6/2018 Deutscher Anwaltverein
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6/2018 Die Fachzeitschrift für Anwältinnen und Anwälte 6/2018 AnwaltsPraxis Einzelspezialistin •Nina Diercks: AnwaltsPraxis Die Einzel- AnwaltsWissen Digitaler Nachlass spezialistin AnwaltVerein RVG-Erhöhung • AnwaltsWissen Mayen + Herzog: • AnwaltVerein DAV in Brüssel: Digitaler Nachlass Rechtsstaat und und das Recht Anwälte in der EU Anzeige Effizienter diktieren 07. & 08. Juni 2018 mit Spracherkennung. Stand 106/Ebene 1 Digital geht einfach mehr. Informieren Sie sich jetzt: www.ra-micro.de INFOLINE: 0800 726 42 76
Editorial Die starren Regelungen einer gesetzlichen Gebührenord- nung sind mit dem RVG im Jahre 2004 weitergehend gelo- ckert worden. Die strenge Mindestgebührenregelung über § 49 b Abs. 1 BRAO in Verbindung mit dem RVG gilt nur noch für die Tätigkeit in gerichtlichen Verfahren, weil der Gesetzgeber sie nur dort mit Blick auf Gemeinwohlbelange und insbesondere mit dem Blick auf die Berechenbarkeit der Vergütung für Mandant und Anwalt einerseits und die Regelungen zur prozessualen Kostenerstattung anderer- seits noch für notwendig erachtet hat. Damit einher geht eine Rechtsprechung des BGH, die die verfahrensrecht- liche Kostenerstattung nach § 91 ZPO auf die gesetzliche Vergütung beschränkt und sich vorsichtig einer über den gesetzlichen Gebühren liegenden Kostenerstattung auf materiell-rechtlicher Basis annähert (zum Beispiel BGH AnwBl Online 2018, 439, Rn. 23; BGH AnwBl Online 2015, 433, Rn. 58). Kostenerstattungsrechtliche Fragen spielen keine Rolle, wenn die Tätigkeit des Rechtsanwalts nicht nach außen ge- richtet ist, wie bei Beratungsleistungen. Das RVG enthält seit 2006 mit § 34 RVG keine gesetzliche Gebühr mehr für Beratungstätigkeiten. Der Rechtsanwalt kann sogar kostenlos beraten (BGH, AnwBl 2017, 894). Damit rückt der Anwendungsbereich des § 34 RVG in den Blick. Mit seinem in diesem Heft veröffentlichten Urteil klärt der BGH (AnwBl 2018, 364) eine lange umstritte- Freiräume ne Frage. Der Ent- wurf eines Testa- ausfüllen ments ist von § 34 RVG erfasst und wird Jetzt noch besser: nicht über eine Ge- Edith Kindermann, Bremen schäftsgebühr nach Nr. 2300 VV abge- rechnet. juris DAV Zusatzmodul Rechtsanwältin und Notarin, Anwaltsblatt-Herausgeberin Damit gilt: Am Anfang steht der Auf- trag. Geht es um eine Beratung (wie zum Beispiel den bloßen Entwurf eines Testa- Profitieren Sie jetzt noch mehr von der ments) soll der Rechtsanwalt auf eine Gebührenvereinbarung exklusiven Kooperation von DAV und hinwirken. Die Gebührenvereinbarung des § 34 RVG ist – juris. Speziell für Sie als Mitglied des anders als eine Vergütungsvereinbarung – formfrei wirksam Deutschen Anwaltvereins haben wir ein (§3 a Abs. 1 S. 4 RVG). Empfehlenswert ist gleichwohl eine rechtsgebietsübergreifendes Kommentar- nachweisbare Vereinbarung. und Zeitschriftenmodul entwickelt. Damit ist der Rechtsanwalt bereits am Beginn des Auftra- Mit dem juris DAV Zusatzmodul recherchieren ges gefordert. Mit dem Auftraggeber soll offen und trans- Sie in über 30 Top-Titeln führender Fachverlage parent über die Gebühr für die anwaltliche Tätigkeit gespro- der jurisAllianz – von A wie Anwaltkommentar chen werden. Wer das offene Wort scheut, ist auf die übliche bis Z wie Zöller. Sie arbeiten wie gewohnt auf Vergütung nach dem BGB beschränkt, im Verhältnis zum Augenhöhe mit allen deutschen Richterinnen und Verbraucher gekappt auf maximale 250 Euro. Fazit: Die Frei- Richtern und gewinnen Zeit und Rechtssicherheit. räume des modernen Vergütungsrechts müssen erkannt und Zahlreiche Formulare mit zusätzlichen Checklisten, ausgefüllt werden. Der Blick auf die Vergütung wird damit Vorlagen und Textbausteinen unterstützen Sie zur ureigensten anwaltlichen Aufgabe (und der Inhalt der optimal bei Ihrer Fallbearbeitung. Vereinbarung kann nicht auf Mitarbeiter delegiert werden). Diese Aufgabe stellt sich am Beginn des Mandats und nicht Jetzt kostenfrei und unverbindlich testen erst an dessen Ende. unter: www.juris.de/davzusatz
Anwaltsblatt Jahrgang 68, 6 / 2018 Redaktion: Im Auftrag des Deutschen Anwaltvereins Dr. Nicolas Lührig herausgegeben von der Rechtsanwältin und (Leitung) den Rechtsanwälten: Udo Henke Edith Kindermann Manfred Aranowski Herbert P. Schons Jessika Kallenbach Prof. Dr. Heinz Josef Willemsen Lisa Tramm • Porträt AnwaltsPraxis Nina Diercks: Die Einzelspezialistin • AnwaltsWissen Anwaltsrecht Rechtsunsicherheiten beim Verbot der Andin Tegen, Hamburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 Vertretung widerstreitender Interessen Prof. Dr. Martin Henssler, Köln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 Report Der Parteiverrat – die Basics Rechtsanwältin Dr. Simone Kämpfer, Düsseldorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 Legal Tech: Willkommen in der Gegenwart Nora Zunker, Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 Outsourcing in Kanzleien Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Hartung, Mönchengladbach . . . . . . . . . . . . . . . . 349 Die Verschwiegenheitspflicht des Berufsträgers Anwälte fragen nach Ethik im Besteuerungsverfahren Namen bloggen – Transparenz oder Pranger? Rechtsanwalt Michael Drasdo, Neuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 Rechtsanwalt Hartmut Kilger, Tübingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 Deutscher Anwaltverein + Deutscher Juristentag ! Fernmeldegeheimnis und digitaler Nachlass Rechtsanwalt Prof. Dr. Thomas Mayen, Köln/Bonn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 Der digitale Nachlass und das Erbrecht Rechtsanwältin Dr. Stephanie Herzog, Würselen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 Name: _______ Soldan Institut Die Neuregelung der interprofessionellen Berufsausübung Gastkommentar Prof. Dr. Matthias Kilian, Köln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 Wenn die Polizei Straftaten zählt ... Marlene Grunert, Frankfurter Allgemeine Zeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 Bücherschau Anwaltsmarkt Kommentar Prof. Dr. Matthias Kilian, Köln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 Die Perspektive der Mandanten Rechtsanwalt Hartmut Scharmer, Hamburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 Haftpflichtfragen Versicherungsschutz rund um Cyber Digital Rechtsanwalt Dr. Stefan Riechert, Allianz Versicherung, München. . . . . . . . . 356 Messe „AdvoTec“ – Neues auf dem Anwaltstag Janine Ditscheid, Köln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Rechtsprechung Anwaltsrecht Nachrichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 EGMR: Der aufgedrängte Pflichtverteidiger, BGH: Anwaltlicher Betreuer und externer Anwalt, BGH: „Administrativer Direktor“ als Syndikusrechtsanwalt, Bericht aus Berlin/Brüssel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 OVG Hamburg: Fahrtenbuch für Anwalt, weil Mandant PKW nutze, AnwG Köln: Anwalt muss für Kanzleiwerbung geradestehen, FG Münster: Beiträge als steuerpflichtiger Arbeitslohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 Anwaltshaftung OLG Frankfurt am Main: Prominenz des Mandanten steigert Sorgfaltspflicht, OLG Brandenburg: Prozessvergleich widerrufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 Anwaltsvergütung BGH: Keine Geschäftsgebühr für Testament, BGH: Vergütung für Kanzlei- abwicklung, BGH: Gegenstandswert Unfallschaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 Prozessrecht BVerfG: Beachtung von Gerichtsfristen, BGH: Dolmetscher einschalten, BGH: Tod des Anwalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 322 AnwBl 6 / 2018
Alle Anwaltsblatt-Online-Fundstellen (AnwBl Online [Jahrgang], [Seite]) sind in der Anwaltsblatt-Datenbank unter anwaltsblatt.de oder als Direktlink als PDF unter Die Spkrenancuh - anwaltsblatt.de/ao/[Jahrgang]-[Seite] abrufbar. Das Heft mit allen Online-Aufsätzen gibt es in der Anwaltsblatt-App (im AppStore und bei Google Play). er ngs- • AnwaltVerein Metropolregion Rhein-Neckar Eine Region macht mobil Maschine. Henning Zander, Hannover . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 DAV-Stellungnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 Kommentar Nebentätigkeit im Referendariat Rechtsanwältin Sabine Gries-Redeker, Bonn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 Anwaltsvergütung RVG-Forderungskatalog von DAV und BRAK Rechtsanwalt Udo Henke und Rechtsassessorin Sabrina Reckin, DAV, Berlin 371 Deutscher Anwaltverein Autorität der Demokratie – und des Rechts Rechtsanwältin Eva Schriever, DAV, Brüssel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 n der Deutscher Anwaltverein Bis gleich a ar! B ierb „Journalismus ist keine Jagd“ Philips- De r Tre ffp u nkt Rechtsanwalt Swen Walentowski, DAV, Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 a ltstag beim Anw : in M a n n h e im DAV-Landesverband Hessen Ebene 3 Wie sicher ist unser Rechtsstaat? Stand 308 Rechtsanwältin (Syndikusrechtsanwältin) Anette Feldmann, Wiesbaden . . . . 373 Arbeitsgemeinschaften Insolvenzrechtstag: Dauerbaustelle Insolvenz- recht/Die richtige Strategie im Baurecht/Grenz- überschreitender Familienstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 Aus Sprache wird Text. Aus Arbeit wird Leben. Editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Mit dem SpeechMike Premium Air Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 Mitgliederversammlung/Personalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 erstellen Sie professionelle anwaltliche Stellenmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 Dokumente noch schneller, einfacher Seminarkalender der Deutschen Anwaltakademie . . . . . . . . . 382 und kostengünstiger. Mandantenfragebogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 Wir beraten Sie gerne persönlich unter Telefon: 030/2639595-0 E-Mail: marc.mayer@speech.com philips.com/dictation
Für die mustergültige Strafverteidigung. Formulare für alle Fälle Das Formularbuch umfasst alle relevanten Formulare für Ihre Mandate im Strafrecht, Jugendstrafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht. Ausführliche Anmerkun- gen zu den einzelnen Formularen liefern Antworten zu den wesentlichen Verfahrensfragen sowie Hinweise zum materiellen Recht. Alle Formulare stehen online zum Download zur Verfü- gung. Aktuell in der Neuauflage: ■ das am 5.9.2017 in Kraft getretene Zweite Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren und zur Änderung des Schöffenrechts ■ das am 24.8.2017 in Kraft getretene Gesetz zur effektive- ren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafver- fahrens ■ das am 1.7.2017 in Kraft getretene Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung ■ die im Zuge der Einführung des elektronischen Rechts- verkehrs mit Justiz und Verwaltung kommende Praxis Beck’sches Formularbuch für den Strafverteidiger der Akteneinsicht in elektronische Akten 6. Auflage. 2018. XXXIV, 1504 Seiten. ■ die Auswirkungen der gesetzlich geregelten Verständi- In Leinen mit Formularen zum Download gung im Strafverfahren sowie die »Deal-Entscheidung« € 119,– des Bundesverfassungsgerichts ISBN 978-3-406-68451-7 ■ die Neuregelung der Sicherungsverwahrung und die Neu im März 2018 aktuelle Rechtsprechung hierzu. Mehr Informationen: www.beck-shop.de/bhhycs »(...) Richtig genutzt enthält das Beck’sche Formularbuch für den Strafverteidiger eine Unmenge von Anregungen und Denkanstößen für eine kreative Verteidigung, die auch Wege jenseits der ausgefahrenen Gleise beschreitet.« RA und Dipl.-Kfm. Wolfgang Nieberler, in: MAV-Mitteilungen 10/2010, zur 5. Auflage 2010 Erhältlich im Buchhandel oder bei: beck-shop.de | Verlag C.H.BECK oHG · 80791 München | kundenservice@beck.de | Preise inkl. MwSt. | 168194
AnwaltsPraxis AnwaltsPraxis 326 Nina Diercks und IT-Recht: Die Einzelspezialistin Andin Tegen, Hamburg Der Einzelanwalt ist ein Auslaufmodell, behaupten viele. Die, die alleine praktizieren, widersprechen. Eine junge Anwältin hat als Einzelspezialistin ihre Nische in der Nische gefunden. 333 Veröffentlichung von Namen: Transparenz oder Pranger? DAV-Ausschuss Anwaltsethik und Anwaltskultur Gerichte agieren nicht im luftleeren Raum. Urteils- schelte gehört dazu. Doch muss auch der Name des Richters genannt werden? Ein Anwalt gibt seine ganz persönliche Antwort, was geht, was nicht geht. 335 Fachanwalt für Opferrechte: Perspektive der Mandanten Rechtsanwalt Hartmut Scharmer, Hamburg Der Fachanwalt für Opferrechte ist knapp in der Sat- zungsversammlung gescheitert. Das mag dem Rechts- system gut tun, den Rechtssuchenden hilft es nicht. Warum die Anwaltschaft eine Chance vertan hat.
Porträt Die Einzel- spezialistin Mit der Kombination aus IT-, Medien-, Datenschutz- und Arbeitsrecht eine Nische besetzen Andin Tegen, Hamburg Im IT-Recht ist Anwältin Nina Diercks fast allein unter Männern. Sie hat sich durchgebissen – und zeigt, wo die Zukunft der Anwaltschaft liegt. „Wie wollen Sie mit pickeligen Teenies Geld verdienen?“ – die Frage hat sie nie ver- gessen. Damals steht Nina Diercks am Anfang ihrer Karriere zur Anwältin für IT-, Medien-, Datenschutz- und Arbeitsrecht und der Mann, der den Satz ausspricht, ist ein gestandener Anwalt. Er ist nicht der einzige, der ihren Wunsch auf dem IT- Gebiet Karriere zu machen für etwas dämlich hält. Eine Orchideenbranche? Ein Randgebiet? Der direkte Weg in die Armut! Noch heute rollt Nina Diercks mit den Augen, wenn sie davon spricht. Schon damals hat sie nicht die Absicht, ihr Geld mit Jugendlichen zu verdienen. Die Zeiten haben sich geändert für die 38-Jährige. Gewaltig sogar. Heute sitzt Nina Diercks in ihrer Hamburger Kanzlei und blickt vom vierten Stock eines Rotklin- kerbaus auf das lebhafte Eimsbüttel. Längst verdient sie ihr Geld nur noch mit Unter- nehmen, die die neuen Technologien für sich nutzen. Eigentlich hat sie jetzt auch keine Zeit für lange Gespräche – sie hat nicht mal Zeit, jedes Mandat anzunehmen. Diercks steht für eine ganz neue Entwicklung auf dem Anwaltsmarkt. Sie gehört zu den Anwältinnen und Anwälten, die als Einzelunternehmer erfolgreich sind, weil Diercks gehört zu den Anwälten, die als Einzelunterneh- mer erfolgreich sind, weil sie hochspezialisiert arbeiten. sie hochspezialisiert arbeiten. Sie haben oftmals nur noch eine Assistentin, vielleicht einen weiteren Anwalt oder wissenschaftlichen Mitarbeiter. Sie haben geringe Fix- kosten, legen Wert auf flexible Arbeitszeiten und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ein neuer Typ Anwalt bereichert den Markt, einer, der sich radikal vom Generalisten unterscheidet, der jeden Fall abbildet, sei es im Miet-, Zivil-, oder Straf- recht. „Der klassische Feld-Wald-und-Wiesenanwalt stirbt als Einzelanwalt vermut- lich aus“, sagt Diercks. „Aber nicht solche, die sich auf einem immer komplexer werdenden Rechtsdienstleistungsmarkt auf ein Thema spezialisiert haben“. Und das IT-, Medien-, Datenschutz- und Arbeitsrecht ist so ein Spezialfall. Diercks ist eine der wenigen Frauen in Deutschland, die sich auf die Kombination dieser Rechtsgebiete konzentriert hat. Heute hat sie drei Angestellte – einen Rechts- anwalt, eine Assistentin und einen studentischen Mitarbeiter. Hinter jedem Fall ent- deckt sie ein Geflecht aus Rechtsbereichen, die mal klar formuliert sind oder ganz neu erschlossen werden müssen. „Wenn ich ein Unternehmen in Sachen Mitarbei- ter als Markenbotschafter berate, geht es um Fragen des Datenschutzes, der Arbeit- nehmerrechte, der IT-Security, des Wettbewerbsrechts, des Urheberrechts und vie- les mehr, das muss alles in Richtlinien oder Betriebsvereinbarungen gegossen wer- den“, sagt sie. „Für solche Fälle dann Lösungen mit den Unternehmen zu ent- wickeln macht unglaublich viel Spaß!“. Gerade im Datenschutzrecht existieren nicht so viele Referenzfälle wie etwa im Mietrecht, Lösungen sind relativ. Wer Un- ternehmen etwa bei Big-Data-Lösungen mit personenbezogenen Daten berät, muss das deutsche oder europäische Datenschutzrecht beherrschen – das ist bei Weitem nicht jedermanns Sache. Ist auch nicht gerade ein Spaziergang, sagt Diercks, aber deswegen umso spannender. Sie mag ihre Rolle als Pionierin und Mitgestalterin von Recht. AnwBl 6 / 2018 327
Porträt Hört man sie reden, kann man sich kaum einen passenderen Beruf für sie vor- stellen. Diercks galt schon in Schulzeiten als meinungsstark und analytisch den- kend. Außerdem, sagt sie, lag es mir, vor Hunderten von Leuten zu sprechen. „Ich bin auch ein bisschen Rampensau“, sagt sie und lacht über sich selbst, was ein Vor- teil für den Anwaltsjob ist. Als Nachteil kristallisiert sich etwas heraus, womit sie anfangs nicht gerechnet hat: Das Muttersein. Noch heute zieht sie die Stirn kraus, wenn sie an die vielen Be- werbungsgespräche in Kanzleien denkt. Beruf und Familie miteinander zu verein- baren ist ein noch größeres Thema für ihr berufliches Umfeld als für sie selbst. Sie hat bereits eine dreijährige Tochter, als sie zur mündlichen Prüfung im zweiten Staatsexamen erscheint. „Rechtsanwältin? Wie wollen Sie das denn machen als Frau und Mutter!?“, ruft der Prüfungsvorsitzende. Sie denkt sich nichts dabei, doch er soll teilweise Recht behalten. „Es war – entgegen meiner Annahme – wirklich schwer den Berufseinstieg zu finden“, erinnert sie sich. In jedem Vorstellungs- gespräch in einer Kanzlei kommt die Frage: „Und wie machen Sie es mit Ihrer Tochter?“. Einmal fragt sie zurück, ob die gleiche Frage auch einem Vater gestellt würde. Mit der Antwort rechnet sie nicht: „Warum gehen Sie so an die Decke? Als Mutter bleibt man ja zu Hause, wenn das Kind krank ist. Und Sie sind als Frau nun mal ein Risiko für uns.“ Nina Diercks ist sprachlos. Noch heute ärgert sie sich darüber, dass sie nicht aufgestanden und gegangen ist. Den Standpunkt klarmachen, nicht missverstanden werden, fokussiert bleiben. Sie hat eine klare Haltung wenn sie spricht, eine, die ihr auch im lockeren Gespräch zuweilen etwas Unnahbares verleiht. Vielleicht verständlich, wenn man hört, wie sie sich ihren Weg durch einen von Männern dominierten Rechtsbereich bahnen musste. Während ihres Studiums und zur Überbrückung der Wartezeit auf das Re- ferendariat zweigt sie kurz ab in die Verlagswelt. Bei Gruner und Jahr in Hamburg arbeitet sie als Projektmanagerin für ein Online-Portal, später für einen Computer- 1999–2005 spielehersteller in der PR-Abteilung. „Jedes Mal wiederholte sich ein Szenario“, er- Studium der Rechtswissenschaft an der innert sie sich, „Online-Manager, IT-Entwickler und Juristen sehen sich nicht als er- Universität Hamburg, Staatsexamen gänzendes Team, sondern der Jurist wird als der nicht verstehende Feind betrachtet, dessen einziges Ziel sei, innovative Ideen im Keim zu ersticken.“ 2000–2001 Hier keimt schon die Idee für den Social Media Rechts-Blog. Ein Blog, der dem Gruner + Jahr Leser die Angst vor dem Recht nehmen und es für juristische Laien verständlich machen soll. Damals ahnt sie nicht, dass sie einmal fast all ihre Mandanten über 2002–2004 diesen Blog generieren wird. Nach ihrem zweiten Staatsexamen legt sie los – und Eidos GmbH, freie Mitarbeiterin hört auch nicht auf, als sie in einer renommierten Kanzlei in den Anwaltsberuf star- tet. Zwar hat sie hier mit schillernden Kunden aus der Unterhaltungsindustrie zu 2005–2006 tun, aber hauptsächlich bearbeitet sie Abmahnungen. „Irgendwann fühlte ich mich University of Aberdeen, M.Litt wie eine Sachbearbeiterin“, erinnert sie sich. Über ihren Blog gewinnt sie bereits (Strategic Studies) Mandanten für die Kanzlei. Also überlegt sie sich voller Enthusiasmus ein neues 2006/2007 & 2009/2010 Geschäftsfeld für die Kanzlei: Rechtsberatung für Social Media. So viel Eigeninitiati- ve ist aber doch nicht erwünscht. Genauso wenig wie flexible Arbeitszeiten oder ein Rechtsreferendarin am OLG Hamburg freundliches Arbeitsklima. Doch all das ist ihr wichtig merkt sie, und dass sie ei- 2007–2009 gentlich nicht wirklich der Typ Angestellte ist. Also kündigt sie und steigt in ihr eigenes Boot: Im August 2011 macht sie sich Elternzeit als Anwältin selbstständig und eröffnet eine Kanzlei für Social-Media-Recht. 2013 2010–2011 gründet sie dann mit einem befreundeten Rechtsanwalt aus Kiel eine Partner- schaftsgesellschaft. Die Nachfrage nach Rechtsberatung im IT-Bereich steigt immer Angestellte Rechtsanwältin weiter: „Die noch recht junge Branche professionalisierte sich und realisierte, dass 2011–2012 das gute alte Kaufmannsehrenwort eben doch nur wenig wert ist, wenn sich jeder nur an die eigene Version des Besprochenen erinnert“, sagt sie. Die Vertragsgestal- Einzelanwältin – Social Media Recht tung und das Verhandeln von Verträgen nehmen einen immer größeren Raum ein. 2013–Sep. 2016 Nach fast vier Jahren in der Doppelkanzlei stellt sich Diercks noch einmal neu auf. Sie entwickelt eine Corporate Identity, die ihre Tätigkeitsfelder noch besser wi- Dirks & Diercks Rechtsanwälte derspiegelt und gründet im September 2016 die Anwaltskanzlei „Anwaltskanzlei Seit September 2016 Diercks – IT-|Medien-|Datenschutz-| und Arbeitsrecht“. Ihr Blog wird zu „Diercks Digital Recht – Blog für IT-|Medien-|Datenschutz-| und Arbeitsrecht“. „Der Name Inhaberin der Anwaltskanzlei Diercks, Social Media Recht Blog suggerierte manch einem, ich würde nur zu Impressums- Datenschutz-Sachverständige beim Un- abhängigen Landeszentrum für Daten- fragen auf Facebook beraten“, erklärt sie ihre Entscheidung. schutz Schleswig-Holstein für IT-Produkte Es braucht Mut, Willensstärke und Überzeugung, um als Einzelanwalt zu beste- hen. Diercks Kanzleimarketing hat sie über die Jahre aufgebaut. Ihr Blog war und ist eine der wichtigsten Investitionen für sie. Und der schrieb sich über die Jahre nicht wie von selbst. „Hätte ich zu Beginn nur dann und wann einen kurzen Artikel ge- 328 AnwBl 6 / 2018
Porträt „Die Branche professionalisiert sich und ein Kaufmanns- Ehrenwort reicht nicht, wenn sich hinterher keiner mehr an den Wortlaut erinnert“, erklärt sie. „Mit Verträgen ver- hindert man Streit“. postet, hätte dies sicher nicht genügt“, sagt sie. Wichtig für ihren Bekanntheitsgrad war aber auch das Verfassen wissenschaftlicher Aufsätze, Gastartikel und das Pfle- gen von Netzwerken: „In den ersten Jahren besuchte ich fast wöchentlich Veranstal- tungen, war dort oft selbst Rednerin – etwa bei den Digital Media Women und ande- ren Netzwerktreffen, auf denen man Unternehmer trifft“. Heute schafft sie das zeit- lich nicht mehr. Mittlerweile besucht sie Konferenzen und Podiumsdiskussionen nur noch, wenn sie gebucht wird. Sie schreibt auch nur noch zweimal im Monat an ihrem Blog, der inzwischen „Diercks Digitalrecht“ heißt. Aber sie ist weiterhin in Kommunikation, ihre Beiträge bleiben im Netz, werden gefunden, lösen Diskus- sionen aus, generieren Interessenten und Mandanten. Außerdem macht sie den Mund auf, wenn ihr etwas nicht passt. Im Januar 2018 schrieb sie einen flammenden Brief an die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), in dem sie auf Sicherheitslücken beim besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) aufmerksam machte, bei dem die gesamte vertrauliche, nationale Kommuni- kation zwischen Anwälten, Gerichten und Behörden zentral über eine Plattform ab- gewickelt werden sollte. Dem BRAK-Präsidium warf sie vor, dass es offenbar an grundlegendem Verständnis für IT-technische Fragen mangele. Und scheute auch nicht vor Begriffen wie „Desaster“ zurück, um das Programm zu beschreiben. „Es hat einfach gereicht“ sagt sie und zuckt mit den Schultern. Nina Diercks hat sich durch die kabbelige See der Existenzgründung navigiert und segelt nun durch ruhigere Gewässer. Auch wenn es sich manchmal noch stür- misch anfühlt, wie im letzten Jahr, als ein Mandant ein Angebot ablehnte. „Das ist zwar ebenso normal wie es nur noch selten vorkommt, aber ich bin nicht der Typ, der eine Ablehnung einfach wegwischt“, sagt sie. Sie hinterfragt den Grund. Ist der Druck sehr groß, schlüpft sie in ihre Turnschuhe und läuft los. Fälle nochmal durchgehen, Ärger loswerden. Bis innere Ruhe einkehrt. Nina Diercks war schon immer in Bewegung, als Kind mit Leistungssport, als Erwachsene mit Andin Tegen Laufen und Paddeln. Wenn die Familie im Urlaub in der Finca entspannt, übt sie ist freie Journalistin in Hamburg und schreibt Steigungsläufe an der Algarve. Ihren Beruf betrachtet sie wie eine lange Fahrt auf regelmäßig für Anwalts- hoher See. „Ich kann nicht voraussehen, was passiert, ich habe keinen Jahresplan blatt und Anwaltsblatt Karriere. für die Kanzlei“, sagt sie. Und warum auch? „Ich bekomme immer mehr Aufträge und kann gleichzeitig meine Kinder zum Sport bringen – meine Kanzlei kann ich Leserreaktionen an anwaltsblatt@anwalt auch später noch ausbauen“. Ausgleich ist ihr wichtig, arbeiten bis zum Umfallen verein.de. ein Relikt aus vergangenen Tagen. Das Leben wie einen Fluss wahrzunehmen. Nichts zu erzwingen. So macht sie Karriere. // AnwBl 6 / 2018 329
Report Willkommen in der Gegenwart Legal Tech: Der Alltagsgebrauch zählt – Praxis statt Phantasie Nora Zunker, Berlin „Den Wettbewerb gewann Der Rechtsdienstleistungsmarkt wird neu programmiert: Ein Jahr nach dem ersten ein Softwareprototyp, der deutschen Legal Tech Hackathon trafen im Februar erneut 140 Anwälte, Entwickler Verhandlungsparteien separat und Legal Engineers in Berlin zusammen, um gemeinsam in einem Wettbewerb durch einen „intelligenten“ softwarebasierte Lösungen für Verbraucher, Justiz und Anwaltskanzleien zu fin- Fragenkatalog führt und den den. Auf der parallel stattfindenden Konferenz diskutierten indes Teilnehmer und Referenten die lang- und kurzfristigen Perspektiven bisheriger Legal Tech-Ansätze gemeinsamen Konsens und -Produkte. ermittelt.“ Ließen sich die Besucher der Berlin Legal Tech im vergangenen Jahr noch ganz vom Hype um „Legal Tech“ mitreißen, war der Blick in diesem Jahr ein anderer: Was können die Technologien heute für den Alltagsgebrauch leisten – und was nicht? Die neuen Technologien prägen dabei nicht nur den Anwaltsberuf sondern das gesamte Arbeitsumfeld. „Predictive Analysis beeinflussen den Bereich der Prozess- finanzierungen grundlegend. Risikoeinschätzungen basieren auf Mustererkennung – diese kann jetzt immer weiter automatisiert und präzisiert werden“, sagte Thomas Kohlmeier (Mitgründer der Nivalion AG). Ein Einsatz von Predictive Analytics zur Vorhersage von Gerichtsurteilen scheitere laut Jan Stemplewski (Holiday Hero) in Deutschland hingegen an den zu geringen Datenmengen: „Um Voraussagen zu er- möglichen, müssten zunächst alle Urteile veröffentlicht werden, auch wenn sie be- stehende Entscheidungen nur bestätigen, um eine quantitative Grundlage zu schaf- fen.“ Was der Einsatz von Technologien schon jetzt beeinflussen kann, ist das Kräf- teverhältnis von Einzelpersonen und großen Unternehmen. Max Schrems erläuter- te, wie er durch den Einsatz von entsprechender Software im Rahmen einer „Sam- melklage österreichischer Prägung“ gegen Facebook innerhalb weniger Tage 25.000 Nutzer erreichen konnte, die sich seinem Anliegen anschlossen. Die Auseinandersetzung mit Blockchain und Künstlicher Intelligenz bildete ei- nen weiteren inhaltlichen Schwerpunkt der Konferenz. Luis Ackermann (Mitgrün- der von Lex Ferenda) betonte, dass auf Machine Learning basierenden Systeme noch ganz am Anfang der Entwicklung stünden. Die Veranstalter Rechtsanwalt Florian Glatz und Prof. Stephan Breidenbach widmeten sich der Frage nach Sinn und Unsinn von Initial Coin Offerings und der Vision von Recht als Code bezie- hungsweise Code als Recht. Klare Kommunikation, bessere Ergebnisse Beim Hackathon identifizierten die Teilnehmer in angeleiteten Diskussionsrunden die analogen Probleme und digitalen Lösungsmöglichkeiten des Rechtsdienstleis- tungsmarktes. Anschließend arbeiteten die interdisziplinären Teams an der Um- setzung konkreter Prototypen. Besonders die Frage nach verbessertem Zugang zur Justiz durch Legal Tech motivierte. Viele Legal Tech-Interessierte waren extra für das Event angereist. „Ich habe begonnen mich mit Legal Tech auseinanderzusetzen, weil in meinem Heimatland Indien der Zugang zur Justiz oft sehr kostspielig ist Nora Zunker und nicht jeder sich einen Anwalt leisten kann. Außerdem kann Software eines Ta- hat Jura an der Hum- ges vielleicht zu vorurteilsfreien Prozessen beitragen“, beschrieb Thejeswi Preetham boldt-Universität zu Ber- lin studiert und schreibt seine Motivation zur Teilnahme. Am Ende des zweiten Tages wurden unter ande- regelmäßig für Anwalts- rem eine Vertragsmanagementsoftware, eine Austauschplattform speziell für An- blatt und Anwaltsblatt Karriere. wälte und eine Klausel-Datenbank für Vertragsverhandlungen vorgestellt. Den Wettbewerb gewann ein Softwareprototyp, der Verhandlungsparteien separat durch Leserreaktionen an anwaltsblatt@anwalt einen „intelligenten“ Fragekatalog führt und den gemeinsamen Konsens ermittelt. verein.de. Insgesamt zeigte sich in der Legal Tech-Szene eine Tendenz hin zu Produkten, die sich im täglichen Leben in absehbarer Zeit einsetzen lassen. // 330 AnwBl 6 / 2018
Dieser Tag hat D E U T S C H E R 53 ANWALTS TAG 2 0 1 8 »Fehlerkultur in der Rechtspflege« Stunden 6.– 8. Juni in Mannheim > 2 Tage > 3 Abende > 50 Vorträge > 65 FAO-Stunden > 70 Aussteller > 200 ReferentInnen > 2.000 Teilnehmer #anwaltstag 2018 www.anwaltstag.de
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Anwälte fragen nach Ethik Richternamen bloggen: Ein Mitglied aus dem DAV-Ausschuss Anwaltsethik und Anwaltskultur gibt seine ganz persönliche Antwort. Transparenz oder Pranger? Wenn Sie es anders sehen: AnwaltsPraxis Schreiben Sie dem Ausschuss (anwaltsblatt@anwaltverein.de). Die Frage nach dem richtigen Handeln stellt sich im Alltag: Antworten werden im Anwaltsblatt veröffentlicht. Würden Sie die Richternamen öffentlich machen?* Ein Rechtsanwalt betreibt einen Blog, auf dem er auch über Gerichtsentscheidungen aus seinem OLG-Bezirk berichtet. Die Nutzerzahlen steigen stetig. Einmal im Monat bloggt er über die „Zitrone des Monats“. Detailliert und hochkritisch verreißt er eine Gerichtsentscheidung. Dabei ist er nicht zimperlich: Er benennt die verantwortlichen Personen, jeweils mit vollem Namen und Dienstbezeichnung. Der OLG-Präsident fordert eine Anonymisierung. Der Rechtsanwalt weigert sich. Mit guten Gründen? * Angelehnt an BVerwG, AnwBl 2015, 272, wo der Kläger, Rechtsanwalt und gleichzeitig Redakteur der juristi- ! Darf ein Anwalt Entscheidungen, schen Fachzeitschrift „Anwaltsnachrichten Ausländer- und Asylrecht“ (ANA-ZAR), Entscheidungen aus dem die er für falsch hält, in seinem Blog Migrationsrecht, die er als Missgriff verstand, als „Ent- gleisung des Monats“ unter Namens- und Dienst- mit Namen der Verantwortlichen bezeichnung der mitwirkenden Personen veröffentlich- te. Das BVerwG gab der Pressefreiheit den Vortritt und _______ Name: veröffentlichen? urteilte, dass die Persönlichkeitsrechte (von Staats- anwälten und Verteidigern) regelmäßig gegenüber dem publizistischen Informations- und Verbreitungsinteresse zurück stehen müssten. Es ist zunächst wohltuend, dass sich die Rechtsordnung bei der Beantwor- tung dieser Frage zurückhält. Jedenfalls ist keine Vorschrift ersichtlich, die ein solches Handeln ausdrücklich verbietet, aber auch nicht erlauben würde. Also muss selbst entschieden werden, ob und wie Zurückhaltung geboten wäre – oder auch nicht. Verantwortliche in gerichtlichen oder behördlichen Verfahren sagen zu Recht: Es kommt auf Inhalte an – und nicht darauf, wer Bescheide formuliert und erlassen hat. Auch müssen sie ja entscheiden, es DAV-Ausschuss Anwaltsethik und ist hier Dienstpflicht. Also ist verständlich, wenn sich Gerichtschefs vor ihre Anwaltskultur eigenen Leute stellen: Auch sie haben die Pflicht, sie vor Anfeindung zu be- wahren. Vornehme Zurückhaltung schafft gediegenere Zivilisation. Ande- Der DAV hat einen Ausschuss Anwaltsethik rerseits gilt: Es sollte der Staat den so genannten „Rechtsunterworfenen“ und Anwaltskultur. Dieser Ausschuss will nicht anonym, sondern durch handelnde Personen gegenübertreten. Schon eine Diskussion darüber führen und aus- die notwendige Akzeptanz hängt hiervon ab. lösen, ob die anwaltliche Tätigkeit auch Also kommt es auf eine Abwägung dieser beiden Interessengegensätze an ethischen Maßstäben unterliegt, und wenn – und damit (wie immer) auf Einzelheiten. Sicher zu Recht wird als un- ja, welchen. Der Vorstand des DAV hat anständig empfunden, wenn (im Internet) so skandalisiert wird, dass eine beschlossen, keinen Ethikkodex zu formu- Einzelperson quasi an einen Pranger gestellt wird. Aber gilt das immer? Wie lieren. Einmal fehlt hierfür die Legitimation. Zum anderen läuft ein solcher Kodex ist es etwa, wenn ein Medium an ein Fachpublikum gerichtet ist, das ein pro- Gefahr, beschlossen und vergessen zu fessionell begründetes Interesse an der Verfahrensweise ihr möglicherweise werden. Eine beständige Diskussion um aus dem beruflichen Umfeld sogar bekannter Persönlichkeiten haben muss? ethische Fragen vermag das Problem- Wer behördliche oder gerichtliche Macht hat, über andere Menschen zu bewusstsein mehr zu prägen und zu entscheiden, wird jedenfalls hinter seinen Entscheidungen so stehen können schärfen. Die Rubrik gibt es seit 2012 im und müssen, dass er die Bekanntgabe seiner persönlichen Urheberschaft Anwaltsblatt, seit 2017 antworten aushalten kann. Das kann durchaus schmerzhaft sein – dieser Schmerz ist Ausschussmitglieder. Es sind jeweils ihre persönlichen Antworten, systemimmanent, wo harter rechtlicher Schlagabtausch der Sache wegen keine Stellungnahmen des gesamten (leider) an der Tagesordnung ist. Wer ein Beispiel hierfür braucht, lese ein Ausschusses oder des DAV. Heft der ANA-ZAR, für die Migrationsrechtler, wo regelmäßig die „Entglei- sung des Monats“ Namen nennt. Doch das mag in anderen Rechtsgebieten Dem DA V-Ausschuss Anwal ts ethi k und Anwalts kultur anders sein – es geht nicht immer ums Ganze. Wie immer bei Fragen an das gehören die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte Berufsethos: Es kommt sehr auf die Einzelumstände an. Patentantworten an: D r. Jörg Meister (Vorsitzender), Dr. Joachim Frhr. verbieten sich. Deswegen würden auch Rechtsnormen nicht weiterhelfen. von Falkenhausen, Prof. Ni ko Härting, Markus Hartung, Petra Heinicke, Hartmut Kilger, Ingeborg Rechtsanwalt Hartmut Kilger, Tübingen Rakete-Dombek (auch Notarin), Eghard Teichmann (auch Notar) und Silke Waterschek. AnwBl 6 / 2018 333
Krisensitzung zum beA G a stkomm entar Die BRAK hatte die Präsidenten der regio- nalen Kammern am 15. April 2018 zu einer außerordentlichen Konferenz zusammen- Wenn die Polizei Straftaten getrommelt, um über den aktuellen Stand zum besonderen elektronischen Anwalts- zählt … wird es ungenau postfach (beA) zu berichten. Einen Tag später gab es auf der 6. Satzungsver- Die Polizeiliche Kriminalstatistik liefert Zahlen sammlung eine aktuelle Stunde hierzu. über Zahlen, doch ihre Aussagekraft ist beschränkt Auch die BRAK-Hauptversammlung am Marlene Grunert, Frankfurter Allgemeine Zeitung 27. April 2018 kam um das Thema beA nicht umhin. Zwischenzeitlich musste die BRAK auch das Bundesweite Amtliche An- Ein zuverlässiges Abbild der Kriminalität gibt in Deutschland waltsverzeichnis wegen Sicherheitsproble- die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS). So jedenfalls sieht es men vorübergehend vom Netz nehmen. Horst Seehofer. Als der Bundesinnenminister kürzlich die Das beA bleibt aber erstmal offline. Zwar Studie für das vergangene Jahr vorstellte, wehrte er sich denn wurden keine Fehler gefunden, die den grundlegenden Aufbau des beA-Systems auch gegen jeden Vorwurf der Verfälschung und zog lieber in Frage stellen, so der Gutachter. Die bis- ein „klares Fazit“: Deutschland sei sicherer geworden, zur her ausgemachten „Schwachstellen des Entwarnung bestehe aber kein Anlass. In aller Ambivalenz beA-Systems“ könnten behoben werden. illustrierte der Bundesinnenminister den Charakter der Stu- Aber erst wenn das endgültige Sicher- die damit mehr, als er beabsichtigt haben dürfte. heitsgutachten zum beA vorliegt – nicht Tatsächlich ist die Aussagekraft der PKS beschränkt. Das Marlene Grunert ist Poli- vor Ende Mai 2018 – wird die BRAK über liegt vor allem daran, dass sie ausschließlich das kriminelle tikredakteurin bei der Frankfurter Allgemeinen das weitere Vorgehen beraten. BRAK- Hellfeld erfasst, also Fälle, die der Polizei bekannt geworden Zeitung, wo sie sich vor Präsident Schäfer kündigte an, dass es bei sind. Den Einfluss des Anzeigeverhaltens lässt sie außer Acht, allem um F.A.Z. Ein- spruch kümmert. Wiederinbetriebnahme des beA eine Ein- obwohl es höchst unterschiedlich ausfällt. So wird sich das Monats-Frist geben solle, bevor die passi- Leserreaktionen an ve Nutzungspflicht für Anwältinnen und Opfer einer Beleidigung um eine Strafverfolgung seltener be- anwaltsblatt@anwalt Anwälte greife. mühen als das Opfer eines Wohnungseinbruchs. verein.de. Das BRAK-Präsidium war wegen dem beA Im Sexualstrafrecht kommen gesellschaftliche Entwick- bislang heftigster Kritik ausgesetzt. Auch lungen hinzu. So hat die abnehmende Stigmatisierung von im Kammerlager rumorte es kräftig. Umso Opfern sexueller Gewalt erhebliche Auswirkungen auf das überraschender war es, dass die regiona- Anzeigeverhalten. Eine Aussage über tatsächliche Kriminali- len Kammern auf der BRAK-Hauptver- tätsentwicklungen ist mit der Dokumentation bekanntgewor- sammlung mehr oder weniger die Füße still dener Fälle deshalb noch lange nicht getroffen. Gleiches gilt, „In erster Linie gehalten haben. Die Hauptversammlung wenn die Polizei ihre Praxis ändert. Je intensiver sie das liefert die Kri- hatte während der Haushaltsdebatte einen minalstatistik Frankfurter Bahnhofsviertel beobachtet, desto mehr Drogen- Misstrauensantrag einer Kammer gegen zwei Mitglieder des Präsidiums und die delikte dürften ihr wohl auch bekannt werden. einen Arbeits- damit verbundene Rücktrittsforderung mit Schon die Aussage, 2017 seien 5,8 Millionen Straftaten nachweis der deutlicher Mehrheit abgelehnt (BRAK- aufgenommen worden, ist hinfällig. Denn von einer Straftat Polizei, nicht Presseerklärung Nr. 11. vom 27. April kann nur die Rede sein, wenn sie gerichtlich festgestellt wur- aber eine 2018). Das Präsidium der BRAK sah darin de. In der PKS landet ein Vorgang dagegen, sobald die Polizei ‚Aufklärungs- eine Bestätigung ihrer Arbeit. ihn an die Staatsanwaltschaft abgibt – unabhängig davon, wie quote‘.“ das Verfahren ausgeht. In erster Linie liefert die Studie des- halb einen Arbeitsnachweis der Polizei, nicht aber eine „Auf- BRAK-Präsident legt Amt nieder klärungsquote“. Gesetzesänderungen lässt die PKS weitgehend außer Acht, Der Präsident der Bundesrechtsanwalts- kammer (BRAK) Ekkehart Schäfer hat An- ungenau ist sie deshalb auch dort, wo sie „Veränderungen ge- fang Mai seinen Rücktritt angekündigt. Er genüber dem Vorjahr“ illustrieren will. Aktuell betrifft das hat in einem Schreiben an die Präsidenten etwa die Reform der Straftatbestände zum Widerstand gegen der regionalen Rechtsanwaltskammern Vollstreckungsbeamte. Die Bundesregierung selbst räumt ein, gesundheitliche Gründe für diesen Schritt dass ein Vergleich der Fallzahlen hier „nur noch bedingt mög- angeführt. Schäfer will sein Amt spätes- lich“ ist. Ganz vorbehaltlos heißt es dagegen in der aktuellen tens zum 14. September 2018 niederle- PKS, der Widerstand gegen Polizisten habe zugenommen. gen. Das ist der Termin, an dem die Angesichts all dessen erstaunt, warum die Bundesregie- nächste große BRAK-Hauptversammlung rung nicht längst eine genauere Untersuchung auf den Weg turnusmäßig stattfinden soll. Er sprach gebracht hat. Zumal es sie in Form des Periodischen Sicher- sich dafür aus, so schnell wie möglich Neuwahlen abzuhalten. Gewählt werden heitsberichts schon einmal gab. Im Koalitionsvertrag verein- soll jetzt am 28. Mai 2018 auf einer außer- barten die Regierungsparteien zwar die Wiederauflage dieser ordentlichen BRAK-Präsidentenkon- deskriptiven und analytischen Studie, doch im Bundesinnen- ferenz. Schäfer ist seit dem 18. September ministerium bezweifeln Mitarbeiter schon jetzt ihre Finan- 2015 Präsident der BRAK. zierbarkeit. Vorerst bleibt es deshalb bei der PKS. Aus deren Ungenauigkeiten dürften Kriminologen, Politiker und Jour- nalisten weiterhin lautstarke Schlüsse ziehen. // 334 AnwBl 6 / 2018
K o m m e n ta r Kein Fachanwalt für Opferrechte Der Fachanwalt für Opferrechte ist ge- Die Perspektive der scheitert. Zwei Stimmen fehlten in der AnwaltsPraxis sechsten Sitzung der 6. Satzungsver- Mandanten sammlung am 16. April 2018 zur absoluten Mehrheit, die für eine neue Fachanwalt- schaft nötig ist. Der Fachanwalt für Opfer- Der Fachanwalt für Opferrechte scheitert in rechte war nicht nur von den Opferver- der Satzungsversammlung – ein Nachruf bänden gefordert worden und von der Po- Rechtsanwalt Hartmut Scharmer, Hamburg litik erwünscht, sondern auch eine Gruppe von Anwältinnen und Anwälten hatte mit Unterstützung des DAV für ihn gekämpft Die Fähigkeit zum Perspektivwechsel gehört zu den Kern- und geworben. Die Kritik kam vor allem kompetenzen eines erfolgreichen Rechtsanwaltes. In eigener aus dem Lager der Fachanwälte für Straf- Sache scheint es aber auch für erfahrene Kolleginnen und recht. Sie betonten immer wieder, dass sie auch die Anwältinnen und Anwälte der ne- Kollegen gar nicht so leicht zu sein, über den eigenen Schat- benklageberechtigten Verletzten seien. ten zu springen: ein neuer „Fachanwalt für Opferrechte“ ver- Mit einem neuen Anlauf für eine Fach- fehlte in der Satzungsversammlung am 16. April 2018 knapp anwalt für Opferrechte ist in dieser 6. Sat- die erforderliche Mehrheit. Es wird ihn also nicht geben. zungsversammlung (bis Sommer 2019 im Aus der Perspektive von Mandanten stellt sich die Sachlage Amt) nicht mehr zu rechnen. relativ klar dar: wer durch eine Straftat oder einen Unfall ge- schädigt ist, steht meist nicht nur vor einer persönlich schwie- Hartmut Scharmer ist rigen Situation, sondern auch vor einer Vielzahl von Rechts- seit 1977 Rechtsanwalt. Er ist Mitglied der L es e r r e a k t i o n problemen. Es können Entschädigungsansprüche aus Teil- 6. Satzungsversamm- bereichen des Zivilrechts, Sozialrechts und Strafrechts zu prü- lung. fen sein. Ganz zu schweigen von den schwer zu überblicken- den Kosten und den Chancen der Rechtsdurchsetzung. Auf Leserreaktionen an anwaltsblatt@anwalt verein.de. » Chance vertan … schade! diese Situation war die neue Fachanwaltsbezeichnung zu- Zum Online-Beitrag „Zwei Stimmen fehlten geschnitten. Die Mandanten sollten gleich einen ausgewiesen zum Fachanwalt für Opferrechte“ vom 16. April 2018 von Rechtsanwalt Dr. Nicolas qualifizierten, also einen Fachanwalt finden können, der sie Lührig auf www.anwaltsblatt.de: aus einer Hand beraten kann. Und vor allem: den sie als partei- lichen und kompetenten Interessenvertreter ansehen können. Die Satzungsversammlung hat der An- Zu viele Mitglieder des Gremiums konnten diesen Per- waltschaft einen Bärendienst erwiesen, spektivwechsel aber leider nicht nachvollziehen. Die Gegner „Die Mandanten als sie den Fachanwalt für Opferrechte argumentierten zumeist aus „systematischer“ Sicht: die bishe- haben ein abgelehnt hat. Die im SGB XIII-Entwurf rigen Fachanwaltsbezeichnungen orientierten sich an Rechts- reales, kein vorgesehene Schaffung eines Fall- managers (der anwaltliche Beratungs- gebieten. Das „Opferrecht“ sei aber ein „Gemischtwaren- systematisches leistungen übernehmen wird) und die laden“, dessen Teilbereiche in anderen Rechtsgebieten größ- Problem. Überantwortung der Fürsorge für Op- tenteils enthalten seien. Das ist sicher richtig und liegt in der Wenn wir das ferzeugen und -Nebenkläger auf das Natur der Sache, ist aber ebenso sicher kein Gesichtspunkt, nicht verste- Gericht (anstatt der Überlassung an der auch nur einen einzigen Mandanten interessiert. hen, wird sich Opferanwälte), wie im Koalitionsvertrag Welchen Wert soll eine „Systematik“ haben, die an den Be- vereinbart, sind Reaktionen auf das die Lebens- dürfnissen eben derjenigen Menschen vorbeigeht, deren Inte- jahrelange Ignorieren der Wünsche der ressen die Rechtsanwälte ansonsten gerne als oberste Richt- realität immer Justizministerkonferenz. Sie hat lange schur ihres Handelns zu benennen pflegen? Besonders aus weiter und auf Opferrechte spezialisierte Rechts- den Reihen der Strafverteidiger kam das Argument „Wir kön- schneller an anwältinnen und -anwälte eingefordert. der Anwalt- Auch die Sozialverbände werden jetzt nen auch Nebenklage“. Die Betroffenen sehen das wahrschein- selbst in das Vertretungsgeschäft ein- lich anders: wer durch eine Gewalttat geschädigt wurde, sieht schaft vorbei steigen; die ersten Vollmachten dazu in einem Strafverteidiger wohl eher nicht eine bevorzugte An- entwickeln.“ habe ich in den letzten Wochen bereits laufadresse. Und was ist, wenn es keine Anklage oder keinen gesehen. In der Folge wird der Anwalt- Angeklagten (mehr) gibt? Dann hilft die Nebenklage rein gar schaft wieder einmal ein erhebliches nichts. Ich sehe ja ein, dass der Name „Fachanwalt für Opfer- Mandatsaufkommen wegbrechen. rechte“ nicht nur „systematisch“, sondern auch sprachlich ge- Dass am Opferrecht nichts zu verdienen wöhnungsbedürftig ist. Das geht mir auch so. Aber: aus der sei, wie zur Begründung häufig zu lesen Perspektive der Mandanten können das Sprachgefühl und der ist, stimmt bei entsprechender Vorbil- Wunsch von Anwaltsvertretern nach einer berufsrechtlichen dung der Opferrechts-Anwälte und den entstehenden Synergieeffekten durch Systematik doch keine ausschlaggebende Rolle spielen. Die gesammelte Bearbeitung aller Facetten Mandanten haben ein reales, kein systematisches Problem. des Rechtsfalles (Straf-, Sozial- Zivil- Wenn wir das nicht verstehen, wird sich die Lebensrealität und Familienrecht) einfach nicht. immer weiter und schneller an der Anwaltschaft vorbei ent- Schade für eine vertane Chance. wickeln. Es könnte dann wieder heißen: wir haben die Ent- wicklung (wie schon so oft) verpennt. Es wird ohne Perspek- Rechtsanwalt Dirk Hinne, Dortmund (Fach- anwalt für Medizinrecht, für Sozialrecht und tivwechsel aber wieder passieren. // für Versicherungsrecht) AnwBl 6 / 2018 335
BGH: Keine Nichtzulassungs- Bericht aus Berlin beschwerdeflut Der BGH soll auch weiterhin vor einer „Überschwemmung“ mit Nichtzulassungs- Die Freundschaftslinien – beschwerden mit geringeren Streitwerten geschützt werden. Der Gesetzgeber plant die Teilung der Welt eine Verlängerung der Regelung, wonach Die Meinungsfreiheit schützt die Meinungsäußerung, der Gegenstandswert für die Beschwerde nicht den verbalen Totschlag der Nichtzulassung der Revision mindes- tens 20.000 Euro betragen muss, bis zum Christian Bommarius, Berlin 31. Dezember 2019 ( BT-Drs. 19/1686). Er muss sich beeilen, denn die bereits mehr- fach verlängerte Übergangsregelung in Der Begriff „amity lines“ wird mit „Freundschaftslinien“ über- § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO läuft Ende Juni setzt. Sie verliefen im 16. und 17. Jahrhundert geographisch 2018 aus (siehe dazu Meldung, AnwBl im Süden über den Wendekreis des Krebses, im Westen 2017, 10). Ein erster Schritt ist getan: Der über einen im Atlantischen Ozean durch die Kanarischen In- Gesetzentwurf wurde nach erster Lesung seln oder die Azoren gezogenen Längengrad. Innerhalb der mit Aussprache im Bundestag (BT-PlPr Linien war die abendländische Moral in Geltung, regelte das 19/26 , S. 2404C–2410B) an den Aus- europäische Völkerrecht (ius publicum europaeum) das politi- schuss für Recht und Verbraucherschutz sche Gleichgewicht der Kräfte, verbot es den Schiffen europäi- überwiesen. scher Staaten, sich gegenseitig zu attackieren. Jenseits der Li- Christian Bommarius ist nien aber war das Völkerrecht außer Kraft, die Eroberung der freier Autor in Berlin. Digitaler Nachlass Neuen Welt nach allen Regeln – also ohne alle – erlaubt. Es Zuletzt war er bis 2017 bei der Berliner Zeitung. galt die Parole des englischen Freibeuters Sir Francis Drake: Er schreibt den „Bericht Was passiert mit dem Konto eines ver- „No peace beyond the lines.“ aus Berlin“ im Wechsel mit Peter Carstens. storbenen Nutzers eines sozialen Netz- Sie gilt auch heute wieder, doch teilen die Linien nicht mehr werks? Damit wird sich der BGH am Leserreaktionen an die Erde, sondern schaffen zwei Welten – die analoge und die anwaltsblatt@anwalt 21. Juni 2018 befassen. In dem Fall hatten digitale. Wer in der analogen Welt lebt, der hat Anspruch auf verein.de. Eltern Facebook auf Zugang zu dem voll- Schutz durch das Recht. Wird er beleidigt oder verleumdet, ständigen Nutzerkonto ihrer verstorbenen darf er sich darauf verlassen, dass ein Gericht den Beleidiger minderjährigen Tochter verklagt. Sie woll- ten Aufschluss darüber erhalten, ob ihre oder den Verleumder zur Verantwortung zieht. Verlässt er Tochter kurz vor ihrem Tod Suizidabsich- aber die analoge und betritt den Dschungel der digitalen Welt, ten hatte. Facebook hatte den Zugang un- ist es um seinen Rechtsschutz geschehen. Mögen die Gesetze ter Berufung auf das Fernmeldegeheimnis der analogen Welt auch formal in Geltung bleiben, so ist doch „Bisher sind alle gesperrt. Das Landgericht Berlin gab den allgemein bekannt, dass sie bei Übertreten der Grenze zur digi- Versuche in Eltern Recht. Das Kammergericht wies die talen Welt alle Verbindlichkeit verlieren und jeder Versuch, sich liberalen Klage ab. Wie der Fall aus der Sicht des vor dem Rufmord im Netz zu schützen, vergeblich ist. Wer je- Demokratien, Verfassungs- und Telekommunikations- mals das Unglück hatte, in einen Shitstorm zu geraten, weiß, den Umgang rechts und aus Sicht des Erbrechts zu lö- was gemeint ist. Die Linien des Völkerrechts, die einst die sen sein könnte, erläutern Mayen (AnwBl im Netz zu- Welt mit europäischem Hochmut in eine zivilisierte und in mindest ein 2018, 350) und Herzog (AnwBl 2018, 351) in diesem Heft. eine unzivilisierte schieden, sind abgelöst von „Freundschafts- wenig zu linien“, die die digitale Welt bestimmt, aber unverändert gilt zivilisieren, die Freibeuterparole: „No peace beyond the lines.“ Die Herrschaft des Faustrechts im Netz wird wütend ver- gescheitert.“ Schlichtungsstelle: Neuer Beirat teidigt. Bisher sind alle Versuche in liberalen Demokratien, Die Schlichtungsstelle der Rechtsanwalt- den Umgang zumindest ein wenig zu zivilisieren, gescheitert. schaft hat einen neu zusammengesetzten Das zu diesem Zweck vom ehemaligen Bundesjustizminister Beirat. Vorsitzender ist seit 16. April 2018 Heiko Maas initiierte Netzwerkdurchsetzungsgesetz hat viele der Präsident der Rechtsanwaltskammer Fehler – die Verpflichtung sozialer Netzwerke, an Stelle der München Rechtsanwalt Michael Then. Die Justiz über die Zulässigkeit von Einträgen zu entscheiden, Rechtsanwältin Dr. Vanessa Pickenpack, Vorstandsmitglied im Deutschen Anwalt- dürfte verfassungswidrig sein. Aber der Vorwurf, hier kehre verein, wurde zur stellvertretenden Bei- die Zensur im Gewand des Ehrenschutzes zurück, ist offen- ratsvorsitzenden gewählt. Weitere Bei- kundig falsch. Es soll keine Meinung sanktioniert, sondern al- ratsmitglieder sind Dr. Volker Schumacher lein der verbale Totschlag im Netz verhindert, also die – von (Vorstandsmitglied der Rechtsanwalts- Beleidigungen und Verleumdungen möglichst freie – Mei- kammer Düsseldorf), Sabine Pareras (Ge- nungsäußerung geschützt werden. Nichts anderes will auch samtverband der Deutschen Versiche- der überarbeitete Entwurf einer „Charta der digitalen Grund- rungswirtschaft), Jutta Gurkmann (Ver- rechte der Europäischen Union“, den für die Zeit-Stiftung braucherzentrale Bundesverband) sowie namhafte Vertreter der Zivilgesellschaft verfasst haben. Nach- die Mitglieder des Bundestags Sonja Stef- dem vor zwei Jahren die erste Fassung die Öffentlichkeit er- fen, Ingmar Jung, Dr. Manuela Rottmann und Roman Müller-Böhm. reicht hatte, hieß es sofort, durch jede Zeile schimmere die Fratze der Zensur. Seinem Nachfolger dürfte es kaum besser ergehen. Es lebe die alte Freibeuterparole. // 336 AnwBl 6 / 2018
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