilfreich. Daran sind unter anderem
Haben sich muslimische Organisationen viele muslimische Experten beteiligt. Dann
zu spät oder nicht geschlossen genug von empfehle ich jedem, auf Muslime zuzugehen
Gewalt distanziert, die mit ihrer Religion und sie einfach nach ihrer Haltung zu fragen, in
begründet wird? einer Moschee, einem türkischen oder arabi-
9/11, das vielleicht weltweit einschneidendste schen Verein: Wer seid ihr? Wie denkt ihr? n
Ereignis, hat die Menschen verstört. Und in die-
ser Situation als Muslim oder als muslimische
Gemeinde sofort mit einer Einschätzung vorzu-
preschen, das kann Fluch und Segen sein. Wenn Gesprächspartner
sie sagen: So sind wir Muslime nicht, kann man
Dr. Hüseyin I. Çiçek ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am
ihnen vorwerfen, das sei eine nicht glaubwür-
Erlanger Zentrum für Islam und Recht in Europa (EZIRE) der
dige Rechtfertigungsgeste. Wenn sie nichts
Universität Erlangen. Er wurde 2010 in Innsbruck mit einer
sagen, haben sie auch verloren. Da ist es sehr Arbeit über „Kriteriologie und Signifikanz des christlichen,
schwer, das Richtige zu tun. Als es dann Zug um des muslimischen und des politischen Martyriums“ promo-
Zug um die Aufarbeitung solcher Gewalttaten viert. Seine Forschungsschwerpunkte sind Integrations- und
ging, haben viele muslimische Gruppen und Migrationsforschung, die Türkei, Religionspolitologie sowie
Gemeinden offen und überzeugend gehandelt: religiöser und säkularer Terrorismus.
Ja, es gibt ein Islamverständnis, das wir nicht
teilen, und wir versuchen, dagegenzuhalten. Michael Kasperowitsch ist Redakteur der „Nürnberger Nach-
ABB.: M. JUNG / LAIF; G. WELTERS / REDUX / LAIF
Gegenwärtige Spannungen können aber nicht richten“. Religionsthemen und die Beschäftigung mit
nur auf 9/11 zurückgeführt werden. Es gibt dem Islam in Bayern gehören seit vielen Jahren zu seinen
etwa innerhalb der türkischen Einwanderungs- Aufgabengebieten.
gesellschaft ein nationalistisches Verständnis Das Gespräch fand am 9. März 2018 in Erlangen statt.
vom Islam, das Menschen hier in Deutschland
vor den Kopf stößt und die Bemühungen
verschiedener muslimischer und nichtmuslimi-
scher Interessengruppen torpediert.
02-2018 Akademie Aktuell 57Sie können auch lesen
