Die EU und Global Britain: So nah, so fern - Einleitung - Stiftung Wissenschaft und Politik
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NR. 35 APRIL 2021 Einleitung Die EU und Global Britain: So nah, so fern Wie »Global Britain« nach dem Brexit außen- und sicherheitspolitisch eingebunden werden kann Claudia Major / Nicolai von Ondarza Nach dem Brexit will das Vereinigte Königreich (VK) sich unter dem Leitmotiv »Global Britain« als eigenständige Führungsmacht mit globaler Reichweite positionieren. Das unterstreicht die Integrated Review vom 16. März 2021. Praktisch wird dieser Anspruch sichtbar in dem ambitionierten Programm für den diesjährigen Vorsitz der G7 und der Klimakonferenz COP26 sowie erhöhten Verteidigungsausgaben. Damit will London auch die neue US-Administration von seinem strategischen Wert überzeugen. Eine institutionalisierte Zusammenarbeit mit der Europäischen Union (EU) in der Außen- und Sicherheitspolitik lehnt die Regierung von Boris Johnson hingegen ab; stattdessen setzt sie auf flexible Formate mit einzelnen EU-Staaten. Das stellt Deutschland vor einen Ziel- konflikt: Einerseits will es London in europäische Außen- und Sicherheitspolitik ein- binden, andererseits darf dies nicht auf Kosten der EU und europäischer Geschlossen- heit gehen. Angesichts der aktuell belasteten Beziehungen zwischen der EU und dem VK scheint eine institutionalisierte Kooperation erst langfristig möglich. Mittelfristig sollte der Fokus auf informellen bi- und multilateralen Formaten liegen. Nach dem Ende der Brexit-Übergangsphase die (noch) engen wirtschaftlichen Verflech- hat sich das Vereinigte Königreich umfas- tungen sowie die kulturellen und persön- send von der EU gelöst. Zwar konnte der lichen Beziehungen. Eine große Herausfor- vollständige Bruch in Form eines »No-Deal- derung für die Bundesregierung besteht Brexits« verhindert werden; das Ende Dezem- somit darin, London außen- und sicherheits- ber 2020 geschlossene Handels- und Koope- politisch in europäische Vorhaben einzu- rationsabkommen (HKA) besiegelt aber eine binden, ohne dabei die EU zu beschädigen. harte Trennung zwischen der EU und Groß- britannien. Gleichzeitig spricht aus Sicht der EU vieles für eine enge Kooperation mit Selbstdarstellung als globale London in der Außen- und Sicherheitspoli- Führungsmacht tik: die geographische Nähe, die gemeinsa- men Werte, Interessen und Herausforde- Schon die ehemalige Premierministerin rungen, die Mitgliedschaft in der Nato und Theresa May hatte als Narrativ der bri- in anderen internationalen Organisationen, tischen Außenpolitik nach dem Brexit
»Global Britain« ausgerufen (vgl. SWP-Ak- Haushalt für Entwicklungszusammenarbeit tuell 29/2018). Boris Johnson will das VK von 0,7 auf 0,5 Prozent des BIP zu kürzen. nach vollzogenem Brexit als eigenständige Dies schwächt die in der IR betonte britische globale Führungsmacht behaupten. Mit der »soft power« und Verlässlichkeit in einem Integrated Review of Security, Defence, Develop- zentralen Bereich und steht dem Narrativ ment and Foreign Policy (IR) hat seine Regie- des umfassenden Engagements von »Global rung nun ihre Vorstellungen von »Global Britain« entgegen. Zudem will London laut Britain« konkretisiert. Im Vordergrund der IR den Multilateralismus stärken, blen- stehen vier Aspekte: (1) eine aktivere Nut- det aber die EU als Partner aus. Doch viele zung von Partnerschaften und Allianzen; der britischen Ziele werden eine Zusammen- (2) Großbritanniens Rolle als energischer arbeit nicht nur mit europäischen Staaten Verfechter des freien und offenen Handels; erfordern, sondern auch mit der EU, etwa (3) eine eigenständige Außenpolitik, die im Bereich Sanktionen. Forschung und Entwicklung, Entwicklungs- zusammenarbeit und »soft power« verbin- Eigenständiges Netzwerk an det, sowie (4) eine schlagkräftige Sicher- Handelsverträgen heitspolitik mit globaler Reichweite. Das Ambitionsniveau von »Global Britain« Ein eigenes Netzwerk an globalen Handels- ist dabei (rhetorisch) hoch: Großbritannien verträgen soll die zweite Säule bilden. Aus sieht sich als »game changer nation«, »a force Sicht von Boris Johnson war dieses einer for good in the world« und »science and tech der Hauptgründe für den ausgehandelten superpower«. Es möchte nach dem Brexit harten Brexit. Für seine Handelsverträge eigenständig in internationalen Fragen ent- kann London zwar nicht mehr das Gewicht scheiden, zum Beispiel als Vorreiter gegen des EU-Binnenmarkts in die Waagschale den Klimawandel, aber auch als Agenda- werfen; es ist aber überzeugt, als sechst- setter, etwa durch schnelle Sanktionen gegen größte Volkswirtschaft der Welt Handels- Belarus im Sommer 2020. verträge schließen zu können, die besser auf die britische Wirtschaft zugeschnitten Außenpolitische Vernetzung sind. Gleichzeitig will London die Welt- handelsorganisation und das multilaterale Die erste Säule von »Global Britain« ist die Handelssystem stärken. weiterhin sehr gute außenpolitische Ver- In der Praxis hat die britische Regierung netzung des VK. Zwar verliert London den erfolgreich bestehende Handelsverträge der direkten Zugang zur EU, nimmt also nicht EU in eigene Abkommen übersetzt. Trotz mehr teil am regelmäßigen Austausch der nennenswerter Ausnahmen wie Mercosur EU-Staats- und Regierungschefs, der Außen- decken sie aus britischer Perspektive circa ministerinnen und -minister und auf Arbeits- 57 Prozent der eigenen Exporte (Stand 2019) ebene. Im weltweiten Vergleich hat London ab: der Handelsvertrag mit der EU 46 Pro- jedoch immer noch eine privilegierte Posi- zent, alle anderen neuen Abkommen, zum tion: Es bleibt ständiges Mitglied im VN- Beispiel mit Japan, Südkorea oder Kanada, Sicherheitsrat (mit Vetorecht), Mitglied der etwas mehr als 11 Prozent. Außerdem lau- G7 / G20, der OSZE, des Europarats und der fen Handelsverhandlungen unter anderem Nato. International verfügt London über mit den USA, Indien und Australien sowie eines der größten diplomatischen Netzwerke. Gespräche über den Beitritt des VK zum Hinzu kommen die traditionell engen Be- Comprehensive and Progressive Agreement ziehungen zu den USA sowie im Rahmen for Trans-Pacific Partnership (CPTPP); bei der »Five Eyes« zu Kanada, Australien und Erfolg würden weitere 30 Prozent der briti- Neuseeland. schen Exporte abgedeckt. Vor allem ein Die offensichtlichsten Widersprüche in CPTPP-Beitritt würde einen tatsächlichen dem Konzept sind politischer Natur. So hat Unterschied zur EU darstellen und das sym- die Regierung Johnson entschieden, den bolische militärische Engagement Groß- SWP-Aktuell 35 April 2021 2
britanniens im Indo-Pazifik handelspoli- China verbinden. Im März 2021 erließ es tisch ergänzen. parallel zur EU Sanktionen gegen das Land Diese guten Ergebnisse werden jedoch aufgrund von Menschenrechtsverletzungen, dadurch relativiert, dass die neuen Abkom- ist aber auch an einem Handelsabkommen men mit wenigen Abweichungen eine Über- ähnlich dem EU-China-Investitionsschutz- führung von Verträgen sind, die die EU aus- abkommen interessiert. gehandelt hat, und selbst mit engen Part- Zweitens plant London unter dem Leit- nern wie Kanada nur provisorisch bis zur motiv Schwenk (»tilt«) zum Indo-Pazifik ein Vereinbarung von Folgeabkommen gelten. verstärktes politisches, wirtschaftliches und Zudem bleibt die EU mit Abstand Groß- militärisches Engagement in der Region. britanniens wichtigster Handelspartner – 2020 wurde im Außenministerium der Pos- und gerade die (Handels-)Beziehungen zur ten eines Generaldirektors für die Region EU werden durch viele neue Handelshinder- Indo-Pazifik geschaffen, 2021 wird der briti- nisse erschwert, die trotz des HKA mit dem sche Flugzeugträger Queen Elizabeth in den harten Brexit hinzugekommen sind. Indo-Pazifik verlegt. Der angestrebte Beitritt zum CPTPP rundet das Bild ab. Eigene außenpolitische Akzente Drittens richtet Großbritannien 2021 den Klimagipfel COP26 in Glasgow aus und hat Die dritte Säule von »Global Britain« sieht die G7-Präsidentschaft inne. In Klimafragen eigenständige außenpolitische Initiativen präsentiert sich das VK berechtigterweise vor. Zwar verfolgen EU-Mitgliedstaaten stets als Vorreiter, hat es doch schärfere Klima- ihre eigene Außen- und Sicherheitspolitik; ziele als die EU formuliert. Zusammen mit seit dem Austritt aus der EU im Januar 2020 den USA will es in Glasgow einen großen hat die britische Regierung aber versucht, Durchbruch in der internationalen Klima- sich durch eigene Akzente bewusst von den politik unter britischer Führung aushandeln. EU-Staaten abzusetzen. Mit der G7-Präsidentschaft hebt das VK seine Dies äußert sich erstens im Verhältnis zu eigenständige globale Rolle hervor. Die G7 China. So hat das britische Parlament ein nutzt es zunehmend als außenpolitisches Installationsverbot von 5G-Infrastruktur Forum, etwa mit Einladungen an Australien, von Huawei erlassen, das ab September 2021 Indien und Südkorea sowie mit den gemein- gilt. Nach dem harten Vorgehen der Volks- samen Erklärungen der G7-Außenminister, republik in seiner ehemaligen Kolonie Hong- einschließlich des Hohen Vertreters (HV) kong hat London allen Einwohnern Hong- der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, kongs Visa inklusive der Perspektive auf etwa zu Myanmar, Hongkong oder dem russi- britische Staatsbürgerschaft angeboten. Mit schen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Blick auf die US-Administration unter Joe Ukraine. Biden will London gegenüber China Härte Mit diesen Ansätzen will London das sou- zeigen und sich als wichtigster europäi- veräne, globale Großbritannien bewusst als scher Partner in Stellung bringen. positiven Gegenentwurf zur negativ kon- Gleichzeitig skizziert London in der IR notierten behäbigen EU positionieren. Aus einen ›ausgewogenen‹ Ansatz gegenüber britischer Sicht schließen sich für die eigene China, dem zufolge es zwar ein systemischer Post-Brexit-Außenpolitik ein stärkerer glo- Herausforderer und die größte staatliche baler Einfluss Londons und eine direkte Ko- Bedrohung für die wirtschaftliche Sicherheit operation mit der EU weitgehend aus. Wäh- des VK ist, China und das VK aber auch vom rend dieses Narrativ auf rhetorischer Ebene bilateralen Handel und von gegenseitigen verfängt, ist es praktisch nicht zu halten. Investitionen profitieren. Nicht zuletzt Denn Engagements wie Initiativen in der müsse China mit an Bord sein, um globalen G7-Präsidentschaft oder abgestimmte Sank- Herausforderungen wie dem Klimawandel tionen gegen China wegen Menschenrechts- begegnen zu können. London will also wie verletzungen wären alle auch als EU-Mit- die EU Kooperation und Wettbewerb mit glied möglich gewesen. Der Austritt aus der SWP-Aktuell 35 April 2021 3
Union und die aktuell dysfunktionale Bezie- haushalt und erfüllt das 2-Prozent-Ziel hung zu ihr schwächen vielmehr den Hand- bei den Verteidigungsausgaben und das lungsspielraum Londons als selbstdeklarier- 20-Prozent-Investitionsziel der Nato. Das ter Vorreiter des Multilateralismus. Britische Verteidigungsbudget von aktuell 41,5 Mil- Prioritäten, von Technologieregulierung bis liarden Pfund wurde im November 2020 zum Klimawandel, ließen sich einfacher außerordentlich um 16,5 Milliarden Pfund mit der EU erreichen als ohne sie – oder für die kommenden vier Jahre aufgestockt, gar gegen sie. zudem soll es jährlich um 0,5 Prozent über dem Inflationswert wachsen. Allerdings Globaler sicherheits- und besteht im Ausrüstungsplan 2020–2030 verteidigungspolitischer Akteur eine substantielle Finanzierungslücke. Diese Erhöhung ist gleichermaßen ein Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist für Signal an Washington, dass London militä- London ein zentraler Bereich, um seine risch relevant und in Europa führend blei- Rolle als globale Führungsnation zu unter- ben will. Neben dem in der IR beschlosse- streichen. Diesen Anspruch will es erfüllen, nen Ausbau der nuklearen Abschreckung indem es bestehende Allianzen stärkt, neue und der Marine will Großbritannien seine Kooperationen ausbaut, seine internationale Cyber- und Weltraumfähigkeiten verbes- Präsenz ausweitet und seine Streitkräfte sern und neue Technologien in die Streit- modernisiert. Ziel ist weltweite Einsetzbar- kräfte integrieren. Gleichzeitig soll (zumin- keit, wobei der Fokus auf maritimen Fähig- dest mittelfristig) das euroatlantische Engage- keiten, Digitalisierung und der Integration ment Priorität behalten; der IR zufolge ist neuer Technologien liegt. Russland die »most acute« Bedrohung. Lang- Die Stärkung der Allianzen betrifft in fristig wird die Pazifikregion entscheidend. erster Linie die transatlantischen Beziehun- Die IR und die militärische Umsetzung gen und die Nato. London drängt noch nach- (Defence in a Competitive Age) beantworten drücklicher darauf, die Nato (anstatt der EU) mehrere Fragen nur teilweise. Zunächst als Ort für europäische militärpolitische wird das VK selbst mit der Aufstockung des Koordinierung zu nutzen. Dem steht aller- Verteidigungshaushalts global nicht allein dings in der Praxis eine britische Tendenz handlungsfähig; der britische Flugzeugträger zu bi- (etwa mit Frankreich) und multilate- im Indo-Pazifik beispielsweise braucht US- ralen Formaten (wie der Joint Expeditionary Geleitschutz. Ferner könnte es durch die Force) gegenüber. Auch folgen der jüngst globale Ausrichtung Fähigkeiten abbauen, beschlossene Ausbau der Flotte, der Fokus die laut Nato in Europa benötigt werden, auf neue Technologien und der »tilt« zum etwa im Landbereich. So soll das Heer von Indo-Pazifik keiner innerhalb der Nato ab- der ursprünglichen Planungsgröße 82 000 gestimmten Logik, sondern einer souverä- auf 72 500 Mann im Jahr 2025 verkleinert nen Priorisierung. Tatsächlich will London werden (vgl. SWP-Aktuell 101/2020). Mit als Zeichen der globalen Orientierung seine dem Schwenk nach Asien gewinnt London internationale Präsenz und Agilität erhöhen militärisch zwar an globaler Sichtbarkeit, und Partnerschaften außerhalb Europas hat aber dort nicht den gleichen strategi- intensivieren, vor allem mit den Staaten der schen Einfluss, den seine Fähigkeiten in »Five Eyes« und mit Singapur, Australien, Europas Verteidigung haben, wo sie (noch) Malaysia, Neuseeland in den Five Power eine Schlüsselrolle spielen. Defence Arrangements, aber auch mit ande- ren ASEAN-Staaten, mit Japan, Südkorea und Indien sowie Partnern im Nahen Osten Ablehnung der EU als außen- und Afrika. politischer Akteur und Partner Großbritannien verfügt laut dem Inter- national Institute for Strategic Studies über Eine Zusammenarbeit mit der EU in der den weltweit viertgrößten Verteidigungs- Außen- und Sicherheitspolitik lehnt die SWP-Aktuell 35 April 2021 4
britische Regierung bisher weitgehend ab. Auswärtigen Dienst gestellt und mit diesem Während die Kooperation in diesem Be- zusammengearbeitet hat. In seiner Rede auf reich mit einzelnen EU-Staaten, allen voran der Münchner Sicherheitskonferenz 2021 Frankreich und Deutschland, großteils vom skizziert Boris Johnson ein »Global Britain«, Brexit abgekoppelt wurde, hat die Zusam- das sich für das Erstarken des Westens und menarbeit mit der EU an sich deutlich ge- die multilaterale Weltordnung einsetzt – litten. Premier Johnson unterschrieb noch in der die EU aber in der Außen- und Sicher- im Januar 2020 gemeinsam mit dem Aus- heitspolitik nicht vorkommt. trittsabkommen die (rechtlich unverbind- Ähnlich trüb sind die Aussichten in der liche) politische Erklärung über die zu- Verteidigungspolitik. Die EU hat Großbritan- künftigen EU-VK-Beziehungen, die unter nien angeboten, sich unter den regulären anderem das Ziel einer engen »Sicherheits- Bedingungen für Drittstaaten an GSVP-Ope- partnerschaft« beinhaltete. Hierzu sollten rationen oder Projekten der Ständigen Struk- ein regelmäßiger Austausch in der Außen-, turierten Zusammenarbeit zu beteiligen. Sicherheits- und Verteidigungspolitik ge- Letzteres streben mittlerweile selbst die hören, eine Abstimmung bei Sanktionen USA an. Die britische Regierung hingegen oder die Beteiligung des VK an Operationen lehnt alle Möglichkeiten ab. im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP). Die britisch-europäische Kluft Davon ist bei der Aushandlung des künf- tigen Verhältnisses 2020 nichts geblieben. Der britische Positionswechsel in der Außen- Wenige Tage nach Unterschrift der politi- und Sicherheitspolitik lässt sich zum großen schen Erklärung veröffentlichte die britische Teil mit der innenpolitischen Dynamik im Regierung ihr Verhandlungsmandat, in dem VK erklären. Hier setzten sich 2019 die har- sie keine institutionalisierte Zusammen- ten Brexit-Befürworter durch. Boris Johnson arbeit mit der EU in der Außen- und Sicher- holte nach seiner Amtsübernahme aus- heitspolitik mehr vorsah. Das Wort »Vertei- schließlich Brexiteers in sein Kabinett, die digung« oder Bezüge zur Kooperation auf wie Außenminister Dominic Raab teils ihre diesem Gebiet fehlten. Als Folge sucht man gesamte politische Karriere für den EU-Aus- Regelungen zur Kooperation in der Außen- tritt gekämpft haben. Während die EU in und Sicherheitspolitik im HKA vergeblich. der Handelspolitik oder der inneren Sicher- Ein Austausch über diese Themen ist selbst heit von so zentraler Bedeutung ist, dass in den mit dem HKA geschaffenen EU-VK- sich das VK unausweichlich mit ihr arrangie- Institutionen nicht geplant. US-Außen- ren muss, bleibt sie in der Außen-, Sicher- minister Antony Blinken nahm jüngst am heits- und vor allem der Verteidigungspoli- EU-Außenministerrat als Gast teil – der- tik schwach. gleichen wünscht London nicht. Daher setzt London darauf, die EU in die- Auch in der IR blendet London die EU sem Bereich folgenlos umgehen zu können als Akteur oder gar Partner in der Außen- und sich stattdessen bi- und multilateral und Sicherheitspolitik aus; erwähnt wird namentlich mit Frankreich und Deutsch- sie ausschließlich als Partner in der Klima- land direkt abzustimmen, zu einem geringe- politik. Zudem hat das britische Außen- ren Grade auch mit Polen oder den nordi- ministerium dem EU-Botschafter die diplo- schen Staaten. Dieser Fokus auf alternative matische Anerkennung mit dem Argument Formate kann durchaus als Versuch gewer- verwehrt, damit einen Präzedenzfall für tet werden, die EU außen- und sicherheits- andere internationale Organisationen zu politisch zusätzlich zu schwächen. Dies ist setzen. Dies ist wenig überzeugend, zumal nicht nur eine verpasste Chance für eine nicht nur alle anderen 140 Drittstaaten mit dringend notwendige positive Kooperation EU-Delegation deren Botschafter anerken- zwischen der EU und dem VK, sondern er- nen, sondern auch das VK bis zu seinem höht ebenfalls das Risiko, dass die Europäer EU-Austritt Personal für den Europäischen von Dritten wie Russland, China und in SWP-Aktuell 35 April 2021 5
Einzelfällen auch den USA gespalten werden. abzustimmen. Treffen fanden häufiger statt, Außerdem verlieren insbesondere zwischen die Themenpalette wurde verbreitert (vom der EU und dem VK nicht abgestimmte Südchinesischen Meer bis zur Vergiftung des Sanktionen an Wirkungskraft und die Ge- Agenten Sergej Skripal), neben den Außen- fahr steigt, dass die Briten sich auch in der ministern trafen sich die Verteidigungs- Außen- und Sicherheitspolitik schrittweise minister, Partner wurden assoziiert. Das E3- von der EU entfernen. Format erlaubt, London auch ohne institu- Die EU tut sich ihrerseits schwer mit der tionelles Abkommen in EU-Entscheidungen außen- und sicherheitspolitischen Koopera- indirekt einzubeziehen, Positionierungen tion mit dem VK. Die Gemeinsame Außen- über EU-Themen hinaus abzusprechen und und Sicherheitspolitik (GASP) steht im Wider- gemeinsam vorzugehen. spruch zu Bilateralisierungen, »cherry-pick- Allerdings befürchten andere EU-Staaten ing« und zur ausschließlichen Nutzung ein exklusives und intransparentes Format, flexibler Formate. Das EU-Mandat für die das die europäische Geschlossenheit zu Aushandlung der zukünftigen Beziehungen unterminieren droht, Interessen anderer zielte zwar auf eine Zusammenarbeit in Staaten nicht berücksichtigt oder gar als diesem Politikfeld ab, betonte aber ausdrück- Direktorat Entscheidungen vorgibt. Die lich die Bewahrung der »Entscheidungs- Atomverhandlungen mit dem Iran wurden autonomie« der EU. Angeboten wurde dem über eine einflussreiche Rolle des HV an die VK lediglich, sich als Unterstützer ohne EU angebunden; dieser war bei der jüngsten Mitspracherecht an EU-Entscheidungen zu Wiederbelebung des Formats jedoch nicht beteiligen, was mit seinem außen- und anwesend. Auch gilt es zu verhindern, dass sicherheitspolitischen Gewicht sowie seinem London einen Erfolg der E3 als Misserfolg Selbstverständnis kaum vereinbar ist. der EU-Außenpolitik deklariert und die normative Auseinandersetzung vorantreibt. Erfolgversprechend mit Blick auf Ergeb- Mögliche Formate nisse und Akzeptanz scheint eine themen- spezifische temporäre Ergänzung: E3 + X. In der Folge findet die Zusammenarbeit Wenn es um die östliche Nachbarschaft der zwischen dem VK und den EU-Staaten in EU geht, könnte etwa Polen dazukommen. der Außen- und Sicherheitspolitik zurzeit Für die EU-Nato-Kooperation böte sich E3 + primär in flexiblen Formaten statt. Diese Nato-Generalsekretär + EU HV an. Berlin sollten im gegenseitigen Interesse genutzt und Paris sollten darauf drängen, den HV werden, um – oft in parallelen Prozessen – einzubinden, um die Legitimität der Union London in internationalen Fragen im euro- zu stärken. Er könnte ihre Interessen ver- päischen Rahmen zu halten, externe Spal- treten und als »watchdog« der anderen EU- tungsversuche zu unterbinden und Groß- Staaten deren Positionen einbringen. Per- britanniens Beziehung zur EU aufrechtzu- spektivisch könnte auch der lang diskutierte erhalten. Folgende Formate bieten sich an: »Europäische Sicherheitsrat« zur Einbettung Das derzeit oft diskutierte E3-Format, Londons genutzt werden, zu dem aber noch bestehend aus Frankreich, Großbritannien viele Fragen geklärt werden müssten. und Deutschland, bezieht seine Reputation Die Quad, in diesem Fall die E3 und die vor allem aus den Verhandlungen zum USA, hat in der Vergangenheit auf Ebene der Nuklearabkommen mit dem Iran seit 2003. politischen Direktoren gut funktioniert, Seit 2016 ist seine Bedeutung gestiegen: Es was Informationsaustausch und Koordinie- gilt als Möglichkeit, trotz des Brexits außen- rung angeht. Seit Blinken US-Außenminister politische Koordinierung zwischen den drei ist, traf sich zudem die Außenminister-Quad großen europäischen Ländern zu gewähr- mehrfach, etwa zum Iran, zu Myanmar und leisten, der schwachen GASP Anstöße zu China. geben und den Umgang mit dem schwierigen Wie bei den E3 liegt die Herausforderung US-Präsidenten Donald Trump (2017–2021) der Quad darin, dass andere EU-Staaten ihre SWP-Aktuell 35 April 2021 6
Nichtbeteiligung kritisieren, allen voran Bi- und minilaterale Gespräche mit London Polen, Italien und Spanien. Zu Recht ver- könnten zum Beispiel dazu dienen, EU- weisen Letztere darauf, dass sie bei bestimm- Sanktionsentscheidungen zu flankieren. ten Themen genauso viel oder mehr Ein- London hat sich seit dem Brexit-Referen- fluss oder Fähigkeiten einbringen können dum um engere bilaterale Beziehungen be- wie die E3, etwa mit Blick auf die Südflanke müht, nicht zuletzt aufgrund der Annahme, der EU. Die USA haben aus Sorge vor sol- Berlin könne die EU-Verhandlungen (und chen Beschwerden den Begriff »Quad« lange EU-Politiken allgemein) maßgeblich be- vermieden. Londons Fokus auf die E3 und einflussen. Deutschland hingegen hat Wert die Quad deutet auf ein britisches Politik- darauf gelegt, die Zusammenarbeit mit den verständnis hin, das auf die USA und große EU-27 zu priorisieren und den Eindruck Staaten setzt, anstatt themenbezogen nach zu vermeiden, eine bilaterale Kooperation relevanten Akteuren zu suchen. Diese Les- könne diejenige innerhalb der EU unter- art sollte sich Berlin nicht zu eigen machen, minieren. sondern wie beim E3-Format auf einer the- Nach dem Vollzug des Brexits besteht menspezifischen temporären Erweiterung Spielraum für Deutschland, diese Balance der Quad insistieren. So könnte Deutsch- hin zu etwas mehr bilateraler Kooperation land in seiner Brückenfunktion sicherstel- mit dem VK zu verlagern. Denn gerade in len, dass auch die Interessen der EU-Partner der Außen- und Sicherheitspolitik ist die einbezogen werden. Entscheidungsautonomie der EU nicht ge- Auf globaler Ebene bietet sich als flexib- fährdet; vielmehr ist es sinnvoll und gebo- les Format die G7 auch zur Koordination in ten, London parallel einzubinden, solange der Außen- und Sicherheitspolitik an. Lon- dies in Ergänzung und nicht anstelle der don hat während seiner G7-Präsidentschaft außen- und sicherheitspolitischen Koopera- das Format für außenpolitische Koordinie- tion innerhalb der EU stattfindet. Die seit rung genutzt, begünstigt durch den Macht- langem geplante Unterzeichnung der ge- wechsel in Washington. Vorteil ist hier, meinsamen Erklärung zur bilateralen dass die EU bereits G7-Mitglied ist und der Zusammenarbeit in der Außen- und Sicher- HV an den Erklärungen der G7-Außen- heitspolitik könnte hier ein positives Signal minister beteiligt war. Nach Großbritannien senden. übernimmt 2022 Deutschland die G7-Präsi- Ad-hoc-Koordinierung mit der EU: dentschaft, könnte also die außen- und Schließlich sollte sich Deutschland dafür ein- sicherheitspolitische Nutzung des Formats setzen, dass trotz des schwierigen Verhält- fortführen. nisses zwischen EU und britischer Regie- Die Nato bleibt das zentrale militärpoliti- rung alle flexiblen Möglichkeiten zur EU- sche Forum für europäische und transatlan- VK-Koordinierung ausgeschöpft werden. tische Koordination. Es liegt daher in bei- Vorbild hierfür könnte die zunehmende derseitigem Interesse, dass Großbritannien Abstimmung mit den USA sein: In Analogie ein starker und verlässlicher Partner bleibt. zu den Besuchen von US-Präsident und Aus deutscher Sicht ergänzen EU-Verteidi- US-Außenminister im Europäischen Rat gungsinitiativen die Nato-Verpflichtungen bzw. Außenministerrat könnte etwa der und erhöhen die europäische Handlungs- britische Außenminister eingeladen werden fähigkeit. Deshalb sollte die Nato-EU-Koope- zu Beratungen zum Umgang mit Russland ration für eine weitere Anbindung des VK oder zum Vorgehen im Indo-Pazifik. Solche an EU-Initiativen genutzt werden. Versuche, Ad-hoc-Formate könnten schrittweise Ver- EU und Nato gegeneinander auszuspielen, trauen aufbauen und in Einzelfragen den gilt es indes zu unterbinden. Nutzen gegenseitiger Koordinierung unter- Überdies sollte Deutschland dort, wo es streichen, ohne dass die Entscheidungs- seinen Interessen entspricht, die bilaterale autonomie der EU oder die britische Souve- Koordinierung mit London anstreben und ränität eingeschränkt würden. durch regelmäßigen Austausch stärken. SWP-Aktuell 35 April 2021 7
Zielkonflikte mit Blick auf Kooperation legen. Deutschland sollte sich die künftige Zusammenarbeit dafür einsetzen, dass sich die EU-Länder untereinander über ihre bilaterale Zusam- Die Einbindung Großbritanniens in außen-, menarbeit mit dem VK austauschen, damit sicherheits- und verteidigungspolitische Ko- sie nicht gegeneinander ausgespielt werden. operation(en) stellt gerade Deutschland vor Thematisch ist sich die EU bzw. Deutsch- erhebliche Zielkonflikte, muss es doch zwei land mit Großbritannien bei den meisten durch den Brexit gegensätzlich gewordene außenpolitischen Dossiers einig. Hier ist Interessen abwägen: Einerseits bleibt das Kooperation möglich, etwa mit Blick auf die Vereinigte Königreich ein wichtiger Partner, COP26, den Iran oder Russland. Einige we- © Stiftung Wissenschaft mit dem Deutschland viele Interessen, Werte nige Felder bergen Konfliktstoff, vor allem und Politik, 2021 und Herausforderungen teilt. Andererseits handelspolitische und regulatorische Fragen Alle Rechte vorbehalten erschwert die ideologisch getriebene grund- sowie pandemiebezogene Themen (Impf- sätzliche Ablehnung Großbritanniens, mit stoffe). Diese drohen das angespannte Ver- Das Aktuell gibt die Auf- der EU in der Außen- und Sicherheitspolitik hältnis zu dominieren, wie der aktuelle fassung des Autors und der Autorin wieder. zu kooperieren, die Abstimmung derzeit Konflikt um das Nordirland-Protokoll zeigt. beträchtlich. Solange die britische Regierung Langfristiges Ziel sollte eine Normalisie- In der Online-Version dieser eine Zusammenarbeit mit der EU hier so ka- rung und Institutionalisierung der EU-VK- Publikation sind Verweise tegorisch ablehnt, sind Partner wie Deutsch- Beziehungen sein. Voraussetzung hierfür auf SWP-Schriften und land und Frankreich gezwungen zu wäh- wären eine größere Offenheit der EU; eine wichtige Quellen anklickbar. len: zwischen einer Koordination innerhalb veränderte politische Position Londons; SWP-Aktuells werden intern der EU und einer bi- bzw. multilateralen eine erfolgreichere EU-Außenpolitik, die die einem Begutachtungsverfah- Zusammenarbeit mit dem VK. Dieser Ziel- Union als Partner attraktiver macht, oder ren, einem Faktencheck und konflikt wird sich angesichts der verhärte- eine Veränderung der internationalen Sicher- einem Lektorat unterzogen. ten Positionen nicht kurzfristig lösen lassen. heitslage, die mehr Kooperation erfordert. Weitere Informationen Mittelfristig ist daher mit »ad hocism« und Das Superwahljahr 2024, in dem in den zur Qualitätssicherung der SWP finden Sie auf der SWP- Kooperationen in kleineren Formaten (wie USA, in Großbritannien und der EU gewählt Website unter https://www. den E3) zu rechnen. Informelle Kontakte wird und sich alle drei Akteure potentiell swp-berlin.org/ueber-uns/ zwischen dem VK und der EU bzw. einzel- neu aufstellen, könnte den Weg ebnen für qualitaetssicherung/ nen EU-Staaten werden dominieren, dar- qualitativ neue Beziehungen zwischen der über hinaus wird bei gemeinsamen Inter- EU und dem Vereinigten Königreich. SWP Stiftung Wissenschaft und essen eine themengebundene Koordination Bis dahin sollte das deutsche Interesse Politik stattfinden, beispielsweise bei Sanktionen. darauf ausgerichtet sein, durch regelmäßi- Deutsches Institut für Die belasteten EU-VK-Beziehungen setzen gen Austausch eine enge Koordination mit Internationale Politik und jedoch auch der bilateralen Kooperation London zu gewährleisten, und zwar in bi- Sicherheit Grenzen, denn je weiter sich der Konflikt und minilateralen Formaten sowie in der zwischen der EU und dem VK zuspitzt, Nato. Das übergeordnete Ziel sollte stets Ludwigkirchplatz 3–4 10719 Berlin etwa was Nordirland oder die Impfstoff- sein, die Außen- und Sicherheitspolitik der Telefon +49 30 880 07-0 verteilung angeht, desto schwieriger wird es EU grundsätzlich und nachhaltig zu stärken. Fax +49 30 880 07-100 für Deutschland und andere EU-Staaten Jegliche Versuche Londons, kleinere For- www.swp-berlin.org wie Irland, normale Beziehungen zu Lon- mate gegen die EU als Ganzes oder einzelne swp@swp-berlin.org don zu pflegen. Gleichzeitig kann eine EU-Staaten gegeneinander auszuspielen ISSN (Print) 1611-6364 erfolgreiche mittelfristige Kooperation (z. B. und damit die Union zu schwächen oder ISSN (Online) 2747-5018 in den E3, der G7 oder bilateral) funktionie- vorzuführen, müssen abgewehrt werden. doi: 10.18449/2021A35 rende Arbeitszusammenhänge wiederher- Die EU wie ihre Mitgliedstaaten müssen stellen, Vertrauen aufbauen und positive sich darüber im Klaren sein, dass die Zu- Ergebnisse zeitigen – und somit die Basis sammenarbeit mit London auf absehbare für eine langfristige institutionalisierte Zeit schwierig sein wird. Dr. Claudia Major ist Leiterin der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik. Dr. Nicolai von Ondarza ist Leiter der Forschungsgruppe EU / Europa. SWP-Aktuell 35 April 2021 8
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