AFRIKA UND DAS KULTURERBE - Ein Bericht aus der Arbeitsgruppe "Kulturelles Erbe und sein Weiterleben in Afrika"
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58 Afrika forum 1-2/2007 AFRIKA UND DAS KULTURERBE Ein Bericht aus der Arbeitsgruppe „Kulturelles Erbe und sein Weiterleben in Afrika“ Die Probleme Afrikas, sein reiches kultur- facht, haben sich vervielfacht. Dem Völkermord elles Erbe, die Wahrnehmung dieses großen in Ruanda folgten weitere Massaker und Verbre- und äußerst vielfältigen Kontinents in Eur- chen gegen die Menschlichkeit mit Millionen opa sowie seine Bedeutung für die Mensch- von Opfern im Kongo, Uganda und Darfur, um heit waren einige der spannenden Themen nur die gravierendsten zu nennen. Islamistische der Arbeitsgruppe „Kulturelles Erbe und Bewegungen konnten ihren Einfluss ausweiten. sein Weiterleben in Afrika“ während der Jahrestagung 2006. Fachvorträge von und Die Situation vieler Menschen – glaubt man Diskussionen mit Experten ermöglichten ei- den steigenden Flüchtlingszahlen – hat sich ver- nen Erfahrungsaustausch und vermittelten schlechtert, sie suchen ihr Heil in Europa. Es ist unterschiedliche Perspektiven des Themas. eine kurzsichtige und gefährliche Illusion zu glau- ben, es bestünde kein Grund der Beunruhigung Am 9./10. September 2006 meldete die Berliner und wir wären nicht ernsthaft tangiert, wir, die „tageszeitung“ unter der Überschrift „Blinder Fleck wir von Afrika durch Meere getrennt sind, ge- Afrika“, dass mit „dem Zusammenschrumpfen der sichert durch Zäune und Überwachungskameras. Berliner Unis (…) Afrika als Schwerpunkt aus dem Lehrplan der Freien Universität (verschwand)“. Spätestens seit dem 11. September sollten Der einzige afrikanische Wissenschaftler für die wir wissen, dass wir selbst entfernteste Welt- Politik Afrikas in Deutschland, der kamerunische gegenden nicht sich selbst überlassen können. Prinz Kum’a Ndumbe, verlor seinen Lehrstuhl. Aus geschichtlichen, moralischen und sicher- heitspolitischen Gründen muss sich Europa er- Untersuchungen der letzten Jahre zeigen, dass neut und verstärkt Afrika zuwenden. Unfreiheit, Medienberichte über Afrika seltener geworden Armut und Elend, Chaos und Auflösung sind sind. Es scheint, als würde der Kontinent immer Umstände, die Gegner der Freiheit, der Demo- mehr aus dem Blickfeld Europas entschwin- kratie und der Menschenrechte zu nutzen wissen. den, so als ob sich die Prognose eines meiner Geographieprofessoren vom Beginn der 90er Die Wiege der Menschheit bewahrheiten würde. Professor Kum’a Ndumbe Afrika ist mehr mit Europa verbunden, als wir uns leitete seinen Vortrag über die Zukunft Afrikas eingestehen wollen. Es ist die Wiege der Mensch- nach Ende des Kalten Krieges damit ein, dass heit. In Afrika vollzog sich „Die Menschwerdung er eine Geschichtskarte von 1850 aufhängte, der Affens“ (Engels), die Entwicklung zum Homo die das Innere des noch in großen Teilen uner- Sapiens, der sich über alle Erdteile verbreitete. forschten Afrikas als weiße Fläche zeigte. Seine Analyse kam zu dem Ergebnis, dass sich Afrika Afrika ist der Ausgangspunkt der einen Mensch- in absehbarer Zeit erneut zu einem größtenteils heit, die sich zuerst in kleinen Gruppen von weißen Kontinent zurück entwickeln würde, an Jägern und Sammlern zusammenschloss, dann dem niemand größeres Interesse zeigen würde. zu Gemeinschaften und Stämmen, die es ge- lernt hatten, Werkzeuge herzustellen und zu Schaut man sich die vergangenen fünfzehn Jah- benutzen, das Feuer zu bändigen, eine Sprache re an, so kann man neben einigen allgemeinen zu entwickeln, Tiere zu züchten und Pflanzen Erfolgen eine Vielzahl von beunruhigenden anzubauen, Städte, Staaten und Reiche bildeten. Entwicklungen ausmachen, die Afrika betreffen. Nur einige wenige Staaten gewannen stabilere Kulturen entstehen nicht ex nihilo, sie haben und demokratischere Verhältnisse, in vielen Län- Vorgänger, die sie beeinflussen, auf deren Wis- dern stagnierte die Wirtschaft, Korruption und sen und Erfahrungen sie aufbauen konnten. Frau Vetternwirtschaft breiteten sich aus. Von West- Dr. Schoske, Leiterin des Staatlichen Museums über Zentral- bis Ostafrika hat sogar ein Prozess ägyptischer Kunst München, zeigte auf, in der Auflösung von Staaten eingesetzt, ethnische welchem Umfang die afrikanische Kultur Nu- Konflikte, von Warlords und Fanatikern ange- biens die Kultur des alten Ägypten beeinflusste.
forum 1-2/2007 Afrika 59 Foto: Donar Reiskoffer Das Dorf Aït-Ben-Haddou am Fuße des Hohen Atlas im Südosten Marokkos Die frühen Gesellschaften Afrikas ähnelten den Nach zwei Weltkriegen, die hauptsächlich Gesellschaften anderer Kontinente. Sie nahmen in Europa stattfanden und die Länder des über Handel, Austausch, aber auch Kriege Einfluss Kontinents schwächten, erlangten fast alle auf andere, wie auch andere sie beeinflussten. So ehemaligen Kolonien die Unabhängigkeit, unterhielten Phönizier, Griechen, Römer und By- teilweise nach langen und blutigen Befreiungs- zantiner Beziehungen zum schwarzen Kontinent. kriegen. Die neuen Regierungen, die auf die Kolonialherrschaft folgten, etablierten oft unfreie, Im Mittelalter drangen arabische Händler an diktatorische oder sogar totalitäre Regime, so der afrikanischen Westküste bis Mosambik dass die Entwicklung dieser Länder stagnierte. vor, errichteten Handelsniederlassungen. Stadt- staaten wie auf Sansibar entstanden, deren Das Ende des Kalten Krieges schuf neue Handelsbeziehungen bis nach Indien reichten. Rahmenbedingungen für Afrika. Ein wirkli- cher „Wind of Change“ erreichte allerdings Mit dem Beginn der Neuzeit begannen euro- nur wenige Staaten des Kontinents. Äußere päische Mächte – auf der Suche nach einem wie innere Bedingungen verhinderten eine Seeweg nach Indien – Kontakt zu afrikanischen prosperierende und freiheitliche Entwicklung. Küstenregionen aufzunehmen. Die anfänglichen Handelsniederlassungen entwickelten sich zu In den Kriegen, Staatsstreichen, Revolutionen, strategischen Fortifikationen des beginnenden Konterrevolutionen und Massakern ab 1945, transatlantischen Sklavenhandels, der für große die Millionen Opfer forderten, gerieten tausend- Teile Afrikas Elend und Niedergang brachte. Der jährige Traditionen aus den Fugen. Große Teile Menschenhandel entwickelte sich zu einem äu- der Menschen Afrikas haben ihre Bezugspunkte ßerst lukrativen Geschäft, an dem neben den Euro- verloren. Weder können sie ihr früheres Leben päern Araber, Osmanen und Afrikaner teilnahmen. weiterführen, noch haben sie Zugang zur friedli- chen Existenz der Bürger westlicher Rechtsstaaten. Im 19. Jahrhundert fand die Kolonisierung Afrikas ihren Abschluss, der Kontinent wurde unter den eu- Menschen, Kulturgüter und geschichtliche Orte, ropäischen Großmächten aufgeteilt. Eigenständige Natur und Umwelt gerieten in Gefahr. Nicht ohne kulturelle Entwicklungen wurden eingeschränkt Grund stehen zurzeit viele afrikanische Welterbe- oder unterbunden, Rohstoffe ausgebeutet, Wider- stätten auf der „Roten Liste“ der UNESCO. Es ist stand gewaltsam unterdrückt oder mit Massakern geboten, sich Afrika zuzuwenden, der Menschen, wie dem an den Hereros im ehemaligen Deutsch- der Demokratie und Menschenrechte wegen. Südwest-Afrika beantwortet. Zur Legitimation der europäischen Herrschaft diente u. a. der Rassismus.
60 Afrika forum 1-2/2007 Welterbestätten der UNESCO in Afrika schulen, erläuterte in einem Referat Vielfalt Zeugnisse der wechselvollen Geschichte Afrikas und Besonderheiten der Kulturen in Afrika. sind in den etwa 75 Welterbestätten der UNESCO dokumentiert. Über die Hälfte der Stätten zählen • Zahlreiche Texte über afrikanische Welterbe- zum Naturerbe der Menschheit und umfassen stätten aus der TV-Reihe „Schätze der Welt“ Naturparks und Reservate. Die Kulturerbestätten wurden auf deren Brauchbarkeit für den Unterricht beinhalten Höhlenmalereien aus der Frühzeit der untersucht und Möglichkeiten eruiert, wie die Menschheit, aber auch Sakralbauten und Paläste Welterbestätten in den Unterricht (Geschichte, aus der Zeit eigenständiger afrikanischer Reiche Geographie, Ethik etc.) integriert werden könnten. sowie der von Arabien beeinflussten Gesell- schaften. An die Kolonialzeit und die Apartheid „Ägypten liegt in Afrika“ erinnern Fortifikationen an den Küsten des Kon- Frau Dr. Schoske zeigte auf, wie die altafrikanische tinents sowie Erinnerungsstätten wie Robben Kultur der Nubier Altägypten beeinflusste und auf Island oder die Sklaveninsel Goree, die an das dessen Kultur einwirkte. Das antike Nubien war menschliche Gewissen appellieren und dokument- bereits Griechen und Römern bekannt. Erstere ieren, was Menschen Menschen antun können. nannten das Land südlich Ägyptens Äthiopien, „Land der Sonnenverbrannten“. Kirchenschrift- Angesichts wachsender Bedrohungen, angesichts steller berichteten später über die Christianisie- der Lage vieler Menschen in Afrika sollte Welt- rung des Landes im 6. Jahrhundert. Erst in der erbeerziehung „unsere afrikanische Vergangenheit“ Neuzeit begannen archäologische Grabungen, die ins Bewusstsein rufen und versuchen, durch Auf- bis heute andauern und immer neue Erkenntnis klärung und Bewusstmachung einen Beitrag zur Un- über die Kultur des alten Nubiens zutage fördern. terstützung der Entwicklung des Erdteils zu leisten. In der altägyptischen Weltsicht galten die Nu- Die AG Welterbe hat sich auf der Jahrestagung mit bier wie die nördlichen Gegner (Syrer, Hethiter den afrikanischen Ursprüngen der altägyptischen etc.) als fremdländischer Feind und wurden oft Gesellschaft, den unterschiedlichen Kulturen auch so dargestellt. Daneben gab es auch eine des südlichen Afrikas und anhand ausgewählter liebevolle, detailgetreue Wiedergabe des nubi- Natur- und Kulturerbestätten mit der Geschichte schen Menschen, der Dienerinnen, Ammen und des Kontinents und der Schönheit seiner Natur Musikanten. Ein wesentliches Charakteristikum befasst. Sie hat Wege und Möglichkeiten er- der nubischen Kultur seit dem Neolithikum war arbeitet, wie Welterbeerziehung dazu beitragen die Töpferkunst. Funde aus dem späten 5. und kann, den Emanzipationsprozess Schwarzafrikas frühen 4. Jahrtausend belegen einen künstleri- zu begleiten. Damit die „Wiege der Menschheit“, schen und technischen Standard, der in Ägypten unser gemeinsamer Herkunftskontinent, den keine Entsprechung findet. Auch in späterer Zeit Stellenwert in der Welt erhält, der ihr zukommt. wird diese Vorrangstellung – die Keramik betref- fend – im Wesentlichen gewahrt bleiben. Erst in Die AG Welterbe beschäftigte sich – entsprechend jüngster Zeit wurden hoch entwickelte Rund- dem Thema der Jahrestagung „Afrika – der ver- plastiken (Idole) in nubischen Gräbern entdeckt. gessene Kontinent?“ – mit folgenden Aspekten: • Frau Dr. Sylvia Schoske, Leiterin des Staat- Auf das Neolithikum folgten die Kulturen der A- lichen Museums ägyptischer Kunst München, und C-Gruppe in Unternubien (3700 – 1500 v. Chr.). legte dar, wie Ägypten selbst Teile afrikani- Die Keramikproduktion verfeinerte sich, Dekor, scher Kultur in die eigene Kultur integrierte. Muster und Farben wurden verwendet, die Gräber wurden imposanter gestaltet und erhielten vor dem • Frau Trudie Amulungu, Generalsekretärin eigentlichen Rundbau Anbauten für Opfergaben. der Namibischen UNESCO-Kommission, er- läuterte die Vielfalt der Kulturen und Ethnien Um 2500 entstand in Obernubien das erste nubi- Namibias sowie die Politik ihres Landes, die- sche Königreich, Kerma. Riesige Königsgräber se Vielfalt in den Rahmen des Gesamtstaates und monumentale Kultbauten wurden errichtet, Namibia und die Globalisierung einzupassen. die Keramik erreichte in der Kermaperiode ihre größte Blüte: „Mit ihren eleganten Formen und • Wa l t e r Ta u s e n d p f u n d , K o o r d i n a t o r einer hauchdünnen Wandung zählen die Gefäße für Welterbeerziehung der unesco-projekt- der Klassischen Epoche (1750-1500 v. Chr.) zum
forum 1-2/2007 Afrika 61 Besten, was je an Keramik im Niltal geschaf- Es kann mittlerweile als gesichert angesehen wer- fen wurde“ (Skript Frau Dr. Schoske, S. 10). den, dass es seit der Steinzeit afrikanische Einflüs- se auf die Nilregion gab, die sich im Neolithikum Die Jahrtausende währende Geschichte der verdichteten und vermittels der Nubier auf das Alte Beziehungen zwischen Ägypten und Nubien Ägypten ausstrahlten. Insofern hat der Titel einer war durch Krieg, Vorherrschaft und gelegentli- Ausstellung, die vor ein paar Jahren weltweit ge- che ruhigere Zwischenzeiten geprägt, in denen zeigt und Aufsehen erregte, recht: „Ägypten liegt in eigenständige nubische Kulturen aufblühen Afrika“. Afrika hat einen nicht unbedeutenden An- konnten. In der ägyptischen Kunst lässt sich teil an der Entwicklung dieser bedeutenden Fluss- bereits für das Alte Reich ein in Oberägyp- kultur, was bisher nur marginale Beachtung fand. ten beheimateter „nubischer“ Stil erkennen. Namibia – „Einheit in Vielfalt“ Während der Zeit des Mittleren und Neuen Rei- Frau Trudi Amulungu, Generalsekretärin der ches setzte sich die Kolonisierung Nubiens fort. Namibischen UNESCO-Kommission, erläuterte Festungen entstanden nilaufwärts entlang des in ihrem Vortrag Geschichte und Situation Stromes, das Kermareich wurde zerstört, eine Namibias 16 Jahre nach der Unabhängigkeit Ägyptisierung setzte ein und führte zum Ver- (1990). Namibia, das nach 1914 von Südafrika schwinden einheimischer Kulturen Unternubiens. erobert und zum Mandatsgebiet erklärt wurde, Als um 1500 v. Chr. die Hyksos von Asien her in konnte erst nach einem langen Befreiungskampf, Ägypten einfielen, wurden zahlreiche Nubier von hauptsächlich nach 1945, die Unabhängigkeit Ägypten als Söldner eingesetzt. Dies bewirkte, erlangen. Viele Menschen, die sich dem Apartheids- dass weit mehr ägyptische Kultur in Nubien system widersetzten, waren wie Nelson Mandela Anerkennung und Platz fand als in den voran- auf Robben Island gefangen gehalten worden. gegangenen Jahrhunderten der Besatzungszeit. Drei Aufgaben standen 1990 vor der neuen Re- Infolge innerägyptischer Schwierigkeiten verrin- gierung: die nationale Versöhnung zu befördern, gerte sich erneut die ägyptische Präsenz in Nubien, die wirtschaftliche Ungleichheit auszugleichen so dass in der Zeit von 1075 bis 745 v. Chr. fast und Prosperität zu erreichen. Die Wunden, die der jeder Kontakt abgebrochen zu sein schien. Eine Unabhängigkeitskampf auf allen Seiten geschla- neue nubische Kultur entstand, wurde mächtig und gen hatte, sollten durch eine versöhnende Politik eroberte schließlich Ägypten. Die kuschitische Dy- überwunden werden, ein einheitliches Bewußtsein nastie herrschte über 100 Jahre lang über Altägyp- sollte geschaffen werden. Nambia, das aus einer ten und gab dem Land zahlreiche neue Impulse. Vielzahl von Ethnien besteht, schuf dazu die Formel von der „Einheit in Vielfalt“. Artikel 19 der Ver- Auf die Kuschitenherrscher folgten unterägyptische fassung garantiert das Recht auf die eigene Kultur. Pharaonen, die nubische Einflüsse zurückdrängten. Eine neue, eigenständige Kultur, die der Napataer, Für die Bildungs- und Kulturpolitik bedeutete entwickelt sich in Nubien, die den mittleren Nil für dies, dass man den einzelnen Kulturen den ihnen weitere Jahrhunderte kontrollierte. Die Napataer zustehenden Platz in der Gesellschaft einräumte, entwickelten eine eigene Sprache, drückten sich daneben aber auch an einer gesamtnamibischen in Hieroglyphen und später in einer Kursivschrift Ausrichtung arbeitete. Englisch wurde als verbind- aus. Sie verehrten ägyptische wie eigene Götter liche Landessprache eingeführt, eine Sprache, die und begruben ihre Herrscher in Pyramiden. Am zu Beginn der Unabhängigkeit nur von wenigen Gebel Barkal entstand eine gewaltige Tempel- gesprochen wurde. Zum anderen wurden die stadt, dem ägyptischen Karnak vergleichbar. Einzelsprachen und Kulturen wieder belebt, wozu vor allem die kulturellen Festivals auf Gemeinde-, In den folgenden Jahrhunderten orientierte sich Regions- und Staatsebene dienten. Das alljährlich die nubische Kultur immer mehr nach Süden und im Dezember stattfindende nationale Kulturfestival verlegte ihre Hauptstadt nilaufwärts, so dass sie fand mittlerweile die Zustimmung fast aller in Na- mehr in den Einflußbereich zentralafrikanischer mibia lebender Ethnien und Bevölkerungsgruppen. Kulturen geriet. Die Entwicklung stagnierte. 350 n. Chr. zerstörte der König von Aksum aus In der Unterrichts- und Erziehungspraxis wurden dem äthiopischen Hochland die Hauptstadt Nu- beide Aspekte, die regionale und gesamtstaatliche biens, Meroe, und eroberte die Städte am Nil. Ausrichtung, im Fächerangebot umgesetzt: Der
62 Afrika forum 1-2/2007 Unterricht in den Klassen 1 bis 4 erfolgt in der Bereich (Versöhnung nach Kolonialismus und Muttersprache und Englisch ist eines von vielen Apartheid; Welterbestätten) gewählt werden. Unterrichtsfächern im Primarbereich. Ab der 5. Klasse wird dann der gesamte Unterricht auf Mehr immaterielles Welterbe aus Afrika Englisch erteilt. Daneben gibt es an den Schulen Walter Tausendpfund (Koordinator für Welt- Schulkulturclubs, in der traditionelle Erzähl- erbeerziehung der unesco-projekt-schulen) er- kunst, Landwirtschaft sowie Tänze unterrichtet läuterte in seinem Vortrag die besondere Bedeut- werden. In diese Programme sind einige der ung der Gesang- und Musikkultur Afrikas, die unesco-projekt-schulen des Landes involviert. spezifische Bedeutung oraler Traditionen. Diese Kultur sei stark gefährdet, vor allem durch die Die Anfangsschwierigkeiten 1990 sind ver- rasante Ausbreitung von AIDS. Die Krankheit sei ringert, aber noch nicht überwunden worden. dabei, die ältere Generation, die Trägerin der alt- Analphabetismus existiert weiterhin, 94 % der hergebrachten Kulturen, auszurotten. Diese stark Kinder und Jugendlichen besuchen eine Schule. durch Hirten und Bauern geprägte Kultur mit ihren Namibia ist eine sehr junge Gesellschaft, 40 % jahreszeitlichen und lebenszeitlichen Rhythmen der Bevölkerung sind unter 15 Jahren alt. Die drohe unterzugehen. Als probates Gegenmittel Verstädterung hat zugenommen, AIDS ist zu ei- biete sich an, so der Referent, Gesang und Erzähl- nem gravierenden Problem geworden, welches zur kunst zum Gegenstand von Welterbe zu machen Auflösung traditioneller Familienbande beiträgt. und sie so vor dem Untergang zu bewahren. Die unesco-projekt-schulen des Landes haben seit Afrikanische Welterbestätten im Unterricht ein paar Jahren Kontakte zu slowenischen Schulen, Die AG befaßte sich zu guter Letzt mit ausge- mit denen ein regelmäßiger Austausch stattfindet. wählten Texten über UNESCO-Welterbestätten Namibia, das noch keine Welterbestätte besitzt, Afrikas, mit Filmtexten der SWF-Sendung hat vor wenigen Jahren eine Felsenregion mit neo- „Schätze der Welt“ (www.schaetze-der-welt. lithischen Zeichnungen und Ritzungen auf die Vor- de), die seit einigen Jahren auf 3sat gezeigt wird. schlagsliste setzen lassen, die aller Voraussicht nach 2007 als Welterbestätte anerkannt werden wird. Die Analyse ergab, dass die Texte jeweils genau geprüft werden müssen, ob sie für den Unter- Peter Spätling vom Pegnitzer Gymnasium (E- richt geeignet sind. Gerade bei Naturerbestätten Mail-Adresse: spaetling-pegnitz@t-online. überwiegt oft ein feuilletonistischer Stil, der de), der bereits seit Jahren an Projekten mit Informationswert ist eher gering. Die Mehrzahl namibischen Schulen arbeitet und mehrfach das der Texte ist jedoch im Unterricht der Grund- Land bereiste, ergänzte den Vortrag durch eine und Mittelstufe einsetzbar, im Geschichts- und PowerPoint-Präsentation über „Cultural Villages Geographieunterricht, aber auch in Ethik und in Namibia“, Dörfer, die zum Teil rekonstruiert Religion. Es wird den Kollegien empfohlen, wurden, um Touristen und Einheimischen an- sich die Texte aus dem Internet zu besorgen und derer Regionen Namibias zu zeigen, wie die nach Möglichkeit im Unterricht einzusetzen. einzelnen Ethnien ihr Leben gestalteten. Diese Dörfer sind zu einer zusätzlichen Einnahme- Als Fazit lässt sich festhalten, dass die intensive quelle in abgelegeneren Gebieten geworden. und informationsreiche Beschäftigung mit Ge- schichte und Gegenwart Afrikas eine Vielzahl Für eine mögliche Kooperation zwischen deut- von neuen Aspekten und Betrachtungsweisen schen und namibischen unesco-projekt-schulen eröffnet hat. Afrika darf nicht zum „vergessenen soll folgender Vorschlag diskutiert und geprüft Kontinent“ werden, unserer gemeinsamen Zu- werden: Die International School Nelson Mandela kunft wegen. Geschichtslosigkeit und Indifferenz (Berlin), die Nelson-Mandela-Schule (Norken; treffen nicht allein die „Vergessenen“, sondern Rheinland-Pfalz), die bereits über Kontakte nach auch die „Vergesser“ und Indifferenten, nur ein Südafrika verfügen, sowie das Pegnitzer Gym- wenig später. Was wir aus den Erfahrungen der nasium (Bayern) sollen zu klären versuchen, ob europäischen Geschichte doch längst wissen. ein Dreiländerprojekt Deutschland – Namibia – Südafrika – möglicherweise unter Einbezug einer Steffen Noack slowenischen Schule – realisiert werden könnte. Koordinator für Welterbeerziehung Themen könnten z. B. aus dem geschichtlichen der unesco-projekt-schulen
forum 1-2/2007 Afrika 63 Die Vielfalt afrikanischer Kultur am Beispiel des mittleren und südlichen Afrikas Ist es nicht anmaßend, über einen Kontinent, in dessen Landmasse Europa zehnmal Platz fän- de, auf dem 650 Millionen, vielleicht 700 Millionen oder noch mehr Menschen wohnen, auf dem 50 Staaten, Tausende von großen Völkern und kleinen Ethnien, Kulturen und Religion- en bestehen – ist es nicht vermessen, sich ein Urteil über einen solchen Erdteil zu erlauben? (vgl. Bartholomäus Grill: Ach, Afrika. Berichte aus dem Inneren eines Kontinents, 3. Aufl. München 2005, S. 18f) I. Die Welterbe-Diskussion ist – gerade im afrikanischen Bereich – stark beeinflusst von verschiedenen Rahmen-Problemen: 1) Allgemeine (Vor-) Urteile belasten das europäische Kulturverständnis gegenüber Kulturen des afri- kanischen Kontinents: - Afrika gilt nach wie vor in den Augen vieler Europäer als „dunkler“, also eher unbekann- ter Kontinent – und wird mitunter aus europäischer Sicht zuweilen als „primitiv“ diffamiert. - Zudem gilt vor allem der Teil des Kontinents südlich der Sahara oft in neuerer Zeit als ge- prägt von Korruption, Vetternwirtschaft, Bürgerkriegen mit Kindersoldaten(innen) und Tendenzen zum Mord (vgl. Südsudan, Ruanda – Burundi). 2) Europazentrismus beherrscht noch weitgehend die UNESCO-Welterbe-Liste: darin sind die Hauptpro- tagonisten mit den meisten Welterbe-Stätten Italien, Spanien und Deutschland: sie dominieren mit den hier vorhandenen Stätten (Burgen, Schlössern, Domen, Stadtzentren etc.) das kulturelle Erscheinungsbild. Daneben vermisst man ein hinreichendes Verständnis für das spezielle afrikanische Kultur-Erbe. Möglicherweise liegt das daran, dass dort sehr Vieles nicht in materieller Verfassung vorliegt, Vieles infolge Kolonialismus zerstört wurde bzw. alte Strukturen von europäischen Strukturen überlagert worden sind (vgl. die Divergenz zwischen den Grenzen ursprünglicher/alter Herrschaftsgebiete und heutigen, fast willkürlich von den Kolonialmächten mit dem Lineal gezogenen Ländergrenzen). II. Versuch einer Gliederung der aktuellen afrikanischen UNESCO-Welterbe-Stätten: A) Zunächst soll ein Blick auf die statistischen Befunde der Welterbe-Liste erfolgen: Die Landkarte Afrikas im Verständnis der UNESCO umfasst - den Kontinent selbst (Sahara und Länder nördlich und südlich von ihr) - sowie Arabien (ohne Israel). In folgenden Ländern gibt es Welterbe-Stätten (in Klammern die jeweilige Anzahl): Arabien : Libanon (5), Jordanien (3), Oman (4), Syrien (4), Jemen (3), Irak (2). Afrika nördlich der Sahara: Algerien (7), Ägypten (6), Libyen (5), Marokko (8), Tunesien (8), Sudan (1), Äthio- pien (7), Mauretanien (2). Afrika südlich der Sahara: Benin (1), Kamerun (1), Zentralafrika (1), Elfenbeinküste und Guinea (2), Demokratische Re- publik Kongo (5), Gamibia (1), Ghana (2), Niger (2), Senegal, (4), Seychellen (2), Togo (1), Uganda (3). Südliches Afrika: Kenia (3), Madagaskar (2), Malawi (1), Mosambik (1), Südafrika (6), Tansania (6), Sambia und Simbabwe (1), Simbabwe (4). 18 Unterzeichner der Welterbe-Konvention in Afrika haben keine Welterbe-Stätte.
64 Afrika forum 1-2/2007 B) Eine genauere Betrachtung der Welterbe-Stätten in Afrika ergibt folgenden Befund: Es lassen sich grundsätzlich folgende Arten des Welterbes in Afrika unterscheiden: 1. Natur-Reservate - für einzelne Tierarten: z. B. Berg-Gorillas 2. Kultur-Stätten - Stätten zur Menschwerdung in Kenia und Südafrika: z. B. Olduway-Schlucht (Kenia), Fossil Hominid Sites of Sterkfontein, Swartkrans, Kromdraai (Südafrika) - prähistorische Kulturen: z. B. Felszeichnungen in der Sahara, in Südafrika - frühe eigenständige Kulturen: z. B. Ägypten (Memphis, Theben, Pyramiden), Jordanien: Petra (Nabatäer Reich), Jemen: Sabäer-Reich (Sana’a, Zabid, Shibam). Nubien: Abu Simbel, Philae in Ägypten, Gebel Barkal and the Sites of the Napatan Region, Äthiopien: Aksum, Ghana: Aschanti-Kultur, Nigeria: Benin-Kultur, Madagaskar (Royal Hill of Ambohimanga) - frühe Eroberungskulturen: z. B. Hinterlassenschaften der Punier und Römer nördlich der Sahara (z. B. Punic Town in Kerkuane/ Tunesien, Site of Carthage, Roman Amphitheatre of El Jem Volubilis/Marokko) - indigene Kulturkreise: z. B. Oman (Bahla-Fort) Zimbabwe - mittelalterliche Eroberungskulturen: z. B. islamischer Kulturkreis nördlich der Sahara: Marokko: Königsstädte Fez, Marrakesh, Meknes, Tetouan, Tunesien: Kairouan, Medina of Sousse, südlich und östlich der Sahara (Mittelmeer-Bereich: Ägypten), Mali (Timbuktu, Djenné) - neuzeitliche Eroberungskulturen: z. B. in Folge des Sklaven-Handels: Goree (Senegal), Sklavenburgen in Ghana, Sansibar (Stone Town of Zanzibar) und z. B. imperialistische Herrschaftszeichen: Kolonialbauten Marokko: Portugese City of Mazagan (El Jadida), Gefängnis-Insel: Robben-Island (Südafrika) III. Konsequenzen aus einem Blick auf das kulturelle (Welt-) Erbe im südlichen Afrika Kultur wird in Europa überwiegend als Manifestation von Hochkulturen und daraus entsprin- genden konkreten Phänomenen, also Bauwerken etc., verstanden. - Von daher verwundert es nicht, dass in Afrika (südlich der Sahara) nur eine geringe An- zahl von Welterbe-Stätten überhaupt besteht. - Hierbei ist ein erheblicher Überhang an Naturreservaten zu konstatieren. A. Die afrikanischen Kulturen wurden lange Zeit aus dem europäischen Kulturverständnis ausge- schlossen (oder, wenn es nicht mehr zu vertreten war, ihr Erscheinen dem Einfluss „fremder, den Negern politisch überlegenen Menschen“ zugeschrieben – so noch Diedrich Westermann 1952). B. Durch die Besinnung auf das spezifische afrikanische Kulturerbe könnte der Kultur-Begriff eine entscheidende Erweiterung erfahren: 1) Aber wer kennt schon genauer die ungeheuere Vielfalt und Heterogenität der alten afrikanischen Reiche und ihrer Kulturen in Afrika? z. B. in Westafrika: - Tekur in Senegal (1. Jh. n. Chr.) - Kanem-Borno (im 9. Jh. im Tschad-Becken begründet und erst in den 1890er Jahren infolge kolo- nialer Durchdringung beendet) - Sonike-Reich zwischen Senegal und Niger (Blütezeit im 9. und 10. Jh.), - Mali-Reich (im 13. Jh. vom Atlantik bis Niger und von der Zentralsahara bis zum tropischen Regenwald) - Songhai-Reich (im 15. Jh. im westlichen Sudan) mit Timbuktu als kulturellem Zentrum - Kalifat von Sokoto (von Nigeria bis Kamerun)
forum 1-2/2007 Afrika 65 in Ostafrika: - Königreich von Aksum - Königreich von Lalibela - Sultanat Sansibar-Oman in Südafrika: - Great Zimbabwe (bei der heutigen Stadt Masvingo aus dem 10. - 15. Jh.) - Nguni-Königtümer (z. B. das Zulu-Reich des Shaka 1820) 2) Daneben gibt es in Afrika aber auch völlig andere Traditionen als in den nördlichen, besonders den europäischen Ländern: - herausragende Rolle der Geschichtenerzähler - andere religiöse Relikte etc. (z. B. Masken-Vielfalt, neu auflebende Bedeutung des Voodoo-Kultes in Westafrika) - Musik-Tradition (Instrumente, Tänze). 3) Außerdem wird die Kultur von anderen gesellschaftlichen Strukturen beherrscht, die ebenfalls ein wichtiger Teil der Kultur sind: - große Bedeutung der Familientradition (Ahnenverehrung) - sowie des Klan-Denkens. C. Dem gegenüber steht die spezifische Problematik des Schutzes von Welterbestätten in Afrika: Problematisch ist, dass bei vielen der eigenen Machthaber der Stellenwert der Zukunft wesentlich hö- her eingeschätzt wird als der der Vergangenheit. Daraus resultiert: - geringe Geldmittel zum Erhalt der Erbe-Stätte, z. B. zur Sicherung der Orte gegenüber Räubern, Touristen und Geschäftemachern; - geringe Erfolge im Hinblick auf Rückführungen aus Europa etc. IV. Abschluss-Thesen für die Diskussion in der AG: Afrikanisches Kulturerbe – auch ein Stück Menschheitserbe, insbesondere für die modernen Industriestaaten: Dieses in seinem ganz besonderen Wert zu erkennen und zu retten muss als wichtige Zukunftsaufgabe der Menschheit gesehen und erkannt werden: 1. Es bleibt eine sehr wichtige Aufgabe für die Zukunft, die ungeheuere Vielfalt und den eigen- ständigen Wert der afrikanischen Kultur in vollem Umfang zu erkennen; z. B. die positiven As- pekte des Verbandsdenkens als eine wichtige Form der inner-gesellschaftlichen Verknüpfung. 2. Die Sicherung des vom Untergang bedrohten narrativen Erbes (z. B. der Geschichtener- zähler) sollte als herausragende Aufgabe erkannt werden. 3. Die ebenfalls vom Aussterben bedrohte Sprachenvielfalt in den verschiedenen Ethnien Afrikas sollte viel mehr als bisher als wichtiges Erbe der gesamten Menschheit erkannt und Maßnahmen zur Erhaltung umgesetzt werden; ein besonders tragisches Beispiel ist das – weitgehend unbeachtete – Aussterben der Sprache der Buschleute im südlichen Afrika. „Andauernd sind wir (in Afrika) diesem Pendelschlag der Empfindungen ausgesetzt. Abscheulich und traumschön. Gewalttätig und friedfertig. Geheimnisvoll und banal. Offenherzig und heimtü- ckisch. Man wird einwenden, dass uns derartige Gegensätze auf jedem Kontinent begegnen. Aber auf keinem sind die so scharf ausgeprägt wie in Afrika. Nirgendwo werden die Wunden so tief ge- schlagen, nirgendwo verheilen sie so schnell, lehrt der Volksmund. Die Kraft des Vergebens und der Mut der Versöhnung – das ist vielleicht die wichtigste Lektion, die wir von Afrika lernen können.“ (Bartholomäus Grill: Ach, Afrika, a.a.O., S. 28) Walter Tausendpfund Koordinator für Welterbeerziehung der unesco-projekt-schulen
66 Afrika forum 1-2/2007 Foto des afrikanischen Kontinents, zusammengesetzt aus Satellitenaufnahmen der NASA
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