ABU info - Arbeitsgemeinschaft Biologischer Umweltschutz im Kreis ...

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ABU info - Arbeitsgemeinschaft Biologischer Umweltschutz im Kreis ...
Arbeitsgemeinschaft Biologischer Umweltschutz   im   Kreis Soest e.V.
                     Biologische Station Soest

                 A BU info

Natur- und Landschaftsführer
Kopfweiden
Zwischenbilanz der Auerochsenzucht
Insekten - Ungeziefer oder unverzichtbar?
Kiebitzschutz
Nahrungsflächen für Greifvögel
Grünes Soest
Die Dürre
LIFE-Projekt Gelbbauchunke
Zwerggänse!

41.- 42. Jahrgang, 2019
ABU info - Arbeitsgemeinschaft Biologischer Umweltschutz im Kreis ...
Inhalt
                                                                Erleben und Begeistern für die Natur -
 Foto: M. Scharf

                                                                Neue Natur- und Landschaftsführer für die Region                          1
                                                                Kopfweiden							 4
                   Titelbild: Auerochsen
                                                                Züchtung von „Auerochsen“ bei der ABU
                                                                – eine Zwischenbilanz nach 28 Jahren 			                                  8
                                                                Insekten - Ungeziefer oder unverzichtbar? 			                           14
Foto: J. Drüke

                                                                Bruthabitatwahl und Bruterfolg des Kiebitzes
                                                                in der Hellwegbörde 						23
                   Umschlag hinten: Soester Linden              Nahrungshabitate von Greifvögeln
                                                                in der Hellwegbörde 						33
                    Herausgeber:
                    Arbeitsgemeinschaft                         Grünes Soest? 						44
                    Biologischer Umweltschutz
                    im Kreis Soest e.V.                         Die Dürre 							52
                    Biologische Station
                    Teichstraße 19                              LIFE BOVAR: Ein neues LIFE-Projekt zum Schutz
                    59505 Bad Sassendorf - Lohne                der Gelbbauchunke im Kreis Soest 				                                   56
                    Tel. 0 29 21 / 969 878 - 0
                    Fax 0 29 21 / 969 878 - 90                  Zwerggänse!							60
                    e-mail: abu@abu-naturschutz.de
                    www.abu-naturschutz.de                      Wolfgang Staab - Naturschutzpreis
                                                                für Margret Bunzel-Drüke					62
                    Bankverbindung
                    Sparkasse Erwitte-Anröchte                  Auszeichnungen für Jürgen Behmer				                                    63
                    IBAN DE90 4165 1815 0000 6692 42
                    BIC WELADED1ERW                             Zum Gedenken an Doris Glimm				                                         65
                    Konto-Nr. 669 242
                    BLZ 416 518 15

                    Vorstand
                    J. Drüke, Dr. T. Auer, J. Bergmann
                    Erweiterter Vorstand
                    J. Behmer, Dr. D. Hegemann, D.
                    Heinrich, P. Roffmann, Dr. H. Vierhaus

                    Redaktion                                   Autoren dieser Ausgabe:
                    Dr. R. Joest, J. Drüke
                                                                Birgit Beckers, ABU, Teichstraße 19, 59505 Bad Sassendorf - Lohne
                    Druckvorbereitung                           Dr. Margret Bunzel-Drüke, ABU, Teichstraße 19, 59505 Bad Sassendorf - Lohne
                    Westkämper, Lippetal-Herzfeld               Joachim Drüke, Mester-Godert-Weg 8, 59494 Soest
                                                                Marvin Fehn, Reuterstraße 118, 53129 Bonn
                    Druck                                       Christian Härting, ABU, Teichstraße 19, 59505 Bad Sassendorf - Lohne
                    Westkämper, Lippetal-Herzfeld,              Luise Hauswirth, ABU, Teichstraße 19, 59505 Bad Sassendorf - Lohne
                    gedruckt auf 100% Altpapier                 Christian Höppner, NABU Niedersachsen, Alleestraße 36 30167 Hannover
                                                                Patrick Hundorf, Blumenmorgen 10A, 49090 Osnabrück
                    Auflage                                     Dr. Ralf Joest, ABU, Teichstraße 19, 59505 Bad Sassendorf - Lohne
                    900                                         Roland Loerbrocks, ABU, Teichstraße 19, 59505 Bad Sassendorf - Lohne
                    Auszugsweise Veröffentlichung oder Kür-     Petra Salm, ABU, Teichstraße 19, 59505 Bad Sassendorf - Lohne
                    zung eingereichter Beiträge ist vorbehal-   Mathias Scharf, ABU, Teichstraße 19, 59505 Bad Sassendorf - Lohne
                    ten. Alle Rechte der Veröffentlichung und   Dr. Henning Vierhaus, Teichstraße 13, 59505 Bad Sassendorf-Lohne
                    Vervielfältigung der im ABU info erschie-   Prof. em. Dr. Herbert Zucchi, Hochschule Osnabrück, Agrarwissenschaft und
                    nenen Beiträge liegen beim Herausgeber.     Landschaftsarchitektur, Oldenburger Landstraße 24, 49090 Osnabrück
                                                                Olaf Zimball, ABU, Teichstraße 19, 59505 Bad Sassendorf - Lohne

                                                                                                                          ABU info 41-42 (2019)
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                Erleben und Begeistern für die Natur
                Neue Natur- und Landschaftsführer für die Region
                von Petra Salm
                Der Naturschutz lebt davon, dass Menschen sich für die
                Schönheit und Vielfalt unserer Natur begeistern.

                „Naturerlebnis“ ist seit Jahren Thema   LIFE Projektes „Bachtäler Arnsberger   grenztes Angebot an qualifizierten
                vieler Naturschutzprojekte. Hier sind   Wald“. Informationstafeln beschrei-    Führungen gegenüber, welche im
                drei Beispiele, die die ABU geplant     ben typische Tier- und Pflanzenar-     Wesentlichen von den Biologischen
                und federführend umgesetzt hat:         ten und erläutern die umgesetzten      Stationen (ABU – Biologische Stati-
                   „Naturerlebnis Auenland“ hat         Maßnahmen.                             on Soest, Biologische Station Kreis
                zahlreiche Beobachtungsmöglich-             Die Projekte sind erfolgreich:     Paderborn-Senne, NABU Natur-
                keiten entlang der Lippeaue geschaf-    Das Interesse der Menschen in der      schutzstation Münsterland) und dem
                fen, kombiniert mit Maßnahmen zur       Region an der Natur ist gestiegen,     Landschaftsinformationszentrum
                Verbesserung von Lebensräumen für       die geschaffenen Beobachtungsmög-      Wasser und Wald Möhnesee e.V.
                Tiere und Pflanzen.                     lichkeiten werden viel genutzt. Das    (LIZ) angeboten werden.
                   Das Projekt „Naturschätze Süd-       Interesse an Führungen und Informa-        So entstand die Idee, im Rah-
                westfalens“ stellt 50 Gebiete vor,      tionen über Natur und Landschaft       men eines LEADER Projektes einen
                die Naturbegeisterte besuchen           ist gestiegen.                         Lehrgang zur Ausbildung zum zer-
                und erleben können. Ein Buch und            Die Nachfrage umfasst die ver-     tifizierten Natur- und Landschafts-
                verschiedene digitale Medien be-        schiedensten Zielgruppen, von          führer durchzuführen und mit den
                schreiben die Gebiete, davon 11 im      Senioren bis hin zu Kindern im Kin-    dann ausgebildeten Naturführern
                Kreis Soest.                            dergartenalter und von Bewohnern       ein zusätzliches Angebot an Füh-
                   Im Arnsberger Wald führen Rund-      der Region bis hin zu Besuchern.       rungen in der Region zu etablieren.
                wanderwege zu Maßnahmen des             Ihr steht jedoch zurzeit nur ein be-   Die LEADER Region Lippe-Möh-

                Luise Hauswirth erklärt ökologische Zusammenhänge im Wald.
Foto: P. Salm

                ABU info 41-42 (2019)
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                                        Kommunikation und Umweltdidaktik         ein facettenreiches Programm. Die
                                        sowie des Naturschutzrechtes.            phantasiereiche Übermittlung von
                                           Nach einem Informationsabend          Wissen suchte ihresgleichen. Vom
                                        Anfang Februar 2018 und der Ver-         Rotkäppchen mit ihrem Wolf, das die
                                        öffentlichung in der Presse konnten      Teilnehmer in den Arnsberger Wald
                                        sich Interessierte dann anmelden.        entführte, über ein Theaterspiel zum
                                        Die Nachfrage nach den 25 Plätzen        Thema Äpfel und das Feuermachen
                                        im Lehrgang war groß und schnell         bis hin zur Führung durch die Lip-
                                        waren alle Plätze vergeben.              peaue war vieles dabei.
                                           In drei zeitlich getrennten Blöcken      Im nun folgenden zweiten Teil
                                        (Mai, Juni und September) wurde          des Projektes geht es um den Auf-
                                        dann der Lehrgang mit insgesamt          bau eines Netzwerkes und einer
                                        ca. 70 Zeitstunden durchgeführt.         Internetseite, über die Besucher und
                                        Die Inhalte waren sehr vielfältig:       Bewohner der Region ab dem Früh-
                                        von den typischen Lebensräumen           jahr 2019 Führungen buchen können
                                        der Region ausgehend, wurde den          sollen. Für das Projekt wurde auch
                                        Teilnehmern von verschiedenen            ein Logo entwickelt, welches auf
                                        wissenschaftlichen Mitarbeitern          dem Flyer und auf der Internetseite
                                        und ehrenamtlichen Experten der          zu sehen ist.
                                        ABU sowie externen Spezialisten die         Die Koordination der Führungen
                                        Bedeutung der Natur nahegebracht.        und regelmäßige Fortbildung der Na-
                                        Diese stellten die Lebensräume Ge-       tur- und Landschaftsführer erfolgt in
                                        wässer, Grünland, Feldlandschaften,      den von der ABU betreuten Gebieten
Projektflyer                            Wälder, Niedermoore, Obstwiesen          durch die Biologische Station. Dies ist
                                        und Siedlungsbereiche mit ihrer Be-      vor allem deshalb wichtig, weil die
                                        deutung für die Region, Entstehung,      Biostation durch ihre Betreuungsar-
nesee umfasst sieben Kommunen.
                                        Flora und Fauna, Gefährdung und          beit aktuelle Informationen zu den
Fünf davon (Möhnesee, Soest, Bad
                                        Maßnahmen zum Erhalt dar. Dane-          Gebieten hat und weiß, wann und
Sassendorf, Lippetal und Lippstadt)
                                        ben gab es auch allgemeine Biologie      wo Führungen sinnvoll und vor allem
liegen im Kreis Soest, dazu kommen
                                        und wichtige Aspekte der Wirtschaft      in welcher Form sie mit den natur-
die Nachbarkommunen Wadersloh
                                        aus der Region. Bei zahlreichen          schutzfachlichen Zielen vereinbar
(Kreis Gütersloh) im Nordwesten
                                        Exkursionen konnte die Theorie           sind. Diese Informationen sind auch
und Delbrück (Kreis Paderborn) im
                                        draußen gefestigt werden.                für die Naturführer sehr wichtig, denn
Nordosten.
                                           Ein wesentlicher Schwerpunkt des      mit dem jeweils aktuellen Hinter-
   Der Lehrgang wurde zusammen
                                        Lehrganges war die Exkursionsdidak-      grundwissen können die Führungen
mit der Natur- und Umweltschutza-
                                        tik. Diesen Part übernahm Frau Dr.       interessanter gestaltet und gezielter
kademie Nordrhein-Westfalen
                                        Gertrud Hein von der NUA. Wie            erarbeitet werden. Ein Flyer, der z.B.
(NUA) durchgeführt. Das Konzept für
                                        führt man eine Führung so durch,         in den örtlichen Touristikbüros oder
einen solchen Lehrgang ist nicht neu,
                                        dass die Besucher wirklich etwas         in Gastronomiebetrieben ausgelegt
sondern wurde von der NUA in der
                                        mitnehmen können? Wie verhält            werden kann, stellt das Angebot dar
Vergangenheit entwickelt und schon
                                        man sich in kritischen Situationen?      und verweist auf die Internetseite.
vielfach durchgeführt. Die Ausbil-
                                        Und wie passt man seine Führung             Die Internetseite enthält ver-
dung entspricht den Vorgaben des
                                        an verschiedene Zielgruppen an? Mit      schiedene Touren und stellt die
„Bundesweiten Arbeitskreises der
                                        sehr anschaulichen Darstellungen         Naturführer mit ihren speziellen
staatlich getragenen Bildungsstätten
                                        und vor allem vielen praktischen         Angeboten vor. Auch die Gebiete,
im Naturschutz“ (BANU). Die hohe
                                        Übungen wurden diese Aspekte             in die die Führungen gehen, werden
Bedeutung der Zertifizierung liegt in
                                        von den angehenden Natur- und            vorgestellt. Unter
der Qualität der Ausbildung und der
                                        Landschaftsführern gelernt.                 www.natur-fuehrungen.de
Gewährleistung von regelmäßigen
                                           Nachdem die Teilnehmer auch              wird die Seite ab dem Frühjahr
Fortbildungen begründet.
                                        noch eine schriftliche Hausarbeit        2019 freigeschaltet.
   Das Angebot galt für Interessierte
                                        abliefern mussten, stand am letzten
aus der Region. Der Lehrgang be-
                                        September Wochenende die Prüfung
inhaltete nicht nur die Vermittlung
                                        auf dem Plan. Dabei boten die neuen
von naturkundlichen, ökologischen
                                        Natur- und Landschaftsführer, unter
und kulturellen Grundlagen, sondern
                                        denen übrigens Teilnehmer aus allen
auch als wesentlichen Punkt die
                                        sieben LEADER-Kommunen waren,
Schaffung von Grundlagenwissen der

                                                                                                    ABU info 41-42 (2019)
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  Eindrücke aus dem Lehrgang

                                                                                                                                          Fotos: J. Drüke, P. Salm, R. Vierhaus
  Die Tierwelt vom Grund der Ahse bei Lohne faszinierte die       Die Vogelwelt war natürlich auch ein wichtiges Thema.
  Kursteilnehmer.

  Die Organismen im Bach werden erforscht.

                                                                  Auf Hof Scheer in Hellinghausen bei Lippstadt erfuhren
                                                                  die Teilnehmer Wissenswertes über die Organisation des
                                                                  LEADER-Prozesses.

  Frisst der Wolf nun die Großmutter? Lehrgangsteilnehmerin
  Petra Seippel machte den Wolf zu ihrem Prüfungsthema.

                                                                  In dieser Prüfung hatte die Teilnehmerin die Baumarten
  So hält man einen Frosch, ohne ihm zu schaden.                  wunderbar aufgearbeitet.

                                                          Europäischer Landwirtschaftsfond für die Entwicklung des ländlichen Raumes:
                                                          Hier investiert Europa in die ländlichen Gebiete unter Beteiligung des Landes
                                                          Nordrhein-Westfalen.

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                        Kopfweiden
                        Über Jahrhunderte säumten Kopfweiden die weit verbreiteten
                        Wiesen und Weiden im Kreis Soest. In den Hohlräumen der teils
                        mächtigen Stämme nisteten Steinkäuze und andere Vogelarten, die
                        im Grünland reichlich Nahrung fanden.
                        Heute gibt es sie noch hier und da, vor allem in den verbliebenen
                        Grünlandgebieten, die überwiegend unter Naturschutz stehen.
                        Doch die Bäume brauchen Pflege, ansonsten brechen sie aus-
                        einander - und ein wertvolles Element unserer Kulturlandschaft
                        würde verschwinden.
                                                                             Foto: J. Drüke

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                                                                                                               Foto: J. Drüke
                                                                                 Von links nach rechts:
                                                                                 Peter Urbanek, Konstanze

S  eit mehr als vierzig Jahren ist
   Jürgen Behmer in der ABU aktiv,
organisiert und leitet die Arbeits-
                                         son, die von Oktober bis Ende Fe-
                                         bruar dauert. Darüber hinaus gibt es
                                         in den Schutzgebieten, die die ABU
                                                                                 Münstermann, Jürgen Behmer
                                                                                 und Ben Köhler vor einer
                                                                                 geschneitelten Kopfweide in
einsätze - alles freiwillig und unent-   betreut, vieles anderes zu tun: Zäune   der Hellinghauser Mersch, nahe
geltlich. Seit einigen Jahren helfen     reparieren, Müll einsammeln, .......    dem Beobachtungshügel am
                                                                                 Pastorat. Dieses Schutzgebiet in
Peter Urbanek und weitere täglich           „Seit dem Gründungsjahr der ABU
                                                                                 der Lippeaue gehört der NRW-
mit. Das eingespielte Team startet       1977 haben wir weit über 20.000         Stiftung und wird von der ABU
in der Woche jeden Morgen an der         mal Kopfweiden geschneitelt. Wie        betreut und entwickelt.
Lohner Mühle, der Geschäftsstelle        sähen unsere Schutzgebiete heute
der ABU. Unterstützt werden sie          wohl ohne diese Arbeit aus?“, fragt
zudem von Mitarbeiterinnen und           sich Jürgen Behmer.
Mitarbeitern des Bundesfreiwilligen-        Am 17. Januar 2019 hat er für
dienstes und von Praktikantinnen und     dieses langjährige Engagement
Praktikanten.                            von Kreisdirektor Lönnecke das
   Zweihundert bis dreihundert           Bundesverdienstkreuz verliehen
Kopfweiden pflegt das Team je Sai-       bekommen. „Stellvertretend auch für

                                                                                                ABU info 41-42 (2019)
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all diejenigen in der ABU, die über

                                          Foto: J. Drüke
mehr als vier Jahrzehnte für unsere
Kultulandschaft aktiv sind“, so betont
Jürgen Behmer!
   Seit vielen Jahren unterstützt die
Bezirksregierung Arnsberg diese
Arbeit mit einer Förderung: 30 Euro
je Baum. Ein sehr hilfreicher Beitrag
zu den Maschinenkosten. Denn Mo-
torsägen brauchen ständige Pflege,
Ketten müssen geschärft und wenn
nötig ersetzt werden, und manchmal
geht auch mal die Leiter zu Bruch,
wenn ein starker Ast nicht so fällt,
wie er es hätte tun sollen!
   Die stattlichen Kopfweiden prä-
gen die meisten Niederungsgebiete
im Kreis Soest. Früher waren sie
eine wichtige „Nutzpflanze“, die
zur Holzgewinnung regelmäßig alle                          Erfahrung und Umsicht sind nötig beim Schneiteln der Kopfweiden.
paar Jahre „geschneitelt“ wurde.
Wichtig ist dabei, dass die Äste direkt
                                          Foto: J. Drüke

am Stamm abgeschnitten werden.
Dazu ist aufwändige Handarbeit
erforderlich.
   Die alten, höhlenreichen Köpfe
der Weiden bieten Niststätten für den
Steinkauz und viele andere Vogel-
arten wie Feldsperlinge, Gartenrot-
schwänze und Meisenarten. Gerade
der Steinkauz ist auf kopfbaumreiche
Grünlandgebiete angewiesen. Hier
findet er geeignete Bruthöhlen und
Insekten, Regenwürmer und Mäuse,
die im kurzen Grünland gut erreich-
bar sind. Die Niederungsgebiete von
Nordrhein-Westfalen beherbergen                            Heute ist auch das Weidenholz wieder begehrt. Aufgestapelt am Wegrand steht
etwa ein Drittel des deutschen Ge-                         es zur Abholung bereit.
samtbestandes. Wir haben daher
gerade für den Schutz dieser Art eine
                                          Foto: J. Drüke

besondere Verantwortung.
   Aber auch zahlreiche Insekten-
arten leben von den Weiden. Ihre
Larven entwickeln sich im weichen,
verrottenden Holz der Köpfe. Ein
Beispiel hierfür ist der Weidenbohrer,
ein Nachtfalter, dessen rötliche fin-
gerdicke Raupe auf der Suche nach
Verpuppungsplätzen manchmal für
Schrecken sorgt.
   Und nicht zuletzt leben zahlreiche
andere Pflanzen als Epiphyten auf
den Kopfweiden, und Pilze entwi-
ckeln sich im Holz.
                                                           Dank einer Förderung durch das Land NRW hat die ABU seit zwei Jahren ein
       Joachim Drüke und Ralf Joest
                                                           geländegängiges Fahrzeug. Vorher leistete der private Pickup von Jürgen Behmer
                                                           die oft harte Arbeit.

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Züchtung von „Auerochsen“ bei der ABU
– eine Zwischenbilanz nach 28 Jahren
von Matthias Scharf, Margret Bunzel-Drüke, Roland Loerbroks und Olaf Zimball

Wie alles begann                             Mit dem Ziel, in der Klostermersch   Warum züchten?
                                         bei Benninghausen eine naturnahe
1991 war in der Geschichte der                                                    Zu den ersten fünf Heckrindern ge-
                                         Weidelandschaft zu entwickeln,
ABU ein wichtiges Jahr. Nach langen                                               sellte sich schnell Nachwuchs, denn
                                         stellten wir die fünf Tiere im Oktober
Diskussionen und einem Besuch in                                                  schließlich war ein Bulle dabei. Und
                                         1991 auf eine anfangs nur fünf Hektar
holländischen Naturschutz-, Weide-                                                so war es für die ABU selbstverständ-
                                         große Fläche. Es sollten sich Gehölze
und Wildnisgebieten kauften wir im                                                lich, auch bei der Gründung des
                                         bis hin zum Auwald, Hochstauden-
Neandertal fünf Rinder, die unter                                                 „Vereins für Auerochsenzucht“ -VFA
                                         fluren und niedrig abgefressenes
der Bezeichnung „Auerochse“ oder                                                  - mitzumischen. Natürlich will jeder
                                         Weideland entwickeln. Das Ziel
besser „Heckrind“ liefen. Aueroch-                                                in einem solchen Verein die schöns-
                                         ist eine Landschaft, wie sie vor den
sen sind die seit 1627 ausgestorbene                                              ten, d.h. auerochsenähnlichsten
                                         Eingriffen des Menschen existierte.
Stammform unserer Hausrinder und                                                  Rinder haben. Und wenn man schon
                                         Nach 28 langen Jahren vermitteln die
es ist die zwar vielfach verwendete                                               Heckrinder hat, wählt man bei den
                                         Flächen in der Klostermersch schon
Bezeichnung für die Rinder im                                                     Nachkommen, die bleiben sollen, na-
                                         einen guten Eindruck einer derartigen
Neandertal, aber richtiger ist „Hec-                                              türlich die aus, die dem Auerochsen
                                         Landschaft. Vom Aussichtsturm am
krind“. Von ihren Namensgebern,                                                   am ähnlichsten sind. Schließlich war
                                         Schelhasseweg bei Benninghausen
den Gebrüdern Heck, wurden sie                                                    die Auerochsenähnlichkeit Sinn und
                                         kann man die dort entstandene
in den 1920er Jahren als Kreuzungen                                               Zweck der Zucht dieser Rasse. Wenn
                                         neue Wildnis mit ihren vielfältigen
von Rindern mit urtümlichen Merk-                                                 man außerdem eine Naturlandschaft
                                         Vegetationsstrukturen bewundern.
malen gezüchtet, um in Zoos und                                                   wie vor vielleicht 2000 Jahren als
                                         Ein weiterer Grund für den Einsatz
Tierparks ein auerochsenähnliches                                                 Entwicklungsziel hat, machen sich
                                         der Rinder war die Beruhigung der
Rind präsentieren zu können.                                                      dort dem Auerochsen ähnelnde
                                         Flächen, was mit den wehrhaft aus-
                                                                                  Rinder am besten. Und sie können
                                         sehenden Hornträgern gut gelang.
                                                                                  dann dort auch sehr gut die öko-
                                                                                  logische Rolle des ausgestorbenen
                                                                                  Auerochsen übernehmen.
Klostermersch im Jahr 2017 nach 27 Jahren Beweidung. Es ist ein Mosaik
aus Weiderasen, Hochstaudenfluren und Dornbüschen entstanden, das
vielen Tier- und Pflanzenarten Lebensraum bietet.                                                         Alle Fotos: M. Scharf

                                                                                                    ABU info 41-42 (2019)
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Wie züchten?
Die Zucht von Rindern ist eine
langwierige Sache. Ab dem dritten
Lebensjahr bekommt jede Kuh jedes
Jahr ein Kälbchen. Und erst, wenn
der Nachwuchs etwa drei Jahre alt ist,
kann man sagen, wer für die weitere
Zucht geeignet ist und wer als Zucht-
oder Schlachttier verkauft wird.
    Es gibt bei der Zucht die Möglich-
keit, mit nur einer Rasse zu arbeiten,
was bei uns anfangs die Heckrinder
waren. Da die Gebrüder Heck aber
einige gut geeignete Rassen damals
nicht für ihre Zucht verwendeten,
entschlossen wir uns, Heckrinder mit
anderen Rassen wie den Sayaguesas
und Chianinas zu kreuzen. Diese
beiden Rassen hatten die Brüder          Vorbilder für unsere Zucht sind auch die steinzeitlichen Höhlenbilder aus
Heck nicht verwendet, sie schie-         Spanien und Frankreich.
nen uns aber erfolgversprechend.
Die spanischen Sayaguesas waren
den Hecks zwar bekannt gewesen,
wurden aber wegen der Kriegswirren
nicht mehr für die Zucht heran-
gezogen. Sayaguesas sind für sich
gesehen oft schon auerochsenähn-
licher als Heckrinder. Es sind Mehr-
nutzungsrinder, die nur noch sehr
vereinzelt in Spanien gehalten wer-
den. Auf mehreren „Expeditionen“
in die Provinz Zamora konnten wir
mit Hilfe spanischer Veterinäre etwa
zehn Sayaguesa-Kühe kaufen. Die
Chianinas aus Italien sind die größte
Rinderrasse der Welt und daher hilf-
reich, um die Größe der Auerochsen       Das Augsburger Ur-Bild ist die wohl realistischste Abbildung eines Auerochsen
zu erreichen. Zwei Chianinas haben       aus dem späten Mittelalter, es zeigt wohl einen Jungstier.
wir aus Italien importiert sowie zwei
                                                                                                                          Foto: M. Scharf

in Norddeutschland gekauft.
    Eine Kombination der erwünsch-
ten Eigenschaften bei den Kälbern
ist allerdings weniger häufig, als man
sich das wünscht. Oft tauchen beim
Nachwuchs z.B. die kurzen Beine
der Heckrinder in Verbindung mit
den kurzen Hörnchen der Chianinas
auf, so dass mit diesen Tieren nicht
weitergezüchtet wird. Es ist einfach
ein sehr langer Weg, bis man Rinder
hat, die dem Auerochsen wirklich
gleichen.
    Nach unseren Kenntnissen wurde
bislang nirgendwo anders im glei-        Die Kuh Larissa hat mit fast 1,60 m Schulterhöhe etwa die Größe einer
chen Umfang wie bei uns mit diesen       Auerochsen-Kuh. Die Hörner haben die richtige Ausrichtung, sind aber zu klein.
Rassen gezüchtet. Gleichzeitig ist       Larissa könnte auch etwas eleganter gebaut sein.

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                                                        bei Büecke in der Nähe von Soest.           Im Herbst werden nach Diskussion

                                      Foto: M. Scharf
                                                        Insgesamt sind es mehr als 300 ha        der sogenannten „Genetik-Kommis-
                                                        Weidefläche.                             sion“ die Tiere auswählt, die bleiben
                                                                                                 dürfen. Kein Tier zeigt die optimale
                                                        Wer darf bleiben?                        Kombination aller Eigenschaften
                                                        Alle Tiere, die halbwegs wie ein         oder hat rundum vielversprechende
                                                        Auerochse aussehen und halbwegs          Eltern, so dass die Entscheidungen
                                                        friedlich sind, ohne dass die maxi-      immer von einem gewissen Maß an
                                                        male Größe der Herde überschritten       Willkür geprägt sind.
                                                        wird, dürfen bleiben. Die maximale
                                                        Anzahl wird durch die Entwicklungs-      Wie weit sind wir vom per-
                                                        ziele der Flächen vorgegeben, die        fekten Auerochsen-Double
                                                        Ähnlichkeit zum Auerochsen wird          entfernt?
                                                        anhand der Vorbilder ermittelt:          Diese Frage lässt sich am einfachs-
                                                        1. mittelalterliche Beschreibungen       ten für die einzelnen Eigenschaften
                                                          wie z.B. Geßners Tierbuch, wo          beantworten.
                                                          Augenzeugen das Aussehen der
                                                                                                 1. Größe
                                                          letzten lebenden Auerochsen
                                                          beschreiben.                              Ausgewachsene Bullen hatten
                                                                                                 eine Schulterhöhe von etwas über
                                                        2. Das sogenannte Augsburger Ur-
                                                                                                 1,75 m bis 1,85 m, während Kühe
                                                          Bild mit seiner recht realistischen
                                                                                                 etwa 1,60 m groß waren, wie es sich
                                                          Abbildung des Auerochsen.
                                                                                                 aus Skelettfunden nacheiszeitlicher
                                                        3. Skelettfunde, die recht gut Aus-      Auerochsen rekonstruieren lässt.
                                                          kunft über Größe, Hornform und         Die Bullen der im Naturschutz oft
Es ist schwierig, die Größe der                           andere Proportionen geben.             verwendeten Galloways und High-
Tiere genau zu messen. Das mal ein
                                                        4.Höhlenzeichnungen wie die aus          land-Rinder haben eine Schulterhö-
Bulle stillhält, um einen Zollstock
anzulehnen, ist selten.                                   Lascoux mit ihren Farben und           he von etwa 1,35 m bzw. 1,28 m.
                                                          Silhouetten der Auerochsen.            Heckrinder sind etwa 1,40 m groß.
die Dauer der übrigen Projekte, die
ebenfalls mit Chianinas und Sayague-

                                                                                                                                           Foto: M. Scharf
sas züchten, wesentlich kürzer als
bei uns. Sehr gute Zuchterfolge sind
daher vor allem in unseren Herden
zu finden.

Zuchtergebnisse nach 28
Jahren
Aktuell (November 2018) weiden
insgesamt 111 Rinder auf unseren
Flächen. Durch Schlachtung und
Verkauf wird die Zahl im Winter
auf etwa 85 sinken. Seit 1991 haben
wir etwa 650 mehr oder weniger
auerochsenähnliche Rinder auf
unseren Flächen gehabt. Davon
wurden etwa 300 an andere Züchter
verkauft. Das waren u.a. Züchter in
Ungarn (Nationalpark Hortobagy
in der Puszta), den Niederlanden,
Dänemark und Litauen sowie viele
Züchter in Deutschland. Aktuell
halten wir die Rinder in vier Herden                    Unten der etwa 5000 Jahre alte Schädel eines Auerochsen-Bullen, gefunden bei
in der Lippeaue und eine auf dem                        Schallern. Oben der Schädel eines unserer schönsten Bullen. Die Hornform
ehemaligen Standortübungsplatz                          stimmt, aber die Größe der Hörner lässt zu wünschen übrig.

                                                                                                                   ABU info 41-42 (2019)
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Große Chianina-Bullen erreichen

                                                                                                                           Foto: M. Scharf
eine Schulterhöhe von etwa 1,75
m. Unsere größte Kuh mit über 50
Prozent Chianina-Anteil hat eine
Schulterhöhe von etwa 1,60 m. Das
ist schon Auerochsen-Format und die
größte Kuh, die uns auch von anderen
Züchtern bekannt ist.

2. Hornform und Horngröße
   Die Hornform ist nur schwer in
Worte zu fassen. Größe und Dicke
der Hörner liegt bei den Auerochsen
jedenfalls wesentlich über dem, was
fast alle Heckrinder zu bieten haben.
Ein gutes Vorbild ist ein Schädel mit
Hörnern, der bei Schallern gefun-
den wurde und im Vortragsraum
der ABU in Lohne ausgestellt ist.
Keines unserer Tiere erreicht dieses
Vorbild, und es ist noch viel Geduld
von Nöten, bis dieses           Merk-
mal einigermaßen stabil in unseren
Herden auftritt. Insbesondere der
Nachwuchs mit Chianina-Einschlag
zeigt hier große Mankos. Auch un-
sere Sayaguesas haben eher dünne
Hörner, obgleich sie recht lang sind.

                                                                                                                           Foto: M. Scharf
3. Fellfarbe
   Das Fell der Bullen sollte Schwarz
sein mit einem hellen Aalstrich auf
dem Rücken. Kühe sollten braun
oder schwarz sein, mit hellem
Mehlmaul bei jungen Tieren. Außer
den jungen Chianinas erfüllen viele
unserer Tiere diese Anforderungen.
Die weiße Farbe der Chianinas ist
offenbar rezessiv auf einem Gen und
verschwindet theoretisch schnell in
der F1-Generation, taucht danach
aber, entgegen der Theorie, öfter
wieder auf.

4. Körperbau
   Moderne Rinderrassen sind ent-
weder auf Fleisch oder auf Milch
gezüchtet und dementsprechend
schwer gebaut oder haben große
Euter. Die Auerochsen waren elegant     Laola (oben) hat eine sehr schöne Hornform, wobei die Dicke ihrer Hörner
gebaute, bewegliche Tiere. Vor allem    noch zu wünschen übrig lässt. Sie ist ein Kreuzungstier mit den Ausgangsrassen
                                        Chianina, Heckrind und Sayaguesa. Auch die untere Kuh hat diese
die Sayaguesas aus Spanien sind
                                        Ausgangsrassen. Ihre Hörner würden einem Auerochsen gut stehen. Auch das
als alte Mehrnutzungsrinder geeig-      lange Gesicht beider Tiere ist typisch für einen Auerochsen, während die meisten
net, diese Eigenschaften in unsere      Hausrinder kurze Gesichter haben.
Zuchtlinie einzukreuzen. Wir haben
auch drei Lidias eingekreuzt und

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verfolgen diese Zuchtlinie in einigen

                                                                                                                               Alle Fotos: M. Scharf
Exemplaren weiter. Lidias sind spa-
nische Kampfrinder, die seit einigen
Jahrhunderten auch auf Eleganz und
Beweglichkeit gezüchtet werden.
Leider sind sie auch sehr klein, so dass
ihre Einkreuzung in dieser Hinsicht
eher einen Rückschritt bedeutet.
    Ein wichtiges Merkmal ist das
lange „Gesicht“ der Auerochsen.
Moderne Rassen haben einen
kurzen, gedrungenen Kopf und es
ist schwierig, dieses Merkmal züch-
terisch entsprechend abzuändern.

5. Sexualdimorphismus
   Vor allem in Größe und Färbung
zeigten die Geschlechter des Auero-        Unter unseren ersten Sayagusas, die wir in Spanien kauften, war Dona urraca,
chsen große Unterschiede. Während          die „121“. Ihr langes Gesicht, ihre Größe und Hornform gehen deutlich in die
Bullen etwa 1,75 m bis 1,85 m              Auerochsen-Richtung.
Widerristhöhe hatten, wurden die
Kühe nur etwa 1,60 m groß. Unsere
größte Kuh hat etwa diese 1,60 m an
Größe und damit Auerochsenformat,
während bei unserem größten Bullen
etwa 10 cm fehlen.

6. Verhalten
   Von verschiedenen mittelalter-
lichen und antiken Autoren wird
die Wildheit und Gefährlichkeit der
Auerochsen beschrieben. Sollte das
ein Zuchtziel für uns sein? Eigentlich
schon, aber für den notwendigen
Umgang mit den Tieren ist die Wild-
heit der Auerochsen eine Zumutung.
Sie ist wahrscheinlich -leider- mit
anderen Merkmalen des Aueroch-
sen genetisch gekoppelt, so dass sie
schnell mit diesen Merkmalen auch          Es gibt immer nur einen Deckbullen. Wie ihre wilden Vorfahren streiten sich
wieder auftritt. Es gibt daher bei der     diese beiden um die Position des Deckbullen. Solche Kämpfe können auch
Zucht immer wieder wilde oder sogar        tödlich enden.
bösartige Tiere, die sehr schön, d.h.
auerochsenähnlich aussehen. Trotz

Die Bullen schwarz mit hellem Alstrich und die Kühe schwarz oder braun: so waren die Fellfarben der Auerochsen. Und so
sehen unsere Rinder in der Hellinghauser Mersch aus.

                                                                                                       ABU info 41-42 (2019)
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ihrer Schönheit werden diese Tiere        schöne Eltern bekommen regelmäßig         dass ein geringes Maß an Inzucht
meist nicht zur Zucht verwendet,          Nachwuchs, der die Erwartungen in         sinnvoll ist, ohne dass die negativen
um Gefahren im Umgang mit ihnen           keinster Weise erfüllt. Auch treten       Begleiterscheinungen überhand
auszuschließen. Letztlich bedeutet        gelegentlich weiße Flecken im Fell        nehmen. Wie viele Jahrzehnte und
dies, dass die Zucht in Richtung          wie z.B. bei schwarzbunten Rindern        Rindergenerationen es noch dauert,
Auerochse langsamer von statten           auf, obwohl die Eltern offensichtlich     bis unsere Rinder wirklich aussehen
geht, als es ohne Berücksichtigung        keine Flecken haben. Durch Inzucht        wie Auerochsen, bleibt ungewiss.
der Wildheit möglich wäre. Anson-         werden diese Probleme in der Tier-        Momentan sind wir sicherlich in
sten gibt für das Verhalten keine         zucht üblicherweise vermindert.           der Oberliga der „Auerochsenzüch-
expliziten Zuchtziele, die sonderlich     Viele Hunderassen sind so durch           ter“. Es ist gut möglich, dass wir die
berücksichtigt werden müssen.             konsequente Inzucht über Genera-          schönsten Herden auerochsenähn-
                                          tionen entstanden. Gleichzeitig aber      licher Rinder haben. Vor allem in
                                          vermindert sich durch Inzucht die         den Niederlanden aber gibt es in den
Wie geht es weiter mit der
                                          genetische Varianz, was die Tiere         letzten Jahren ähnliche Ansätze wie
Zucht?                                    z.B. anfälliger für Krankheiten macht.    bei uns, und vielleicht lässt sich durch
Neben den oben beschrieben                Durch die vier verwendeten Rassen         eine Zusammenarbeit in Zukunft die
Mängeln in Größe, Hornform und            (Sayaguesa, Heck, Chianina und            Zucht beschleunigen.
Körperbau stört vor allem noch die        Lidia) haben unsere Tiere erst einmal
Divergenz unserer Zucht. Wunder-          eine breite genetische Grundlage, so

Auf der Wacht! Die Auerochsen und Wildpferde sind ein imposanter Anblick, der viele Besucher fasziniert. Gleichzeitig
verhindern sie störende Freizeitnutzungen in wertvollen Naturschutzgebieten.

ABU info 41-42 (2019)
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Insekten - Ungeziefer oder unverzichtbar?
von Henning Vierhaus

Stechmücken sind für uns eher lästige Plagegeister.                                                                               Foto: Henning Vierhaus

Einleitung                                 Rückgang der Insekten                                            vieler Insektenpopulationen welt-
                                                                                                            weit, verbunden mit der Würdigung
In den Medien und damit auch in            Über den tatsächlichen Rückgang
                                                                                                            der Forschungen der Krefelder um
den Köpfen vieler Menschen ist             von Insektenbeständen in Teilen
                                                                                                            Martin Sorg. So gelangte ins Bewusst-
inzwischen angekommen, dass es             Deutschlands wurden wir in der
                                                                                                            sein der Öffentlichkeit, dass Insekten
ein ‚Insektensterben’ gibt. Und das        ABU bereits im März 2016 durch Dr.
                                                                                                            mehr sind als nur Ungeziefer, dass
soll schlimm sein. Aber mal ehrlich,       Martin Sorg informiert. Es sind die
                                                                                                            sie vielmehr entscheidende Beutung
ist es nicht viel besser so, dass man      Besorgnis erregenden Feststellungen
                                                                                                            für alle Lebensgemeinschaften auf
nicht ständig von Fliegen belästigt        einer langfristigen Untersuchung
                                                                                                            der Erde haben, und ihr Rückgang
wird, Mücken einem vom Leibe               zur Menge fliegender Insekten am
                                                                                                            nicht ohne böse Folgen auch für den
gehalten werden und Schadinsekten          Niederrhein durch eine Gruppe von
                                                                                                            Menschen bleiben dürfte.
nicht mehr ganze Ernten vernichten?        in Krefeld ehrenamtlich arbeitenden
Überhaupt, da wurde jüngst im Lan-         Entomologen, also Insektenkundlern.
                                                                                                            Die „Krefelder Studie“
de eine ‚Taskforce Käfer’ eingerichtet.    Der Aufruhr in der Presse über die
Offenbar gibt es sogar kriminelle          erschreckenden Befunde entstand                                  Auf untersuchten offenen Na-
Käfer, die es zu bekämpfen gilt. Und       allerdings erst, nachdem diese Er-                               turschutzflächen im nördlichen
schließlich, sterben Insekten nicht        gebnisse, statistisch gesichert, im                              Rheinland verringerte sich von 1989
sowieso? Eintagsfliegen leben doch,        Herbst 2017 in einer renommierten                                bis 2013 die schiere Masse der flie-
wie der Name schon sagt, immer nur         wissenschaftlichen Zeitschrift veröf-                            genden Insekten um über 75%. In
einen Tag lang, oder?                      fentlicht wurden. Und jüngst erschien                            anderen Teilen Deutschland ist der
                                           im New-York-Times-Magazin sogar                                  Rückgang der Insekten gleichfalls
                                           ein langer Bericht über den Einbruch                             deutlich spürbar, auch wenn er nicht
                                                                                                            so gut dokumentiert ist, wie durch die
                                                                                                            „Krefelder Studie“ und der Einschnitt
Die Honigbiene ist das Paradebeispiel des nützlichen Insektes.
                                                                                                            in die Insektenbestände lokal, etwa
                                                                                   Foto: Henning Vierhaus

                                                                                                            in Wäldern, weniger ausgeprägt
                                                                                                            sein kann. Ein fast jedem bekanntes
                                                                                                            Indiz für die bedenkliche Abnahme
                                                                                                            heimischer Insekten ist übrigens, dass
                                                                                                            heute, anders noch als vor wenigen
                                                                                                            Jahrzehnten, die Windschutzschei-
                                                                                                            ben unserer Autos nach längeren
                                                                                                            Überlandfahrten kaum noch mit
                                                                                                            Insektenresten verklebt sind.
                                                                                                               Der Rückgang betrifft nicht nur
                                                                                                            die Gesamtmenge aller Insekten,
                                                                                                            vielmehr sind viele ehemals häufige
                                                                                                            Arten selten geworden oder haben

                                                                                                                              ABU info 41-42 (2019)
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sich, meist unbemerkt, aus Teilen          rend ihres Lebens auf zwei verschie-

                                                                                                                                   Foto: Henning Vierhaus
ihres Verbreitungsgebietes verab-          dene Lebensräume angewiesen ist,
schiedet. Besonders betroffen sind         einmal der für die flugunfähigen
davon große Insektenarten und For-         Larvenstadien, zweitens der für die
men, die an spezielle Lebensräume          ausgewachsenen, beflügelten und
wie nährstoffarme Böden gebunden           fortpflanzungsfähigen Tiere, die Ima-
sind. So sind in NRW etwa manche           gines, ist offensichtlich kein Nachteil.
Hummelarten verschwunden und               Schließlich ist die Vermehrungsrate
unter den Schmetterlingen sind z.B.        der meisten Arten enorm, sodass von
Trauermantel und Großer Fuchs sehr         Fall zu Fall schnelle Anpassungen an
selten geworden. Warzenbeißer, eine        neue Lebensbedingungen und Spezi-
Heuschreckenart und der Heidelauf-         alisierungen auf bestimmte oder neue
käfer sind weitere Beispiele.              Lebensbereiche möglich werden.
                                           Daher sind Insekten allgegenwärtig
                                           und auch stets da, wo wir Menschen
Phänomen Insekten
                                           sie nicht gerne hätten. Zu ihrer Viel-
Aber was sind das für Tiere, um die        falt gehört gleichfalls die Nutzung
solch ein Aufheben gemacht wird?           ausgefallener Nahrungsquellen.
Um Zugang zum Phänomen „Insek-             Beispielsweise bedeutete die Ent-
ten“ zu bekommen, wollen wir uns                                                         Die meisten Insekten sind klein und
                                           wicklung parasitischer Lebensweisen
                                                                                         unscheinbar. Diese Gichtwespe
einen Eindruck von den wesentlichen        ein völlig neues „Tätigkeitsfeld“. So         (Gasteruption spec.) pararasitiert
Eigenschaften dieser sechsbeinigen         hat die Evolution alleine unter den           Maskenbienen.
Kerbtier-Verwandtschaft verschaffen.       über 570 in Deutschland nachge-
   Das Bauprinzip der Insekten ist         wiesenen Wildbienenarten fast 140             Insektenzahlen
offensichtlich ein Erfolgsmodell, hat      Brutschmarotzer hervor gebracht.
man doch bislang auf der Erde mehr             Fliegen, Mücken, Bienen, Wespen,          Die Zahl der in Deutschland nachge-
als 1 Millionen verschiedene Arten,        Hummeln, Ameisen, Heuschrecken,               wiesenen Insektenarten liegt bei über
deren Größe zwischen einem Mil-            Schaben, Läuse, Flöhe, Wanzen,                30 000. Unter denen ist alleine der
limeter und mehreren Zentimetern           Käfer, Schmetterlinge, Motten, Ohr-           Umfang einiger Insektenordnungen
liegt, entdeckt und beschrieben. Die       würmer, Libellen, das sind Namen,             beeindruckend:
wahre Zahl der Arten ist sicher um ein     die fast jeder kennt, aber nur Wenige
Vielfaches höher. Insekten machen          unter uns haben klare Vorstellungen           Fliegen und Mücken, sogenannte
damit fast die Hälfte der Biomasse         davon, was das für Tiere sind oder            Zweiflügler oder Dipteren: über
der gesamten Tierwelt aus.                 kann mit den Namen was anfangen.              9000 Arten,
   Das Flugvermögen der Kerbtiere          Vielmehr verbindet fast jeder mit             Schmetterlinge und Motten: ca.
ermöglicht ihnen den schnellen Ort-        Insekten nur die Vorstellung, dass            3600Arten,
wechsel etwa zu neuen Nahrungs-            das eher lästige oder gar schädliche          Käfer: fast 6000 Arten,
quellen sowie die zügige Ausbreitung       Mitbewohner unseres Planeten sind,            Hautflügler mit Bienen, Ameisen und
und Neubesiedlung von Gebieten.            auf die man gerne verzichten möchte,          Wespen: um 9000 Arten.
Dass die Mehrzahl der Arten wäh-           halt Ungeziefer.
                                                                                                                                 Foto: Ralf Joest

Zweimal dasselbe Tier: der C-Falter ist als Raupe ein             ... als „fertiger“ Falter aber ein beliebter Frühlingsbote.
hässliches Ekeltier,....

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                                                              nicht genug Fachleute für Insekten,     feld der Ballungsräume geschehen.

                                     Foto: Henning Vierhaus
                                                              die sich in dieser Vielfalt auskennen   Sehr nachteilig wirkt sich die Ratio-
                                                              und auch die kleinsten Arten ihrer      nalisierung und Intensivierung der
                                                              jeweiligen Spezialgruppe bestimmen      Bewirtschaftung von Äckern, Weiden
                                                              können. So ist es verständlich, dass    und Wiesen aus, was den verstärk-
                                                              wir über die Verbreitung, Biologie      ten Anbau von Energiepflanzen wie
                                                              und ihre Rolle im Naturhaushalt         Mais mit einschließt. Hierzu kommt
                                                              der meisten Insekten herzlich we-       der Einsatz hochwirksamer Pflan-
                                                              nig wissen. Besonders das Leben         zenschutzmittel wie die modernen
                                                              der flügellosen Jugendstadien, den      Neonikotinoide, um Schadinsekten
                                                              Larven, Raupen und Maden, bleibt        klein zu halten. Es lässt sich kaum ver-
                                                              beim Großteil der Arten weiterhin ein   meiden, dass diese Gifte auch Arten
                                                              Rätsel. Da mag es dann beruhigen,       töten, die nicht Ziel der jeweiligen
                                                              wenn man erfährt, dass den bereits      Maßnahmen sind. Auch der Einsatz
                                                              erwähnten geschlechtsreifen, flugfä-    von Herbiziden, die wahllos „Unk-
                                                              higen Eintagsfliegen doch eine mo-      räuter“ vernichten, beeinträchtigen
                                                              nate- sogar jahrelange Entwicklung      die Insektenwelt, wird dieser doch
Der Trauermantel ist selten                                   ihrer im Wasser lebenden Larven         dadurch ihre Nahrungsgrundlage
geworden.                                                     voraus gegangen ist.                    entzogen. Der hohe Eintrag von Stick-
                                                                 Immerhin erfreuen sich z. B.         stoff in die Böden durch Düngung
   Das ist, besonders im Vergleich
                                                              Heuschrecken und Großschmetter-         aber auch aus anderen Quellen ist
mit den rund 500 jemals in Deutsch-
                                                              linge, Gruppen mit bescheidenem         ebenfalls schädigend. Das geschieht
land festgestellten Vogel- und nur
                                                              Umfang, besonderen Interesses auch      unter anderem dadurch, dass auf
gut 100 Säugetierarten, unglaublich
                                                              von Personen, die keine studierten      nährstoffarme Böden angewiesene
viel. Das Interesse an und damit
                                                              Zoologen sind. Auch die attraktiven     Pflanzenarten, die wiederum Nah-
das Wissen über diese Tiergruppen
                                                              Libellen gehören dazu, wobei viele      rung für spezialisierte Insektenarten
weichen jedoch sehr von diesen
                                                              Menschen, völlig unbegründet,           sind, von Allerweltspflanzen ver-
Relationen ab. Das alte Standartwerk
                                                              Vorbehalte gegen diese angeblich        drängt werden. Offenbar bekommt
der Tierkunde „Brehms Tierleben“ (4.
                                                              stechenden „Teufelsnadeln“ haben.       vielen Insekten auch ihre gewohnte
Auflage 1913) spiegelt dieses Missver-
                                                                                                      pflanzliche Spezialnahrung nicht
hältnis drastisch wider. Während nur
                                                                                                      mehr, wenn diese im Gefolge der
einer von den 13 Bänden Insekten                              Gründe für die Abnahme
                                                                                                      Düngung einen höhern Anteil an
einschließlich der Spinnenverwandt-                           Es gibt viele Gründe für die Abnah-     Stickstoffverbindungen aufweist.
schaft behandelt, beanspruchen                                me der Insekten. In erster Linie ist    Und wenn Gülle aus von herkömm-
Säugetiere und Vögel alleine acht                             es der weiter zunehmende Mangel         lich gehaltenem Vieh in Natur-
Bände. Dass das heute nicht viel                              an geeignetem Lebensraum, also          schutzgebieten ausgebracht wird,
anders aussieht zeigt die aktuelle                            das Verschwinden naturnaher und         schadet nicht alleine die Düngung
Rote Liste von Nordrhein-Westfalen.                           chemisch unbelasteter Landschaften.     diesen Flächen, sondern Reste von
Den 387 Wirbeltierarten sind 190                              Der Verlust von extensiv genutzten      Medikamenten, die den Rindern oder
Seiten gewidmet, während die viele                            Obstwiesen und die Abnahme von          Schweinen gegeben wurden, können
Tausende heimischen Insektenarten                             Ruderalflächen sind Beispiele dafür,    so in diese Bereiche gelangen und die
nur 315 Seiten füllen. Es gibt längst                         Veränderungen die verstärkt im Um-      dortige Organismenwelt beeinträch-

Viele moderne Gärten bieten kaum Platz für Insekten - naturnahe Wildpflanzenbeete dagegen locken viele Insekten an.
                                                                                                                           Fotos: Henning Vierhaus

                                                                                                                         ABU info 41-42 (2019)
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tigen. Die ungebremste Erweiterung

                                         Foto: Henning Vierhaus
von Siedlungs- und Verkehrsflächen
raubt vielen Insektenarten den Le-
bensraum und die einem fragwür-
digen Ordnungsideal verpflichtete
Pflege der Grünflächen in Städten
und Dörfern gestaltet sich üblicher-
weise nicht insektenfreundlich.
   Auch die Autos im enorm zu-
genommen Straßenverkehr haben
sicherlich mit zu einer Minderung der
Insektenmenge beigetragen. Ferner
sind die Windräder zu nennen, deren
Leistungsfähigkeit nach geraumer                                  In den Gärten könnten viele Insekten leben:
Zeit nachlässt, weil sich an den                                  Diese Wollbiene ist auf den Gartenziest als Futterpflanze spezialisert.
Kanten der Rotorblätter ein Film aus
                                         Foto: Ralf Joest

ungezählten getöteten Insekten des
„Luftplanktons“ gebildet hat. Und auf
Pferdeweiden hängen merkwürdige
glockenähnliche Gebilde, die den
Rössern lästige Bremsen weg fangen
sollen, aber auch sehr viele andere
Insekten in diese tödlichen Fallen
einsammeln. Schließlich lockt die
allgegenwärtige nächtliche Lichter-
flut Insekten an, die an den Lampen
doch wohl eher umkommen als dass
sie dort Nahrung finden.
   Die sich abzeichnende Klimaän-
derung lässt sich als Erklärung für
die Abnahme allerdings schwerlich
bemühen, mögen es die wechsel-
warmen Insekten doch lieber wär-
                                                                  Blühende Ackerränder sind Insektenlebensräume in der Agrarlandschaft.
mer. Eher sorgen die zunehmend
höheren Temperaturen dafür, dass                                  gehören Heiden und Trockenrasen             nen. Auch in jedem (Vor-) Garten
etwa manche Wärme liebende                                        sowie Sümpfe, Moore und intakte             gibt es genügend Möglichkeiten um
Heuschreckenart häufiger wird oder                                Ufervegetationen.                           der Natur freien Lauf zu lassen. Der
bislang auf den Süden beschränkte                                    Weiterhin muss die Menge der             sterile, wenigstens einmal in der
Insekten einwandern und einge-                                    Pflanzenschutzmittel, in erster Li-         Woche gemähte Rasen dagegen ist
schleppte Exoten sich bei uns breit                               nie Insektizide, in der Landschaft          kein Lebensraum für Insektenvielfalt.
machen können.                                                    drastisch herunter gefahren werden,         Da, wo ernsthaft begründet, doch
                                                                  was aber kaum ohne Änderungen in            gegen bestimmte Insektenarten
Was ist zu tun?                                                   den derzeit üblichen landwirtschaft-        lokal vorgegangen werden muss,
Auch wenn weitere Untersuchungen                                  lichen Arbeitsweisen erreicht werden        ist sicher zu stellen, dass solch ein
zur Entwicklung von Insektenpopu-                                 kann. Um Naturschutzgebiete sind            gezielter, vorübergehender Einsatz
lationen notwenig sind und dabei                                  wirksame Pufferzonen auszuweisen,           nicht andere Arten und angrenzende
die Klärung der für die Abnahme                                   damit wenigstens diese geschützten          Gebiete schädigt.
entscheidenden Ursachen Vorrang                                   Flächen keine Einträge von schädi-              Die Anlage von Streifen entlang
hat, ist es noch viel dringender der                              genden Stoffen über die Luft oder           von Feldern, die nicht gedüngt und
Insektenwelt unmittelbar zu helfen                                das Wasser erleiden. Kleine und             mit Pflanzenschutzmitteln behan-
und den Rückgang aufzuhalten. Da-                                 große ungenutzte Flächen bedürfen           delt werden, bieten heimischen
für sollte es selbstverständlich sein,                            nicht zwingend Pflege, sie müssen           Blütenpflanzen, wie Feldrittersporn,
dass die in der Landschaft verblie-                               verstärkt sich selbst überlassen wer-       Erdrauch und anderen für Äcker ty-
benen Reste von Sonderstandorten                                  den, sodass hier ungestört naturnahe        pischen Arten notwendige Wuchsbe-
wirksam geschützt und möglichst                                   Lebensgemeinschaften bestehen               dingungen. Und von diesen Pflanzen
wieder vergrößert werden. Dazu                                    oder sich wieder entwickeln kön-            profitiert wiederum eine Vielzahl von

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                                                                                                             errechneten 500 Milliarden Dollar

                                                                                  Foto: Henning Vierhaus
                                                                                                             pro Jahr machen mehr Eindruck als
                                                                                                             irgendeine verloren gegangene Zika-
                                                                                                             denart. Tatsächlich kann es aber beim
                                                                                                             notwendigen Schutz der Insekten
                                                                                                             nicht nur um Blütenbestäuber und
                                                                                                             erst recht nicht nur um Honigbienen
                                                                                                             und deren Nutzen für uns Menschen
                                                                                                             gehen.

                                                                                                             Nützlich - schädlich
                                                                                                             Damit sind wir wieder bei der Nütz-
                                                                                                             lich-Schädlich-Einteilung der Tier-
                                                                                                             und Pflanzenwelt. Auf die Insekten
                                                                                                             bezogen heißt das bis heute, es
                                                                                                             gibt einerseits schützenswerte oder
Ein „schädlicher“ Käfer: Fraßgänge der Larven des Buchdruckers. Diese Art kann                               attraktive Arten und andererseits
erhebliche Forstschäden verursachen.
                                                                                                             ärgerliches und unnützes Ungeziefer.
Blüten besuchenden Insekten. Wenn         kung der letzt genannten Maßnah-                                   Auf der Grundlage dieser Bewertung
auf diesen Flächen - und nicht nur auf    men sind begrenzt und sie sollen                                   erfolgten in der Vergangenheit Unter-
diesen sondern wenigstens in Teilen       meist vorrangig Blüten besuchende                                  schutzstellungen von Artengruppen.
eines Gartens – zusätzlich weitere        und bestäubende Insekten fördern.                                  So erklärt sich der schon lange beste-
Blütenpflanzen ausgesät werden,           Oft profitieren allerdings nur Honig-                              hende Naturschutz für Fleder- und
sollte man auf exotische Arten ver-       bienen davon und die vielen drin-                                  Spitzmäuse aus deren Ernährungsge-
zichten, denn mit denen können die        gend schutzbedürftigen Wildbienen                                  wohnheiten. Ihr ‚Täglich Brot’ sind
heimischen Insekten auf Grund ihrer       und weitere Insektenarten haben                                    Insekten, und damit sind diese Tiere
Spezialisierung oft nichts anfangen.      gegenüber diesem sowieso ums-                                      nützlich und schützenswert. Was-
All diese Maßnahmen wären dann            orgten ‚Haustier’ das Nachsehen.                                   serspitzmäuse waren übrigens von
ein wertvoller Beitrag zur Bewah-         Gerade im vergangenen Sommer                                       diesem Schutz ausgenommen, da
rung der Tier- und Pflanzenwelt in        2018 war die erdrückende Domi-                                     sie ja hin und wieder Fische fressen.
Deutschland und entsprechen damit         nanz der Honigbienen an blühenden                                  Für die meisten Insekten fressenden
bestens den Zielen der ‚Nationalen        Gartenpflanzen besonders auffällig.                                Singvögel gilt ähnliches, allerdings
Biodiversitätsstrategie’ (NBS). Soge-        Diese dennoch sinnvollen Maß-                                   sind diese außerdem nett anzusehen
nannte Bienen- oder Insektenhotels        nahmen gelten offensichtlich in                                    und anzuhören – und damit irgend-
sind gleichfalls Instrumente um die       erster Linie den in unseren Augen                                  wie zusätzlich nützlich. Solch eine
Bestände vieler Wildbienenarten           nützlichen Tieren. So wird dann vor-                               Unterscheidung in Gut und Böse
zu sichern. Allerdings machen sie         gerechnet, welchen ökonomischen                                    aus der Sicht des Menschen, sollte
nur Sinn, wenn es in deren Umfeld         Wert Insekten als Bestäuber von                                    beim wohl verstandenen, moder-
ein hinreichendes Angebot an blü-         Rapsblüten, Obstbäumen und wei-                                    nen Naturschutz längst keine Rolle
henden (Wild-) Pflanzen gibt.             teren Nutzpflanzen haben. Zuge-                                    mehr spielen, vielmehr geht es um
   Der Umfang und damit die Wir-          geben, die laut einigen Quellen so                                 die Schutzbedürftigkeit von Tieren
                                                                                                             oder Pflanzen.
                                                                                    Foto: Henning Vierhaus

Ein „nützlicher“ Genosse: Der Mistkäfer sorgt für den Abbau von Mist.                                           Aber bleiben wir mal bei dieser
                                                                                                             üblichen Sichtweise. Sind Blau- und
                                                                                                             Kohlmeisen denn wirklich nützlich?
                                                                                                             Können Meisen erkennen ob sie
                                                                                                             gerade ein Schadinsekt fressen oder
                                                                                                             ob es vielleicht ein nützliche Art
                                                                                                             oder gar die Raupe eines schönen
                                                                                                             Schmetterlings ist, die sie verzehren
                                                                                                             wollen? Nach der allgemeinen Ein-
                                                                                                             schätzung, dass die überwiegende
                                                                                                             Mehrheit der Insekten eigentlich
                                                                                                             schädlich ist, kann eine Meise kei-
                                                                                                             nen Fehler machen. Und bei einer
                                                                                                             echten Insektenkalamität fressen

                                                                                                                               ABU info 41-42 (2019)
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sich die nützlichen Meisen dann an

                                        Foto: Henning Vierhaus
den massiv auftretenden Raupen
etwa des Eichenwicklers satt und
bekämpfen damit ohne sich ihrer
verantwortungsvollen Leistung be-
wusst zu sein, diesen Schädling.
Jedoch sind unter ihren Beutetieren
viele dabei, die bereits mit den Ei-
ern einer Schlupfwespe oder einer
Raupenfliege parasitiert wurden,
deren Larven dann die Raupe töten
und damit weit erfolgreicher die
Zahl der Eichenwickler dezimieren.
Und nicht nur das, sie verhindern
dadurch auch die wünschenswerte
Vermehrung solcher Raupenpara-
siten. Also behindern die Meisen                                 Die Wespenbiene ist ein Brutparasit.
ungewollt die natürliche, biologische                               Die Blüten bestäubenden Insekten         als Parasiten oder Brutschmarotzer.
und viel wirksamere Kontrolle von                                bilden nur eine wenn auch wichtige          Diese Verhaltensweisen wurden in
in unseren Augen unerwünschten                                   Facette ihres Wirkens. Viel elemen-         mehreren Insektenordnungen un-
Insektenpopulationen. Auf diese                                  tarer ist ihre Stellung im Stoffkreislauf   abhängig voneinander entwickelt.
vertrackte Beziehung und die damit                               der Organismen. Als sogenannte              So gibt es innerhalb der Zweiflüg-
verbundene nicht sachgerechte Ein-                               Konsumenten erster Ordnung sind             ler, den Dipteren, blutsaugende
schätzung vieler Singvögel als nütz-                             sehr viele Insektenarten Pflanzenfres-      Stechmücken sowie Bremsen und die
lich machte vor über hundert Jahren                              ser wie z. B. Heuschrecken, Blattläu-       Larven der Dasselfliegen entwickeln
bereits Alexander Bau aufmerksam,                                se oder Borkenkäferlarven. Letztere         sich sogar in der Haut von Rindern.
ein Ornithologe, der zugleich aber                               sind die gefürchteten „Buchdrucker“         Auch in der Wanzenverwandtschaft
auch Entomologe war. Bei den Vo-                                 und „Kupferstecher“, denen die              finden sich einige Vertreter wie die
gelliebhabern damals machte er sich                              bereits genannte „Taskforce Käfer“          Bettwanze, die auf Wirbeltierblut
durch diese Überlegungen äußerst                                 galt. Solche Insekten verbrauchen           angewiesen sind. Zur Ordnung der
unbeliebt.                                                       und vernichten damit das, was die           Flöhe gehören dagegen ausschließ-
   Dieses Beispiel macht deutlich,                               Vegetation aus Wasser und Kohlendi-         lich parasitisch lebende Formen.
wie schwer oder wenig sachge-                                    oxid und weiteren anorganischen             Große Bedeutung haben Insekten-
recht es ist, sich mit diesem ein-                               Verbindungen unter Einsatz der              arten, welche wie Schmeißfliegen
fachen Schwarz-Weiß-Denken                                       Sonnenenergie aufgebaut hat. Man            oder Totengräberkäfer und in den
‚Nützlich-Schädlich’ durch die                                   könnte das ihren Beitrag dazu anse-         Tropen die Ameisen, oft effektiver
ökologische Zusammenhänge,                                       hen, dass „die Bäume nicht in den           als das Geier vermögen, Kadaver
speziell im Bereich der Insekten,                                Himmel wachsen“. Entweder werden            verdauen, zersetzen und damit deren
zu hangeln. Und erst recht kann es                               diese Insekten selbst wieder schnell        verwertbare Stoffe wieder über den
nicht gut gehen, wenn man das In-                                über ihren Kot oder Verwesung ihrer         Erdboden den Pflanzen zuführen.
sektensterben nur auf der Grundlage                              toten Körper mineralisiert oder sie         Hier sei auch an die „gemeinnützige“
dieser schlichten Sichtweise und dem                             werden zur Nahrung beispielswei-            Reinigungstätigkeit etwa von Mistkä-
mangelhaften Wissen über die Bio-                                se von Spinnen, Schwalben oder              fern und Dung- sowie Goldfliegen
logie und Ökologie dieser immens                                 Fledermäusen. Räuberische Insek-            erinnert, die sich über die Hinterlas-
wirksamen Tiergruppe aufhalten will.                             tenarten gibt es ebenfalls in großer        senschaften vieler Tiere hermachen.
                                                                 Zahl. Zum Beispiel werden Blattläuse        Ein spektakuläres Beispiel für die
Bedeutung der Insekten                                           von den Larven der Schwebfliegen            Bedeutung von Insekten in dieser
Aufgrund ihres dominierenden                                     oder von Marienkäfern gefressen,            Sache war das „Kuhfladenproblem“
Anteils an der Tierwelt, der damit                               Hornissen und viele andere We-              Australiens. So verschwanden immer
verbundenen Allgegenwart und ihrer                               spenarten jagen Fliegen und der             größere Teile von Weiden unter
enormen Formenvielfalt mit Anpas-                                Bienenwolf, eine Grabwespenart,             einem Teppich von vertrocknetem
sungen an die verschiedenartigsten                               erbeutet bevorzugt Honigbienen.             Dung der eingeführten Rinder, da
Lebensbedingungen haben Insekten                                 Selbst in manchen menschlichen              dieser nicht von der dortigen Käfer-
einen entscheidenden Einfluss auf                                Gesellschaften stehen Insekten und          fauna verwertet werden konnte. Erst
und eine elementare Bedeutung für                                deren Entwicklungsstadien auf der           aus Afrika eingebrachte Dungkäfer
das Leben auf der Erde.                                          Speisekarte. Sehr viele Arten leben         sorgten für eine Entspannung dieser

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                                                                                                          miss(t)lichen Lage.

                                                                                 Foto: Henning Vierhaus
                                                                                                             Es gibt auch freundliche Bezie-
                                                                                                          hungen, sogenannte Symbiosen,
                                                                                                          zwischen verschiedenen Insekten-
                                                                                                          arten. Das bekannteste Beispiel
                                                                                                          sind Ameisen, die Blattlauskolonien
                                                                                                          pflegen und beschützen, von denen
                                                                                                          sie im Gegenzug deren zuckerhal-
                                                                                                          tigen Ausscheidungen melken und
                                                                                                          verzehren.
                                                                                                             Waldameisen können durch
                                                                                                          Ansammlungen von zahlreichen
                                                                                                          Ameisenhaufen der miteinander
                                                                                                          vernetzten Einzelkolonien zu Land-
                                                                                                          schaftsgestaltern werden. Das
                                                                                                          Landschaftsbild zu prägen vermögen
                                                                                                          allerdings Termiten mit ihren Bauten
                                                                                                          in manchen heißen Regionen der
Bestäuber: Die Blattschneiderbiene, eine solitäre Widlbiene beim Blütenbesuch.
                                                                                                          Erde weit besser. Termiten, Ameisen,
                                                                                                          Honigbienen sowie einige soziale
                                                                                                          Wespenarten zeichnen sich durch
                                                                                                          Bildung hochkomplexer Staaten aus,
                                                                                                          die man als Individuen einer höheren
                                                                                                          Ordnung betrachten kann.
                                                                                                             Bleibt schließlich noch ein weni-
                                                                                                          ger angenehmes Kapitel übrig, näm-
                                                                                                          lich dass besonders manche bluts-
                                                                                                          augenden Insekten hin und wieder
                                                                                                          Krankheiten übertragen. Beispiele
                                                                                                          hierfür sind die Stechmückenarten
                                                                                                          der Gattung Anopheles, die keines-
                                                                                                          wegs nur auf die Tropen beschränkt
                                                                                                          sind. Sie können bei ihrer Blutmahl-
                                                                                                          zeit die Erreger des Sumpffiebers, also
                                                                                                          der Malaria, weitergeben, und die
                                                                                                          afrikanischen Tsetsefliegen sind für
                                                                                                          die Verbreitung der Schlafkrankheit
Totengräber: Der Aaskäfer Rothalsige Silphe frisst Kadaver kleiner Tiere.
                                                                                                          sowie der Naganaseuche der Rin-
                                                                                                          der verantwortlich. Weiterhin sind
                                                                                                          Kriebelmücken, deren Larven sich
                                                                                                          in schnell strömenden Bächen und
                                                                                                          Flüssen entwickeln, die Vektoren
                                                                                                          der sogenannten Flussblindheit. So
                                                                                                          schlimm diese lebensgefährlichen
                                                                                                          Erkrankungen tatsächlich sind, die
                                                                                                          Anwesenheit von Insekten, die
                                                                                                          diese Krankheitserreger übertragen
                                                                                                          können, war immerhin der Grund
                                                                                                          dafür, dass große Teile Afrikas und
                                                                                                          dadurch auch einige der heutigen
                                                                                                          großen Nationalparks im Osten des
                                                                                                          Kontinents der Tsetsefliegen wegen,
                                                                                                          oder Flussniederungen in Westafrika,
                                                                                                          Kriebelmücken-bedingt, lange Zeit
                                                                                                          mehr oder weniger unbesiedelt blie-
                                                                                                          ben. Auch die dauerhafte Eroberung
Kompostierer: Der Stierkäfer zerstetzt den Dung von Schafen. -

                                                                                                                             ABU info 41-42 (2019)
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