Afrika vor dem wirtschaftlichen Durchbruch? - Robert Kappel
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Nummer 11 2011 ISSN 1862-3603 Afrika vor dem wirtschaftlichen Durchbruch? Robert Kappel Business Monitor International warnt am 14. Dezember 2011 vor zwei zentralen Gefahren für die Wirtschaft Afrikas im Jahr 2012: einem Rückgang der Nachfrage aufgrund der wirtschaftlichen Schwierigkeiten in den USA und in Europa sowie dem wachsenden Risiko einer „harten Landung“ der chinesischen Wirtschaft, die eine Verringerung der chinesischen Investitionen und der Rohstoffnachfrage zur Folge hätte. Analyse Die Länder des subsaharischen Afrika haben im letzten Jahrzehnt durchweg hohes Wirtschaftswachstum realisieren können. Die negativen Trends der 1980er und 1990er Jahre sind umgeschlagen. In einigen Ländern haben sich die Wachstumsraten und die Pro-Kopf-Einkommen verbessert. Zugleich wurde die Armut vermindert. Dennoch be- finden sich viele Länder bestenfalls in einer Übergangsphase, die noch nicht auf einen Durchbruch hindeutet: Die hohen Wachstumsraten des BSP in fast allen Ländern haben auch zu einer Stei- gerung der Haushaltseinkommen geführt, dennoch bleiben die Armutsraten in Afrika hoch. Das Wachstum basiert im Wesentlichen auf Preissteigerungen in der Landwirt- schaft und im Rohstoffsektor. Die industrielle Produktion und der Export von Fer- tigwaren erzielen nur geringes Wachstum. Ob die Wirtschaft Afrikas weiter wachsen wird, hängt von einer Vielzahl von Be- dingungen ab, vor allem von steigenden in- und ausländischen Investitionen und von höherer Produktivität. Auch der Konjunkturverlauf in den OECD-Ländern und in China und die dortige Nachfrage nach afrikanischen Produkten werden immer bedeutendere Wachstumsfaktoren. Aufgrund von Bürgerkriegen, politischen Unruhen, Staatszerfall, bewaffneten Aus- einandersetzungen und des sehr niedrigen Entwicklungsstandes bleibt mindestens ein Viertel der afrikanischen Länder vom Wirtschaftsaufschwung und von der Wohl- standsmehrung ausgeschlossen. Schlagwörter: Afrika, Wirtschaftliche Entwicklung, Wirtschaftswachstum, Armut, Direktinvestitionen, Internationaler Handel www.giga-hamburg.de/giga-focus
Differenziertes Bild des Aufschwungs ringa und Lay 2011; Ishengoma und Kappel 2011). Die Armutsraten sollen zudem stärker sinken als Durchschnittswerte zur wirtschaftlichen Entwick- bisher gedacht (Pinkovskiy und Sala‐i‐Martin 2010). lung im subsaharischen Afrika (SSA) haben nur we- Andere Autoren sind hingegen skeptischer (Wohl- nig Aussagekraft; eine Differenzierung ist notwen- muth 2012). dig. Internationale Organisationen wie der Interna- Ist also ein zumindest vorsichtiger Optimismus tionale Währungsfonds (IWF) unterscheiden zwi- angebracht? Werden sich die wirtschaftlichen Po- schen rohstoffexportierenden Ländern, Ländern mit tenziale des Kontinents künftig entfalten können – mittlerem Einkommen (Middle Income Countries, die umfangreichen Rohstoffreserven, die vielen ju- MIC) und Niedrigeinkommensländern (Low Income gendlichen Arbeitskräfte, die Rücküberweisungen Countries, LIC). Hinzu kommen die Staaten Südafri- von Migranten, die steigenden Direktinvestitionen ka, Botswana, Seychellen, Uganda und Nigeria, die und auch das zunehmende Interesse von Investoren als besonders interessant für die Analyse gelten. Die aus aller Welt, nicht nur aus China, Indien, Brasilien, erstgenannten haben in den letzten Jahren bereits ei- Europa und den USA, sondern auch aus Südkorea, nen Durchbruch erlebt, Uganda hingegen wird oft Malaysia, der Türkei und Südafrika? Oft wird dabei als Kandidat für nachholende Entwicklung bezeich- übersehen, dass alle wichtigen Wirtschaftsberichte net; Nigeria stagniert seit mehreren Jahrzehnten. der letzten Jahre viele „Wenn und Aber“ formulie- Eine Reihe von Ländern, die im Bericht des IWF ren, also besondere Bedingungen nennen, unter de- zum „Regional Economic Outlook“ (IMF 2011) als nen sich das gegenwärtig hohe Wachstum fortsetzen fragile Staaten bezeichnet werden und durchschnitt- kann, unter anderem die Nachfrage nach Rohstoffen, lich nur ein geringes oder sogar negatives Wachstum Preisentwicklungen, Investitionsquoten, Produktivi- des Bruttoinlandsprodukts und des Pro-Kopf-Ein- tät und die Diversifizierung der Wirtschaft. kommens aufweisen, werden hier nicht weiter be- Um die Perspektiven der hier betrachteten Län- rücksichtigt. Es sind dies die Länder, die aufgrund der bewerten zu können, werden im Folgenden drei von Kriegen, Staatsbankrott und -zerfall, mafiösen Thesen geprüft: Strukturen, Herrschaft von Clans und Diktatoren, 1. Afrikas Durchbruch wird durch den grundlegen- also aufgrund politischer und wirtschaftlicher In- den Wandel in der Weltwirtschaft und die Volati- stabilitäten, gegenwärtig nur geringe Entwicklungs- litäten des Weltmarktes beeinflusst; der interna- perspektiven aufweisen. In diese Staatengruppe (ca. tionale Wettbewerb ermöglicht Durchbrüche nur ein Viertel aller afrikanischen Länder) fallen die Ko- für wenige Länder. moren, die Demokratische Republik Kongo, Guinea, 2. Afrikas Wachstumsperspektiven sind durch hohe São Tomé und Príncipe, Togo, Eritrea, Somalia, Bu- Handelskosten und (noch) relativ schwache Insti- rundi, Simbabwe, Liberia, Elfenbeinküste, Guinea tutionen eingeschränkt. Bissao und die Zentralafrikanische Republik.1 3. Wachstum sickert aufgrund der mangelnden Dy- Die Perspektiven der übrigen Länder werden namik der Landwirtschaft und der Klein- und von sehr vielen Seiten als weitgehend positiv einge- Mittelunternehmen (KMU) nicht zu den Armen schätzt. Der IWF, die Weltbank, die OECD, McKin- durch; daher ist es nicht breitenwirksam. sey, zahlreiche europäische Entwicklungshilfemi- Im Folgenden werden die Handels- und die Investi nisterien und die African Development Bank ver- tionsentwicklung und das Wachstum der Wirtschafts- weisen auf das große Potenzial Afrikas. Der Tenor leistungen (BIP-Wachstum) genauer analysiert. dieser Einrichtungen ist oft überschwänglich: Afri- ka erlebe ein Wachstumswunder und sei ein „Löwe auf dem Sprung“ (McKinsey 2010); außerdem wird Handel und Investitionen von „Gazellen“ gesprochen, afrikanischen Unter- nehmen mit Wachstumsdynamik (Grimm, Knor- Die meisten afrikanischen Länder verzeichnen ein hohes Exportwachstum, das vielfach sogar über dem Weltdurchschnitt liegt. Viele Staaten haben die 1 Dies sind im Übrigen weitgehend jene Länder, die im umstrit- tenen und breit diskutierten sogenannten Afrika-Memoran- Chancen genutzt, die sich aus den Rohstoffpreisstei- dum aus dem Jahr 2000 als „Länder (derzeit) ohne Perspekti- gerungen und der stark gestiegenen Rohstoffnach- ve“ bezeichnet wurden: Togo, Niger, Guinea-Bissau, Sierra Le- one, Liberia, Burundi, Dschibuti, Somalia, Tschad, Zentralaf- frage der BIC-Länder (Brasilien, Indien, China) erge- rikanische Republik, Kongo (Kinshasa), Madagaskar, Mala- ben. Während die Exporte in OECD-Länder relativ wi. Einige dieser Länder sind inzwischen in die Kategorie der an Bedeutung verloren haben – ihr Anteil am Han- Niedrigeinkommensländer aufgestiegen, vgl. Engel et al. 2002. GIGA Focus Afrika 11/2011 -2-
del Afrikas lag im Jahr 1990 bei 70 Prozent, 2010 nur del mit Fertigwaren ist äußerst niedrig und wäh- noch bei wenig über 50 Prozent –, haben die BIC- rend der letzten 30 Jahre sogar noch weiter gesun- Länder deutlich an Bedeutung gewonnen (Anteile ken (von 1,6 Prozent im Jahr 1980 auf 0,8 Prozent 2010: China 17 Prozent, Indien 6 Prozent und Brasi- im Jahr 2010). Dies verdeutlicht eine der großen lien 3 Prozent). Hinzu kommen die Länder der so- Schwächen der Wirtschaftsentwicklung der letzten genannten Gruppe der Fünf (Saudi Arabien, Verei- Jahrzehnte. Den meisten afrikanischen Ländern ist nigte Arabische Emirate, Thailand, Indonesien, Ma- es nicht gelungen, sich stärker zu industrialisie- laysia), die ihren Anteil am Handel mit Afrika von 2 ren und sich als Standort für industrielle Investi- auf 5 Prozent steigern konnten. Inzwischen geht so- tionen zu empfehlen. Als Ursachen dafür können gar eine zunehmende wirtschaftliche Dynamik vom im Wesentlichen die folgenden Faktoren genannt steigenden innerafrikanischen Handel aus (durch- werden: Es gibt kaum Diversifizierung; nur sehr schnittlicher Anteil ca. 14 Prozent im Jahr 2010). wenige Länder sind in zumeist landwirtschaft- Die BIC-Staaten sind aufgrund ihres eigenen liche internationale Wertschöpfungsketten (Kaf- Wachstums und ihrer Industrialisierungssprünge fee, Bohnen, Blumen, Mangos) eingebunden. Le- verstärkt auf die Zufuhr an Rohstoffen angewiesen. diglich Südafrika führt in nennenswertem Umfang Afrika spielt in ihrer Rohstoffversorgung heute eine Industrieprodukte aus, hat allerdings auch deut- zentrale Rolle. Der Handel mit den BIC-Ländern ist liche Einbußen erleiden müssen, etwa in der Tex- zur entscheidenden Wachstumslokomotive für Afri- tilindustrie, weil die einheimischen Produzenten ka geworden. Ihr Beitrag zum afrikanischen Export- gegenüber indischen und chinesischen Unterneh- wachstum der letzten Jahre betrug 4 Prozent, der men nicht mehr konkurrenzfähig sind. Beitrag der OECD-Länder hingegen nur 1 Prozent Hohe Zusatzkosten im Handel (zähe Bürokratie (IMF 2011). Auch dies zeigt, dass die Wachstums- und Zollverwaltungen, hohe Gründungskosten für schwäche der EU und der USA und der Aufstieg Unternehmen, schwach entwickelte Infrastruktur der BIC-Länder zu einer Verschiebung der interna- wie Häfen, Straßen, Elektrizität, hohe Energiepreise tionalen Handelsbeziehungen und ökonomischen für Länder ohne eigene Energieerzeugung) behin- Machtverhältnisse geführt haben (Kappel 2011). dern zudem in den meisten Ländern einen industri- Die besondere Dynamik des Handels mit den ellen und wirtschaftlichen Durchbruch (Freund und BIC-Staaten hat jedoch zur Folge, dass Afrika wei- Rocha 2011). Diese Kosten sind teilweise so gravie- terhin weitgehend auf den Export von Rohstoffen rend, dass eine interne Marktdynamik kaum mög- und landwirtschaftlichen Produkten ausgerich- lich ist. Folge der hohen Handelskosten ist, dass sich tet bleibt (Rohstoffe, vor allem Öl und Mineralien, Ex- und Importe drastisch verteuern, was die Infla- machen 70 Prozent der Ausfuhren in die BIC-Staa- tion hochtreibt. Aufgrund der unzureichenden In- ten aus). Zwar erzielen die afrikanischen Länder frastruktur macht es vielfach keinen Sinn, leichtver- beim Export von Zwischenprodukten und Fertig- derbliche Waren zu produzieren. Auch wenn es in waren in die BIC-Länder eine höhere lokale Wert- zahlreichen Ländern, etwa in Ruanda, Mosambik schöpfung, dennoch bleibt eine sehr hohe und teil- und Kenia, Verbesserungen gegeben hat und eini- weise sogar steigende Rohstoffexportabhängigkeit ge Länder inzwischen über eine exzellente Infra- afrikanischer Länder (Öl, Mineralien und landwirt- struktur verfügen und die Handelskosten gesun- schaftliche Rohprodukte) bestehen (IMF 2011). Afri- ken sind, wie in Südafrika, Mauritius und den Kap kanische Staaten importieren weiterhin vor allem Verden, sind die durchschnittlichen afrikanischen Kapital- (Maschinen, Werkzeuge) und Konsum- Kosten im internationalen Vergleich jedoch weiter- güter, die zunehmend aus den BIC-Ländern kom- hin sehr hoch. Afrika verschenkt dadurch deutlich men. Es scheint eine Ironie der Geschichte zu sein, seine Chancen auf den Weltmärkten. dass trotz einer lang andauernden Wachstumspha- Afrika hat in den letzten Jahren allerdings wie- se und der Verschiebung bei den Handelspartnern der einen deutlich steigenden Zufluss an Auslands- das alte koloniale Spezialisierungsmuster erhalten direktinvestitionen (ADI) aufzuweisen, auch wenn bleibt und durch Chinas wachsende Nachfrage nach der Anteil an den Weltinvestitionen immer noch Mineralien und Öl sogar noch verstärkt wird (Base- sehr niedrig ist (2 Prozent in den 1990er Jahren, dau und Kappel 2010). 3 Prozent in den letzten zehn Jahren; Wohlmuth Afrikanische Länder konnten ihre Position 2012). Zwar ist der Anteil der OECD-Länder an den auf den internationalen Rohstoffmärkten stärken, Direktinvestitionen in afrikanischen Ländern noch aber der Anteil des subsaharischen Afrika am Han- immer sehr hoch, aber China und Indien holen auf: GIGA Focus Afrika 11/2011 -3-
Sie konnten ihren Anteil von 1 Pro- Grafik 1: Leistungs- und Produktivitätswachstum in %, 1960-2008 zent (2003) auf 16 Prozent (2010) erhöhen. Auch brasilianische, ko- reanische und türkische Inve- storen engagieren sich. Die Zah- len zu den Exporten spiegeln sich in den Daten zu Investitionen im Rohstoffsektor wider. Interessant ist, dass seit einigen Jahren Indus- triesonderzonen entstanden sind, die von chinesischen Investoren aufgebaut wurden, zwei in Nige- ria, eine jeweils in Sambia, Äthio- pien und Mauritius. Offenbar ist es möglich – wenn sich die chine- sischen Erfahrungen als positiv er- weisen –, in Afrika lukrativ zu in- Quelle: Bosworth und Collins 2011. vestieren. Vielleicht führt das Vor- dem der meisten Länder zurück. Grafik 1 zeigt, dass preschen Chinas sogar zu Nachahmungseffekten. in allen Phasen von 1960-2008 das Wachstum der Chinesische und indische Unternehmen konzen- Leistungen (Output) und das Wachstum der Pro- trieren ihre ADI in Afrika auf wenige rohstoffrei- duktivität (Output/Arbeit) – teilweise deutlich – un- che Länder: Auf Angola entfallen 23 Prozent, auf terhalb des Weltdurchschnitts lag (Bosworth und Nigeria 20, auf Südafrika 14, auf Sudan 6,5 und auf Collins 2011). Äquatorial-Guinea 5 Prozent (in der Summe rund 69 Prozent). Ob von diesen Investitionen Wachs- tumsimpulse ausgehen oder gar ein Technologie- Wachstum der Wirtschaftsleistungen transfer stattfindet, lässt sich indes nicht eindeutig ermitteln. Das hohe Wirtschaftswachstum in den Jahren 2004 Die Motive der Investoren sind vielfältig. Sie bis 2010 zeigt Graphik 2 (Wachstumsraten des Brut- sind nicht mehr nur auf Exporte ausgerichtet, son- toinlandsprodukts). Afrika konnte demnach trotz der Finanzkrise 2009 sein Grafik 2: SSA – Wachstum des BIP in %, 2004-2010 Wachstum weitgehend 10 aufrechterhalten, aller- 8 dings hatten die Län- 6 der mit mittleren Ein- 2004-2008 kommen (MIC) einen 4 2 2009 größeren Einbruch zu 0 2010 verkraften. Noch stär- -2 ker trifft dies auf Süd- -4 afrika zu, wo jedoch dem Einbruch im Jahr 2010 wieder höhere Quelle: IMF 2011. Zuwächse folgten. Im Durchschnitt der letz- dern es geht offenbar auch um den Zugang zu lo- ten Jahre weisen afrikanische Länder Wachstumsra- kalen Märkten und die Nutzung von Lohnkosten- ten auf, die für große Teile der Bevölkerung zu hö- unterschieden (steigende Löhne in China und Aus- herem Wohlstand geführt haben. Grafik 3 zeigt die lagerung von lohnintensiven Branchen, z.B. Tex- durchschnittliche Steigerung der Pro-Kopf-Einkom- tilproduktion). Allerdings sind die meisten Län- men. der Afrikas gegenüber Bangla Desh und Vietnam Die Zuwächse bei den Pro-Kopf-Einkommen noch längst nicht wettbewerbsfähig; zwar steigt das liegen jedoch deutlich unter den Wachstumsraten Produktivitätswachstum Afrikas, bleibt aber hinter des BIP, bedingt durch das hohe Bevölkerungs- GIGA Focus Afrika 11/2011 -4-
Grafik 3: SSA – Wachstum der Pro-Kopf-Einkommen in % nen Länder mit sehr hohen Wachstumsraten über län- 8 gere Zeiträume auch breit- 6 basiertes Wachstum (Ar- 2004- mutsreduktion), während 4 2008 dieser Zusammenhang in 2009 den nur schwach prospe- 2 rierenden Länder weitaus 2010 0 schwächer ausfällt. Ein we- sentliches Kennzeichen der -2 gegenwärtigen Trends ist, -4 dass die Ungleichheit in vielen Ländern zunimmt, Quelle: IMF 2011. das heißt, vermögende wachstum in den meisten Ländern. Am niedrigsten Haushalte profitieren stärker als arme Haushalte war das Wachstum in den fragilen Staaten, die trotz vom Wachstum, von dem letztere teilweise gar hohen BIP-Wachstums nur sehr niedrige Einkom- nichts abbekommen. Konkret bedeutet dies: In menszuwächse zu verzeichnen haben. In diesen den meisten Ländern erreicht das Wachstum die Ländern leidet die Bevölkerung, während sich in Armen nicht. den Niedrigeinkommensländern (LIC) die Lage der Einzelhaushalte immerhin über einen Zehn- jahreszeitraum verbessert hat. Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung? Dennoch bleiben die Pro-Kopf-Einkommen niedrig; in den meisten Ländern liegen sie unter Wird das in den letzten Jahren festgestellte Wachs- 500 USD, auch wenn sie seit 2004 langsam steigen tum nachhaltig sein? Lässt sich Afrika gar als Zu- (Grafik 4). Dieser Anstieg scheint relativ robust zu kunftskontinent betrachten? Eine definitive Ant- sein, wenngleich sehr unterschiedlich nach Län- wort darauf ist zwar unmöglich, doch gibt es Um- dern. Deutlich werden die Unterschiede zwischen stände, unter denen dies möglich wäre. Im Fol- den Einkommensgruppen. Die MIC-Gruppe ver- genden sollen die hemmenden Faktoren noch ein- größert allmählich den Abstand zu LICs und fragi- mal zusammengefasst werden: len Staaten. Deutlich unterscheiden sich auch Süd- −− Binnenmarktentwicklung: In den wichtigen Be- afrika, Botswana und die Seychellen vom subsaha- reichen – Landwirtschaft und Klein- und Mittel- rischen Durchschnitt. unternehmen (KMU) – kann nicht von einer in- Die Lage der Armen wird sehr unterschied- ternen Dynamik gesprochen werden. Die KMU lich eingeschätzt. Führt das teilweise hohe BIP- wachsen nur sehr geringfügig und das landwirt- Wachstum tatsächlich zur Verminderung der Ar- schaftliche Wachstum ist weitgehend nicht von mut? Einige Autoren, wie Pinkovskiy und Sa- Produktivitätswachstum geprägt, sondern von la-i-Martin (2010), sehen einen positiven Zusam- menhang. Aber Haushaltsun- tersuchungen, die den Kon- Grafik 4: SSA – Pro-Kopf-Einkommen in USD sum messen, sind nicht ein- 9000 deutig. Je nach Land weisen 8000 diese Studien eine meist rela- 7000 2004-2008 6000 2009 tiv schwache Beziehung zwi- 5000 2010 schen dem Wachstum des 4000 Pro-Kopf-Einkommens und 3000 der Armutsreduktion aus. Die 2000 Anzahl der Armen, die weni- 1000 ger als 1,25 USD pro Kopf und 0 Tag erwirtschaften, ist abso- lut weiter auf rund 350 Milli- onen gestiegen. So verzeich- Quelle: IMF 2011. GIGA Focus Afrika 11/2011 -5-
steigenden Preisen aufgrund der wachsenden bleibt Afrika weit hinter den erforderlichen Fort- Nachfrage nach Nahrungsmitteln. schritten zurück (siehe Grafik 1). Ausdruck dafür −− Außenhandel: Mit Ausnahme des Rohstoffhan- ist, dass Afrikas Bemühungen zu stärkerer Indus- dels ist Afrika in der Weltwirtschaft fast ohne trialisierung und besserer technologischer Aus- Bedeutung. Diese Isolierung setzt einer größe- stattung weitgehend ohne Erfolg geblieben sind. ren Dynamik im Außenhandel enge Grenzen, • Konjunkturschwankungen auf den Weltmärkten: denn eine stärkere Einbindung in den Globalisie- Afrikas Märkte scheinen weniger volatil zu sein. rungsprozess würde die Nachfrage nach billigen Auch haben viele afrikanische Länder die Finanz- afrikanischen Arbeitskräften erhöhen und neue krise von 2008/2009 verhältnismäßig gut bewäl- Chancen für lokales Unternehmertum schaffen. tigt (Wohlmuth 2012). Aber allzu großer Optimis- Ob und wann internationale Investoren sich auf- mus ist nicht angebracht. Zu viele Optionen kön- grund von Lohnkostensteigerungen in China, In- nen gegenwärtig nicht wahrgenommen werden: dien und Brasilien oder gar in Vietnam auch Afri- Die Investitionsquoten bleiben weitgehend sehr ka stärker zuwenden, lässt sich kaum vorherse- niedrig, ausländische Investoren sind rar und vor hen. Schließlich spielen Entwicklungen auf bei- allem auf den Rohstoffsektor konzentriert, wo- den Seiten eine Rolle, zum einen in den afrika- durch auch der Zugang zu neuerer Technologie nischen Ländern und zum anderen in den Län- eingeschränkt bleibt. Trotz der Zunahme der in- dern der Investoren, damit diese die Produktion tra-regionalen Kooperation ist der Handelsaus- in Afrika und für die afrikanischen Märkte als tausch noch weitgehend durch Europa, die USA lukrativ ansehen. Natürlich gibt es Beispiele für und neuerdings China bestimmt. neue Investoren – beispielsweise südafrikanische Die tatsächlichen Wachstumsperspektiven Afrikas Supermarktketten oder die oben genannten In- hängen daher von vielen Wenn-Dann-Bedingungen dustriesonderzonen und einzelne Investitionsni- ab: schen –, aber noch ist ein Trend zur wirtschaft- • Wenn die Weltkonjunktur sich weiter posi- lichen „Entdeckung des Kontinents“ oder ein- tiv entwickelt, dann profitiert die afrikanische zelner Länder jenseits von Rohstoffinvestitionen Konjunktur vom Wachstum in der EU, den USA, nicht erkennbar. China und Indien. Eine Rezession dort würde Dafür spielen wiederum die folgenden Aspekte eine jedoch schnell zu einer afrikanischen Rezessi- Rolle: on führen. • Infrastruktur: In den meisten Ländern ist die In- • Wenn der Wettlauf um Rohstoffe weitergeht und frastruktur sehr unzureichend, auch wenn in den die Preise für Rohstoffe und Agrargüter hoch letzten Jahren eine leichte Verbesserung eingetre- bleiben, dann werden die Exporteinnahmen ten ist. Die oft schlechte physische Infrastruktur der afrikanischen Rohstoffexportländer steigen. (Straßen, Häfen, Eisenbahnen) begrenzt die inter- Aber ein zu starker Fokus auf Rohstoffen verhin- ne Marktentwicklung sowie die Exporte und Im- dert zukünftige Entwicklungsdynamiken. Nur porte – eine große Schranke für nachhaltig hohes wenn sich Afrika industrialisiert (und Direkti- Wachstum in Afrika. nvestitionen aus Wachstumsländern generieren • Institutionen: Die institutionellen Bedingungen kann), kann es zu einem ausgewogeneren und haben sich in vielen Ländern durchaus verbes- nachhaltigeren Wachstum kommen, das auch sert, die politischen Risiken sind oft nicht mehr die Entwicklung der Agroindustrie, der Leicht- so groß wie noch vor Jahren. Entwarnung kann industrie, der Industriezonen und schließlich allerdings nicht gegeben werden, wie etwa die auch der KMU befördern kann. politischen Auseinandersetzungen in Südafrika, • Wenn die Märkte offener werden, die Eigen- Nigeria und Kenia zeigen. Insgesamt ist das Ge- tumsrechte gesichert sind, die Infrastruktur bes- schäftsklima in Afrika nicht wesentlich besser ge- ser wird, Handelskosten sinken und die Büro- worden. kratien effektiver werden, dann sind Durchbrü- • Technischer Fortschritt: Afrika hat in den letz- che möglich. ten Jahren durchaus Produktivitätsfortschritte • Wenn makroökonomische und politische Stabi- erzielt. Dies gilt allerdings längst nicht für alle lität einkehrt, dann stehen die Zeichen für einen Länder. Einige Länder müssen sogar einen Rück- Durchbruch gut. Allerdings zeigen die hohen In- gang der Produktivität verzeichnen. Verglichen flationsraten (Uganda und Nigeria) und die ver- mit China und anderen aufstrebenden Ländern breitete Zunahme politischer Gewaltkonflikte, GIGA Focus Afrika 11/2011 -6-
dass sich Wohlstandssteigerungen nicht auto- Bosworth, Barry, und Susan M. Collins (2011), The matisch einstellen werden. Empirics of Growth: An Update, Modified Regional • Wenn die Mittelschichten größer werden, kann Aggregations (unveröffentlichte Daten). sich eine lokale Wirtschaftsdynamik entfalten. Basedau, Matthias, und Robert Kappel (Hrsg.) • Wenn aber zugleich die soziale Ungleichheit zu- (2011), Machtquelle Erdöl: Die Außen-, Innen- und nimmt, dann wird vermehrt mit sozialen Kon- Wirtschaftspolitik von Erdölstaaten, Baden-Baden: flikten zu rechnen sein. Nomos Verlag. • Wenn die Rohstoffländer ihre Renten sinnvoll Engel, Ulf, Robert Kappel, Stefan Klingebiel, Ste- verwenden und nicht verschwenden oder in Eli- fan Mair, Andreas Mehler und Siegmar Schmidt tennetzwerke investieren, dann kann Afrika in (2002), Memorandum zur Neubegründung der Zukunft einen Wachstumspol bilden. Davon ist deutschen Afrikapolitik: Frieden und Entwick- der Kontinent derzeit jedoch weit entfernt. lung durch strukturelle Stabilität, in: Cord Jako- Es ließen sich viele weitere Wenn und Aber formu- beit und Heribert Weiland (Hrsg.), Das „Afrika- lieren – zur Bildung, landwirtschaftlichen Moder- Memorandum“ und seine Kritiker, Hamburg: Insti- nisierung, Urbanisierung, zum informellen Sektor. tut für Afrika-Kunde, 11-31. Das subsaharische Afrika konnte zwar in den letzten Freund, Caroline, und Nadia Rocha (2011), What zehn Jahren durchaus Fortschritte erzielen, aber de Constrains Africa’s Exports?, in: The World Bank facto ist es noch weit davon entfernt, seine wachsen- Economic Review, 25, 3, 361-386. de Bevölkerung ausreichend zu beschäftigen und Grimm, Michael, Peter Knorringa und Jann Lay deren Einkommen zu sichern. (2011), Constrained Gazelles: High Potentials in Es gibt einzelne Länder, die auf dem Sprung West Africa’s Informal Economy, unveröffentlichtes sind: Ruanda, Ghana, Uganda, Kenia, Namibia, Manuskript, Den Haag, Hamburg. Äthiopien, Senegal, Tansania und Sambia. Süd- IMF (2011), Regional Economic Outlook: Sub-Saharan afrika, Botswana, Mauritius und die Seychellen Africa. Sustaining the Expansion, Washington, D.C. könnten durch eine erfolgreiche Reformpolitik den Ishengoma, Esther K., und Robert Kappel (2011), Anschluss an die stark wachsenden „Nachrücker“ Business Environment and Growth Potential of Mi- wie Vietnam, Indonesien oder Chile erreichen. cro and Small Manufacturing Enterprises in Ugan- Zu den potenziellen Durchbruchländern ge- da, in: African Development Review, 23, 3, 352-365. hören sicherlich nicht Angola, Nigeria, Äquatori- Kappel, Robert (2011), The Challenge to Europe: Re- al-Guinea und der Sudan, weil in diesen Staaten gional Powers and the Shifting of the Global Or, sehr schwierige politische Bedingungen vorherr- in: Intereconomics, 46, 5, 275-286. schen. Vor allem die nur am Machterhalt interes- McKinsey Global Institute (2010), Lions on the Move, sierten politischen und wirtschaftlichen Eliten ma- Washington: June, online: (10. Dezember Wachstum gibt, was während der letzten Jahre der 2011). Fall war, sind doch die Neigungen der Eliten zur McMillan, Margaret S., und Dani Rodrik (2011), Selbstbereicherung zu stark ausgeprägt, während Globalization, Structural Change and Productivity die Bevölkerung gar nicht oder nur am Rande pro- Growth, NBER Working Paper, 17143, Cambridge, fitiert. Oft hat sich leider die soziale Ungleichheit Mass.: National Bureau of Economic Research. deutlich vergrößert, so in Nigeria, Südafrika und OECD (2011), African Economic Outlook 2011, Paris: Angola (Basedau und Kappel 2011). OECD. Pinkovskiy, Maxim, und Xavier Sala‐i‐Martin (2010), African Poverty is Falling ... Much Faster than You Literatur Think!, NBER Working Paper, 15775, Cambridge, Mass.: National Bureau of Economic Research. Alabi, Reuben Adeolu, Joy Alemazung und Hans Wohlmuth, Karl (2012), Die Auswirkungen der glo- H. Bass (Hrsg.) (2011), Africa and the Global Finan- balen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 in cial Crisis: The Impact on Economic Reform Process- Afrika, Berichte aus dem Weltwirtschaftlichen es, African Development Perspectives Yearbook, Colloquium der Universität Bremen, 122, Bremen: Münster: Lit Verlag. Universität Bremen. GIGA Focus Afrika 11/2011 -7-
Der Autor Prof. Dr. Robert Kappel war Präsident des GIGA (2004-2011) und ist seitdem dort als Senior Research Fel- low tätig; zugleich ist er Professor an den Universitäten Hamburg und Leipzig. E-Mail: kappel@giga-hamburg.de, Webseite: http://staff.giga-hamburg.de/kappel GIGA-Forschung zum Thema Mehrere Forschungsprojekte am GIGA befassen sich mit wirtschaftlichen Entwicklungsproblemen in Afrika: 1. „Beschränkungen und Erfolgsfaktoren von (informellen) Unternehmen in Entwicklungslän- dern“ (Jann Lay, Esther Ishengoma; Worldbank, IZA, AvH); 2. „Landnahmen und nachhaltige Entwick- lung“ (Jann Lay, Kerstin Nolte; BMBF); 3. „Armutsdynamiken und ihre Determinanten“ (Daniel Neff, Jann Lay, Lena Giesbert; DZ-Bank, KfW, BMZ); 4. „Unternehmerische chinesische Migranten und afri- kanische Kleinunternehmer – Lokale Auswirkungen der Interaktionen im urbanen Westafrika“ (Karsten Giese, Laurence Marfaing, Alena Thiel; DFG); 5. „Finanzierungslösungen für Innovation und nachhal- tige Entwicklung im Energiebereich (FINE)“ (Wolfgang Hein, Daniela García Sanchez, Esther Ishengo- ma, Lars Holstenkamp; BMBF); 6. „Produktivitätseffekte ausländischer Direktinvestitionen im subsaha- rischen Afrika“ (Birte Pohl; DFG). GIGA-Publikationen zum Thema Basedau, Matthias, Anne Mähler und Georg Strüver (2010), Neue Erdölfunde in Afrika: Können Konflikte ver- mieden werden?, GIGA Focus Afrika, 7, online: . Kappel, Robert, und Marie Müller (2007), Breites Wirtschaftswachstum in Afrika – die große Wende?, GIGA Focus Afrika, 6, online: . Kappel, Robert (2011), The Challenge to Europe: Regional Powers and the Shifting of the Global Or, in: Intereconomics, 46, 5, 275-286. Kappel, Robert (2010), Wirtschaft und Entwicklung in Südafrika, in: Werner Distler und Kristina Weis- senbach (Hrsg.), Konsolidierungsprojekt Südafrika: 15 Jahre Post-Apartheid, Baden-Baden: Nomos, 163-185. Lay, Jann, und Kerstin Nolte (2011), Neuer „Landraub“ in Afrika?, GIGA Focus Afrika, 1, online: . Lay, Jann, Ulf Narloch und Toman Omar Mahmoud (2009), Shocks, Income Diversification and Inequali- ty in a Growing Economy: The Case of Burkina Faso, in: African Development Review, 21, 1, 36-58. Pohl, Birte (2011), Süd-Süd-Investitionen – eine Chance für Subsahara-Afrika?, GIGA Focus Afrika, 3, online: . Der GIGA Focus ist eine Open-Access-Publikation. Sie kann kostenfrei im Netz gelesen und heruntergeladen werden unter und darf gemäß den Be dingungen der Creative-Commons-Lizenz Attribution-No Derivative Works 3.0 frei vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zu gänglich gemacht werden. Dies umfasst insbesondere: korrekte Angabe der Erstveröffentli chung als GIGA Focus, keine Bearbeitung oder Kürzung. Das GIGA German Institute of Global and Area Studies – Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien in Hamburg gibt Focus-Reihen zu Afrika, Asien, Lateinamerika, Nahost und zu globalen Fragen heraus, die jeweils monatlich erscheinen. Ausgewählte Texte werden in der GIGA Focus International Edition auf Englisch veröffentlicht. Der GIGA Focus Afrika wird vom GIGA Institut für Afrika-Studien redaktionell gestaltet. Die vertretenen Auffassun gen stellen die der Autoren und nicht unbedingt die des Instituts dar. Die Autoren sind für den Inhalt ihrer Beiträge verantwortlich. Irrtümer und Auslassungen bleiben vorbehalten. Das GIGA und die Autoren haften nicht für Richtig keit und Vollständigkeit oder für Konsequenzen, die sich aus der Nutzung der bereitgestellten Informationen er geben. Auf die Nennung der weiblichen Form von Personen und Funktionen wird ausschließlich aus Gründen der Lesefreundlichkeit verzichtet. Redaktion: Gero Erdmann; Gesamtverantwortliche der Reihe: André Bank und Hanspeter Mattes Lektorat: Ellen Baumann; Kontakt: ; GIGA, Neuer Jungfernstieg 21, 20354 Hamburg www.giga-hamburg.de/giga-focus
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