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Arbeitsgemeinschaft Biologischer Umweltschutz im Kreis Soest e.V. Biologische Station Soest A BU info Natur- und Landschaftsführer Kopfweiden Zwischenbilanz der Auerochsenzucht Insekten - Ungeziefer oder unverzichtbar? Kiebitzschutz Nahrungsflächen für Greifvögel Grünes Soest Die Dürre LIFE-Projekt Gelbbauchunke Zwerggänse! 41.- 42. Jahrgang, 2019
Inhalt Erleben und Begeistern für die Natur - Foto: M. Scharf Neue Natur- und Landschaftsführer für die Region 1 Kopfweiden 4 Titelbild: Auerochsen Züchtung von „Auerochsen“ bei der ABU – eine Zwischenbilanz nach 28 Jahren 8 Insekten - Ungeziefer oder unverzichtbar? 14 Foto: J. Drüke Bruthabitatwahl und Bruterfolg des Kiebitzes in der Hellwegbörde 23 Umschlag hinten: Soester Linden Nahrungshabitate von Greifvögeln in der Hellwegbörde 33 Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft Grünes Soest? 44 Biologischer Umweltschutz im Kreis Soest e.V. Die Dürre 52 Biologische Station Teichstraße 19 LIFE BOVAR: Ein neues LIFE-Projekt zum Schutz 59505 Bad Sassendorf - Lohne der Gelbbauchunke im Kreis Soest 56 Tel. 0 29 21 / 969 878 - 0 Fax 0 29 21 / 969 878 - 90 Zwerggänse! 60 e-mail: abu@abu-naturschutz.de www.abu-naturschutz.de Wolfgang Staab - Naturschutzpreis für Margret Bunzel-Drüke 62 Bankverbindung Sparkasse Erwitte-Anröchte Auszeichnungen für Jürgen Behmer 63 IBAN DE90 4165 1815 0000 6692 42 BIC WELADED1ERW Zum Gedenken an Doris Glimm 65 Konto-Nr. 669 242 BLZ 416 518 15 Vorstand J. Drüke, Dr. T. Auer, J. Bergmann Erweiterter Vorstand J. Behmer, Dr. D. Hegemann, D. Heinrich, P. Roffmann, Dr. H. Vierhaus Redaktion Autoren dieser Ausgabe: Dr. R. Joest, J. Drüke Birgit Beckers, ABU, Teichstraße 19, 59505 Bad Sassendorf - Lohne Druckvorbereitung Dr. Margret Bunzel-Drüke, ABU, Teichstraße 19, 59505 Bad Sassendorf - Lohne Westkämper, Lippetal-Herzfeld Joachim Drüke, Mester-Godert-Weg 8, 59494 Soest Marvin Fehn, Reuterstraße 118, 53129 Bonn Druck Christian Härting, ABU, Teichstraße 19, 59505 Bad Sassendorf - Lohne Westkämper, Lippetal-Herzfeld, Luise Hauswirth, ABU, Teichstraße 19, 59505 Bad Sassendorf - Lohne gedruckt auf 100% Altpapier Christian Höppner, NABU Niedersachsen, Alleestraße 36 30167 Hannover Patrick Hundorf, Blumenmorgen 10A, 49090 Osnabrück Auflage Dr. Ralf Joest, ABU, Teichstraße 19, 59505 Bad Sassendorf - Lohne 900 Roland Loerbrocks, ABU, Teichstraße 19, 59505 Bad Sassendorf - Lohne Auszugsweise Veröffentlichung oder Kür- Petra Salm, ABU, Teichstraße 19, 59505 Bad Sassendorf - Lohne zung eingereichter Beiträge ist vorbehal- Mathias Scharf, ABU, Teichstraße 19, 59505 Bad Sassendorf - Lohne ten. Alle Rechte der Veröffentlichung und Dr. Henning Vierhaus, Teichstraße 13, 59505 Bad Sassendorf-Lohne Vervielfältigung der im ABU info erschie- Prof. em. Dr. Herbert Zucchi, Hochschule Osnabrück, Agrarwissenschaft und nenen Beiträge liegen beim Herausgeber. Landschaftsarchitektur, Oldenburger Landstraße 24, 49090 Osnabrück Olaf Zimball, ABU, Teichstraße 19, 59505 Bad Sassendorf - Lohne ABU info 41-42 (2019)
1 Erleben und Begeistern für die Natur Neue Natur- und Landschaftsführer für die Region von Petra Salm Der Naturschutz lebt davon, dass Menschen sich für die Schönheit und Vielfalt unserer Natur begeistern. „Naturerlebnis“ ist seit Jahren Thema LIFE Projektes „Bachtäler Arnsberger grenztes Angebot an qualifizierten vieler Naturschutzprojekte. Hier sind Wald“. Informationstafeln beschrei- Führungen gegenüber, welche im drei Beispiele, die die ABU geplant ben typische Tier- und Pflanzenar- Wesentlichen von den Biologischen und federführend umgesetzt hat: ten und erläutern die umgesetzten Stationen (ABU – Biologische Stati- „Naturerlebnis Auenland“ hat Maßnahmen. on Soest, Biologische Station Kreis zahlreiche Beobachtungsmöglich- Die Projekte sind erfolgreich: Paderborn-Senne, NABU Natur- keiten entlang der Lippeaue geschaf- Das Interesse der Menschen in der schutzstation Münsterland) und dem fen, kombiniert mit Maßnahmen zur Region an der Natur ist gestiegen, Landschaftsinformationszentrum Verbesserung von Lebensräumen für die geschaffenen Beobachtungsmög- Wasser und Wald Möhnesee e.V. Tiere und Pflanzen. lichkeiten werden viel genutzt. Das (LIZ) angeboten werden. Das Projekt „Naturschätze Süd- Interesse an Führungen und Informa- So entstand die Idee, im Rah- westfalens“ stellt 50 Gebiete vor, tionen über Natur und Landschaft men eines LEADER Projektes einen die Naturbegeisterte besuchen ist gestiegen. Lehrgang zur Ausbildung zum zer- und erleben können. Ein Buch und Die Nachfrage umfasst die ver- tifizierten Natur- und Landschafts- verschiedene digitale Medien be- schiedensten Zielgruppen, von führer durchzuführen und mit den schreiben die Gebiete, davon 11 im Senioren bis hin zu Kindern im Kin- dann ausgebildeten Naturführern Kreis Soest. dergartenalter und von Bewohnern ein zusätzliches Angebot an Füh- Im Arnsberger Wald führen Rund- der Region bis hin zu Besuchern. rungen in der Region zu etablieren. wanderwege zu Maßnahmen des Ihr steht jedoch zurzeit nur ein be- Die LEADER Region Lippe-Möh- Luise Hauswirth erklärt ökologische Zusammenhänge im Wald. Foto: P. Salm ABU info 41-42 (2019)
2 Kommunikation und Umweltdidaktik ein facettenreiches Programm. Die sowie des Naturschutzrechtes. phantasiereiche Übermittlung von Nach einem Informationsabend Wissen suchte ihresgleichen. Vom Anfang Februar 2018 und der Ver- Rotkäppchen mit ihrem Wolf, das die öffentlichung in der Presse konnten Teilnehmer in den Arnsberger Wald sich Interessierte dann anmelden. entführte, über ein Theaterspiel zum Die Nachfrage nach den 25 Plätzen Thema Äpfel und das Feuermachen im Lehrgang war groß und schnell bis hin zur Führung durch die Lip- waren alle Plätze vergeben. peaue war vieles dabei. In drei zeitlich getrennten Blöcken Im nun folgenden zweiten Teil (Mai, Juni und September) wurde des Projektes geht es um den Auf- dann der Lehrgang mit insgesamt bau eines Netzwerkes und einer ca. 70 Zeitstunden durchgeführt. Internetseite, über die Besucher und Die Inhalte waren sehr vielfältig: Bewohner der Region ab dem Früh- von den typischen Lebensräumen jahr 2019 Führungen buchen können der Region ausgehend, wurde den sollen. Für das Projekt wurde auch Teilnehmern von verschiedenen ein Logo entwickelt, welches auf wissenschaftlichen Mitarbeitern dem Flyer und auf der Internetseite und ehrenamtlichen Experten der zu sehen ist. ABU sowie externen Spezialisten die Die Koordination der Führungen Bedeutung der Natur nahegebracht. und regelmäßige Fortbildung der Na- Diese stellten die Lebensräume Ge- tur- und Landschaftsführer erfolgt in wässer, Grünland, Feldlandschaften, den von der ABU betreuten Gebieten Projektflyer Wälder, Niedermoore, Obstwiesen durch die Biologische Station. Dies ist und Siedlungsbereiche mit ihrer Be- vor allem deshalb wichtig, weil die deutung für die Region, Entstehung, Biostation durch ihre Betreuungsar- nesee umfasst sieben Kommunen. Flora und Fauna, Gefährdung und beit aktuelle Informationen zu den Fünf davon (Möhnesee, Soest, Bad Maßnahmen zum Erhalt dar. Dane- Gebieten hat und weiß, wann und Sassendorf, Lippetal und Lippstadt) ben gab es auch allgemeine Biologie wo Führungen sinnvoll und vor allem liegen im Kreis Soest, dazu kommen und wichtige Aspekte der Wirtschaft in welcher Form sie mit den natur- die Nachbarkommunen Wadersloh aus der Region. Bei zahlreichen schutzfachlichen Zielen vereinbar (Kreis Gütersloh) im Nordwesten Exkursionen konnte die Theorie sind. Diese Informationen sind auch und Delbrück (Kreis Paderborn) im draußen gefestigt werden. für die Naturführer sehr wichtig, denn Nordosten. Ein wesentlicher Schwerpunkt des mit dem jeweils aktuellen Hinter- Der Lehrgang wurde zusammen Lehrganges war die Exkursionsdidak- grundwissen können die Führungen mit der Natur- und Umweltschutza- tik. Diesen Part übernahm Frau Dr. interessanter gestaltet und gezielter kademie Nordrhein-Westfalen Gertrud Hein von der NUA. Wie erarbeitet werden. Ein Flyer, der z.B. (NUA) durchgeführt. Das Konzept für führt man eine Führung so durch, in den örtlichen Touristikbüros oder einen solchen Lehrgang ist nicht neu, dass die Besucher wirklich etwas in Gastronomiebetrieben ausgelegt sondern wurde von der NUA in der mitnehmen können? Wie verhält werden kann, stellt das Angebot dar Vergangenheit entwickelt und schon man sich in kritischen Situationen? und verweist auf die Internetseite. vielfach durchgeführt. Die Ausbil- Und wie passt man seine Führung Die Internetseite enthält ver- dung entspricht den Vorgaben des an verschiedene Zielgruppen an? Mit schiedene Touren und stellt die „Bundesweiten Arbeitskreises der sehr anschaulichen Darstellungen Naturführer mit ihren speziellen staatlich getragenen Bildungsstätten und vor allem vielen praktischen Angeboten vor. Auch die Gebiete, im Naturschutz“ (BANU). Die hohe Übungen wurden diese Aspekte in die die Führungen gehen, werden Bedeutung der Zertifizierung liegt in von den angehenden Natur- und vorgestellt. Unter der Qualität der Ausbildung und der Landschaftsführern gelernt. www.natur-fuehrungen.de Gewährleistung von regelmäßigen Nachdem die Teilnehmer auch wird die Seite ab dem Frühjahr Fortbildungen begründet. noch eine schriftliche Hausarbeit 2019 freigeschaltet. Das Angebot galt für Interessierte abliefern mussten, stand am letzten aus der Region. Der Lehrgang be- September Wochenende die Prüfung inhaltete nicht nur die Vermittlung auf dem Plan. Dabei boten die neuen von naturkundlichen, ökologischen Natur- und Landschaftsführer, unter und kulturellen Grundlagen, sondern denen übrigens Teilnehmer aus allen auch als wesentlichen Punkt die sieben LEADER-Kommunen waren, Schaffung von Grundlagenwissen der ABU info 41-42 (2019)
3 Eindrücke aus dem Lehrgang Fotos: J. Drüke, P. Salm, R. Vierhaus Die Tierwelt vom Grund der Ahse bei Lohne faszinierte die Die Vogelwelt war natürlich auch ein wichtiges Thema. Kursteilnehmer. Die Organismen im Bach werden erforscht. Auf Hof Scheer in Hellinghausen bei Lippstadt erfuhren die Teilnehmer Wissenswertes über die Organisation des LEADER-Prozesses. Frisst der Wolf nun die Großmutter? Lehrgangsteilnehmerin Petra Seippel machte den Wolf zu ihrem Prüfungsthema. In dieser Prüfung hatte die Teilnehmerin die Baumarten So hält man einen Frosch, ohne ihm zu schaden. wunderbar aufgearbeitet. Europäischer Landwirtschaftsfond für die Entwicklung des ländlichen Raumes: Hier investiert Europa in die ländlichen Gebiete unter Beteiligung des Landes Nordrhein-Westfalen. ABU info 41-42 (2019)
5 Kopfweiden Über Jahrhunderte säumten Kopfweiden die weit verbreiteten Wiesen und Weiden im Kreis Soest. In den Hohlräumen der teils mächtigen Stämme nisteten Steinkäuze und andere Vogelarten, die im Grünland reichlich Nahrung fanden. Heute gibt es sie noch hier und da, vor allem in den verbliebenen Grünlandgebieten, die überwiegend unter Naturschutz stehen. Doch die Bäume brauchen Pflege, ansonsten brechen sie aus- einander - und ein wertvolles Element unserer Kulturlandschaft würde verschwinden. Foto: J. Drüke ABU info 41-42 (2019)
6 Foto: J. Drüke Von links nach rechts: Peter Urbanek, Konstanze S eit mehr als vierzig Jahren ist Jürgen Behmer in der ABU aktiv, organisiert und leitet die Arbeits- son, die von Oktober bis Ende Fe- bruar dauert. Darüber hinaus gibt es in den Schutzgebieten, die die ABU Münstermann, Jürgen Behmer und Ben Köhler vor einer geschneitelten Kopfweide in einsätze - alles freiwillig und unent- betreut, vieles anderes zu tun: Zäune der Hellinghauser Mersch, nahe geltlich. Seit einigen Jahren helfen reparieren, Müll einsammeln, ....... dem Beobachtungshügel am Pastorat. Dieses Schutzgebiet in Peter Urbanek und weitere täglich „Seit dem Gründungsjahr der ABU der Lippeaue gehört der NRW- mit. Das eingespielte Team startet 1977 haben wir weit über 20.000 Stiftung und wird von der ABU in der Woche jeden Morgen an der mal Kopfweiden geschneitelt. Wie betreut und entwickelt. Lohner Mühle, der Geschäftsstelle sähen unsere Schutzgebiete heute der ABU. Unterstützt werden sie wohl ohne diese Arbeit aus?“, fragt zudem von Mitarbeiterinnen und sich Jürgen Behmer. Mitarbeitern des Bundesfreiwilligen- Am 17. Januar 2019 hat er für dienstes und von Praktikantinnen und dieses langjährige Engagement Praktikanten. von Kreisdirektor Lönnecke das Zweihundert bis dreihundert Bundesverdienstkreuz verliehen Kopfweiden pflegt das Team je Sai- bekommen. „Stellvertretend auch für ABU info 41-42 (2019)
7 all diejenigen in der ABU, die über Foto: J. Drüke mehr als vier Jahrzehnte für unsere Kultulandschaft aktiv sind“, so betont Jürgen Behmer! Seit vielen Jahren unterstützt die Bezirksregierung Arnsberg diese Arbeit mit einer Förderung: 30 Euro je Baum. Ein sehr hilfreicher Beitrag zu den Maschinenkosten. Denn Mo- torsägen brauchen ständige Pflege, Ketten müssen geschärft und wenn nötig ersetzt werden, und manchmal geht auch mal die Leiter zu Bruch, wenn ein starker Ast nicht so fällt, wie er es hätte tun sollen! Die stattlichen Kopfweiden prä- gen die meisten Niederungsgebiete im Kreis Soest. Früher waren sie eine wichtige „Nutzpflanze“, die zur Holzgewinnung regelmäßig alle Erfahrung und Umsicht sind nötig beim Schneiteln der Kopfweiden. paar Jahre „geschneitelt“ wurde. Wichtig ist dabei, dass die Äste direkt Foto: J. Drüke am Stamm abgeschnitten werden. Dazu ist aufwändige Handarbeit erforderlich. Die alten, höhlenreichen Köpfe der Weiden bieten Niststätten für den Steinkauz und viele andere Vogel- arten wie Feldsperlinge, Gartenrot- schwänze und Meisenarten. Gerade der Steinkauz ist auf kopfbaumreiche Grünlandgebiete angewiesen. Hier findet er geeignete Bruthöhlen und Insekten, Regenwürmer und Mäuse, die im kurzen Grünland gut erreich- bar sind. Die Niederungsgebiete von Nordrhein-Westfalen beherbergen Heute ist auch das Weidenholz wieder begehrt. Aufgestapelt am Wegrand steht etwa ein Drittel des deutschen Ge- es zur Abholung bereit. samtbestandes. Wir haben daher gerade für den Schutz dieser Art eine Foto: J. Drüke besondere Verantwortung. Aber auch zahlreiche Insekten- arten leben von den Weiden. Ihre Larven entwickeln sich im weichen, verrottenden Holz der Köpfe. Ein Beispiel hierfür ist der Weidenbohrer, ein Nachtfalter, dessen rötliche fin- gerdicke Raupe auf der Suche nach Verpuppungsplätzen manchmal für Schrecken sorgt. Und nicht zuletzt leben zahlreiche andere Pflanzen als Epiphyten auf den Kopfweiden, und Pilze entwi- ckeln sich im Holz. Dank einer Förderung durch das Land NRW hat die ABU seit zwei Jahren ein Joachim Drüke und Ralf Joest geländegängiges Fahrzeug. Vorher leistete der private Pickup von Jürgen Behmer die oft harte Arbeit. ABU info 41-42 (2019)
8 Züchtung von „Auerochsen“ bei der ABU – eine Zwischenbilanz nach 28 Jahren von Matthias Scharf, Margret Bunzel-Drüke, Roland Loerbroks und Olaf Zimball Wie alles begann Mit dem Ziel, in der Klostermersch Warum züchten? bei Benninghausen eine naturnahe 1991 war in der Geschichte der Zu den ersten fünf Heckrindern ge- Weidelandschaft zu entwickeln, ABU ein wichtiges Jahr. Nach langen sellte sich schnell Nachwuchs, denn stellten wir die fünf Tiere im Oktober Diskussionen und einem Besuch in schließlich war ein Bulle dabei. Und 1991 auf eine anfangs nur fünf Hektar holländischen Naturschutz-, Weide- so war es für die ABU selbstverständ- große Fläche. Es sollten sich Gehölze und Wildnisgebieten kauften wir im lich, auch bei der Gründung des bis hin zum Auwald, Hochstauden- Neandertal fünf Rinder, die unter „Vereins für Auerochsenzucht“ -VFA fluren und niedrig abgefressenes der Bezeichnung „Auerochse“ oder - mitzumischen. Natürlich will jeder Weideland entwickeln. Das Ziel besser „Heckrind“ liefen. Aueroch- in einem solchen Verein die schöns- ist eine Landschaft, wie sie vor den sen sind die seit 1627 ausgestorbene ten, d.h. auerochsenähnlichsten Eingriffen des Menschen existierte. Stammform unserer Hausrinder und Rinder haben. Und wenn man schon Nach 28 langen Jahren vermitteln die es ist die zwar vielfach verwendete Heckrinder hat, wählt man bei den Flächen in der Klostermersch schon Bezeichnung für die Rinder im Nachkommen, die bleiben sollen, na- einen guten Eindruck einer derartigen Neandertal, aber richtiger ist „Hec- türlich die aus, die dem Auerochsen Landschaft. Vom Aussichtsturm am krind“. Von ihren Namensgebern, am ähnlichsten sind. Schließlich war Schelhasseweg bei Benninghausen den Gebrüdern Heck, wurden sie die Auerochsenähnlichkeit Sinn und kann man die dort entstandene in den 1920er Jahren als Kreuzungen Zweck der Zucht dieser Rasse. Wenn neue Wildnis mit ihren vielfältigen von Rindern mit urtümlichen Merk- man außerdem eine Naturlandschaft Vegetationsstrukturen bewundern. malen gezüchtet, um in Zoos und wie vor vielleicht 2000 Jahren als Ein weiterer Grund für den Einsatz Tierparks ein auerochsenähnliches Entwicklungsziel hat, machen sich der Rinder war die Beruhigung der Rind präsentieren zu können. dort dem Auerochsen ähnelnde Flächen, was mit den wehrhaft aus- Rinder am besten. Und sie können sehenden Hornträgern gut gelang. dann dort auch sehr gut die öko- logische Rolle des ausgestorbenen Auerochsen übernehmen. Klostermersch im Jahr 2017 nach 27 Jahren Beweidung. Es ist ein Mosaik aus Weiderasen, Hochstaudenfluren und Dornbüschen entstanden, das vielen Tier- und Pflanzenarten Lebensraum bietet. Alle Fotos: M. Scharf ABU info 41-42 (2019)
9 Wie züchten? Die Zucht von Rindern ist eine langwierige Sache. Ab dem dritten Lebensjahr bekommt jede Kuh jedes Jahr ein Kälbchen. Und erst, wenn der Nachwuchs etwa drei Jahre alt ist, kann man sagen, wer für die weitere Zucht geeignet ist und wer als Zucht- oder Schlachttier verkauft wird. Es gibt bei der Zucht die Möglich- keit, mit nur einer Rasse zu arbeiten, was bei uns anfangs die Heckrinder waren. Da die Gebrüder Heck aber einige gut geeignete Rassen damals nicht für ihre Zucht verwendeten, entschlossen wir uns, Heckrinder mit anderen Rassen wie den Sayaguesas und Chianinas zu kreuzen. Diese beiden Rassen hatten die Brüder Vorbilder für unsere Zucht sind auch die steinzeitlichen Höhlenbilder aus Heck nicht verwendet, sie schie- Spanien und Frankreich. nen uns aber erfolgversprechend. Die spanischen Sayaguesas waren den Hecks zwar bekannt gewesen, wurden aber wegen der Kriegswirren nicht mehr für die Zucht heran- gezogen. Sayaguesas sind für sich gesehen oft schon auerochsenähn- licher als Heckrinder. Es sind Mehr- nutzungsrinder, die nur noch sehr vereinzelt in Spanien gehalten wer- den. Auf mehreren „Expeditionen“ in die Provinz Zamora konnten wir mit Hilfe spanischer Veterinäre etwa zehn Sayaguesa-Kühe kaufen. Die Chianinas aus Italien sind die größte Rinderrasse der Welt und daher hilf- reich, um die Größe der Auerochsen Das Augsburger Ur-Bild ist die wohl realistischste Abbildung eines Auerochsen zu erreichen. Zwei Chianinas haben aus dem späten Mittelalter, es zeigt wohl einen Jungstier. wir aus Italien importiert sowie zwei Foto: M. Scharf in Norddeutschland gekauft. Eine Kombination der erwünsch- ten Eigenschaften bei den Kälbern ist allerdings weniger häufig, als man sich das wünscht. Oft tauchen beim Nachwuchs z.B. die kurzen Beine der Heckrinder in Verbindung mit den kurzen Hörnchen der Chianinas auf, so dass mit diesen Tieren nicht weitergezüchtet wird. Es ist einfach ein sehr langer Weg, bis man Rinder hat, die dem Auerochsen wirklich gleichen. Nach unseren Kenntnissen wurde bislang nirgendwo anders im glei- Die Kuh Larissa hat mit fast 1,60 m Schulterhöhe etwa die Größe einer chen Umfang wie bei uns mit diesen Auerochsen-Kuh. Die Hörner haben die richtige Ausrichtung, sind aber zu klein. Rassen gezüchtet. Gleichzeitig ist Larissa könnte auch etwas eleganter gebaut sein. ABU info 41-42 (2019)
10 bei Büecke in der Nähe von Soest. Im Herbst werden nach Diskussion Foto: M. Scharf Insgesamt sind es mehr als 300 ha der sogenannten „Genetik-Kommis- Weidefläche. sion“ die Tiere auswählt, die bleiben dürfen. Kein Tier zeigt die optimale Wer darf bleiben? Kombination aller Eigenschaften Alle Tiere, die halbwegs wie ein oder hat rundum vielversprechende Auerochse aussehen und halbwegs Eltern, so dass die Entscheidungen friedlich sind, ohne dass die maxi- immer von einem gewissen Maß an male Größe der Herde überschritten Willkür geprägt sind. wird, dürfen bleiben. Die maximale Anzahl wird durch die Entwicklungs- Wie weit sind wir vom per- ziele der Flächen vorgegeben, die fekten Auerochsen-Double Ähnlichkeit zum Auerochsen wird entfernt? anhand der Vorbilder ermittelt: Diese Frage lässt sich am einfachs- 1. mittelalterliche Beschreibungen ten für die einzelnen Eigenschaften wie z.B. Geßners Tierbuch, wo beantworten. Augenzeugen das Aussehen der 1. Größe letzten lebenden Auerochsen beschreiben. Ausgewachsene Bullen hatten eine Schulterhöhe von etwas über 2. Das sogenannte Augsburger Ur- 1,75 m bis 1,85 m, während Kühe Bild mit seiner recht realistischen etwa 1,60 m groß waren, wie es sich Abbildung des Auerochsen. aus Skelettfunden nacheiszeitlicher 3. Skelettfunde, die recht gut Aus- Auerochsen rekonstruieren lässt. kunft über Größe, Hornform und Die Bullen der im Naturschutz oft Es ist schwierig, die Größe der andere Proportionen geben. verwendeten Galloways und High- Tiere genau zu messen. Das mal ein 4.Höhlenzeichnungen wie die aus land-Rinder haben eine Schulterhö- Bulle stillhält, um einen Zollstock anzulehnen, ist selten. Lascoux mit ihren Farben und he von etwa 1,35 m bzw. 1,28 m. Silhouetten der Auerochsen. Heckrinder sind etwa 1,40 m groß. die Dauer der übrigen Projekte, die ebenfalls mit Chianinas und Sayague- Foto: M. Scharf sas züchten, wesentlich kürzer als bei uns. Sehr gute Zuchterfolge sind daher vor allem in unseren Herden zu finden. Zuchtergebnisse nach 28 Jahren Aktuell (November 2018) weiden insgesamt 111 Rinder auf unseren Flächen. Durch Schlachtung und Verkauf wird die Zahl im Winter auf etwa 85 sinken. Seit 1991 haben wir etwa 650 mehr oder weniger auerochsenähnliche Rinder auf unseren Flächen gehabt. Davon wurden etwa 300 an andere Züchter verkauft. Das waren u.a. Züchter in Ungarn (Nationalpark Hortobagy in der Puszta), den Niederlanden, Dänemark und Litauen sowie viele Züchter in Deutschland. Aktuell halten wir die Rinder in vier Herden Unten der etwa 5000 Jahre alte Schädel eines Auerochsen-Bullen, gefunden bei in der Lippeaue und eine auf dem Schallern. Oben der Schädel eines unserer schönsten Bullen. Die Hornform ehemaligen Standortübungsplatz stimmt, aber die Größe der Hörner lässt zu wünschen übrig. ABU info 41-42 (2019)
11 Große Chianina-Bullen erreichen Foto: M. Scharf eine Schulterhöhe von etwa 1,75 m. Unsere größte Kuh mit über 50 Prozent Chianina-Anteil hat eine Schulterhöhe von etwa 1,60 m. Das ist schon Auerochsen-Format und die größte Kuh, die uns auch von anderen Züchtern bekannt ist. 2. Hornform und Horngröße Die Hornform ist nur schwer in Worte zu fassen. Größe und Dicke der Hörner liegt bei den Auerochsen jedenfalls wesentlich über dem, was fast alle Heckrinder zu bieten haben. Ein gutes Vorbild ist ein Schädel mit Hörnern, der bei Schallern gefun- den wurde und im Vortragsraum der ABU in Lohne ausgestellt ist. Keines unserer Tiere erreicht dieses Vorbild, und es ist noch viel Geduld von Nöten, bis dieses Merk- mal einigermaßen stabil in unseren Herden auftritt. Insbesondere der Nachwuchs mit Chianina-Einschlag zeigt hier große Mankos. Auch un- sere Sayaguesas haben eher dünne Hörner, obgleich sie recht lang sind. Foto: M. Scharf 3. Fellfarbe Das Fell der Bullen sollte Schwarz sein mit einem hellen Aalstrich auf dem Rücken. Kühe sollten braun oder schwarz sein, mit hellem Mehlmaul bei jungen Tieren. Außer den jungen Chianinas erfüllen viele unserer Tiere diese Anforderungen. Die weiße Farbe der Chianinas ist offenbar rezessiv auf einem Gen und verschwindet theoretisch schnell in der F1-Generation, taucht danach aber, entgegen der Theorie, öfter wieder auf. 4. Körperbau Moderne Rinderrassen sind ent- weder auf Fleisch oder auf Milch gezüchtet und dementsprechend schwer gebaut oder haben große Euter. Die Auerochsen waren elegant Laola (oben) hat eine sehr schöne Hornform, wobei die Dicke ihrer Hörner gebaute, bewegliche Tiere. Vor allem noch zu wünschen übrig lässt. Sie ist ein Kreuzungstier mit den Ausgangsrassen Chianina, Heckrind und Sayaguesa. Auch die untere Kuh hat diese die Sayaguesas aus Spanien sind Ausgangsrassen. Ihre Hörner würden einem Auerochsen gut stehen. Auch das als alte Mehrnutzungsrinder geeig- lange Gesicht beider Tiere ist typisch für einen Auerochsen, während die meisten net, diese Eigenschaften in unsere Hausrinder kurze Gesichter haben. Zuchtlinie einzukreuzen. Wir haben auch drei Lidias eingekreuzt und ABU info 41-42 (2019)
12 verfolgen diese Zuchtlinie in einigen Alle Fotos: M. Scharf Exemplaren weiter. Lidias sind spa- nische Kampfrinder, die seit einigen Jahrhunderten auch auf Eleganz und Beweglichkeit gezüchtet werden. Leider sind sie auch sehr klein, so dass ihre Einkreuzung in dieser Hinsicht eher einen Rückschritt bedeutet. Ein wichtiges Merkmal ist das lange „Gesicht“ der Auerochsen. Moderne Rassen haben einen kurzen, gedrungenen Kopf und es ist schwierig, dieses Merkmal züch- terisch entsprechend abzuändern. 5. Sexualdimorphismus Vor allem in Größe und Färbung zeigten die Geschlechter des Auero- Unter unseren ersten Sayagusas, die wir in Spanien kauften, war Dona urraca, chsen große Unterschiede. Während die „121“. Ihr langes Gesicht, ihre Größe und Hornform gehen deutlich in die Bullen etwa 1,75 m bis 1,85 m Auerochsen-Richtung. Widerristhöhe hatten, wurden die Kühe nur etwa 1,60 m groß. Unsere größte Kuh hat etwa diese 1,60 m an Größe und damit Auerochsenformat, während bei unserem größten Bullen etwa 10 cm fehlen. 6. Verhalten Von verschiedenen mittelalter- lichen und antiken Autoren wird die Wildheit und Gefährlichkeit der Auerochsen beschrieben. Sollte das ein Zuchtziel für uns sein? Eigentlich schon, aber für den notwendigen Umgang mit den Tieren ist die Wild- heit der Auerochsen eine Zumutung. Sie ist wahrscheinlich -leider- mit anderen Merkmalen des Aueroch- sen genetisch gekoppelt, so dass sie schnell mit diesen Merkmalen auch Es gibt immer nur einen Deckbullen. Wie ihre wilden Vorfahren streiten sich wieder auftritt. Es gibt daher bei der diese beiden um die Position des Deckbullen. Solche Kämpfe können auch Zucht immer wieder wilde oder sogar tödlich enden. bösartige Tiere, die sehr schön, d.h. auerochsenähnlich aussehen. Trotz Die Bullen schwarz mit hellem Alstrich und die Kühe schwarz oder braun: so waren die Fellfarben der Auerochsen. Und so sehen unsere Rinder in der Hellinghauser Mersch aus. ABU info 41-42 (2019)
13 ihrer Schönheit werden diese Tiere schöne Eltern bekommen regelmäßig dass ein geringes Maß an Inzucht meist nicht zur Zucht verwendet, Nachwuchs, der die Erwartungen in sinnvoll ist, ohne dass die negativen um Gefahren im Umgang mit ihnen keinster Weise erfüllt. Auch treten Begleiterscheinungen überhand auszuschließen. Letztlich bedeutet gelegentlich weiße Flecken im Fell nehmen. Wie viele Jahrzehnte und dies, dass die Zucht in Richtung wie z.B. bei schwarzbunten Rindern Rindergenerationen es noch dauert, Auerochse langsamer von statten auf, obwohl die Eltern offensichtlich bis unsere Rinder wirklich aussehen geht, als es ohne Berücksichtigung keine Flecken haben. Durch Inzucht wie Auerochsen, bleibt ungewiss. der Wildheit möglich wäre. Anson- werden diese Probleme in der Tier- Momentan sind wir sicherlich in sten gibt für das Verhalten keine zucht üblicherweise vermindert. der Oberliga der „Auerochsenzüch- expliziten Zuchtziele, die sonderlich Viele Hunderassen sind so durch ter“. Es ist gut möglich, dass wir die berücksichtigt werden müssen. konsequente Inzucht über Genera- schönsten Herden auerochsenähn- tionen entstanden. Gleichzeitig aber licher Rinder haben. Vor allem in vermindert sich durch Inzucht die den Niederlanden aber gibt es in den Wie geht es weiter mit der genetische Varianz, was die Tiere letzten Jahren ähnliche Ansätze wie Zucht? z.B. anfälliger für Krankheiten macht. bei uns, und vielleicht lässt sich durch Neben den oben beschrieben Durch die vier verwendeten Rassen eine Zusammenarbeit in Zukunft die Mängeln in Größe, Hornform und (Sayaguesa, Heck, Chianina und Zucht beschleunigen. Körperbau stört vor allem noch die Lidia) haben unsere Tiere erst einmal Divergenz unserer Zucht. Wunder- eine breite genetische Grundlage, so Auf der Wacht! Die Auerochsen und Wildpferde sind ein imposanter Anblick, der viele Besucher fasziniert. Gleichzeitig verhindern sie störende Freizeitnutzungen in wertvollen Naturschutzgebieten. ABU info 41-42 (2019)
14 Insekten - Ungeziefer oder unverzichtbar? von Henning Vierhaus Stechmücken sind für uns eher lästige Plagegeister. Foto: Henning Vierhaus Einleitung Rückgang der Insekten vieler Insektenpopulationen welt- weit, verbunden mit der Würdigung In den Medien und damit auch in Über den tatsächlichen Rückgang der Forschungen der Krefelder um den Köpfen vieler Menschen ist von Insektenbeständen in Teilen Martin Sorg. So gelangte ins Bewusst- inzwischen angekommen, dass es Deutschlands wurden wir in der sein der Öffentlichkeit, dass Insekten ein ‚Insektensterben’ gibt. Und das ABU bereits im März 2016 durch Dr. mehr sind als nur Ungeziefer, dass soll schlimm sein. Aber mal ehrlich, Martin Sorg informiert. Es sind die sie vielmehr entscheidende Beutung ist es nicht viel besser so, dass man Besorgnis erregenden Feststellungen für alle Lebensgemeinschaften auf nicht ständig von Fliegen belästigt einer langfristigen Untersuchung der Erde haben, und ihr Rückgang wird, Mücken einem vom Leibe zur Menge fliegender Insekten am nicht ohne böse Folgen auch für den gehalten werden und Schadinsekten Niederrhein durch eine Gruppe von Menschen bleiben dürfte. nicht mehr ganze Ernten vernichten? in Krefeld ehrenamtlich arbeitenden Überhaupt, da wurde jüngst im Lan- Entomologen, also Insektenkundlern. Die „Krefelder Studie“ de eine ‚Taskforce Käfer’ eingerichtet. Der Aufruhr in der Presse über die Offenbar gibt es sogar kriminelle erschreckenden Befunde entstand Auf untersuchten offenen Na- Käfer, die es zu bekämpfen gilt. Und allerdings erst, nachdem diese Er- turschutzflächen im nördlichen schließlich, sterben Insekten nicht gebnisse, statistisch gesichert, im Rheinland verringerte sich von 1989 sowieso? Eintagsfliegen leben doch, Herbst 2017 in einer renommierten bis 2013 die schiere Masse der flie- wie der Name schon sagt, immer nur wissenschaftlichen Zeitschrift veröf- genden Insekten um über 75%. In einen Tag lang, oder? fentlicht wurden. Und jüngst erschien anderen Teilen Deutschland ist der im New-York-Times-Magazin sogar Rückgang der Insekten gleichfalls ein langer Bericht über den Einbruch deutlich spürbar, auch wenn er nicht so gut dokumentiert ist, wie durch die „Krefelder Studie“ und der Einschnitt Die Honigbiene ist das Paradebeispiel des nützlichen Insektes. in die Insektenbestände lokal, etwa Foto: Henning Vierhaus in Wäldern, weniger ausgeprägt sein kann. Ein fast jedem bekanntes Indiz für die bedenkliche Abnahme heimischer Insekten ist übrigens, dass heute, anders noch als vor wenigen Jahrzehnten, die Windschutzschei- ben unserer Autos nach längeren Überlandfahrten kaum noch mit Insektenresten verklebt sind. Der Rückgang betrifft nicht nur die Gesamtmenge aller Insekten, vielmehr sind viele ehemals häufige Arten selten geworden oder haben ABU info 41-42 (2019)
15 sich, meist unbemerkt, aus Teilen rend ihres Lebens auf zwei verschie- Foto: Henning Vierhaus ihres Verbreitungsgebietes verab- dene Lebensräume angewiesen ist, schiedet. Besonders betroffen sind einmal der für die flugunfähigen davon große Insektenarten und For- Larvenstadien, zweitens der für die men, die an spezielle Lebensräume ausgewachsenen, beflügelten und wie nährstoffarme Böden gebunden fortpflanzungsfähigen Tiere, die Ima- sind. So sind in NRW etwa manche gines, ist offensichtlich kein Nachteil. Hummelarten verschwunden und Schließlich ist die Vermehrungsrate unter den Schmetterlingen sind z.B. der meisten Arten enorm, sodass von Trauermantel und Großer Fuchs sehr Fall zu Fall schnelle Anpassungen an selten geworden. Warzenbeißer, eine neue Lebensbedingungen und Spezi- Heuschreckenart und der Heidelauf- alisierungen auf bestimmte oder neue käfer sind weitere Beispiele. Lebensbereiche möglich werden. Daher sind Insekten allgegenwärtig und auch stets da, wo wir Menschen Phänomen Insekten sie nicht gerne hätten. Zu ihrer Viel- Aber was sind das für Tiere, um die falt gehört gleichfalls die Nutzung solch ein Aufheben gemacht wird? ausgefallener Nahrungsquellen. Um Zugang zum Phänomen „Insek- Beispielsweise bedeutete die Ent- ten“ zu bekommen, wollen wir uns Die meisten Insekten sind klein und wicklung parasitischer Lebensweisen unscheinbar. Diese Gichtwespe einen Eindruck von den wesentlichen ein völlig neues „Tätigkeitsfeld“. So (Gasteruption spec.) pararasitiert Eigenschaften dieser sechsbeinigen hat die Evolution alleine unter den Maskenbienen. Kerbtier-Verwandtschaft verschaffen. über 570 in Deutschland nachge- Das Bauprinzip der Insekten ist wiesenen Wildbienenarten fast 140 Insektenzahlen offensichtlich ein Erfolgsmodell, hat Brutschmarotzer hervor gebracht. man doch bislang auf der Erde mehr Fliegen, Mücken, Bienen, Wespen, Die Zahl der in Deutschland nachge- als 1 Millionen verschiedene Arten, Hummeln, Ameisen, Heuschrecken, wiesenen Insektenarten liegt bei über deren Größe zwischen einem Mil- Schaben, Läuse, Flöhe, Wanzen, 30 000. Unter denen ist alleine der limeter und mehreren Zentimetern Käfer, Schmetterlinge, Motten, Ohr- Umfang einiger Insektenordnungen liegt, entdeckt und beschrieben. Die würmer, Libellen, das sind Namen, beeindruckend: wahre Zahl der Arten ist sicher um ein die fast jeder kennt, aber nur Wenige Vielfaches höher. Insekten machen unter uns haben klare Vorstellungen Fliegen und Mücken, sogenannte damit fast die Hälfte der Biomasse davon, was das für Tiere sind oder Zweiflügler oder Dipteren: über der gesamten Tierwelt aus. kann mit den Namen was anfangen. 9000 Arten, Das Flugvermögen der Kerbtiere Vielmehr verbindet fast jeder mit Schmetterlinge und Motten: ca. ermöglicht ihnen den schnellen Ort- Insekten nur die Vorstellung, dass 3600Arten, wechsel etwa zu neuen Nahrungs- das eher lästige oder gar schädliche Käfer: fast 6000 Arten, quellen sowie die zügige Ausbreitung Mitbewohner unseres Planeten sind, Hautflügler mit Bienen, Ameisen und und Neubesiedlung von Gebieten. auf die man gerne verzichten möchte, Wespen: um 9000 Arten. Dass die Mehrzahl der Arten wäh- halt Ungeziefer. Foto: Ralf Joest Zweimal dasselbe Tier: der C-Falter ist als Raupe ein ... als „fertiger“ Falter aber ein beliebter Frühlingsbote. hässliches Ekeltier,.... ABU info 41-42 (2019)
16 nicht genug Fachleute für Insekten, feld der Ballungsräume geschehen. Foto: Henning Vierhaus die sich in dieser Vielfalt auskennen Sehr nachteilig wirkt sich die Ratio- und auch die kleinsten Arten ihrer nalisierung und Intensivierung der jeweiligen Spezialgruppe bestimmen Bewirtschaftung von Äckern, Weiden können. So ist es verständlich, dass und Wiesen aus, was den verstärk- wir über die Verbreitung, Biologie ten Anbau von Energiepflanzen wie und ihre Rolle im Naturhaushalt Mais mit einschließt. Hierzu kommt der meisten Insekten herzlich we- der Einsatz hochwirksamer Pflan- nig wissen. Besonders das Leben zenschutzmittel wie die modernen der flügellosen Jugendstadien, den Neonikotinoide, um Schadinsekten Larven, Raupen und Maden, bleibt klein zu halten. Es lässt sich kaum ver- beim Großteil der Arten weiterhin ein meiden, dass diese Gifte auch Arten Rätsel. Da mag es dann beruhigen, töten, die nicht Ziel der jeweiligen wenn man erfährt, dass den bereits Maßnahmen sind. Auch der Einsatz erwähnten geschlechtsreifen, flugfä- von Herbiziden, die wahllos „Unk- higen Eintagsfliegen doch eine mo- räuter“ vernichten, beeinträchtigen nate- sogar jahrelange Entwicklung die Insektenwelt, wird dieser doch Der Trauermantel ist selten ihrer im Wasser lebenden Larven dadurch ihre Nahrungsgrundlage geworden. voraus gegangen ist. entzogen. Der hohe Eintrag von Stick- Immerhin erfreuen sich z. B. stoff in die Böden durch Düngung Das ist, besonders im Vergleich Heuschrecken und Großschmetter- aber auch aus anderen Quellen ist mit den rund 500 jemals in Deutsch- linge, Gruppen mit bescheidenem ebenfalls schädigend. Das geschieht land festgestellten Vogel- und nur Umfang, besonderen Interesses auch unter anderem dadurch, dass auf gut 100 Säugetierarten, unglaublich von Personen, die keine studierten nährstoffarme Böden angewiesene viel. Das Interesse an und damit Zoologen sind. Auch die attraktiven Pflanzenarten, die wiederum Nah- das Wissen über diese Tiergruppen Libellen gehören dazu, wobei viele rung für spezialisierte Insektenarten weichen jedoch sehr von diesen Menschen, völlig unbegründet, sind, von Allerweltspflanzen ver- Relationen ab. Das alte Standartwerk Vorbehalte gegen diese angeblich drängt werden. Offenbar bekommt der Tierkunde „Brehms Tierleben“ (4. stechenden „Teufelsnadeln“ haben. vielen Insekten auch ihre gewohnte Auflage 1913) spiegelt dieses Missver- pflanzliche Spezialnahrung nicht hältnis drastisch wider. Während nur mehr, wenn diese im Gefolge der einer von den 13 Bänden Insekten Gründe für die Abnahme Düngung einen höhern Anteil an einschließlich der Spinnenverwandt- Es gibt viele Gründe für die Abnah- Stickstoffverbindungen aufweist. schaft behandelt, beanspruchen me der Insekten. In erster Linie ist Und wenn Gülle aus von herkömm- Säugetiere und Vögel alleine acht es der weiter zunehmende Mangel lich gehaltenem Vieh in Natur- Bände. Dass das heute nicht viel an geeignetem Lebensraum, also schutzgebieten ausgebracht wird, anders aussieht zeigt die aktuelle das Verschwinden naturnaher und schadet nicht alleine die Düngung Rote Liste von Nordrhein-Westfalen. chemisch unbelasteter Landschaften. diesen Flächen, sondern Reste von Den 387 Wirbeltierarten sind 190 Der Verlust von extensiv genutzten Medikamenten, die den Rindern oder Seiten gewidmet, während die viele Obstwiesen und die Abnahme von Schweinen gegeben wurden, können Tausende heimischen Insektenarten Ruderalflächen sind Beispiele dafür, so in diese Bereiche gelangen und die nur 315 Seiten füllen. Es gibt längst Veränderungen die verstärkt im Um- dortige Organismenwelt beeinträch- Viele moderne Gärten bieten kaum Platz für Insekten - naturnahe Wildpflanzenbeete dagegen locken viele Insekten an. Fotos: Henning Vierhaus ABU info 41-42 (2019)
17 tigen. Die ungebremste Erweiterung Foto: Henning Vierhaus von Siedlungs- und Verkehrsflächen raubt vielen Insektenarten den Le- bensraum und die einem fragwür- digen Ordnungsideal verpflichtete Pflege der Grünflächen in Städten und Dörfern gestaltet sich üblicher- weise nicht insektenfreundlich. Auch die Autos im enorm zu- genommen Straßenverkehr haben sicherlich mit zu einer Minderung der Insektenmenge beigetragen. Ferner sind die Windräder zu nennen, deren Leistungsfähigkeit nach geraumer In den Gärten könnten viele Insekten leben: Zeit nachlässt, weil sich an den Diese Wollbiene ist auf den Gartenziest als Futterpflanze spezialisert. Kanten der Rotorblätter ein Film aus Foto: Ralf Joest ungezählten getöteten Insekten des „Luftplanktons“ gebildet hat. Und auf Pferdeweiden hängen merkwürdige glockenähnliche Gebilde, die den Rössern lästige Bremsen weg fangen sollen, aber auch sehr viele andere Insekten in diese tödlichen Fallen einsammeln. Schließlich lockt die allgegenwärtige nächtliche Lichter- flut Insekten an, die an den Lampen doch wohl eher umkommen als dass sie dort Nahrung finden. Die sich abzeichnende Klimaän- derung lässt sich als Erklärung für die Abnahme allerdings schwerlich bemühen, mögen es die wechsel- warmen Insekten doch lieber wär- Blühende Ackerränder sind Insektenlebensräume in der Agrarlandschaft. mer. Eher sorgen die zunehmend höheren Temperaturen dafür, dass gehören Heiden und Trockenrasen nen. Auch in jedem (Vor-) Garten etwa manche Wärme liebende sowie Sümpfe, Moore und intakte gibt es genügend Möglichkeiten um Heuschreckenart häufiger wird oder Ufervegetationen. der Natur freien Lauf zu lassen. Der bislang auf den Süden beschränkte Weiterhin muss die Menge der sterile, wenigstens einmal in der Insekten einwandern und einge- Pflanzenschutzmittel, in erster Li- Woche gemähte Rasen dagegen ist schleppte Exoten sich bei uns breit nie Insektizide, in der Landschaft kein Lebensraum für Insektenvielfalt. machen können. drastisch herunter gefahren werden, Da, wo ernsthaft begründet, doch was aber kaum ohne Änderungen in gegen bestimmte Insektenarten Was ist zu tun? den derzeit üblichen landwirtschaft- lokal vorgegangen werden muss, Auch wenn weitere Untersuchungen lichen Arbeitsweisen erreicht werden ist sicher zu stellen, dass solch ein zur Entwicklung von Insektenpopu- kann. Um Naturschutzgebiete sind gezielter, vorübergehender Einsatz lationen notwenig sind und dabei wirksame Pufferzonen auszuweisen, nicht andere Arten und angrenzende die Klärung der für die Abnahme damit wenigstens diese geschützten Gebiete schädigt. entscheidenden Ursachen Vorrang Flächen keine Einträge von schädi- Die Anlage von Streifen entlang hat, ist es noch viel dringender der genden Stoffen über die Luft oder von Feldern, die nicht gedüngt und Insektenwelt unmittelbar zu helfen das Wasser erleiden. Kleine und mit Pflanzenschutzmitteln behan- und den Rückgang aufzuhalten. Da- große ungenutzte Flächen bedürfen delt werden, bieten heimischen für sollte es selbstverständlich sein, nicht zwingend Pflege, sie müssen Blütenpflanzen, wie Feldrittersporn, dass die in der Landschaft verblie- verstärkt sich selbst überlassen wer- Erdrauch und anderen für Äcker ty- benen Reste von Sonderstandorten den, sodass hier ungestört naturnahe pischen Arten notwendige Wuchsbe- wirksam geschützt und möglichst Lebensgemeinschaften bestehen dingungen. Und von diesen Pflanzen wieder vergrößert werden. Dazu oder sich wieder entwickeln kön- profitiert wiederum eine Vielzahl von ABU info 41-42 (2019)
18 errechneten 500 Milliarden Dollar Foto: Henning Vierhaus pro Jahr machen mehr Eindruck als irgendeine verloren gegangene Zika- denart. Tatsächlich kann es aber beim notwendigen Schutz der Insekten nicht nur um Blütenbestäuber und erst recht nicht nur um Honigbienen und deren Nutzen für uns Menschen gehen. Nützlich - schädlich Damit sind wir wieder bei der Nütz- lich-Schädlich-Einteilung der Tier- und Pflanzenwelt. Auf die Insekten bezogen heißt das bis heute, es gibt einerseits schützenswerte oder Ein „schädlicher“ Käfer: Fraßgänge der Larven des Buchdruckers. Diese Art kann attraktive Arten und andererseits erhebliche Forstschäden verursachen. ärgerliches und unnützes Ungeziefer. Blüten besuchenden Insekten. Wenn kung der letzt genannten Maßnah- Auf der Grundlage dieser Bewertung auf diesen Flächen - und nicht nur auf men sind begrenzt und sie sollen erfolgten in der Vergangenheit Unter- diesen sondern wenigstens in Teilen meist vorrangig Blüten besuchende schutzstellungen von Artengruppen. eines Gartens – zusätzlich weitere und bestäubende Insekten fördern. So erklärt sich der schon lange beste- Blütenpflanzen ausgesät werden, Oft profitieren allerdings nur Honig- hende Naturschutz für Fleder- und sollte man auf exotische Arten ver- bienen davon und die vielen drin- Spitzmäuse aus deren Ernährungsge- zichten, denn mit denen können die gend schutzbedürftigen Wildbienen wohnheiten. Ihr ‚Täglich Brot’ sind heimischen Insekten auf Grund ihrer und weitere Insektenarten haben Insekten, und damit sind diese Tiere Spezialisierung oft nichts anfangen. gegenüber diesem sowieso ums- nützlich und schützenswert. Was- All diese Maßnahmen wären dann orgten ‚Haustier’ das Nachsehen. serspitzmäuse waren übrigens von ein wertvoller Beitrag zur Bewah- Gerade im vergangenen Sommer diesem Schutz ausgenommen, da rung der Tier- und Pflanzenwelt in 2018 war die erdrückende Domi- sie ja hin und wieder Fische fressen. Deutschland und entsprechen damit nanz der Honigbienen an blühenden Für die meisten Insekten fressenden bestens den Zielen der ‚Nationalen Gartenpflanzen besonders auffällig. Singvögel gilt ähnliches, allerdings Biodiversitätsstrategie’ (NBS). Soge- Diese dennoch sinnvollen Maß- sind diese außerdem nett anzusehen nannte Bienen- oder Insektenhotels nahmen gelten offensichtlich in und anzuhören – und damit irgend- sind gleichfalls Instrumente um die erster Linie den in unseren Augen wie zusätzlich nützlich. Solch eine Bestände vieler Wildbienenarten nützlichen Tieren. So wird dann vor- Unterscheidung in Gut und Böse zu sichern. Allerdings machen sie gerechnet, welchen ökonomischen aus der Sicht des Menschen, sollte nur Sinn, wenn es in deren Umfeld Wert Insekten als Bestäuber von beim wohl verstandenen, moder- ein hinreichendes Angebot an blü- Rapsblüten, Obstbäumen und wei- nen Naturschutz längst keine Rolle henden (Wild-) Pflanzen gibt. teren Nutzpflanzen haben. Zuge- mehr spielen, vielmehr geht es um Der Umfang und damit die Wir- geben, die laut einigen Quellen so die Schutzbedürftigkeit von Tieren oder Pflanzen. Foto: Henning Vierhaus Ein „nützlicher“ Genosse: Der Mistkäfer sorgt für den Abbau von Mist. Aber bleiben wir mal bei dieser üblichen Sichtweise. Sind Blau- und Kohlmeisen denn wirklich nützlich? Können Meisen erkennen ob sie gerade ein Schadinsekt fressen oder ob es vielleicht ein nützliche Art oder gar die Raupe eines schönen Schmetterlings ist, die sie verzehren wollen? Nach der allgemeinen Ein- schätzung, dass die überwiegende Mehrheit der Insekten eigentlich schädlich ist, kann eine Meise kei- nen Fehler machen. Und bei einer echten Insektenkalamität fressen ABU info 41-42 (2019)
19 sich die nützlichen Meisen dann an Foto: Henning Vierhaus den massiv auftretenden Raupen etwa des Eichenwicklers satt und bekämpfen damit ohne sich ihrer verantwortungsvollen Leistung be- wusst zu sein, diesen Schädling. Jedoch sind unter ihren Beutetieren viele dabei, die bereits mit den Ei- ern einer Schlupfwespe oder einer Raupenfliege parasitiert wurden, deren Larven dann die Raupe töten und damit weit erfolgreicher die Zahl der Eichenwickler dezimieren. Und nicht nur das, sie verhindern dadurch auch die wünschenswerte Vermehrung solcher Raupenpara- siten. Also behindern die Meisen Die Wespenbiene ist ein Brutparasit. ungewollt die natürliche, biologische Die Blüten bestäubenden Insekten als Parasiten oder Brutschmarotzer. und viel wirksamere Kontrolle von bilden nur eine wenn auch wichtige Diese Verhaltensweisen wurden in in unseren Augen unerwünschten Facette ihres Wirkens. Viel elemen- mehreren Insektenordnungen un- Insektenpopulationen. Auf diese tarer ist ihre Stellung im Stoffkreislauf abhängig voneinander entwickelt. vertrackte Beziehung und die damit der Organismen. Als sogenannte So gibt es innerhalb der Zweiflüg- verbundene nicht sachgerechte Ein- Konsumenten erster Ordnung sind ler, den Dipteren, blutsaugende schätzung vieler Singvögel als nütz- sehr viele Insektenarten Pflanzenfres- Stechmücken sowie Bremsen und die lich machte vor über hundert Jahren ser wie z. B. Heuschrecken, Blattläu- Larven der Dasselfliegen entwickeln bereits Alexander Bau aufmerksam, se oder Borkenkäferlarven. Letztere sich sogar in der Haut von Rindern. ein Ornithologe, der zugleich aber sind die gefürchteten „Buchdrucker“ Auch in der Wanzenverwandtschaft auch Entomologe war. Bei den Vo- und „Kupferstecher“, denen die finden sich einige Vertreter wie die gelliebhabern damals machte er sich bereits genannte „Taskforce Käfer“ Bettwanze, die auf Wirbeltierblut durch diese Überlegungen äußerst galt. Solche Insekten verbrauchen angewiesen sind. Zur Ordnung der unbeliebt. und vernichten damit das, was die Flöhe gehören dagegen ausschließ- Dieses Beispiel macht deutlich, Vegetation aus Wasser und Kohlendi- lich parasitisch lebende Formen. wie schwer oder wenig sachge- oxid und weiteren anorganischen Große Bedeutung haben Insekten- recht es ist, sich mit diesem ein- Verbindungen unter Einsatz der arten, welche wie Schmeißfliegen fachen Schwarz-Weiß-Denken Sonnenenergie aufgebaut hat. Man oder Totengräberkäfer und in den ‚Nützlich-Schädlich’ durch die könnte das ihren Beitrag dazu anse- Tropen die Ameisen, oft effektiver ökologische Zusammenhänge, hen, dass „die Bäume nicht in den als das Geier vermögen, Kadaver speziell im Bereich der Insekten, Himmel wachsen“. Entweder werden verdauen, zersetzen und damit deren zu hangeln. Und erst recht kann es diese Insekten selbst wieder schnell verwertbare Stoffe wieder über den nicht gut gehen, wenn man das In- über ihren Kot oder Verwesung ihrer Erdboden den Pflanzen zuführen. sektensterben nur auf der Grundlage toten Körper mineralisiert oder sie Hier sei auch an die „gemeinnützige“ dieser schlichten Sichtweise und dem werden zur Nahrung beispielswei- Reinigungstätigkeit etwa von Mistkä- mangelhaften Wissen über die Bio- se von Spinnen, Schwalben oder fern und Dung- sowie Goldfliegen logie und Ökologie dieser immens Fledermäusen. Räuberische Insek- erinnert, die sich über die Hinterlas- wirksamen Tiergruppe aufhalten will. tenarten gibt es ebenfalls in großer senschaften vieler Tiere hermachen. Zahl. Zum Beispiel werden Blattläuse Ein spektakuläres Beispiel für die Bedeutung der Insekten von den Larven der Schwebfliegen Bedeutung von Insekten in dieser Aufgrund ihres dominierenden oder von Marienkäfern gefressen, Sache war das „Kuhfladenproblem“ Anteils an der Tierwelt, der damit Hornissen und viele andere We- Australiens. So verschwanden immer verbundenen Allgegenwart und ihrer spenarten jagen Fliegen und der größere Teile von Weiden unter enormen Formenvielfalt mit Anpas- Bienenwolf, eine Grabwespenart, einem Teppich von vertrocknetem sungen an die verschiedenartigsten erbeutet bevorzugt Honigbienen. Dung der eingeführten Rinder, da Lebensbedingungen haben Insekten Selbst in manchen menschlichen dieser nicht von der dortigen Käfer- einen entscheidenden Einfluss auf Gesellschaften stehen Insekten und fauna verwertet werden konnte. Erst und eine elementare Bedeutung für deren Entwicklungsstadien auf der aus Afrika eingebrachte Dungkäfer das Leben auf der Erde. Speisekarte. Sehr viele Arten leben sorgten für eine Entspannung dieser ABU info 41-42 (2019)
20 miss(t)lichen Lage. Foto: Henning Vierhaus Es gibt auch freundliche Bezie- hungen, sogenannte Symbiosen, zwischen verschiedenen Insekten- arten. Das bekannteste Beispiel sind Ameisen, die Blattlauskolonien pflegen und beschützen, von denen sie im Gegenzug deren zuckerhal- tigen Ausscheidungen melken und verzehren. Waldameisen können durch Ansammlungen von zahlreichen Ameisenhaufen der miteinander vernetzten Einzelkolonien zu Land- schaftsgestaltern werden. Das Landschaftsbild zu prägen vermögen allerdings Termiten mit ihren Bauten in manchen heißen Regionen der Bestäuber: Die Blattschneiderbiene, eine solitäre Widlbiene beim Blütenbesuch. Erde weit besser. Termiten, Ameisen, Honigbienen sowie einige soziale Wespenarten zeichnen sich durch Bildung hochkomplexer Staaten aus, die man als Individuen einer höheren Ordnung betrachten kann. Bleibt schließlich noch ein weni- ger angenehmes Kapitel übrig, näm- lich dass besonders manche bluts- augenden Insekten hin und wieder Krankheiten übertragen. Beispiele hierfür sind die Stechmückenarten der Gattung Anopheles, die keines- wegs nur auf die Tropen beschränkt sind. Sie können bei ihrer Blutmahl- zeit die Erreger des Sumpffiebers, also der Malaria, weitergeben, und die afrikanischen Tsetsefliegen sind für die Verbreitung der Schlafkrankheit Totengräber: Der Aaskäfer Rothalsige Silphe frisst Kadaver kleiner Tiere. sowie der Naganaseuche der Rin- der verantwortlich. Weiterhin sind Kriebelmücken, deren Larven sich in schnell strömenden Bächen und Flüssen entwickeln, die Vektoren der sogenannten Flussblindheit. So schlimm diese lebensgefährlichen Erkrankungen tatsächlich sind, die Anwesenheit von Insekten, die diese Krankheitserreger übertragen können, war immerhin der Grund dafür, dass große Teile Afrikas und dadurch auch einige der heutigen großen Nationalparks im Osten des Kontinents der Tsetsefliegen wegen, oder Flussniederungen in Westafrika, Kriebelmücken-bedingt, lange Zeit mehr oder weniger unbesiedelt blie- ben. Auch die dauerhafte Eroberung Kompostierer: Der Stierkäfer zerstetzt den Dung von Schafen. - ABU info 41-42 (2019)
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